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rockchickdeluxe

Bewertungen

Insgesamt 6 Bewertungen
Bewertung vom 19.06.2025
Abschied
Haffner, Sebastian

Abschied


ausgezeichnet

Haffner Sebastian. Abschied.
Hanser Verlag.

So endet die Buchvorstellung, bevor die erste Seite beginnt:
Dieser (Roman) wurde nie veröffentlicht. 1932 auf der Schwelle zur NS Herrschaft verfasst, besteht Sebastian Haffners Abschied einmalig gewitzt und rasant auf Weltläufigkeit, Liebe und Überschwang. Für unsere Gegenwart ist er ein Ereignis.

Raimund ist verliebt in Teddy. Er fährt für ein paar Tage zu ihr nach Paris, entflieht dem bedrückenden Deutschland und taucht ein in die fröhliche Geselligkeit der Dreissigerjahre in der Metropole Frankreichs. Teddy ist Österreicherin, lebte in Berlin und wanderte nach Paris aus. Sie wird umgarnt von zahlreichen Herren, auf die Raimund eifersüchtig ist. Und doch kann er sich dem Charme, dem freundschaftlichen Umgang und der Leichtigkeit der Poeten, Studenten und herzlichen Weggefährten nicht entziehen.

Hier ist alles, was das Leben ausmacht. Freiheit, Fortschritt, Kunst, Savoir-vivre, ein enger Zusammenhalt und das Glück. Über allem schwebt die Melancholie des Abschieds. Der Roman von Sebastian Haffner zelebriert den Abschied in allen Facetten.

Der Text ist geprägt von Euphorie und unbeschwerte Leichtigkeit aber auch von Hoffnungslosigkeit und dem drohenden Unheil. Er ist weitsichtig und in seinen Andeutungen fast prophetisch. Gleichzeitig wird hier eine politische Denk- und Sichtweise deutlich, die unangepasster und diskursfreudiger nicht sein könnte. Die Jugend ist weltoffen, liberal, empfängt das Unbekannte mit offenen Armen und betrachtet andere Kulturen als Bereicherung. Und vielleicht gerade deshalb wurde die Bedrohung durch die Nationalsozialisten nicht ernst genug genommen, heisst es, vielleicht wurde sie zu lange als lächerlich rückständig abgetan.

Dieser posthum veröffentlichte Roman ist wirklich ein Ereignis. Er ist frech und witzig, voller literarischer Schönheit, vielschichtig und geradezu erschütternd in dem heutigen Wissen um den Aufzug des dunkelsten Kapitels der Geschichte.

Zum Niederknien schön.

Bewertung vom 12.06.2025
Teddy
Dunlay, Emily

Teddy


sehr gut

Alain Delon, Ingrid Bergmann, Jacqueline Kennedy Onassis, Steve McQueen. Referenzpunkte und leuchtende Sterne. Vor uns entfaltet sich die Welt der amerikanischen Oberschicht, der Schickeria, die Welt der Reichen und Schönen. Aber es ist auch die Welt derjenigen, die fast ganz oben sind und es nie wirklich schaffen.

Teddy von Emily Dunlay ist eine Studie einer Frau in ihrer Zeit, aber es ist vor allem ein Gesellschaftsportrait.

Es ist etwas passiert. Am Abend des 4. Juli 1969. Teddy wird von zwei Diplomaten verhört und lässt ihr bisheriges Leben Revue passieren. Sie ist seit ihrer Kindheit von den politischen Ambitionen ihrer Familie bestimmt. Die texanische Familie ist erzkonservativ, alles, was liberal, weltoffen oder fortschrittlich ist, ist automatisch auch kommunistisch. (Hallo, Gegenwart).

Teddy soll sich benehmen, sie soll ein respektables Mitglied der Gesellschaft sein und natürlich darf sie ihrer Familie keine Schande bereiten. Aber sie ist gerne unterwegs, heiratet nicht, hat Sex und gibt das Geld mit vollen Händen aus. Als sie dann doch den Diplomaten David heiratet, ziehen sie nach Rom. Immer wieder spricht sie davon, hier die Person werden zu können, die sie werden wollte. Sie will perfekt werden. Eine gute Gattin, elegant, stilvoll, vorbildlich. Doch Teddys wilde Seele lässt sich nicht bändigen. Was mag geschehen sein? Als sie die Dinge selbst in die Hand nimmt?

Wir begleiten eine Frau auf der Suche nach sich selbst. Eine Frau an diesem Ort und zu dieser Zeit lebt in klaustrophobischen Verhältnissen. Teddy ist naiv, kann nicht mit Geld umgehen, wird immer wieder limitiert. Wie kann sie einen selbstbestimmten Weg finden?

Der Roman ist leicht zu lesen und eingängig erzählt. Ich musste mich erst darauf einlassen, um dann aber auch wütend zu werden - ob der reaktionären Männer, der dekorativen Frauen, des Rassismus, der Frauenfeindlichkeit, der Lethargie und des schmerzhaften Luxus in der Welt des schönen Scheins. Ein absolut lesenswertes Buch für Sommertage und neue Perspektiven. Und irgendwie auch brandaktuell.

Bewertung vom 01.06.2025
Ocean - Gefangen im Blau
Clark, Polly

Ocean - Gefangen im Blau


gut

Englische Bücher haben oft einen ganz bestimmten Tonfall, eine eloquente Distanz, die seltsam losgelöst von den eigenen Gefühlen der Protagonist*innen erscheint. Dadurch entsteht die Fähigkeit, sich selbst aus der Ferne zu betrachten und das eigene Verhalten genau zu sezieren.

Und so untersucht Helen sich selbst, taucht ein in ihre psychologischen Muster, ist sich nicht zu schade, zu konstatieren, dass es doch schöner wäre, wenn sie sich in eine andere Richtung entwickelt hätte, nachdem der Horror der initialen, traumatische Erfahrung verebbt.

Stimmt. Sympathisch ist sie nicht. Das ist keine der Figuren. Ich konnte keine der Entscheidungen nachvollziehen und viele der Wendungen sind in meinen Augen so seltsam, dass ich ihre Relevanz für den Plot einfach nicht verstehe.

Ein Thriller ist Ocean nicht. Es ist Psychostudie, Familienstück, Kammerspiel, Experiment. Erst nach der Hälfte des Buchs kommen wir aufs Meer. Die Geschichte ist komplex, der Stil ziemlich literarisch.

Ein paar lose Enden bleiben jedoch liegen. Der Roman spielt mit dem Thema der verschiedenen Realitäten, doch diese Idee wird nicht konsequent zu Ende geführt, da gerade in der zweiten Romanhälfte der Actionanteil zunimmt und die psychologischen Projektionen in den Hintergrund geraten.

Trotzdem gibt es kein Entkommen. Sich selbst nicht und der Familie nicht. Wir verfolgen, wie hinter dem delikaten sozialen Gefüge das Unheil lauert. Hier widerspreche ich vehement. Vieles lässt sich verändern. Nur schafft sie es eben nicht, auch wenn sie ihre Hoffnungen in das Schiff gesetzt hatte, mit dem die Familie in See sticht. Aber, wie sie selbst beobachtet, trotz der Bewegung bleibt die Position, wie in einer kardanischen Aufhängung an Bord, die gleiche.

Und so erwarten wir den Showdown.

Polly Clark spielt mit popkulturellen Referenzen, Walter Mitty läuft ebenso durchs Bild wie Gleis 9 3/4. Die Sprache ist cool, englisch und eloquent, die Einsichten in die Köpfe der Figuren detailliert. Aber am Ende bliebt ich etwas ratlos zurück. Die zwei Teile des Buches fügen sich nicht richtig zusammen, etwas fehlt mir die ganze Zeit. Vielleicht Stringenz, vielleicht Verwundbarkeit, etwas zum Anknüpfen. Sind denn hier alle Soziopathen?

Ich empfehle das Buch allen, die gerne segeln, das Setting stimmt, die Aufbruchsstimmung auch.

Bewertung vom 18.05.2025
Magritte und Georgette
Monfils, Nadine

Magritte und Georgette


sehr gut

Was für ein Buch! Wer jemals ein Werk von Magritte gesehen und gemocht hat, der wird dieses kleine Meisterwerk lieben. Zugegeben, es ist schon Cosy Crime, aber mit so viel Herz und Seele und Kunstverstand!

Magritte & Georgette ist wie eine Tour durch Brüssel, hinein ins Herz Surrealismus. Mit grandiosen Sätzen für uns Nadine Monfils durch herrliche Milieustudien, die den Kreis um Magritte sofort auferstehen lassen. Die Schilderungen sind so wunderbar, dass die Kneipen und Schauplätze im Handumdrehen lebendig werden.

Ganz feinfühlig zeichnet die Autorin die Marotten und Eigenarten Magrittes nach, sein Zusammenleben mit seiner geliebten Georgette und seinem Hund. Es entsteht ein liebevolles Portrait eines grossen Künstlers, der fest in Brüssel verankert war. Die Recherchearbeit ist bewundernswert, und so ist der Krimi fast ein Biopic. Denn so lebendig, dass ein Film vor dem inneren Auge abläuft, ist das Buch ohnehin.

Die Kriminalfälle sind Liedern von Jacques Brel entlehnt, der zeitgleich in Brüssel lebte. Weil er eine grosse Leidenschaft für Detektivgeschichten und das Rätselhafte hat, beginnt Magritte mit seiner Frau als Assistentin zu ermitteln. Während er die Mordfälle löst, entsteht eine grandiose Innenschau des Surrealisten. Über seine Haltung zur Kunst, sein Umfeld, seine Kleidung, seine Ansichten, seine Vorlieben und das Essen, das er liebte. Immer wieder sind seine Werke eingeflochten, wo möglich mit kleinen Exkursen zur Entstehungsgeschichte. Seine Kindheit ist ebenso Thema wie seine Liebe zu seiner Stadt.

Er galt als Mann, der zwar die Routine verabscheute, in seinem festen Umfeld aber die Ordnung brauchte, um dem Absurden und Traumgleichen, aus dem seine Kunstwerke entstanden, einen festen Rahmen bieten zu können. Er verachtete die Psychoanalyse und weigerte sich, seine Bilder einer Deutung zu unterziehen. Vielmehr glaubte er an die Reflexion und Fähigkeit, des menschlichen Geistes, der große Freigeist.

„Wir werden uns unter allen Umständen weigern, etwas zu erklären, was ich jede Erklärung entzieht.“ Sein Anspruch an die Kunst war die reine Freude, das Wahre, das Schöne, das aus dem Unsagbaren ensteht und sich den Blick auf die Welt aus Kinderaugen bewahren. Und genauso schön ist dieses Buch, gespickt mit lustig-leichten Dialogen und traumschönen Sätze, so «blau wie der Himmel bei Matisse».

Bewertung vom 12.05.2025
HEN NA E - Seltsame Bilder
Uketsu

HEN NA E - Seltsame Bilder


sehr gut

Uketsu HEN NA E - Seltsame Bilder

Wer einen klassischen Kriminalroman mit verschrobenen Ermittler*innen und einem sich langsam entfaltenden Fall erwartet, der ist hier falsch. Hannah ist sicher kein gewöhnlicher Thriller. Es ist ein Experiment, es ist ein kunstvolles Gewebe aus Bildern und Text, die nebeneinander existieren und sich gegenseitig ergänzen. Der japanische Youtuber Uketsu hat ein Unikum geschaffen, das Leser*innen involviert und sie zur Betrachtung und Interpretation auffordert. Unkonventionell, verstörend, durchaus spannend aber eben auch in einer Parallelwelt zur Genredefinition.

Erzählt werden in HEN NA E vier Geschichten, deren verschiedene Handlungsstränge nach und nach miteinander verwoben werden. Immer wieder geschehen unerwartete Wendungen, so wie auch Social Media von Überraschungsmomenten lebt. In diesem Roman, der sich der Einordnung entzieht, halten sie die Spannung gekonnt hoch. Schritt für Schritt werden Bilder kombiniert und analysiert, das Buch ist gespickt von zahlreichen Abbildungen.

Die Protagonist*innen sind ein Blogge, der über seine schwangere Frau schreibt, ein angehender Journalist, dessen Kunstlehrer ermordet wurde und ein Mädchen, das seine Mutter umgebracht hat. Um die Zusammenhänge zu verstehen, ist es notwendig, die Bilder zu entschlüsseln. Die Bilder sprechen ihre eigene Sprache. Wachsmalstifte sind anders als Kugelschreiber und jedes Material und Mittel lässt Rückschlüsse auf die psychische Verfassung des*der Zeichnenden zu.

Das Leseerlebnis ist schnell, dynamisch und wendungsreich. Hier liegt aber auch die Schwierigkeit. Es ist keine Geschichte zum Eintauchen, die Charaktere bleiben eher durchscheinende Figuren, die eine Rolle übernehmen. Der Schreibstil ist sehr einfach, fast scheint es, als wäre es ein Buch in einfacher Sprache. Dadurch geht es schnell voran, auch das erinnert an schnelle Bildfolgen.

Die Dialoge sind allerdings gewöhnungsbedürftig, hier ist noch Verbesserungspotenzial. Sie erscheinen hölzern und unnatürlich, die Interaktion bleibt seltsam blutleer.

Wer sich aber darauf einlassen kann, erlebt eine Story, die Erwartungen boykottiert und Leser*innen begeistern wird, die gerne Rätsel raten.

Bewertung vom 08.05.2025
Die Nacht / Art Mayer-Serie Bd.3
Raabe, Marc

Die Nacht / Art Mayer-Serie Bd.3


ausgezeichnet

Art Mayer in düsterer Mission

Gebrochen und zerrissen kämpft sich Art Mayer durch Berlin und sein Dasein als angeschlagener Ermittler, der immer einen Fuß im Bereich des Illegalen hat. An seiner Seite Nele Tschaikowsky, die ihre eigenen Schlachten schlägt und loyal an seiner Seite ermittelt.

Die Suche nach Dana spitzt sich zu und wird dringender, denn das Jugendamt steht quasi vor der Tür, um Milla mitzunehmen. Aber das können Art und Leo nicht zulassen. Ganz nebenbei gilt es, den aktuellen Fall aufzuklären, in dem es vor Todesfällen nur so wimmelt. Und alle liegen entweder 1-2 oder 15 Jahre zurück. Die Kreise ziehen sich zusammen, und Dana wird der Dreh- und Angelpunkt, an dem alle Fäden zusammenlaufen.

Und davon gibt es ein ganzes Wollknäuel: Verfassungsschutz, private Interesse einzelner Beteiligter (Gerichtsmedizinassistent, BKA-Ermittler, Art, Richard Dressel, Richter am obersten Gericht in Berlin, Lissi, Adi und Dana, Walter und Danas Mutter. Sie alle verfolgen ihre eigenen Ziele, doch gegen die Wahrheit kommt am Ende niemand an.

Von Hitchcock abgeschaut entwickelt bei Marc Raabe immer die Geschichte in der Geschichte eine feine, spannungsgeladene Dynamik, die die Charaktere wunderbar lebendig macht und mich schon wieder von der erste bis zur letzten Seite hat mitfiebern lassen.

Marc Raabe ist für mich einer der besten Krimiautoren der Gegenwart. Fantastische Dialoge, die uns ohne Unstimmigkeiten um die Ohren fliegen, eine komplexe Story und vielschichtige Figuren. Nele und Art treffen Entscheidungen, die moralisch auch mal widersinnig sein können, sind grundanständig und pflichtbewusst, doch immer der Sache so weit verschrieben, dass sie die Regeln doch das eine oder andere Mal sehr weit beugen müssen.

Es macht Spaß, ihnen auf ihrem Weg zu folgen und immer tiefer in die Geschichten in den Straßen und Vierteln Berlins einzutauchen. Ich freue mich, auf alles, was noch kommt und bleibe Fan.