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Eternal-Hope
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Österreich

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Insgesamt 99 Bewertungen
Bewertung vom 18.09.2025
Huth, Peter

Aufsteiger


ausgezeichnet

Treffende Parodie aktueller gesellschaftlicher Verhältnisse in der sozialen Blase des Journalismus:

Dramaturgisch spannend beginnt "Aufsteiger", der neue Roman von Peter Huth, mit einem Leichenfund und einem ermittelnden Kommissar. Doch wer die Leiche ist und wie sie zu Tode gekommen ist, das werden wir erst ganz am Ende erfahren. Schon jetzt wissen wir aber: es wird wohl um eine sich zuspitzende Dynamik gehen, die am Ende mindestens für eine Person gar nicht gut ausgeht.

Nach diesem Einstieg lernen wir Felix Licht kennen, der, wie er meint, kurz vor dem Höhepunkt seiner Karriere steht. Der jetzige Chefredakteur des Magazins, für das er seit Jahrzehnten als Journalist tätig ist, hat sich einen kritischen Faux-Pas geleistet. Und wer könnte ihm nachfolgen, wenn nicht Felix Licht? Das müsse doch die logische Konsequenz all seiner Anstrengungen und Verdienste sein, niemand kenne das Magazin so gut wie er, niemand beherrsche das journalistische Handwerk so gut wie er (ach, das grenzenlos überhöhte Selbstbewusstsein so mancher Männer!), und außerdem hat er es bewusst darauf angelegt, zum neuen Eigentümer eine nahe Verbindung aufzubauen. Nun also ist es so weit, die Position wird frei und Felix Licht hat auch schon einen Gesprächstermin beim Eigentümer, er sieht sich innerlich schon feiern und plant seinen Triumph.

Doch es kommt anders, statt ihm bekommt die bildschöne, kluge, junge Zoe Rauch die Position: Zoe, mit der ihn eine Geschichte von vor über zehn Jahren verbindet, als sie als blutjunge Volontärin kurz für das Magazin gearbeitet hat. Inzwischen ist sie zu einer Lichtgestalt des neuen Journalismus aufgestiegen und hat ein Buch veröffentlicht. Vor allem ist sie aber alles, was Felix Licht nicht ist: jung, weiblich und mit dunkler Hautfarbe. Insgesamt hoffen der Eigentümer und vor allem seine Frau, damit das Magazin neu und entsprechend dem aktuellen linkswoken Zeitgeist positionieren zu können. Für Felix Licht hingegen bricht eine Welt zusammen, er kann mit der Niederlage nicht umgehen, und auch privat geht es mit ihm bergab: nach einer Entgleisung im Beisein von Frau und Tochter muss er von Zuhause aus- und ins Hotel umziehen (um 300 Euro pro Nacht, man sieht hier den extrem privilegierten finanziellen und sozialen Hintergrund) und die Trennung steht bevor. Verzweifelt möchte er das Magazin auf Diskriminierung verklagen.

So viel zum bekannten Inhalt. Dieser hat mich schon in der Ankündigung neugierig auf dieses Buch gemacht und ich wurde nicht enttäuscht. Auch wenn aus satirischen Gründen einiges auf die Spitze getrieben wurde: der aktuelle links-woke Zeitgeist wird mit diesem Buch passend porträtiert, genauso wie die manchmal verunglimpfend "alten weißen Männer" genannten älteren Herren, die sich so lange ihrer Positionen, Privilegien, Machtansprüche und dem, was ihnen vermeintlich zustehen würde, so sicher waren... bis sie von einer Welle des aktuellen Zeitgeistes überrollt und oft psychisch in den Abgrund getrieben werden. Jedenfalls nehmen sie selbst es als Abgrund wahr - realistisch betrachtet fallen sie finanziell und sozial oft sehr weich - viel weicher als all jene, die zu früheren Zeiten auch mit noch so viel Talent niemals eine Chance auf solche Positionen gehabt hätten - und haben immer noch ein bestens abgesichertes, privilegiertes Leben, doch das fragile Ego dieser Männer kann manchmal keinerlei Degradierung ertragen und hält sich noch lange verbissen an der vermeintlichen Ungerechtigkeit fest, ist oft nach Jahren noch verbittert und voll Hass.

Dieses Buch lässt keines der aktuellen Zeitgeistthemen aus: ob es um die Coronazeit und ihre Nachwirkungen geht, das Wiedererstarken konservativer Kräfte, die Klimakleber, gendergerechte Sprache, Transgenderthemen und vieles mehr - alles davon findet im Buch seinen Platz. Wer sich ein realistisch geschriebenes Buch erwartet, mag diese Häufung übertrieben finden, für eine satirisch-parodistische Überzeichnung der aktuellen Verhältnisse insbesondere in der links geprägten Blase des Journalismus finde ich das aber durchaus passend.

Das Buch liest sich sehr unterhaltsam und regt dabei an vielen Stellen zum Schmunzeln und Nachdenken an. Ich mochte auch, dass es für keine der Seiten klar Position bezieht, sondern die Vielfältigkeit der verschiedenen gesellschaftlichen Positionen und des damit verbundenen Handelns aufzeigt. Gerade, dass keine eindeutige Botschaft und Intention des Autors daraus ablesbar ist und über seine eigenen politischen Einstellungen spekuliert werden kann, macht für mich eine der Qualitäten des Buches aus. Ich kann es allen an den aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen interessierten Menschen sehr empfehlen. Ganz besonders eignet es sich auch für Leserunden und Diskussionsabende.

Bewertung vom 12.09.2025
Klink, Sophia

Kurilensee


ausgezeichnet

Kurilensee von Sophia Klink ist ein Buch, wie ich es auf diese Weise noch nie gelesen habe - und das im allerbesten Sinne. Die Autorin nimmt mich durch die Augen ihrer Protagonistin Anna mit auf eine naturwissenschaftliche Forschungsstation am Kurilensee im fernen Kamtschatka, im Nordosten des riesigen Russlands, fernab der Zivilisation.

Hier verbringen Anna und ihr Partner Vova sowie ihre wissenschaftlichen Kollegen und Kolleginnen den Sommer, beobachten die Natur, entnehmen Proben aus Wasser, Algen und Lachsen, werten diese aus, schreiben wissenschaftliche Artikel und Forschungsberichte und geben Empfehlungen ab.

Ein Thema, das weit weg meines eigenen Alltags ist - und doch gelingt es Sophia Klink durch bildreiches und atmosphärisches Nature Writing, mich für diesen besonderen Ort und die Anliegen der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu begeistern. Lachse auf ihrem mühsamen Weg flussaufwärts, vom entfernten Meer bis zum Kurilensee, wo sie bei Erfolg ablaichen, sterben und damit den See düngen, werden vor meinem inneren Auge lebendig, genauso wie Bären, die ihre Jungen großziehen, spielen, Lachse fangen und sich genügend Wintervorräte anfressen müssen, um zu überleben.

Der Roman weckt in mir die Liebe zur Natur und die Hoffnung, dass die Menschheit sie möglichst gut bewahren möge, während ich gleichzeitig mit Anna und ihren naturliebenden Forscherkolleginnen und -kollegen die exzessive Fischerei bedaure (nur eine Million Lachse darf ihr Ziel im Kurilensee erreichen, während viel mehr Millionen auf dem Weg dorthin abgefischt werden) und ihre Ambivalenz in Bezug auf eine mögliche künstliche Düngung des Sees teile. Dazu muss das Forscherteam nämlich eine Stellungnahme abgeben, und wie so oft in der Wissenschaft gibt es kein eindeutiges Für und Wider, und mögliche Konsequenzen dieses Eingriffs - der nur nötig ist, weil aufgrund der exzessiven Abfischung nicht genug Lachse übrig bleiben, um diesen auf natürliche Art zu düngen - sind unklar und können gefährlich für das Ökosystem sein... ein Nichthandeln aber ebenfalls. Und überhaupt sind die Forschenden nur beratendes Organ, während die endgültige Entscheidung an anderer Stelle getroffen wird. Mit dieser Machtlosigkeit müssen sie auch erst umgehen lernen.

Sophia Klink ist mit diesem Roman ein ganz ausgezeichnetes Debüt gelungen, das spannend geschrieben ist, die Lesenden an einen entlegenen Ort mitten in der abgelegenen Natur versetzt, sie die Stimmung dort miterleben lässt und gleichzeitig einiges an an interessantem und für mich neuem Wissen über naturwissenschaftliche Zusammenhänge vermittelt, wie z.B. auf S. 40 von 136 meines E-Books: "Werfe nie einen gestressten Fisch zurück in den Fluss, hat Vova gesagt. Alle anderen Fische könnten sterben vor Schreck. Sie spüren die Angst der anderen, ihr Adrenalin und Cortisol löst sich im Wasser. Sie nehmen es über die Haut in ihr eigenes Blut auf. Der Stress verändert sie physiologisch. Wir beeinflussen nur unnötig, wie gut sie laichen, verfälschen langfristig unsere eigenen Daten."

Ich kann dieses Buch allen, die ein Herz für die Natur haben und sich für aktuelle Themen dieser Zeit wie Naturwissenschaft im Spannungsfeld zwischen Ethik sowie wirtschaftlichen und staatlichen Interessen, Klimawandel und seine Auswirkungen interessieren, nur wärmstens ans Herz liegen. Tolles Nature Writing vom Feinsten, in Kombination mit Aufweckeffekt für ein Herzensanliegen!

Bewertung vom 09.09.2025
Everett, Percival

Dr. No


sehr gut

Was ist so gefährlich wie nichts?

Wala Kitu ist ein schräger, genialer Mathematikprofessor, weltfremd und autistisch. Er wird vom Milliardär John Sill kontaktiert, der sich zum Ziel gesetzt hat, ein Schurke zu sein und dafür hinter „nichts“ her ist, das angeblich in einem Schuhkarton in Fort Knox aufbewahrt sei und für das Wala Kitu ein Experte ist. Soweit zur bekannten und beworbenen Hintergrundstory.

„Dr. No“ ist ein satirisch-schräger Roman, eine James-Bond-Persiflage mit Schurken, Luxusanwesen, Helikoptern, Waffen, Haifischbecken, einer hochbegabten autistischen Mathematikerin, Eigen Vector, die als Bond-Girl entfremdet wird, einem einbeinigen Hund namens Trigo, der „Fettgesicht“ genannt wird und als imaginärer Berater für Wala Kitu dient, aber auch mit vielen Einschüben aus Logik und Mathematik:

„Die Lüge ist das arithmetische Axiom, demzufolge x für jedes x auf der Welt gleich x ist. Nur der Glaube lässt dies als unwiderlegbare Wahrheit zu. Selbst wenn ich x als das Ding definiere, das zu einer bestimmten Position in der Zeit eine bestimmte Position im Raum einnimmt.“ (S. 52)

Ganz ehrlich, am Anfang wusste ich gar nicht, was ich mit dieser Lektüre anfangen soll und es hat schon einige Dutzend Seiten gebraucht, bis ich in das Buch reingekommen bin. Das mag daran liegen, dass die mathematischen Referenzen mich nicht sonderlich interessiert haben und ich außerdem nichts das klassische James-Bond-Fangirl bin, auch wenn ich im Laufe meines Lebens durchaus schon ein paar dieser Filme gesehen habe.

Interessant ist, wie in dem Buch mit dem Konzept des „Nichts“ gespielt wird. Ist nichts wirklich nichts und was wäre, wenn wir nichts als etwas behandeln würden? Dazu gibt es viele humorvolle und gleichzeitig nachdenklich machende Dialoge und Einschübe, so wie diesen hier:

- „Wir wissen, dass Sill es auf irgendwas abgesehen hat. Sagen Sie uns einfach, was Sie wissen, und alles ist im Lack.“

- „Was?“

- „Sagen Sie mir, was Sie wissen.“

- „Nichts. Ich habe von nichts eine Ahnung. Ich weiß außerdem, dass Sill es auf nichts abgesehen hat.“

- „Sie sagen also, dass er nichts plant.“

- „Das habe ich nicht gesagt. Hören Sie diesmal genau zu. Sill interessiert sich für nichts. Er will nichts. Er plant, nichts zu stehlen. Er will oder vielmehr braucht mich, weil ich mich mit nichts auskenne.“ (S. 154)

Von diesen Wort- und Denkspielerein lebt der Roman hauptsächlich. Sind sie am Anfang sehr lustig, wurde mir das Konzept aber gegen Ende ein bisschen überstrapaziert. Ähnlich ging es mir mit einigen anderen Themen, die wieder und wieder erwähnt wurden: etwa die Mathematiker, die „am Asperger-Syndrom leiden“ würden (ein veralteter und in diesem Wortlauf in der autistischen Community umstrittener Ausdruck) oder auch die vielfache Erwähnung davon, dass die Polizei schwarze Menschen anhalten und erschießen würde, nur weil sie schwarz seien… was zweifellos den Tatsachen entspricht und wichtig zu kritisieren ist, aber eben auch sehr oft erwähnt wurde.

Humor ist etwas Subjektives und in manchen Bereichen hat dieser Roman sehr meinen Humor getroffen, in anderen gar nicht. Das hat sicherlich auch mit meiner Lebensumwelt und -erfahrung zu tun und damit, wie diese sich vom Autor unterscheidet.

Insgesamt ist es ein durchaus sehr humorvolles und gleichzeitig nachdenklich machendes Buch, mit dem insbesondere Mathematikinteressierte sowie James-Bond-Fans ihre Freude haben dürften.

Bewertung vom 08.09.2025
Keller, Iris

Walwerdung


ausgezeichnet

Was geschieht mit gut ausgebildeten, sich als gleichgestellt ansehenden, Frauen in der heutigen Zeit, wenn sie ein Kind bekommen? Lassen sich die Vorstellungen einer gleichberechtigten Partnerschaft und einer 50:50-Aufteilung der Verantwortung und Arbeit aufrecht erhalten? Zu welchen Veränderungen kommt es psychisch, körperlich, geistig und sozial?

Dazu hat die Autorin Iris Keller, basierend auf ihrer eigenen Erfahrung, einen sehr interessanten und gut lesbaren, unterhaltsamen und nachdenklich machenden autofiktionalen Roman geschrieben.

Hier eines der vielen prägnanten Zitate dazu, dem ich nur zustimmen konnte beim Lesen:

"Und jetzt bemerke ich: Mein Partner hat einen männlichen Körper. Er kann laufen, er kann heben, sich bücken, seine Brüste sind entspannt, er muss nicht ständig pinkeln. Er kann schlafen, er kann trinken, er kann rauchen. Wegbleiben bis mitten in der Nacht. Das gemeinsame Projekt trennt uns, entfernt uns voneinander. Ich habe meinen Körper weggegeben und ich erwarte, dass er es genauso tut. Aber sein Körper bleibt wie zuvor." (S. 32 im E-Book).

Ja, beim Kinder-Kriegen zeigt sich, dass Männer und Frauen ja doch nicht in allem genau gleich sind, dass es gewaltige Unterschiede gibt, gerade auf körperlicher Ebene. Bücher wie dieses, die das detailliert beschreiben, leisten einen wichtigen Beitrag dazu, darauf aufmerksam zu machen, was für eine unglaubliche Leistung eine Frau vollbringt, die ein Kind in ihrem Körper austrägt, gebärt und stillt, und was für Kosten das für sie mit sich bringt, die in einer Zeit, die Geschlechterunterschiede gerne negieren will, oft unsichtbar bleiben.

Immer wieder wird im Buch sehr lebhaft und eindringlich beschrieben, was es körperlich alles bedeuten kann, ein Kind zu bekommen: "Sie erzählen von Geburtszangen, hineingeschoben, den Kopf des Babys umklammernd, den vielen Menschen, die um einen herumstehen, vom Ausgestellt-Sein und Angefasst-Werden." (S. 148)

Der Titel "Walwerdung" wird im Buch mehrdimensional betrachtet: es geht um den tatsächlich rund werdenden Körper der angehenden Mutter, aber auch um das Baby im Bauch, das dort wie ein Fisch im Wasser herumschwimmt, und es geht um tatsächliche Wale im Meer.

Die Schilderung der Schwangerschaft, Geburt und Babyzeit wird immer wieder durch sehr interessante Reflexionen zu Walen unterbrochen, die gut recherchiert sind und durch die ich viel Interessantes gelernt habe: beispielsweise, dass Wale von Landsäugetieren abstammen, die zurück ins Meer gegangen sind, wie viel Aufwand und Gefahr mit dem Schutz eines Walbabys durch die Mutter verbunden ist (dafür müssen sich beide zum Beispiel in wärmeren Gewässern befinden, weil es noch nicht über genug schützende Fettschicht für Kaltwasser verfügt), wie die Wale gejagt und fast ausgerottet wurden und um was für intelligente und individuelle Lebewesen, die mit ihren eigenen Klängen über weite Distanzen miteinander kommunizieren können, es sich doch handelt:

"10 000 Kilometer. Die längste Wanderung eines Säugetiers. Zwei Mal pro Jahr. In den Polarmeeren ist der Start. Mit zwanzig Stundenkilometern graben sie sich durch die Fluten. Schwimmen in kalten Gewässern unter Eisplatten durch, vorbei an verschneiten Eisbergen und treibenden Schollen. Tagelang, keine Pause. Ihre Körper stoßen auf und ab, wellenförmige Bewegung. Vorbei an Küsten, Ländern, Kontinenten. Weiter, bis zu den tropischen Gewässern." (S. 48 im E-Book)

Die Beschreibungen der Veränderungen im Zuge des Mutter-Werdens habe ich, die ich selbst ein kleines Kind habe, als äußerst treffend und authentisch empfunden und mich in vielem wiedererkannt. Interessant und zum Nachdenken anregend habe ich auch die Verbindungen zwischen Mutter-Werden und den Walen gefunden.

Sehr gut gefallen haben mir auch die Gedanken über die Biologin und Autorin Rachel Carson, über die die Ich-Erzählerin einen Beitrag für eine Zeitschrift schreiben will, und zu der sie immer wieder Parallelen zieht, denn auch diese hatte in ihrem Leben ganz unterschiedliche Aufgaben zu vereinbaren, sorgte neben ihrer beruflichen Tätigkeit für Nichten und Neffen und wurde spät im Leben noch Adoptivmutter.

Insgesamt hat mich dieses Buch sehr berührt, an meine eigenen Erfahrungen im Zuge des Mutter-Werdens erinnert und nachdenklich gemacht. Es ist voll von tiefsinnigen Gedanken und Ideen, denen ich weitere Verbreitung in der Gesellschaft wünsche und die es wert sind, ausführlich diskutiert zu werden. Gleichzeitig kann es jenen, die diese Erfahrung noch nicht gemacht, authentisch vermitteln, was alles damit einhergehen kann, als Frau ein Kind zu bekommen, auf vielen Ebenen. Und die, die das selbst erlebt haben, können sich in vielem erkannt und verstanden, und damit mit der Autorin und mit anderen Frauen verbunden fühlen.

Bewertung vom 08.09.2025
Kuang, R. F.

Katabasis


sehr gut

Rebecca F. Kuang ist als eine Autorin bekannt, die außergewöhnliche und bemerkenswerte Bücher verfasst. Werke, die aus der Masse der Neuveröffentlichungen herausstechen, im Gedächtnis bleiben und herkömmliche Schreibkonventionen und Genregrenzen überwinden. Das macht sie so besonders, aber durchaus auch anspruchsvoll zum Lesen.

Die Bücher der Autorin sind also sehr tiefgründig und man braucht Zeit und Energie, um sich wirklich darauf einzulassen. An dieser Stelle schon mal eine Warnung: wer sich aufgrund der Kurzbeschreibung eine unterhaltsame, vergnügliche, leicht und schnell zu lesende Fantasyreise durch die Hölle erwartet, der halte bitte inne und schaue sich dieses Buch genau an, lese auch hinein! Denn nein, genau darum handelt es sich hier nicht.

Ja, das Buch spielt in der Hölle und es weist einige Fantasy-Elemente auf, insbesondere die verwendete Magie. Doch selbst diese ist in einen äußerst wissenschaftlichen Kontext eingebettet und unterliegt genauen Regeln. Typische Fans von Fantasyromanen, die um anspruchsvolle Literatur und Sachbücher einen weiten Bogen machen und sich nicht für Philosophie und Wissenschaft interessieren, werden mit diesem Werk wohl keine große Freude haben.

Das eigentliche Hauptthema dieses Buches, wie ich es verstehe, ist eine beißend-sarkastische Kritik an all den Missständen im universitären Betrieb, auch an Elite-Unis: an der extremen Ausbeutung von Doktorandinnen und Doktoranden, an sexuellen Übergriffen, Manipulation und Machtmissbrauch, am Schüren von Konkurrenzdenken zwischen den Studierenden und am Wecken falscher Hoffnungen, wenn man sich nur genug anstrengen würde sowie an der einseitigen Fokussierung nur auf das Geistig-Intellektuelle, während all das, was sonst noch das Leben ausmacht, zu kurz kommt. Wer selbst den universitären Betrieb näher kennen gelernt und kritisch zu hinterfragen begonnen hat, wird so einiges wiedererkennen.

So reisen unsere zwei Helden Alice und Peter – die zwei besten Studierenden des verunglückten Magiers und ihres Doktorvaters Jacob Grimes – zwar in die Hölle, um diesen zu retten. Doch die Hölle gleicht in vielem einem Zerrbild des akademischen Betriebs, hat ganz viel mit diesem zu tun und ist an ihn angelehnt. Auch wenn Alice und Peter sich über 90 Prozent des Buches tatsächlich in der Hölle aufhalten – innerlich und auch in dem, was ihnen gespiegelt wird, haben sie Cambridge niemals wirklich verlassen.

Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass auch in den verschiedenen Höllenkreisen studiert und geforscht wird oder Dissertationen verfasst werden, nicht nur, aber zu einem großen Teil. Zusätzlich gibt es natürlich auch noch klassische Bösewichte, die unseren Helden nach dem Leben und der Seele trachten, diverse Monster und den Fluss Lethe, der alle Erinnerungen auszulöschen droht… vor allem aber ganz viel Kargheit und Einsamkeit, auch das wohl wieder ein Spiegel des so auf die geistige Sphäre reduzierten Lebens der Promovierenden in Cambridge.

Die Kapitel, in denen die aktuelle Handlung des Reisens durch die verschiedenen Höllenkreise Stolz, Wollust, Gier, Zorn usw. voranschreitet, werden immer wieder von sehr theoretischen philosophischen Rückblicken auf die Studierendenzeit in Cambridge, die Anwendung akademischer Magie und die Missstände im akademischen Bereich unterbrochen. Das setzt die Bereitschaft voraus, sich auf umfangreiche philosophische und theoretische Exkurse einzulassen, um das Interesse am Buch nicht zu verlieren.

Mit den Figuren im Buch warm zu werden hat bei mir auch einiges an Zeit gebraucht, insbesondere bei Alice, die zumindest anfangs sehr selbstbezogen und nur auf ihre akademische Karriere bedacht wirkt. Es ist also nur ein Buch für Menschen, die bereit sind, sich auf erst einmal nicht sonderlich sympathische Charaktere einzulassen.

Inhaltlich steckt enorm viel Weisheit und Tiefe in dem Buch. Doch es war an vielen Stellen hart und sperrig zu lesen.

Wie schon erwähnt, ist es definitiv keine einfache Unterhaltungslektüre, sondern ein Buch, das die Lesenden auf vielen Ebenen fordert. Wer sich darauf einlässt, wird schlussendlich aber doch mit einer jedenfalls im Rückblick interessanten Geschichte, viel Stoff zum Nachdenken und Hinterfragen und tiefgründigen philosophischen Gedanken belohnt. Es ist ein Buch, aus dem ich mir so einige Zitate rausgeschrieben habe und das noch länger bei mir emotional und intellektuell nachwirken wird.

Ich empfehle das Buch ausdrücklich jenen buchinteressierten Menschen, die nicht nur hauptsächlich zur Unterhaltung lesen, sondern an intellektuell anstrengender Denkarbeit, vielen neuen Impulsen und persönlicher Weiterentwicklung interessiert sind. Für jene, die bereit sind, die damit verbundene Arbeit und Anstrengung auf sich zu nehmen, ist es ein lohnendes, interessantes und außergewöhnliches Werk.

Bewertung vom 29.08.2025
Keßler, Verena

Gym


sehr gut

Witzig, schräg und makaber:

"Gym", nach den "Geistern von Demmin" und "Eva" nun das dritte Buch von Verena Keßler, liest sich leicht und schnell. In kurzweiligen Szenen erleben wir die namenlose Ich-Erzählerin, die ihren früheren prestigeträchtigen Job wohl verloren hat, auf Bewährung ist und nach einer Anstellung sucht und diese im Mega-Gym-Fitnesscenter findet.

Ihren nicht ganz perfekten Körper erklärt sie mit der Lüge, gerade erst entbunden zu haben, doch bald wird sie dem Fitnesshype verfallen und immer mehr trainieren, immer stärker und kräftiger werden und dafür vieles aufs Spiel setzen, bis zum sehr schrägen Ende des Buches, das ich hier natürlich nicht verraten möchte.

Das Buch ist eine sarkastisch-bissige Kritik an den überzogenen Maßstäben, die insbesondere an weibliche Körper von der Gesellschaft angelegt werden, und zeigt in humorvoll-übertriebener Art auf, wozu der daraus resultierende Selbstoptimierungshype und die damit verbundene Konkurrenz führen können: zur Selbstzerstörung und zur Zerstörung sozialer Bindungen. Insofern ist es ein gut geschriebenes, unterhaltsames Buch, das wichtige Themen anspricht.

Mich persönlich hat es aber irgendwo im letzten Drittel verloren, als mir einige Entwicklungen doch bei weitem zu überzogen und für mich nicht mehr lustig waren. Das ist aber wohl persönliche Geschmackssache. Dieses Buch wird sicher nicht allen gefallen, aber für viele doch zumindest eine gute Unterhaltung mit Anregung zum Nachdenken sein.

Bewertung vom 29.08.2025
Fonthes, Christina

Wohin du auch gehst


ausgezeichnet

Über vielfältige Beziehungen zwischen Menschen:

Der Roman "Wohin du auch gehst" von Christina Fonthes heißt im englischsprachigen Original "Where you go, I will go". Das bezieht sich auf den Bibelspruch aus dem Buch Rut: "Rut antwortete: Dränge mich nicht, dich zu verlassen und umzukehren. Wohin du gehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe auch ich, da will ich begraben sein. Der Herr soll mir dies und das antun – nur der Tod wird mich von dir scheiden.", der gerne bei Hochzeiten zitiert wird. Dabei geht es ursprünglich darin gar nicht um eine heterosexuelle Paarbeziehung, sondern um die Verbindung zwischen der verwitweten Rut und ihrer Schwiegermutter.

Damit ist es eine äußerst klug und passend gewählte Referenz für ein besonderes Buch, in dem es um vielfältige Beziehungen zwischen Menschen geht, die über klassische heterosexuelle Paarbeziehungen, aber auch über leibliche Eltern-Kind-Beziehungen weit hinaus gehen.

Wir erleben das Buch aus zwei Perspektiven, die abwechselnd geschildert werden. Da ist zum einen die lebenslustige, fröhliche, freche Mira, ein 16-jähriger Teenager, die unbeschwert mit ihrer älteren Schwester Eugenie und den gemeinsamen Eltern in Kinshasa in Zaire (jetzt "Demokratische Republik Kongo") in Afrika lebt. Die Mädchen wachsen geliebt und unterstützt auf, die Familie ist finanziell sehr gut situiert, hat ein schönes großes Haus mit Garten, sie sprechen perfekt Französisch und Lingala, dürfen eine gute Schulbildung genießen und haben scheinbar alles, was sie brauchen. Doch die Familie ist auch konservativ und auf ihren Ruf bedacht, insbesondere, da der Vater gerade für den Posten des Gouverneurs kandidiert. So brechen Ereignisse über Mira herein, die sie sehr von ihrer Familie entfremden und für viele Jahre alleine nach Europa führen werden.

Die zweite Perspektive des Buches ist die der jungen Bijoux, etwa 15 bis 25 Jahre später (je nach Kapitel). Es werden Erlebnisse aus verschiedenen Lebensphasen der jungen Frau geschildert, in den meisten Kapiteln ist sie Anfang bis Mitte 20. Bijoux ist bis zu ihrem 12. Lebensjahr bei ihren Eltern Sylvain und Eugenie in Zaire aufgewachsen, als Teil der dortigen Oberschicht mit beiden Eltern in gesellschaftlich hochstehenden Positionen (die Mutter ist etwa Ärztin), jedoch in einer von politischen und militärischen Konflikten überschatteten, unsicheren Zeit. Mit 12 musste sie plötzlich und ungefragt zu ihrer schweigsamen und erzkonservativen Tante Mireille nach Europa ziehen und fortan dort aufwachsen. Nun ist Bijoux seit einigen Jahren volljährig und formal erwachsen, weiß eigentlich, dass sie lesbisch ist, doch es ist eine Herausforderung, gegenüber ihrer Mutter, die eine leitende Position in einer charismatischen Bibelgemeinde einnimmt, dazu zu stehen.

Das Buch ist sehr zugänglich und interessant geschrieben. Ich habe dabei viel über ein mir bisher unbekanntes Land gelernt: Zaire/Kongo. Wie schon beschrieben, ist es die Position einer sehr privilegierten afrikanischen Familie, aus der wir auf dieses Land schauen, und dadurch ganz spezifische Möglichkeiten und Herausforderungen kennen lernen, mit denen die Charaktere zu tun haben. Die Charaktere sind tiefgründig, authentisch und liebevoll gezeichnet, sodass ich mich beim Lesen mit beiden weiblichen Hauptfiguren verbunden gefühlt habe und sehr mitgefiebert habe. Das Thema des Coming-of-Age und Outing speziell als lesbische Frau mit afrikanischem Hintergrund ist für mich gut in die Gesamtkonstruktion des Buches eingewoben. Dabei war es für mich sehr interessant zu lesen, mit wie vielen Schwierigkeiten speziell Bijoux zu kämpfen hat und wie sie ihren Weg findet, aber auch Mira/Mireille ist eine sehr spannende Persönlichkeit mit einer Geschichte, die Mitgefühl erregt und zum Nachdenken anregt, und auch interessante Twists und Turns aufweist.

Ich kann das Buch allen, die sich für Migrationsgeschichten, Afrika, vielschichtige Familienbeziehungen und das Thema Queerness interessieren, oder zumindest für all diese Themen offen sind, sehr empfehlen. Ich habe es sehr gerne gelesen, dabei mit den Charakteren mitgefiebert, wurde gut unterhalten und habe so einiges gelernt.

Bewertung vom 28.08.2025
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


ausgezeichnet

Viel Diskussionspotential steckt in diesem kurzen Buch:

20.000 Elefanten mitten in Deutschland... was für ein schräges Szenario für dieses Buch! Und doch wird es überraschend glaubwürdig beschrieben: die Elefanten hat der Herrscher eines afrikanischen Landes den Deutschen geschenkt, um ihnen ihre eigene Scheinheiligkeit vor Augen zu führen: mit ihren Importbeschränkungen für Elfenbein wollen sie vermeintlich die Tiere schützen, doch unter den Folgen der massenhaften Vermehrung dieser haben bisher nur die Menschen in entfernten Ländern gelitten... damit soll nun Schluss sein!

Ironisch-humorvoll und doch an vielen Stellen gut nachvollziehbar, mit eingestreutem Wissen über Elefanten, ihr Verhalten und ihre Lebensbedingungen entwickelt sich das Szenario weiter. Die Politik, vom Bundeskanzler abwärts, muss einen Umgang damit finden, denn einfach zurückschicken geht nicht so einfach, dafür wären die Lieferungen von noch mehr Elefanten angekündigt.

Also werden Straßen gesperrt, Bioabfälle den Elefanten zur Verfügung gestellt und Marketingstrategien geschmiedet, um das Beste daraus zu machen: für Deutschland und seine Wirtschaft, aber vor allem auch für die eigenen Wahlerfolge, immer bedacht darauf, sich von den Rechten abzugrenzen, diesen aber auch nicht zu viele Stimmen zu überlassen, ein schwieriger Balanceakt.

So manche Ideen im Umgang mit den Elefanten erinnern stark an die Migrationsdebatte: da geht es auf einmal um Deals mit Drittländern und um die Frage, ob man süße Kinderelefanten abschieben darf, aber auch, was man für den Schutz der Elefanten als Gesellschaft in Kauf nehmen muss. Zusätzlich zeigt sich auch viel über das Wesen der Politik in vielen modernen Demokratien: über die Nähe oder Entfernung von den Wählern und Wählerinnen und ihrem Willen, über politische Ränke- und Machtspiele, über Umwege, über die man etwas erreichen will, aber auch über den Druck von vielen Seiten, unter dem Menschen in politischen Machtpositionen stehen.

Insgesamt ist das kurze Büchlein ein unterhaltsames und hochintelligentes Werk, das das Potential hat, vielen Menschen in Mitteleuropa einen Spiegel vorzuhalten und dabei sehr interessante und kontroverse ethische Fragen stellt und viel Stoff für Diskussionen bietet.

Bewertung vom 19.08.2025
Lühmann, Hannah

Heimat


sehr gut

Authentische Schilderung eines gewissen Milieus:

Jana ist vor kurzem mit ihrem Mann Noah und den beiden Kindern Louis und Ella aufs Land gezogen. In der Stadt und im Speckgürtel war Wohnen immer teurer geworden und sie sehnten sich nach einem schönen grünen Umfeld für die Kinder und Erholung für sich. In ihrem städtischen Umfeld war es üblich, dass beide Eltern Vollzeit oder vollzeitnah arbeiten und die Kinder schon früh ganztags in der Kindertagesstätte sind, dort wurde niemand dafür schief angeschaut.

Doch nun ist Jana eine der letzten, die nachmittags ihre beiden Kinder von dort abholt... und das, obwohl sie vor kurzem ihren Job gekündigt hat, nachdem es von ihrer Chefin nicht sehr wohlwollend aufgenommen wurde, dass sie nun mit dem dritten Kind schwanger ist. So ganz angekommen ist Jana auch noch nicht auf dem Dorf.

Doch das wird sich bald ändern, als sie die charismatische, strahlende, hübsche Karolin kennen lernt. Karo hat sogar fünf Kinder, doch sie wirkt immer entspannt und gut gelaunt, bastelt fröhlich mit den Kindern, hält das Haus blitzblank und macht mit Freude Apfelkuchen mit selbstgemachter Vanillesauce mit echter Vanille. Sie ist bewusst bei den Kindern zu Hause und stolz darauf, diese Botschaft verbreitet sie auch als Influencerin auf Social Media.

Sie wohnt mit ihrem Mann in einem Haus mitten im Wald, die jüngeren Kinder sind ganztags zu Hause und die älteren gehen nur deshalb in die Schule, weil der Staat das leider so verlangen würde. Jana ist erst einmal beeindruckt von Karos Freundlichkeit und Selbstbewusstsein, folgt ihr nur zu gerne auf Instagram und freundet sich mit ihr an.

So lernt sie auch Karos Freundinnen kennen und wird Teil einer Frauenleserunde, in der Erziehungsratgeber diskutiert werden, die Fremdbetreuung verteufeln. Stück für Stück taucht Jana immer mehr in dieses neue Milieu ein, in dem sehr simple Lösungen für gesellschaftliche Probleme propagiert werden, wie selbstverständlich AfD gewählt wird und die Frau dem Mann untertan sein soll, während gleichzeitig ihre eigene Ehe immer mehr in Schieflage gerät.

Das Buch liest sich leicht und unterhaltsam, mit vielen Dialogen und bildhafter Schilderung eines ganz bestimmten, oft ländlichen Milieus, in das auch die Lesenden damit tief eintauchen können. Ich kenne solche Milieus auch und empfinde die Darstellung als sehr authentisch, es verkommt auch nicht zum Klischee, sondern wird durchaus differenziert dargestellt, einschließlich seiner Schattenseiten und der oft großen Unterschiede zwischen der Außendarstellung, speziell auf Social Media, und dem, was wirklich gelebt wird.

Insgesamt habe ich das Buch sehr gerne gelesen, denn es bietet interessanten Stoff zum Nachdenken und Diskutieren über verschiedene gesellschaftliche Milieus, die Prägung des jeweiligen Umfeldes und den Sog, den ein neues Umfeld auf Menschen ausüben kann, speziell, wenn sie gerade sozial noch nicht gut angebunden sind und sich einsam fühlen.

Außerdem macht die Beschäftigung mit den im Buch skizzierten Themen und Milieus nachdenklich über die große Herausforderung der mangelnden Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die auch in der aktuellen Müttergeneration viele moderne und gut ausgebildete Frauen so deutlich spüren und für die unsere Gesellschaft bis jetzt nur unzureichende Antworten und Lösungen bietet, was mit ein Faktor dafür sein könnte, dass rechte Parteien in den letzten Jahren so viel an Zulauf gewonnen haben und das Modell der traditionellen Hausfrau für manche junge Frauen wieder attraktiv geworden ist.

Es ist ein kluges und gut geschriebenes Buch, das ich einer breiten Leserschaft empfehlen kann. Schade habe ich nur das Ende gefunden, das für mich zu abrupt kam und einige Handlungsstränge offen gelassen hat, etwas, was ich nicht so schätze.

Bewertung vom 19.08.2025
Kuhn, Yuko

Onigiri


ausgezeichnet

Wenn bei aller Dunkelheit ein Zauber bleibt...

… dann weiß ich, ich habe ein besonderes Buch gelesen. Von Herausforderungen und schwierigen Lebensthemen sind die Halbjapanerin Aki und ihre Familie nicht verschont geblieben.

Ihre Mutter Keiko ist als junge Frau mutig und voller Hoffnung alleine ins unbekannte Deutschland ausgewandert, hat die Sprache gelernt, in engen Unterkünften gewohnt, sich mit Aushilfsjobs durchgeschlagen und dann einen Deutschen aus alteingesessener, sehr wohlhabender Familie geheiratet und mit ihm zwei Kinder bekommen.

Doch ihren Mann, Akis Vater, jagen seine ganz eigenen Dämonen: aufgewachsen in einem eher kühlen Elternhaus mit oft abwesendem Vater und einer distanzierten Mutter mit Promotion in Biologie, scheitert er selbst an den internalisierten Ansprüchen seiner Herkunftsfamilie, schafft seine eigene Promotion nicht, fühlt sich am Leben gescheitert und unternimmt einen Suizidversuch, während er seine Babytochter im Kinderwagen in einem Kaufhaus stehen lässt. Zeitlebens wird er unter psychischen Problemen leiden. So kommt es auch zur Trennung der Eltern und die Kinder werden den Vater nur noch gelegentlich sehen.

Aki wächst in diesem Milieu auf, zwischen zwei Kulturen, mit einer ursprünglich so starken Mutter, die nun immer erschöpft zu sein scheint und Ruhe braucht. Zwischen den Eltern und den durchaus die Enkelin sehr liebenden Großeltern väterlicherseits, deren ambivalentes Verhältnis zur japanischen Schwiegertochter, Akis Mutter, sich aber auch auf sie auswirkt. Dann gibt es noch die sehr sympathischen und warmherzigen Verwandten in Japan und deren gelegentliche Besuche.

Vor diesem Hintergrund unternimmt die erwachsene Aki eine letzte Japanreise mit ihrer Mutter, die leider schon relativ jung an Demenz erkrankt ist, zu deren Wurzeln und zu den dort lebenden Verwandten.

Diese Reise ist ein Teil des Buches, aber bei weitem nicht der einzige: die meisten Kapitel sind in zwei Teile geteilt: zuerst gibt es einen biografischen Rückblick auf bedeutende Kapitel aus Akis und Keikos Leben und dann aktuelle Szenen aus der Japan-Reise.

Das Buch ist insgesamt in einem mosaikhaften Stil geschrieben: viele kleine, scheinbar unverbundene Szenen, aus denen sich nach und nach das komplexe Bild der Familie zusammensetzt. Zentrale Themen des Buches sind die Demenzerkrankung der Mutter und der Umgang der Angehörigen damit, aber auch interkulturelle Identitäten zwischen Japan und Deutschland.

Für mich war es ein sehr leicht zu lesendes und angenehmes Buch, das trotz der Schwere der beschriebenen Themen immer wieder auch seine eigene Leichtigkeit mit sich brachte: in liebevollen Begegnungen, in der Beziehung zueinander und zum Essen, in der Art, wie sich aus den vielen kleinen Teilen dann doch ein für mich sehr kohärentes Ganzes einer Familie, die trotz allem auch über sehr viel Resilienz verfügt, zusammengesetzt hat. Zurück bleibt bei mir ein warmes Gefühl im Bauch und die Hoffnung, dass sich bei aller Schwere und allen Herausforderungen immer auch Schönes, Gutes und Verbindendes finden lässt.