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meerblick

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Insgesamt 427 Bewertungen
Bewertung vom 21.07.2025
Knecht, Doris

Ja, nein, vielleicht


sehr gut

Herausforderungen im Leben

Die Ich-Erzählerin, Ende fünfzig, in Doris Knechts Roman ‘Ja, nein, vielleicht‘ lebt die überwiegende Zeit unabhängig und allein in einem alten zurecht gemachten Haus auf dem Land, ohne innigen Kontakt zu ihren Nachbarn. Man grüßt sich, wenn man sich begegnet, wechselt ein paar knappe Worte. Aber dieses freie unabhängige Leben hat sich die Protagonistin selbst ausgesucht. Ihre Kinder, ein Zwillingspaar, leben unabhängig in der Großstadt, in Wien. Die Verbindung zum Vater der Kinder besteht so gut wie gar nicht mehr.
Trotz eines sehr großen Familienverbandes mit weiteren 4 Geschwistern, die wiederum Kinder haben, verheiratet sind und den eigenen Eltern besteht wenig Kontakt. Man telefoniert, tauscht sich sporadisch aus über Belanglosigkeiten oder Themen, die berühren. So auch über eine Schwester, die unsere Protagonistin darum bittet, ihr Apartment in der Großstadt Wien vorübergehend benutzen zu dürfen. Nun beginnt sich das Gedankenkarussell zu drehen. Unglaublich viele Fragen entstehen, die mit sich allein diskutiert werden. Auch ein zufälliges Treffen mit einem alten Freund führt zu ausufernden Gedankenkonstrukten, die zwanghafte Handlungen bewirken. Schließlich werden auch Zahnschmerzen, verursacht durch Parodontose als Folge des fortschreitenden Alterungsprozess gesehen und ausgewertet.
Die Autorin fängt das seelische Leiden ihrer Protagonistin sehr akribisch ein, zeichnet das Bild einer Selfmadefrau, die sich in den gesellschaftlichen Zwängen eines Paarbildes unwohl fühlt, Zu Hause in ihren vier Wänden führt sie ein glückliches Dasein, ist zufrieden mit ihrer schriftstellerischen Berufung, dem Alleinsein. Doch dann, wie so oft im Leben, wandeln sich die Herausforderungen durch unvorhersehbare, unbeeinflussbare Ereignisse, die neue Perspektiven in den Mittelpunkt mentaler Auseinandersetzungen stellen.

Bewertung vom 21.07.2025
Rytisalo, Minna

Zwischen zwei Leben


ausgezeichnet

Wandlungen

Jenni Mäki ist neunundvierzig Jahre alt als sie beschließt, ihren Ehemann Jussi und damit das edle Haus am Wasser aber auch das finanziell sorgenfreie Leben zu verlassen. Die Kinder sind erwachsen und gehen ihre eigenen Wege. Ihre Aufgabe als Mutter, über die sie sich all die Jahre identifiziert hat, ist erledigt. Die Untreue von Jussi hält sie nicht mehr aus, auch dieses aneinander Verbeischauen trifft sie tief im Herzen und so fasste sie den für sie nicht einfachen Entschluss zu gehen, um sich eine neue Existenz aufzubauen, vielleicht sogar ein neues Leben zu leben. Sie ändert ihren Namen, nennt sich fortan Jenny Hill. Das zeigt ihre Verbundenheit zu dem Jahr, welches sie als Austauschschülerin in den Vereinigten Staaten von Amerika verbrachte. Selbstzweifel und Minderwertigkeitskomplexe bestimmten ihr Leben. Dem Drang nach Anpassung gab sie stets nach. Ihre Psychotherapeutin stellte ihr die Aufgabe, Briefe an eine Person zu schreiben, in denen sie ihre Wünsche, Gefühle und Gedanken festhält, um zu reflektieren. Es sollte der Weg sein aus der Sackgasse selbstvernichtender Grübeleien.
Minna Rytisalo beschreibt in ihrem Roman ‘Zwischen zwei Leben‘ die Wandlung einer Frau, die sich selbst wenig Respekt entgegenbringt, sich unwohl in dieser Rolle fühlt und Stück für Stück in ein befreites, ungezwungenes Leben geht. Die Autoren benutzt als schriftstellerisches Stilmittel drei Perspektiven – eine Erzählstimme, die sehr persönlichen Briefe der Protagonistin und Flüsterstimmen von Märchenfiguren, die ihre wahre Geschichte erzählen, damit einen geänderten Blick auf die alten Märchen ermöglichen.
Ich habe dem Buch Zeit gegeben, um tiefer einzutauchen in das Geschehen und es hat sich gelohnt.

Bewertung vom 21.07.2025
Hauff, Kristina

Schattengrünes Tal


ausgezeichnet

Besitzergreifende narzisstische Einflussfaktoren

Lisa ist die Tochter des Besitzers eines in die Jahre gekommenen Familienhotels, idyllisch gelegen im schattengrünen Tal des Schwarzwaldes, das mehr oder weniger von seinen Stammgästen lebt. Mit ihrer äußerst auffälligen Fürsorge für Menschen steht sie sich oft selbst im Weg und lässt Simon, ihren Mann, in den Hintergrund geschoben zurück. Darunter leidet die Ehe. Während Simon seine Leidenschaft für die Natur zum Beruf gemacht hat, scheitert Lisa immer wieder an der sturen und selbstgefälligen Art ihres Vaters, mehr Verantwortung im Familienbetrieb zu übernehmen.
Als eines Tages eine Frau trotz widriger Umstände, die Heizung ist ausgefallen und es herrschen eisige Temperaturen im Haus, unbedingt in ihrem angemieteten Zimmer bleiben will, gerät Lisa durch das Verhalten dieser Fremden zusehends tiefer in Bedrängnis. Die Geschehnisse spitzen sich dramatisch zu und entwickeln sich zu einem handfesten Konflikt, durch besitzergreifende narzisstische Einflussfaktoren.
Kristina Hauff erschafft in ihrem Roman ‘Schattengrünes Tal‘ lebensnahe Charaktere, die aus abwechselnden Erzählperspektiven beschrieben werden, die ihre Gedanken und Gefühle realistisch offenlegen und damit eine Atmosphäre der Vertrautheit schaffen, mich tief in das spannende, aufreibende Geschehen hineingezogen haben. Klug baut sie Schritt für Schritt ein bemerkenswertes Spannungspotenzial auf, welches schmerzliche Momente aufweist, die zeigen wie schwierig es ist, mit Vertrauensverlusten umzugehen, es aber auch immer wieder Chancen im Leben gibt, die positiv genutzt werden wollen.
Wer sich gern mit menschlichen Herausforderungen auseinandersetzt, sich diesen stellt, wird in diesem Roman auf seine Kosten kommen.

Bewertung vom 17.07.2025
Manawatu, Becky

Aue


ausgezeichnet

Traumata von Generationen und indigenen Völkern

Becky Manawatu erzählt in ‚‘Aué‘ eine schmerzliche, traurige Geschichte über das Geschwisterpaar Árama und Taukiri, die ihre Eltern verloren haben und damit den Halt in ihrem Leben. Während der achtjährige Ámara bei seiner Tante und dem gewalttätigen Onkel auf einer abgelegenen Farm in Neuseeland unterkommt, sucht Taukiri mit seinen siebzehn Jahren sein Seelenheil durch Flucht vor der Heimat. Er reist quer durchs Land ohne feste Arbeit und macht auch vor dem kriminellen Drogenmissbrauch keinen Halt. Ámara findet in Beth, der Nachbarstochter, eine Freundin.
Die Geschichte wird nicht linear erzählt. Man taucht immer wieder in verschiedene Zeitebenen und Erzählperspektiven ein, sodass man erst nach und nach ein Verständnis für die familiären Zusammenhänge bekommt, für die Suche nach den Wurzeln und schließlich auch das schwere Leid der Maori, der Ureinwohner Neuseeland, verstehen lernt.
Der Buchtitel, der ein Synonym für wehklagen, weinen ist, weist auf den Schwerpunkt dieses außergewöhnlichen Romans. Er liest sich nicht flott dahin, sondern verlangt nach Aufmerksamkeit, verleitet zum Nachdenken, schenkt großen Lesegenuss durch seinen einzigartigen Sprachstil und Erkenntniszuwachs über das Leben von Menschen, die am anderen Ende unserer Erde wohnen.
Meine Leseempfehlung spreche ich sehr gern an dieser Stelle aus.

Bewertung vom 15.07.2025
Rubik, Kat Eryn

Furye


ausgezeichnet

Folgenschwere Entscheidungen

Kronos tötet seinen Vater Uranus. Das auf die Erde Gaia gefallene Blut zeugt die drei Schwestern, genannt die drei Furien Alekto, die Unaufhörliche, Megaira, die Widerwillige und Tisiphone, die Vergelterin – so steht es geschrieben in Hesiods Epos. Beeindruckt von diesen Zeilen benennen sich fortan die drei Freundinnen Alec, Meg und Tess.
Alec, eine erfolgreiche Managerin in der Musikbranche, kehrt nach circa zwanzig Jahren zurück an den Ort ihrer Kindheit, an einen Küstenort mit den schroffen Felsen und dem wilden Meer. Sie stellt sich ihren Erinnerungen aus den letzten Jahren ihrer Schulzeit, die sie gemeinsam mit Meg, Tess und dem geheimnisvollen, begehrenswerten Romain, ihrer großen Liebe, verbrachte. Lange Zeit verdrängte sie, was in jenen Tagen geschehen war, welche verhängnisvollen Auswirkungen Drogen- und Alkoholsucht, brutale Gewalt, Depressionen, Vernachlässigung hatten und in welcher scheinbaren Ausweglosigkeit sie sich als Teenies befanden, diesen Begleitumständen ihres jungen Lebens zu entfliehen. Doch die Geschichte findet erst in den späten Wochen der Aufarbeitung, die mit Hilfe eines alten Tagebuches stattfindet, einen tragischen Abschluss, den niemand vorhersehen konnte.
Kar Eryn Rubiks Roman ‘Furye‘ hat mich von der ersten Seite an gefesselt und immer tiefer in das Geschehen hineingezogen. Es ist ihr aus meiner Sicht hervorragend gelungen, ein authentisches Bild einer Gesellschaft zu zeichnen, die achtlos wegschaut und so verantwortlich zeichnet für schmerzliche Verluste und tiefsitzende psychische Verletzungen. Die Sprache der Autorin ist klar und eindrücklich. Ihre Gabe Bilder durch die gewählten Worte entstehen zu lassen, ist sehr beeindruckend und fängt den Lesenden in einer angenehm unterhaltenden Art ein.
Sehr gern möchte ich diesen besonderen Roman weiterempfehlen.

Bewertung vom 12.07.2025
Rivera Garza, Cristina

Lilianas unvergänglicher Sommer


ausgezeichnet

Brutal eskalierender Femizid

Cristina Rivera Garza, eine erfolgreiche in den USA lebende mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin, ist die sechs Jahre ältere Schwester von Liliana. Beide wachsen wohlbehütet in einem Intellektuellenhaushalt in Toluca auf, der Hauptstadt des Bundesstaates Mexico, gelegen circa 65 Kilometer südwestlich von Mexiko-City. Im Alter von zwanzig Jahren wird Liliana Opfer eines brutal eskalierenden Femizides, eines Mordes, der einzig und allein darauf ausgerichtet ist, die patriarchalen Besitzansprüche an einer Frau, die als persönliches Eigentum betrachtet wird, geltend zu machen. Die Geschehnisse datieren sich auf das Jahr neunzehnhundertneunzig und sind bis zum heutigen Tag ungesühnt geblieben, obwohl der Verdächtige unmittelbar nach seiner Tat als der ehemalige Freund namens Ángel identifiziert wurde.
Die Autorin schildert in ihrem Roman ‘Lilianas unvergänglicher Sommer‘ mit großem Einfühlungsvermögen und sprachlicher Schönheit den Werdegang ihrer geliebten Schwester. Sie schreibt über ein lebensfrohes und lebenshungriges Mädchen, das zu einer selbstbewussten, klugen Frau heranwächst, sich in ihrem großen Freundeskreis als beliebte Gefährtin etabliert, die mutig ihren Weg geht, sich viele konstruktive Gedanken um ihr Dasein macht und bereit ist, diese positiv zur freien Entfaltung der weiblichen Persönlichkeit umzusetzen. Dabei stand die Liebe zu den Menschen im Zentrum ihres Handelns und Strebens. Unzählige Tagebucheinträge, Briefe und Aussagen von Wegbegleitern Lilianas hat die Autorin zusammengetragen, um fast dreißig Jahre nach den schrecklichen Ereignissen aufzuarbeiten, was als Schuld und menschliches Versagen bei den Hinterbliebenen und insbesondere bei ihr hängen geblieben ist. Dabei setzt sie sich besonders kritisch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen ihres Heimatlandes Mexiko auseinander, in denen Korruption, Drogenhandel aber eben auch patriarchische Strukturen gefährliche Ausmaße zeigen.
Dieser Roman, der sicherlich Züge eines Berichtes besitzt, wird Leser begeistern, die sich mit den gesellschaftlichen Verhältnissen unserer menschlichen Gemeinschaft auseinandersetzen. Er zeigt auf welche Möglichkeiten zur Befreiung vom patriarchalen Zwängen es geben kann und vor allem wie wichtig es ist, Femizid zu erkennen, um brutale Eskalationen zu verhindern.

Bewertung vom 11.07.2025
Gerstberger, Beatrix

Die Hummerfrauen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Schatten der Vergangenheit

Mina ist achtundzwanzig als sie nach vielen Jahren an den Ort unbeschwerter Kindertage zurückkehrt, die damals ein abruptes Ende fanden. Hier in Maine sucht sie Ruhe, um die in sich tragende Trauer zu verarbeiten und ihrem Leben neue Perspektiven zu geben. In dem idyllischen, pittoresken Dorf Stone Harbor begegnet sie der zweiundsiebzigjährigen Ann, einer Hummerfischerin, die mit sich und ihrer Umwelt einen schroffen Umgangston pflegt. Auch Julie, die Mittfünfzigerin, übt den harten, kräftezehrenden Beruf einer Hummerfischerin aus, kämpfte sich nach einem schweren Unfall zurück in den Alltag. Beide Frauen wissen was es bedeutet, trotz schmerzlicher Verluste weiterzuleben und geben Mina die Kraft und Stärke, um den Geschehnissen jenes Sommers zu begegnen, die auch für Sams Familie einschneidende Konsequenzen hatte. Sam, der Junge, mit dem sie einst so herrlich frohgelaunte Sommertage verbrachte.
Beatrix Gerstberger zeichnet in ihrem Roman ‘Die Hummerfrauen‘ eine Geschichte, die das Leben in seinen dunklen Stunden zeigt und gleichzeitig die wundersame Energie von Freundschaft, Liebe und Zusammenhalt darstellt. Lebendig und lebensnah gestaltet sie die Charaktere ihrer Protagonisten, die sich den Herausforderungen jeden Tag aufs Neue stellen und in ihrer Gemeinschaft Halt und Geborgenheit, aber auch Liebe finden. Sie vermag es außerdem, diese wunderschöne Landschaft gekonnt in Szene zu setzen.
Die Autorin selbst hat nach einem Schicksalsschlag das raue Leben der Hummerfischer auf dem wütenden Meer vor Maine kennengelernt und weiß ganz genau wovon sie schreibt.
Ein lesenswerter Roman für entspannende, unterhaltende Sommertage.

Bewertung vom 10.07.2025
Kloeble, Christopher

Durch das Raue zu den Sternen


ausgezeichnet

Musik ist das tragende Element dieses eigenwilligen und gleichzeitig bezaubernden Romans ‘Durch das Raue zu den Sternen‘ von Christopher Kloeble. Er stellt die selbstbewusste Arkadia Fink, eine Teenagerin, die gleich dem Tongeschlecht Moll gerufen wird, in den Mittelpunkt seiner Geschichte, in der er sie berichten lässt über sich, ihre Familie und ihren alles bestimmenden Wunsch ein gefeierter, weltbekannter Bühnenstar der klassischen Musik zu werden. Sie setzt all ihre Kraft, aber auch ihren vorlauten, forschen Charakter dafür ein, als Mädchen in einem berühmten Knabenchor singen zu dürfen. Das Regime ist knallhart und fordernd. Doch hier sieht sie die große Chance ihren Herzenswunsch wahr werden zu lassen. Überschattet wird dieser Roman von einer tiefen Trauer, vom Verlust eines geliebten Menschen, der in ihren Gedanken, in ihrer Fantasie sehr lebendig ist, sie begleitet, ihr Kraft gibt und sie durch den Tag trägt.
Der Autor vermag es musikalische Komponenten unglaublich geschickt in das Geschehen einzubauen, den Ton mal himmelhochjauchzend und darauffolgend melancholisch durch den Raum des geschriebenen Wortes klingen zu lassen, je nach Stimmung der Protagonistin. Das hat mich beim Lesen sehr beeindruckt und mich tief eintauchen lassen in die Handlung, die durch ihre Lebendigkeit gepaart mit dem Charme der Poesie besticht. Es ist eine gelungene Geschichte, die gelesen werden möchte, die ich auf Grund ihrer Andersartigkeit sehr gern empfehle.

Bewertung vom 10.07.2025
Clavadetscher, Martina

Die Schrecken der anderen


sehr gut

Aufarbeitung historischer Gegenwart

Martina Clavadetscher präsentiert mit ‘Die Schrecken der anderen‘ einen besonderen Roman, der durch seinen anspruchsvollen Schreibstil nach Aufmerksamkeit beim Lesen verlangt, der eine tiefe Nachdenklichkeit heraufbeschwört und auffordert auch zwischen den Zeilen zu lesen. Die Autorin schreibt nüchtern, setzt das Geschehen geschickt und sprachgewandt in Szene, lässt dabei die Geschichte in zwei Handlungssträngen verlaufen, brilliert mit historischen Ereignissen, die in Bezug zur Gegenwart gesetzt werden möchten und vereint schließlich die Handlungsfelder zu einem Abschluss, der für mich ein offenes Ende beschreibt und auffordert einen Versuch zu unternehmen, aufkommende Fragen durch das aktuelle gesellschaftspolitische Weltgeschehen zu beantworten.
Präzise Darstellungen stellen menschliche Charaktereigenschaften in ihrer bedrückenden Einsamkeit, ihrer mentalen Stärke, ihrer fanatischen Sturheit in den Mittelpunkt, die schonungslos aufeinanderprallen, die ein zerfleischendes Konfliktpotenzial in sich tragen, die aber auch den Mut besitzen zerstörerisches Machtgehabe einzudämmen. Der Roman legt offen wie eine bedrohliche historische Erbschaft noch heute Machtansprüche auf die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung erhebt.
Ein Leseerlebnis der besonderen und anspruchsvollen Art erwartet den interessierten Bücherliebhaber.

Bewertung vom 10.07.2025
Johnston, Bret Anthony

We Burn Daylight


ausgezeichnet

Religiöser Fanatismus

In seinem Roman ‘We burn daylight‘ schildert Bret Antony Johnson aus der Sicht zweier Teenager die Tragödie, die sich in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts auf einer Farm in Waco / Texas zugetragen hat, die von einer religiös bestimmten Sekte um den fanatischen Sektenführer und Prediger Perry Cullen, genannt das Lamm, mit einem ausgeprägten Endzeitstimmungsgedanken, bewirtschaftet wird.
Der vierzehnjährige Roy wächst in einer Familie auf, die mit diesem Landstrich eng verbunden ist. Über Gegenrationen hinweg stellt sie den Sheriff der Region und will natürlich diese Tradition gern fortsetzen. Doch Roy verfolgt ganz andere Interessen, sieht seine Zukunft vollkommen konträr zu den Vorstellungen seiner Eltern und Großeltern. Auf einem Waffenmarkt lernt Roy die etwa gleichaltrige Jaye kennen und entwickelt mehr und mehr Zuneigung zu dem Mädchen, dessen Mutter dem selbsternannten Propheten bedingungslos folgt, in Armut und unter widrigen hygienischen Bedingungen lebt, gemeinsam mit ihrer Tochter das heimatliche Kalifornien als auch ihren Ehemann verlassen hat. Jaye grenzt sich total aus der Gemeinschaft aus, bleibt in telefonischem Kontakt zu ihrem Vater. Als sich die Gerüchte um illegalen Waffenbesitz und Kindesschändung in der Sekte verhärten, kommt es zur gewaltsamen Auseinandersetzung mit staatlichen Sicherheitskräften mit unglaublichen Folgen.
Der Roman ist sehr vielschichtig. Er behandelt Themen wie den Wunsch nach Zugehörigkeit, Identitätsfragen, religiösen Wahn, Waffenmissbrauch und Kindesschändung, die Verantwortung staatlicher Institutionen als regulierendes Element in einer zivilisierten Gesellschaft. Gleichzeitig setzt sich dieser Roman intensiv mit der Verantwortung der Eltern gegenüber ihren heranwachsenden Kindern auseinander. Das kommt besonders deutlich in den Gedankengängen der beiden Protagonisten zum Ausdruck. Es ist erschütternd und berührend zugleich, welche Auswirkungen die Legalisierung des Waffenbesitzes haben kann.
Eine sehr intensive Geschichte für alle Leser, die an gesellschaftspolitischen Ereignissen interessiert sind.