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feeenreiniger
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Berlin

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Bewertung vom 27.07.2013
Nashville oder Das Wolfsspiel
Michaelis, Antonia

Nashville oder Das Wolfsspiel


ausgezeichnet

Hält man den neuen Jugendroman "Nashville oder das Wolfsspiel" von Antonia Michaelis in den Händen, so liegt die Vermutung nahe, das Buch sei ein reiner Thriller. Das Cover erinnert doch sehr an Adler-Olsen. Also ein reiner Thriller von Antonia Michaels? Ich war gespannt.

Die kurz vor ihrem neunzehnten Geburtstag stehende Svenja, findet beim Einzug in ihre Tübinger Studentenwohnung einen verwahrlosten, geheimnisvollen und vielleicht 11-jährigen Jungen vor. Auf seinem T-Shirt ist das Worte "Nashville" aufgedruckt. Da er stumm zu sein scheint, gibt Svenja ihm diesen Namen: Nashville.

Am Tübinger Stadtrand wird in einem Wald eine weibliche Leiche gefunden. Eine Obdachlose? Irgendetwas hat Nashville mit ihr zu tun. Und es wird nicht bei dieser einen Leiche bleiben. Für genügend Blut und Spannung ist gesorgt.

Nashville verschwindet in den Nächten immer wieder, kommt vollkommen verstört zurück und scheint unter seltsamen Panikattacken zu leiden. Was weiß Nashville? Warum spricht er nicht?

"Nashville" nimmt einen von Anfang an in den Bann. Es werden permanent Spuren ausgelegt und Verwirrungen gestiftet, so dass keinerlei Längen entstehen und man das Buch bis zum letzten Satz nicht mehr aus den Händen legen möchte.

Ein reiner Thriller?
Nicht nur.

Das wäre das Studentenleben, Friedel, Thierry und Kater Carlo die in einem besetzten Haus wohnen und die vor Partys und nächtlichen Ausflügen kaum zum Studieren kommen. Oder einfach nur das Leben genießen? Und Katleen, die ständig neue Rezepte ausprobiert und irgendwie sehr geheimnisvoll wirkt. Und Nils, Svenjas Tutor, der in einer schlagenden Verbindung aktiv ist, oder Gunnar, der HNO-Arzt der bereits an seiner Doktorarbeit schreibt, schon da angekommen zu sein scheint, wo Svenja hinwill, und in den Svenja sich Hals über Kopf verliebt.

Man lernt die Kleinstadt Tübingen kennen und auch die Penner, aber auch die Obdachlosen die zwischen den Zeilen leben.

Es ist wieder die einzigartige Sprache der Autorin, die einen durch diese Geschichte begleitet, die durch winzige Details und feine Beschreibungen glänzt. Und es sind die Kanten und Ecken der beschriebenen Personen, die die Geschichte so lebendig machen. "Das ist doch nicht normal so! Kein normaler Mensch ..." wurde ab und an in der Leserunde von Lovelybooks geschrieben. Das ist es vielleicht. Oder auch nicht, denn Antonia Michaelis' Bücher thematisieren gerne auch Grenzüberschreitungen, sie fordern auf, neues kennen zu lernen, sich mit vielleicht fremden, manchmal auch zu hinterfragendem Verhalten auseinanderzusetzen, und nicht um die Abbildung von phantastischen und fehlerfreien Archetypen.

Bei "Nashville" handelt es sich neben "Der Märchenerzähler" um das sozialkritischste Buch der Autorin. Zum einen, weil es Obdachlosigkeit zum Thema hat, das Leben zwischen den Zeilen, dem man täglich begegnet und das man auszublenden gelernt hat. Es handelt aber auch von Verantwortung, von Freundschaften, von Zusammenhalt und von starken Gegensätzen. Und von einer einzigartigen Liebe.

Dass es kein reiner Thriller ist, wird einem schnell klar. Und hier vielleicht eine kleine Warnung: Der Leser muss bereit sein sich einzulassen, sich in fremde Welten begeben wollen und er sollte Bücher die einem am Ende nicht alles abnehmen, die in gewisser Weise offen bleiben, mögen.
Aber das ist in meinen Augen genau eine Stärke dieses Buches, es endet da wo es enden muss, es bevormundet den Leser nie.

Dieses großartige Buch vereinigt wieder gegensätzliches. Für mich war es das neben "Paradies für alle" bewegendste Buch der Autorin, welches durch die Thriller-Elemente immer spannend bleibt. Für die Freunde der Tabubrüche ist auch gesorgt, oder anders gesagt, die Freunde der 1-Sterne-Rezensionen werden auch hier durchaus zu Wort kommen.

Lieblingszitat:
"Sag jetzt nichts!"
"Nichts!"

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.