Unterhaltsame Urlaubslektüre, aber das Ende haut mich nicht um
Worum geht’s?
Lucy und Jess, zwei ungleiche Schwestern. Jess ist Malerin, malt immer wieder rätselhafte Bilder von Galionsfiguren, spürt eine rätselhafte Verbindung zu zwei Frauen, die sie noch nie zuvor gesehen hat. Lucy will Journalistin werden, erwacht aber eines Nachts schlafwandelnd, während sie gerade versucht, ihren Ex-Freund zu erwürgen. Sie flieht in Panik zu ihrer Schwester an die australische Westküste, doch Jess ist verschwunden.
In einem zweiten Handlungsstrang geht es um Mary und Eliza, zwei Frauen, die vor Jahrhunderten an Bord eines Sträflingsschiffs von Irland nach Australien gebracht wurden und auf der langen Reise seltsame Veränderungen an ihren Körpern entdecken, bevor sie unterwegs Schiffbruch erleiden.
Wie war’s?
Das Erste, was mir an „Unbeugsam wie die See“ sofort ins Auge gefallen ist, war das wunderbar ansprechend gestaltete Cover, das einen direkt in die Unterwasserwelt eintauchen lässt.
Und von den ersten 300 Seiten der Story war ich restlos begeistert. Lucy und ihre Verirrung nach dem Zwischenfall mit Ben, Jess, die es ausgerechnet zurück an den Ort zieht, an dem einst Baby Hope in einer Höhle ausgesetzt wurde und schon mehrere Männer auf rätselhafte Weise verschwunden sind. Und dann die Tagebuchausschnitte und die merkwürdige Beziehung zu Cameron. Das alles war sehr fesselnd und überzeugend erzählt, auch Lucys Zweifel und die Suche nach ihren wahren Wurzeln.
Die Zeitsprünge zu Mary und Eliza fand ich teils etwas anstrengend, aber auch dieser Handlungsstrang passt gut zum Gesamtkonzept des Buches und man kann sich die Verzweiflung und die Ungewissheit der Schwestern, was sie in der neuen Welt in Australien so erwartet, sehr gut vorstellen.
Auch die Übersetzung meiner lieben Berufskollegin Julia Walther liest sich so stimmig, dass man stellenweise fast vergisst, dass man hier eine Übersetzung vor sich hat und nicht das Original.
Was mich leider absolut nicht erreichen konnte, waren die letzten 100 Seiten. Die Auflösung, was es mit Lucy tatsächlich auf sich hat, das letzte Zusammentreffen von Jess und Cameron, das Schicksal von Mary und Eliza. Das war für mich teils sehr unglaubwürdig und an den Haaren herbeigezogen, sodass ich das Buch beinahe nicht beendet hätte.
Fazit
Als Urlaubslektüre sehr gut geeignet und ich bereue auch nicht, das Buch gelesen zu haben, auch wenn’s mich nicht komplett überzeugen konnte. Aber dafür eines der hübschesten Cover, die ich je gesehen habe, und es wird sich bestimmt gut im Bücherregal machen!
Wala Kitu, Mathematikprofessor und Experte für »Nichts«, soll dem Schurken John Sill, einem schwarzen Milliardär, beim größten Coup seines Lebens helfen: ein Einbruch in Fort Knox. Ziel: ein Schuhkarton, gefüllt mit »Nichts«. Denn wer das Nichts kontrolliert, der regiert die Welt.
Wie war’s?
Percival Everett war für mich seit »James« kein Unbekannter und ich habe seinem neuen Werk lange entgegengefiebert. Voller Begeisterung habe ich es angefangen, dann lag es nach den ersten Kapiteln unangetastet auf dem Nachttisch und hat mich in eine regelrechte Leseflaute befördert.
Warum eigentlich? Schwer zu sagen. Ich beschäftige mich als Literaturübersetzerin sehr viel mit Sprache, also hätten mir die vielen Exkurse über das »Nichts« eigentlich gar nicht so viel ausmachen sollen. Ich glaube, primär lag es an den ständigen Anspielungen auf irgendwelche mathematischen Zusammenhänge, schon in der Einleitung, mit denen man als Laie bzw. leidenschaftlicher Mathematik-Hasser eigentlich nichts anfangen kann. Solche Textstellen haben mich immer wieder aus dem Lesefluss geworfen.
Warum ich das Buch trotzdem beendet habe? Die Grundstory ist durchaus interessant, sympathisch waren mir vor allem Kitus Traumgespräche mit seinem einbeinigen Hund und auch seine Kollegin Eigen bringt noch einen interessanten Twist rein, der einen aufs Ende hinfiebern lässt.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich die Übersetzung des Kollegen Nikolaus Stingl, die wieder ein sprachliches Feuerwerk und ein Genuss war. An ihm lag’s jedenfalls nicht, dass mich Nichts nicht so richtig begeistern konnte.
Fazit
Percival Everett ist ein hochinteressanter Autor, und auch wenn mich Dr. No nicht vom Hocker gehauen hat, werde ich ihn und seine nächsten Bücher im Auge behalten. Vielleicht ist ja das Nächste wieder ein großer Wurf.
Susie ist für ihr Alter zu dünn und schmächtig, sodass sie vom Arzt in Kur geschickt wird. 6 Wochen Sommeraufenthalt in St. Peter Ording sollen helfen. Doch als wäre das Heimweh nicht schon schlimm genug, erlebt sie in Haus Morgentau Unbeschreibliches. Ein strenges Regiment, unerbittliche »Tanten«, drakonische Strafen für kleinste Vergehen. Schließlich endet der Aufenthalt mit einer tragischen Katastrophe. Als sie endlich wieder zuhause ist, der nächste Schock: Niemand glaubt, was wirklich passiert ist, nicht mal die eigene Familie. Erst Jahre später erzählt Susanne als erwachsene Frau ihrer Tochter Julie und ihrer sterbenden Mutter von ihren Erlebnissen und stößt endlich auf offene Ohren.
Wie war`s?
Schon als mir dieser Roman das erste Mal in einer Verlagsvorschau ins Auge fiel, wusste ich sofort, dass ich ihn irgendwann lesen muss. Meine eigene Mutter war auch so ein Verschickungskind. Bei ihr war es Borkum, aber bis auf den tragischen Ausgang der sogenannten Kur hätte das auch ihre Geschichte sein können. Zwangsernährung mit Haferbrei, vor dem vollen Teller sitzen, notfalls das Erbrochene aufessen, nachts nichts auf die Toilette dürfen. Und dann die Kontrolle der Briefe, welche die Kinder nach Hause schicken wollten. So oder so ähnliches hat sich das Schicksal damals immer und immer wieder wiederholt, und ich würde behaupten, dass sehr viele Verschickungskinder einen Knacks fürs Leben davongetragen haben.
Fazit
»Am Meer ist es schön« ist alles andere als leichte Urlaubslektüre. Ich persönlich kann sagen, dass mir dieses Buch ganz schön nachgelaufen ist. Ein Roman, der nachdenklich macht und zeigt, wie wichtig es ist, sich mit den Schicksalen dieser Kinder und dem damals getanen Unrecht auseinanderzusetzen. Trotz der ernsten Thematik von mir 5 Sterne und eine uneingeschränkte Leseempfehlung.
Schon oft habe ich mich gefragt, wie Autorinnen und Autoren wohl auf ihre Ideen kommen. Sebastian Fitzek hat in einem Schreibkurs mal geraten, sich die ›Was wäre, wenn?‹ -Frage zu stellen.
Also, was wäre, wenn die Nachricht, dass der Präsident von Botswana wie letztes Jahr angedroht tatsächlich 20.000 Elefanten nach Deutschland geschickt hätte, um gegen das Einfuhrverbot für Jagdtrophäen zu protestieren, wirklich wahr wäre?
Gaea Schoeters hat daraus einen zwar kurzen, aber überaus packenden Roman geschrieben.
Plötzlich tauchen Elefanten mitten in Berlin auf … der Bundeskanzler glaubt zunächst an einen Ausbruch aus dem Zoo, doch es werden immer mehr. Allgemeine Verwirrung und Verkehrschaos inklusive. Was also tun? Wohin mit den Hinterlassenschaften von 20.000 Elefanten? Und was, wenn sich die ungeliebten Gäste auch noch vermehren?
Wie war’s?
»Das Geschenk« ist ein Buch, das auch langsame Leserinnen und Leser gut an nur einem Abend durchsuchten können. Ich hatte die Autorin bisher noch gar nicht auf dem Schirm, werde mir aber nach diesem elefantastisch unterhaltsamen Buch auf jeden Fall auch »Trophäe« anschauen.
Eigentlich lese ich lieber längere Bücher, aber bei diesem muss ich wirklich sagen, in der Kürze liegt die Würze. Besonders gut gefallen haben mir die Parallelen zur aktuellen Flüchtlingspolitik (à la: ›Keine Sorge, wir schaffen das!‹) inklusive des Besuchs bei der Altkanzlerin, die mich verdächtig an Frau Merkel erinnert hat.
Fazit
Ein absolut elefantastisches Lesevergnügen! Auch die Übersetzung der Kollegin Lisa Mensing hat mir sehr gut gefallen, sie liest sich wie aus einem Guss. 5 Sterne und eine dicke Leseempfehlung!
Klaus Willbrand, Kölner Antiquar und Büchernarr, bekannt und beliebt, lädt ein … nämlich dazu, Literatur zu entdecken.
Wie war’s?
Klassische Literatur – für viele ein Thema, um das sie seit der Schulzeit und der ›Zwangslektüre‹ im Deutschunterricht einen großen Bogen machen. Peinlicherweise muss selbst ich als Literaturübersetzerin gestehen, dass das bisher so gar nicht mein Thema war. Ich bin zwar immer über die neuesten Neuerscheinungen informiert, aber Thomas Mann? Emily Dickinson? Alles schon mal irgendwo gehört, aber nie einen näheren Blick darauf geworfen.
Auch Klaus Willbrand war mir nur vom Antik-Markt auf dem Kölner Neumarkt ein Begriff. Nun, nachdem ich »Einfach Literatur – Eine Einladung« gelesen habe und dabei leider auch erfahren musste, dass Herr Willbrand im Januar 2025 verstorben ist und die Fertigstellung des Buches nicht mehr erleben durfte, bereue ich es, diesen wunderbaren Menschen nicht persönlich kennengelernt und seinem Antiquariat mal einen Besuch abgestattet zu haben.
Klaus Willbrand bzw. Daria Razumovych, die Klaus und sein Antiquariat auf Instagram und Tick-Tock berühmt gemacht und etlichen Menschen den Weg zurück zur Literatur gezeigt hat, geben auf 220 Seiten seine Empfehlungen weiter. Locker-flockig, nie belehrend, zu keinem Zeitpunkt hat man das Gefühl, dass man hier irgendwie beeinflusst oder von jemandem, der es besser weiß, in eine bestimmte Richtung gedrängt wird. Nein, es ist einfach nur eine Einladung, in die Welt der Literatur einzutauchen. Umfassend werden zunächst die deutsche Literatur, dann die anglo-amerikanische und schließlich auch die französische Literatur aufgegriffen und die aus Klaus Sicht wichtigsten Werke genannt. Das Ganze gespickt mit Anekdoten aus Klaus eigenem Werdegang, von der Kindheit, wo er während eines langen Krankenhausaufenthaltes den Weg zum Buch gefunden hat, über sein dreijähriges Lese-Sabbatical, um das ihn bestimmt nicht nur ich glühend beneide, bis hin zur Begegnung mit Daria und der erfolgreichen Rettung seines von der Schließung bedrohten Antiquariats.
Fazit
Ich bin begeistert von diesem Büchlein. Es wird einen Ehrenplatz in meinem Bücherregal bekommen und wer weiß, vielleicht wird zukünftig doch mal der eine oder andere Klassiker neben ihm einziehen. Lustige, aber wahre Anekdote: An dem Tag, an dem ich »Einfach Literatur« ausgelesen hatte, fiel mir auf einem Spaziergang durchs Severinsviertel plötzlich eine uralte Ausgabe von Thomas Manns »Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull« in die Hände, achtlos weggeworfen, nur einen Tag, nachdem ich Klaus Meinung zu dem Buch lesen hatte. Ob da wohl jemand vom Himmel aus seine Hand im Spiel hatte? Ich habe es jedenfalls direkt mitgenommen und werde es als nächstes Buch in Angriff nehmen.
Marisa hasst ihren Job von Herzen. Erdrückt von der gefühlten Sinnlosigkeit ihrer Arbeit in einer Madrider Werbeagentur flüchtet sie sich in Beruhigungsmittel, YouTube-Videos und gelegentliche nächtliche Eskapaden mit ihrem Nachbarn. Dann steht ein Teambuilding-Wochenende an, an dem einfach kein Weg vorbeiführt, und Marisa stellt sich der Situation – mit einer gehörigen Portion Angst und einer Extra-Ration Drogen im Gepäck. Ob das wohl gutgeht?
Wie war’s?
Eigentlich ein ziemlich alltäglich-banales Thema: Eine Frau hasst ihren Job. Gähn – schnarch? Keinesfalls. »Geht so« ist bei allem Elend urkomisch und ein Buch, in dem man von Anfang an mit der Protagonistin mitfühlt und mitleidet. Man merkt Marisa deutlich an, wie sehr ihr alles im Büro am Allerwertesten vorbeigeht, erlebt ihr »Bürospiel« aus nächster Nähe mit. Ihr geht es nicht nur um den Job an sich (den könnte man ja wechseln), sondern um die Notwendigkeit, überhaupt 8 Stunden pro Tag einer fremdbestimmten Tätigkeit nachgehen zu müssen. Was sogar zu dem bizarren Wunsch führt, sie möge doch bitte bitte auf dem Weg zur Arbeit möglichst irgendwie überfahren werden oder auf sonstige Weise verunglücken, um bloß nie wieder arbeiten zu müssen.
Fazit
»Geht so« ist bitterböse, urkomisch und obendrein von der lieben Kollegin Christine Quandt brillant übersetzt. Ich jedenfalls habe mich bestens unterhalten gefühlt und ich empfinde ein bisschen Mitgefühl mit allen, die in einer ähnlichen Situation feststecken und keinen Ausweg sehen. Ohne das Ende zu spoilern, Marisas Erkenntnis, worauf es letztlich im Leben ankommt, hat schon etwas für sich!
Seicht dahinplätschernde Urlaubslektüre
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Worum gehts? Kurz vor ihrem 100sten Geburtstag will Inge Martensen es nochmal wissen. Gemeinsam mit ihrer Enkelin Swantje geht sie an Bord eines Kreuzfahrtschiffes. Ziel: New York! Für Inge eine Reise in die Vergangenheit, als junge Frau hat es sie von der kleinen Nordseeinsel Föhr nach Big Apple verschlagen. Ahnungslos und ohne Englischkenntnisse hat sie damals die Insel verlassen und nach einem ersten Job im Deli eines weiteren Auswanderers von Föhr, den es ebenfalls nach New York zog, dank »Inges magic potatoe salad« eine beispiellose Erfolgsgeschichte hingelegt. Nun will sie mit Swantje ein letztes Mal die Orte sehen, die ihr damals so viel bedeutet haben, und gleichzeitig ihrer Enkelin helfen, in New York ihre eigene Zukunft zu finden. Wie wars? Was habe ich mich auf dieses Buch gefreut! Schon das Cover ist sehr ansprechend gestaltet und macht sofort Lust auf eine sommerliche Lektüre, die einen quer über den großen Teich von Föhr nach New York und wieder zurück entführt. So viel zu meinem Wunschdenken ich kann gar nicht sagen, warum ich mich mit diesem Buch so schwergetan habe. Die Story hat durchaus Potenzial, Auswanderer-Geschichten gehen ja irgendwie immer, Nordseeinseln sowieso und allein die Tatsache, dass viele eben auch wieder »zurückgewandert« sind, hat mich fasziniert. Aber es blieb alles so blass und hölzern. Die Dialoge wirkten teilweise sehr unecht und gestelzt, auch mit den Protagonisten konnte ich mich hier in keiner Weise identifizieren. Alles in allem ein Buch, durch das ich mich über mehrere Wochen durchgequält habe, weil ich immer dachte »da kommt noch was!«, und weil mich brennend interessiert hat, warum Inge die Insel damals verlassen hat. Aber auch die abschließende Auflösung war insgesamt eher platt und uninteressant erzählt. Fazit Eine nette Urlaubslektüre, kann man vielleicht im Strandkorb / auf Balkonien mal lesen, ich hätte es nicht unbedingt haben müssen und die geplante Fortsetzung wird eher auch nicht auf meine Wunschliste wandern.
Chloe Dalton, vielbeschäftigte politische Beraterin, zieht sich während der Pandemie im Corona-Lockdown aufs Land zurück. Eines Tages entdeckt sie auf einem Spaziergang einen neugeborenen mutterlosen Feldhasen, erst hadert sie mit sich, dann nimmt sie den Winzling mit nach Hause, um ihn vor dem sicheren Tod zu retten. Das Ergebnis? Eine außergewöhnliche Freundschaft zwischen Mensch und Tier.
Wie war’s?
»Hase und ich« war für mich ein Buch außerhalb meines gewohnten Beuteschemas, denn Nature Writing und alles über Tiere ist eigentlich gar nicht mein Fall. Trotzdem, ob es nun das Cover oder die Kurzbeschreibung war, irgendwie führte doch kein Weg an diesem Buch vorbei.
Belohnt wurde mein Interesse mit einer einzigartigen, warmherzig erzählten Geschichte. Meine anfängliche Befürchtung, Chloe könne den Hasen verniedlichen und/oder verhätscheln, hat sich absolut nicht bewahrheitet. Hase bekommt nicht mal einen Namen, ist eigensinnig, hat stets seinen eigenen Kopf – und Chloe lässt ihm seinen Willen.
Nebenbei gibt’s hier so einiges auf die Löffel, nämlich geballtes Hasenwissen. So auch die oft gestellte Frage, ob man es mit einem Hasen oder einem Kaninchen zu tun hat (die wird im Buch ein für alle Mal erschöpfend beantwortet). Was frisst ein Hase eigentlich? Wann ist er ausgewachsen? Wie funktioniert das mit dem Nachwuchs? Man erfährt ganz nebenbei so allerlei Wissenswertes über Feldhasen, das so geschickt in die Geschichte verpackt ist, dass man nicht das Gefühl hat, sich durch einen Sachtext zu quälen.
Fazit
Eine herzerwärmende Geschichte, die mich wirklich überrascht hat. 5 Sterne und eine absolute Leseempfehlung!
Ellas kleiner Bruder Luis ist verschwunden. Die Sechzehnjährige, die seit Jahren unter schlimmen Wutanfällen leidet und deshalb keine Freundschaften mehr pflegt, ist ratlos. Was kann mit ihm passiert sein? Die Eltern, eine Galeristin und ein erfolgloser Schauspieler mit Engagement beim Kindertheater, sind viel zu beschäftigt mit ihren eigenen Eheproblemen und ihrem Drogenkonsum, um sich groß um das Verschwinden ihres dreizehnjährigen Sohnes zu kümmern. Ella zieht kurzerhand in die Laube des alten Eckard, ihr einziger Vertrauter, der leider zunehmend unter Demenz leidet. In der Laube trifft sie auf ihren Wegbegleiter, einen sprechenden Plastikfisch mit integriertem Alarmsystem, der sie bei ihrer turbulenten Suche nach ihrem kleinen Bruder, die sich zunehmend zu einer Suche nach sich selbst entwickelt, begleitet.
Wie war’s?
Schon das knallrote Cover mit dem Bild eines mürrischen dreinblickenden Mädchens zeigt, worum es hier geht: die geballte Wut einer Heranwachsenden auf Gott und die Welt und die Suche nach Wegen, damit umzugehen (unter anderem entdeckt Ella das Zeichnen als Ventil, um mit ihren Emotionen fertigzuwerden). Mir persönlich hat dieses Debüt sehr gut gefallen, es ist ein toller Ausflug in die Jugendsprache, erfrischend, frech und spritzig. Ellas Suche und ihre Entwicklung im Laufe des Romans halten die Leser:innen bei der Stange und man möchte unbedingt wissen, wie es mit ihr weitergeht und ob ihre Suche am Ende von Erfolg gekrönt ist. Der sprechende Fisch, oft ihr einziger Gesprächspartner, kommt mir wie eine Art Unterbewusstsein vor, das sie oft vor Dingen warnt, die sie noch gar nicht wahrhaben möchte. Auch die Menschen, die sie auf ihrem Weg trifft, allen voran Oksana, waren sehr stimmig dargestellt.
Fazit
Charlotte Brandis Romandebüt ist erfrischend anders, wenn man sich auf die unkonventionelle Story und den sprechenden Fisch einlassen kann, sind vergnügliche Lesestunden garantiert. Ich persönlich werde die Autorin definitiv im Auge behalten!
Die dreizehnjährige Ingá, ihre Mutter Rávdná und Tante Ánne – drei samische Frauen, immer auf Achse zwischen ihrem Winterquartier und dem »Sommerland« im schwedischen Nordwesten.
Gleich zu Beginn des Buches stehen sie wieder einmal vor dem Nichts, weil die schwedische Verwaltungsbehörde beschlossen hat, den Staudamm zu erhöhen und dafür die Siedlung zu opfern, nicht zum ersten Mal. Mühsam werden einige wenige Dinge gerettet.
Rávdná hat endgültig genug, sie wünscht sich ein richtiges Haus, will sesshaft werden, beantragt dafür sogar einen Kredit. Dieser wird ihr allerdings verwehrt mit der Begründung, es sei nicht vorgesehen, dass Samen sesshaft werden. Sie seien auch nicht in der Lage, sich um eine eigene Behausung zu kümmern und müssten auch künftig als Nomaden leben. Rávdná, die dies nicht hinnehmen will, macht sich trotzdem daran, eine feste Behausung zu bauen. Schließlich kommt es, wie es kommen muss, sie wird von der Verwaltung aufgefordert, diese abzureißen.
Im zweiten Teil der Geschichte ist Ingá erwachsen, Tante Anne ist längst tot und es entwickelt sich eine immer größere Distanz zwischen Mutter und Tochter. Rávdná protestiert weiter gegen die ungerechte Behandlung durch die Schweden, Ingá hingegen versucht, sich mit der Situation zu arrangieren und trotz allem ihr Glück zu finden.
Wie war’s?
Selten habe ich mich so schwer getan mit einer Rezension. »Das Echo der Sommer« hat mich begeistert, aber auch tief erschüttert und sehr nachdenklich gemacht. Was wissen wir eigentlich über das Volk der Samen und sein Schicksal? Und wie vermessen ist es von einem Staat, zu entscheiden, dass ein Volk auch künftig zum Nomadentum verdammt sein soll?
Mich hat der bildhafte Schreibstil von Elin Anna Labba tief beeindruckt (was selbstverständlich auch der großartig gelungenen Übersetzung von Hanna Granz geschuldet ist).
… doch er schien die Worte nicht zu hören, nicht wirklich. Er nahm entgegen, was ihm gesagt wurde, und legte die Wörter hinter sich auf die Fensterbank, und wenn er ging, würde er sie dort liegen lassen. Keiner der Männer am Tisch war gekommen, um ihnen wirklich zuzuhören. (S. 277)
Besonders gut gefallen haben mir die an zahlreichen Stellen eingestreuten Ausdrücke in samischer Sprache, die nochmal ein ganz anderes Flair vermitteln und einen noch tiefer in die Geschichte eintauchen lassen, sowie die sehr gelungenen Naturbeschreibungen.
Das Ende ist traurig, tragisch und zeigt (ohne zu viel vorwegzunehmen), dass man alte Bäume eben nicht verpflanzen soll.
Fazit
Eines meines bisherigen Lesehighlights dieses Jahr. Keine einfache Kost und nichts, was man nebenher wegliest, aber eine fesselnde, berührende und äußerst tragische Geschichte, die in mir die Neugier auf das Leben der Samen geweckt und mich in eine mir fremde Welt entführt hat. Und das ist es doch schließlich, was einen gelungenen Roman ausmacht. Von mir volle Punktzahl und eine uneingeschränkte Leseempfehlung!
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