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nessabo

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Insgesamt 161 Bewertungen
Bewertung vom 14.07.2025
Eng, Tan Twan

Das Haus der Türen (MP3-Download)


gut

Ein ausschweifend erzählter historischer Roman mit interessanten Elementen

Zum Hörbuch:
Elena Puszta hat eine sehr angenehme Stimme und auch ihr Bestes gegeben, den Figuren eine eigene Seele einzuhauchen. Das ist ihr zwischen den Geschlechtern auch gut gelungen, aufgrund der Fülle an Figuren hatte ich aber trotzdem kein sonderlich gutes Hörerlebnis. Ich hatte immer wieder Probleme, mich zwischen den Figuren und innerhalb der Zeitebenen zu verorten. Das ist sicher vor allem der Komplexität des Werkes selbst geschuldet und nicht der Sprecherin. Auch die vielen Fremdwörter finde ich beim Hören deutlich störender als beim Lesen. Daher würde ich das Hörbuch nicht empfehlen und bei Interesse eher zum geschriebenen Werk raten.

Zum Buch selbst:
Ich bin nicht unbedingt ein riesiger Fan historischer Romane, aber gerade über die Geschichte anderer Länder lerne ich ganz gern etwas in Büchern. Deshalb habe ich auch zu diesem Roman gegriffen, konnte aber ehrlicherweise nicht so viel daraus mitnehmen.

Die verschiedenen Perspektiven und Zeitebenen geben dem Werk wirklich Einiges an Komplexität, die den geschichtlichen Rahmen für mein Empfinden ein wenig zu sehr in den Hintergrund drängt. Ich habe verhältnismäßig lange gebraucht, um die Figuren und ihre Verbindung zueinander zu verstehen. Die Geheimnisse, die nach und nach enthüllt werden, haben mich bei der Stange gehalten, aber insgesamt war mir der Schreibstil zu ausufernd und langatmig.

Die koloniale, rassistische Sprache hat mich echt ganz schön angestrengt. Das ist keine Kritik am Werk und es ist so wichtig, diese Realität abzubilden, damit gerade weiße Menschen sich ihrer eigenen Geschichte bewusst werden können. Ich komme einfach nicht ganz so gut mit dieser Abwertung zurecht, weshalb ich eben auch nicht so oft historische Romane lese.

Das Ende fand ich handwerklich besonders, weil sich das Buch damit quasi selbst mit in die Handlung aufnimmt. Und Menschen, die sich gerne mit realen Schriftsteller*innen sowie deren Schaffungsprozess beschäftigen, können sich von dieser Geschichte bestimmt eher begeistern lassen als ich. Mich haben die kleinen und größeren Dramen der gehobenen weißen Bevölkerung Malaysias interessiert - allerdings nicht genug, als dass mir der Roman irgendwie im Gedächtnis bleibt. Dafür war er mir schlicht zu verworren und steif.

Bewertung vom 10.07.2025
Sauer, Anne

Im Leben nebenan


ausgezeichnet

Ein spannendes Gedankenspiel auf fantastische und emotionale Weise umgesetzt

Anne Sauer bleibt nach diesem Romandebüt auf jeden Fall eine Autorin, die ich im Auge behalte. Nicht nur schafft sie es, eine innovative Idee in Buchform zu bringen, sondern sie setzt diese dann auch noch mit so viel Fein- und Taktgefühl um, dass es mich emotional kaum losgelassen hat. An den richtigen Stellen ist der Text stilistisch besonders, ohne zu extravagant zu sein und damit von der Emotionalität der Handlung abzulenken.

Die Geschichte dreht sich um Antonia und Toni - erstere im Heimatdorf mit frisch geborenem Kind und verheiratet mit ihrer Jugendliebe, letztere in der Stadt ohne Kinder und in einer festen, unkomplizierten Beziehung mit einem anderen Mann. Nur… es handelt sich um die gleiche Person und Antonia wacht eines Tages als Mutter auf, obwohl sie gestern noch als Toni ein kinderloses (oder -freies?) Leben führte. Die beiden Perspektiven laufen immer wieder ineinander, scheinen sich manchmal sogar fast zu kreuzen. Zwei Perspektiven, die irgendwie eine sind und doch auch wieder nicht - Knotenpotenzial für den Kopf, aber ich fand es genial und intelligent umgesetzt.

Es ist sehr klar, dass es sich hier um Fiktion handelt und trotzdem habe ich bangend auf eine logische Auflösung gewartet - so gut kann die Autorin schreiben. Beide Versionen der Protagonistin sind vielschichtig. Antonia struggelt in verschiedener Hinsicht mit ihrer Mutterrolle, obwohl sie sich diese als Toni gewünscht hatte - hat sie doch jahrelang vergeblich versucht, schwanger zu werden. Anne Sauer webt wiederholt gesellschaftliche Elemente in die Geschichte ein und schafft es, Eltern und Nicht-Eltern nebeneinanderzustellen ohne in ein Werten oder gar Vergleichen zu verfallen. Deshalb können meiner Meinung nach alle Lesenden ungeachtet der eigenen Situation etwas aus dem Roman ziehen.

Mich haben beide Seiten der Geschichte restlos überzeugt. Am Ende geht es weniger um die Frage „Kinder - ja oder nein?“, sondern vielmehr um Lebensentscheidungen und dem Umgang mit ihnen im Allgemeinen. Mal schwermütig und verzweifelt, mal hoffnungsvoll und proaktiv gehen beide Versionen der Protagonistin durch eine bestimmte Phase ihres Lebens. Die beiden Partner haben mir als Nebenfiguren gut gefallen, da auch sie sich jeglicher Eindeutigkeit entziehen und eben einfach menschlich sind - mit nervigen und liebenswerten Seiten.

Das Ende ist kryptisch, aber mir ist fast die Kinnlade herabgefallen, so gut fand ich es! Ich habe auch wirklich ein paar Tränchen verdrückt, die gar nichts mit einem besonders konkreten Drama zu tun haben, sondern sich einfach mit der sanften Echtheit der Geschichte begründen lassen. Ein großartiges Debüt, mit dem die Autorin zeigt, wie viel Mitgefühl und Verständnis sie für verschiedene Lebensentwürfe aufbringen kann!

Bewertung vom 10.07.2025
Borcak, Melina

Mekka hier, Mekka da


sehr gut

Gut lesbarer und lehrreicher Einstieg in ein wichtiges Thema

Melina Borčak schreibt wie sie spricht und das finde ich toll! Mit einem feinen Humor und sehr direktem Ton thematisiert sie hier ein Thema, zu dem wir sicher alle noch lernen können. Es geht dabei vor allem um sprachliche Phänomene, wenn es zu antimuslimischem Rassismus kommt. Wo werden willkürliche Kategorien geschaffen, wo mit verschiedenen Ansprüchen gearbeitet? Warum werden immer wieder bestimmte Bilder reproduziert, wenn über den Islam oder Muslim*innen geschrieben wird? Wie soll so eine große Gruppe von Menschen auch nur im Ansatz homogen sein? Auf diese und viel mehr Fragen geht Borčak gut zugänglich ein.

Dass der Fokus vor allem auf (Bild-)Sprache liegt, war mir vorher nicht bewusst. Das ist auch nicht schlimm, aber zur eigenen Einordnung vorher sicher hilfreich. Und ich habe beim Lesen so Einiges lernen dürfen, eigene Bilder im Kopf hinterfragt, aber auch oft genickt. Manchmal war es mir sprachlich ein wenig zu repetitiv und zäh, an anderen Stellen hätte ich mir mehr Tiefgang gewünscht.

Besonders hervorzuheben ist natürlich das Kapitel zu Genozid, welches noch einmal besonders deutlich ist im Ton der Autorin - und das völlig berechtigt. Ich hatte in dem Feld ehrlicherweise durch den öffentlichen Diskurs noch einige Unsicherheiten und manche bleiben auch vorhanden. Und doch halte ich es für extrem wichtig, Expert*innen jeglicher Art zuzuhören und ihnen zu glauben. Die Lektüre hat dahingehend meine eigene Ambiguitätstoleranz noch einmal geschärft. Außerdem habe ich ein bisschen mehr über den Islam gelernt, was ich auch als Atheistin interessant fand. Klare Empfehlung und extra Sympathiepunkte für den Veganismus der Autorin. 🫶🏻

Bewertung vom 10.07.2025
Hunter, Becky

Bis mein Herz wieder schlägt


gut

Gute Grundlage, aber auf Figurenebene leider ziemlich schwach

Ich habe große Erwartungen in dieses Buch gesetzt, weil es mich im Setting an „Wolke Sieben ganz nah“ erinnert hat, das ich letztes Jahr von vorn bis hinten geliebt habe. Diese Konkurrenz ist also schon hart, aber auch ungeachtet dessen konnte mich „Bis mein Herz wieder schlägt“ leider nicht überzeugen.

Besonders durch die erste Hälfte habe ich mich eher geschleppt. Die Zeitsprünge in hohem Tempo laufen immer nur auf Emerys Herzanfälle hinaus. Was danach passiert oder wie es den beteiligten Nebenfiguren währenddessen ergangen ist? Nebensächlich. Kann so entschieden werden, führt in der Konsequenz bei mir aber dazu, dass ich keine Nähe zur Geschichte aufbauen kann, weil sie bruchstückhaft und wenig plausibel wirkt.

Die zweite Hälfte hat mir besser gefallen, was zu großen Teilen daran lag, dass es ein paar spannungstreibende Elemente gab, deren Auflösung ich gerne erfahren wollte. Und ganz am Ende hab ich auch geweint, die Emotionalität kam mir insgesamt aber einfach viel zu spät.

Das ist einer meiner großen Kritikpunkte: Alles dreht sich nur um Emery, aber die bleibt mir bis zum Ende wenig greifbar. Sie scheint mir sehr lange sehr unreif zu sein, mit wenig Selbstreflexion und Empathie für ihre Herzensmenschen. Auch die Nebenfiguren bleiben mehr oder weniger ohne Profil. Sie bekommen allesamt 1-2 Charakterzüge, über ihre echten Emotionen erfahren wir wenig. Ich habe nichts gegen eine Protagonistin im Fokus, aber auch Nebenfiguren brauchen Tiefe, sonst leidet die gesamte Handlung.

Kritikpunkt 2: Die angekündigte Liebesgeschichte bzw. das Liebesdreieck kommt mir deutlich zu kurz für einen Liebesroman. Colin wird von Emery so schrecklich behandelt und tut mir einfach nur leid. Die Chemie zwischen Nick und Emery stellte sich für mich auch nicht so recht ein und die Romance war mir zu konstruiert - schließlich sehen die beiden sich ja auch immer nur eine kurze Zeit lang.

Der Roman lässt sich sprachlich gut lesen und ich würde auch nicht grundsätzlich von der Lektüre abraten. Mir persönlich drehte sich die Geschichte aber zu sehr um eine selbstbezogene Protagonistin mit wenig Wachstum und dafür mit viel emotionaler Distanz. Nebenbei werden auch immer mal wichtige Themen angesprochen, etwa die Diskriminierung queerer Menschen, doch auch die kommen mir schlicht zu kurz. Das Ende fand ich zu großen Teilen gut und emotional, wenngleich ich es mir auch ein wenig anders gewünscht hätte.

Und abschließend noch ein Wunsch an den Verlag: Inhaltswarnungen wären hier meiner Meinung nach angebracht gewesen.

2,5 ⭐️
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TW: Krebserkrankung, Tod, Blut, M0rd

Bewertung vom 02.07.2025
Gundar-Goshen, Ayelet

Löwen wecken


gut

Spannende Ausgangssituation, mir jedoch zu zäh und emotional oberflächlich weitergeführt

Es war mein erster Roman der Autorin und auch, wenn ich einige Kritikpunkte an ihm habe, bleibe ich weiter an Ayelet Gundar-Goshen dran, weil mich dieses moralisch Ambivalente literarisch grundsätzlich total reizt.

„Löwen wecken“ wirft ein Scheinwerferlicht auf den Umgang mit bzw. die Haltung zu BIPoC-Geflüchteten in Israel. An der Stelle möchte ich auf jeden Fall auch anmerken, dass wir uns in Deutschland wohl kaum eines besseren Umgangs rühmen dürfen und so Einiges aus dem Roman für uns selbst reflektieren können.

Die Ausgangssituation ist so erzürnend wie spannend - ein weißer Neurochirurg überfährt nachts, scheinbar unbeobachtet, einen geflüchteten Eritreer und fährt einfach weg. Im weiteren Verlauf sieht er sich mit dessen Frau konfrontiert, die ihr Wissen um den Unfall zu nutzen weiß. Etan gerät daraufhin in ein komplexes moralisches Konstrukt aus Lügen gegenüber seiner Frau, altruistisch(?)-egoistischen Taten und Begierde.

Ich sehe, dass Gundar-Goshen ein Gespür hat für Ambivalenzen und das moralisch Graue. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, um den selbstgerechten Rassismus unter privilegierten weißen Israelis darzustellen. Und doch war mir das Werk zu ausschweifend und emotional auf Figurenebene zu flach, als dass es meinen Erwartungen hätte entsprechen können.

Wir sitzen nicht nur in Etans Kopf (was, gelinde gesagt, oft fast unerträglich ekelhaft ist), sondern bekommen auch Einblicke in Sirkit, die Frau des Getöteten, sowie Etans Frau Liat. Weitere Nebenfiguren kommen ebenfalls kurz dazu, deren Rolle hat sich mir aber nicht immer erschlossen. Am Ende führt die Autorin beeindruckenderweise ziemlich viele Fäden zusammen, aber das wäre insgesamt dennoch kompakter gegangen. Obwohl die Sprache klar ist, wird meiner Meinung nach zu viel mit detaillierten Bildern, Wiederholungen und ausschweifenden Gedankengängen gearbeitet, die das Lesen anstrengend gemacht haben.

Ganz schlimm und mehr als unangenehm fand ich die dargestellte Anziehung zwischen Etan und Sirkit. Keine Ahnung, ob die Autorin hier genau diese Gefühle bei den Lesenden erzielen wollte, aber ich hätte es nicht gebraucht. Die Emotionen der Figuren fand ich abgesehen von Wut und Ekel generell nicht oft greifbar, sodass mir da die Nähe fehlte. Sirkit und Liat waren die für mich weitaus spannenderen Figuren, besonders erstere bekommt am Ende nochmal einen netten Twist.

Ein tolles Grundgerüst, das mir deutlich kürzer wesentlich besser gefallen hätte. Es vermag schon, die Grenzen zwischen Gut und Böse, zwischen Opfer und Täter verschwimmen zu lassen, die Gedanken und Handlungen der Figuren selbst blieben mir dahingehend aber zu sehr an der Oberfläche. Wütend macht das Ende in jedem Fall und ich bleibe wie gesagt auch weiter interessiert an der Autorin.

3,5 ⭐️
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TW: Rassismus, Dr0genkriminalität, Kindstod, Blut/Wunden, M0rd

Bewertung vom 30.06.2025
McConaghy, Charlotte

Die Rettung


ausgezeichnet

Ein mystisch-dystopisches Kammerspiel mit Tränengarantie

Wer McConaghys früheren Werke schon mochte, kann unbesorgt zu „Die Rettung“ greifen. Für mich sind die Geschichten der Autorin ein Garant für starke Emotionen und atmosphärische Settings. All das erfüllt auch ihr neuester Roman, obwohl ich ein paar Kritikpunkte habe.

Erstmal: das Cover?! Hier hat sich der Verlag besonders viel Mühe gegeben, denn auch der Einband ist stimmungsvoll bedruckt. Und vor allem spiegelt es schon sehr akkurat das Setting wider, welches so richtig endzeitlich-bedrohlich ist.

McConaghy wirft ihre Lesenden absolut drastisch und ohne jede Vorwarnung in die Handlung hinein. Dieses Mal hat sie sich für ziemlich viele und teils rasante Perspektivwechsel entschieden. Grundsätzlich bin ich Fan dieses Stils, muss aber auch sagen, dass es mir hier einen Ticken zu viel war. Ich habe entsprechend eine Weile gebraucht, um die Figuren greifen zu können. Wir begleiten maßgeblich den Inselverwalter Dominic sowie die auf ebenjene Insel gespülte Rowan. Ergänzt wird die Geschichte ab und zu um kurze Kapitel von Dominics Kindern.

Zu Beginn fand ich das noch gewöhnungsbedürftig, kann die Wahl aber im Nachhinein gut nachvollziehen. So lässt die Autorin die Betroffenen selbst sprechen und vergrößert damit die Authentizität der Geschichte. Besonders Orly, das jüngste Kind, hat mich sofort für sich gewonnen. Er ist ein absolutes Brain, was Flora und Fauna angeht, und teilt in seinen Kapiteln vor allem Wissen rund um (bedrohte) Pflanzenarten. Ihm wird später eine unfassbar schwere Aufgabe zuteil, bei der ich richtig dolle innehalten musste, um nicht sofort zu weinen.

Wie gewohnt legt McConaghy viel Wert auf eine Bewusstseinsbildung für die Klimakatastrophe, das Artensterben und unsere Rolle in alldem. Besonders dringlich wird dies durch das Setting, welches sich am besten als endzeitliches Kammerspiel beschreiben lässt: die Protas sitzen auf einer Insel fest, die in Rekordzeit zu versinken droht. Gewürzt mit einer Prise sexueller Anziehung und einer Tonne geheimnisvoller Andeutungen wird die Geschichte zu einer, die so beklemmend wie fesselnd ist.

Das ziemlich repetitive und etwas effekthascherische Andeuten von Geheimnissen hat mich ehrlicherweise aber schon etwas genervt. Ich finde vor allem, dass weder die Handlung noch die Autorin das nötig gehabt hätten. Sie hat schon in der Vergangenheit gezeigt, dass sie meisterinnenhaft Bilder und Atmosphäre bei ihren Leser*innen erzeugen kann. Die Thriller-Elemente waren spannend, hätten reduzierter aber wohl den gleichen Effekt erzielt. Außerdem werden Wildtiere in ihrem Wert geschätzt, während dann abends das TK-Hühnchen auf dem Teller liegt. Ein wenig mehr Konsequenz hätte an der Stelle nicht geschadet.

Nichtsdestotrotz: das Buch hat meine Erwartungen absolut erfüllt, auch wenn ich ihre Vorgänger auch aufgrund ihrer geradlinigeren Erzählstruktur einen Ticken mehr mochte. Die Autorin hat es trotzdem geschafft, mich bis zum Schluss noch völlig zu überrumpeln, am Ende hab ich einfach nur noch versucht, durch meine Tränen hindurch zu lesen. 💔

Auch „Die Rettung“ wirft uns auf unsere bloße Existenz zurück, schult das Bewusstsein für unsere Verantwortung und alles, was wirklich wichtig ist. Und so schmerzvoll die Realität auch ist, menschliche bzw. speziesübergreifende Verbundenheit machen sie ein wenig aushaltbarer.

4,5 ⭐️
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TW: Su!zid, T0d, Schilderungen von Gewalt gegen Tiere

Bewertung vom 27.06.2025
Reid, Taylor Jenkins

Atmosphere


ausgezeichnet

Ein packend geschriebener Weltraumroman mit zusätzlicher Ebene

Der neue Roman von Taylor Jenkins Reid war tatsächlich mein erster von ihr, obwohl mensch an ihrem Namen in der Buch-Bubble natürlich nicht vorbeikommt. Und ich kann es nun sehr gut verstehen: Diese Autorin kann absolut packend schreiben und porträtiert inspirierende Frauen ohne ins Pathetische abzudriften.

Jane Goodwin schafft es als eine der ersten Frauen, ins SpaceShuttle-Programm der NASA aufgenommen zu werden. Entsprechend vorprogrammiert sind natürlich auch patriarchale Strukturen und sexistische Abwertung am Arbeitsplatz. Diese werden thematisiert, nehmen aber keinen allzu großen Raum ein, was ich im Rahmen der Gesamthandlung auch okay fand. Obwohl Reid sich, dem Nachwort entsprechend, einige künstlerische Freiheiten herausgenommen hat, ist der Roman voller technischer und organisatorischer Details. Das mochte ich einerseits total gern, fand es streckenweise aber auch etwas zäh.

Doch „Atmosphere“ ist weit mehr als ein Weltraumroman! Es ist auch eine Geschichte über Queer Awakening, queeres Leben in einer überaus queerfeindlichen Umgebung und über Selbstfindung. Gerade letzteres driftet ja gerne auch mal ins Pathetische ab, was hier überhaupt nicht der Fall ist. Ich mochte nämlich ganz besonders an diesem Roman, dass seine Figuren erwachsen gezeichnet sind und sich auch entsprechend verhalten. Das Drama kommt eher aus dem Rahmen und nicht aus der zentralen Beziehung selbst. Je älter ich werde, desto genervter bin ich von ewig andauernden Kommunikationsproblemen! 🙈

Die Liebesgeschichte ist ehrlich, authentisch und einfach nett zu verfolgen. Mit geschickten Vor- bzw. Rückblenden hält Reid die Lesenden bei der Stange. Sie schafft es dadurch, eine primär von Alltag geprägte Haupthandlung absolut packend einzurahmen. Denn was sich auf dem zentralen Weltraumflug ereignet, hat mich am Ende mit Tränen in den Augen zurückgelassen…

Besonders erwähnen möchte ich auch noch die Beziehung von Jane und deren Nichte Frances. Absolut ergreifend wird hier noch einmal auf andere Weise das Konzept „Familie“ diskutiert. Janes Schwester Barbara war mir persönlich am Ende zu überzeichnet, was meine Lesefreude minimal getrübt hat.

Ein großartiger Roman, der mich enorm unterhalten hat und dessen Hauptfiguren ich wirklich sehr mochte. Ich wünsche ihm sehr viele Leser*innen und bin mir sicher, dass er viele auf eine angenehme Art inspirieren kann.

4,5 ⭐️

Bewertung vom 25.06.2025
Gosling, Sharon

Der alte Apfelgarten


sehr gut

Ein weiteres kurzweiliges Werk einer talentierten Autorin

Mein erster Kontakt mit Sharon Gosling war vor einem Jahr „Forgotten Garden“, was ich sehr mochte. Ich finde, dass Gosling ein Händchen für ganz besondere Landschaften hat, aber auch für zarte zwischenmenschliche Bande. An das konnte „Der alte Apfelgarten“ in vielerlei Hinsicht anknüpfen, wenngleich es für mich auch ein paar Dämpfer gab.

Aber erstmal zu all dem Guten. Das Setting ist einfach bemerkenswert schön, Gosling zeichnet mit ihren Worten kinderleicht Bilder in die Köpfe ihrer Leser*innen. Ich bin zwar gar nicht so ein Küstenkind, aber wie die Autorin schottische Natur beschreibt, macht mich doch sehnsüchtig.

Außerdem mochte ich die Wahl der Protagonistinnen sehr gern! Dass hier für eine Romance eine Schwesternschaft als zentrale Beziehung gewählt wurde, finde ich nämlich richtig toll. Bette und Nina sind spannende Figuren, alleinstehend und in Interaktion miteinander. Gosling zeigt damit, dass nicht immer die romantische Liebe im Zentrum stehen muss.

Wie schon bei ihrem vorherigen Werk hat mir generell gefallen, dass die meisten Figuren einfach warmherzig und undramatisch sind. Das bedeutet nicht, dass es kein Drama in der Handlung gibt (im Gegenteil!) , aber sie kommt eben weniger aus den Figuren selbst. Barnaby a.k.a. Superheld Seepocke und wie respektvoll die Erwachsenen mit ihm sowie seinen Bedürfnissen umgehen? Ich liebe alles daran! Auch Cam, Allie und Ryan sind liebenswerte Nebenfiguren, die ich immer wieder gern gelesen habe.

Der Roman ist eine gut lesbare Sommerlektüre und ich würde sie dafür auch jederzeit empfehlen. Dennoch hat mir der Vorgänger noch einen Ticken besser gefallen, weil da der Gemeinschaftsaspekt mehr zum Tragen kam. Außerdem muss ich die starke Überzeichnung des Antagonisten kritisieren. Die Figur fand ich völlig flach, eindimensional und vorhersehbar. Auch Bettes und Ryans Aufeinandertreffen und wie es dann endete, fand ich nicht gut geschrieben. Es war mir am Ende alles einfach ein wenig zu überspitzt dramatisch, ein bisschen weniger hätte es für mich auch getan.

Nichtsdestotrotz eine klare Leseempfehlung für diesen stimmungsgeladenen Roman in großartigem Setting und mit vielen netten Figuren. Das Apfelthema und die Geschichte rund um den Apfelgarten haben mich nebenher auch ziemlich fasziniert. Ich hatte eine angenehme, kurzweilige Lektüre und habe mich trotz meiner Kritikpunkte sehr gut unterhalten gefühlt.

Bewertung vom 22.06.2025
Pfister, Kristina

Ein unendlich kurzer Sommer


gut

Nette Sommerlektüre mit problematischen Mustern und wenig emotionaler Nähe

Geschichten rund um schicksalhafte Gemeinschaften lese ich ziemlich gern. Eine solche haben wir hier auf jeden Fall auch, aber so richtig emotional erreichen konnte mich der Roman trotzdem nicht.

Wir begleiten fünf Menschen, die den Sommer auf einem kleinen Campingplatz verbringen. Das Setting fand ich gut gewählt und der zu Beginn entstandene Hype inkl. des plötzlich florierenden Tourismus war schon recht amüsant. Ich hatte figurentechnisch aber meine Probleme. Mehrere Perspektiven finde ich toll - hier waren sie aber nicht klar voneinander abgegrenzt und wechselten teils innerhalb eines Kapitels nur durch einen Absatz getrennt. Außerdem finden nur drei Perspektiven direkt Raum, über die verbleibenden beiden Hauptfiguren wird nur durch die anderen drei gesprochen. Dieser Fakt hat mich immer mal wieder verwirrt/unzufrieden zurückgelassen

Was ich ganz besonders kritisiere, sind einige Muster in der Handlung. Einem noch Minderjährigen wird einfach wiederholt von Erwachsenen harter Alkohol und Cannabis verabreicht, sodass dieser in einem völlig betrunkenen/zugedröhnten Zustand zurückbleibt. Kaninchen werden ständig hochgehoben und auf den Schoß verschiedener Personen gesetzt - ein Fluchttier, das nur im äußersten Notfall hochgehoben werden sollte und nein, die finden Kuscheleinheiten in der Regel nicht toll! Das rassistische I-Wort, welches gleich zweimal reproduziert wird. Und ein irgendwie ziemlich überzeichneter, flacher, überflüssiger Ehemann, der am Ende noch einmal einen kurzen Auftritt bekommt.

Besonders die Kritikpunkte, aber auch die für mich allgemein fehlende emotionale Nähe zu den Figuren führen zu meinem Punktabzug in der Bewertung. Der Roman lässt sich trotz allem gut lesen und ist eine nette Sommerlektüre. Ich finde einfach, dass bspw. eine Jasmin Schreiber sehr ähnliche Geschichten deutlich ergreifender und reflektierter geschrieben hat.

3,5 ⭐️

Bewertung vom 22.06.2025
Knoll, Ursula

Zucker


sehr gut

Spannendes Generationenportrait, auch wenn der Zucker weniger verbindend war als erwartet

Ich mag komplexe Familiendramen, die sich über mehrere Generationen erstrecken und verschiedenen Perspektiven Raum geben. Auch „Zucker“ hat mir dahingehend gut gefallen, obwohl es figurentechnisch recht überladen war.

Das verbindende Element der Geschichte soll der titelgebende Zucker sein. Dabei geht es nicht nur um Rohrzucker, sondern auch um seinen Konkurrenten: den Rübenzucker. Und Zucker spielt auch ganz klar immer wieder eine Rolle, irgendwie habe ich es aber noch konkreter erwartet. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass die Verbindung zum Lebensmittel ein wenig konstruiert war.

Abgesehen davon muss ich aber klar sagen, dass die Autorin hier eine bemerkenswerte Recherchearbeit geleistet haben muss. Die Handlung findet zu grundverschiedenen Zeiten statt und immer bekommen wir eine enorme Masse an geschichtlichen Hintergrundinformationen mitgeliefert. Das hat mich phasenweise ebenso überfordert wie die vielen Figuren, aber mit der richtigen Erwartung ist es ein tolles historisches Werk.

Die Figuren selbst konnte ich nicht ganz so gut greifen, das mag aber auch an der hauptsächlich thematisierten Zeit liegen. Besonders Ejo konnte ich eine Weile gar nicht zuordnen und fand die Wahl ihrer Perspektive auch ein wenig eigenartig. Andere Figuren sind klarer und ich mochte auch die nach und nach verwobenen Zusammenhänge. Nicht so gut gelungen fand ich die zusätzlichen Perspektiven von Nebenfiguren, die sich irgendwann noch eingeschlichen haben. Da es schon mehr als genug Hauptfiguren gibt, hätte ich darauf lieber verzichtet.

Trotz aller Kritik ist das Buch authentisch und gut geschrieben, ich habe es gern gelesen. Vor allem Fans historischer Romane mit hoher Detaildichte werden hier ihre Freude haben. Die emotionale Tiefe der Figuren gerät da für mein Empfinden eher ein wenig in den Hintergrund, was den Roman aber auch nur überfrachtet hätte. In jedem Fall habe ich durch die Lektüre Einiges gelernt!