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Betty Literatur

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Insgesamt 98 Bewertungen
Bewertung vom 15.09.2025
Olkusz, Gesa

Die Sprache meines Bruders Deutscher Buchpreis 2025 Longlist


sehr gut

Die Sprache meines Bruders -Gesa Olkush
„Wir zerbrechen mitunter einfach an Schlappheit, Faulheit und einem Mangel an Inspiration.“
In einem traurigen, trostlosen Szenario irgendwo in Seattle den USA leben die Brüder Kasimir und Parker gemeinsam in einem Haus, das die verstorbene Mutter ihnen hinterlassen hat. Sie war mit ihren Kindern von Polen in die USA gezogen, hat ihr Leben irgendwann aufgegeben und sich in ihrem Zimmer im Bett isoliert.
Parker arbeitet als Chauffeur, Kasimir verlässt das Haus nicht.
Eine Kommunikation findet zwischen den beiden nicht statt, es bleibt zunächst unklar, ob Kasimir sprechen kann, vermutlich ist er einfach zu schüchtern, aber sein Fokus ist vollständig auf die Beobachtung seines Bruders gerichtet.
Parker und die Mutter unterhielten sich in ihrem Zimmer „so leise, dass Kasimir nicht einmal wusste, welcher Sprache sie sich bedienten und ob sie überhaupt eine Unterhaltung führten oder nur aufeinander einredeten, es murmelte und gurgelte aus dem Zimmer, es war kaum auszuhalten.“
„Kasimir konnte nur denken, nicht sprechen, deshalb hatte er keine Chance gegen seinen Bruder.“
„Er wünschte sich, einen ähnlichen Wortfluss produzieren zu können, leicht und plätschernd, mit Sonnenlicht auf den Wellen.“, so wie Parker.
Parkers Freundin Luzia wohnt irgendwann mit im Haus, verschwindet aber nach einem Jahr wieder.
Und Parker verschwindet auch.
Kasimir, auf sich allein gestellt, trennt sich von dem ungeliebten Haus und den Erinnerungen und spürt einen kleinen Moment von Freiheit, Leben und Abenteuer.
Parallel erinnert sich Parker an seine Kindheit und die große Familie in der Heimat, auch an den Vater. Er hat seine Mutter nie nach den Gründen des Umzugs oder dem. Verbleib des Vaters gefragt.
Ein mysteriöser Fahrgast bietet ihm einen gut bezahlten Auftrag an, der Parkers finanzielle Sorgen lösen würde. Er könnte endlich das Haus der Mutter renovieren, das ihm so am Herzen liegt. Es läuft jedoch nicht alles wie geplant.
„Die Sprache meines Bruders“ ist ein verwirrender Roman über den Verlust der Heimat, die Einsamkeit, gescheiterte Hoffnungen und die Hilflosigkeit von Menschen. Teilweise wirkt alles wie ein Albtraum, ein wenig kafkaesk und doch auch sehr real. In kurzen, knappen Sätzen blickt die Autorin auf die beiden Figuren, auf die Bedeutung der Sprache, vielleicht den Verlust der Muttersprache.
Ein faszinierendes Buch.

Bewertung vom 11.09.2025
Sironic, Fiona

Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft


ausgezeichnet

Der Titel des ersten Romans von Fiona Sironic hat mich wirklich neugierig gemacht. Und ich kann jetzt verstehen, warum die Mädchen Sachen in die Luft jagen.
Die 16- jährige Ich-Erzählerin Era erzählt aus einem Leben in der nahen Zukunft, die Klimakrise hat zu veränderten Lebensbedingungen geführt, sie lebt mit ihrer Mutter in einer Hütte im Wald, betonierten Boden kann man nicht betreten, vieles ist durch Überschwemmungen zerstört worden, das Risiko von Waldbränden ist sehr hoch. Es gibt kein Obst oder Gemüse oder Fleisch. Die öffentliche Sicherheit wird durch feuerlegende Jugendliche gefährdet.
Retrospektiv berichtet sie vom Leben ihrer Tante und ihrer Mutter, dem Kampf der Menschen gegen die Klimakatastrophe oder der Vereinnahmung des Lebens durch das Internet.
Sie verfolgt regelmäßig einen Live-Stream, in dem 2 vermummte Mädchen im Wald Dinge verbrennen und explodieren lassen. Sie entdeckt, dass die Mädchen mit ihren Müttern ganz in der Nähe wohnen und auch die gleiche Schule besuchen.
Sie und Maya freunden sich an und Era erfährt den Grund für die Zerstörungswut der Mädchen. Ihre Mütter haben als lesbisches Paar ihr gesamtes Leben und das ihrer Töchter öffentlich gemacht. Sie sind Momfluenzerinnen, reich und erfolgreich mit einer riesigen Follower-Community und die Töchter versuchen die digitalen Spuren zu vernichten. Sie wurden nicht um Erlaubnis gefragt.
So sprengen die Töchter aus dem Archiv der Mütter gestohlene Festplatten in die Luft und dokumentieren die Zerstörung mit einem alten Camcorder. „Er ist nicht zu orten und kennt keine Netzwerke.“
Era versucht das Artensterben zu dokumentieren, sie ist fasziniert von Vögeln und Vogelstimmen, die es leider oft nur noch digital zu hören gibt. Sie sammelt ihre Informationen in Tagebüchern aus Papier.
In der Welt der Frauen erleben Era und Maya ihre große Liebe. Beide haben Angst vor Kontrollverlust, die eine zerstört, die andere will erhalten.
Die Taten der Schwestern werden von ihren Müttern entdeckt und Maya verschwindet von zu Hause. Sie schließt sich radikalen Gruppen an, den Datenskeptiker*innen. Deren Ziel ist es Serverfarmen, das „Archiv“, das sämtliche Daten gespeichert hat, die aber nicht mehr für jeden zugänglich sind, zu vernichten.
„Es geht um die Organisation von Wissen als Herrschaftsinstrument.“
Im livestream kann Era zusehen, wie ihre Freundin Maya tatsächlich im Inneren der Wissensmacht eindringt.
„Ich kann die Momente blinken sehen. Es sind Millionen Erinnerungen, falsche und richtige, platzierte und retuschierte, die kreischend auf den Datenträgern rotieren, als hätten sie einen Überlebenswillen.“
Es werden nicht nur die Vogelstimmen und Mayas 1. Schritte ausgelöscht.
Sehr gelungen an diesem Roman ist die Verbindung zwischen „alter“ Welt: ausgestopften Vögel, gespeicherten Vogelstimmen, Dokumentation des Artensterbens und „neuer“ Welt: Datenmengen und Datenmüll, einer zerstörten Umwelt und dem Überlebenskampf der Menschen. Und es geht um Kontrollverlust und Wut. Weibliche Wut, die sich in Gewalt ausdrückt.
Ein wirklich aufrüttelnder Blick in die Zukunft, sehr intensiv und sehr vielschichtig.
Absolut lesenswert.
Nominiert zum Deutschen Buchpreis.

Bewertung vom 07.09.2025
Nandi, Jacinta

Single Mom Supper Club


weniger gut

Single Mom Supper Club – Jacinta Nandi

Das Leben alleinerziehender Mütter gestaltet sich in diesem Roman vor allem dadurch, dass sie sich bei ihren gemeinsamen Supper Treffen streiten, lästern, etwas essen, aber vor allem sehr kerne koksen.
"Die normalen Mütter" – die Britinnen Tamara, Kayla und Lina, die jetzt in Berlin leben und die Deutsche Antje, die alle hinter ihrem Rücken die "schreckliche Antje" nennen treffen sich regelmäßig und kochen füreinander.
Das machen auch "Die Cocaine Mums", vier Instagrammerinnen, sogenannte "Momfluencerinnen" auch.
Diese beiden Gruppen unterschiedlicher Frauen tun sich zusammen, die Cocaine Mums, sind deutlich jünger, hipper und offensichtlich auch finanziell gut aufgestellt, während die anderen Mütter, jede mühsam ihr Leben mit den Kindern meistert.
Aber sie haben alle ihre Geschichten, unfähige oder gewaltbereite Partner irgendwie nicht genug Geld und haben sich in ihrem Single-Mom-Dasein eingerichtet.
Bei ihren gemeinsamen Treffen wird viel geredet, meistens belanglos, oberflächlich und dumm, z.B. ob Koksen und Stillen in Ordnung ist. Sie lügen und betrügen, beschreiben ihr durchweg unangenehmes Sexualverhalten, lesen Männer auf der Straße auf und brüsten sich mit Blow-Jobs oder Hand-Jobs.
Parallel streiten sie darüber, wer die wahre Feministin ist und ob ein Girl Boss nicht viel cooler ist.
Dies alles geschieht in einer so furchtbaren Sprache, gespickt mit Anglizismen und ordinären Worten über Sexualität. Die durchweg unsympathischen Charaktere haben in meinen Augen viele Gemeinsamkeiten. Sie sind orientierungslos (auch die angeblich erfolgreiche „Instagram-Royality“), unangenehm selbstherrlich, aber den anderen gegenüber extrem feindselig.
Wenn dies ein Abbild des Lebens alleinerziehender Mütter in der Großstadt ist, dann tun mir vor allem die Kinder leid, die von ihren Mütter, als Beiwerk erwähnt werden, aber deren Probleme offensichtlich nicht wahrgenommen oder ignoriert werden.
Die „Schreckliche Antje“ als Innbegriff der furchtbaren Deutschen muss herhalten für allerlei Lächerlichkeiten, die Deutsche tun und denken. Und die selbstherrlichen Britinnen sind sich auf jeden Fall in einem einig: Die Deutschen denken weiter wie Nazis und den Holocaust haben sie auch nicht überwunden.
Ich musste mich überwinden dieses Buch zu lesen, es hat mich sprachlich und inhaltlich sehr abgestoßen und ich kann mir nicht vorstellen, wo auch nur ein Stückchen „Britischer Humor“ steckt. Von mir aus können diese Frauen auf Kindergeburtstagen auf der Toilette koksen und dem Lehrer ihres Kindes nach dem Elternabend einen blasen.
Aber lustig finde ich es überhaupt nicht.
Nominiert für den Deutschen Buchpreis, warum auch immer.

Bewertung vom 04.09.2025
Khayyer, Jina

Im Herzen der Katze


ausgezeichnet

Im Herzen der Katze – Jina Khayyer
„Bisharaf“ (persisch: gewissenlos)
Dieser Ruf schallt von den Frauen im Iran, die auf die Straße gehen und für ihre Freiheit kämpfen. Der Tod von Jina Mahsa Amini durch die Sittenpolizei in Teheran, weil sie ihr Kopftuch nicht „richtig“ trug, September 2022, dokumentiert auf Instagram, ist der Auslöser für die Erzählerin. Ihre Schwester und deren Familie leben in Teheran.
Sie erinnert sich an eine frühere Reise 2009 in den Iran bei der 15 Jahre älteren Schwester und liefert einen wunderbarer Einblick in die persische Kultur und die Bedeutung der Familienbande.
Eine ihrer zahlreichen Tanten, promovierte Naturwissenschaftlerin, erzählt aus der Schahzeit, in der auch nicht alles gut war, aber das Leben modern und westlich orientiert war. Die Einschränkungen, die mit der Machtübernahme des islamischen Staates begannen, die kuriosen „religiöse“ bedingten Verbote haben das Leben der Menschen, besonders das der Frauen stark verändert.
„Die Ajatollahs erfanden sich selbst eine neue Welt und neue Gesetze, im Namen Gottes haben sie uns Frauen auf despotischste Weise unsere Rechte entzogen.“
Der Umriss des Iran gleicht einer Katze und die Erzählerin reist mit ihrer Schwester durch den Bauch der Katze von Teheran bis an den Persischen Golf.
Die Reiseführerin Iman ist eine junge Frau, mit jungenhafter Erscheinung, bewegt sich als Mann durch das Land, sie will sich als Frau nicht einschüchtern lassen.
Sie sehen die berühmten Kulturstätten des Persischen Reiches.
Die überwältigende Schönheit des Landes, die unverwechselbare Farben, die intensiven Gerüche wecken Erinnerungen an das „Land der Rosen und Nachtigallen, der Zypressen und des Weins“, so wie der berühmte Dichter Hafis es einst beschrieb.
Und es geht auch um lesbische Liebe, die es im Iran nicht geben darf und für die es in der Sprache kein Wort gibt. „Delémoon jekis“, unser Herz ist eins.
Die Autorin schafft es, die Poesie der persischen Sprache zu vermitteln, das besondere Lebensgefühl der Menschen, authentisch durch persische Sprachschnipsel, aber auch gelungene Übersetzungen der wunderschönen persischen Redensarten.
Dieses Buch ist eine Offenbarung. Schonungslos wird das autoritäre religiös motivierte Unterdrückungssystem der Mullahs analysiert.
„Hafis sagt, Unrecht liegt mit offenen Flügeln über dem ganzen Land, wie ein ungeheurer Raubvogel, wo ist Pfeil, wo ist Bogen? Warum schießt ihn keiner ab?“
Die Autorin verfolgt des Straßenkampf der iranischen Frauen, dem sich auch ihre Schwester und ihre Nichte angeschlossen haben.
Ihre Nichte übermittelt ihr Videoschnipsel.
Es gelingt der Autorin mit einer unglaublichen sprachlichen Intensität diese Bilder wiederzugeben. Die Brutalität und Willkür, die Lust zu unterdrücken und zu töten, ausgeführt von einem männlichen Machtapparat gegen Frauen sind kaum zu ertragen.
Ich bin diesem faszinierenden Land und seinen wunderbaren Frauen wieder ein Stück näher gekommen und ich bewundere diese mutigen Frauen, die für ihre Freiheit ihr Leben aufs Spiel setzen.
Jina Khayyer ist in Deutschland geboren und iranischer Abstammung. Sie ist Künstlerin und Journalistin und lebt in Paris und hat mit diesem ersten Roman ein beeindruckendes Werk geschaffen. Ich hoffe, dass viele Menschen dieses Buch lesen.
Es steht auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2025

Bewertung vom 31.08.2025
Sommerfeld, Nirit

Beduinenmilch


ausgezeichnet

Wo gehöre ich hin?“

2014 reist die junge Erzählerin von Berlin nach Israel, um dort mit ihrer israelischen Familie ihren 18. Geburtstag zu feiern.
Sie plant, dort zu bleiben, um ihren Militärdienst zu absolvieren und so ihre Verbundenheit mit der Familie und dem Land zu signalisieren.
Ihre naive, verklärte Vorstellung von dem Dienst und der Arbeit des israelischen Militärs verändert sich jedoch, je länger sie im Land ist und je mehr sie mit eigenen Augen sieht und erfährt.
Ihr verstorbener Großvater, ein Überlebender des deutschen Holocausts hat ihr seine Tagebücher hinterlassen und sie liest seine Berichte über die israelische Staatsgründung, die Räumung der Siedlungen der arabischen Bevölkerung und der Schuld, die er empfindet. Sie erfährt auch mehr über die Wurzeln ihrer Familie, so stammt z.B. ihre Großmutter aus Marokko, mit jüdisch-arabischer Herkunft.
Die Erzählerin gerät immer mehr zwischen zwei Welten, weiß nicht mehr was an dem israelisch-palästinensischen Konflikt richtig oder falsch ist und wie sie sich als Israelin positionieren soll.
Sie hegt große Zweifel an der Informationspolitik des israelischen Staates, besucht mit einer Hilfsorganisation und ihrem Deutschen Pass besetzte Gebiete und steht immer wieder vor erschütternden Situationen, die sie aufrütteln.
Der Roman ist sprachlich nicht anspruchsvoll, aber die Geschichte ist es, möglicherweise ein Coming-Off-Age Buch, wie von Verlag benannt, aber ganz sicher ein aufwühlender Bericht über eine politisch unerträgliche Situation und ein großer Appell an die Menschlichkeit.
Es ist das erste Buch von Nirit Sommerfeld, die sich als Deutsch-Israelin mit einer ungewöhnlichen kulturellen Herkunft, in der es auch eine arabische Seite gibt, sich schon sehr lange für eine Annäherung zwischen Israel und Palästina einsetzt.
Ein Buch, das die immer noch aktuelle, komplexe Situation sehr berührend und eindringlich erfasst.
Große Leseempfehlung

Bewertung vom 28.08.2025
Georg, Miriam

Die Verlorene


ausgezeichnet

Als die 93-jährige Änne verstirbt, stehen ihre Tochter Ellen und ihre Enkelin Laura plötzlich hilflos vor vielen unbeantworteten Fragen.
Änne war immer sehr eigensinnig, stur, wollte sich von der Tochter nichts sagen lassen und auch Ellen fällt es schwer, ihre Gefühle zu zeigen oder über Gefühle zu sprechen.
Änne stammt eigentlich aus Schlesien, hat über ihre Erlebnisse während der Flucht oder Vertreibung nicht gesprochen. Erst nach ihrem Tod entdecken Tochter und Enkelin mysteriöse Hinweise auf einem Bild und Laura beschließt, nach Polen zu reisen, um die Geschichte ihrer Großmutter herauszufinden. Sie erhofft sich dadurch auch „Heilung“ für ihre Mutter.
Parallel lernen wir Karl kennen, der im Alter von 21 Jahren 1941 für die deutsche Wehrmacht kämpft und dann durch besondere Verwicklungen als „Zwangsarbeiter“ auf dem Hof von Ännes Eltern landet.
Und wir lernen Luise, Ännes Zwillingsschwester kennen, 1943 in Schlesien auf einem großen Gutshof. Und erleben diese besondere, symbiotische Beziehung der beiden Schwestern.
Die einzelnen Zeitabschnitte sind geschickt miteinander verwoben und so erfahren wir Stück für Stück immer etwas mehr über Ännes Vergangenheit.
Ich habe das Buch sehr gern gelesen, die Verknüpfung der Lebensgeschichten dieser Frauen einer Familie ist außerordentlich spannend, die Geschichte um die Schwestern eindringlich und faszinierend.
Die Grauen des 2. Weltkriegs sind ganz aus der Perspektive der Menschen betrachtet, beeindruckend sind die Tapferkeit und der Überlebenswille der Frauen.
Es ist auch ein erschütterndes Dokument über Menschen, die aufgrund veränderter politischer Bedingungen in Unwissenheit und Angst leben, Gewalt erleben müssen, enteignet werden, ihren Namen und ihre Sprache aufgeben müssen, ihre Heimat und ihre Identität verlieren.
Diese Erfahrung brennen sich ein und werden über Generationen weitergegeben.
Die Autorin verarbeitet hier auch Teile ihrer Familiengeschichte, das ist fast ein heilsamer Prozess.
Wir müssen darüber sprechen, was unseren Müttern und Großmüttern und Urgroßmüttern widerfahren ist. Ich bin auch ein Kind einer Flüchtlingsmutter und bin sehr froh über dieses Buch.

Bewertung vom 01.08.2025
Espach, Alison

Wedding People


sehr gut

Die 40-jährige Phoebe verlässt ihr Haus und ihr bisheriges Leben als Literaturprofessorin, weil sie ihr Leben beenden möchte. Ihr Mann hat sich von ihr getrennt, der Kinderwunsch blieb unerfüllt.
Dazu hat sie sich einen „Traumort“, ein sehr luxuriöses Hotel ausgesucht.
Leider findet in dem Hotel auch eine Hochzeitsgesellschaft statt. Phoebe lernt die Braut im Fahrstuhl kennen und erzählt von ihren Plänen. Doch die Braut möchte sich ihre vollständig durchgeplante und unglaublich teuren Hochzeitsfeierlichkeiten, die über mehrere Tage gehen, nicht durch solch ein Ereignis vermiesen lassen.
Die beiden ungleichen Frauen lernen sich widerwillig besser kennen und Stück für Stück lernen wir auch diese beiden Frauen und ihre Geschichten kennen.
Nebenbei finden täglich allerlei aufregende Events um die Hochzeit und die Hochzeitsgesellschaft statt. Und es kommt zu ungeahnten Verwicklungen.
Dieser Roman ist wirklich sehr unterhaltsam, humorvoll, aber doch auch tiefgründig, es gibt eine spannende Kulisse, interessante Charaktere und natürlich die Liebe. Es soll ja schließlich geheiratet werden; kann direkt verfilmt werden.
Übersetzt von Verena Ludorff

Bewertung vom 16.07.2025
Wahl, Caroline

Windstärke 17


sehr gut

Im zweiten Roman von Caroline Wahl erzählt dieses Mal Ida ihre Geschichte.
Nach dem Tod der Mutter verlässt sie die gemeinsame Wohnung, kämpft mit den Erinnerungen an ihre Kindheit, der Zeit mit ihrer Schwester, zu der sie den intensiven Kontakt verloren hat.
Ida hat furchtbare „Wutklumpen“ im Bauch, sie denkt über geplatzte Träume nach: „Aber sowieso scheint mein ganzes Leben eine Art Übergangslösung zu sein?“
Die Hilfsangebote der Schwester Tilda und deren Freund Viktor kann und will sie nicht annehmen
Ida flüchtet planlos und landet auf der Insel Rügen, die Erinnerungen verfolgen sie weiter und sie macht sich Vorwürfe, dass sie sich zu wenig um ihre alkoholabhängige Mutter gekümmert hat.
Bei Knut und Marianne, die sie auf der Insel kennenlernt, findet sie eine „Ersatzfamilie“, kommt zur Ruhe und beginnt, nachdem sie ihre inneren Kämpfe und Ängste überwunden hat, wieder an zu schreiben.
Auch Leif begegnet ihr auf der Insel, beide haben eine schwierige Vergangenheit, und trotzdem finden sie Vertrauen zueinander.
Ich mag die schönen und authentischen Alltagssituationen auf Rügen sowie die wortkargen Dialoge, die doch alles sagen. Ich mag die vorsichtige Annäherung zwischen Ida und Leif und ich mag auch Ida in ihrer selbstzerstörerischen Art, immer auf der Suche nach dem Limit und der Suche nach sich selbst.
Aber sie findet auch Ruhe und (Vergebung), indem sie sich um die kranke Marianne sorgt und kümmert.
Sprachlich finde ich den ersten Roman gelungener, experimenteller.
Aber der nicht neue „stream-of consciousness“-Erzählstil passt natürlich zu Ida.
Lesenswert. Mal wieder an einem Tag.

Bewertung vom 15.07.2025
Wahl, Caroline

22 Bahnen


ausgezeichnet

Dieses Buch ist zu Recht viel gelobt worden.
Caroline Wahl überzeugt inhaltlich und sprachlich.
Stakkatohaft beschreibt sie den Alltag der Protagonistin Tilda, die getrieben ist zwischen Studium, Schwimmtraining, der Arbeit an einer Supermarktkasse, Haushaltsaufgaben und der Sorge um ihre jüngere Schwester und die alkoholabhängige Mutter.
Die Freunde aus ihrer Jugendzeit sind weggezogen und nur selten in der Kleinstadt, die sie nicht verlassen kann. Sie findet schöne Momente in diesem trostlosen Leben und sie findet Viktor.
Fast pragmatisch, reiht sich das Leben dieser jungen Frau aneinander. Irgendwo hat sie ihre Emotionen vergraben. Sonst könnte sie nicht überleben.
Das Buch hat mich von Anfang an in seinen Sog gezogen, Melancholie und Traurigkeit werden immer wieder verdrängt, von der starken Energie dieser wunderbaren Protagonistin. Vielleicht hilft der Mathematikstudentin auch ihr analytischer Zahlenblick, den Alltag besser zu verstehen.
Besonders gelungen die sprachliche Aufreihung von Lebensmitteln an der Supermarktkasse mit deren Hilfe Tilda versucht, die Person, die einkauft, zu identifizieren.
Und ein wunderschönes Einblick in Phantasien und Träume der beiden Schwestern.
Caroline Wahl spielt mit der Sprache und erfindet sie neu. Die abgedroschene Metapher der „Schmetterlinge“ im Bauch, wird bei ihr zu Libellen, Drachen-Fliegen mit eisblauen Augen, die ihren Körper malträtieren.
Absolut lesenswert.

Bewertung vom 10.07.2025
Brandl, Sabine; Dankers, Julia

BeGeistert von dir


sehr gut

Liebe kann alles
Die beiden Reporterinnen Karin und Eva sind auf journalistischer Reise in einem kleinen Dorf im Bayrischen Wald, um den mysteriösen Tod vor 60 Jahren von Fanni Wimberger, einer verheirateten Frau, die eine lesbische Beziehung hatte, zu recherchieren.
Sie arbeiten für eine feministischen Zeitschrift, beide sind über dieses gemeinsame Projekt nicht begeistert, da sie sich nicht mögen.
Im Dorf begegnen ihnen Schweigen und Widerstand und Bedrohung.
Mit einer großen Prise Humor, wird erzählt, wie die beiden ungleichen Frauen recherchieren und zueinander finden. Der dialogische Erzählwechsel ist zwar kein neues literarisches Element, in diesem Fall aber durchaus sehr unterhaltsam, wie die beiden Frauen sich gegenseitig beschreiben und durchaus spannend, da hier tatsächlich 2 Autorinnen schreiben. Dieses Buch ist ausgesprochen unterhaltsam und witzig, herrlich authentisch das Dorfleben sowie die männliche Stammtischrunde.
Natürlich wird auch der „dubiose“ Tod aufgeklärt und nebenbei entdecken die beiden Journalistinnen ihre Anziehung zueinander. Es ist immer eine große Kunst, dass Gefühle, Liebe und Sex nicht kitschig verklärt werden. Das ist den Autorinnen gelungen, es ist ein schönes Spiel mit Sprache und Ironie.
Dass lesbische Liebe selbstverständlich ist, muss nicht erwähnt werden. Sie kommt in der Literatur noch viel zu selten vor.
Und die Botschaft des Buches: „Liebe kann alles“ ist sowieso universell.
Ein empfehlenswertes Buch.