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VolkerM

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Bewertung vom 08.12.2025

Handbuch der Reptilien und Amphibien Europas, Band 5/IIIB


ausgezeichnet

Die Raniden sind die mit Abstand am besten wissenschaftlich untersuchten Amphibien Europas. Der Wasserfrosch ist bereits seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ein Modellorganismus der taxonomischen Artendifferenzierung, mittlerweile durch molekulargenetische Methoden ergänzt und auf andere Gattungen erweitert. Diese grundlegende Fragestellung durchzieht den Band III B des Handbuchs der Reptilien und Amphibien Europas wie ein roter Faden und macht ihn damit zur mit Abstand aktuellsten und taxonomisch differenziertesten Monografie zu den europäischen Raniden.

Schon im Einleitungskapitel wird der „Wasserfroschkomplex“ als ein taxonomisch fließendes und evolutionär sehr junges Feld beschrieben, an dem sich anhand biogeographischer Muster Fragen der Artenbildung und Hybridisierung gut darstellen lassen.

Der Hauptteil folgt der für die Reihe typischen, streng systematischen Gliederung. Die Abschnitte zur Morphologie der jeweiligen Arten berücksichtigen neben dem allgemeinen Phänotyp Geschlechtsdimorphismen, die Larvalmorphologie sowie Strukturen mit diagnostischem Wert, meist in Zeichnungen anschaulich dargestellt. Regionale Vorkommen, Arealgrenzen und Populationstrends werden detailliert diskutiert, inklusive Überlappungen mit Arealen verwandter Arten und entsprechender Hybridisierung. In diesem Zusammenhang werden auch die ökologische Plastizität von Ursprungsarten und Hybriden beleuchtet. Aspekte der Verhaltensbiologie umfassen Habitatpräferenzen, saisonale Aktivitätsmuster (Überwinterungsstrategien, Wanderverhalten), aber auch Rufverhalten und die Ernährungsökologie. Aus Beobachtungsdaten zur Populationsdynamik, Klimaprognosen, der Einschätzung anthropogener Einflüsse (Habitatfragmentierung, Gewässerverlust, Pestizide, Krankheiten wie Chytridiomykose) und den ökologischen Randbedingungen leiten sich Schlussfolgerungen zur Gefährdung und sinnvollen Schutzmaßnahmen ab und verbinden damit außergewöhnlich differenziert Aspekte der Grundlagenforschung mit praktischen Anforderungen des Artenschutzes. Die Darstellung der Arealbildung integriert paläogeographische Prozesse, pleistozäne Refugialräume und postglaziale Expansionen – ein Aspekt, der das Verständnis der heutigen Verbreitung maßgeblich prägt.

Die Autoren berücksichtigen selbst jüngste Literatur, zum Teil aus „exotischen“ Sprachräumen, was den dezidiert enzyklopädischen Anspruch unterstreicht. Die Eindringtiefe geht in jeglichem Aspekt weit über einen Feldführer hinaus, als der dieser Band weder konzipiert noch geeignet ist. Die Monografie eines kryptischen Artenkomplexes stellt besondere Anforderungen an die systematische Aufarbeitung, was den Autoren hervorragend gelingt: Klare Argumentationslinien, das Herausstellen von Unsicherheiten und vorsichtige Interpretation waren hier erkennbar die Richtschnur.

Die Reihe setzt auch mit dem vorliegenden Band wieder Maßstäbe in der Erforschung europäischer Froschlurche. Die Kombination aus taxonomischer Strenge, breit gefächerter ökologischer Analyse und hoher Detailtiefe macht den Band zu „dem“ Referenzwerk für Herpetologen und Naturschutzbehörden.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.12.2025

Die Kelten in Baden-Württemberg


ausgezeichnet

Die letzte umfangreiche und wissenschaftlich aktuelle Monografie über die Kelten in Baden-Württemberg, die sich an eine breite Öffentlichkeit richtete, stammt von 1981. Seitdem hat sich in der Keltenforschung enorm viel getan. Viele vermeintlich gesicherte Erkenntnisse stellten sich als Mythen heraus und einige angezweifelte antike Berichte haben sich durch moderne Methoden als wahr erwiesen. Auch der Fokus der Forschung hat sich verlagert: Während im 19. und bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts die im Gelände gut sichtbaren Grabhügel und „Fürstensitze“ archäologisch erschlossen wurden, stehen heute die unbefestigten Siedlungen und das Alltagsleben im Zentrum des Interesses. Verfeinerte Materialanalysen, bessere Dokumentation und die Paläogenetik eröffnen mittlerweile ganz neue Möglichkeiten.

Die Kapitel wurden von ausgewiesenen Experten der Keltenforschung verfasst, sowohl vom Landesamt für Denkmalpflege in BW als auch aus der universitären Forschung und behandeln verschiedene Phasen der keltischen Geschichte, von der älteren Hallstatt- bis zur Spätlathènezeit. Der Ausblick in die Römerzeit, in der die Kelten weitgehend assimiliert sind, schließt den Abschnitt ab. Es werden zahlreiche Irrwege der frühen Archäologen erkennbar und wie vorsichtig im Gegensatz dazu die Wissenschaftler heutzutage mit Schlussfolgerungen sind. Das große Problem der Kelten: Sie hatten keine eigene Schriftkultur und alle schriftlichen Zeugnisse aus der Antike über sie stammen von Dritten. Zumindest ist der einzige bekannte keltische Stadtname Pyrene mit hinreichender Sicherheit identifiziert, auch das erst eine Erkenntnis der letzten Jahre. Gesellschaftsstrukturen, Handelsbeziehungen oder religiöse Vorstellungen lassen sich ebenfalls nur indirekt erschließen, aber auch hier zeigen sich immer klarere Strukturen und vor allem oft nahtlose Übergänge, wo man früher (in Ermangelung von Daten) „Kulturbrüche“ erkennen wollte. Kapitel über die keltische Kunst und den Alltag fügen weitere Facetten hinzu..
Der zweite Teil des Bandes enthält ein ausführliches Fundstättenverzeichnis mit allen wichtigen Orten in Baden-Württemberg, das sich als das keltische Kernland herauskristallisiert. Die Steckbriefe eignen sich hervorragend auch als „Reiseführer“ für eine archäologisch ausgerichtete Themenreise, denn sie verbinden das im allgemeinen Teil Gesagte mit konkreten Fundsituationen. Die zahlreichen Aufnahmen, sowohl von Einzelfunden als auch Ausgrabungen in situ, machen das Gesagte anschaulich, unterstützt durch Kartenmaterial, Luftbilder und Zeichnungen.

„Die Kelten“ zeigt eine Wissenschaft im Fluss, die unter erschwerten Bedingungen Erstaunliches zu Tage bringt. Von Experten ihres Fachs für interessierte Laien verständlich erklärt, ohne dabei die komplexen Zusammenhänge zu sehr zu vereinfachen oder Unsicherheiten mit blumiger Sprache zu verschleiern.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.12.2025
Morris, Alex W.

Warren Buffett und Charlie Munger - Auf den Punkt gebracht


ausgezeichnet

Aktionärsversammlungen sind oft langweilig, schöngefärbt und wenig lehrreich – nicht so bei Berkshire Hathaway, zumindest bisher. Nach dem Tod von Charlie Munger im November 2023 und dem Rücktritt von Warren Buffett Ende 2025 im Alter von 95 Jahren werden sich die Versammlungen jedoch verändern. Geblieben sind die frei zugänglichen Videos aus über drei Jahrzehnten, deren Sichtung allerdings viel Zeit und Mühe erfordert. Alex W. Morris hat diese Arbeit übernommen und die wichtigsten Gedanken der beiden Investoren in seinem Buch „Warren Buffett & Charlie Munger – Auf den Punkt gebracht“ zusammengefasst. Damit eröffnet er Lesern einen kompakten Zugang zu ihrem Denken.

Dem Autor gelingt es, die Essenz der legendären Gespräche zwischen Buffett und Munger klar und verständlich zu bündeln. In 13 Kapiteln präsentiert er zentrale Themen wie die Psychologie erfolgreicher Investoren, den langfristigen Unternehmenswert, die Bedeutung von Geduld und Disziplin sowie die kritische Haltung gegenüber kurzfristigen Trends – jeweils verdichtet in prägnanten Zitaten. Besonders positiv fällt auf, dass die oft komplexen und ausschweifenden Diskussionen der beiden Investoren in klare Lektionen übersetzt werden. Leser erhalten so einen direkten Einblick in die Denkweise zweier der einflussreichsten Kapitalmarktakteure, ohne sich durch Tausende Seiten Protokolle oder stundenlange Videos arbeiten zu müssen.

Das Buch ist eine ideale Ergänzung zu „Die Essays von Warren Buffett“ von Lawrence A. Cunningham. Während Cunningham die Aktionärsbriefe thematisch sortiert und mit einem ausführlichen Einleitungskapitel kommentiert, konzentriert sich Morris auf die Versammlungen und verzichtet weitgehend auf eigene Analysen. Im Vordergrund stehen die unverfälschten Zitate der beiden Investoren – ein anderer Ansatz, in dem sich die beiden Werke gut ergänzen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.11.2025
Boccaccio, Giovanni

Decameron


ausgezeichnet

Das Decameron gehört zu den ganz großen Entdeckungen in meinem Leseleben. Vor etwa 20 Jahren habe ich es zum ersten Mal in Angriff genommen und konnte kaum glauben, dass dieser Text aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stammte. Es gab darin so viele erzählerische Motive und Ideen, die man in abgewandelter Form auch heute noch in der Literatur verwendet, dass er erstaunlich modern wirkte. Selbst der Humor funktionierte nach 700 Jahren immer noch. Bei weitem nicht jedes Buch altert so günstig. Mit der Covid-Pandemie bekam das Buch auch noch eine unerwartete Aktualität, denn im Decameron isolieren sich 10 junge Adelige auf der Flucht vor der Pest in ihrem Landhaus bei Florenz und erzählen sich zur Zerstreuung insgesamt 100 Geschichten, die oft einen frivolen Hintergrund haben. Vor allem lüsterne Mönche und gehörnte Ehemänner sind Ziel des freizügigen Spotts.

Als ich mich jetzt mit der Übersetzungsgeschichte befasste, gab es die nächste Überraschung: Schon 1450 erschien die erste deutsche Übersetzung und seitdem reißt es nicht ab. Die Version, die ich vor 20 Jahren las, war eine 1957 überarbeitete Übersetzung von Gustav Diezel, die mir damals nicht mehr ganz taufrisch erschien. Seine Fassung stammt von 1840 und da weht trotz der Überarbeitung deutlich die Prüderie des 19. Jahrhunderts über die Seiten. Die jetzt vorliegende Übersetzung von Luis Ruby ist ihr in jeder Hinsicht überlegen. Es fängt schon mit dem „Klang“ an: Ruby hat ein hervorragendes Gefühl für Sprachmelodie und Rhythmus. Boccaccio neigt zu sehr langen Schachtelsätzen, die man gut strukturieren muss, damit sie im Deutschen eingängig bleiben und die Klangschönheit der italienischen Sprache muss auch spürbar sein. Ein bisschen wie bei Thomas Mann. Ruby gelingt dieses Kunststück und verleiht dem Text damit eine Schwerelosigkeit, die der Diezelschen Fassung fehlt. Er setzt die Pointen mühelos elegant, wo Diezel zu umständlich ist. Es ist ein echtes Vergnügen, das zu lesen.

Ein weiteres Vergnügen ist das Layout. Ich erinnere mich an eine Ausgabe des „Kopfkissenbuchs“ von Sei Shonagon aus dem Manesse Verlag, die für mich eines der schönsten und cleversten Seitenlayouts hat, die ich je in einem modernen Buch gesehen habe. Vor allem die innovative Aufteilung der Fußnoten und Verweise hatte mich bei dem Buch begeistert und genauso clever haben die Layouter auch diesmal Referenzen an historisches Buchdesign aufgenommen. Mittelalterliche Bücher hatten keine Referenzlisten oder Fußnoten, sondern sogenannte „Marginalien“, das sind erklärende Randnotizen, die direkt an der Stelle eingefügt wurden, auf die sie sich beziehen. Entsprechend breit sind die Seitenränder und der Satzspiegel ist asymmetrisch. In Anlehnung an historische Marginalien befinden sich die qualifizierten und sehr hilfreichen Kommentare in dieser Ausgabe des Decameron direkt auf den breiten Seitenrändern, womit das lästige Blättern zu Anhängen entfällt und der Satzspiegel nicht durch überdimensionierte Fußnoten zerquetscht wird. Außerdem ergibt das eine höchst lebendige Seitenstruktur. Das wirkt frisch und modern, noch unterstrichen von der durchdachten Auswahl der Illustrationen, die von mittelalterlicher Buchmalerei bis zu Egon Schiele reichen. Alle haben eine tatsächliche oder übertragene Beziehung zu einer der 100 Geschichten. Ergänzt wird das schöne Layout durch schweres, leicht getöntes Papier, eine farbige Fadenheftung und Lesebändchen.

Wer das Decameron kennt, für den ist diese elegante und wunderbar gestaltete Neuübersetzung ein echter Gewinn. Für alle anderen sowieso.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.11.2025
Stadler, Eva;Ingala, Jutta M.;Lammert, Andrea

KUNTH Konnichiwa Japan


sehr gut

Japan-Reiseführer sprießen derzeit aus dem Boden wie die Pilze nach einem Sommerregen. Japan ist zum Hotspot des Tourismus geworden und leidet mittlerweile massiv unter dem Übertourismus. Ich bin vor fast 20 Jahren das erste Mal da gewesen, aber in letzter Zeit stößt mich diese wirklich unerträglich gewordene Überfüllung deutlich ab. Alternativen zu den Standardzielen zu finden, ist gar nicht so einfach, denn die Entfernungen sind (abgesehen von der überfüllten Kanto/Kansai-Region) ziemlich groß, mit entsprechend langen und teuren Rüstzeiten. Deswegen ist mir jeder gute Vorschlag lieb und „Konnichiwa Japan“ hat da ein erstaunlich breites und abwechslungsreiches Angebot zu bieten. Gegliedert nach den Regionen der Hauptinseln werde 56 Ziele vorgestellt, jeweils sehr kurz beschrieben und mit wunderschönen Fotos illustriert. Man bekommt sofort Lust, hinzufahren. Auf der einen Seite die Top-Ziele wie Kyoto oder Tokyo, auf der anderen Seite auch einige „fast Geheimtipps“ für Japan-Enthusiasten.

Bei einer Beschränkung auf 56 Ziele ist die Auswahl natürlich immer von persönlichen Vorlieben geprägt, aber die Autorinnen decken ein breites Feld ab: moderne Zukunftsstädte, uralte Tempel, Wanderungen in Nationalparks, Teetrinken im Katzencafé, trutzige Burgen oder Shopping im Porzellanparadies. Da findet jeder was Passendes.

Die Informationstiefe ist eher gering, ein Link muss meistens genügen. Auch sind die Beschreibungen äußerst knapp gehalten. Es gibt keine Kapitel zur Reisepraxis in Japan, auch keine Empfehlungen zu Unterkünften und nur selten zur Kulinarik, die in Japans Kultur so wichtig ist. Da ich einen Großteil der Ziele aber aus eigener Anschauung kenne, kann ich bestätigen, dass die Auswahl sehr qualifiziert ist und es sich lohnt, bei Interesse hier weiter zu recherchieren. Bei den meisten Orten gibt es noch einiges zusätzlich zu entdecken, sodass sich eine Reise wirklich lohnt.

Als Einstieg für die Reiseplanung und als Anregung ein guter erster Anlaufpunkt, sowohl für Japan-Anfänger als auch für Fortgeschrittene. Für die Ausarbeitung braucht man dann aber deutlich differenziertere Informationsquellen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.11.2025
Steingart, Gabor

Systemversagen


ausgezeichnet

In seinem Buch „Systemversagen“ beschreibt Gabor Steingart, warum er Deutschland auf einem gefährlichen Weg sieht. Für ihn steckt das Land in einer umfassenden Krise: zentrale Systeme, angefangen von der sozialen Sicherung über die Energieversorgung bis hin zu Bildung, Verwaltung und Politik funktionieren nicht mehr so, wie sie es sollten.

Er zeichnet das Bild einer einst starken Wirtschaftsnation, deren „Betriebssystem“ ins Stocken geraten ist („Kernschmelze im produktiven Kern“). Besonders kritisch und daher auch provokant formuliert, sieht er das Sozialsystem: Es verspreche Leistungen ohne entsprechende Arbeit, schwäche damit die Motivation vieler Menschen und belaste die Gemeinschaft finanziell. Auch die Energiepolitik gerät in seine Kritik. Steingart warnt, dass Deutschland seine industrielle Stärke verliere, weil Energie unsicher und teuer geworden sei.

Ein weiteres großes Thema ist die Bildung. Nach seiner Analyse bringt das deutsche Schulsystem nicht mehr genügend qualifizierte Fachkräfte hervor, mit gravierenden Folgen für die Wirtschaft. Die Verwaltung beschreibt er als überfordert und ineffizient: zu langsam, zu bürokratisch, zu wenig digital. Schließlich richtet er den Blick auf die Politik selbst. Fehlfunktionen und mangelnde Entscheidungsfreude lähmen aus seiner Sicht nicht nur die Regierung, sondern auch Unternehmen und Bürger („Die Eliten taumeln von einem Kontrollverlust zum nächsten.“).

Die Gründe für den Abstieg Deutschlands liegen in unserer Geschichte, bei unseren Kanzlern, in der Globalisierung und der Rolle der großen Mächte. Steingarts Ursachenforschung reicht daher auch zurück bis in die Anfangsjahre der Bundesrepublik. Er nimmt die Kanzlerschaften von Adenauer, Brandt, Schmidt, Kohl, Schröder, Merkel und Scholz in den Blick – und arbeitet sich dabei besonders intensiv an Angela Merkel ab, die er spöttisch als „Zauderliese“ bezeichnet. Selbst die kurzen Kanzlermonate von Friedrich Merz bleiben nicht außen vor. Mit einem ausführlichen Blick auf die USA, China, Indien und Russland schließt Steingart seine Analyse ab.

Am Ende steht eine ernüchternde Diagnose: Soziales, Energie, Bildung, Verwaltung und Politik greifen in Deutschland nicht mehr ineinander, sondern blockieren sich gegenseitig. Doch Steingart belässt es nicht bei der Kritik, sondern macht auch Vorschläge für Reformen, die aus meiner Sicht eher allgemein bleiben und nicht die gleiche analytische Tiefe haben wie seine Problemdiagnosen. Das Problem sehe ich allerdings auch nicht an mangelnden Reformideen, sondern am Willen und der Fähigkeit der Regierung, diese auch umzusetzen.

Steingart versteht es, komplexe Themen so darzustellen, dass sie für jeden nachvollziehbar bleiben – präzise, pointiert und ohne unnötige Fachsprache. Wer seinen Newsletter liest, kennt diesen Stil bereits. Die Fakten sind gründlich recherchiert und anschaulich aufbereitet, sodass man sich gut abgeholt fühlt.

Es gibt für mich zwei Kritikpunkte: Erstens sind sämtliche Schaubilder in der Mitte des Buches gesammelt und nicht thematisch in den Text integriert. Zweitens wirkt die Gestaltung insgesamt wenig gelungen. Der Satzspiegel ist gedrungen und teilweise abgeschnitten.

„Systemversagen“ ist ein provokantes, sehr gut lesbares und streitbares Buch, das die Debatte über Deutschlands Zukunft sicherlich an- und aufregen wird.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.11.2025
Chambers, Robert W.

Der König in Gelb. Horrorgeschichten


sehr gut

Robert W. Chambers ist im deutschen Sprachraum weitgehend unbekannt geblieben, in den USA spielt er aber in der phantastischen Literatur in einer Liga mit E. A. Poe und Ambrose Bierce. Seine 1895 erstmals erschienene Sammlung von Kurzgeschichten wurde dort unzählige Male wieder aufgelegt und beeinflusste maßgeblich einige Titanen der Horrorliteratur, wie H. P. Lovecraft. Der „König in Gelb“ oder das „Gelbe Zeichen“ taucht bis heute immer wieder als Chiffre für das Unheimliche in Filmen und Büchern auf, erfunden hat sie Chambers.

Die ersten vier Erzählungen sind durch das fiktive Theaterstück „Der König in Gelb“ miteinander verbunden, das jeden Menschen, der das verbotene Buch liest (das Stück wurde niemals aufgeführt), in den Wahnsinn treibt. Diese Idee verwendet z. B. abgewandelt der japanische Horrorfilm „The Ring“, woran man ableiten kann, wie ideenreich Chambers in seinem Metier war. Seine Kurzgeschichten stecken voller innovativer und unheimlicher Einfälle, und wie es später auch bei H. P. Lovecraft der Fall war, kann Chambers die unterschwellige, nicht fassbare Bedrohung auch atmosphärisch packend schildern. Allerdings ist er, wie Lovecraft, kein wirklich versierter Schriftsteller, seinem Stil fehlt dafür Eigenständigkeit, Eleganz und intellektueller Hintergrund. Chambers war reiner Autodidakt und hatte das Privileg, aufgrund seiner vermögenden Familie niemals von seiner Arbeit leben zu müssen. Den Erfolg des „König in Gelb“ konnte er auch nicht wiederholen und so verlegte er sich später auf seichte Gesellschaftsromane.

Interessant sind seine Kurzgeschichten vor allem durch den Einfluss, den sie auf andere hatten und immer noch haben. Ob das nun die HBO-Serie „True Detectives“ oder „Game of Thrones“ ist, Anklänge an Elemente aus Chambers Geschichten findet man an vielen Stellen, wenn man danach sucht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.11.2025
Cryns, Frederik

Im Dienste des SHOGUN


sehr gut

John Blackthorn ist jedem ein Begriff, der James Clavells Bestseller „Shogun“ gelesen hat oder eine der Verfilmungen kennt. Die wenigsten wissen, dass es eine historische Person gibt, deren Biografie sehr viele Parallelen zu Blackthorn aufweist und die Clavells Vorbild war.
Der „echte“ Blackthorn hieß William Adams und havarierte im Jahr 1600 mit einem niederländischen Handelsschiff an der Küste Japans und wurde innerhalb kürzester Zeit zu einem wichtigen Berater des ersten Tokugawa Shoguns Ieyasu. Dieser überschüttete ihn mit Ehrungen, erhob ihn in den Rang eines hohen Samurai, er besaß mehrere große Anwesen in Edo und bei Osaka, heiratete eine adelige Japanerin und bekam mit ihr zwei Kinder. Genau wie Blackthorn durfte auch Adams das Land nicht mehr verlassen und als er es nach dem Tod Ieyasus hätte tun können, war er zu krank dafür und blieb in Japan.

Es ist erstaunlich, wie viele erstklassige Quellen über William Adams bis in unsere Zeit erhalten blieben, die meisten in westlichen Nationen, einige wenige auch in Japan. Der kometenhafte Aufstieg des Engländers (er war bei den Niederländern nur als Navigator angestellt) zog international Kreise. Frederik Cryns ist Historiker am International Research Center for Japanese Studies in Kyoto und spezialisiert auf den Kulturaustausch zwischen Japan und dem Westen in der Tokugawa-Zeit. Seine Biografie über William Adams ist zwar nicht die einzige, aber es sind doch einige Jahre seit der letzten vergangen und es gibt immer wieder neue Entdeckungen in den Archiven. Cryns ist ein akribischer Rechercheur, der buchstäblich jeden Tag rekonstruiert, über den spezifische Informationen bekannt sind. Wer hat wen wann getroffen? Wer war zu welchem Zeitpunkt in welchem Anwesen oder auf dem Weg wohin? Gibt es mehrere unabhängige Quellen, die das bestätigen? Wie wurde Adams in Japan wahrgenommen und wie in der westlichen Welt? Stellenweise wirkt Cryns Bericht wie ein penibles Tagebuch, so detailliert und faktenbeladen sind seinen Ausführungen. Man muss dazu wissen, dass der Autor im japanischen Fernsehen regelmäßig zu diesen Themen Gast ist und Japaner lieben Zahlen, Daten und Fakten über alles. Selbst in den Primetime Nachrichten darf man damit rechnen, dass ein Moderator zu inhaltlich völlig überladenen, selbstgestrickten Power Point Charts referiert (das ist kein Witz!). Diesen Stil hat Cryns geradezu verinnerlicht, was den großen Nachteil hat, dass das Wesentliche oft in den Details untergeht. Er hat auch den Stakkato-Stil vieler japanischer Autoren übernommen, mit extrem kurzen Sätzen, die kaum über 1-2 Zeilen hinausgehen und dementsprechend wenig grammatikalische Varianz und sprachliche Eleganz besitzen. Dem Autor gelingt es leider nicht, das Leben im Japan der Tokugawa-Zeit bildhaft wiederzuerwecken, sondern er verliert sich in teilweise völlig nebensächlichen Details, die zwar quellentechnisch belegt, aber für den Gang der Biografie unerheblich sind. Das ist schade, denn gerade die frühe Tokugawa-Zeit hätte extrem viel Exotik zu bieten gehabt. Gut arbeitet Cryns die wechselseitigen Verflechtungen und unterschiedlichen Interessenlagen von Ieyasu, den Niederländern, Portugiesen und Spaniern heraus, aber auch hier verhaspelt er sich in den eigenen Details, so dass inhaltlich gleiche Passagen teilweise sogar auf derselben Seite doppelt auftauchen. Das darf man dem deutschen Lektorat nicht anlasten, das war schon im englischen Original nicht gut.

Cryns Adams-Biografie liefert im Vergleich zu den Biografien von 1905, 1995 und 2009 ein deutlich differenzierteres Bild, vor allem tritt Adams als Person besser hervor. Dadurch, dass verschiedene Perspektiven eingenommen werden, lassen sich die Intentionen besser interpretieren, werden aber auch komplexer. Der einzige wirkliche Nachteil, den ich sehe, ist das Fehlen jeder stilistischen Eleganz und der Fähigkeit, den Leser mitzureißen. Gelegenheiten dazu hätte es viele gegeben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.11.2025
Haller, Bettina

Weihnachtsbäckerei im Bayerischen Wald


ausgezeichnet

Die „Weihnachtsbäckerei im Bayerischen Wald“ von Bettina Haller ist ein liebevoll gestaltetes Backbuch, das traditionelle und kreative Rezepte für die Adventszeit vereint.
Auf rund 144 Seiten werden klassische Plätzchen wie Linzer Augen oder Zucker-Kringl ebenso vorgestellt wie regionale Spezialitäten, etwa die Woinuss-Glockal. Alle 32 Rezepte sind durchgehend mit Farbfotografien versehen, was nicht nur die Umsetzung erleichtert, sondern auch die festliche Stimmung der Adventszeit unterstreicht. Haller setzt auf praxisnahe Beschreibungen, einfache Zutaten und klare Arbeitsschritte, sodass auch weniger geübte Hobbybäcker Freude am Nachbacken finden können.

Ich habe inzwischen einige Rezepte ausprobiert und war durchweg begeistert vom Ergebnis. Die angegebenen Zeiten haben zuverlässig gepasst, und die Beschreibung der einzelnen Arbeitsschritte ist präzise und hilfreich formuliert. So war das Nachbacken nicht nur unkompliziert, sondern die Plätzchen sind auch geschmacklich ein voller Erfolg geworden. Sortiert ist das Buch nach den Kategorien Ausstechplätzchen, Spritzgebäck und weiteren Klassikern – das erleichtert die Orientierung. Die Vielfalt der Rezepte ist groß genug, dass ich noch für die kommenden Jahre viele neue Leckereien ausprobieren kann. Meine Familie freut sich schon jetzt auf die nächste Runde aus der Weihnachtsbäckerei.

Insgesamt hat die „Weihnachtsbäckerei aus dem Bayerischen Wald“ genau unseren Geschmack getroffen. Es ist ein klar aufgebautes, stimmungsvolles Backbuch, das vor allem durch seine regionale Verwurzelung und die praxisnahen Rezepte überzeugt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.11.2025
Gehringer, Ferdinand;Steger, Johannes

Deutschland im Ernstfall


sehr gut

In ihrem Buch „Deutschland im Ernstfall“ gehen Ferdinand Gehringer und Johannes Steger der Frage nach, wie Deutschland auf einen militärischen oder hybriden Angriff vorbereitet wäre und welche politischen, gesellschaftlichen und infrastrukturellen Herausforderungen im Krisenfall auftreten könnten.

Das Buch zeichnet ein realistisches Szenario, in dem Deutschland in einen Krieg oder eine schwere Krise verwickelt wird. Anhand von Szenarien stellen die Autoren zentrale Fragen: Gibt es genügend Schutzräume für die Bevölkerung, ausreichende medizinische Versorgung und gesicherte Dateninfrastrukturen? Könnte das Internet abgeschaltet werden, und wer würde im Ernstfall die strategischen Entscheidungen treffen? Dabei gehen sie über klassische Vorstellungen von Krieg hinaus und widmen sich auch hybriden Angriffsmethoden wie Cyberangriffe, Desinformationskampagnen, Sabotageakte und Spionageaktionen. Das Buch beleuchtet sowohl die politischen Entscheidungsprozesse als auch die gesellschaftlichen Reaktionen und zeigt, wie stark die Abhängigkeit von funktionierenden IT-Systemen und Versorgungsketten ist. Gleichzeitig kritisieren die Autoren die mangelnde Transparenz in der deutschen Sicherheitspolitik und fordern eine offenere Diskussion über Krisenvorsorge. Ziel des Buches ist es, die Öffentlichkeit wie auch Entscheidungsträger für die Notwendigkeit einer umfassenden Vorbereitung zu sensibilisieren.

Die Sprache der Autoren ist stets sachlich und unaufgeregt und zwingt den Leser dazu, über unbequeme Fragen nachzudenken. Dabei hebt sich das Buch wohltuend von klassischen sicherheitspolitischen Publikationen dadurch ab, dass sie konkrete Fragen des Alltags im Ernstfall stellen. Allerdings gibt es aus meiner Sicht kaum praktische Antworten. Dies liegt, wie die Autoren selbst betonen, auch an der mangelnden Transparenz staatlicher Stellen. So wurde nicht deutlich, welche „Schubladengesetze“ bereits auf die aktuelle Sicherheitslage aktualisiert wurden und ob diese in Übungsszenarien überhaupt funktionieren. Es gibt zwar zahlreiche Vorschriften, Gesetze oder spezielle Einrichtungen, die für ein klares Konzept, Resilienz und Strategie stehen sollen, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie im Ernstfall auch wirklich funktionieren würden, denn: Papier ist geduldig. Diese Punkte hätten die Autoren aus meiner Sicht noch deutlicher herausstellen müssen.

Eine Bemerkung zum Gendern sei noch erlaubt: Das Buch verliert für mich durch die konsequente Verwendung von Genderformen deutlich an Fokussierung, da die ständigen Doppelnennungen und gekünstelten Umformulierungen den Lesefluss unnötig erschweren. Statt klar in der Ausdrucksweise wirkt der Text dadurch belehrend und stilistisch schwerfällig.

Unterm Strich ist das Buch ein wichtiger Denkanstoß für mehr Transparenz und Diskussion, aber kein Handbuch für den Ernstfall und schon gar nichts für Prepper.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.