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Benutzername: 
britta70
Wohnort: 
Mainz

Bewertungen

Insgesamt 25 Bewertungen
Bewertung vom 09.04.2023
3000 Yen fürs Glück
Harada, Hika

3000 Yen fürs Glück


gut

Japanische Glücksphilosophie zur Einführung
Aufmerksam wurde ich auf das Buch durch das farbenfrohe Cover, das die berühmte (asiatische) Glücks- und Erfolgkatze zeigt. Durch Reisen und Forschungen zu China bzw. Taiwan war mir bekannt, dass diese oft am Eingsbereich von Häusern platziert ist, um allen Vorüberziehenden Glück und Erfolg zu verheißen. Inzwischen hat sie auch auf dem europäischen Markt Einzug erhalten. Ich hielt sie für ein spezifisch chinesisches Phänomen, doch wie die Lektüre des Buches "3000 Yen fürs Glück" der Autorin Hika Kakada zeigt, ist sie wohl auch im japanischen Alltagsleben von Bedeutung.

Gleich zu Beginn erhalten wir durch die Großmutter der im Mittelpunkt stehenden, japanischen Familie Einblick in die Erfolgsphilosophie Kakeibo, für die die Glückskatze steht. Sie verweist darauf, dass bereits die Verwendung eines vergleichbar kleinen Betrages wie beispielsweise 3000 Yen über ein ganzes Leben entscheiden könne. Das ist im Grund die Thematik des Buches: Am Beispiel einer exemplarischen japanischen Familie sehen wir, wie deren je individuelle Umgangsweise und Einstellung zu Finanzen deren Leben bestimmt. Beim Kauf einer Teekanne erinnert sich Miho an diese Weisheit ihrer Großmutter. Als Berufseinsteigerin glaubt sie Traumwohnung und Traumjob in Tokio gefunden zu haben. Doch diese Gewissheit scheint plötzlich zu bröckeln. Auch die Gedanken ihrer Schwester Maho kreisen gedanklich um die Themen von Glück und Erfolg. Doch auch sie kommt ins Nachdenken, ob ihr Ziel, bis zum Schulabschluss ihrer kleinen Tocher 10 Millionen Yen zusammenzusparen, tatsächlich alles ist, was das Leben für sie bereithält. Auch deren Mutter Tomoko sowie Großmutter Kotoko haben vor ihrer je individuellen Lebenssituation Anlass, über Macht und Ohnmacht des Geldes und finaziellen Erfolg nachzudenken.

Die Thematik hat mich sehr angesprochen, denn ich mag philosophische angehauchte Geschichten sehr. Sehr gerne wollte ich entdecken, was hinter der Erfolsphilosophie, für die Glückskatze Pate steht, steht. Die in die Geschichte eingeflochtenen Informationen dazu fand ich tatsächlich auch sehr interessant. Mir hat es gut gefallen zu sehen, wie der japanische Alltag von der Philosophie des Kakeibo durchzogen ist. Ich mochte die Figuren auch durchaus, doch muss ich zugeben, dass ich teilweise Schweirigkeiten hatte die Protagonisten aufgrund der doch ähnlich klingenden Namen auseinanderzuhalten. Bezüglich der Sprache lässt sich das Buch gut und flüssig lesen. Leider hatte ich mir jedoch mehr Tiefgang zur philosophischen Grundfrage, wie bereits Entscheidungen über kleine Geldbeträge das Leben bestimmen können, gewünscht. Der Funke ist nicht ganz übergesprungen, obwohl ich das Buch zwischendrin gerne gelesen habe.

Bewertung vom 26.03.2023
Der Inselmann
Gieselmann, Dirk

Der Inselmann


sehr gut

Reif für die Insel?
Die Handlung beginnt mit dem Entschluss von Hans Eltern, dem Alltag zu entfliehen und die Hoffnungen auf ein Inselleben zu setzen. Wir wissen nichts Genaueres über den Handlungsort und die konkreten Umstände. Während dieser Schritt für seine Eltern eine Notwendigkeit zu sein scheint, erfährt Hans die Veränderung als eine Art Abenteuer. So wird es ihm möglich, nervenden Klassenkameraden zu entfliehen und auf der Insel sein eigener König zu sein.

Atmosphärische Bilder ziehen auf und wechseln einander ab. Da ist zunächst das schier endlos erscheinde Warten auf das Schiff in eisiger Kälte, das sie zur Insel bringen soll. Die Ankunft steht ebenfalls nicht unter einem guten Stern, die erhoffte Wende scheint auszubleiben. Düster geht es weiter mit dem Fund eines toten Kalbes, eines abgemagerten Hundes, einem ins Wasser gegangenen Schäfers und am Ende der brieflichen Anweisung, Hans habe zu Beginn September in der Schule zu erscheinen.

Hans pendelt zur Schule. Der Alltag hat ihn wieder. Er wünscht sich fort, fernab der nervenden Kinder, die in ihm einen Verräter sehen. Diesen düsteren Einbruch in das hoffnungsfrohe Inselleben, in dem sich der Junge gerade erst einzurichten beginnt, wird von Gieselmann gekonnt inszeniert - auch in sprachlicher Hinsicht.

Doch Hans fasst einen Entschluss. Er will ausbrechen, beginnt die Schule zu schwänzen. Dies bleibt nicht ungestraft, und so landet er in einer Besserungsanstalt, in welcher die Kinder und Jugendlichen zur Disziplin gedrillt werden. Ziel ist es, die Kinder und deren Widerstand zu brechen - notfalls auch mit Gewalt. Hans lässt dies jedoch kalt. Es scheint, die Sehnsucht, auf die Insel und zu seinen Eltern zurückkehren zu können, hält ihn aufrecht. Schließlich kommt der Tag X und Hans kehrt zurück....

Den Roman habe ich sehr gerne gelesen. Der Autor überzeugt mit einer sehr bildhaften, atmosphärischen und teils poetischen Sprache. Die Atmosphäre des einsamen und verlassenen Jungen ist sehr erdrückend geschildert. Etwas schwer habe ich damit getan, dass vieles nur angedeutet bleibt. Letztlich könnte die Geschichte vielleicht überall spielen. Es scheint nicht relevant, wo das Geschehen sich ereignet, und was die konkreten Gründe für die Eltern sind, auf eine Insel überzusiedeln. Am Ende scheint es mir ein gesellschaftskritischer Roman über die Unmöglichkeit zu sein, der Gesellschaft und ihren Zwängen zu entkommen. Hans sucht Einsamkeit und Individualität. Auf der Insel scheint er Außenseiter sein zu dürfen, so dass er sich kurzfristig vielleicht wie ein König fühlt. Doch dauerhaft funktioniert dies nicht. Die Realität bricht in diese Wunschvorstellung herein und es wird klar: gesellschaftlichen Zwängen kann man nicht entrinnen. Die Botschaft scheint düster. Zumindest in meiner Lesart.

Ich habe das Buch insgesamt betrachtet trotz der bleibenden Leerstellen sehr gerne gelesen und empfehle es gerne weiter.

Bewertung vom 13.03.2023
Die Mauersegler
Aramburu, Fernando

Die Mauersegler


sehr gut

Ausgang ungewiss...

"Die Mauersegler" ist der erste Roman vom spanischen Autoren Fernando Aramburu, den ich las. Von der Thematik her erinnert die Geschichte ein wenig an "A long way down" von Nick Hornby. Hier wie dort geht es um einen Menschen, der des Lebens überdrüssig ist und beschließt, zu einem bestimmten Termin Selbstmord zu begehen. In "Die Mauersegler" ist es der Philosphielehrer Toni, der nach einer Trennung alleine mit seinem Hund Pepa lebt. Er befindet sich in seinem dritten Lebensjahrzehnt, zieht jedoch das düstere Fazit, dass er wohl soweit alles bereits erlebt hat, was vom Leben zu erwarten ist. In vielen kurzen Kapiteln lernen wir mehr über die Menschen in Tonis Leben, wichtige Ereignisse, zentrale Begegnungen. Eine Tages taucht eine Frau in seinem Leben auf, die einen Hund hat, der seinen Namen trägt. Kann sie an Tonis Entschluss noch einmal rütteln? Die Thematik des Roman fand ich sehr ansprechend, und ich war auf die Umsetzung sehr gespannt. Ich war schnell in der Geschichte drin, denn der Erzählstil ist durch die kurzen Kapitel, die 365 Tage bis zum geplanten Selbstmord, sehr temporeich erzählt. Die Symbolik der Mauersegler fand ich auch sehr gelungen, wobei ich hier natürlich nicht verrate, welche Bedeutung ihnen für die Geschichte zukommen. Ein Jahr lang habe ich Toni durch sein Leben begleitet und mitgefiebert. Am Ende kann ich sagen, dass ich sehr froh bin, den Roman gelesen zu haben. Wem also die über 800 Seiten nicht abschrecken, dem empfehle ich die Geschichte sehr gerne weiter.

Bewertung vom 13.03.2023
Die Meerjungfrau von Black Conch
Roffey, Monique

Die Meerjungfrau von Black Conch


sehr gut

Der Mythos von der Meerjungfrau und eine unmögliche Liebe

Monique Roffey erzählt aus weiblicher Sicht den Mythos von der Meerjungfrau neu.

Ein junger Mann sitzt in einem Boot vor der karibischen Küste. Er ist Fischer und wartet auf den nächsten Fang. Plötzlich entdeckt er eine Meerjungfrau neben sich. Sie droht selbst, zu einem Fang zu werden, denn Aycaya wird von amerikanischen Touristen entdeckt und an Land geschleppt. David, der junge Fischer, rettet sie im letzten Moment und nimmt sie mit zu sich nach Hause. Dort entwickelt sie sich langsam und in einer schmerzhaften Prozedur zurück zur Frau. Auf Aycaya lastet der Fluch eifersüchtiger Ehefrauen; sie schwimmt seit Jahrhunderten im Merr und ihr Volk, die Taino, existiert nicht mehr. Im Laufe der Zeit kommen sich David und Aycaya näher, doch hat die Liebe eine Chance?

"Die Meerjungfrau von Black Conch" ist eine Neuerzählung des alten Mythos von der Meerjungfrau, die von Roffey gekonnt in die aktuelle Zeit verpflanz wurde. Im Kern geht es um Themen wie Fremdsein in der Welt, Selbstberhauptung der Frau und nicht zuletzt auch die Narben, die die Kolonialgeschichte hinterlassen hat. Dieser Aspekt hat mich besonders interessiert. Ich muss aber sagen, dass mich das Buch insgesamt sehr in seinen Bann gezogen hat. Die Geschichte um das Schicksal der Meerjungfrau ist sehr lebendig und ergreifend erzählt. Auch hat mir David als Charakter sehr gut gefallen; ich konnte mich gut in ihn hineinversetzen.

Ohne große Erwartungen habe ich das Buch begonnen und ließ mich überraschen. Das ist gut gelungen. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Bewertung vom 05.09.2022
Kerl aus Koks
Brandner, Michael

Kerl aus Koks


gut

Leben im Pott

"Kerl aus Koks" von Michael Brandner ist ein autobiographisch angereicherter Roman über ein Leben im Ruhrpott, der von der Nachkriiegszeit bis in die 90er Jahre hinein reicht. 

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Paul. Er wöchst zunächst bei Pflegeeltern in Bayern auf. Doch eines Tages steht seine leibliche Mutter vor der Tür und nimmt mit in den Ruhrpott, wo er ein neues Zuhause findet. Das Verhältnis zur Mutter ist nicht gerade einfach. Irgendwie kann Paul ihr so gar nichts Recht machen, stets fühlt sie sich zu Besserem und Höherem berufen und überträgt diese Maßstäbe auf Paul. In Helmut findet er jedoch einen liebevollen Vater, mit dem er gerne Fussball schaut und eine Bratwurst dazu isst. Wir begleiten Paul angefangen von seiner Kindheit in der Nachkriegszeit, über die Zeit beim Wehrdienst, das junge Erwachsenenleben mit ersten und durchaus zahlreichen Frauengeschichten und einem Musikerdasein bis hinein in seine Anfänge als Schauspielerin seinen 40er Jahren. 

"Kerl aus Koks" ist im Grunde eine Milieustudie des Ruhrpotts und als solche gut gelungen. Der Autor zählt in lebendiger und zum Teil humorvoller Sprache von Pauls Leben im Pott, wobei er autobiograpische Züge einbaut. Mir hat insbesondere der Part über Pauls Kindheit gut gefallen. Es hat mich berührt, wie er nach der Trennung von seiner Pflegefamilie im Pott einen Neustart hinlegt. So manchen Tiefschlag hat er im Laufe all der Jahre durchmachen müssen, doch nie hat er sich unterkriegen lassen. Der Ton ist durchgängig sehr positiv und lebensbejahend, auch wenn sein Leben des Öfteren auf der Kippe stand... Ich habe das Buch insgesamt gerne gelesen, auch wenn ich für gewöhnlich rein fiktive Geschichten bevorzuge. Allen, die biographisch inspirierte Romane gerne lesen und sich auch für Milieustudien interessieren, kann ich dieses Buch empfehlen. 

Bewertung vom 05.09.2022
Schlangen im Garten
vor Schulte, Stefanie

Schlangen im Garten


sehr gut

Genug getrauert!
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Themen wie Tod und Trauer gerne verdrängt werden. Sie sind unbequem und werden gerne im Alltag ausgeblendet. Das funktioniert nur so lange, bis es einen selbst trifft und durch den Verlust eines geliebten Menschen an die Vergänglichkeit des Lebens erinnert wird. 

In ihrem Roman "Schlangen im Garten" zeichnet die Autorin Stefanie vor Schulte ein Bild einer Gesellschaft, in der diese Abwesenheit von Tod und Trauer auf die Spitze getrieben wird. Wird die Trauerarbeit verschleppt, ruft dies das sogenannte Traueramt auf den Plan. Es enthält Informationen von allerlei Denunzianten, die es zuhauf gibt. Mechanismen massiver sozialer Kontrolle sorgen dafür, dass "übertriebene" und ausufernde Trauer ein Ende gesetzt wird. Ergänzt werden diese durch stasiartige Bespitzelungen von Trauerbeamten, die auf entsprechende trauernde Personen "angesetzt" werden. Das ist die Grundidee und Ausgangskonstellation des Romans. Die beinhaltete Gesellschaftskritik an einer Gesellschaft, die das Trauern verlernt hat, gefällt mir gut und trifft meines Erachtens einen wunden Punkt in einer ansonsten individualisierten und pluralisierten Gesellschaft. 

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Familie Mohn. Vater Adam und seine Kinder Linne, Micha und Steve betrauern den Verlust von Mutter Johanne. Woran sie gestorben ist, erfährt der Leser nicht. Wohl aber, dass sie bei allen eine riesige Lücke hinterlässt, die eine lähmende Wirkung hat. Nichts ist mehr wie zuvor. Vater und Kinder sehen sich außerstande, weiter zu funktionieren wie bisher. Das Umfeld erlebt sie als "unnütze" Gesellschaftsmitglieder, die in ihrer Trauer versinken und sich weigern, die nächsten Schritte im Leben zu gehen. Die wütende Linne, der in sich gekehrte Micha, der fürsorgliche Steve und deren Vater zunehmend in Alltagsangelegenheiten überforderte Adam: Sie alle können und wollen nicht akzeptieren, dass Johanne von ihnen gegangen ist. So essen sie täglich eine Portion von Johannes Tagebucheinträgen, um sich Erinnerungen an sie wortwörtlich einzuverleiben. 

Sie alle begegnen Außenseitern des Lebens, die ihre je individuellen Geschichten von und mit Johanne zu erzählen haben. Dies schweißt sie zusammen. Selbst Herr Ginster in seiner Funktion als Trauerbeamter wird Teil dieser skurilen Gemeinschaft. Und dann gibt es noch wiederkehrende Begegnungen mit einer Schlange...

Ich habe zuvor bereits sehr viele Bücher über Tod und Trauer gelesen, doch keines ist wie dieses. Vor Schultes' Idee ist außergewöhnlich und hat mich gleich zu Beginn schon sehr fasziniert. Die Skizze einer trauerunfähigen Gesellschaft hat fast etwas von einer düsteren Dystopie, von der wir gar nicht so weit entfernt sind. Das Buch habe ich regelrecht verschlungen. Vor Schulte's Sprachstil mit den kurzen und prägnanten Sätzen hat es mir sehr leicht gemacht. Wäre da nicht so viel Fantastik, deren genaue Bedeutung und Symbolik ich nicht immer in all ihren Facetten verstanden habe, wäre es für mich ein klares 5 Sterne Buch gewesen. Leider habe ich ein wenig Abstriche machen müssen, da das Buch mir am Ende zu fantasylastig war und mir die Rückbindung an das reale Geschehen in und rund um Familie Mohn am Ende zu kurz kam. Dennoch eine große Leseempfehlung für alle, die sich dem Thema Trauer mal auf etwas unkonventionellere Art und Weise öffnen möchten.

Bewertung vom 05.09.2022
Die Ewigkeit ist ein guter Ort
Noort, Tamar

Die Ewigkeit ist ein guter Ort


sehr gut

Gottesdemenz?
Das Buch "Die Ewigkeit ist ein guter Ort" von Tamar Noort hat gleich mein Interesse geweckt. Die Ausgangssituation, dass eine Seelsorgerin, in deren Leben Gott einen zentralen Stellenwert besitzt, von jetzt auf gleich am Sterbebett einer Seniorin den Wortlaut des "Vater unser" vergisst, hat mich sehr neugierig gemacht. Diese Situation ist ja unvorstellbar und ich wollte unbedingt wissen, wie so etwas passieren kann. Ich lese zudem sehr gerne Geschichten, in denen Gott und der Glaube eine besondere Bedeutung erhalten. 


Ich konnte also gut nachvollziehen, wie sehr Elke dieses Versagen zugesetzt haben muss. Sie ist seit vielen Jahren eherenamtlich als Seelsorgerin tätig; Gott und der Glaube haben einen zentralen Stellenwert für sie. Wie kann es dann sein, dass von einen Moment auf den anderen Gebete und Psalmen quasi komplett aus ihrem Gedächtnis gelöscht sind? Leidet sie etwa unter einer Gottesdemenz? Und falls ja, wie lässt sich eine solche behandeln? 


Mit großem Interessen bin ich Elkes Geschichte gefolgt. Als sie plötzlich diese Lücke in ihrem Leben spürt, kehrt sie heim zu ihrer Pastorenfamilie. Doch etwas dort ist anders, ungewohnt. Ein Platz bleibt leer. Diese Leere, die ein Ereignis vor langer Zeit, hinterlassen hat, steht im eigentlich Fokus der Geschichte von Noort. Es ist eine Geschichte über Liebe, Verlust und die Suche nach Halt. 


Insbesondere den Beginn der Geschichte habe ich sehr gerne gelesen. Ich habe mit Elke mitgefühlt, mit ihr gelitten und mich mit ihr gefragt, was hinter dieser plötzlichen Gottesdemenz wohl stecken mag? Im weiteren Verlauf hat meine Begeisterung dann etwass nachgelassen. Ich fand es immernoch interessant über das Schicksal der Pastorenfamilie und den erlittenen Verlust zu lesen. Ich fand das individuelle Erleben des Geschehenen und den je individuellen Umgang mit der Situation sehr interessant und nachvollziehbar beschrieben. Dennoch fehlte mir die unmittelbare Verbindung zur aktuellen Situation wie auch ein Ausblick auf die Zukunft von Elkes Lebensweg und dem Platz, den Gott und der Glauben darin haben würden. Da hätte ich mir mehr versprochen von dem Buch.


Nichtsdestotrotz habe ich es gerne gelesen und würde es auch mit späteren Werken der Autorin noch einmal probieren 

Bewertung vom 05.09.2022
Intimitäten
Kitamura, Katie

Intimitäten


ausgezeichnet

Leise Töne, große Wirkung

"Intimitäten" ist der erste Roman von Katie Kitamura, den ich las. Worum geht es?

Nach dem Tod ihres Vaters und dem Wegzug ihrer Mutter in die alte Heimat, startet die namenlose Protagonistin in Den Haag in ein neues Leben: beruflich, wie privat. Über eine Freundin lernt sie Adriaan kennen, der jedoch noch verheiratet ist und Kinder hat. Sie wartet in seiner Wohnung auf ihn und eine gemeinsame Zukunft mit ihn. Wird es sie jedoch geben? Beruflich wird ihr als Dolmetscherin am internationalen Gerichtshof Einiges abverlangt. Durch ihre Tätigkeit entwickelt sich eine große Nähe zu einem Kriegsverbrecher, der sich vor Gericht für seine Taten verantworten muss. Was ist Lüge, was ist wahr, und was ist gerecht?

Der Roman nimmt sich einigen großen und wichtigen Themen an und ist im Kern doch eine Geschichte, in der es auch um die Suche nach Heimat und Sehnsüchte geht. Der Sprachstil der Autorin ist sehr ansprechend und hat mir gut gefallen. Den Aufbau der Geschichte fand ich sehr gut gelungen. Man ist recht nah dran an der Dolmetscherin und begleitet sie bei ihren privaten und beruflichen Herausforderungen. Es ist ein unaufgeregter, in leisen Tönen erzählter Roman, der aber eine große Wirkung entfaltet. Lesenswert!

Bewertung vom 11.03.2022
Leo und Dora
Krup, Agnes

Leo und Dora


gut

Unverhoffte Liebe

Was macht ein Schriftsteller, wenn er eine Schreibblockade hat? Richtig: Er geht auf Reisen, um hoffentlich in der neuen Umgebund beflügelt zu werden. So ist es auch breim Protagonisten Leo Perlstein, der längst nicht mehr erfolgreich und auch sonst recht unzufrieden mit seiner Lebenssituation ist. Diesen Ausgangspunkt haben auch eine Reihe anderer Romane.

In "Leo und Dora" ist es Leo Perlsteins Plan, in einem alten Landhaus in Conneticut eine Wende in seinem Leben einzuleiten, v.a. will er auch seine schriftstellerische Blockade überwinden. Doch dieser Plan wird früh durchkreuzt, denn bereits als er aus dem Zug steigt, erfährt er, dass das alte Landhaus in der letzten Nacht abgebrannt ist und er nun in einem Hotel einquartiert wird. Leo ist davon wenig begeistert, zumal es dort recht turbulent zugeht. Dora leitet das Gästehaus. Beide Hauptcharaktere erweisen sich nicht gerade als Sympathieträger. Es braucht zudem Zeit, bis sie miteinander warm werden. Strohmandeln, ein Kartenspiel, hat daran Anteil. Im Laufe der Zeit lernen Leo und Dora einander besser kennen...

Insgesamt hat mir die Geschichte gut gefallen. Der Schreibstil ist angenehm und leserfreundlich. Ich war auch durchaus am Fortgang der Geschichte interessiert. Nichtsdestotrotz konnte mich der Roman nicht vollends überzeugen. Es hat irgendwie das "gewisse Etwas" gefehlt, dass diese Geschichte im Vergleich zu ähnlich gelagerten besonders gemacht hätte. Mitunter fand ich auch beide Hauptprotagonisten etwas anstrengend. Insofern keine ausdrückliche Leseempfehlung von mir, aber ein netter "Zwischendurch-Roman".

Bewertung vom 11.03.2022
Die Kinder sind Könige
Vigan, Delphine

Die Kinder sind Könige


ausgezeichnet

Der Preis des Ruhms

Ich habe schon zuvor viel über die Romane von De Vigan gehört. Irgendwie hat es sich aber nicht ergeben, eines ihrer Werke zu lesen. Nun bin ich froh mit "DIe Kinder sind Könige" ein Werk entdeckt zu haben, dessen gesellschaftskritische Thematik mich sehr anspricht. Es ist wohl als eine Folge der Globalisierung zu werten, dass das Internet und generell Social Media so immens an Bedeutung gewonnen haben. Wer in der Generation 50 plus ist da noch komplett außen vor? Wie viele Jugendliche? Wohl eher wenig, sehr wenig. Heutzutage kann man sich sogar als Influencer seine Brötchen verdienen und ggfs. davon gut leben. Die Thematik des neuen Romans von De Vigan ist folglich hoch aktuell.

Melanie sehnte sich immer schon nach mehr Beachtung. Schon als Kind konnte sie sich für Formate wie zum Beispiel "Big Brother" begeistern. Im Erwachsenenalter, nun verheiratet und Mutter zweier Kinder, eröffnet sie einen Youtube-Kanal, der rasant Follower gewinnt. Insbesondere als sie zunehmend ihre Kinder einsetzt, um für Produkte aller Art zu werben und Follower mit in fast jeden Winkel des familiären Alltags zu nehmen, geht der Erfolg quasi durch die Decke. Ihr Mann gibt seinen Job auf und ist fortan für die ganzen technischen Aspekte zuständig. Doch eines Tages wird ihr Erfolg getrübt, denn beim Versteckspielen der Kinder verschwindet die 6jährige Kimmy spurlos. Clara, kinderlose Ermittlerin, versucht den Fall aufzulösen...

Die Geschichte hat mich gleich komplett in ihren Bann gezogen. Ich habe nach dem Verschwinden von Kimmy mitgefiebert. Obwohl oder vielleicht auch gerade weil mir persönliches jegliches Verständnis dafür fehlt, Kinder in die Öffentlichkeit zu zerren und für eigene Interessen zu instrumentalisieren, fand ich die Innensicht zu Melanies Motiven sehr interessant. Insgesamt hat der Roman einen gesellschaftskritischen Impetus, was ich auch wichtig finde, sollte man doch neben dem allgemeinen Wohlergehen der Kinder immer auch deren Zukunft mit im Blick haben. Deswegen hat mir auch das Ende des Buches sehr gefallen.

Eine unbedingte Leseempfehlung von mir! Das Buch sollte für Eltern Pflichtlektüre sein in einer Zeit, wo Kinder zunehmend auch sehr früh schon in Social Media etc. hinein gezogen werden.