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Eternal-Hope
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Österreich

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Insgesamt 94 Bewertungen
Bewertung vom 29.08.2025
Keßler, Verena

Gym


sehr gut

Witzig, schräg und makaber:

"Gym", nach den "Geistern von Demmin" und "Eva" nun das dritte Buch von Verena Keßler, liest sich leicht und schnell. In kurzweiligen Szenen erleben wir die namenlose Ich-Erzählerin, die ihren früheren prestigeträchtigen Job wohl verloren hat, auf Bewährung ist und nach einer Anstellung sucht und diese im Mega-Gym-Fitnesscenter findet.

Ihren nicht ganz perfekten Körper erklärt sie mit der Lüge, gerade erst entbunden zu haben, doch bald wird sie dem Fitnesshype verfallen und immer mehr trainieren, immer stärker und kräftiger werden und dafür vieles aufs Spiel setzen, bis zum sehr schrägen Ende des Buches, das ich hier natürlich nicht verraten möchte.

Das Buch ist eine sarkastisch-bissige Kritik an den überzogenen Maßstäben, die insbesondere an weibliche Körper von der Gesellschaft angelegt werden, und zeigt in humorvoll-übertriebener Art auf, wozu der daraus resultierende Selbstoptimierungshype und die damit verbundene Konkurrenz führen können: zur Selbstzerstörung und zur Zerstörung sozialer Bindungen. Insofern ist es ein gut geschriebenes, unterhaltsames Buch, das wichtige Themen anspricht.

Mich persönlich hat es aber irgendwo im letzten Drittel verloren, als mir einige Entwicklungen doch bei weitem zu überzogen und für mich nicht mehr lustig waren. Das ist aber wohl persönliche Geschmackssache. Dieses Buch wird sicher nicht allen gefallen, aber für viele doch zumindest eine gute Unterhaltung mit Anregung zum Nachdenken sein.

Bewertung vom 29.08.2025
Fonthes, Christina

Wohin du auch gehst


ausgezeichnet

Über vielfältige Beziehungen zwischen Menschen:

Der Roman "Wohin du auch gehst" von Christina Fonthes heißt im englischsprachigen Original "Where you go, I will go". Das bezieht sich auf den Bibelspruch aus dem Buch Rut: "Rut antwortete: Dränge mich nicht, dich zu verlassen und umzukehren. Wohin du gehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe auch ich, da will ich begraben sein. Der Herr soll mir dies und das antun – nur der Tod wird mich von dir scheiden.", der gerne bei Hochzeiten zitiert wird. Dabei geht es ursprünglich darin gar nicht um eine heterosexuelle Paarbeziehung, sondern um die Verbindung zwischen der verwitweten Rut und ihrer Schwiegermutter.

Damit ist es eine äußerst klug und passend gewählte Referenz für ein besonderes Buch, in dem es um vielfältige Beziehungen zwischen Menschen geht, die über klassische heterosexuelle Paarbeziehungen, aber auch über leibliche Eltern-Kind-Beziehungen weit hinaus gehen.

Wir erleben das Buch aus zwei Perspektiven, die abwechselnd geschildert werden. Da ist zum einen die lebenslustige, fröhliche, freche Mira, ein 16-jähriger Teenager, die unbeschwert mit ihrer älteren Schwester Eugenie und den gemeinsamen Eltern in Kinshasa in Zaire (jetzt "Demokratische Republik Kongo") in Afrika lebt. Die Mädchen wachsen geliebt und unterstützt auf, die Familie ist finanziell sehr gut situiert, hat ein schönes großes Haus mit Garten, sie sprechen perfekt Französisch und Lingala, dürfen eine gute Schulbildung genießen und haben scheinbar alles, was sie brauchen. Doch die Familie ist auch konservativ und auf ihren Ruf bedacht, insbesondere, da der Vater gerade für den Posten des Gouverneurs kandidiert. So brechen Ereignisse über Mira herein, die sie sehr von ihrer Familie entfremden und für viele Jahre alleine nach Europa führen werden.

Die zweite Perspektive des Buches ist die der jungen Bijoux, etwa 15 bis 25 Jahre später (je nach Kapitel). Es werden Erlebnisse aus verschiedenen Lebensphasen der jungen Frau geschildert, in den meisten Kapiteln ist sie Anfang bis Mitte 20. Bijoux ist bis zu ihrem 12. Lebensjahr bei ihren Eltern Sylvain und Eugenie in Zaire aufgewachsen, als Teil der dortigen Oberschicht mit beiden Eltern in gesellschaftlich hochstehenden Positionen (die Mutter ist etwa Ärztin), jedoch in einer von politischen und militärischen Konflikten überschatteten, unsicheren Zeit. Mit 12 musste sie plötzlich und ungefragt zu ihrer schweigsamen und erzkonservativen Tante Mireille nach Europa ziehen und fortan dort aufwachsen. Nun ist Bijoux seit einigen Jahren volljährig und formal erwachsen, weiß eigentlich, dass sie lesbisch ist, doch es ist eine Herausforderung, gegenüber ihrer Mutter, die eine leitende Position in einer charismatischen Bibelgemeinde einnimmt, dazu zu stehen.

Das Buch ist sehr zugänglich und interessant geschrieben. Ich habe dabei viel über ein mir bisher unbekanntes Land gelernt: Zaire/Kongo. Wie schon beschrieben, ist es die Position einer sehr privilegierten afrikanischen Familie, aus der wir auf dieses Land schauen, und dadurch ganz spezifische Möglichkeiten und Herausforderungen kennen lernen, mit denen die Charaktere zu tun haben. Die Charaktere sind tiefgründig, authentisch und liebevoll gezeichnet, sodass ich mich beim Lesen mit beiden weiblichen Hauptfiguren verbunden gefühlt habe und sehr mitgefiebert habe. Das Thema des Coming-of-Age und Outing speziell als lesbische Frau mit afrikanischem Hintergrund ist für mich gut in die Gesamtkonstruktion des Buches eingewoben. Dabei war es für mich sehr interessant zu lesen, mit wie vielen Schwierigkeiten speziell Bijoux zu kämpfen hat und wie sie ihren Weg findet, aber auch Mira/Mireille ist eine sehr spannende Persönlichkeit mit einer Geschichte, die Mitgefühl erregt und zum Nachdenken anregt, und auch interessante Twists und Turns aufweist.

Ich kann das Buch allen, die sich für Migrationsgeschichten, Afrika, vielschichtige Familienbeziehungen und das Thema Queerness interessieren, oder zumindest für all diese Themen offen sind, sehr empfehlen. Ich habe es sehr gerne gelesen, dabei mit den Charakteren mitgefiebert, wurde gut unterhalten und habe so einiges gelernt.

Bewertung vom 28.08.2025
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


ausgezeichnet

Viel Diskussionspotential steckt in diesem kurzen Buch:

20.000 Elefanten mitten in Deutschland... was für ein schräges Szenario für dieses Buch! Und doch wird es überraschend glaubwürdig beschrieben: die Elefanten hat der Herrscher eines afrikanischen Landes den Deutschen geschenkt, um ihnen ihre eigene Scheinheiligkeit vor Augen zu führen: mit ihren Importbeschränkungen für Elfenbein wollen sie vermeintlich die Tiere schützen, doch unter den Folgen der massenhaften Vermehrung dieser haben bisher nur die Menschen in entfernten Ländern gelitten... damit soll nun Schluss sein!

Ironisch-humorvoll und doch an vielen Stellen gut nachvollziehbar, mit eingestreutem Wissen über Elefanten, ihr Verhalten und ihre Lebensbedingungen entwickelt sich das Szenario weiter. Die Politik, vom Bundeskanzler abwärts, muss einen Umgang damit finden, denn einfach zurückschicken geht nicht so einfach, dafür wären die Lieferungen von noch mehr Elefanten angekündigt.

Also werden Straßen gesperrt, Bioabfälle den Elefanten zur Verfügung gestellt und Marketingstrategien geschmiedet, um das Beste daraus zu machen: für Deutschland und seine Wirtschaft, aber vor allem auch für die eigenen Wahlerfolge, immer bedacht darauf, sich von den Rechten abzugrenzen, diesen aber auch nicht zu viele Stimmen zu überlassen, ein schwieriger Balanceakt.

So manche Ideen im Umgang mit den Elefanten erinnern stark an die Migrationsdebatte: da geht es auf einmal um Deals mit Drittländern und um die Frage, ob man süße Kinderelefanten abschieben darf, aber auch, was man für den Schutz der Elefanten als Gesellschaft in Kauf nehmen muss. Zusätzlich zeigt sich auch viel über das Wesen der Politik in vielen modernen Demokratien: über die Nähe oder Entfernung von den Wählern und Wählerinnen und ihrem Willen, über politische Ränke- und Machtspiele, über Umwege, über die man etwas erreichen will, aber auch über den Druck von vielen Seiten, unter dem Menschen in politischen Machtpositionen stehen.

Insgesamt ist das kurze Büchlein ein unterhaltsames und hochintelligentes Werk, das das Potential hat, vielen Menschen in Mitteleuropa einen Spiegel vorzuhalten und dabei sehr interessante und kontroverse ethische Fragen stellt und viel Stoff für Diskussionen bietet.

Bewertung vom 19.08.2025
Lühmann, Hannah

Heimat


sehr gut

Authentische Schilderung eines gewissen Milieus:

Jana ist vor kurzem mit ihrem Mann Noah und den beiden Kindern Louis und Ella aufs Land gezogen. In der Stadt und im Speckgürtel war Wohnen immer teurer geworden und sie sehnten sich nach einem schönen grünen Umfeld für die Kinder und Erholung für sich. In ihrem städtischen Umfeld war es üblich, dass beide Eltern Vollzeit oder vollzeitnah arbeiten und die Kinder schon früh ganztags in der Kindertagesstätte sind, dort wurde niemand dafür schief angeschaut.

Doch nun ist Jana eine der letzten, die nachmittags ihre beiden Kinder von dort abholt... und das, obwohl sie vor kurzem ihren Job gekündigt hat, nachdem es von ihrer Chefin nicht sehr wohlwollend aufgenommen wurde, dass sie nun mit dem dritten Kind schwanger ist. So ganz angekommen ist Jana auch noch nicht auf dem Dorf.

Doch das wird sich bald ändern, als sie die charismatische, strahlende, hübsche Karolin kennen lernt. Karo hat sogar fünf Kinder, doch sie wirkt immer entspannt und gut gelaunt, bastelt fröhlich mit den Kindern, hält das Haus blitzblank und macht mit Freude Apfelkuchen mit selbstgemachter Vanillesauce mit echter Vanille. Sie ist bewusst bei den Kindern zu Hause und stolz darauf, diese Botschaft verbreitet sie auch als Influencerin auf Social Media.

Sie wohnt mit ihrem Mann in einem Haus mitten im Wald, die jüngeren Kinder sind ganztags zu Hause und die älteren gehen nur deshalb in die Schule, weil der Staat das leider so verlangen würde. Jana ist erst einmal beeindruckt von Karos Freundlichkeit und Selbstbewusstsein, folgt ihr nur zu gerne auf Instagram und freundet sich mit ihr an.

So lernt sie auch Karos Freundinnen kennen und wird Teil einer Frauenleserunde, in der Erziehungsratgeber diskutiert werden, die Fremdbetreuung verteufeln. Stück für Stück taucht Jana immer mehr in dieses neue Milieu ein, in dem sehr simple Lösungen für gesellschaftliche Probleme propagiert werden, wie selbstverständlich AfD gewählt wird und die Frau dem Mann untertan sein soll, während gleichzeitig ihre eigene Ehe immer mehr in Schieflage gerät.

Das Buch liest sich leicht und unterhaltsam, mit vielen Dialogen und bildhafter Schilderung eines ganz bestimmten, oft ländlichen Milieus, in das auch die Lesenden damit tief eintauchen können. Ich kenne solche Milieus auch und empfinde die Darstellung als sehr authentisch, es verkommt auch nicht zum Klischee, sondern wird durchaus differenziert dargestellt, einschließlich seiner Schattenseiten und der oft großen Unterschiede zwischen der Außendarstellung, speziell auf Social Media, und dem, was wirklich gelebt wird.

Insgesamt habe ich das Buch sehr gerne gelesen, denn es bietet interessanten Stoff zum Nachdenken und Diskutieren über verschiedene gesellschaftliche Milieus, die Prägung des jeweiligen Umfeldes und den Sog, den ein neues Umfeld auf Menschen ausüben kann, speziell, wenn sie gerade sozial noch nicht gut angebunden sind und sich einsam fühlen.

Außerdem macht die Beschäftigung mit den im Buch skizzierten Themen und Milieus nachdenklich über die große Herausforderung der mangelnden Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die auch in der aktuellen Müttergeneration viele moderne und gut ausgebildete Frauen so deutlich spüren und für die unsere Gesellschaft bis jetzt nur unzureichende Antworten und Lösungen bietet, was mit ein Faktor dafür sein könnte, dass rechte Parteien in den letzten Jahren so viel an Zulauf gewonnen haben und das Modell der traditionellen Hausfrau für manche junge Frauen wieder attraktiv geworden ist.

Es ist ein kluges und gut geschriebenes Buch, das ich einer breiten Leserschaft empfehlen kann. Schade habe ich nur das Ende gefunden, das für mich zu abrupt kam und einige Handlungsstränge offen gelassen hat, etwas, was ich nicht so schätze.

Bewertung vom 19.08.2025
Kuhn, Yuko

Onigiri


ausgezeichnet

Wenn bei aller Dunkelheit ein Zauber bleibt...

… dann weiß ich, ich habe ein besonderes Buch gelesen. Von Herausforderungen und schwierigen Lebensthemen sind die Halbjapanerin Aki und ihre Familie nicht verschont geblieben.

Ihre Mutter Keiko ist als junge Frau mutig und voller Hoffnung alleine ins unbekannte Deutschland ausgewandert, hat die Sprache gelernt, in engen Unterkünften gewohnt, sich mit Aushilfsjobs durchgeschlagen und dann einen Deutschen aus alteingesessener, sehr wohlhabender Familie geheiratet und mit ihm zwei Kinder bekommen.

Doch ihren Mann, Akis Vater, jagen seine ganz eigenen Dämonen: aufgewachsen in einem eher kühlen Elternhaus mit oft abwesendem Vater und einer distanzierten Mutter mit Promotion in Biologie, scheitert er selbst an den internalisierten Ansprüchen seiner Herkunftsfamilie, schafft seine eigene Promotion nicht, fühlt sich am Leben gescheitert und unternimmt einen Suizidversuch, während er seine Babytochter im Kinderwagen in einem Kaufhaus stehen lässt. Zeitlebens wird er unter psychischen Problemen leiden. So kommt es auch zur Trennung der Eltern und die Kinder werden den Vater nur noch gelegentlich sehen.

Aki wächst in diesem Milieu auf, zwischen zwei Kulturen, mit einer ursprünglich so starken Mutter, die nun immer erschöpft zu sein scheint und Ruhe braucht. Zwischen den Eltern und den durchaus die Enkelin sehr liebenden Großeltern väterlicherseits, deren ambivalentes Verhältnis zur japanischen Schwiegertochter, Akis Mutter, sich aber auch auf sie auswirkt. Dann gibt es noch die sehr sympathischen und warmherzigen Verwandten in Japan und deren gelegentliche Besuche.

Vor diesem Hintergrund unternimmt die erwachsene Aki eine letzte Japanreise mit ihrer Mutter, die leider schon relativ jung an Demenz erkrankt ist, zu deren Wurzeln und zu den dort lebenden Verwandten.

Diese Reise ist ein Teil des Buches, aber bei weitem nicht der einzige: die meisten Kapitel sind in zwei Teile geteilt: zuerst gibt es einen biografischen Rückblick auf bedeutende Kapitel aus Akis und Keikos Leben und dann aktuelle Szenen aus der Japan-Reise.

Das Buch ist insgesamt in einem mosaikhaften Stil geschrieben: viele kleine, scheinbar unverbundene Szenen, aus denen sich nach und nach das komplexe Bild der Familie zusammensetzt. Zentrale Themen des Buches sind die Demenzerkrankung der Mutter und der Umgang der Angehörigen damit, aber auch interkulturelle Identitäten zwischen Japan und Deutschland.

Für mich war es ein sehr leicht zu lesendes und angenehmes Buch, das trotz der Schwere der beschriebenen Themen immer wieder auch seine eigene Leichtigkeit mit sich brachte: in liebevollen Begegnungen, in der Beziehung zueinander und zum Essen, in der Art, wie sich aus den vielen kleinen Teilen dann doch ein für mich sehr kohärentes Ganzes einer Familie, die trotz allem auch über sehr viel Resilienz verfügt, zusammengesetzt hat. Zurück bleibt bei mir ein warmes Gefühl im Bauch und die Hoffnung, dass sich bei aller Schwere und allen Herausforderungen immer auch Schönes, Gutes und Verbindendes finden lässt.

Bewertung vom 18.08.2025
Kitamura, Katie

Die Probe


sehr gut

Im Kopf einer sehr eigensinnigen Persönlichkeit:

Das Buch "Die Probe" von Katie Kitamura ist auf der Longlist des renommierten Booker Prize gelandet. Oft ist das ein Anzeichen für eine lohnende, aber herausfordernde Lektüre, die man nicht so schnell wegliest, sondern die tiefer gehende Beschäftigung von den Leserinnen und Lesern erfordert. So ist es auch hier. Es ist ein kurzes, aber sehr gehaltvolles Buch.

Das Buch besteht aus zwei Teilen, die ähnlich und dann doch wieder ganz unterschiedlich sind. Beide erleben wir ausschließlich aus der Perspektive einer 49-jährigen Schauspielerin. Wir sind als Lesende mit ihr in ihrem Kopf und erleben die Welt so, wie sie sie erlebt. Das ist eine Welt, in der es sehr wichtig ist, wer man ist und wen man darstellt, wie man sich gibt und wie und mit wem man gesehen wird. Ständig ist die Frau damit beschäftigt, zu analysieren, wie andere vermeintlich auf sie reagieren und was sie daraus schließt. Dabei stellt sie ihre eigenen Deutungen kaum in Frage, sondern baut sich daraus ihr sehr eigenes Weltbild zusammen.

Wenn man selbst, so wie ich, charakterlich ganz anders gestrickt ist, kann es faszinierend, aber auch mühsam sein, ein ganzes Buch aus so einer Perspektive zu lesen. Eine Sympathieträgerin war die erwähnte Frau für mich nicht unbedingt, muss sie aber wohl nicht sein. Ich kenne Menschen, die ähnlich ticken wie sie, insofern ist sie durchaus authentisch dargestellt.

Inhaltlich dreht sich das Buch unter anderem um Familienthemen: um einen jungen Mann, der meint, der Sohn der Ich-Erzählerin zu sein und der damit Recht hat oder auch nicht... darum, was dieses Thema mit ihr und anderen Menschen macht und vieles mehr (ohne zu viel verraten zu wollen). das Buch spielt mit den verschiedenen Perspektiven im Kopf der Ich-Erzählerin (und vielleicht auch in ihrem Leben, das weiß man nicht so genau), mit einem Was-wäre-wenn, mit echten oder falschen Erinnerungen und mit so einigem mehr... und lässt dabei bis zum Ende vieles offen.

Auch nach einer umfangreichen Diskussion mit anderen sowie der Analyse einiger Interviews mit der Autorin selbst bleibt vieles in diesem Buch für mich rätselhaft. So ist es vermutlich auch gedacht, das öffnet wiederum für die Lesenden einen breiten Interpretations- und Spiegelungsraum. Wer das mag, kann mit diesem Buch sicher einiges anfangen. Jedenfalls gibt es Stoff zum länger darüber diskutieren und nachsinnen. Wer hingegen Bücher mit zumindest einigermaßen verlässlichen Erzählstimmen und klaren Auflösungen bevorzugt, wird mit dieser Lektüre wohl nicht sehr glücklich werden, oder jedenfalls herausgefordert, die eigene Lesekomfortzone zu erweitern.

Bewertung vom 18.08.2025
Dröscher, Daniela

Junge Frau mit Katze


gut

Eine junge Frau kreist um sich selbst:

Von Daniela Dröscher habe ich schon die autofiktionalen Werke "Lügen über meine Mutter" sowie "Zeige deine Klasse" gelesen, die mir beide auf ihre Art sehr gut gefallen haben. So war ich sehr neugierig auf ihr neuestes Buch "Junge Frau mit Katze", in dem das Kind Ela aus dem Mutter-Buch nun eine erwachsene Frau ist.

Die Lektüre des Buches lässt mich mit zwiespältigen Gefühlen zurück. Worum geht es? Ela plagt sich seit fünf Jahren mit ihrer Promotion in Literaturwissenschaften herum. Ansonsten lebt sie ein sehr vergeistigtes, stressiges und von ihrem Körper abgespaltenes Leben alleine in einer kleinen Wohnung mit ihrem Kater. Eine weitere wichtige Rolle in ihrem Leben spielt ihre gute Freundin Leo, für deren 5-jährige Tochter Ela immer wieder mal die Babysitterin spielt.

Ansonsten konzentriert sich Ela auf den Abschluss ihrer Promotion. Unbedingt will sie dabei die Bestnote erzielen, denn sie ist sehr ehrgeizig und außerdem fürchtet sie, sich nur so eine der wenigen begehrten Postdoc-Stellen sichern zu können. Das macht natürlich enorm Druck.

So hat es mich als Leserin nicht verwundert, dass Ela - die bisher ihrem Körper wenig Beachtung geschenkt hat und sich in Abgrenzung zu ihrer Mutter und den abwertenden Blick des Vaters auf diese mit übernehmend als attraktiv und dünn und damit vermutlich automatisch auch als gesund angesehen hat - diverse scheinbar unzusammenhängende körperliche Symptome entwickelt: beginnend mit einer anhaltenden Entzündung im Hals ohne klar erkennbare Ursache über Herzrhythmusprobleme bis hin zu heftigen allergischen Hautreaktionen.

So beginnt eine Odyssee zu Ärzten und Ärztinnen, Heilpraktikerinnen und Energetikern, die meiste Zeit im Hintergrund begleitet von einer Psychotherapie sowie von ihren Ängsten und Neurosen. Ela muss sich damit konfrontieren, möglicherweise den geplanten Promotionstermin nicht einhalten zu können und nicht mehr so leistungsfähig zu sein wie bisher, was ihr anfangs sehr schwer fällt. Immer noch ist sie extrem darauf bedacht, ein gewisses Bild nach außen zu wahren, so versucht sie etwa, innerhalb von sechs Wochen Japanisch von null auf Konversationsniveau zu lernen, nachdem aufgrund eines Missverständnisses, das sie nicht den Mut hat aufzuklären, am Institut vermutet wird, sie beherrsche diese Sprache.

Sprachlich ist es ein unterhaltsam und gut geschriebenes Buch. Inhaltlich hat mich das Buch aber eher enttäuscht: die vielen Arztbesuche nehmen einen enormen Anteil des Buches ein, bei dem sich für mich erst spät eine Weiterentwicklung und ein relevanter Erkenntnisgewinn gezeigt hat.

Noch mehr gestört hat mich aber: der weitgehend unreflektiert negative Blick der Tochter und des Sohnes auf die Mutter allein aufgrund von deren Figur sowie für mich kleinlich anmutende Schuldzuweisungen an diese aufgrund vermeintlicher Fehler. Es ist ein sehr ungnädiger Blick der erwachsenen Kinder auf die Mutter, der sich hier offenbart.

Die Tochter meint, ihr Bruder würde die Mutter am liebsten von seiner eigenen Hochzeit ausladen, weil er so ein Faible für Schönes hätte und sich für deren Übergewicht schämen würde. Sie selbst definiert sich in Abgrenzung zur Mutter: "So ungefähr, dachte ich immer, verhält es sich mit uns. Meine Mutter ist dort, ich bin hier, sie ist die sehr Dicke, ich bin die Dünne. Oder in den Worten meines Vaters: Ich bin die Schöne, sie ist die Hässliche." (S. 9)

Als die Mutter nach der Trennung von ihrem abwertenden Ehemann neu ihr Glück findet, einen liebevollen und freundlichen neuen Partner an ihrer Seite hat, unternehmungslustig mit diesem durch die Welt reist, fitter wird und abnimmt, kann ihr die Tochter dieses Glück auch kaum gönnen, sondern beklagt, dass sie als junge Frau mit ihren Krankheiten kämpfe, während die Mutter herumreise, obwohl es nach ihrem Gerechtigkeitsempfinden eher umgekehrt sein solle.

Die Ela aus diesem Roman empfinde ich als ziemlich undankbar, abwertend, um sich selbst kreisend und wenig reflektiert. Aus einem grundsätzlich sehr privilegierten Leben mit vielseitiger Unterstützung in eine temporäre, aber am Ende lösbare, gesundheitliche Krise geworfen, bemitleidet sie sich selbst und hat wenig Mitgefühl für andere.

Am interessantesten am Buch war für mich noch der Aspekt, ob und auf welche Weise es durch die langwierige Krankheitsgeschichte zu einem Perspektivenwechsel Elas auch in Bezug auf ihre beruflichen Möglichkeiten und ihre Prioritäten kommt.

Insgesamt ist es für mich das bisher schwächste mir bekannte Buch dieser sonst von mir durchaus geschätzten Autorin. Dass die Autorin viele Themen sehr wohl vielseitiger und kritischer reflektieren kann, hat sie in ihren anderen Büchern bewiesen, hier zeigt es sich mir zu wenig. Deshalb empfehle ich dieses Buch eher nur Fans der Autorin, die sich für einen weiteren Aspekt der bekannten Geschichte interessieren. Wer die Autorin hingegen noch nicht kennt und sie neu entdecken möchte, dem rate ich eher zu einem ihrer anderen Werke.

Bewertung vom 16.08.2025
Johnston, Bret Anthony

We Burn Daylight


sehr gut

Kein Weg aus der Eskalationsspirale heraus:

Der Roman „We burn daylight” von Bret Anthony Johnston hat einen wahren Kern: die fiktive Geschichte spielt in einem Setting, das es so tatsächlich gegeben hat: die Sekte der Branch Davidians in Waco, deren Belagerung durch das FBI und schließlich der ausgebrochene Brand, bei dem viele der Sektenmitglieder ums Leben kamen.

Vor diesem Hintergrund lernen wir die fiktiven Charaktere dieses Romans kennen: Jaye, ein Mädchen im Teenageralter, das mit seiner Mutter, die dem Sektenführer „Lamb“ und seiner Botschaft verfallen ist, nach Waco gezogen ist, selbst nicht viel von „Lamb“ hält, sich von der trostlosen, verfallenen Umgebung abgestoßen fühlt und am liebsten wieder nach Hause ziehen würde. Auf der anderen Seite Roy, der Sohn des örtlichen Sheriffs, der seinen älteren Bruder vermisst, der in einem fernen Krieg kämpft, zufällig Jaye kennen lernt und sich in sie verliebt. Aus diesen beiden Perspektiven werden die meisten Kapitel des Buches erzählt, ergänzt durch die nicht chronologisch abgebildeten Folgen eines Podcasts, in dem 30 Jahre später unterschiedlichste Personen zu den damaligen Vorfällen interviewt werden.

Die beiden Jugendlichen sind beide keine Anhänger des Sektenführers und sehen ihn, seine Botschaften und sein Verhalten sehr kritisch. Ihre Liebesgeschichte vor dem Hintergrund eines sich latent aufbauenden und verstärkenden Bedrohungsszenarios der Weltuntergangsfantasien der Sekte kombiniert mit der beginnenden Belagerung bildet den Kern dieses Buches. Durch die beiden Jugendlichen erfahren wir also nicht viel darüber, warum Menschen einer Sekte verfallen, dies kommt nur als Außenperspektive über manche der Interviewten im Podcast sowie über den Blick Jayes auf ihre Mutter als Thema in das Buch hinein.

Das Buch beschäftigt sich also durchaus auch mit der Dynamik von Sekten und Kulten, aber nicht nur. Es geht auch um die Angemessenheit oder Unangemessenheit staatlicher Interventionen bis zu Gewalt und um sich aufbauende Eskalationsszenarien, aus denen keine Seite mehr einen guten Ausweg findet. Über viele Seiten passiert im Buch vordergründig nicht viel, während die Lage im Hintergrund zunehmend eskaliert und die Lesenden insbesondere durch die Informationen aus dem Podcast einen tragischen Ausgang befürchten und mit den Jugendlichen zittern. Gegliedert ist das Buch in kurze Kapitel, die sich grundsätzlich schnell lesen, auch wenn es zwischendurch einige Längen gab. Insgesamt ist es ein gut geschriebenes Buch, das ich allen an dieser Thematik Interessierten durchaus empfehlen kann.

Bewertung vom 16.08.2025
Shusterman, Neal

All Better Now


ausgezeichnet

Bin ich noch ich, wenn ich immer glücklich bin?

"All better now" von Neal Shusterman wird als Jugendbuch vermarktet und hat mich mit seiner herausragenden Qualität sehr überrascht. Ich habe mir eine lockere Unterhaltung erwartet und ein spannend geschriebenes Buch bekommen, das mich beim Lesen nicht nur komplett gepackt hat, sondern auch nach Beendigung der Lektüre noch tief nachwirkt mit den tiefgründigen identitätspsychologischen und ethischen Fragen, die es aufwirft.

Das Buch spielt in der Zeit ein paar Jahre nach der Corona-Pandemie, die in den Köpfen der Charaktere immer noch sehr präsent ist und auf die es im Buch viele Referenzen gibt (auf eine Art und Weise, die gut gepasst und mich überraschenderweise nicht gestört hat, obwohl ich gedacht hätte, von diesem Thema schon genug zu haben).

Nun grassiert ein neues Virus, passenderweise in Anlehnung an Corona CrownRoyale genannt, die Krone der Coronaviren sozusagen. Genauso wie Corona überträgt es sich durch die Luft, aber es gibt einen bedeutenden Unterschied: jeder 25. Infizierte stirbt daran, doch alle anderen werden zu Genesenen, die unbeschwert, entspannt und glücklich wirken. Was bedeutet so ein Virus für die Menschheit und für jeden Einzelnen? Ist es erstrebenswert, dass sich möglichst viele infizieren, wenn sie danach glücklich sind, auch um den Preis der Todesfälle? Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn eine kritische Masse glücklich und zufrieden ist, was passiert mit Wirtschaft, Politik, Arbeitsmarkt? Und sind das überhaupt noch dieselben Menschen, wenn sie sich so grundlegend verändert haben? Müssen die Menschen fürchten, sich selbst und ihre echte Identität zu verlieren, wenn sie sich infizieren und dann von dieser Krankheit genesen?

Alle diese und noch viele weitere spannende Fragen stellt dieses Buch. Wir erleben es aus den Perspektiven mehrerer Menschen, die aus den unterschiedlichsten sozialen Milieus stammen: da gibt es Rón, Sohn von Blas Escobedo, des drittreichsten Menschen der Welt. Mariel, die mit ihrer Mutter, die sich nie von Long Covid erholt hat, auf der Straße lebt und mit ihr gemeinsam um ihr Überleben kämpfen muss. Morgan, hochbegabt, aber mit einer Mutter, die an einer Frühform von Demenz leidet, ist schon sehr jung zu der Erkenntnis gekommen, dass die Welt ein Null-Summen-Spiel und ein Kampf sei, und ist fest entschlossen, zu den Siegern zu gehören, als sie eine einmalige Chance erhält. Eine vermögende alte Frau, die sich mit Crown Royale infiziert und fürchtet, ihre Persönlichkeit zu verlieren. Und noch so einige mehr.

Besonders machen das Buch die facettenreichen Figuren. Es gibt kaum schwarz-weiß und alle Figuren haben differenzierte Charakterzüge, die sich allesamt auf die eine oder andere Art und Weise nachvollziehen lassen, sodass sich mit allen mitfiebern lässt. Auch in Bezug auf die Konsequenzen der immer größer werdenden Anzahl der Genesenen für die Welt sind verschiedene Deutungen möglich. Das Buch fordert also dazu auf, die eigene Position immer wieder kritisch zu hinterfragen. Gleichzeitig ist an vielen Stellen auch eine kritische Aufarbeitung der Corona-Zeit eingearbeitet, beispielsweise, wenn für die Genesenen von verschiedenen Interessensgruppen neue Bezeichnungen in Umlauf gebracht werden: sind diese etwa beeinträchtigt? Oder umschlungen? Da wird deutlich, wie sehr eine bestimmte Wortwahl unser inneres Bild von etwas prägt.

Dieses Buch ist der erste Teil einer Dilogie, der zweite Band ist für Herbst 2027 angekündigt. Insofern ist verständlich, dass nicht alle offenen Fragen in diesem Buch vollständig beantwortet werden. Dennoch ist es dem Autor gelungen, das Buch zu einem guten, runden Abschluss zu bringen, der mich die Lektüre mit einem hoffnungsvollen Gefühl beenden hat lassen und gleichzeitig dafür sorgt, dass ich mich auf den zweiten Band freue.

Ich empfehle dieses Buch allen ab 14 Jahren: Jugendlichen und jungen, aber auch schon etwas älteren Erwachsenen, die an einem spannenden und tiefgründigen Buch interessiert sind, das sich leicht und interessant liest und dabei doch Tiefe aufweist. Für mich wird es definitiv nicht das letzte Buch dieses talentierten Autors gewesen sein.

Bewertung vom 14.08.2025
Wagner, Jan Costin

Eden


ausgezeichnet

Aufrüttelnd, berührend und authentisch:

"Eden" - eine Utopie, das gelobte Land, das wir nie wieder erreichen können, das verlorene Paradies... danach sehnen sich Markus und Kerstin, die verwaisten Eltern von Sofie. Ihre Tochter war ein Sonnenschein, clever, fröhlich, immer ein Lächeln auf den Lippen. Die drei hatten ein richtig schönes, gut situiertes Familienleben, alles war harmonisch, materiell waren sie gut situiert, bis die Katastrophe passierte.

Am Ende des Konzertes des Stars, den die Tochter so bewundert, kommt es zu einem Attentat, ein IS-Anhänger zündet eine Bombe und Sofie befindet sich direkt daneben und ist auf der Stelle tot. Vorbei ist es mit dem Paradies, nie wieder wird sie zu ihren Eltern zurückkommen, nie wieder lachen, tanzen und fröhlich sein. Von einem Augenblick auf den anderen mitten aus dem Leben gerissen.

Dieses für Eltern schrecklichste und vorstellbare Ereignis wird im neuen Roman von Jan Costin Wagner sehr authentisch, berührend und aus verschiedenen Perspektiven geschildert. Abwechselnd erzählen die Eltern Kerstin und Markus, aber auch der Schulkollege Toby, der heimlich für Sofie geschwärmt hat und nun erschüttert um sie trauert, und die Perspektive des Attentäters und seiner Familie kommt vor.

Wir begleiten die Familie und Freunde über mehrere Monate nach dem Todesfall, erleben mit, wie unterschiedlich die Eltern trauern und wie das bei aller langjährigen Verbindung und Liebe zueinander sie nun auch auseinander zu treiben und zu entzweien droht.

Wie insbesondere der Vater nach Antworten, Sinn und Begreifen sucht, dabei sogar die Mutter und den Bruder des Attentäters direkt bei sich zu Hause besucht und konfrontiert. Wie er sich aber gleichzeitig nicht zum Werkzeug der Neuen Rechten machen will und nicht pauschalisieren möchte, wie er den Hass hasst, aber sich selbst nicht zum Werkzeug von diesem machen will.

Es ist ein aufrüttelndes und berührendes Buch zu einem in dieser Zeit leider hochaktuellen Thema. Neben der persönlichen Geschichte und dem Aufzeigen der verschiedenen Trauerprozesse macht es auch nachdenklich über die Bewegungen am Rande der Demokratie in Mitteleuropa, sowohl von Seiten islamistischer Hassprediger als auch von denen, die seit einigen Jahren immer mehr ins Milieu der Verschwörungstheoretiker abdriften, in dem leider ebenfalls viel Hass verbreitet wird (exemplarisch dargestellt durch Tobys Vater, von dem sich Toby dadurch immer mehr distanziert).

Insgesamt ist es ein sprachlich sehr gut geschriebenes, auf seine Weise trotz des tragischen Themas auch unterhaltsames und sehr wichtiges Buch, das ich einer breiten Leserschaft empfehlen kann.