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VolkerM

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Insgesamt 164 Bewertungen
Bewertung vom 21.07.2025

Magnum: A World of Photography


weniger gut

Der Ansatz der Ausstellung, die bis 1. Juni im Foto Arsenal in Wien zu sehen war, ist grundsätzlich interessant: Das Magnum-Fotoarchiv war schon unzählige Male Quelle für hochkarätige Fotoausstellungen in der ganzen Welt, die Wiener Kuratoren gingen aber in ihrer Spurensuche tiefer. Sie fahndeten nach den Printmedien, in denen die lizenzierten Abzüge letztlich publiziert wurden und waren überrascht, dass es hierfür kein fokussiertes Sammelarchiv gibt. Magnums historische Vintage-Abzüge wurden im Zuge der Digitalisierung zum Teil verkauft oder werden in verschiedenen Stiftungen konservatorisch verwahrt, das historische Verwaltungsarchiv von Magnum ist erstaunlicherweise verloren. Der Weg vom Negativ bis zum Printmedium ist also nicht immer vollständig nachvollziehbar und wenn, dann nur mit Mühe und Glück.

In einigen Fällen ist es allerdings gelungen. Die Ausstellungsmacher haben Kontaktabzüge, Belichtungsanweisungen sowie Informationen von Fotorückseiten ausgewertet und sind so dem Weg der Fotos auf die Spur gekommen. Die Auswahl der Beispiele ist leider stark aktivistisch geprägt und verzerrt damit das sehr breite Spektrum, das Magnum eigentlich vertritt. Die Bandbreite der Agentur reicht von Kriegsberichterstattung über klassischen Fotojournalismus bis hin zur avantgardistischen Fotokunst, die Ausstellung fokussiert dagegen sehr stark auf Sozialfotografie mit antirassistischem Hintergrund und diskutiert auch eifrig mit woken und postkolonialen Kampfbegriffen. Das hat sogar Auswirkungen bis auf den zweisprachigen Begleittext: Die deutsche Übersetzung wird buchstäblich bis zur Unkenntlichkeit gegendert, ein äußerst unerfreuliches Labyrinth aus Doppelpunkten und Geschlechterbandwürmern, was nicht selten den Sinn entstellt. Noch dazu ist die Übersetzung insgesamt sprachlich holprig und teilweise sogar inhaltlich falsch. Zum Glück können sprachkundige Leser auf die englische Originalfassung zurückgreifen, aber es ist wirklich an der Zeit, dass diese zunehmend totalitäre Sprachvergewaltigung (die als „natürliche Entwicklung“ geframt wird) ein Ende hat und wir darüber genauso lachen können wie über die Sprachnebelkerzen der 68er. Ich finde die Gesamtsituation nämlich irgendwie unbefriedigend.

Bewertung vom 20.07.2025

Less and More


ausgezeichnet

Dieses Buch ist etwas sehr Außergewöhnliches: Es ist der Katalog für eine Ausstellungsserie, die vor fast 20 Jahren in Osaka begann und über Tokyo, Seoul, San Francisco, London und Frankfurt führte. Obwohl vor 10 Jahren das letzte Mal neu aufgelegt, ist der Katalog immer noch so etwas wie die Bibel des Dieter Rams-Designs. Nirgendwo sonst findet sich eine derart in die Tiefe gehende Analyse dessen, was „Rams Design“ ausmacht, mit umfassenden biografischen und designgeschichtlichen Hintergrundinformationen und einem äußerst ästhetischen Seitenlayout. Texte und Abbildungen sind auf unterschiedlich dickem Papier gedruckt, was das mit über 800 Seiten sehr umfangreiche Werk auch haptisch strukturiert.

Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Dies ist kein komplettes Werkverzeichnis, aber alle Designikonen und beruflichen Abschnitte von Dieter Rams sind ausführlich illustriert und bibliografiert. Das Seitenlayout folgt den gleichen Regeln, die auch das klassische „Braun Design“ auszeichnen: Klare Linien, Funktionalität, intuitive Erfassung, einfach Geometrie. Totalen und Ausschnitte wechseln einander ab und vermitteln dem Betrachter ein Gespür für die Liebe zum Detail, die Rams‘ Design auszeichnet. Der Einband ist aus flexiblem Kunststoff, was das Risiko birgt, dass er im Lauf der Zeit spröde oder klebrig wird, aber ich halte es für überschaubar. Die aktuelle Auflage ist 10 Jahre alt und es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass der Einband Schaden nimmt. Zusätzlichen Schutz bietet der stabile Schuber.

Das Buch ist keine reine Rams-Monografie, auch wenn Dieter Rams im Zentrum steht. Sein Werk wird in einen größeren Kontext gestellt, sowohl historisch als auch biografisch. Das Braun-Design entstand nicht im luftleeren Raum, sondern es gab Vorläufer und Nachahmer. Die Rolle des Firmeninhabers Artur Braun, der schon vor Rams die Bauhaus-Prinzipien auf sein Produktdesign anwandte, wird ebenso gewürdigt wie die Beiträge von Hans Gugelot, Fritz Eichler oder Wilhelm Wagenfeld. Zeitzeugen berichten über den innovativen „Geist“ im Braunschen Designteam, der ausgesprochen inspirierend gewesen sein muss.

Auch wenn die Phase bei Braun einen zentralen Punkt in Rams Schaffen darstellt, war dieser deutlich breiter aufgestellt. Schon als Braun-Angestellter hatte er die Erlaubnis, in seiner Freizeit freie Aufträge anzunehmen und so entwarf er Möbel und diverse Haushaltsgegenstände für verschiedene Unternehmen und war später viele Jahre in der universitären Lehre tätig. Auch als Designtheoretiker ist er international anerkannt. Zu jedem dieser Aspekte gibt es sehr fachkundig geschriebene Beiträge im Katalog (teilweise von Rams selber), die sich durch klare Sprache ohne akademische Nebelkerzen auszeichnen und den Leser im wahren Sinn „mitnehmen“. Die Autoren nehmen dabei bewusst nicht nur eine Rams-Perspektive ein, sondern betrachten das Werk aus unterschiedlichen Richtungen und stellen auch Mythen zur Urheberschaft einiger Objekte richtig; sachlich, aber stets respektvoll vor einem gewaltigen Lebenswerk.

Das eingangs Gesagte muss ich am Ende doch noch leicht korrigieren: Die Wanderausstellung mag in der Tat Geschichte sein, aber seit 2022 gibt es im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt eine große Dauerausstellung, in der viele der Designikonen aus dem Katalog zu sehen sind. Sein praktischer Nutzen ist also in keiner Weise überholt, die Informationstiefe unerreicht. Dieses Buch ist so aktuell wie vor 10 Jahren.

Bewertung vom 14.07.2025
Seiderer-Nack, Julia

Das hilft bei CED


ausgezeichnet

Im Internet kursieren zahlreiche, teils widersprüchliche Informationen über Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Auch die Pharmaindustrie stellt ansprechend gestaltete Patientenratgeber zur Verfügung. Doch nach meiner persönlichen Erfahrung als Betroffener bilden diese Angebote meist nur einzelne Facetten einer leider sehr komplexen Erkrankung ab – und haben mich ebenso häufig in die Irre geführt, als dass sie mir geholfen haben. Mein Wunsch nach sachlichen und unabhängigen Informationen sowie Behandlungsmöglichkeiten nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen blieben bislang weitgehend unerfüllt.

Nach der Diagnose ist der behandelnde Gastroenterologe zwar die zentrale Ansprechperson für Fragen rund um die Erkrankung, doch stellt sich zunächst die Frage: Welche Fragen sollte man überhaupt stellen? Für Menschen, die sich bislang nicht mit der Erkrankung auseinandergesetzt haben, ist die Fülle an möglichen Themen überwältigend. Genau hier setzt dieser Patientenratgeber von Prof. Julia Seiderer-Nack an – als Orientierungshilfe, um Schritt für Schritt Klarheit zu gewinnen.

Die Autorin beginnt mit einer verständlichen Einführung in die Funktionsweise eines gesunden Verdauungstrakts. Sie erläutert die Entstehung von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa (zusammengefasst unter dem Begriff CED – chronisch-entzündliche Darmerkrankungen) und geht auf die Unterschiede der beiden Krankheitsbilder ein.
Darauf aufbauend widmet sie sich ausführlich verschiedenen Themenbereichen, insbesondere der Diagnostik, den verfügbaren Therapiemöglichkeiten sowie den Auswirkungen der Erkrankungen auf den Alltag der Betroffenen. Dabei schließt sie ergänzende Therapieansätze keineswegs aus. Auch Naturheilverfahren, Ernährungstherapien und die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) finden Beachtung.
Zudem stellt sie pflanzliche Präparate wie Weihrauch, Myrrhe und Kurcuma vor, die zwar häufig eine lindernde Wirkung auf die Beschwerden und das allgemeine Wohlbefinden entfalten können, jedoch keinen gleichwertigen Ersatz für die Behandlung mit Immunsuppressiva oder Biologika darstellen.

Der Gesundheitsratgeber überzeugt durch seine informative und gut verständliche Darstellung. Er bietet neutrale und aktuelle Informationen – etwa zu modernen Medikamenten und chirurgischen Behandlungsmöglichkeiten – und erweist sich als überaus hilfreich. Praktische Hinweise zu Ernährung, Impfungen, Infektionsschutz und sogar Reisetipps für Menschen mit CED in der Remissionsphase machen ihn zu einem wertvollen Begleiter im Alltag.
Kurz gesagt: Ein weitgehend normales Leben mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung ist möglich – eine Perspektive, die Mut macht und auch meine Zuversicht gestärkt hat.

Bewertung vom 13.07.2025
Muldoon, James;Graham, Mark;Cant, Callum

Feeding the Machine. Hinter den Kulissen der KI-Imperien


sehr gut

Das Buch „Feeding the Machine“ zeigt, wie wichtig menschliche Arbeit für Künstliche Intelligenz (KI) ist – auch wenn sie meist im Hintergrund bleibt. Damit KI funktioniert, braucht sie riesige Mengen an Daten. Diese Daten werden oft von Menschen in Ländern wie Uganda, Kenia oder Indien bearbeitet und ihre Arbeit ist hart: Sie sortieren und bewerten Inhalte, sehen teils traumatisierende Bilder und bekommen dafür nur wenig Geld. Viele arbeiten unter schlechten Bedingungen, ihre Leistungen werden kaum anerkannt. Die Autoren nennen KI deshalb eine „Extraktionsmaschine“, die menschliches Wissen und Arbeit nutzt, ohne sie sichtbar zu machen. Das Buch fordert mehr Gerechtigkeit und Schutz für die Menschen, die das Fundament moderner Technologien bilden.

Die drei Autoren James Muldoon, Mark Graham und Callum Cant verbindet eine gemeinsame zehnjährige Forschungsarbeit am Oxford Internet Institute der Universität Oxford. Ihre fachlichen Hintergründe sind vielfältig und reichen von Soziologie, Politikwissenschaft und Geografie über Geschichte und Jura bis hin zur Philosophie. Dieser interdisziplinäre Zugang spiegelt sich im Buch wider: Technische Details treten in den Hintergrund, stattdessen stehen gesellschaftliche und ethische Fragen im Fokus. Für ihre Recherchen führten die Autoren rund 200 Interviews mit Menschen aus ganz unterschiedlichen Berufsfeldern – von gering entlohnten Datenannotatoren bis zu hochbezahlten Ingenieuren für maschinelles Lernen.

Die Autoren nähern sich dem Thema aus einer ethischen Perspektive und vertreten dabei eine deutlich linke Haltung. Dabei greifen sie bewusst klassenkämpferische Begriffe auf, etwa in Bezug auf soziale Ungleichheiten, historische Machtstrukturen oder wirtschaftliche Ausbeutung. Sie gendern moderat, es stört den Lesefluss nicht. Insgesamt ist die deutsche Übersetzung sehr gelungen – die Sprache bleibt zugänglich und liest sich angenehm. Zwar weisen die Autoren auf ihre einseitige Perspektive hin, dennoch hätte ich mir gelegentlich eine umfassendere und neutralere Betrachtung gewünscht. Der konsequente Einsatz linker Kampfbegriffe wie „Kapitalismus“, „Kolonialismus“ oder „Rassismus“ zieht sich als roter Faden durch das ganze Buch – auf mich wirkte das stellenweise ideologisch verzerrt, aufdringlich belehrend und wenig ausgewogen.

„Feeding the Machine“ ist ein wichtiges Buch, das einen kritischen Blick auf die dunklen Seiten der Künstlichen Intelligenz wirft. Es hinterfragt die oft übermäßig positiven Darstellung der KI und zeigt, wie viel menschliche Arbeit hinter den digitalen Prozessen noch immer steckt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.07.2025

MAGIC METAMORPHOSIS


ausgezeichnet

Der Begriff antiquarischer „Zauberbücher“ assoziiert in der Regel Bücher mit okkultem Inhalt. Diese sind sogar älter als der Buchdruck, aber es gibt neben der esoterischen „Zauberei“ auch noch die Zauberkunst, also die Unterhaltungskunst der Illusion. Bücher zu diesem Thema existieren in größerem Umfang erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, alles was älter ist, ist extrem selten und dementsprechend kostbar.
Eine der ältesten Formen illusionistischer Zauberbücher sind die sogenannten „Gauklerbücher“, die erstmals am Ende des 16. Jahrhunderts erwähnt werden. Nur etwa 10 Exemplare weltweit sind vor 1800 nachweisbar, das hier vorliegende Faksimile ist somit nicht nur eines der ältesten, sondern auch das wohl prachtvollste. Dabei ist es mehreren Zufällen und der Hartnäckigkeit des Schweizer Sammlers Thomas Stauss zu verdanken, dass die Zweckbestimmung dieses ungewöhnlichen Werkes überhaupt (wieder)entdeckt wurde, denn diesem Exemplar fehlt ein wesentliches Element, um es praktisch nutzbar zu machen: Es hat keinen Greifindex. Selbst Sotheby’s erkannte bei der ersten Auktion des Buches in 2010 nicht den wahren Zweck, sondern beschrieb es als „ungewöhnliche Sammlung von Aquarellen“. Dennoch erlöste das Exemplar fast 70 000 Pfund, für den Sammler Stauss, der bereits damals um das Geheimnis wusste, unerschwinglich. Das Buch sollte noch zweimal den Besitzer wechseln, bevor seine Chance kam.

Der englischsprachige Begleitband des Faksimiles erzählt nicht nur die spannende Jagd nach dem Buch, sondern auch die anschließende Erforschung von Inhalt und Nutzung. Nicht alles konnte abschließend geklärt werden, so z. B. auch nicht die Ursache für den fehlenden Index, aber Datierung und Provenienz sind weitgehend sicher.
Die Qualität der Aquarelle ist überragend und es gibt kein weiteres Beispiel für ein derart fein ausgeführtes Gauklerbuch dieser Zeit. Abweichend vom Original wurde dem Faksimile der Griffindex ergänzt, wodurch es jetzt erstmals seit seiner Schöpfung als illusionistisches „Zauberbuch“ funktioniert. Eine Anleitung findet sich im Begleitband.
Interessant ist, dass es sogar im „Simplicissimus“ eine Szene gibt, in der ein Gauklerbuch detailliert beschrieben wird. Sie spielt genau in der Zeit, in der auch Thomas Stauss‘ Exemplar entstand.

Faksimile- und Begleitband wurden in Deutschland gedruckt und gebunden und werden im soliden Schuber geliefert.

Wer sich für früheste illusionsmagische Literatur interessiert, für den ist dieses buchtechnisch und handwerklich hervorragend produzierte Faksimile ein Must-have, denn ein Original bleibt in der Regel ein unerfüllbarer Traum.

Bewertung vom 26.06.2025

Farben Japans


ausgezeichnet

Ende des 17. Jahrhunderts entwickelte sich in Japan eine aus China übernommene Druckkunst zur eigenständigen Kunstform: der Farbholzschnitt. Zunächst auf wenige Farben beschränkt, erweiterte sich im 18. Jahrhundert die Palette und erreichte durch raffinierte Einfärbetechniken eine unerreichte Detailfülle und räumliche Tiefe. Zu den berühmtesten Vertretern dieser Kunst gehören Utagawa Hiroshige, Utagawa Kunisada und natürlich der extrem produktive Katsushika Hokusai, dessen berühmte „Große Welle von Kanagawa“ ikonisch geworden ist.

Die Japan-Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek gehört zu den umfangreichsten und vor allem systematischsten in Europa. Der fast 100 000 Druckwerke umfassende Bestand wird immer noch strategisch erweitert. Das meiste davon sind Holzschnitt-Bücher, aber es gibt auch 1000 historische Einblattdrucke, darunter bedeutende Stücke, wie eben die Welle von Kanagawa. Die Jahresausstellung 2025 widmet sich jetzt erstmals ausführlich diesem Teil der Sammlung und zeigt rund 200 Einblattdrucke des 17. bis 20. Jahrhunderts von allen bedeutenden Holschnittkünstlern ihrer Zeit. Mit der Shin-Hanga-Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts, in dem europäische Traditionen auf den japanischen Holzschnitt übertragen werden, endet der betrachtete Zeitraum, auch wenn die künstlerische Entwicklung bis heute anhält.

Der Katalog zeigt nicht nur großformatige Abbildungen aller Exponate, sondern liefert auch qualifizierte Hintergrundinformationen zu den Entwicklungen, sowohl der Motive als auch der Techniken. Besonders hervorgehoben wird die Bedeutung der Farbholzschnitte im interkulturellen Transfer. Die Grundidee stammt aus China, die technische Weiterentwicklung und die Entstehung neuartiger Bildideen geschieht in Japan, moderne Synthesefarben werden aus Europa importiert, die neuartigen Bildfindungen inspirieren wiederum Jugendstil und Impressionismus im Westen (Stichwort „Japonismus“) und als geografisch gegenläufiger Einfluss prägt der Westen die Shin-Hanga-Bewegung um Kawase Hasui. Kaum ein Medium vereint derartig viele Kulturtransfers in alle Richtungen.

Die Sammlung ist aufgrund ihrer klaren systematischen Ausrichtung und qualifizierten Sammlungsstrategie eine „Lehrsammlung“ par excellence. Kaum irgendwo lassen sich die stilistischen und technologischen Entwicklungen so transparent und eindrucksvoll visualisieren. Die Qualität der Exponate misst sich dabei nicht nur im ökonomischen Wert der heute hoch gehandelten Stücke, sondern auch in ihrem enzyklopädischen Umfang. Buchstäblich alles, was Rang und Namen hat, ist hier vertreten. Ausführliche bibliografische Angaben zu Auflagen, Künstler- und Verlegersiegeln, Ikonografie und geschichtlichem Hintergrund stellen die Blätter in ihren jeweiligen Zusammenhang und sensibilisieren den Leser für zeittypische Farbgebungen oder Motivwahl. Die Vielfalt, insbesondere im 19. Jahrhundert, ist atemberaubend. Und immer reflektiert dieses „Massenmedium“ sehr zeitnah gesellschaftliche Entwicklungen in Japan.

Die Abbildungen sind originalgroß oder bei den Oban-Formaten etwa auf die Hälfte verkleinert und geben einen sehr detaillierten Eindruck vom Original. Der Katalog ist sowohl vom Umfang als auch der thematischen Eindringtiefe sehr zu empfehlen. Die Ausstellung selbstverständlich auch, aber das wird leider nur ein vorübergehendes Vergnügen sein.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.06.2025
Hochreiter, Sepp

Was kann künstliche Intelligenz?


ausgezeichnet

Sepp Hochreiters Buch „Was kann künstliche Intelligenz?“ beleuchtet die Potentiale und Grenzen der KI-Technologie aus der Sicht eines führenden Experten. Er erklärt, wie KI bereits heute beeindruckende Texte, Bilder und Videos generiert und industrielle Prozesse revolutioniert, aber auch, wo ihre Fähigkeiten überschätzt werden. Wenn ein Modell eine beeindruckende Antwort liefert, interpretieren wir oft Intelligenz oder Absicht hinein, wo lediglich gelernte Texte abgespult und mit statistischen Mustern und Wahrscheinlichkeiten kombiniert werden. Dies kann dazu führen, dass wir KI-Systemen Fähigkeiten zuschreiben, die sie nicht besitzen.

Der Universitätsprofessor Hochreiter, der mit der Entwicklung der LSTM-Technologie einen Grundstein für moderne Sprachverarbeitung legte, skizziert eine Zukunft, in der KI komplexe physikalische und biologische Prozesse simulieren kann. Dabei stellt er die Frage, ob KI tatsächlich globale Probleme wie den Klimawandel, tödliche Krankheiten und Pandemien lösen, komplexe wirtschaftliche und geopolitische Zusammenhänge besser als der Mensch verstehen kann oder ob sie lediglich eine gehypte Technologie bleibt.

Das Buch zeichnet die wechselvolle Geschichte der KI nach – von Durchbrüchen bis zu Durststrecken – und zeigt auf, wo Kontrolle notwendig ist. Hochreiter plädiert für eine realistische Einschätzung der KI und eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Sein Fazit: KI ist ein mächtiges Werkzeug, aber am Ende braucht es immer noch den Menschen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Der Autor widmet sich auch der spannenden Frage nach Europas Rolle im globalen KI-Wettlauf – und seine Einschätzung fällt ernüchternd aus: Der Kontinent liegt zurück. Zwar skizziert er konkrete Verbesserungsvorschläge, doch vor allem im Übergang von exzellenter Grundlagenforschung zur wirtschaftlichen Verwertung erkennt er eine gravierende Schwäche. Während Unternehmen wie Google oder OpenAI ihre Entwicklungen zügig in marktfähige Anwendungen überführen, mangelt es Europa an einer schlagkräftigen Infrastruktur, an großen Technologiekonzernen sowie an einer engen Verzahnung zwischen Forschung und Industrie. Ein zentrales Hindernis erkennt er auch in der praxisfernen Umsetzung des EU-„AI Acts“: Die bestehende Rechtsunsicherheit schrecke Entwickler davon ab, Projekte anzugehen oder Unternehmen zu gründen – aus Sorge, dass ihre Anwendungen womöglich nicht den regulatorischen Vorgaben entsprechen.

Mit seinem Buch gelingt es Sepp Hochreiter, die komplexe Welt der Künstlichen Intelligenz fundiert und zugleich leicht verständlich zu erklären – besonders im Kontext der großen Herausforderungen unserer Zeit. Beeindruckend ist dabei seine Fähigkeit, wissenschaftliche Substanz mit gesellschaftlicher Relevanz zu verknüpfen, ohne sich in theoretischen Abstraktionen zu verlieren: Sein klarer, sachlicher Stil schafft eine Sprache, die sowohl Einsteigern als auch versierten Lesern den Zugang zu einem der spannendsten Zukunftsthemen eröffnet.

Einen Kritikpunkt möchte ich jedoch anmerken, der mir im Buch zu kurz kommt: Mitunter erscheint mir die Darstellung der Risiken Künstlicher Intelligenz als zu nachsichtig. In einer Welt, in der Technologien immer häufiger gegen Menschen eingesetzt werden, bedarf es einer kritischeren Auseinandersetzung. Zwar zielt der EU-„AI Act“ darauf ab, diesen Gefahren durch Regulierung zu begegnen, doch es wird stets Entscheidungsträger geben, die sich wenig um die Einhaltung solcher Vorgaben scheren. Moralisch sind wir zwar Spitze, aber wir kommen faktisch nicht mehr vom Fleck, während sich die Welt rasant verändert.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.06.2025
Qudan, Rie

Tokyo Sympathy Tower


gut

Tokyo in naher Zukunft. Die gefeierte Stararchitektin Sara Makina darf sich an dem Wettbewerb zum Bau des „Tokyo Sympathy Tower“ beteiligen, aber was ihr fehlt, ist Inspiration. Der Turm wird in Nachbarschaft zum umstrittenen Nationalstadion von Zaha Hadid und Tokyos größtem Park entstehen und die Stadt überragen. Aber Sara Makina findet keinen mentalen Zugang zu dem Projekt, denn die Bezeichnung „Sympathy Tower“ verleugnet den wahren Zweck des Gebäudes: Es wird ein luxuriöses Gefängnis werden, aber nicht nur der unbeholfen englische Name des Turms, sondern auch die politischen Vorgaben und Ideologien machen es der Architektin schwer. Obwohl ihr Arbeitsmittel der Zeichenstift ist, sind es letztlich die fehlenden Worte, die sie blockieren, bis ihr jugendlicher Liebhaber den Schlüssel findet. Aber eine Erlösung wird es nicht.

Mir war bisher nicht bewusst, dass auch in Japan ein existenzieller Kampf der Ideologien ausgetragen wird, ähnlich wie bei uns, aber bei näherer Betrachtung erscheint das egalitäre Gesellschaftssystem Japans dafür wie gemacht. Auch in Japan wird auf Sprache und Sprachgebrauch massiv Einfluss genommen. Bei Sara Makina führt der Verlust der Worte zum Verlust ihrer Kreativität. Was man nicht sagen kann, kann man auch nicht denken, so wie George Orwell in „1984“ mit „Neusprech“ die Hirne der Bevölkerung programmierte.

Heute definiert die woke Ideologie die Bedeutung der Worte um, verbietet sie oder schreibt sie vor, und übt als dogmatische Wächterin über das „Gute“ letztlich eine Gewaltherrschaft über die Sprache aus. So verkehrt sich in der Architektur des Tokyo Sympathy Towers der Sinn eines Gefängnisses in sein Gegenteil: Dem Verbrecher gilt unser Mitleid, nicht dem Opfer. Das ist nicht weniger wirr als die woke Wortschöpfung der „propalästinensischen Demonstrationen“. Das Opfer wird zum Täter und umgekehrt; wer anderes behauptet, wird isoliert und geächtet.

Rie Qudan nimmt in ihrem Buch mehrere Erzählperspektiven ein, jeweils aus der Ich-Sicht Sara Makinas und ihres Liebhabers Takuto. Sara steht für die Vergangenheit und Vergänglichkeit, Takuto für die Schönheit, Jugend und Zukunft. Saras Reichtum ermöglicht es ihr, sich vielen japanischen Regeln zu widersetzen: Sie hält sich einen deutlich jüngeren Liebhaber, sie ist laut und rücksichtslos und doch ist ihr Leben in gewisser Weise leer. Ihr elitärer Turm ist Vermächtnis und Schicksal zugleich.

Ich habe bis zum Schluss nicht herausgefunden, ob der Roman nun eine Kritik an der erzwungenen Egalisierung oder deren Lob ist. Einerseits bedient Rie Qudan in Japan weit verbreitete rassistische Vorurteile, indem sie den einzigen in der Geschichte vorkommenden Ausländer als übergewichtig, stinkend, haarig, laut, ordinär und rücksichtslos beschreibt, ohne jedes Verständnis für die japanische Kultur („das versteht man eben nur, wenn man Japaner ist“). Dabei ist sie selber, wie ihr Name verrät, ebenfalls nicht-japanischer Herkunft und musste ganz sicher unter Vorurteilen leiden. Andererseits durchzieht den Text aber der Wunsch nach Gleichheit, Toleranz und Glück für alle, ganz besonders für die von der Gesellschaft Ausgestoßenen. Aber vielleicht ist dieses Sowohl-als-auch in keinem Land so sehr Realität wie in Japan. Nur aus dem Gefängnis der Worte kann niemand entfliehen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.06.2025
Lloyd, Christopher

Der wohltemperierte Garten


gut

Es ist eine echte Schande! Christopher Llyods „Wohltemperierter Garten“ gilt als eines der unterhaltsamsten, lehrreichsten und stilistisch brillantesten Gartenbücher, die jemals geschrieben wurden. Es sprüht vor Witz, klugen Gedanken und es ist ein unendlicher Schatz des Wissens, vor allem (aber nicht nur), wenn man in England wohnt, denn Lloyds Gartenwissen fokussiert auf diese Klimazone. Viele haben sich später in Ähnlichem versucht, erreicht haben es nur ganz wenige.

Die hier vorliegende deutsche Ausgabe hat es nun nötig gehabt, diesen eleganten Text durch „geschlechtergerechte Sprache“ zu verhunzen. Da kommt der Gärtner nie ohne die Gärtnerin daher gestolpert und der generische Student wird zum Studierenden gezwungen, so als hätte Christopher Lloyd das Buch nicht 1970, sondern 2020 geschrieben. Man darf mit einigem Recht annehmen, dass ihm wokes Gedankengut fremd war, den Übersetzerinnen war dies offenbar aber ein Anliegen. Um es einmal ganz klar zu sagen: Es ist nicht die Aufgabe von Übersetzern (oder Verlagen) ihr identitäres Süppchen aus historischen Texten zu kochen.
Ich habe nach 10 Seiten aufgehört zu lesen, weil mir das stilistisch äußerst unelegante Rumgestolpere auf die Nerven ging. Nicht auf die Nerven ging mir der Inhalt, weshalb ich mir jetzt antiquarisch das englische Original anschaffen werde und das werde ich mit Genuss weiter lesen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.06.2025
Graham, David A.

Der Masterplan der Trump-Regierung


ausgezeichnet

David A. Graham analysiert in „Der Masterplan der Trump-Regierung: Project 2025” die radikalen Pläne der konservativen Heritage Foundation. Diese zielen darauf ab, die Macht des Präsidenten zu zentralisieren und die Gewaltenteilung zu schwächen. Die Umstrukturierung der Regierung soll durch einen massiven Austausch von Verwaltungsmitarbeitern erfolgen, bei dem loyale Anhänger anstelle erfahrener Beamter eingesetzt werden.

Das Konzept von Project 2025 wurde bereits vor dem letzten Präsidentschaftswahlkampf vom erzkonservativen Thinktank abgeschlossen, erstreckt sich über mehr als 1.000 Seiten und wurde von mehreren Autoren zu verschiedenen Themenbereichen zusammengefasst. Graham porträtiert wesentliche Mitverfasser in seinem Buch kurz. Positiv ist mir aufgefallen, dass er auch auf widersprüchliche und unklare Aussagen hinweist und die unterschiedliche Detailtiefe bemängelt.

Aus meiner Sicht ist die ideologische Agenda des Plans, die christlich-nationalistische Werte in den Mittelpunkt rückt, besonders brisant. Sie ist detailliert ausgearbeitet. Dazu gehören ein traditionelles Familienbild, ein striktes Abtreibungsverbot, Diskriminierung nicht heteronormativer Sexualität sowie die bevorzugte Förderung religiöser Schulen gegenüber öffentlichen Einrichtungen. In der Wirtschaftspolitik setzt das Konzept auf Protektionismus und eine fundamentale Neuausrichtung der Außenpolitik, welche die bisherigen diplomatischen Strategien der USA infrage stellt.

In seinem Buch verdeutlicht Graham immer wieder, dass Project 2025 als langfristiges Vorhaben gedacht ist, das auch über eine zweite Amtszeit Donald Trumps hinausgehen könnte. Obwohl sich Trump offiziell von diesem Konzept distanziert hat, weist der Autor darauf hin, dass viele seiner politischen Entscheidungen genau diesem Plan folgen, auch wenn vieles erratisch wirkt. In der Tendenz gibt es allerdings den „großen Plan“. Die Autoren von Project 2025 kennen den launischen Donald Trump genau und haben sein Verhalten bereits eingeplant. Sie haben verstanden, dass das vom Präsidenten für hochrangige Positionen ausgewählte Personal vielleicht nicht das qualifizierteste ist. Die nachgeordneten Ebenen werden jedoch strategisch mit gut vorbereiteten und engagierten Stellvertretern besetzt.

Der Journalist Graham hat alle bis zur Drucklegung des Buches bekannten Entscheidungen von Donald Trump in seine Ausführungen integriert. Ob diese Präsidentenerlasse vor dem Obersten Gerichtshof Bestand haben, bleibt jedoch ungewiss, wenngleich sie angesichts der Mehrheitsverhältnisse unter den Richtern durchaus wahrscheinlich erscheinen. Auch die Justiz macht sich mitschuldig.

Grahams Ausdrucksweise ist sachlich und gut verständlich. Die Übersetzung ins Deutsche ist ebenfalls gelungen. Das Buch besticht durch eine klare Gliederung und ein umfassendes Quellenverzeichnis. Ein Stichwortverzeichnis hätte jedoch dabei helfen können, gesuchte Informationen schneller und gezielter wiederzufinden.

„Der Masterplan der Trump-Regierung“ ist ein beunruhigendes Buch, das eine Entwicklung aufzeigt, die die USA grundlegend verändern könnte.

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.