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VolkerM

Bewertungen

Insgesamt 143 Bewertungen
Bewertung vom 27.04.2025
No-Knead-Brötchen ohne Formen
Schell, Valesa

No-Knead-Brötchen ohne Formen


sehr gut

Valesa Schell verspricht Brötchen ohne Kneten und das Versprechen hält sie, das nur schon mal vorneweg. Ihr Brötchenteig wird lediglich verrührt und den Rest erledigt die lange Gehzeit, die aber ggf. durch längeres Rühren auch etwas reduziert werden kann. Aus der Masse wird der Teig gefaltet und dann portionsweise abgestochen.

Die Einführung z. B. zu Mehlen, den Gehzeiten, Rezeptangaben und Zubereitungsschritten ist knapp gehalten, aber ausreichend, um mit einfachen Rezepten (die nur Hefe als Triebmittel verwenden) direkt zu starten. Das klingt erst einmal sehr unkompliziert, aber zwei spielentscheidende Hürden sind mir beim Lesen direkt aufgefallen:

Erste Hürde: Ohne Dampfen („Schwaden“) gelingen die Brötchen nicht – und das sollte man wissen, bevor man das Buch kauft. Wenn man keinen Backofen mit eingebauter Dampffunktion hat, wird es schwierig. Eine Schüssel Wasser beim Backen in den Ofen zu stellen bringt jedenfalls nichts. Es gibt zwar mittlerweile separate Dampferzeuger, die man im Backofen platziert, aber diese Systeme kosten rd. 150 Euro. Da bekommt man eine Menge Brötchen für. Es gibt auch Selbstbauanleitungen für Bastler, aber das ist auch nicht ganz trivial. Einfach mal bei youtube stöbern, denn die Autorin erwähnt nur, dass beim Backen Schwaden zwingend erforderlich ist, wie man das realisiert, sagt sie nicht. Schade.

Zweite Hürde: Sehr viele Rezepte verwenden als Triebmittel „Lievito Madre“ - einen italienischen Sauerteig, der besonders mild ist. Die Autorin beschreibt zwar, wie man ihn selbst ansetzt, aber das erfordert ständige Wachsamkeit und Pflege. Da kann schon ein egoistischer Kurzurlaub den Sauerteig umkippen lassen. Ob mit oder ohne „Lievito Madre“, der überwiegende Teil der Rezepte braucht letztlich Sauerteig.

Hat man diese beiden Hürden aber gemeistert, wird man sich an den vielen Rezepten (von herzhaft bis süß) erfreuen. Wirklich außergewöhnlich ist das Splitterbrötchen, das in Lagen gebuttert und gefaltet wird – ähnlich wie ein Croissant, aber mit knackiger Kruste. Die süßen Bananen-Schoko-Wölkchen fand ich auch sehr lecker und in ihnen kann man überreife Bananen gut verarbeiten (ich verwende die aber auch als Zutat in meinem normalen selbstgebackenen Brot, damit es länger saftig und frisch bleibt). Es gibt Varianten für wirklich jeden Geschmack. Die Vielfalt hat mich jedenfalls begeistert.

Sieht man vom entscheidenden Faktor „Dampfen/Schwaden“ ab, ist das Buch sehr empfehlenswert, aber man sollte wissen, was für ein Aufwand und nicht unerhebliche Zusatzkosten dahinterstecken.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.04.2025
Co-Intelligenz
Mollick, Ethan

Co-Intelligenz


ausgezeichnet

Wird uns Künstliche Intelligenz (KI) in Zukunft wirklich helfen oder haben wir die Büchse der Pandora geöffnet? Ethan Mollick, Professor an der Wharton University (USA), beschreibt in seinem Buch „Co-Intelligenz“, wie Menschen und künstliche Intelligenz zusammenarbeiten können, um Innovation und Produktivität zu steigern. Mollick argumentiert, dass KI nicht als Bedrohung, sondern als Partner gesehen werden sollte - sei es als Kollege, Lehrer oder als kreative Unterstützung. Das Buch bietet praktische Einblicke in die ethischen und technologischen Herausforderungen der generativen KI und zeigt, wie sie sinnvoll eingesetzt werden kann. Es beleuchtet, wie große Sprachmodelle unsere Arbeitsweise verändern und neue Möglichkeiten zur Erweiterung des menschlichen Potenzials schaffen. Statt Angst vor der Automatisierung zu schüren, ermutigt Mollick dazu, KI als Werkzeug für die persönliche und berufliche Weiterentwicklung zu begreifen. Allerdings verschließt Mollick auch nicht die Augen vor den negativen Risiken wie Arbeitsplatzverlust, Datenmissbrauch, Fehlverhalten oder unerwarteten Entscheidungen der KI.

Mollick konzentriert sich in seinem Buch auf Sprachmodelle (LLM), die die Basistechnologie für generative KI wie ChatGPT darstellen. In allgemein verständlicher Form erklärt er die Begriffe und Besonderheiten dieser neuen Technologie.
Wie funktionieren Sprachmodelle? Warum sind sie nur „Textvorhersagemodelle“? Woher stammen die Trainingsdaten? Wie können Sprachmodelle manipuliert werden? Was sind Prompts? Kann KI plagiieren? Warum sind KI-Systeme oft voreingenommen, haben Vorurteile und neigen zu Halluzinationen? Welche Gefahren birgt die generative KI? Für den Leser wird deutlich, dass KI alles andere als berechenbar und verlässlich ist - ganz im Gegensatz zu herkömmlichen Softwaresystemen. Sie verarbeitet und analysiert nicht nur Daten, sondern trifft nuancierte Urteile, fasst komplexe Konzepte zusammen und kann ihre Reaktionen aufgrund der ihr zur Verfügung gestellten Informationen anpassen.

Besonders interessant fand ich, wenn der Autor von seinen Experimenten und Studien berichtet, die er seiner Universität, teils in Zusammenarbeit mit Partnern wie der Boston Consulting Group, durchgeführt hat. Über „Prompts“ hat er z. B. untersucht, wie sich die Ergebnisse durch eine unterschiedliche Interaktion mit der KI verändern. Mal betrachtete er die KI als Widersacherin und wollte sie zum Streiten animieren, mal stellte er die Anfrage sachlich akademisch - und zeigt, wie unterschiedlich die KI reagieren kann. Sachlich, emotional, aber auch feindselig und verstörend - menschlich halt.
Andere Studien und Experimente haben gezeigt, dass KI auch bei kreativen Aufgaben oft besser ist als der Mensch ... und schneller sowieso. Aus Sicht des Autors wäre es daher töricht, KI nicht in die Prozesse einzubeziehen, insbesondere wenn der Mensch sich selbst nicht für besonders kreativ hält. Besonders bemerkenswert fand ich, dass Studien immer wieder gezeigt haben, dass Personen mit geringerer Kompetenz am meisten von KI profitieren, aber auch die Besten sich verbessert haben. Es ist wahrscheinlich, dass KI wirklich zu unserer Co-Intelligenz wird.
Mollick zeigt auch Prompt-Beispiele für Vorschläge zur Ideenfindung von Firmennamen oder Werbeslogans und erläutert die Prinzipien der Formulierung. So kann der Leser eigene Prompts entwickeln und in der Praxis ausprobieren.

Abschließend skizziert der Autor verschiedene Möglichkeiten, was aus seiner Sicht in den nächsten Jahren in der Welt der KI passieren könnte. Von der Möglichkeit, dass es kein oder nur ein langsames Wachstum geben wird (Trainingsdaten fehlen, Kosten-Nutzen-Aufwand zu hoch, gesetzliche Einschränkungen) bis hin zu einem exponentiellen Wachstum (Schwungradprinzip) oder der Entstehung einer Superintelligenz, die den Menschen „ablöst“.

Ein spannendes, praxisorientiertes und lesenswertes Buch, das aufzeigt, wie wahrscheinlich es ist, dass KI tatsächlich zu unserer Co-Intelligenz wird und den Menschen zum Cyborg macht. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Amerikaner in neuen Technologien immer vor allem das Positive sehen, während wir Deutschen uns gerade um Datenschutz und Datensicherheit sorgen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.04.2025
Aufbruch ins Weltall
Delalande, Arnaud

Aufbruch ins Weltall


sehr gut

Seit der Steinzeit ist der Mensch vom All fasziniert. Der Himmel war zwar immer religiös besetzt, aber erst mit der Möglichkeit der Raumfahrt kam er faktisch in Reichweite.

Die Graphic Novel erzählt Teile dieser Geschichte und fokussiert sich vor allem auf die Eroberung des Mondes. Die Grundlage der Raketentechnik legt Wernher von Braun, dessen Internierung durch die Amerikaner zwar noch Thema ist, über dessen durchaus wichtige Beiträge zur Raumfahrt dann seltsamerweise aber nicht mehr berichtet wird. Stattdessen rückt der Wettlauf zwischen USA und UdSSR ins Scheinwerferlicht, ein spannendes Kapitel, das aber dann ebenfalls abbricht, nachdem den Amerikanern ihre erste Mondumrundung gelingt. Die dramatischen Fehlschläge im russischen Raumfahrtprogramm werden erst gegen Ende des Buches auf einer Seite abgehandelt, was aus meiner Sicht bedauerlich ist, denn es hätte einen zusätzlichen Spannungsbogen erlaubt.
Die Apollo-Missionen werden sehr ausführlich und teilweise mit vielen technischen Hintergrundinformationen dargestellt, die ich manchmal übertrieben detailliert fand. Die dramatische Ereignisse der Apollo 11 und 13 Missionen haben mir dagegen sehr gut gefallen, sie sind, wie alle verwendeten Fakten historisch korrekt und auch anschaulich illustriert. Womit wir bei der grafischen Qualität sind: Die ist hervorragend. Die Zeichnungen sind ausgesprochen detailreich, basieren fast immer auf Originalfotografien, die beteiligten Personen sind wiedererkennbar portraitiert und auf die Darstellung der technischen Ausrüstung legt der Zeichner Arnaud Delalande ganz besonders großen Wert. Viele ikonische Fotografien erkennt man sofort wieder (angefangen beim Titelbild) und die Liebe zum Detail macht diese Graphic Novel wirklich außergewöhnlich.

Die Errungenschaften nach der Mondlandung werden dann eher summarisch abgehandelt. Die Entwicklung der Raumstationen, der Weltraumteleskope und die zahlreichen Expeditionen zu diversen Himmelskörpern im Sonnensystem kommen aus meiner Sicht deutlich zu kurz und es geht weniger um die bahnbrechenden wissenschaftlichen Ergebnisse, sondern um die Personen, die in Leitungspositionen der ESA verantwortlich waren und hier eine Plattform erhalten. Das ist oft reines Name Dropping von Leuten, die niemand kennt, mit einem irritierenden Fokus auf Franzosen. Auch der Ausblick in die Zukunft bleibt im Verhältnis zur ausführlichen Behandlung der Mondmissionen zu unscharf und wird sogar etwas esoterisch.

Als Fazit hat mir das Buch insgesamt doch gut gefallen. Die meisten Kapitel sind spannend aufbereitet und durchgehend hervorragend illustriert, nur zum Ende hin schwächelt der Inhalt etwas.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.04.2025
Radatouille
Magro, Jean-Marie

Radatouille


ausgezeichnet

Frankreich ist eine begeisterte Radfahrernation, auch wenn seit 1985 kein Franzose mehr die Tour gewonnen hat. Selbst die „Verlierer“ werden dort als Helden gefeiert, denn nicht selten ist ihr Schicksal tragisch. Unfälle, Krankheiten, Pannen, aber niemals mangelnder Einsatz.

Jean-Marie Magro kommt aus München, hat französische Wurzeln und sich das Ziel gesetzt, das Land seines Vaters mit dem Rad zu erkunden: 3000 Kilometer in 21 Tagen und 40 000 Höhenmetern ist eine sportliche Höchstleistung, aber Jean-Marie möchte nicht einfach nur Urlaub machen. Er ist Journalist und will Frankreich auch in die Seele blicken, hat dafür zahlreiche Begegnungen geplant und die ungeplanten kommen noch obendrauf. Die sind oft die spannendsten und bei 3000 Kilometern gibt es genügend Gelegenheiten.

Das Buch ist ein thematischer Rundumschlag, indem es politische, sportliche und kulturelle Aspekte journalistisch verknüpft. Da sind kulinarische Ausflüge genauso möglich wie Betrachtungen über die regionalen Charaktereigenschaften der Einwohner, die mindestens so unterschiedlich sind wie bei uns die zwischen Hamburgern und Bayern. Magro fährt durch Ballungsräume wie Paris, wo Autofahrer systematisch aus der Stadt gemobbt werden und fast menschenleere Gegenden. Ihm passieren natürlich Unfälle und die Tour führt ihn einige Male auch an körperliche Grenzen. Im Gegensatz dazu stehen Momente voller Glück und unerwartete, spannende Begegnungen, positive wie negative. Magro erlebt Frankreich in allen seinen Facetten und das ist das eigentliche Ziel seiner Tour: Eine Reise zu seinen persönlichen familiären Wurzeln und ein aktueller Blick in die Befindlichkeiten der Franzosen, die heute so zerrissen sind wie lange nicht mehr in der Geschichte.

Radatouille endet in der Provence auf dem Mont Ventoux, Schicksalsberg und Sehnsuchtsort für viele Radfahrer. Ein Freund von mir gehört zu den „Verrückten“, die an einem Tag dreimal hoch und runtergefahren sind, ohne dass die Sucht nach dem Radfahren nachließe, im Gegenteil. Für ihn und alle Frankreich- und Radbegeisterten ist das Buch eine ideale Lektüre, Ideenlieferant und Ansporn. Ich glaube, ich schenke es Torsten zum Geburtstag.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.04.2025
Holkham

Holkham


ausgezeichnet

Viele gibt es nicht mehr von ihnen: Holkham gehört zu den wenigen noch in Familienbesitz befindlichen Herrenhäuser Englands. Die hohen Zwangsabgaben nach dem Zweiten Weltkrieg führten die historischen Immobilien der meisten Großgrundbesitzer in den National Trust, der sich seitdem um die Erhaltung und Vermarktung kümmert. Mindestens ebenso viele wurden allerdings abgerissen. Holkham hat den Umbruch geschafft, trotz hoher Abgaben und anderer ungünstiger Entwicklungen in der (Familien)geschichte. Heute hat sich das wirtschaftliche Konzept völlig verändert und setzt vor allem auf Tourismus, denn eine reine Landwirtschaft wäre längst nicht mehr profitabel. 450 Mitarbeiter arbeiten heute auf Holkham, so viele wie nie in der Geschichte und das Unternehmen wurde 2023 als „Best large employer in East England“ ausgezeichnet, was für ein herausragendes soziales Engagement spricht.
Der Band ist eine deutlich erweiterte Neuauflage der 2005 erschienenen Monografie, mit zusätzlichen Kapiteln und Fotos, die dem Leser nicht nur einen groben Eindruck des Anwesens vermitteln, sondern fast so lebendig sind wie ein Besuch vor Ort. Alle Räume des Hauptgeschosses werden im Detail vorgestellt, Ansichten aus allen Blickwinkeln, oft noch ergänzt durch Virtual Reality, die mit der Hirmer-App Schwenks und Zooms im Raum erlauben. Bei mir haben allerdings bestimmte Konstellationen zum Absturz der App geführt und die Zooms haben z. T. nicht die gleiche Bildauflösung, sind also digital.

Die von anerkannten Experten geschriebenen Einzelbeiträge beleuchten die wechselvolle Familiengeschichte, deren Adelslinie im 19. Jahrhundert sogar abriss und in einem anderen Zweig der Familie Coke neu installiert wurde. Ein besonderer Fokus liegt auf Thomas Coke, dem 1. Earl of Leicester der 1. Linie, der Mitte des 18. Jahrhunderts Holkham Hall maßgeblich plante und entwarf. Thomas Coke war kein Architektur-Dilettant, sondern hatte sich auf Reisen und durch Selbststudium so weit fortgebildet, dass das Werk tatsächlich als originär von ihm gelten kann. An der sofortigen Ausführung durch eine spektakuläre finanzielle Fehlinvestition gehindert, hatte er 10 Jahre daran geplant, bevor der erste Stein gesetzt wurde. Das Ergebnis ist das wohl schönste palladianische Herrenhaus Englands, das durch äußere Form genauso überzeugt wie durch die historisch gewachsenen und authentisch erhaltene Inneneinrichtung. In der vorliegenden Neuausgabe werden zahlreiche, z. T. erst kürzlich entdeckte Dokumente zur Planungsgeschichte vorgestellt.

Die Innenräume sind ein weiterer Schwerpunkt der Einzelkapitel. Sie werden zum einen als architektonische Meisterwerke dargestellt, zum anderen aber auch als Schatzkammer des Hauses, mit einer der besten privaten Sammlungen antiker Skulptur in England und Gemälden von Weltrang. Viele Vorfahren des heutigen Earl of Leicester waren umtriebige Sammler, die Kunstagenten beschäftigten und auf eigenen Reisen Werke kauften. Das Ensemble sticht in seiner Vielfalt und Qualität deutlich aus den oft „geplünderten“ Einrichtungen in Häusern des National Trust hervor. Alles zeugt von Geschmack und einer nach Generationen zählenden Sammlungsgeschichte. Die Sammlung selber wird übrigens in Kürze auch als Monografie publiziert werden.
Besonders interessant ist das Kapitel über die Funktionsweise des Hauses, das von Anbeginn auf Praktikabilität (im Rahmen der adligen Wohnkonventionen) und Repräsentation setzte. Darin unterscheidet es sich letztlich auch fundamental von seinen palladianischen Vorbildern aus dem 16. Jahrhundert, die niemals wirklich „funktionierten“, sondern deren Zimmerstruktur schlichtweg die Struktur Außenfassade spiegelte. Insgesamt etwas detailliertere Informationen zur praktischen Organisation des Alltags im 18. und 19. Jahrhundert hätte ich mir gewünscht.

„Holkham“ ist einerseits ein klassisches Coffee Table Book zum Durchblättern und Träumen, andererseits aber auch inhaltlich überzeugend. Wer in der Gegend ist, sollte sich Holkham jedenfalls nicht entgehen lassen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.04.2025
HEN NA E - Seltsame Bilder
Uketsu

HEN NA E - Seltsame Bilder


weniger gut

Alles beginnt mit einem Bild, gemalt von einem Kind. Es ist ein seltsames Motiv, rätselhaft und auch ein bisschen verstörend. Lässt sich daraus etwas über den Menschen ablesen, der das Bild malte? Enthält es vielleicht verborgene Botschaften? In Uketsus Roman „Seltsame Bilder“ dreht sich alles genau um diese Frage. Am Anfang steht ein Mord ohne Täter und im Lauf der Ermittlungen weitet sich das Geschehen zu einem diabolisch vertuschten Serienmord.

Die Erzählung nutzt verschiedene Zeitebenen, in denen die Ermittlungen ablaufen, verteilt über 20 Jahre. Die kurzen Kapitel betrachten die Ereignisse jeweils aus dem Blickwinkel einer der beteiligten Personen und erst gegen Ende fügen sich alle Puzzleteile in ein gemeinsames Bild zusammen. An mehreren Stellen bekommt die Geschichte durch einen Twist eine völlig neue Richtung, indem verborgene Geheimnisse ans Licht treten, meist kodiert in einer neuen rätselhaften Zeichnung. Das ist über weite Teile spannend inszeniert, allerdings ist Uketsu stilistisch nicht sehr entwickelt. Es ist mir schon oft aufgefallen, dass japanische Kriminalautoren einen starken Hang dazu haben, ihren Plot übermäßig zu erklären. Viele Dialoge dienen nur dazu, einfaches Faktenwissen zu vermitteln, weniger der Figurenzeichnung oder Dramaturgie. Dadurch wirken sie oft hölzern und formal, was letztlich auch für den nicht-dialogischen Schreibstil gilt. Uketsu schreibt in kurzen Sätzen, ohne psychologische Tiefe, wobei mir besonders auffiel, dass im ganzen Roman nicht einmal andeutungsweise die Beschreibung einer Örtlichkeit auftaucht, was bei einem exotischen Setting erhebliche Nachteile für Leser mit sich bringt, die Japan und seine Kultur nicht aus eigener Anschauung kennen. Die Personen bleiben aufgrund der eindimensionalen Dialoge ebenfalls eindimensional, charakterisiert werden sie ausschließlich durch die oft aufdringlich belehrenden Erklärungen aus Autorensicht, die dem Leser keinerlei Interpretationsfreiheit lässt. Auch das sind typische Elemente japanischer Krimiautoren, die mich in ihrer Schlichtheit manchmal an Enid Blyton erinnern. Mich hat das immer sehr gewundert, beruht die japanische Gesellschaft doch nicht unerheblich auf der Fähigkeit, Angedeutetes zu erspüren. Kommen wir zum Schluss noch zur Logik: Ich halte jetzt das Spoilern in Grenzen, aber es gibt zwei eklatante Logikfehler in der Geschichte, die die Auflösung entwerten. Als Hinweis muss genügen: Der Altersabstand zwischen Naomi Konno und Yuki Kameido ist nicht realistisch und Toyokawas Anwesenheit zu einem entscheidenden Zeitpunkt an einem entscheidenden Ort widerspricht seinem tatsächlichen Alibi.

Die Buchausstattung hat mir dagegen ausgesprochen gut gefallen, mit Farbschnitt und Lesebändchen und einem sehr ansprechenden Seitenlayout.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.04.2025
Lyneham (MP3-Download)
Westerboer, Nils

Lyneham (MP3-Download)


sehr gut

Der Mond Perm in einem weit entfernten Sonnensystem soll zum Refugium der Menschheit werden. Als Harry und seine Geschwister mit ihrem Vater auf der „neuen Welt“ landen, sind dort bereits Biosphären errichtet und das Terraforming ist im Gang. Die heimischen Lebensformen sind zwar äußerst seltsam aber friedlich, wäre da nicht die bedrohliche „Anomalie“, die über die Kontinente wandert und deren Absicht nicht erkennbar ist. Wer steuert sie? Und warum? Und wo ist Harrys Mutter abgeblieben, die eigentlich vor ihnen angekommen sein müsste?

Nils Westerboer hat in „Lyneham“ eine bis ins Detail ausgearbeitete Geschichte konstruiert, von einer Tiefgründigkeit und wissenschaftlichen Raffinesse, die man bei Science-Fiction selten findet. Die Ökologie Perms ist genauso klug durchdacht wie die Dramaturgie, die in einer Art Doppelroman einerseits die Geschichte von Harrys Mutter, andererseits die Erlebnisse aus der Sicht Harrys schildert und in jedem Kapitel ein kleines bisschen von der komplexen Wahrheit enthüllt. Westerboer thematisiert die ganz großen Fragen: zur Möglichkeit von extraterrestrischem Leben, dem Zusammenhalt menschlicher Gesellschaften, was eine Familie bedeutet, von Verrat, Vertrauen und Vergebung. Dramatisch und dabei stilistisch exzellent geschrieben. Nicht wenige Dialoge kann man sich auch an die Wand hängen und noch lange darüber nachdenken, wie viel tiefschürfende Weisheit in ihnen steckt.

Gestört hat mich nur, dass die wirklich sehr extreme Landschaft, durch besondere Umstände gebildet, mir bis zum Schluss nicht wirklich vor Augen stand. Die Regionen haben Ortsnamen, die zwar irdischen entlehnt sind, aber mir war nicht wirklich klar, in welchen geografischen Relationen sie zueinander standen, ja nicht einmal, wie groß sie eigentlich waren. Das machte die örtliche Orientierung manchmal schwer, beeinträchtigte die Erzählung inhaltlich aber nicht.

Die Auflösung am Ende ist raffiniert und in sich logisch, was für mich ein wesentliches Qualitätsmerkmal guter Science-Fiction ist. Vielen Geschichten geht zum Schluss die Luft aus oder sie verheddern sich in der eigenen Logik. Bei „Lyneham“ ist alles aus einem Guss.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.04.2025
Winning the Loser's Game
Ellis, Charles D.

Winning the Loser's Game


ausgezeichnet

Das Buch „Winning the Loser's Game“ von Charles D. Ellis ist ein Klassiker der Investmentliteratur, der erstmals 1985 erschien und mittlerweile in der 8. Auflage vorliegt. Es vermittelt die Kernidee, dass Anleger langfristig erfolgreich sind, wenn sie sich auf einfache, bewährte Strategien konzentrieren und emotionale Entscheidungen vermeiden. Ellis argumentiert, dass der Aktienmarkt einem "Verliererspiel" gleicht: Profis versuchen, sich gegenseitig zu übertreffen, aber in einem wettbewerbsintensiven Umfeld ist es wahrscheinlicher, dass Fehler den Unterschied ausmachen und nicht brillante Spielzüge.
Wer daher versucht, mit einzelnen Aktien den Marktdurchschnitt zu schlagen und eine Outperformance zu erzielen, wird am Ende verlieren - so der Anlageexperte.

Ellis betont immer wieder, dass Anleger sich bewusst sein müssen, dass es nicht darum geht, „den Markt zu schlagen“. Vielmehr geht es darum, eine Kombination anderer Faktoren möglichst effizient zu managen, z. B. die eigenen Anlagekenntnisse und -fähigkeiten, die eigene Risikobereitschaft in Bezug auf Vermögen, Einkommen und Liquidität, einen realistischen Zeithorizont, die eigenen finanziellen und psychologischen Bedürfnisse und Ressourcen sowie die kurz- und langfristigen finanziellen Wünsche und Verpflichtungen. Das Ergebnis sollte eine langfristige Vermögensplanung sein, mit der man früh im Leben beginnen sollte, um einerseits den Zinseszinseffekt zu nutzen und andererseits nachhaltige Rückschläge durch Crashs zu vermeiden. Dabei empfiehlt er für den Risikoanteil die Anlage in Indexfonds - wegen der Kosten möglichst in passive, breit gestreute ETFs. Von üblicherweise als risikolos wahrgenommenen Anleihen rät der Experte ab, da deren Kurse fast so stark schwanken können wie die von Aktien und ein schlechter Schutz gegen das Hauptrisiko einer langfristigen Inflation sind.

Ellis gibt viele konkrete Handlungsempfehlungen (langfristige Anlagestrategie, Diversifikation des Vermögens, Entscheidungen mit konkreter Asset Allocation, Effizienz vor Effektivität, kein Market Timing, kein Stock Picking u.v.m.) und erläutert diese so detailliert, dass der Anleger in der Lage ist, seine eigene Strategie zu entwickeln. Bei allen Empfehlungen steht immer die Frage im Vordergrund, ob der Anleger langfristig durchhält, damit die erwartete Durchschnittsrendite auch tatsächlich erreicht werden kann.
Der Autor empfiehlt einen ruhigen, strategischen Anlageansatz, bei dem man sich nicht von kurzfristigen Trends oder Marktbewegungen leiten lässt.

Das Buch hat nichts von seiner Aktualität verloren, bezieht sich aber - und das ist gerade bei den steuerlichen Hinweisen zu beachten - auf den amerikanischen Markt. Die Übersetzung ins Deutsche ist gelungen, die Sprache verständlich und klar.

Das Buch von Ellis ist eine große Hilfe beim Rechnen mit den fünf Unbekannten Anlagerendite, Inflation, Ausgaben, Steuern und Zeitraum und hilft dem Anleger, das "Loser's Game" doch noch zu gewinnen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.04.2025
Dieter Rams
Rams, Dieter

Dieter Rams


ausgezeichnet

Das innovative Design der Firma Braun läutete Ende der Fünfzigerjahre eine neue Ära ein, die im Prinzip immer noch andauert. Aufgeräumte, durchdachte Bedienelemente, klare Linien, einfache geometrische Formen: „Weniger, aber besser“, wie Dieter Rams es in der ersten Auflage seines Klassikers von 1995 beschrieb. Mittlerweile liegt das Buch in der 10. Auflage vor und es hat seinen Status als Klassiker behalten. Sieht man davon ab, dass die Abbildungen nur schwarz-weiß und relativ klein sind, liefert das Werk Grundlegendes zum Braun-Design (und zu Rams‘ Designkonzepten im Allgemeinen) anschaulich und mit vielen werksinternen Hintergrundinformationen. Es ist die kleinere Ausgabe von Rams‘ „catalogue raisonné“, der unter dem Titel „Less and More“ erscheint. Übrigens sind die s/w-Aufnahmen nicht wirklich von Nachteil, denn Schwarz und Weiß waren die prägenden Farben des Braun-Designs - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen bis heute.

Dieter Rams beschreibt nicht nur die (selbst erlebte) Geschichte des Braun Design-Teams, das anfangs noch nicht so hieß, sondern auch die Schritte, die notwendig sind, um formvollendetes Design zu schaffen: Da ist die enge Bindung an technische Limitierungen, überhaupt das technische Know-how, das auch ein Designer braucht und das in der Frühphase viel Koordinationsarbeit erfordert. Dann die schrittweise Entwicklung von der Idee auf dem Papier (heute Bildschirm) über den Modellbau und Prototypen bis hin zum fertigen Produkt. Auch das Konzept der Corporate Identity liegt in den gemeinsamen Händen von Design und Marketing.

Was mich bis heute an Braun Design fasziniert – und dieser Eindruck wird durch die zahlreichen Abbildungen im Buch nur gestärkt – ist die Wiedererkennbarkeit. Und ich meine jetzt nicht das Braun-Logo. Es mögen viele imitieren, erreicht haben es nur die wenigsten. Selbst Braun-Produkte aus den Fünfzigerjahren sehen noch so modern aus, dass man sie problemlos in heutige Einrichtungen integrieren kann, was ebenfalls dafür spricht, dass die Epoche des Braun-Designs eigentlich noch nicht zu Ende ist.

Zum Schluss kommt Dieter Rams auf einige seiner Projekte zu sprechen, die z. T. nicht realisiert oder für andere Firmen als Braun entwickelt wurden. Auch hier sieht man die typische Handschrift, wenn auch nicht mehr so stringent.

„Weniger, aber besser“ ist ein Design-Klassiker, der wohl nie aus der Mode kommen wird.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.04.2025
Train Japan
Wide, Steve;Mackintosh, Michelle

Train Japan


sehr gut

Wir sind seit fast 20 Jahren regelmäßig touristisch in Japan unterwegs und nutzen dafür zu 90% Züge. Die Infrastruktur ist bis in entlegene Winkel exzellent, die Züge sind fast immer pünktlich und sauber, also alles Dinge, die man aus Deutschland nicht kennt. Die Bahn ist auch für Japaner ein wesentlicher Bestandteil der Mobilität. „Japan mit dem Zug entdecken“ ist also eine sehr gute Idee.

Die Autoren stellen in ihrem Buch nicht einzelne Ziele, sondern Strecken vor, die sowohl landschaftlich als auch kulturell interessant sind. Oft sind mehrere Attraktionen auf den Strecken verteilt, so dass man unterwegs aussteigen kann, um sie zu besichtigen. In Japan gibt es auch Themen- oder Spezialzüge, die durch besondere Ausstattung hervorstechen. Auch die werden im Buch anschaulich beschrieben. Es lohnt sich wirklich, denn diese Züge haben oft eine hochwertige und wunderschöne Inneneinrichtung.

Kurze Beschreibungen mit den wichtigsten Bahnstationen erläutern, was man auf den Strecken sehen und erleben kann, jeweils mit einer Angabe zur benötigten Zeit. Hier sind die Besichtigungen schon eingerechnet, die reine Fahrzeit ist entsprechend kürzer.

Das Thema Railpässe wird ausführlich erklärt, auch die jeweiligen Regionen und Gültigkeitsbereiche, wobei auf konkrete Preise verzichtet wird. Aufgrund der starken Inflation in Japan ändern sich diese im Moment öfter. Insgesamt ist Bahnfahren in Japan aber erheblich günstiger als hierzulande.

Die Autoren vermitteln zwar die wichtigsten (aber nicht alle) Benimmregeln im Zug, die genauso wichtigen Regeln zum Verhalten in Bahnhöfen und an Bahnsteigen habe ich dagegen nicht gefunden. Da der Tourismus in Japan mittlerweile extrem geworden ist, hat die Fremdenfeindlichkeit deutlich zugenommen, was unter anderem daran liegt, dass sich die Besucher nicht an die Regeln halten. Insofern wäre es sehr wichtig, dass sie in einem Buch wie diesem an zentraler Stelle erklärt werden, um die Situation nicht noch schlimmer zu machen.

Und wo ich gerade vom Übertourismus rede: Es ist schwer geworden, in Japan noch einigermaßen ruhig und entspannt zu reisen. „Train Japan“ hat aber einige schöne und ungewöhnliche Tourvorschläge, die abseits der ausgetretenen (und völlig überlaufenen) Pfade liegen und selbst auf Strecken wie Osaka-Kyoto entdecken sie wirklich attraktive Möglichkeiten, etwas Besonderes zu erleben. Ein sehr durchdachtes und mit viel Praxiserfahrung geschriebener Reiseführer, der die Negativentwicklungen der letzten Jahre allerdings ausblendet. Es ist z. B. heute nicht mehr so leicht, kurzfristige Planänderungen durch Ausweichen auf Alternativzüge zu realisieren. Die Langstrecken sollte man so früh wie möglich im Voraus buchen.

Richtig gestört hat mich, dass es keinen einzigen Hinweis auf Ressourcen für aktuelle Fahrpläne gibt. Das ist leider auch nicht mehr so einfach wie früher, als es noch Hyperdia gab, aber ein paar Alternativen kann man doch finden, auch wenn die nicht mehr so praktisch organisiert sind, wie Hyperdia damals.

Insgesamt ein origineller, fachkundig recherchierter und nur im Detail verbesserungswürdiger Spezial-Reiseführer. Bahnfahren ist jedenfalls die einzig richtige Art, in Japan zu reisen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.