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Kwinsu
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Salzburg

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Insgesamt 130 Bewertungen
Bewertung vom 21.11.2025
Kolb, Elli

Das Leuchten des Himmels an dunklen Tagen


ausgezeichnet

Sie war warm, sie kannte und herzte uns, aber eigentlich gehörte sie ganz woanders hin, zu anderen Tauben, in die Luft, sie wollte frei sein, wir alle wollten frei sein, und für mich gehörten Liebe und Freiheit auch irgendwie zusammen." (S. 208)

Romy trauert: ihr geliebter Opa Egon ist gestorben, jener Mann, der für sie war wie ein Vater, der sie großgezogen hat und ihr so viele Dinge über das Leben beibrachte. Sie weiß gar nicht recht, wie sie mit diesem Schicksalsschlag umgehen soll, reißt er sie doch in ein tiefes Gefühl der Einsamkeit. Doch gleichzeitig lernt sie Jakob kennen und er steht ihr zur Seite. Gemeinsam pflegen sie eine verletzte Taube gesund und das Band zwischen ihnen wird stärker. Bald jedoch muss sich Jakob verabschieden und ihre beider Zukunft bleibt ungewiss...

Ich muss sagen wie es ist: Elli Kolb gehört zu meinen Lieblingsautorinnen. Wie kaum eine andere schafft sie es meines Erachtens, die Realität in Romanform wiederzugeben. Ihre Figuren sind dermaßen authentisch, dass sie sich fast anfühlen wie Freund*innen. All die Gefühle, die ruhig, feinfühlig und vor allem unaufgeregt beschrieben werden, sind sehr nachvollziehbar. Hier gibt es kein Schwarz oder Weiß, das Leben bringt alle Facetten mit sich. Da kann Trauer gemeinsam mit Verliebtsein existieren, Mitgefühl mit Ärger, Sich-abgelehnt-fühlen mit Geborgenheit. Ich habe "9 Grad", den ersten Roman der Autorin, schon sehr geliebt, ob der Ehrlichkeit und Nachvollziehbarkeit, "Das Leuchten des Himmels an dunklen Tagen" ist mir fast noch mehr ans Herz gewachsen. Mag sein, dass das auch mit den Tauben zu tun hat.

Wir lernen sehr viel über diese missverstandenen Vögel, doch niemals belehrend, sondern natürlich eingewoben in die Geschichte. Genauso viel erfahren wir über den Schmerz der Trauer, das Gefühl, nicht zu wissen wie man mit dem Tod umgehen soll, den langsamen Aufbau von romantischen Gefühlen, der nicht einheitlich geschieht, das feste Band der Freundschaft genauso wie über Enttäuschungen familiärer Natur. All das in einem Tempo, das ruhig voranschreitet, niemals scheint ein zeitliches Ungleichgewicht. Der Kreislauf des Lebens, mit seinen Höhen und Tiefen, ehrlich anhand einer Geschichte um Trauer, Freundschaft, Enttäuschung, Hoffnung und Mitgefühl dargestellt.

Mein Fazit: "Das Leuchten des Himmels an dunklen Tagen" ist ein tiefgehender Roman über die Zerrissenheit der Gefühlswelt, wenn Trauer und Hoffnung sich vereinen. Mit feinfühliger und ruhiger Art erleben wir die Geschichte um Protagonistin Romy, die von Beziehungen zu unterschiedlichen Menschen und Tieren handelt. Für mich ein absolutes Jahreshighlight und eine Empfehlung an alle, die unaufgeregte, tiefgehende und authentische Geschichten mögen.

Bewertung vom 17.11.2025
Heinesen, William

Noatun


ausgezeichnet

Unwirtlich, lebensfeindlich und doch Heimat: das sind die Färöerinseln für ihre Einwohner und Einwohnerinnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Da sie in der Stadt keine Zukunft sehen, beschließt eine kleine Gruppe Menschen, in den vormals als "Dødmansdal" bekannten, entlegenen Landstreifen, den die neuen Einwohner*innen hoffnungsvoll "Noatun" nennen, Schiffsplatz - Sitz des Meeresgottes in der Nordischen Mythologie, um ihm eine positivere Konnotation zu verleihen, zu ziehen. Doch gleich zu Beginn gibt es ein Unglück und die Menschen sind sich unsicher, ob ihr neuer Wohnort ein Überleben möglich macht. Schließlich ist es die Gemeinschaft, die sie doch an eine sicherere Zukunft glauben lässt.

Der färingische Autor William Heinesen lebte von 1900 bis 1991, Noatun war sein zweiter Roman, der 1938 erschien. Doch der Stil ist zeitlos, auf gewaltige Art und Weise veranschaulicht er uns das harsche Leben auf den Inseln im Atlantik, die Landschaft scheint - wie bei vielen nordischen Werken - die zentrale Rolle zu spielen, sie prägt das Überleben und die Menschen, gibt ihnen einen eigenen, rohen Charakter, wobei die Gemeinschaft immer im Mittelpunkt steht. Und vielleicht ist das auch, was den Roman von der Gegenwartsliteratur abgrenzt, denn nicht das Individuum steht im Mittelpunkt, sondern das gemeinsame Überleben.

Die Geschichte Noatuns wird in Form eines Kollektivromans erzählt - ein literarische Gattung, die ich bislang noch nicht bewusst kannte. Dabei stehen nicht einzelne Charaktere im Mittelpunkt, sondern immer wieder wechseln sich die Personen ab, über die erzählt wird. Wir kommen ihnen dabei niemals nah, die Sprache und der Umgang miteinander ist roh, aber trotzdem lässt sich auch Herzlichkeit und Wärme für die Gemeinschaft, füreinander herauskennen, sehr stark sogar. Erstaunlich offen und mitfühlig zeigen sie sich gegenüber Menschen, egal welche mutmaßlichen Fehler sie mitbringen: ob die Ehefrau, die sich aus ihrem ehelichen Korsett löst, oder der Verbrecher, dessen wahren Kern die Dorfgemeinschaft sieht, die Frau, die einer Geisteskrankheit anheim fällt oder der ausgenutzte Nichtsnutz, der trotzdem viel beizusteuern hat. Dass das nicht jedem gefällt und die Gemeinschaft mit erheblichen Widerstand von Außen rechnen muss, ist fast schon klar. Da wundert das Urteil der anderen nicht: "Es ist ein allzu hartes und armes Leben, ein solches Leben kann die Menschen nur hart und sonderbar machen und abgestumpft, [...], nicht wahr, sie werden anders als andere Menschen... anders als die guten alten Färinger, die unser Land aufgebaut und unsere Kultur bewahrt haben..." (S. 271) Doch die Unterstellung geht zu weit, denn Glaube und Tradition sind auch Werte, die die Noatuner prägen, sehr sogar - und trotzdem sind sie offen für das Anderssein, eine Stärke, die die Gemeinschaft nicht nur solidarischer, sondern auch für die Leser*innen anziehend macht.

Mein Fazit: Noatun ist ein wunderschöner Roman aus den späten 1930er Jahren, der Einblick gibt in die harsche Lebenswelt der Färöer Inseln, der uns aber auch zeigt, wie wichtig Gemeinschaft und Offenheit sind, um ein Überleben in der Wildheit der unberechenbaren Natur zu garantieren. Sprachlich bewegt er sich im typischen nordischen Stil, der uns viel Atmosphäre und Rohheit bietet und ist ein absoluter Lesegenuss für alle, die das zu schätzen wissen.

Bewertung vom 17.11.2025
Poladjan, Katerina

Goldstrand


ausgezeichnet

"Ich stellte das Drehbuch fertig, fand eine Produktionsfirma, und Berlusconi wurde als Steuerbetrüger verurteilt. Das Leben war voller Hoffnung" (S. 119)

Eli ist ein egozentrischer, schrulliger Kerl, knapp über 60, mutmaßlicher Erfolgsregisseur und sein Lebensmittelpunkt scheinen seine Besuche bei der "Dottoressa" zu sein. Ihr erzählt er in fantastischen Bildern und nicht immer ganz glaubhaft seine Lebensgeschichte und seine persönlichen Qualen . Dabei nimmt er uns mit in eine bewegte Familiengeschichte: über seinen Großvater Lew, der mit seinen beiden Kindern Vera und Felix aus Moskau flieht, Vera geht dabei verloren und am bulgarischen, zukünftigen Goldstrand gelandet, will er die Hoffnung immer noch nicht aufgeben, seine Tochter doch noch zu finden. Während der Vater Lew ein karges Leben führt, verwirklicht Felix - Elis künftiger Vater - seinen Traum und wird Architekt, kehrt an den Goldstrand zurück, um ihm architektonisch zu Glanzzeiten zu verhelfen. Dort trifft er auf die Italienerin Francesca, die schließlich Elis Mutter wird. Doch da ein uneheliches Kind für deren Eltern eine Schande ist, muss Eli bei den Großeltern aufwachsen. So nimmt die erzählte Geschichte ihren Lauf und wird zu dem großen Film, den Eli niemals drehte.

Katerina Poladjan ist mit "Goldstrand" ein großartiger, sehr humoriger Roman gelungen, der einen absolut unzuverlässigen Erzähler vorweist und man so schließlich niemals weiß, was an Elis Erzählung Fantastik oder erzählerische Wirklichkeit ist. In nur knappen 160 Seiten packt die Autorin nicht nur eine bildgewaltige Szenerie, die sich tief im Gedächtnis absetzt, sondern unterschwellig auch eine zeitgeschichtliche Abhandlung vom östlichen Teil Europas bis Italien. Eli ist ein gnadenloser Blender, der sich selbst und seine Familiengeschichte groß macht. Zuerst habe ich ihm (oder vielmehr der Autorin), alles abgekauft, doch langsam und unauffällig, spitzt sich die Fantastik zu und man beginnt sich zu wundern. Höhepunkt in dieser Trügerei war für mich, als in den Therapiesitzungen mit der Dottoressa plötzlich Paolo auftaucht - und durch seine bloße Anwesenheit in den Verlauf der Therapiesitzungen eingreift. Eli wird plötzlich klein und zurückhalten und beginnt vielleicht, sich selbst zu reflektieren. So genau weiß man es aber nicht, genauso wenig, ob nun Halluzinationen, Vergesslichkeit oder bloß eine Verwunderung auftritt. Jedenfalls besinnt er sich nun mehr auf die Gegenwart, als die Vergangenheit und beginnt, sich mit seiner eigenen, gescheiterten Familie auseinanderzusetzen. Was aber niemals fehlen darf, ist der Glauben an den Film.

Die Autorin zeichnet den Charakter Elis so eindrücklich mit ihrer bildhaften Sprachkunst, dass man ihn trotz - oder vielleicht gerade aufgrund - etlicher Unzulänglichkeit einfach mögen muss. Generell ist ihr Schreibstil beeindruckend, denn er protzt nicht mit Schnörkeleien, sondern ist eingänglich und zugleich charakterstark. Die humorige Note, die im ganzen Roman an den Tag gelegt wird, wenn Eli von sich selbst spricht, ist wirklich witzig und trotzdem nimmt sie dem Protagonisten nichts an Ernsthaftigkeit, stellt ihn nicht bloß. Die Themen sind zeitgeschichtlich und politisch äußerst geschickt in die Geschichte verwoben, ohne dass sie zu sehr in den Vordergrund treten, was dem Buch eine zusätzliche Tiefe verleiht.

Mein Fazit: Goldstrand ist für mich definitiv eines meiner Lesehighlights im Jahr 2025. Wer ein humoriges, tiefgründiges und bildhaftes Buch, mit unterschwelligem zeitgeschichtlichen und politischen Kolorit mag, das zudem noch sehr eingänglich zu lesen ist, muss unbedingt zu diesem großartigen Roman greifen!

Bewertung vom 16.11.2025
McEwan, Ian

Was wir wissen können


sehr gut

Thomas Metcalfe ist Literaturwissenschaftler, lebt in einer Welt aus Inseln, es ist das Jahr 2119. Seine Leidenschaft, oder vielmehr Obsession, gehört dem "Sonettenkranz für Vivien", der über hundert Jahr zuvor bei einer Feierlichkeit anlässlich des Geburtstags von Vivien Blundy, Frau des verfassenden Literarten, vorgetragen wurde und seitdem als verschwunden gilt. Thomas recherchiert intensiv und nach all den gegebenen Möglichkeiten, um den Gedichtzyklus aufzuspüren, doch während sich die Welt in der er lebt, um drängendere Probleme kümmert, zeigen sich für die Leser*innen ungeahnte Vorkommnisse, welche die Wahrheit in ein anderes Licht rücken lässt.

Ian McEwans Buch "Was wir wissen können" zu bewerten, fällt mir nicht leicht. Es war das erste Buch, dass ich von dem wohlbekannten Autor gelesen habe und bin froh, es nicht mit Vorgängerwerken vergleichen zu müssen. Ich bin hin und her gerissen zwischen Gefallen und Unbehagen - aber je länger das Buch nachwirkt, desto mehr entfalten sich Aspekte, die mich schlicht begeistern. Aber von vorn:

Beim ersten Teil des Buches verfolgen wir die Obsession Thomas Metcalfes - seine Gedanken drehen sich stets um den verschollenen Sonettenkranz, vielmehr um Details zu dem Abendessen, an dem dieser vorgetragen wurde - und auch, aber eher hintergründig, um seine Beziehung zu seiner Kollegin Rose. Diesen Teil fand ich irrsinnig mühsam und in großen Stellen langweilig, auch wenn mich die Sequenzen, in denen über die "Gegenwart" (also das Jahr 2119) sehr faszinierten - wie McEwan die Welt in der Zukunft malt, finde ich sehr interessant und realistisch. Die Kunst, die er einlegt, ist, dass die Welt wie sie geworden ist, nicht vordergründig erzählt wird, sondern in Beisätzen, in kleinen Schaubildern, die der Autor in die Storyline einarbeitet. Diese Sequenzen waren für mich der Anker, der mich dazu veranlasst hat, weiterzulesen (auch wenn ich ob der ausufernden Beschreibung um Francis und Vivien Blundys Festmahl das Buch regelmäßig weg legen musste). Dann der große Bruch: wir lesen nun aus der Sicht von Vivien Blundy, sind also in die erst geschehene Vergangenheit geworfen worden. Hier ändert sich der Stil schlagartig, staunend lesen wir über Blundys Liebesleben - ihre Ehen, Affären und einschneidende Erlebnisse, die so nicht zu erwarten waren. Der Teil ist sehr kurzweilig geschrieben, keine Langeweile mehr, erklärt vieles, gibt aber auch ausreichend Platz zum Spekulieren für die Lesenden. Trotzdem die Fadesse verschwunden war, staunte ich über das Erzählte sehr, denn der Duktus hatte sich so erheblich geändert, dass ich mir gar nicht mehr sicher war, ob diese Vivien Blundy-Welt tatsächlich vom selben Autor stammte. Oft blieb ich irritiert zurück.

Als ich das Buch beendet habe, dachte ich mir: nö, das war ja jetzt gar nicht meins. Der Nachhall belehrte mich aber eines Besseren. Ich hatte das Glück an einer Leserunde teilzunehmen und wir diskutierten das Buch wirklich intensiv. Je mehr wir diskutierten und je mehr Zeit nach Beendigung vergingen, desto mehr begann mich das Buch zu überzeugen, die kleinen Details über die Zukunftsszenarien, die Frage, was der Autor uns jetzt eigentlich mit allem sagen will, die Frage nach der Wahrheit, die es doch so eigentlich gar nicht geben kann. Was wissen wir denn wirklich schon und was können wir denn eigentlich tatsächlich wissen? So sind es viele kleine Themen, die der Autor geschickt versteckt angeht, seine Kunst ist es, die Komplexität des Menschseins aufzudröseln, auch in Nebensächlichkeiten. Mittlerweile empfinde ich das Buch als äußerst geschickte Komposition, die zwischen der Absurdität und Genialität der Menschheit liegt, wobei erstere definitiv die Oberhand behält. Ich kann mir vorstellen, dass "Was wir wissen können" eines jener Bücher sein wird, dass mich sehr lange gedanklich begleiten wird. Ein Stern wird trotzdem abgezogen, für die zähen Stunden die ich mit lesender Langeweile verbringen musste.

Mein Fazit: "Was wir wissen können" ist ein Roman, der erst im Nachhall zur vollen Entfaltung kommt. Ich empfehle jedem*r, der/die sich an das Buch heranwagt, es gemeinsam mit anderen zu tun, denn seine vielfältigen Dimensionen und auch seine Großartigkeit kommen erst in der Diskussion voll zur Geltung. Der komplette Erkenntnisgewinn bleibt aber aus und das ist gut so, Hauptsache wir wissen: wir wissen nichts.

Bewertung vom 16.11.2025
Bhatter, Ina

Drei Tage im Schnee


weniger gut

Hannah will ihrem hektischen und durchgetakteten Leben entfliehen und bucht sich kurzerhand für ein verlängertes Wochenende eine Hütte am See. Dort lernt sie die kleine Sophie kennen, mit der sie viel Zeit verbringt, Schneeengel formt, ein Schneinhorn baut. Doch vor allem bringt das kleine Mädchen sie zum Nachdenken darüber, wie kasteiend sie ihr Leben verbringt.

Nachdem ich die Leseprobe gelesen hatte, dachte ich, mich würde ein leichter Roman über eine schöne Begegnung erwarten, die die Protagonistin vielleicht etwas zum Umdenken über ihr hektisches Leben bringen würde. Tja, das tun die Begegnungen mit Sophie tatsächlich - allerdings anders als erwartet. Hannah reflektiert in den wenigen Tagen ALLES, was in ihrem Leben schief gelaufen ist oder es immer noch tut. Das kleine Mädchen Sophie ist dafür ihr Spiegel, mit einfachen Fragen aus Kindersicht bringt sie Hannahs Welt zum Wanken. Soweit so unkritisch. Allerdings ist für meinen Geschmack der Reflexionsprozess viel zu ratgeberisch überladen: Hannah hat eine Erkenntnis nach der anderen, weiß plötzlich, was sie ändern muss oder was falsch läuft, die paar Begegnungen scheinen ihr Leben komplett umzuwerfen. Die Geschichte rückt dabei vollkommen in den Hintergrund, wir verfolgen Hannahs Gedankengänge, ihre Erkenntnisse über ihre Unglücklichkeiten, die Zwänge, in denen sie sich - und vermutlich auch alle Leser*innen - tagtäglich befindet. Für mich persönlich ist das alles viel zu überkonstruiert, überladen und deshalb unglaubwürdig. Nicht, dass ich etwas gegen Texte hätte, die eine dazu bewegen, über das eigene Leben nachzudenken, aber ich bevorzuge dann eher unterschwelligere Hinweise. Bei diesem Buch hätte ich mir gewünscht, dass es als "Ratgeber-Roman" gekennzeichnet ist, dann hätte ich vermutlich nicht dazu gegriffen, da ich ehrlicherweise nichts mit Ratgebern anfangen kann (was mir dieses Buch auch wieder zeigte).

Am Schreibstil selbst ist nichts auszusetzen und ich bin überzeugt davon, dass das Buch sehr vielen Leser*innen helfen wird, ihr Leben zu überdenken, die die Art und Weise, wie das Buch mit allem Ratgeberpathos geschrieben ist, mögen. Die Geschichte selbst ist süß und unaufgeregt. Für mich war das es allerdings überhaupt nichts und darauf beziehen sich meine zwei Sterne.

Bewertung vom 27.10.2025
Lühmann, Hannah

Heimat


gut

Jana und Noah leben seit kurzen in einer Neubausiedlung im Dorf. Sie beschließt plötzlich, ihre Arbeit zu kündigen, was bei ihrem Mann so gar nicht auf Verständnis stößt. Dieses findet Jana dann bei einigen Frauen im Ort, allen voran Karolin. Die Insta-Influencerin zieht Jana schnell in ihrem Bann, auch wenn deren konservative Haltung sie - zumindest am Anfang - irritiert.

Ich hatte mich wirklich schon sehr auf diesen Roman gefreut, da er so viele positive Kritiken bekommen hat. Allerdings bin ich im Nachgang irgendwie enttäuscht. Die Protagonistin Jana ist völlig naiv und unreflektiert. Mir kommt vor, dass sie zu gar nichts eine eigene Meinung hat. Warum sie ihren Job gekündigt hat, ist nicht wirklich nachvollziehbar. Dass ihre neue Freundinnen erzkonservativ sind und sich ihren Männern unterstellen, um ganz für die Kinder da zu sein, lässt sie zwar anfänglich etwas wundern. Doch im Laufe der Zeit entwickelt sie eine beinahe krankhafte Obsession mit Karolin, man fragt sich, ob sie sich nicht in sie verliebt hat. Deren Mann, der offensichtlich nicht vor Gewalt seiner Frau gegenüber zurückschreckt, findet sie ebenfalls ziemlich anziehend. Dass Noah über ihre unnachvollziehbare Wandlung nicht glücklich ist und Jana kaum mehr erkennt, scheint sie überhaupt nicht zu stören.

Ab und an lesen wir über die Aktivitäten der AfD im Dorf, über die Ablehnung von fremder Kinderbetreuung und Impfungen. Über die augenscheinliche Differenz zwischen Insta-Wahrheit und Wirklichkeit, über Gewalt gegen Frauen und Lästereien sogenannter Freundinnen. Das hätte grundsätzlich das Potential für eine packende, gesellschaftskritische Story, doch die Protagonistin bleibt m.E. so farb- und hirnlos und unrealistisch, dass ich mich nur drüber ärgern kann. Außerdem werden absichtlich etliche Lücken eingebaut, die Leser*innen wissen über vieles nicht Bescheid und das Ende bleibt absolut offen. Das wäre ja an und für sich kein Problem, Spekulationen besonders bei einem offenen Ende sind reizvoll. Aber hier bleibt bereits im Fortgang der Geschichte so viel unerzählt, dass ich mich frage, warum es überhaupt thematisiert wurde. Die rechtsextremen und tradwifeigen Tendenzen werden auch eher nur eingestreut, ohne eine stimmiges Gesamtbild geschweige denn eine entsprechende Dorfatmosphäre zu ergeben. So frage ich mich am Schluss: was sollte hier eigentlich erzählt werden?

Mein Fazit: Heimat ist ein gut zu lesender Roman mit einem aktuellen Thema, aus dem man eine gute, gesellschaftskritische Geschichte bauen hätte können. Leider ist für mich die Story und vor allem die Protagonistin weder stringent noch nachvollziehbar, auch wenn das offene Ende seinen Reiz hat.

Bewertung vom 26.10.2025
Kaiser, Vea

Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels


sehr gut

Angelika ist eine gute Buchhalterin. Sie arbeitet im Grand Hotel Frohner in Wien und wird schnell die Vertraute vom Direktor, der sie ab und an bittet, nicht ganz legale Sachen für ihn zu erledigen. Da sie mit ihrer neu gekauften Wohnung Probleme hat und sie auch nicht das allerbeste Händchen für Männer besitzt, beschließt sie, sich ein bisserl was vom Hotel zu borgen. Erst ist sie panisch, erwischt zu werden, schnell aber merkt sie, dass das Borgen so überhaupt nicht auffällt. Und so läppert sich im Laufe der Jahre ein hübsches Sümmchen zusammen...

Vea Kaiser ist mit "Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels" ein amüsanter und kurzweiliger Roman gelungen, der nie im Leben leugnen kann, dass er aus Österreich stammt. Da ist die vielfältig eingesetzte österreichische Sprache (sogar mit einem wienerischen - deutschen Wörterbuch am Ende), da ist die österreichische Bussi-Bussi-Gesellschaft, zu der Angelika gern dazu gehören möchte und da ist der Fakt, dass man es mit der Buchhaltung nicht so genau nimmt, weil der Direktor das sagt und er schließlich auch seine Golfurlaube bezahlen muss - die natürlich nur im Sinne des Hotels getätigt werden.

Die Protagonistin ist zwar gut im Buchhalten, ein Menschengespür scheint sie aber nicht zu haben. Immer wieder klappt es nicht mit den Männern, auch nicht mit ihrem Sohn, für den sie alles, wirklich alles tut (u.a. natürlich sich für seine Spielschulden ein bisserl was vom Hotel ausleihen). Dann hat sie noch eine typisch österreichische Mutter, die mit ihrem ordinären Slang nicht in der Lage ist, Zuneigung zu zeigen, sondern lieber in ihrem Grant den Gemeindebau beglückt und einfach nicht in Pension gehen will, obwohl sie es mit dem Vergessen hat - sprich: dement ist.

Der Humor ist amüsant, die Sprache der Autorin sehr eingänglich zu lesen und lange Zeit kann man irgendwie Verständnis für Angelika aufbringen. Das hat auch damit zu tun, dass wir ausführlich und zum Mitfühlen mit der Figur vertraut werden, mit ihrem Karrierebewusstsein, ihren Männergeschichten, der Beziehung zu ihrer Mutter und zu ihrer heroinsüchtigen Freundin Ingi. Bis dass sich Angelika das erste Mal etwas borgt, dauert es sehr viele Seiten. Noch interessanter macht die Geschichte, dass zwischen den Kapiteln immer auch wieder die vermeintliche Autorin berichtet, wie sie Angelika im Gefängnis besucht und sie sie zu ihrer Lebensgeschichte interviewt. Vea Kaiser berichtete in Interviews, dass sie sich an einer realen Geschichte orientierte, die Interviews im Roman dürften aber reine Fiktion sein.

Trotzdem das umfangreiche Buch wirklich gut und schnell zum Lesen geht, bleibt bei mir am Ende ein wenig ein fahler Beigeschmack. Während wir wirklich sehr ausführlich in Angelikas Leben eingeführt werden und vorerst eher nur über wenige Monate und Jahre begleiten, beginnt die Geschichte ab ca. der Hälfte zu hetzen. Ganz schnell wird ihr Sohn groß, plötzlich gibt es neue Partner, ihre kriminellen Machenschaften bleiben immer eher im Hintergrund (auch wenn wir doch immer wieder von ihren Schuldgefühlen erfahren). So hat für mich das Erzählte ein Ungleichgewicht und ich konnte den Kern der Geschichte nicht so ganz ausmachen. Denn plötzlich ist Angelika auf Luxus aus, obwohl davon in der langen Einleitungsphase noch überhaupt nichts zu ahnen war. Der Tiefpunkt kommt ebenso schnell und auf wirklich den letzten Seiten des Buches. Von mir aus hätte das Buch ruhig noch ein paar Seiten mehr haben dürfen, damit ich besser nachvollziehen hätte können, wie sich der Wandel der Hauptfigur einstellte.

Mein Fazit: Fabula Rasa ist ein eingänglich zu lesendes Buch, dass mit viel österreichischem Kolorit und einem Humor, der eine viel schmunzeln lässt, aufwartet. Trotzdem ich das Buch wirklich sehr gern gelesen habe, finde ich schade, dass der Wandel der Hauptfigur für mich nicht ganz schlüssig von statten gegangen ist. Trotzdem kann ich das Buch allen empfehlen, die Lust auf humorig Österreichisches haben und sich nicht vom Umfang abschrecken lassen.

Bewertung vom 26.10.2025
Foenkinos, David

Das glückliche Leben


sehr gut

Das Leben von Éric ändert sich schlagartig, als seine ehemalige Schulkollegin Amelié ihn in die Politik holt. Als der zuverlässige Karrierist bei einer wichtigen Geschäftsreise in Seoul auf eine außergewöhnliche Dienstleistung stößt, haut es ihn buchstäblich aus den Socken: er erlebt seine eigene Beerdigung und weiß, er will etwas in seinem Leben ändern. Prompt importiert er das Konzept nach Frankreich und trifft damit den Zahn der Zeit. Dadurch, dass er wieder zu seiner eigenen Mitte findet, verbessert sich auch die Beziehung zu Familie und Freunden und bringt unerwartete Wendungen.

David Foenkinos Roman "Das glückliche Leben" ist eine wohlige Erzählung darüber, dass Karriere und Erfolg nicht alles ist im Leben. Wir erleben die stressige und auslaugende Welt der Politik, in der man genauso schnell abgeschrieben werden kann, wie man einst hineingerutscht ist, wir erfahren aber auch von der Kraft und dem Willen zur Veränderung, wenn man mit seinem eigenen Ende konfrontiert ist. Die Beschreibungen wie die Menschen "Happy Life", wie die Fake-Eigene-Beerdigung heißt, wahrnehmen und wie sie die Erfahrung verändert, ist einnehmend, wenn auch teilweise etwas zu schnell abgehandelt und nicht voll nachvollziehbar argumentiert. Grundsätzlich scheint dem Protagonisten Éric schier alles zu gelingen, was er nach seiner Wandlung anfasst. Er reflektiert gut, was er will und was nicht und handelt auch dementsprechend.

Sehr gut hat mir der Schreibstil gefallen. Er ist oft humorig, besonders die Nachsätze oder Kommentare, welche die Gedanken der Protagonist*innen ergänzen und als Klammer oder Fußnoten eingeschoben werden, sind sehr lustig. Wir lesen auch in verschiedenen Perspektiven - von Amelié und von Éric - was auch die Spannung gut aufbaut. Grundsätzlich lässt sich das Buch sehr kurzweilig lesen. Zudem wechseln sich Tiefe, Oberflächlichkeit und leichte philosophische Gedanken in einem guten Verhältnis ab.

Was man bekritteln kann, ist, dass alles schon fast zu glatt läuft, alles so wohl bedacht ist und dann auch noch alles so fein ausgeht. Normalerweise bin ich davon kein großer Fan, doch irgendwie hat es der Autor durch seine sympathische Figurenzeichnung und den einnehmenden Schreibstil geschafft, dass das Buch ein wohliges Gefühl in mir hinterlassen hat und ich es wirklich gerne mag: ich finde es nämlich trotz allem nicht kitschig.

Mein Fazit: Das glückliche Leben ist ein wohliger Roman über eine außergewöhnliche Geschäftsidee, die den Protagonisten zu sich selbst finden lässt und damit Erfolg hat - nicht nur beruflich, sondern auch in seinen Beziehungen. Es ist keine hochliterarische Erzählung und scheinbar alles löst sich in Wohlgefallen auf - aber warum darf man sich beim Lesen nicht auch einmal entspannen und die glücklichen Vibes mitnehmen? Und das nämlich ohne Kitsch!

Bewertung vom 04.10.2025
Abel, Daniel C.

Sharkpedia - Die erstaunliche Welt der Haie (eBook, ePUB)


sehr gut

Sharkpedia ist ein Hai-Lexikon der besonderen Art: Autor Daniel C. Abel untermalt die lexikalischen Einträge mit seiner eigenen, ganz persönlichen Note, denn er lässt uns an seinen persönlichen Erfahrungen als Ozeanologe teilhaben. Der Schreibstil ist typisch für englischsprachige, akademische Texte - leicht verständlich und sehr niederschwellig. Hinzu kommt die humorvolle Art, indem alles Wissenswerte über Haie dargeboten wird. Von anatomischen Begebenheiten, über Hai-Rezeptionen in der Populärkultur und Kunst, hin zu der Bedeutung von Haien fürs Ökosystem und den verschiedenen Haiarten ist alles dabei, was sich interessierte Haifans wünschen. Auch die Jagd auf den Hai und die Angst vor ihm wird ausreichend thematisiert, sodass man nach dem Lesen den Eindruck hat, selbst zum Haiexperten oder zur Haiexpertin geworden zu sein.

Einen Stern muss ich aber doch abziehen: die Begrifflichkeiten, die lexikalisch voran gestellt werden, beispielsweise "Apfeltauchen" oder "CSI: Shark" mögen zwar catchy sein, waren für mich aber teilweise schwer nachvollziehbar und ich musste häufig mehrere Male nachlesen, bis ich verstand, was sie zu bedeuten haben. Das ist aber nur mein persönlicher Eindruck, denn mir sind sachliche Begrifflichkeiten lieber. Auch die immer wieder eingeworfenen persönlichen Episoden des Autors empfand ich als stellenweise unpassend und haben mich von der tatsächlichen Sache abgelenkt. Diese sehr persönliche Note in Sachbüchern ist in letzten Jahren sehr beliebt und gefällt wohl vielen Leuten, für meinen Geschmack dürfte es oft aber etwas wissenschaftlicher sein.

Mein Fazit: Sharkpedia ist ein äußerst informativer Beitrag, um die Lebensweisen, Fakten und den Umgang mit Haien besser zu verstehen. Durchgehend schildert der Autor, selbst Ozeanologe und Haiforscher, viele seiner persönlichen Begegnungen mit Haien und verleiht dem Hailexikon seine ganz persönliche Note.

Bewertung vom 21.09.2025
Flasar, Milena Michiko

Der Hase im Mond


sehr gut

"Anders als in der Fernsehserie gab es weder eine Pointe noch eine Moral noch das obligatorische Happy End." (S. 214)

Dieses Zitat aus Milena Michiko Flasars Erzählband "Der Hase im Mond" fasst vortrefflich zusammen, wie ich ihre neun Kurzgeschichten wahrgenommen habe. Ich konnte oft weder eine Moral, noch eine Pointe, geschweige denn ein Happy End finden. Das ist grundsätzlich auch nicht nötig. Der Schreibstil der Autorin ist sehr besonders, er hat mich eingenommen, auch wenn der Ablauf der Geschichten ab und an zäh und nervig daherkam. Es erfordert einiges an Geduld, eine Geschichte so hinzunehmen, ohne dass sie augenscheinlich Sinn ergibt. Das Zitat, was zum Ende des Buches aufgeworfen wird, scheint mir auch sehr bewusst dorthin gesetzt worden zu sein.

Sie setzt die Realität oft in einem schwebenden Zustand, der ab und an ins Fantastische gleitet, an. "Was ist tatsächlich geschehen?" ist eine zentrale Frage, die ich mir beim Lesen ständig gestellt habe. Die verhandelten Themen sind vielfältig und wiederkehrend: Mann-Frau- & Eltern-Kind-Beziehungen, Rollenverteilung, Verwahrlosung, Aufgabe des Alltags, Äußerlichkeiten (v.a. weiße Zähne), Gefühlsstörungen & Wahnhaftigkeiten, ein intensives sich-Hineinsteigern in unterschiedliche Beobachtungen, die Suche nach dem Selbst, das eigene Scheitern und andere Abhängigkeiten. Auch Tiere spielen immer wieder eine Rolle.

Es wäre schön, das Buch mit einer japanischen Brille lesen zu können: die Autorin hat einen japanischen Elternteil, die Geschichten spielen in Asien und wären vermutlich greifbarer, hätte man einen entsprechenden kulturellen Background. Meine Gefühlslagen zu den Erzählungen schwankte zwischen Bezauberung, Mitgerissen-sein, Abstoßung, Langeweile, Entnervung, Verwirrtheit und Begeisterung. Solche Schwankungen zu verursachen, zeugt von großem Talent, vor allem unter dem Aspekt, dass sich eine Sinnhaftigkeit der Geschichten nur selten einstellt. So alltäglich sie sein mögen, so sehr versetzen sie einen in eine andere, beinahe schon alienesque Welt. Begleitet werden die unterschiedlichen Protagonist*innen stets von philosophischen Gedankengängen. Eines steht fest: hinterher ist man keineswegs schlauer.

Mein Fazit: "Der Hase im Mond" ist eine sehr spezielle Kurzgeschichtensammlung, die mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet. Sie glänzt durch eine magische literarische Sprache, die einen in eine andere Welt zu versetzen mag. Eine Leseempfehlung spreche ich aus für alle, die es nicht stört, nach dem Lesen keinen Sinn entdecken zu müssen.