Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
VolkerM

Bewertungen

Insgesamt 148 Bewertungen
Bewertung vom 26.05.2025
Gemütlich war es nie
Herles, Wolfgang

Gemütlich war es nie


ausgezeichnet

In seinem Buch blickt Wolfgang Herles (geb. 1950) auf sein Leben als Journalist zurück und schildert die Veränderungen in Medien, Politik und Gesellschaft. Er erzählt von Begegnungen mit Persönlichkeiten wie Helmut Kohl, Bill Gates und Steve Jobs und reflektiert kritisch über Globalisierung und gesellschaftliche Entwicklungen. Dabei beschreibt er unter anderem seine Erfahrungen als Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios und seine Rolle als unbequemer Skeptiker, der Themen auch gegen den Mainstream kritisch hinterfragt. Dadurch eckte er häufig bei seinen Vorgesetzten und den von ihm interviewten Personen an, was ihn nicht selten an den Rand eines Rausschmisses brachte. Er war ein Querdenker im alten, positiv besetzten Sinn.

Herles fokussiert weniger auf dem, was ihm in seinem beruflichen Werdegang gelungen ist, als auf dem, was ihm misslang. Seine Kommentare und Schilderungen der gesellschaftlichen und politischen Veränderungen zeigen, dass es auch früher unruhige Zeiten gab, die Veränderungen heute jedoch eine viel höhere Geschwindigkeit erreicht haben. Besonders gut hat mir seine pointierte Sprache gefallen, wo er deutliche Kritik übt, beispielsweise gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, seinen Kollegen und Vorgesetzten (bis hin zum Intendanten), Politikern oder gesellschaftlichen und politischen Veränderungen. Kritisch sieht er z. B. die Berichterstattung über die Folgen des Mauerfalls, Merkels Migrationspolitik, faktisches Zwangsgendern, die postkoloniale Identitätspolitik, Wokeness, die unübersehbare Cancel Culture sowie die überdetaillierte Geschlechteridentifikation, um nur einige zu nennen.

Der Autor verachtet Haltungsjournalismus jeder Art, womit er Hanns Joachim Friedrichs folgt, der sinngemäß sagte: „Es ist die Pflicht aller Journalisten, sich mit keiner Sache gemein zu machen, auch nicht mit einer guten.“ Über das ZDF urteilt Herles hart, da sich der Sender in Bezug auf die Berichterstattung häufig als „Staatssender“ versteht, kritischer Journalismus dort nicht erwünscht ist. Damit ist die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien hinfällig. Herles zufolge ist es die Aufgabe von Journalisten, die Legitimation des Staates und seiner Amtsträger infrage zu stellen, statt nach deren Mund zu reden. Sein Fazit ist somit auch ernüchternd: „Ich bin ebenso ein Auslaufmodell wie der Bildungsauftrag des Senders.“

Herles ist ein Meister darin, Sachverhalte pointiert auszudrücken. Mir werden viele seiner Aussagen in Erinnerung bleiben: „Ein Staat soll funktionieren, nicht seine Bürger erziehen. Heute regieren Gesinnungstäter. Moral sollte in der Politik niemals Rationalität ersetzen.“ oder „Der Gleichschritt der Medien hat Gleichschaltung nicht nötig. Sie geschieht wie von selbst.“, „Heute käme eine Sendung, die auf grünen Haltungsjournalismus verzichtet, gar nicht mehr ins Programm.“, „Emotionalisieren geht vor Reflektieren, die ‚richtige‘ Haltung zählt mehr als Distanz.“, „Gesellschaftliche Konflikte werden in Deutschland mit Geld erstickt.“ Das ist Deutschlands traurige Wahrheit auf den Punkt gebracht.

Herles Erinnerungen sind ein scharf gezeichnetes Porträt seiner und unserer Zeit, voller persönlicher Einblicke und politischer Brisanz. Das Buch verbindet persönliche Erinnerungen mit politischen Analysen und bietet einen kritischen Blick auf die deutsche Medienlandschaft. Wer eine Mischung aus Autobiografie und scharfem gesellschaftlichen Kommentar sucht, wird hier fündig.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.05.2025
Japan mit dem Zug entdecken
Reich, Matthias

Japan mit dem Zug entdecken


ausgezeichnet

Eines vorweg: Dieses sehr inspirierende und mit ungewöhnlichen und überraschenden Ideen aufwartende Buch ist eher nichts für absolute Japan-Neulinge. Schon der Umstand, dass Matthias Reich so gut wie keine allgemeinen Hintergrundinfos zum Bahnbetrieb, dem Verhalten in Zügen und an Bahnhöfen oder auch nur der Informationsbeschaffung zu JR-Fahrplänen schreibt, lässt den Schluss zu, dass der Autor sich an ein etwas erfahreneres Publikum wendet. Und die Auswahl der Ziele und Strecken bestätigt aus meiner Sicht diese Strategie und damit bedient dieses Buch ein Thema, zu dem es bisher buchstäblich nichts auf dem Markt gab: Was macht man in Japan, wenn man die Top-Sehenswürdigkeiten alle gesehen hat? Der Zug ist in der Tat das beste, pünktlichste und bequemste Fahrzeug, mit dem man in Japan reisen kann. Ich weiß, wovon ich rede, ich fahre seit fast 20 Jahren regelmäßig hin, aber mir gehen die Ziele aus und an den Hotspots ist Japan mittlerweile durch den völlig aus dem Ruder gelaufenen Übertourismus unerträglich geworden. Da ist „Japan mit dem Zug entdecken“ eine echte Offenbarung!

Matthias Reich hat wirklich außergewöhnliche Strecken auf allen drei Hauptinseln gefunden, die das ganze Land kulturell und geografisch „erschließen“ und das meist fernab der ausgetretenen Touristenpfade. Natürlich sind auch Standardziele (Kyoto, Tokyo, Osaka etc.) mit auf dem Fahrplan, aber sie sind keine Schwerpunkte, sondern nehmen genauso viel Raum ein, wie Shimabara oder Kushiro, die sonst eher nur Spezialisten kennen. Auf den Strecken liegen viele kleine und größere Entdeckungen, die dem normalen Japantouristen meist verborgen bleiben, einfach weil es aufwendig und langwierig ist, dort hinzukommen. Auch das war für mich in der Vergangenheit ein Grund, einige der Ziele, die ich inhaltlich kannte, nicht zu besuchen. Matthias Reich verbindet den Aufwand aber z. B. mit außergewöhnlichen Sonderzügen (von denen es in Japan viele gibt!), nutzt kreative Streckenführungen oder gibt Tipps zur Fahrtunterbrechung und wie man sich die Zeit einteilt. Die übersichtliche Struktur und informativen Bilder runden das Ganze sinnvoll ab. Sobald kleine Privatbahnen involviert sind, liefert der Autor auch ganz konkrete Informationen zu Webseiten und Fahrplänen, die er bei JR-Strecken eher nur summarisch andeutet. Leider hat die ehemals sehr komfortable und umfangreiche Fahrplanauskunft Hyperdia viele Services eingestellt und aktualisiert auch nicht mehr regelmäßig, da hätte ich mir von Matthias Reich vielleicht einen aktuellen Tipp gewünscht, ansonsten bin ich wunschlos glücklich.

Dieses Buch öffnet mir im wahrsten Sinn ganz neue Seiten in Japan und hat richtig Lust gemacht, nochmal hinzufahren.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.05.2025
Postkoloniale Mythen
Brodkorb, Mathias

Postkoloniale Mythen


ausgezeichnet

Schon früh hat mich an der sogenannten „postkolonialen Theorie“ gestört, dass sie den Westen und weiße Menschen pauschalisiert als Täter diffamiert. Verbreitete Aussagen wie: „Weiße Menschen können per Definition nicht rassistisch diskriminiert werden“ sind bei Licht betrachtet eine schwere rassistische Diffamierung. Die Postkolonialen blenden auch die Täterschaft indigener Völker bewusst aus ihrem Konzept der „Verantwortung“ aus, um zu den „richtigen“ Schlüssen zu kommen: schuld ist der Westen, schuld sind die Weißen. Immer und für alle Zeit.

Mathias Brodkorb wirft einen sehr genauen und kritischen Blick auf die theoretischen Grundlagen dieser Argumentation und beleuchtet die konkreten Auswirkungen auf unsere Museen und die Politik. Das Ergebnis ist einfach nur erschreckend und erinnert stark an totalitäre Systeme, die ebenfalls die Wahrheit unterdrücken, um ihre Macht zu sichern. Brodkorb zeigt, wie politische Aktivisten das System unterwandert haben und mit immer den gleichen Falschdarstellungen und Leugnungen bei Museen im wahren Sinn „offene Türen einrennen“. Selbst Staaten wie Österreich, die niemals auch nur eine Kolonie besessen haben, suchen krampfhaft nach Möglichkeiten, um sich schuldig zu fühlen, damit auch sie in die Restitutionsdebatte einsteigen können. Und was ist nicht alles schon „restituiert“ worden! In Deutschland wurden fast alle Benin-Bronzen aus unterschiedlichsten Sammlungen an Nigeria zurückgegeben, mehr als 1000 Stück. Vereinbart war, die Exponate in Nigeria in einem Museum öffentlich zugänglich zu machen. In der Praxis wurden die Stücke vom nigerianischen Staat sofort dem Oba von Benin als Privatbesitz übereignet, ausgerechnet dem Nachfahren des größten Sklavenhändlers Ostafrikas. Dass der Sklavenhandel in Afrika muslimische Wurzeln hat, von Schwarzen betrieben wurde und erst auf Druck der Kolonialstaaten im 19. Jahrhundert weitgehend abgeschafft wurde, spielte bei der Restitutionsdebatte keine Rolle, genauso wenig wie der Umstand, dass die Beninbronzen als Resultat einer Strafexpedition in den Westen kamen, da mehrere Hundert Briten in Benin bei einem Überfall ums Leben kamen, nachdem ein Gesetz gegen den Sklavenhandel in Kraft kam. Der Oba von Benin, als wichtigster Sklavenhändler der Region, hatte den Aufstand angezettelt. Deutschland überließ seinen Nachfahren dafür Kunstwerke im Wert von fast einer Milliarde Euro, aus „moralischer Verantwortung“, denn einen rechtlichen Anspruch gibt es nicht. Zweierlei Maß für den Westen und „die anderen“, ein geradezu stereotypes Muster in der postkolonialen Debatte.

Mathias Brodkorb hat noch viele andere Beispiele aus Hamburg, Leipzig und Wien, wo es Auswüchse gibt, die rational nicht mehr zu erklären sind. Gefühl statt Wissen, Geschichten statt Geschichte, „demokratische“ Diskussionsrunden unter Laien statt Expertenentscheidungen bestimmen Ausstellungen deren Inhalte. Unsere Museumslandschaft scheint in völliger Auflösung begriffen zu sein und versteht sich nicht mehr wie früher als Hort von Wahrheit und Wissenschaft, sondern als politischer Agitator, der seinen historischen Sammlungsauftrag einfach ignoriert. Es ist zum Haareraufen, aber ein Ende ist vorerst nicht in Sicht, weil sich diese Strukturen bereits verfestigt haben. Dass Mathias Brodkorb einen Verlag gefunden hat, der sich traut, diese Wahrheit zu publizieren, ist zumindest ein gutes Zeichen. Der woke Irrsinn, der mittlerweile eindeutig totalitäre Züge trägt, muss aufhören, sonst ist es um die Demokratie bald geschehen.
Bertold Brecht hat einmal geschrieben: „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.“ Brecht steht nicht gerade im Verdacht, nicht links genug gewesen zu sein. Vielleicht hört ja jemand im postkolonialen Universum die Signale.

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.05.2025
Das große Handbuch der japanischen Küche
Harada, Sachiyo

Das große Handbuch der japanischen Küche


ausgezeichnet

Die japanische Küche hat einige charakteristische Merkmale, die sie von anderen erkennbar unterscheidet: Sie ist oft minimalistisch, stellt die Zutaten in den Mittelpunkt, nutzt gerne fermentierte Lebensmittel und legt großen Wert auf eine „aufgeräumte“ Präsentation. Das Auge isst in Japan immer mit.
Alle diese Aspekte werden in diesem hervorragend konzipierten und anschaulich illustrierten Kochbuch der japanischen Küche berücksichtigt und umgesetzt. Das Handwerkliche steht im besonderen Fokus, indem viele Arbeitsschritte detailliert mit Fotos begleitet werden.

Im Kapitel „Grundlagen“ wird die Zubereitung von Grundnahrungsmitteln gezeigt: Reis und Nudeln. Klingt simpel, ist in Japan aber eine Kunst und man schmeckt definitiv einen Unterschied zur „europäischen“ Variante. Dann folgt eine Art Warenkunde mit vielen typischen, aromatisierenden Zutaten, von Soyasauce bis Dashi. Grundlegende Arbeitstechniken und wiederkehrende Grundrezepte für Saucen u. ä., sowie das Standardrezept für süß-sauer Eingelegtes schließen das Kapitel ab. Nichts von dem, was die Autorin verwendet, lässt sich nicht in einem gut sortierten Asialaden auch hier beschaffen.

Den weitaus größten Umfang hat der Abschnitt mit den Einzelrezepten, die wirklich ausgezeichnet und im Detail erklärt werden. Oft erschließen sich bestimmte Schritte oder Handgriffe in ihrer Raffinesse erst, wenn man es in der Praxis probiert. Ganz typisch ist der geringe Grad von Verarbeitung (gepaart mit handwerklicher Präzision), so dass der Eigengeschmack der Zutaten immer im Vordergrund bleibt. Sehr gefallen hat mir, dass die Autorin auch Rezepte aufgenommen hat, die Japan aus anderen Teilen der Welt übernommen und japanisiert hat. Dazu gehört z. B. Tonkatsu („Schnitzel“) oder auch die Biskuitrolle, die in Japan mit Grünteepulver gefärbt und aromatisiert wird. Auch das japanische Curry hat nur entfernt Ähnlichkeit mit seinem indischen Vorbild. Man muss das wirklich alles probieren, es ist ein kulinarisches Wunderland.

Ich bin seit Jahrzehnten Japanenthusiast, kenne das Land und seine Küche aus langer persönlicher Anschauung und kann nicht genug davon bekommen. Dieses Kochbuch gehört in Umfang und Eindringtiefe zu den besten, die ich bisher in der Hand hatte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.05.2025
Harry Rowohlt
Solloch, Alexander

Harry Rowohlt


ausgezeichnet

Harry Rowohlt hat eine große Fangemeinde, zu der ich mich auch zähle, aber nicht alles, was er aus seinem Leben erzählte, entsprach auch der Wahrheit. Er war ein genialer Geschichtenerzähler, ein begnadeter Vorleser und Alleinunterhalter, nur opferte er eben gerne auch mal für eine gute Geschichte die Wahrheit. Alexander Solloch hat sich durch Rowohlts riesiges Archiv gewühlt und mit zahlreichen Wegbegleitern gesprochen, nicht zuletzt seiner Witwe Ulla, die ihm freien Zugang zu allen Informationen gab. Harry Rowohlt bewahrte alle Briefe auf, die er verschickte (ca. 30.000), und auch viele von denen, die er erhielt. Eine biografische Schatztruhe für den, der sich daran wagt.

Solloch meistert diese Aufgabe locker: Mit einer fast schon rowohltschen Lust am Formulieren und großer Pointensicherheit hat er sich der Person Harry Rowohlt mit Sympathie, Respekt und einem biografisch-kritischen Auge genähert. Herausgekommen ist ein schillerndes, spannendes und vielschichtiges Rowohlt-Universum, das den Leser von einem Kapitel ins nächste zieht. Auch wenn die Struktur weitgehend chronologisch ist, erlaubt sich Solloch zahlreiche Abschweifungen (wie passend...), greift vor und kommentiert in der Rückschau. Es ist eine echte Freude, vor allem, wenn man die offensichtlichen Parallelen zu Rowohlts eigenen Erzähltechniken bemerkt.
Ein ziemlich umfangreiches Kapitel widmet sich Harry als Übersetzer. Wer seine eleganten und stilistisch brillanten Übersetzungen kennt, ahnt nicht mal im Entferntesten, wie elegant und stilistisch brillant sie wirklich sind. Alexander Solloch hat nicht nur die Originalpassagen dagegengestellt, sondern auch ältere Versionen anderer Übersetzer. Da wundert es nicht, dass Harry Rowohlt mit vielen „seiner“ Autoren ein ausgesprochen herzliches, oft freundschaftliches Verhältnis hatte, auch das ein wiederkehrendes Motiv in Sollochs Biografie. Wenn Harry eines besonders gut beherrschte, dann die Fähigkeit, Freundschaften zu pflegen. Nicht immer mit Erfolg, aber meistens. Was übrigens nicht heißt, dass er nicht auch mürrisch sein konnte, im Gegenteil. So richtig durch und durch menschenfreundlich wurde er eigentlich erst ein paar Jahre vor seinem (viel zu frühen) Tod.

Diese Biografie räumt mit vielen Mythen auf, zeichnet aber ein authentisches und vielschichtiges Bild einer authentischen und vielschichtigen Persönlichkeit. Eines Menschen, der mit seiner Herkunft haderte, der lange brauchte, um seinen Weg zu finden, dem viele Zufälle einmalige Möglichkeiten boten, die er auch als Chance ergriff. Die Popularität hat er nicht gesucht, aber sein Bühnenleben und die Anerkennung genossen.

Ein richtig schönes, witziges und von warmherziger Sympathie getragenes Buch. Harry hätte es gefallen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.04.2025
No-Knead-Brötchen ohne Formen
Schell, Valesa

No-Knead-Brötchen ohne Formen


sehr gut

Valesa Schell verspricht Brötchen ohne Kneten und das Versprechen hält sie, das nur schon mal vorneweg. Ihr Brötchenteig wird lediglich verrührt und den Rest erledigt die lange Gehzeit, die aber ggf. durch längeres Rühren auch etwas reduziert werden kann. Aus der Masse wird der Teig gefaltet und dann portionsweise abgestochen.

Die Einführung z. B. zu Mehlen, den Gehzeiten, Rezeptangaben und Zubereitungsschritten ist knapp gehalten, aber ausreichend, um mit einfachen Rezepten (die nur Hefe als Triebmittel verwenden) direkt zu starten. Das klingt erst einmal sehr unkompliziert, aber zwei spielentscheidende Hürden sind mir beim Lesen direkt aufgefallen:

Erste Hürde: Ohne Dampfen („Schwaden“) gelingen die Brötchen nicht – und das sollte man wissen, bevor man das Buch kauft. Wenn man keinen Backofen mit eingebauter Dampffunktion hat, wird es schwierig. Eine Schüssel Wasser beim Backen in den Ofen zu stellen bringt jedenfalls nichts. Es gibt zwar mittlerweile separate Dampferzeuger, die man im Backofen platziert, aber diese Systeme kosten rd. 150 Euro. Da bekommt man eine Menge Brötchen für. Es gibt auch Selbstbauanleitungen für Bastler, aber das ist auch nicht ganz trivial. Einfach mal bei youtube stöbern, denn die Autorin erwähnt nur, dass beim Backen Schwaden zwingend erforderlich ist, wie man das realisiert, sagt sie nicht. Schade.

Zweite Hürde: Sehr viele Rezepte verwenden als Triebmittel „Lievito Madre“ - einen italienischen Sauerteig, der besonders mild ist. Die Autorin beschreibt zwar, wie man ihn selbst ansetzt, aber das erfordert ständige Wachsamkeit und Pflege. Da kann schon ein egoistischer Kurzurlaub den Sauerteig umkippen lassen. Ob mit oder ohne „Lievito Madre“, der überwiegende Teil der Rezepte braucht letztlich Sauerteig.

Hat man diese beiden Hürden aber gemeistert, wird man sich an den vielen Rezepten (von herzhaft bis süß) erfreuen. Wirklich außergewöhnlich ist das Splitterbrötchen, das in Lagen gebuttert und gefaltet wird – ähnlich wie ein Croissant, aber mit knackiger Kruste. Die süßen Bananen-Schoko-Wölkchen fand ich auch sehr lecker und in ihnen kann man überreife Bananen gut verarbeiten (ich verwende die aber auch als Zutat in meinem normalen selbstgebackenen Brot, damit es länger saftig und frisch bleibt). Es gibt Varianten für wirklich jeden Geschmack. Die Vielfalt hat mich jedenfalls begeistert.

Sieht man vom entscheidenden Faktor „Dampfen/Schwaden“ ab, ist das Buch sehr empfehlenswert, aber man sollte wissen, was für ein Aufwand und nicht unerhebliche Zusatzkosten dahinterstecken.

6 von 13 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.04.2025
Co-Intelligenz
Mollick, Ethan

Co-Intelligenz


ausgezeichnet

Wird uns Künstliche Intelligenz (KI) in Zukunft wirklich helfen oder haben wir die Büchse der Pandora geöffnet? Ethan Mollick, Professor an der Wharton University (USA), beschreibt in seinem Buch „Co-Intelligenz“, wie Menschen und künstliche Intelligenz zusammenarbeiten können, um Innovation und Produktivität zu steigern. Mollick argumentiert, dass KI nicht als Bedrohung, sondern als Partner gesehen werden sollte - sei es als Kollege, Lehrer oder als kreative Unterstützung. Das Buch bietet praktische Einblicke in die ethischen und technologischen Herausforderungen der generativen KI und zeigt, wie sie sinnvoll eingesetzt werden kann. Es beleuchtet, wie große Sprachmodelle unsere Arbeitsweise verändern und neue Möglichkeiten zur Erweiterung des menschlichen Potenzials schaffen. Statt Angst vor der Automatisierung zu schüren, ermutigt Mollick dazu, KI als Werkzeug für die persönliche und berufliche Weiterentwicklung zu begreifen. Allerdings verschließt Mollick auch nicht die Augen vor den negativen Risiken wie Arbeitsplatzverlust, Datenmissbrauch, Fehlverhalten oder unerwarteten Entscheidungen der KI.

Mollick konzentriert sich in seinem Buch auf Sprachmodelle (LLM), die die Basistechnologie für generative KI wie ChatGPT darstellen. In allgemein verständlicher Form erklärt er die Begriffe und Besonderheiten dieser neuen Technologie.
Wie funktionieren Sprachmodelle? Warum sind sie nur „Textvorhersagemodelle“? Woher stammen die Trainingsdaten? Wie können Sprachmodelle manipuliert werden? Was sind Prompts? Kann KI plagiieren? Warum sind KI-Systeme oft voreingenommen, haben Vorurteile und neigen zu Halluzinationen? Welche Gefahren birgt die generative KI? Für den Leser wird deutlich, dass KI alles andere als berechenbar und verlässlich ist - ganz im Gegensatz zu herkömmlichen Softwaresystemen. Sie verarbeitet und analysiert nicht nur Daten, sondern trifft nuancierte Urteile, fasst komplexe Konzepte zusammen und kann ihre Reaktionen aufgrund der ihr zur Verfügung gestellten Informationen anpassen.

Besonders interessant fand ich, wenn der Autor von seinen Experimenten und Studien berichtet, die er seiner Universität, teils in Zusammenarbeit mit Partnern wie der Boston Consulting Group, durchgeführt hat. Über „Prompts“ hat er z. B. untersucht, wie sich die Ergebnisse durch eine unterschiedliche Interaktion mit der KI verändern. Mal betrachtete er die KI als Widersacherin und wollte sie zum Streiten animieren, mal stellte er die Anfrage sachlich akademisch - und zeigt, wie unterschiedlich die KI reagieren kann. Sachlich, emotional, aber auch feindselig und verstörend - menschlich halt.
Andere Studien und Experimente haben gezeigt, dass KI auch bei kreativen Aufgaben oft besser ist als der Mensch ... und schneller sowieso. Aus Sicht des Autors wäre es daher töricht, KI nicht in die Prozesse einzubeziehen, insbesondere wenn der Mensch sich selbst nicht für besonders kreativ hält. Besonders bemerkenswert fand ich, dass Studien immer wieder gezeigt haben, dass Personen mit geringerer Kompetenz am meisten von KI profitieren, aber auch die Besten sich verbessert haben. Es ist wahrscheinlich, dass KI wirklich zu unserer Co-Intelligenz wird.
Mollick zeigt auch Prompt-Beispiele für Vorschläge zur Ideenfindung von Firmennamen oder Werbeslogans und erläutert die Prinzipien der Formulierung. So kann der Leser eigene Prompts entwickeln und in der Praxis ausprobieren.

Abschließend skizziert der Autor verschiedene Möglichkeiten, was aus seiner Sicht in den nächsten Jahren in der Welt der KI passieren könnte. Von der Möglichkeit, dass es kein oder nur ein langsames Wachstum geben wird (Trainingsdaten fehlen, Kosten-Nutzen-Aufwand zu hoch, gesetzliche Einschränkungen) bis hin zu einem exponentiellen Wachstum (Schwungradprinzip) oder der Entstehung einer Superintelligenz, die den Menschen „ablöst“.

Ein spannendes, praxisorientiertes und lesenswertes Buch, das aufzeigt, wie wahrscheinlich es ist, dass KI tatsächlich zu unserer Co-Intelligenz wird und den Menschen zum Cyborg macht. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Amerikaner in neuen Technologien immer vor allem das Positive sehen, während wir Deutschen uns gerade um Datenschutz und Datensicherheit sorgen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.04.2025
Aufbruch ins Weltall
Delalande, Arnaud

Aufbruch ins Weltall


sehr gut

Seit der Steinzeit ist der Mensch vom All fasziniert. Der Himmel war zwar immer religiös besetzt, aber erst mit der Möglichkeit der Raumfahrt kam er faktisch in Reichweite.

Die Graphic Novel erzählt Teile dieser Geschichte und fokussiert sich vor allem auf die Eroberung des Mondes. Die Grundlage der Raketentechnik legt Wernher von Braun, dessen Internierung durch die Amerikaner zwar noch Thema ist, über dessen durchaus wichtige Beiträge zur Raumfahrt dann seltsamerweise aber nicht mehr berichtet wird. Stattdessen rückt der Wettlauf zwischen USA und UdSSR ins Scheinwerferlicht, ein spannendes Kapitel, das aber dann ebenfalls abbricht, nachdem den Amerikanern ihre erste Mondumrundung gelingt. Die dramatischen Fehlschläge im russischen Raumfahrtprogramm werden erst gegen Ende des Buches auf einer Seite abgehandelt, was aus meiner Sicht bedauerlich ist, denn es hätte einen zusätzlichen Spannungsbogen erlaubt.
Die Apollo-Missionen werden sehr ausführlich und teilweise mit vielen technischen Hintergrundinformationen dargestellt, die ich manchmal übertrieben detailliert fand. Die dramatische Ereignisse der Apollo 11 und 13 Missionen haben mir dagegen sehr gut gefallen, sie sind, wie alle verwendeten Fakten historisch korrekt und auch anschaulich illustriert. Womit wir bei der grafischen Qualität sind: Die ist hervorragend. Die Zeichnungen sind ausgesprochen detailreich, basieren fast immer auf Originalfotografien, die beteiligten Personen sind wiedererkennbar portraitiert und auf die Darstellung der technischen Ausrüstung legt der Zeichner Arnaud Delalande ganz besonders großen Wert. Viele ikonische Fotografien erkennt man sofort wieder (angefangen beim Titelbild) und die Liebe zum Detail macht diese Graphic Novel wirklich außergewöhnlich.

Die Errungenschaften nach der Mondlandung werden dann eher summarisch abgehandelt. Die Entwicklung der Raumstationen, der Weltraumteleskope und die zahlreichen Expeditionen zu diversen Himmelskörpern im Sonnensystem kommen aus meiner Sicht deutlich zu kurz und es geht weniger um die bahnbrechenden wissenschaftlichen Ergebnisse, sondern um die Personen, die in Leitungspositionen der ESA verantwortlich waren und hier eine Plattform erhalten. Das ist oft reines Name Dropping von Leuten, die niemand kennt, mit einem irritierenden Fokus auf Franzosen. Auch der Ausblick in die Zukunft bleibt im Verhältnis zur ausführlichen Behandlung der Mondmissionen zu unscharf und wird sogar etwas esoterisch.

Als Fazit hat mir das Buch insgesamt doch gut gefallen. Die meisten Kapitel sind spannend aufbereitet und durchgehend hervorragend illustriert, nur zum Ende hin schwächelt der Inhalt etwas.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.04.2025
Radatouille
Magro, Jean-Marie

Radatouille


ausgezeichnet

Frankreich ist eine begeisterte Radfahrernation, auch wenn seit 1985 kein Franzose mehr die Tour gewonnen hat. Selbst die „Verlierer“ werden dort als Helden gefeiert, denn nicht selten ist ihr Schicksal tragisch. Unfälle, Krankheiten, Pannen, aber niemals mangelnder Einsatz.

Jean-Marie Magro kommt aus München, hat französische Wurzeln und sich das Ziel gesetzt, das Land seines Vaters mit dem Rad zu erkunden: 3000 Kilometer in 21 Tagen und 40 000 Höhenmetern ist eine sportliche Höchstleistung, aber Jean-Marie möchte nicht einfach nur Urlaub machen. Er ist Journalist und will Frankreich auch in die Seele blicken, hat dafür zahlreiche Begegnungen geplant und die ungeplanten kommen noch obendrauf. Die sind oft die spannendsten und bei 3000 Kilometern gibt es genügend Gelegenheiten.

Das Buch ist ein thematischer Rundumschlag, indem es politische, sportliche und kulturelle Aspekte journalistisch verknüpft. Da sind kulinarische Ausflüge genauso möglich wie Betrachtungen über die regionalen Charaktereigenschaften der Einwohner, die mindestens so unterschiedlich sind wie bei uns die zwischen Hamburgern und Bayern. Magro fährt durch Ballungsräume wie Paris, wo Autofahrer systematisch aus der Stadt gemobbt werden und fast menschenleere Gegenden. Ihm passieren natürlich Unfälle und die Tour führt ihn einige Male auch an körperliche Grenzen. Im Gegensatz dazu stehen Momente voller Glück und unerwartete, spannende Begegnungen, positive wie negative. Magro erlebt Frankreich in allen seinen Facetten und das ist das eigentliche Ziel seiner Tour: Eine Reise zu seinen persönlichen familiären Wurzeln und ein aktueller Blick in die Befindlichkeiten der Franzosen, die heute so zerrissen sind wie lange nicht mehr in der Geschichte.

Radatouille endet in der Provence auf dem Mont Ventoux, Schicksalsberg und Sehnsuchtsort für viele Radfahrer. Ein Freund von mir gehört zu den „Verrückten“, die an einem Tag dreimal hoch und runtergefahren sind, ohne dass die Sucht nach dem Radfahren nachließe, im Gegenteil. Für ihn und alle Frankreich- und Radbegeisterten ist das Buch eine ideale Lektüre, Ideenlieferant und Ansporn. Ich glaube, ich schenke es Torsten zum Geburtstag.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.04.2025
Holkham - An English Treasure House and Its Landscape

Holkham - An English Treasure House and Its Landscape


ausgezeichnet

Viele gibt es nicht mehr von ihnen: Holkham gehört zu den wenigen noch in Familienbesitz befindlichen Herrenhäuser Englands. Die hohen Zwangsabgaben nach dem Zweiten Weltkrieg führten die historischen Immobilien der meisten Großgrundbesitzer in den National Trust, der sich seitdem um die Erhaltung und Vermarktung kümmert. Mindestens ebenso viele wurden allerdings abgerissen. Holkham hat den Umbruch geschafft, trotz hoher Abgaben und anderer ungünstiger Entwicklungen in der (Familien)geschichte. Heute hat sich das wirtschaftliche Konzept völlig verändert und setzt vor allem auf Tourismus, denn eine reine Landwirtschaft wäre längst nicht mehr profitabel. 450 Mitarbeiter arbeiten heute auf Holkham, so viele wie nie in der Geschichte und das Unternehmen wurde 2023 als „Best large employer in East England“ ausgezeichnet, was für ein herausragendes soziales Engagement spricht.
Der Band ist eine deutlich erweiterte Neuauflage der 2005 erschienenen Monografie, mit zusätzlichen Kapiteln und Fotos, die dem Leser nicht nur einen groben Eindruck des Anwesens vermitteln, sondern fast so lebendig sind wie ein Besuch vor Ort. Alle Räume des Hauptgeschosses werden im Detail vorgestellt, Ansichten aus allen Blickwinkeln, oft noch ergänzt durch Virtual Reality, die mit der Hirmer-App Schwenks und Zooms im Raum erlauben. Bei mir haben allerdings bestimmte Konstellationen zum Absturz der App geführt und die Zooms haben z. T. nicht die gleiche Bildauflösung, sind also digital.

Die von anerkannten Experten geschriebenen Einzelbeiträge beleuchten die wechselvolle Familiengeschichte, deren Adelslinie im 19. Jahrhundert sogar abriss und in einem anderen Zweig der Familie Coke neu installiert wurde. Ein besonderer Fokus liegt auf Thomas Coke, dem 1. Earl of Leicester der 1. Linie, der Mitte des 18. Jahrhunderts Holkham Hall maßgeblich plante und entwarf. Thomas Coke war kein Architektur-Dilettant, sondern hatte sich auf Reisen und durch Selbststudium so weit fortgebildet, dass das Werk tatsächlich als originär von ihm gelten kann. An der sofortigen Ausführung durch eine spektakuläre finanzielle Fehlinvestition gehindert, hatte er 10 Jahre daran geplant, bevor der erste Stein gesetzt wurde. Das Ergebnis ist das wohl schönste palladianische Herrenhaus Englands, das durch äußere Form genauso überzeugt wie durch die historisch gewachsenen und authentisch erhaltene Inneneinrichtung. In der vorliegenden Neuausgabe werden zahlreiche, z. T. erst kürzlich entdeckte Dokumente zur Planungsgeschichte vorgestellt.

Die Innenräume sind ein weiterer Schwerpunkt der Einzelkapitel. Sie werden zum einen als architektonische Meisterwerke dargestellt, zum anderen aber auch als Schatzkammer des Hauses, mit einer der besten privaten Sammlungen antiker Skulptur in England und Gemälden von Weltrang. Viele Vorfahren des heutigen Earl of Leicester waren umtriebige Sammler, die Kunstagenten beschäftigten und auf eigenen Reisen Werke kauften. Das Ensemble sticht in seiner Vielfalt und Qualität deutlich aus den oft „geplünderten“ Einrichtungen in Häusern des National Trust hervor. Alles zeugt von Geschmack und einer nach Generationen zählenden Sammlungsgeschichte. Die Sammlung selber wird übrigens in Kürze auch als Monografie publiziert werden.
Besonders interessant ist das Kapitel über die Funktionsweise des Hauses, das von Anbeginn auf Praktikabilität (im Rahmen der adligen Wohnkonventionen) und Repräsentation setzte. Darin unterscheidet es sich letztlich auch fundamental von seinen palladianischen Vorbildern aus dem 16. Jahrhundert, die niemals wirklich „funktionierten“, sondern deren Zimmerstruktur schlichtweg die Struktur Außenfassade spiegelte. Insgesamt etwas detailliertere Informationen zur praktischen Organisation des Alltags im 18. und 19. Jahrhundert hätte ich mir gewünscht.

„Holkham“ ist einerseits ein klassisches Coffee Table Book zum Durchblättern und Träumen, andererseits aber auch inhaltlich überzeugend. Wer in der Gegend ist, sollte sich Holkham jedenfalls nicht entgehen lassen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.