Mit DANN RUHEST AUCH DU bringt Sandra Åslund ihre Trilogie um Maya Topelius zu einem großartigen Abschluss. Das Cover fügt sich sehr schön in die Reihe ein, der Wiedererkennungswert ist gegeben. Diesmal ist ein dunkles Rot die dominierende Farbe. Eine einsame Kirche, um die Vögel vor einem dunklen Himmel kreisen, stimmt auf eine spannende Handlung ein. Auch wenn hier eine Burgruine oder ein einsames Gutshaus besser zur Handlung gepasst hätten.
Nachdem der zweite Teil mit dem Cliffhanger geendet hat, indem Mayas Schulfreundin Clara in einem Telefonat mitteilt, dass sie die verschollene Mitschülerin Ingrid gesehen habe, will Maya einen Besuch bei ihren Eltern in der småländischen Stadt Kalmar dazu nutzen, diesem Hinweis nachzugehen. Zudem ist ein Kennenlernen zwischen ihrem Freund Christoffer und ihren Eltern geplant. Aber natürlich kommt Maya auch diesmal ein Mord dazwischen.
Der esoterische Sonderling Johann entdeckt in der Ruine von Schloss Borgholm die Leiche einer Frau. Schnell zeigt sich, dass das Opfer professionell hingerichtet wurde. Beim Opfer handelt sich um eine Journalistin und die Spur führt ins rechtsradikale Milieu. Maya und ihr Kollege Pär sollen die Ermittlungen übernehmen. Aber nicht jeder vor Ort empfängt die Verstärkung aus Stockholm mit offenen Armen.
Mit diesem Band knüpft Sandra Åslund an den ersten Band der Trilogie an, was Spannung und die Einbeziehung gesellschaftspolitischer und politischer Themen betrifft. Dabei erzeugt sie eine ungeheure Spannung. Die Charaktere werde meist sehr gut beschrieben, wobei in diesem Band neben Maya auch ihre Freundin Clara im Mittelpunkt steht. Und neben den offiziellen Ermittlungen rückt auch die Frage in den Fokus, was zur Schulzeit der Freundinnen wirklich passiert ist. Åslunds Schreibstil ist so lebendig und fesselnd, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte. Am Ende hätte ich mir lediglich zu zwei Personen noch mehr Informationen gewünscht, was dem Roman aber keinen so großen Abbruch tut, dass ich deshalb die Bewertung reduzieren müsste.
Ich würde mir wünschen, dass Åslund sich noch einmal überlegt, ob die Serie nicht fortgeführt werden könnte. Ich würde einen vierten Band auf diesem Niveau jedenfalls begrüßen.
Ich spreche eine eindeutige Leseempfehlung aus, würde den Band aber nicht ohne die Vorkenntnisse aus Band 1 und 2 empfehlen. Manches würde dann einfach nicht erschließen.
Elly Griffiths hat sich bereits einen Namen als britische Krimischiftstellerin gemacht. Mit MANCHE SCHULD VERGEHT NIE (im Original: THE FROZEN PEOPLE) legt sie nun einen unerwarteten Mix aus Krimi und Zeitreise vor. Während der englische Originaltitel an den Begriff der Cold Cases anknüpft, lässt der deutsche Titel eine generationsübergreifende Schuld biblischen Ausmaßes vermuten. Am Ende hat sich mir die Wahl dieses Titels dann nicht erschlossen. Vielleicht liegt es daran, dass Band 1 nicht vollständig in sich abgeschlossen ist. Es bleiben noch viele Handlungsstränge offen. Das ist schade, denn Griffith hat erzählerisch so viel zu bieten. Die Beschreibungen der ProtagonistInnen und des Settings sind einfach großartig und lebendig. Gerade beim Blick zurück in das Viktorianische England meint man die Lebensbedingungen, winterliche Kälte, hygienische Bedingungen, andere Essgewohnheiten und gesellschaftliche Rollen mit allen Sinnen wahrnehmen zu können. Das ist für mich der große Pluspunkt des Buches. Auch ein Kriminalfall in der Gegenwart sorgt für Spannung. Ali Dawsen, die Hauptprotagonistin des Romans, wird seht sympathisch und lebensecht dargestellt, so dass sie mir auf Anhieb sympathisch war. Es hat Spaß gemacht, in ihre Welt und mit ihr gemeinsam in die Vergangenheit abzutauchen. Allerdings ergriff mich eine innere Unruhe, je mehr sich das Buch dem Schluss zuneigte, denn irgendwann war klar, dass nicht mehr alle Handelsstränge auf den verbleibenden Seiten würden aufgelöst werden können. Das hat mich bei aller Sympathie für die Grundidee des Buches und den Schreibstil etwas unbefriedigt zurückgelassen. Nun bleibt Band 2 abzuwarten, in der Hoffnung, dass dieser das Geschehen abrundet.
Ich vergebe trotzdem eine Leseempfehlung für Krimifans und solche, die auch einen Touch Fantasy/Mystery mögen. Freunde von SF und naturwissenschaftlicher Erklärungen werden sich weniger angesprochen fühlen. ⭐⭐⭐⭐
STILL IST DIE NACHT ist der zweite Band der Maja-Topelius->Reihe der deutschen Krimiautorin Sandra Åslund. Das Cover mit einem blauen Holzhaus neben einer Schweden-Flagge passt hervorragend zum ersten, in grüngehaltenen Band und - wie dank der Werbung bekannt ist - ebenso gut zum in rot gehaltenen dritten Band. Sehr schön sind die im Innencover enthaltenen Karten der Schäreninsel Svartlöga, dem Schauplatz der Handlung. Wie bereits im ersten band gibt es am Ende des Buches ein Glossar mit den verwendeten schwedischen Begriffen und Rezepte, die hier aber nicht zur Handlung passen.
STILL IN DER NACHT knüpft an die Ereignisse in IM HERZEN SO KALT AN, und es sicherlich von Vorteil, dass ich den ersten Band gelesen habe. Dennoch lässt sich das Buch wahrscheinlich auch ohne diese Vorkenntnisse lesen. Allerdings waren meine Erwartungen nach Band 1 relativ hoch, und - ich sage es gleich - Sandra Åslund konnte diese leider nicht erfüllen.
STILL IN DER NACHT dreht sich in weiten Teilen um die Beziehung zwischen den Freundinnen Maja und Emily. Die Ermittlerin nimmt an einem Yoga-Retreat der Freundin auf einer kleinen Schäreninsel teil. Was Sandra Åslund wunderbar gelingt, ist die Beschreibung der Insel und ihrer Atmosphäre. Auf Svartlöga leben heutzutage vor allem Sommerfrischler, aber es gibt keine Kanalisation und keinen Anschluss ans Stromnetz. Das klingt idyllisch und ein wenig nach Bullerbü. So stellt sich eine angenehme Wohlfühl-Atmosphäre ein, zumal auch gleich noch Midsommar gefeiert wird. Åslund lässt sich Zeit, bis die eigentliche Krimihandlung in Fahrt kommt. Die Leiche lässt auf sich warten. Stattdessen präsentiert die Autorin uns viel Meditation und Om, und noch viel mehr Privates aus dem Leben von Maja und Emily. Es gibt Konflikte um das Thema Vertrauen und Geheimnisse, und irgendwann beginnt mich dieser Zwist zwischen den beiden zu nerven. Vor allem, als es endlich eine Krimi-Handlung gibt und diese immer wieder in den Hintergrund gerät. Denn ehrlich gesagt kann ich Majas Verhalten diesbezüglich nicht nachvollziehen.
Ihr Kollege Pär nimmt hier nur eine Nebenrolle ein und Maja ermittelt inkognito. Allerdings überzeugt sie mich in dieser Rolle gar nicht. Zumal sie sich weiterhin mehr mit ihren persönlichen Befindlichkeiten auseinandersetzt als mit den eigentlichen Fällen. Zudem wirkt die Dramatik einer durch Unwetter von der Außenwelt abgeschotteten Insel während einer Mordermittlung sehr gekünstelt. Es stellt sich einfach kein Locked-Room-Feeling ein. Dazu liegt der Fokus zu wenig auf der Krimi-Handlung. Täter und Opfer werden nicht annähernd so tiefgehend dargestellt wie Maja und ihre Freundin. Die Ermittlungen nehmen weniger Raum ein als das Private und das Esoterische. Während Band 1 noch ein gesellschaftspolitisches Thema mitbehandelt, fehlt so ein interessanter Ansatz hier weitestgehend.
Dennoch war es eine angenehme Lektüre und ich werde sicherlich auch den dritten Band lesen, um die Serie zum Abschluss zu bringen. Für STILL IN DER NACHT kann ich aber nur drei Sterne vergeben.
⭐⭐⭐
Clara Lofthus ist eine Frau im Rampenlicht. Als UNICEF-Mitarbeiterin in Nairobi rettet sie Kinder, als ihre Vorzeigeschule von Terroristen überfallen wird. Zurück in Oslo übernimmt sie als gefeierte Heldin erneut den Posten der Justizministerin, den sie schon einmal innehatte. Sie ist Mutter zweier Söhne und hat einen Partner, der ihr bedingungslos den Rücken freihält. Doch schnell wird klar, dass diese Lichtgestalt auch dunkle Seiten hat.
Die Autorin Ruth Lillegraven zeigt einen mitreißenden Schreibstil. In kurzen Kapiteln und mit wechselnder Perspektive begegnen wir Clara als Ich-Erzählerin, ihrem Partner Axel und dem Journalisten Heier jeweils aus der Perspektive eines personalen Erzählers. Dadurch ergibt sich eine mehrdimensionale Sichtweise und ein interessanter Spannungsbogen. Die Charaktere sind allerding zumindest in diesem dritten Teil doch recht eindimensional. „Düsteres Tal“ ist nämlich das Finale einer Triologie um Clara Lofthus. Der Roman lässt sich dennoch auch ohne Vorkenntnisse gut lesen. Ich hätte mir trotzdem gewünscht, die anderen Teile vorab zu kennen. Vielleicht wären mir die Beweggründe und Abgründe der Titelheldin und der anderen Protagonist*innen dann noch verständlicher gewesen. So erscheint Clara kalt und skrupellos und Axel leichtgläubig und aufopferungsvoll bis zur Selbstaufgabe, ohne dass klar wird, warum das so ist.
„Düsteres Tal“ wird vom List-Verlag als Thriller vermarktet, ist aus meiner Sicht aber eher ein Spannungsroman mit den typischen Merkmalen eines Nordic Noir Krimis. Lillegraven lässt uns hinter die Maske einer scheinbar perfekten Politikerin blicken, und was wir dort sehen, ist düster. Untermalt wird dunkle Atmosphäre, insbesondere im letzten Teil des Buches, durch die norwegische Landschaft. Titel und Cover des Buches passen perfekt zum dunklen Geschehen. Die Autorin stellt unter Beweis, dass es keiner blutdurchtränkten Seiten oder unrealistischer Actionszenen bedarf, um pure Spannung zu erzeugen.
Mein Fazit: Ein schnell gelesener Pageturner, den ich weiterempfehle und mit 4,5 Sternen bewerte. Vielleicht wären es mit Kenntnis der Vorgängerbände glatte 5 Sterne geworden.
Mein Sohn: ein Mörder? - Wie gut kennen wir unsere Nächsten?
Brillante Fortsetzung der Carla-Stach-Reihe in einem sehr persönlichen Fall
Er hat es wieder getan! Nach bereits drei hervorragenden und spannenden Krimis um die Kommissarin Carla Stach legt Richard Brandes nur erneut einen brillanten und durchweg spannenden Kriminalroman vor. Der Fall geht unter die Haut. In einem Mordfall steht ein Heranwachsender unter Verdacht, den Carla allzu gut kennt – ihr Sohn Toni. Doch wie gut kennt man eine Person wirklich, die einem sehr nahesteht? Diese Frage zieht sich durch alle 316 Seiten dieses großartigen Romans. Und sie bezieht sich auf alle möglichen Beziehungen, Eltern-Kind, Paarbeziehungen, Freundschaften, Koleg:innen. Wie gewohnt sind die Protagonist:innen psychologisch ausgefeilt gezeichnet, die Dialoge realitätsnah und glaubwürdig. Nicht nur für Kenner der Carla-Stach-Serie ein absolutes Highlight. Einmal damit begonnen, konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Ich vergebe fünf Sterne Plus ⭐⭐⭐⭐⭐➕ und spreche eine uneingeschränkte Leseempfehlung aus.
Die Geschichte einer Familie zwischen Tradition und Wandel
Arnold Pesch hat in seinem Roman "Auf dem Gräften-Hof - das Vermächtnis" Geschichte lebendig werden lassen. Selbst 1939 geboren wuchs er im Münsterland auf. Er ist somit Zeitzeuge der Ereignisse, die er beschreibt. Auch wenn es sich um eine fiktive Geschichte handelt, wirkt sie sehr authentisch. Das liegt an dem kundigen Wissen des Autors über die Heimatgeschichte der Region ebenso wie an den immer wieder eingeflochtenen Dialogen im Münsterländer Platt (der Inhalt wird dabei immer übersetzt oder erläutert). Im Mittelpunkt steht die Familie Große-Bawinkel nebst ihrer nächsten Nachbarn, den Schulze-Westhoffs. Und natürlich der Gräftenhof, ein von einem Wassergraben (Gräfte) umgebener Großbauernhof. Pesch nimmt und mit auf eine Zeitreise in die 50er- und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, beschreibt die tiefe Verwurzelung der Menschen in ihre Heimat, die Traditionen, die Bodenständigkeit und das Gottvertrauen der bäuerlichen Gesellschaft. Doch es ist eine Zeit der Umbrüche. Die Folgen des Zweiten Weltkrieges, Flucht und Vertreibung, der Mauerbau und vieles mehr sind auch im Münsterland spürbar. Die Landwirtschaft erfährt bedeutende Veränderungen durch die Mechanisierung, während zugleich noch gesellschaftliche Schranken zwischen den Schichten bestehen. Trotz aller Schicksalsschläge, die das leben schreibt, bleibt der Grundton des Buches optimistisch. Mir war es an mancher Stelle etwas zu sehr "Heile Welt" und die Dialoge wirkten etwas hölzern und pathetisch. Die heimatkundlichen Kenntnisse des Autors machen das aber allemal wett.
Vintage Crime in der Nachkriegszeit des Vereinigten Königreiches
Wir schreiben das Jahr 1952. Der ehemalige Cricket-Spieler und Kriegsveteran Francis "Frank" Grasby fristet sein Dasein als tollpatschiger Polizeiinspektor. Sein eigener Vater, ein pensionierter Pfarrer, hält ihn für einen Versager und sein cholerischer Vorgesetzter sieht sich nach einem weiteren von unzähligen Mißgeschicken dazu veranlasst, unseren "Helden" ins fiktive Örtchen Elderby in die North Yorkshire Moors zu verbannen. Dort soll er einfache Farmdiebstähle aufklären und es vor allem nicht wieder vermasseln.
Denzil Meyricks 1. Band aus dieser Reihe erschien im britischen Original 2023 unter dem Titel Murder at Holly House. Nun hat der Dumont-Verlag den ersten Fall für Inspector Frank Grasby unter dem Titel "Der Tote im Kamin " herausgebracht, als schmuckes Hardcover -Buch mit Lesebändchen und einem Retro-Cover, welches die Leserinnen und Leser bereits auf den Vintage -Krimi einstimmt.
Die vermeintlichen Memoiren des Frank Grasby sind durchdrungen von einem feinen britischen Humor. Wir begegnen wunderbar gezeichneten skurrilen Figuren und erleben mit Frank groteske Szenen. Statt dem idyllischen Dorfleben zu frönen, stolpert der Pechvogel in der verschneiten Winteratmosphäre in verwirrende Intrigen. Kein Cozy Crime, wie man anhand des Klappentextes vermuten könnte, sondern ein humorvoller historischer Kriminalroman. Genau das richtige Buch für lange Winterabende mit Tee und Inselwetter. Ich vergebe gerne fünf Sterne 🌟 🌟 🌟 🌟 🌟 für exzentrische Lesestunden .
Plüschiger Cosy Crime, doch Fehler und Ungereimtheiten stören den hyggeligen Lesefluss
Wenn deutsche Autoren sich für ihre Kriminalromane ein ausländisches Setting wählen, dann kann das Urlaubssehnsüchte wecken und ein charmantes Spiel mit gängigen Klischees sein. Insbesondere, wenn die Urlaubslandschaft so hyggelig verschneit dargestellt wird, wie in Björn Berenz "Knäckeblut". Besonders gut gefallen haben mir die kleinen Einschübe, in denen schwedische Begriffe und Redewendungen erläutert werden. Das lies mich auf ein schönes Leseerlebnis hoffen. Für mich war es die erste Begegnung mit der mittlerweile dreibändigen Serie um die deutsche Buchhändlerin Ina und den schwedischen Polizisten Lars. Ich kam schnell ins Geschehen und das trotz der relativ großen Anzahl an Protagonist*innen. Aber warm wurde ich mit keiner dieser Personen. Ina wurde mir von Seite zu Seite unsympathischer, sie wirkte oft arrogant und betrieb ihre Nachforschungen ohne Rücksicht auf Verluste. Lars kam mir manchmal fast schon vor wie ein trotteliger Dorfpolizist. Weitere Personen möchte ich in dieser Rezension nicht benennen, um nicht zu spoilern.
Der Handlungsablauf stellte sich aber als das größere Problem dar. Leider häuften sich inhaltliche und logische Fehler. Der Plot hätte Potential gehabt, wurde jedoch unglaubwürdig aufgelöst. Mordsspaß in Schweden kam bei mir deshalb nicht auf. Es reicht eben nicht aus, eine Amateurermittlerin in eine Wohlfühlatmosphäre zu setzen. Hier standen die privaten Beziehungen der Protagonisten oft so sehr im Fokus, dass das Ermitteln zur Nebensache wurde. Vielleicht fehlten mir beim Lesen aber auch nur eine gehörige Portion Moltebeerenschnaps und Glückstee, von dem im Buch reichlich getrunken wurde.
Die Journalistin Hanna reist nach Borkum, um dort weiter für ihre aktuelle Story zu recherchieren, bei der es um die Geschichte des ehemaligen Kindererholungsheimes Villa Aurelia gehen soll. Einst verbrachten hier sogenannte Verschickungskinder mehrere Wochen, die ihrem Wohlergehen und ihrer Gesundheit dienen sollten. Stattdessen erlebten viele traumatische Erfahrungen, denn meist herrschte noch die schwarze Pädagogik des Nationalsozialismus vor. Ich selbst gehöre zu diesen Verschickungskindern und war 1972 im Alter von fünf Jahren sechs Wochen lang auf Norderney. Hanna wird von ihrer 15jährigen Tochter Kathie begleitet, denn neben der Recherche möchte sie noch etwas Urlaub auf der Insel verbringen.
Während Buchcover und Klappentext also eine literarische Auseinandersetzung mit dem Thema Verschickungskinder versprechen, und die Autorin sich sogar mit einer persönlichen Aussage zu dem Thema zitiert wird, erfüllt der Roman dieses Ansinnen leider nur ansatzweise. Schnell verliert sich dieser Handlungsstrang in einem Wust weiterer Themen, teils aus der Vergangenheit, teils aus der Gegenwart. Das Thema rückt zunehmend in den Hintergrund, vor allem zugunsten der Rahmenhandlung. Und diese hat mir gar nicht gefallen.
Hauptprotagonistin des Buches ist Hanna, bei der es sich um eine renommierte und preisgekrönte Journalistin handeln soll. Doch sie recherchiert nicht, sondern führt lediglich Skype-Gespräche mit Sabine, einem ehemaligen Verschickungskind, das zeitgleich mit Hannas Mutter in der Villa Aurelia war. Selbst als ihr weitere Quellen im wahrsten Sinne des Wortes vor die Füße fallen, führt das nicht zu journalistischem Handeln, welches auch nur ansatzweise den Namen verdient hätte. Stattdessen verliebt sie sich in den Inselarzt Ole. Ob es sinnvoll ist, ein sehr ernstes Thema wie die schwarze Pädagogik und deren Ursprünge mit einer Liebesgeschichte zu verknüpfen, sei dahingestellt. Was mich insbesondere stört, sind die dabei vorgetragenen Rollenklischees, die sich durch den ganzen Roman ziehen. Der edle Rotter Ole rettet Hanna aus höchster Not, beginnend damit, dass er ihren Koffer zum Hotel zieht. Hannas Tochter Katie verliebt sich in einen Surfer-Boy, da eine Liebesgeschichte der Autorin nicht gereicht hat. Und es werden noch mehr! Die weiteren Frauenfiguren sind entweder böse Drachen oder beschützende Übermütter, Flittchen oder treue Seelen, und das alles vor der malerischen Kulisse Borkums.
Man fragt sich zudem, was für einen Roman Eva Völler eigentlich schreiben wollte: einen Sommerroman? Einen historischen Roman? Einen Liebesroman? Einen Krimi? Feststellen lässt sich das leider nicht? So bleibt das Beste an diesem Buch leider das schöne Cover. Der Erzählstil ist gefällig, die Handlung versandet im Themenwust und die Charaktere sind leider kaum auszuhalten. Schade, denn zum eigentlichen Thema der Verschickungskinder und der Schwarzen Pädagogik gab es wirklich gute Ansätze im Buch. Am Ende möchte man der Autorin ein Zitat aus ihrem eigenen Buch vorhalten: Man konnte nicht alles gleichzeitig thematisieren, wenn man eine Geschichte erzählen wollte. (S. 316)
So kann ich am Ende leider nicht mehr als 2 Sterne vergeben. Wirklich weiterempfehlen würde ich es nicht.
Der Start in das Buch macht neugierig: ein Abschiedsbrief aus dem Jahre 1936 leitet in den Roman ein, geschrieben von einer F. Doch wer ist F. und was ist passiert?
Mit „Die Holunderschwerstern“ hat die promovierte Historikerin Brigitte Riebe alias Teresa Simon einen historischen Roman verfasst, der dieser Frage nachgeht. Es gibt zwei Handlungsstränge, die sich gut auseinanderhalten lassen. Der eine spielt im Jahr 2015 und dreht sich um die Restauratorin Katharina, die zusammen mit einer Kollegin eine eigene Werkstatt unterhält und liebevoll Möbel restauriert. Mit viel Detailwissen hat die Autorin ihr dabei über die Schulter geschaut. Und das ist typisch für den Schreibstil von Teresa Simon. Sie recherchiert sehr genau und lässt ihre Erkenntnisse dann in das Buch einfließen. Katharina hat ein angespanntes Verhältnis zu ihrer Mutter und kennt ihre weiblichen Vorfahrinnen aus vielen Erzählungen. Doch manches blieb dabei unausgesprochen. Es gibt Tabuthemen, die sich über Generationen weiterverbreitet haben. Doch erst als ein mysteriöser Kunsthändler aus London auf der Bildfläche erscheint, und der überraschten Katharina die Tagebücher ihrer Urgroßmutter Fanny übergibt, setzt sie sich intensiver mit der Geschichte ihrer Familie auseinander. Und das ist weitestgehend eine Geschichte der Frauen.
Anhand der Tagebücher reisen wir mit Katharina zurück in die Jahre zwischen 1918 und 1936, eine Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche und politischen Unruhen. Beginnend mit den Entbehrungen des Ersten Weltkrieges begleiten wir Urgroßmutter Fanny auf ihrem Weg aus der bayrischen Provinz nach München und erfahren viel über die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der damaligen Zeit. Auch hier überzeugt Simon mit dem Detailreichtum und ihren historischen Kenntnissen. Ausgestorbene Berufe tauchen auf, aber auch Persönlichkeiten aus der damaligen politischen und kulturellen Welt. Das beinhaltet dann natürlich auch die faschistischen Umtriebe. Und so ist manches Erlebnis eine schwere Kost. Auch wenn die Geschichte eine wichtige Rolle spielt, im Mittelpunkt steht immer die Protagonistin Fanny, der ihre Zwillingsschwester Fritzi nach München folgt. Das Verhältnis der Schwestern ist problematisch. Während die eine in einem jüdischen Haushalt in Stellung geht und auch viele Künstler wie etwa Paul Klee kennenlernt, wird die andere vom aufstrebenden Nationalsozialismus geblendet. Warum das Buch „Die Holunderschwestern“ heißt, möchte ich hier nicht verraten.
Teresa Simon hat in dieses Buch auch die Geschichte ihrer eigenen Familie und eigene Erlebnisse mit einfließen lassen. Das macht das ganze sehr lebendig. Allerdings bleiben am Ende doch auch einige Fragen offen. Das ist mutig von der Autorin und logisch nachvollziehbar, da sich die Geschichte nun einmal aus Tagebucheinträgen speist, für mich als Leserin aber dennoch leicht unbefriedigend. Zudem überzeugt mich der Handlungsstrang in der Gegenwart nicht ganz so wie der in der Vergangenheit.
Dennoch spreche ich eine eindeutige Leseempfehlung aus. So wie Simon schreibt, wird Geschichte lebendig.
Ach ja, abgerundet wird das Buch durch eine kleine Sammlung alter bayrischer Rezepte. Sehr verführerisch!
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