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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Herbert Huber
Wohnort: 
Wasserburg am Inn

Bewertungen

Insgesamt 231 Bewertungen
Bewertung vom 28.04.2024
Kants Welt
Geier, Manfred

Kants Welt


sehr gut

Anläßlich des Kant Jubiläumsjahrs (Kant wurde 1724 geboren) las ich Kants Welt. Ähnlich wie sein Hauptwerk Kritik der reinen Vernunft ist der Titel zweideutig. Es geht primär um die Geisteswelt, die Kant erschaffen und ausgelotet hat, nicht so sehr um Welt, in die Kant hineingeboren wurde, obwohl diese als Bedingung der Möglichkeit von Kants Werk auch eine Rolle spielt.
Geier gelingt es entlang des Lebenlaufs die großen Denkgebäude Kants anzureißen. Er beschreibt die Antworten auf die großen Fragen die der Königsberger Philosoph selbst gestellt hat. Die Leser gewinnen einen Überblick, mehr nicht. Entweder man hat Vorkenntnisse und frischt die durch Kants Welt auf, oder man steigt dann selbst in die Primär- und Sekundärliteratur ein.

Bewertung vom 12.04.2024
Of Mice and Men
Steinbeck, John

Of Mice and Men


ausgezeichnet

Steinbeck versammelt in Of Mice and Men alle Diskriminierten:
* geistig und körperlich beeinträchtigt,
* alt, andere Hautfarbe,
* Frau und deshalb diskriminiert, zumindest so ausgeschlossen, dass sie auf der eigenen Ranch einsam ist.
Er behandelt topaktuelle und alle betreffenden Themen:
Einsamkeit, Freundschaft, Wanderarbeiter, Diskriminierung, Behinderte, American Dream. die Hand als Symbol der Arbeit
Dazu bemüht er biblische Bezüge (Paradise Lost; Kain; Eva; …)
Man kann an Of Mice and Men allenfalls kritisieren, dass es zu kurz ist und Charaktere und Themen breiter behandelt werden müssen. Ansonsten ist es ein reichhaltiger und knackiger Kurzroman, der zu meinen top fünf Romanen gehört.

Bewertung vom 05.04.2024
Light in August
Faulkner, William

Light in August


ausgezeichnet

Raunend wird von der Lektüre von Faulkner gewarnt, bis hin zu unlesbar. Damit war ich auf einiges gefasst und wurde belohnt. Die Leser tauchen in die US-Südstaaten der 1930-er ein und erleben einen Horrortrip. Nahezu alle Kapitel sind großartig konzipiert und ausgeführt. Es geht um Rassismus, Religion, Geschlechter, Vereinsamung und Gesellschaft. Joe Christmas, eine der Hauptfiguren, muss für die Sünden des Südens büßen und das gnadenlos.
Die Sprache ist grandios, was der deutsche Leser schon am Wortreichtum merkt. Keine leichte Lektüre, aber lohnend. Mir wurde der Zugang erleichtert durch ein Read-Along Projekt im Web. Demnächst dann weitere Faulkner-Romane auf meiner Zu-Lesen-Liste.

Bewertung vom 31.03.2024
The Secret Agent
Conrad, Joseph

The Secret Agent


sehr gut

Mit „The Secret Agent“ gelang Joseph Conrad ein Chamäleon-Roman. Er beginnt im Milieu eines Londoner Hinterhofs, das von Charles Dickens sein könnte. Dann erfolgt – wie zu erwarten – der Agenten- und Spionageteil, der in einen Anschlag von Anarchisten auf das Observatorium in Greenwich gipfelt. Er scheitert tragikomisch, Die Leser sind in einer Burleske, in der nicht nur die Anarchisten und Agenten Stümper sind, sondern auch die ermittelnde Polizisten. Inspektor Heat scheint den Kriminalfall zu lösen. Doch da geschieht ein Mord und der Text wird zum psychologischen Familienroman.
Im Jahr 1907 erschienen, ist „The Secret Agent“ topaktuell. Die allseitigen Stümper von damals sind heute gefährlicher.
Erfordert Aufmerksamkeit der Leser, ist dann aber unterhaltsam und stellenweise witzig, wenngleich mit einigen Längen.

Bewertung vom 22.03.2024
Unter dem Steinernen Meer
Becher, Peter

Unter dem Steinernen Meer


sehr gut

Der Autor Peter Becher steht für die deutsch-tschechische Aussöhnung, ist seit 2019 Vorsitzender des Adalbert Stifter Vereins und seine Biografie hat einiges mit den Lebensläufen im Roman gemein. Vordergründig geht es um die Freundschaft des deutschen Arztes Karl Tomaschek mit dem Tschechen Jan Hadrava im Lauf der Zeit. Durch eine raffinierte zeitliche Verschachtelung geraten die Leser immer weiter in die tschechisch-deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. Bewusst lässt Becher gelegentlich Realität, Vorstellungskraft und Imagination verschwimmen und das macht den besonderen Reiz des Romans aus. Mich zwang die sich allmählich klärende Handlung, der besondere Aufbau und die stifternahe Sprache in eine zügige Lektüre. Bis hierher hohes Lob. Die konsequent fehlenden Anführungszeíchen bei wörtlichen Reden verstärken die Absicht des Autors, waren mir aber ein Schritt zuviel.

Bewertung vom 18.03.2024
The Big Nowhere
Ellroy, James

The Big Nowhere


gut

Die harte Sprache und das turbulente Geschehen in LA Anfang der Fünfziger des vorigen Jahrhunderte nahm mich lange gefangen. Die bizarren Morde und die noch bizarrere Aufklärung ziemlich am Ende zogen meine Aufmerksamkeit aber hinunter. James Ellroy gibt den Lesern keine Sekunde Zeit zum Verschnaufen mit irgendeiner Beschreibung der Stadt oder Landschaft. Andrerseits sind viele der Dialoge und Randereignisse wenig zielführend.
Es verblieb ein durchwachsener Eindruck.

Bewertung vom 18.03.2024
Das geschenkte Mädchen
Arz, Martin

Das geschenkte Mädchen


gut

Alles in der Krimi-Ankündigung sprach mich an, insbesondere auch die Verbindung zur deutschen Kolonialgeschichte. Ich folgte dem Krimi in alle Verästelungen, doch letztlich zündete er nicht.
Woran lag es? Der verschachtelte Aufbau läßt die aktuellen Ereignisse in München mit den Aufzeichnungen aus der Kolonialzeit abwechseln. Die beigefügte Landkarte Kameruns erleichtert die Lektüre. Doch das funktionierte diese Verschachtelung bei mir nicht. Beide Ereignisräume erfordern Präsenz des Lesers, denn beide lassen umfangreiches Personal agieren. Die Zusammenhänge sind lange unklar und so wird die Spannung jeweils unterbrochen. Dabei unterscheiden sich die beiden Teile stilistisch kaum. Auf den Herbst 1895 folgt der Frühsommer desselben Jahrs.

Bewertung vom 28.02.2024
Die Majorin
Wiechert, Ernst

Die Majorin


weniger gut

Michael Fahrenholz, ein Kriegsheimkehrer (aus dem 1. Weltkrieg; der Roman erschien 1934), wird von der Majorin (Großgutsbesitzerin) als Jäger angestellt. Beide verarbeiten ihre ganz unterschiedlichen Kriegserfahrungen. Michael war schon für tot deklariert worden und muss sich ins Leben zurückkämpfen. Seine Zerrissenheit zeigt sich in mehreren Wutanfällen, von denen einer darin mündet, dass er das Auto des Sohnes der Majorin (als Prototyp für Zivilisation) beschießt.
Alle Leitmotive im Werk Wiecherts sind also vorhanden: die einsame Natur der Masuren, die dunklen Wälder mit cirka zwanzig verschiedenen Vogelarten, die Zivilisationskritik und die Protagonisten, die mit dem Leben nicht zurecht kommen.
Zunächst erzielt der gedrechselte Erzählstil einen Sog. Das nutzt sich aber mit für mich kaum entschlüsselbaren Andeutungen, überbordender Symbolik und veraltetem Satzbau schnell ab.

Bewertung vom 22.02.2024
Ernst Wiechert: Das einfache Leben. Vollständige Neuausgabe
Wiechert, Ernst

Ernst Wiechert: Das einfache Leben. Vollständige Neuausgabe


sehr gut

Kapitän Thomas von Orla kommt mit der Großstadt und der Zivilisation nach dem Ersten Weltkrieg nicht klar und flüchtet auf eine Insel im Wald in den Masuren. Getrieben wird er vom 90. Psalm: ›Wir bringen unsere Jahre zu wie ein Geschwätz.‹
Das einfache Leben ist bestimmt von einem Idyll an bodenständiger Arbeit und hoher Kultur (Bibliothek, Schriftstellerei, klassischer Musik …) und von vorgegebenen Hierarchien. In vielen Bezügen also auch nicht einfach, sondern nur zivilationsfern.
Ich akzeptierte manch unmotiviertes Ereignis und den kunstvollen Erzählstil. Da stellte sich ein Lesesog ein, der bis einige Kapitel vorm Schluss des Romans anhielt. Wem Adalbert Stifters „Der Nachsommer“ zu lang ist, greife zu „Das einfache Leben“.

Bewertung vom 18.02.2024
Blood Brothers
Arnold, Elliott

Blood Brothers


sehr gut

Es beginnt zu vorhersehbar. Ich fühlte mich an meine Karl May Zeit vor über 60 Jahren versetzt (Blutsbrüder gab es dort auch). Als ich meinte, das kann ich weglegen, zog die Handlung und Dramatik an. Die langsam einsetzende Freundschaft zwischen Cochise und Tom Jeffords wirkte nicht aufgesetzt. Die Lage in Arizona des 19. Jhdts. und im Nahen Osten, 21. Jhdt., ist verschieden, aber Gedankenparallelen kommen bei der Lektüre. Die Lösung in beiden Sachlagen lag / liegt darin Klüfte vorbehaltslos zu überwinden.