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Christina19

Bewertungen

Insgesamt 90 Bewertungen
Bewertung vom 13.09.2025
Bauer, Christina

Einfach backen mit Sauerteig


ausgezeichnet

Gut durchdachtes Backbuch mit vielfältigen Rezepten

Inhalt:
Sauerteig verbessert das Aroma von Backwaren, sorgt für eine längere Haltbarkeit, gilt als gut verdaulich und lässt den Blutzuckerspiegel langsamer steigen. Grund genug für Christina Bauer, sich in ihrem neuen Buch dem Backen mit Sauerteig zu widmen. Angefangen bei den Basics gibt sie einen Überblick über Mehltypen, beschreibt Schritt für Schritt, wie man einen Sauerteig ansetzt, und erklärt die Grundlagen des Brotbackens. Anschließend zeigt sie in 60 Rezepten die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten eines Sauerteigs: Von Brot und Brötchen über Pikantes bis hin zu süßem Gebäck bleiben keine Wünsche offen.

Meine Meinung:
Gleich vorab: Ich bin total begeistert von diesem Backbuch! Sowohl für Anfänger wie mich als auch für Fortgeschrittene hat Christina Bauer Wissenswertes sowie eine Menge Rezepte zusammengetragen, sodass das Buch für alle, die sich für das Backen mit Sauerteig interessieren, einen großen Mehrwert bietet. Im ersten Teil liefert sie interessante Hintergrundinformationen und notwendige Grundlagen. Hier erfährt man nicht nur, wie man Sauerteig ansetzt und haltbar macht, sondern beispielsweise auch, was es mit Autolyseteig und dem Mehlkochstück auf sich hat. Im zweiten Teil des Buches findet man anschließend unglaublich vielseitige Rezepte, sodass für jeden Geschmack etwas dabei ist: Misch- und Kartoffelbrot, Bierbrot und Dinkelvollkorntoastbrot, Baguette, Ciabatta, Dinkel-Bagels, Pizzastangen, Speckwurzeln, Brioche, Zimtknoten und Himbeerbuchteln sind nur einige der Rezepte.
Das gesamte Buch ist klar strukturiert, sodass man sich problemlos darin zurechtfindet. Auf den Rezeptseiten sind die Zutaten, die Zubereitung, die Zubereitungszeit sowie die Backzeit und -temperatur übersichtlich dargestellt. Die Erklärungen sind leicht verständlich und, wenn nötig, schrittweise bebildert. Außerdem sind alle Backwaren appetitlich in Szene gesetzt, wodurch ein Rezept verlockender ist als das andere. Insgesamt wirkt dieses Backbuch für mich von der ersten bis zur letzten Seite wirklich gut durchdacht.
Nachdem ich das Buch vor einiger Zeit erhalten habe, habe ich einen Sauerteig aus Roggenmehl angesetzt. Als Anfänger musste ich mich hierbei ein wenig ausprobieren, habe letzten Endes aber einen Ansatz erhalten, der nach knapp einer Woche einsatzbereit war. Mein erstes Brot, das Buttertoastbrot, ist nicht so stark aufgegangen wie es sollte, das war mit einem jungen Sauerteig aber zu erwarten. Den Tipp, anfangs noch etwas Hefe zuzugeben, sollte man also beherzigen. Als nächstes werde ich mich an ein einfaches Roggenbrot heranwagen, ehe ich mit mehr Triebkraft meines Sauerteigs in ein paar Wochen auch das eine oder andere süße Rezept nachbacken möchte.
„Einfach backen mit Sauerteig“ ist mein erstes Buch von Christina Bauer, die ich bis dato noch nicht kannte. Nachdem es mich so überzeugt hat, bleibt es bestimmt nicht das einzige in meinem Regal!

Bewertung vom 10.09.2025
Merveille, Christian

Der Klang der Freiheit


ausgezeichnet

Gegen Unterdrückung, für Freiheit - zeitlos und gleichzeitig aktueller denn je

Inhalt:
Anlässlich eines Festzugs kommt der König in die Stadt. Für die Bewohner könnte das ein schöner Tag werden. Doch ihr König ist ein Tyrann. Wenn er sie besucht, müssen sie sich vor ihm niederwerfen. Ein einzelner Mann wagt es jedoch, aufrecht stehen zu bleiben. Er möchte dem Gesang eines Vogels lauschen…

Meine Meinung:
„Der Klang der Freiheit“ ist ein Bilderbuch, das berührt und sehr nachdenklich stimmt. Es erzählt die Geschichte von einem König, der Angst und Schrecken verbreitet. Er unterdrückt sein Volk und bestraft ungehorsames Verhalten. Dennoch lässt sich ein Mann nicht einschüchtern und leistet Widerstand. Sein Mut bringt ihn ins Gefängnis, wo er Entsetzliches erleiden muss. Beim Lesen habe ich sehr mit ihm mitgefühlt – so sehr, wie es bisher noch kein Bilderbuch geschafft hat. Trotz allem, was dem Mann widerfährt, verliert er nie seine Hoffnung, sodass es die Obrigkeiten nicht schaffen, ihn zu brechen.
Die Erzählweise der Geschichte ähnelt der klassischer Märchen – mit dem Unterschied, dass letztere mit ihren fantastischen Elementen rein fiktiv sind, während der König in diesem Buch doch stark an den einen oder anderen Machthaber der Gegenwart erinnert. Und genau das ist es, was dieses besondere Bilderbuch ausmacht: Mit seinem Bezug zur Realität ist es ebenso zeitlos wie hochaktuell.
Die Illustrationen hat Valeria Docampo beigesteuert, die Vielen mit ihrem einzigartigen Stil aus „Die große Wörterfabrik“ und „Im Garten der Pusteblumen“ bekannt sein dürfte. Mit reduzierter Farbpalette schafft sie unglaublich ausdrucksstarke Bilder, die die Botschaft der Geschichte nicht besser transportieren könnten.
„Der Klang der Freiheit“ zeigt, dass man mutig sein sollte, sich gegen soziale Ungerechtigkeit aufzulehnen. Dass man seine Hoffnung nie aufgeben darf. Und dass man mit einem unbändigen Willen viel erreichen kann. Dieses Buch ist ein Plädoyer für ein freiheitliches Miteinander und damit nicht nur für Kinder, sondern unbedingt auch für Erwachsene zu empfehlen. Auf jeden Fall eines meiner Bilderbuchhighlights!

Bewertung vom 08.09.2025
Bohlmann, Sabine

Was wäre, wenn ...


sehr gut

Wie die Welt sein könnte – ein poetisches Bilderbuch für Erwachsene

Was wäre, wenn alle freundlich zueinander wären? Wenn die Menschen einander anlächeln würden?
Mit wenigen Fragen zeichnet Sabine Bohlmann eine Welt, wie sie sein könnte, wenn jeder Mensch das Potential erkennen könnte, das in ihm ruht. Stella Dreis steuert die Illustrationen zu diesem poetischen Geschenkbuch für Erwachsene bei.

Wenn sich eine Bestsellerautorin und eine preisgekrönte Illustratorin zusammentun, sind die Erwartungen hoch. Und Sabine Bohlmann und Stella Dreis enttäuschen nicht. Mit „Was wäre, wenn …“ haben die beiden ein Buch gestaltet, dass mit wenigen Worten und zarten Bildern zum Nachdenken anregt. Sie zeigen, dass es kein Geld benötigt, um einen Unterschied machen: kleine Gesten gegenüber den Mitmenschen, Dankbarkeit für vermeintlich Alltägliches, Wertschätzung für das, was wir haben. Mit ihren Ideen stößt Sabine Bohlmann Träume von einer besseren Welt an, einer Welt des Miteinanders, ohne Ängste und Sorgen, eine Welt in Frieden. Sie motiviert ihre Leser:innen dazu, all die Möglichkeiten zu erkennen, ihr Glück selbst in die Hand zu nehmen. Und sie lässt uns mit diesem Buch mit dem Gefühl voller Hoffnung zurück.

Bewertung vom 03.09.2025
Keßler, Verena

Gym


ausgezeichnet

Geschickt konstruierte, unerwartete Entwicklungen

Auf der Suche nach einem neuen Job stellt sie sich in einem Fitnessstudio vor. Das Gespräch läuft gut, bis Ferhat, der Inhaber des Gyms, sie auf ihre Vorbildfunktion für die Kunden hinweist. Sie hätte vor Kurzem erst entbunden, meint die namenlose Erzählerin mit Blick auf ihre überschüssigen Pfunde und bekommt mit dieser Notlüge den Job. Doch nun muss sie sich nicht nur den Fragen der Kollegen nach ihrem vermeintlichen Nachwuchs stellen, sondern bekommt von ihrem Chef auch einen Trainingsplan verpasst, um ihren Körper in Form zu bringen. …

Mit einem lockeren, leichten Schreibstil weiß Verena Kessler mich mit ihrem Roman „Gym“ von Beginn an zu fesseln. Die Protagonistin der Geschichte, die ohne Namen bleibt, erzählt von ihrem Arbeitsbeginn in einem Fitnessstudio. Durch die Ich-Perspektive erhält man hin und wieder Einblick in die Gedanken der Figur, die oft sarkastisch, fast schon zynisch sind und mich als Leserin großartig amüsiert haben. In Rückblenden lernt man die Erzählerin besser kennen, erfährt von früheren beruflichen und einigen familiären Gegebenheiten. Dadurch versteht man allmählich auch, was die Figur zu ihrer Bewerbung im Fitnessstudio geführt hat.
Was unterhaltsam beginnt, bekommt zunehmend mehr Spannung und Dramatik: Der Trainingsplan, den ihr ihr Vorgesetzter Ferhat geschrieben hat, dient hier als Ausgangspunkt. Die Hauptfigur fängt an sich zu verändern, physisch wie auch psychisch. Angestachelt durch einen Konkurrenzkampf, in den sie sich selbst begeben hat, arbeitet sie immer verbissener an ihrem Körper. Ihre Entwicklung war für mich nicht nur überraschend, sondern zugleich verstörend. Aus der (trotz ihrer Notlüge) anfangs sympathischen Frau wurde eine Figur, die man wohl als wahnhaft und furchteinflößend beschreiben kann. Obwohl ich die Erzählerin zuletzt nicht mehr mochte, fand ich die Art und Weise, wie Verena Kessler deren Wandlung konstruiert hat, doch sehr gelungen. Vor allem die Rückblenden helfen zu verstehen, weshalb sie zu der Person geworden ist, die sie ist. Hier geht um mehr als nur Fitness, es geht um Konkurrenzdenken, Ehrgeiz und Anerkennung, um tiefe innere Kränkungen und Selbstzerstörung. An keiner Stelle des Romans habe ich ahnen können, wo all das am Ende hinführen wird, sodass mich der Schluss wirklich überrascht hat.
Wer herausfinden möchte, welchen Einfluss der sportliche Ehrgeiz der Erzählerin auf ihren Job im Fitnessstudio hat und ob ihr Chef am Ende erfährt, dass ihre angebliche Entbindung nur eine Notlüge war, sollte „Gym“ lesen.

Bewertung vom 18.08.2025
Erdmann, Kaleb

Die Ausweichschule


ausgezeichnet

Ein Ereignis, das kaum in Worte zu fassen ist, gut aufgearbeitet

Kaleb Erdmann ist 11 Jahre alt, als am 26. April 2002 die ersten Schüsse fallen. Er besucht die 5. Klasse des Erfurter Gutenberg-Gymnasiums, an dem an diesem Tag 16 Menschen das Leben verlieren, ehe der Amokläufer die Waffe gegen sich selbst richtet.
Mehr als 20 Jahre später sorgt eine zufällige Begegnung dafür, dass die erschreckende Tat in Erdmanns Leben zurückkehrt. Er beginnt sich zu erinnern, an sein Leben in Erfurt, die Stunden am Tattag und die Zeit nach dem Amoklauf. Er stellt den Wahrheitsgehalt seiner Erinnerungen in Frage, recherchiert Zusammenhänge und überlegt, wie man über etwas schreiben kann, das kaum in Worte zu fassen ist.

Kaleb Erdmann erlebte als Schüler den Amoklauf am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt. In „Die Ausweichschule“ berichtet er über die damaligen Geschehnisse sowie seine persönlichen Erlebnisse und Erinnerungen. Die Art, wie er all das niedergeschrieben hat, empfinde ich als mehr als gelungen. Er schafft es, diese erschütternde Tat weder sensationslustig noch aufmerksamkeitsheischend zu verpacken, sondern nähert sich dem Geschehenen behutsam. Erdmann beschreibt dabei den Prozess, wie er sich als Autor an das Thema herangewagt hat. Er hinterfragt, ob man nach so langer Zeit alte Wunden aufreißen sollte, ob er der Richtige ist, darüber zu schreiben und erzählt schließlich von einem Treffen mit einem Dramatiker. In regelmäßigen Rückblicken schildert er unter anderem Telefonate, die er vorab mit dem Dramatiker geführt hat und in denen beide ihr Wissen und ihre Ansichten miteinander teilten. Diese Zeit- und Szenenwechsel bringen Abwechslung sowie Spannung in den Roman. Gleichzeitig sorgt der Aufbau dafür, dass Erdmanns Ausführungen zum Anschlag in kleinere Abschnitte geteilt werden, was die Geschehnisse zwar nicht weniger entsetzlich macht, sich beim Lesen aber besser aushalten lässt – andernfalls hätte ich wohl häufiger Lesepausen gebraucht.
Während sich große Teile des Buches dem Schreibprozess des Autors und dem Amoklauf widmen, lenkt Kaleb Erdmann die Aufmerksamkeit auch auf die Folgen für die Überlebenden. Das breite Medieninteresse und damit die Berichterstattung sind schon wenige Wochen nach dem Anschlag abgeebbt, Betroffene kämpfen dagegen teils noch heute mit dem erlittenen Trauma. Doch wie kann man solche Ereignisse verarbeiten und kann man jemals damit fertig werden?
Ich bin sehr angetan von der Art und Weise, wie Erdmann den Erfurter Amoklauf aufarbeitet. Angesichts der Tatsache, dass es sich um reale Ereignisse und keine fiktive Geschichte handelt, fühlt es sich dennoch falsch an, in überschwängliche Lobeshymnen zu verfallen. Daher nur kurz und knapp: Unbedingte Leseempfehlung für „Die Ausweichschule“!

Bewertung vom 11.08.2025
Kuhn, Yuko

Onigiri


sehr gut

Unerwartet schwerwiegend und ergreifend

Als junge Frau kam Akis Mutter nach Deutschland. Sie heiratete, bekam zwei Kinder, ließ sich scheiden. Als sie im Alter an Demenz erkrankt, beschließt ihre Tochter, mit ihr noch einmal in ihre alte Heimat zu reisen. Zwischen Erinnern und Vergessen, Freude und Trauer – während Keiko ein letztes Mal von Japan Abschied nimmt, reflektiert ihre Tochter Aki, weshalb sich auf ihre einst so lebensfrohe Mutter in Deutschland diese bedrohliche Müdigkeit legte.

„Onigiri“ erzählt die Geschichte einer Familie zwischen zwei Kulturen. Sie ist aus der Perspektive von Aki geschrieben, die als Tochter einer japanischen Mutter und eines deutschen Vaters aufwuchs. Ihre Eltern trennten sich früh, wodurch Aki viel Zeit bei der fortan alleinerziehenden Keiko sowie ihren deutschen Großeltern Gesine und Ludwig verbrachte. Nun, selbst Mutter, blickt sie zurück auf die beiden Seiten ihrer Familie, zwischen denen Welten liegen. Aki schildert Szenen aus ihrer Kindheit, aus der Beziehung ihrer Eltern sowie aus dem Leben ihrer Mutter Keiko. Die zahlreichen Rückblenden verleihen dem Roman eine aus meiner Sicht beinah melancholische Stimmung. Vor allem helfen sie dabei, das Leben von Keiko zu verstehen: Neugierig auf die Welt kam sie nach Deutschland, lernte die Sprache und engagierte sich in einem Chor. Dennoch scheint sie nie richtig angekommen zu sein und Anschluss gefunden zu haben. Insbesondere von der wohlhabenden Familie ihres deutschen Mannes wurde Keiko nicht akzeptiert. Die Autorin zeigt an dieser Stelle deutlich auf, welche Schwierigkeiten der Umzug in ein fernes Land mit einer fremden Kultur mit sich bringen kann. Da ist das Gefühl, nicht willkommen zu sein, die Einsamkeit und das Heimweh, das man nie ganz überwinden kann. Zudem bindet Yuko Kuhn sehr ernste und schwerwiegende Themen wie Depressionen und Demenz ein – beides Erkrankungen, die das Leben der Betroffenen und ihres Umfeldes stark beeinflussen und im schlimmsten Fall den Abschied von einer vertrauten Person bedeuten können.
Obwohl der Roman nicht mit der Leichtigkeit daherkommt, die ich mir anfangs erhofft habe, kann ich „Onigiri“ guten Gewissens weiterempfehlen!

Bewertung vom 04.08.2025
Engler, Leon

Botanik des Wahnsinns


sehr gut

Eine tiefgehende Familienanamnese mit teils philosophischen Gedanken

Seine Mutter ist alkoholabhängig, sein Vater depressiv. Sein Großvater ist schizophren, seine Großmutter bipolar, schizophren, alkoholabhängig und hat mehrere Suizidversuche hinter sich. Das Leben und die psychische Gesundheit des Erzählers scheinen vorgezeichnet. Leon Engler begibt sich auf Spurensuche, versucht die Traurigkeit mehrerer Generationen zu verstehen und nachzuempfinden. Was er herausfindet, lässt ihn hinterfragen, wo eigentlich die Grenze verläuft zwischen Normalität und Wahnsinn. Und es lässt ihn Frieden schließen mit der eigenen Familiengeschichte.

Mit seinem Debütroman „Botanik des Wahnsinns“ gibt Leon Engler einen Einblick in seine Familiengeschichte und den Verlauf seines eigenen Lebens. Dabei verfolgt er die Spuren seiner Vorfahren weit zurück, wobei in dem Buch vor allem seine Eltern und Großeltern in den Fokus gerückt werden. In Ich-Perspektive erzählt der Autor von deren psychischen Erkrankungen. Er beschreibt die Symptome und welchen Einfluss diese auf das Leben der Betroffenen hatten: Die Mutter rutschte in Schulden, verlor ihre Wohnung und war mehrmals auf Entzug. Der Vater zog sich immer mehr zurück, verbrachte Tage, wenn nicht Wochen im Bett und hatte kaum mehr soziale Kontakte. Leon Engler, der selbst Psychologie studiert hat und in einer psychiatrischen Klinik arbeitete, sieht jedoch nicht nur die Diagnose, sondern auch die Menschen dahinter. Er hört zu und versucht zu verstehen, wie seine Patienten und seine Familienmitglieder zu denen geworden sind, die sie sind. Die Gedanken, die er dazu niedergeschrieben hat, sind sehr tiefgreifend und teils philosophisch. Immer wieder nimmt der Autor Bezug auf Freud, Nietzsche und weitere Personen, die sich mit Menschen und deren geistiger Gesundheit, dem „Wahnsinn“, befasst haben. Seine Quellen listet Leon Engler im Anhang des Buches auf, was aus meiner Sicht zeigt, wie intensiv und mit welcher Ernsthaftigkeit er sich mit dem Thema befasst hat. Er wirft außerdem einen Blick auf sein eigenes Leben. Immer wieder ist er vor seinem Schicksal geflohen, erst nach New York, dann nach Paris, später nach Wien, bis er sich schließlich der Familiengeschichte stellte. In insgesamt 46 kurzen Kapiteln, die sich rasch lesen lassen, erzählt er davon. Dazwischen gibt es stetige Zeitsprünge vor und zurück, was für mich anfangs etwas gewöhnungsbedürftig war, dann aber viel Abwechslung in den Roman brachte. Ich mochte dieses Buch sehr gerne und werde es garantiert noch einmal lesen!

Bewertung vom 19.07.2025
Runcie, Charlotte

Standing Ovations


gut

Gekonnte Beleuchtung beider Seiten oder Täter-Opfer-Umkehr?

Alex besucht als Theaterkritiker das Kulturfestival in Edinburgh. Hayleys Bühnenprogramm ist eines der ersten, das er während der Festwochen sieht und äußerst kritisch mit nur einem Stern bewertet. Am Abend nach der Show – noch vor Veröffentlichung seiner Rezension in einer überregionalen Zeitung – treffen die beiden in einer Bar aufeinander. Hayley erkennt den Starkritiker nicht und Alex verschweigt er ihr seine Meinung zu ihrem Auftritt. Sie verbringen die Nacht miteinander, ehe Hayley am nächsten Morgen von Alex‘ vernichtender Kritik erfährt. Verletzt beschließt sie, ihn zum Thema ihres Bühnenprogramms zu machen und damit Rache zu üben.

„Standing Ovations“ erzählt von der Demütigung einer Frau durch einen Mann und ihrer öffentlichen Abrechnung mit ihm. Die beiden, Hayley und Alex, stehen dabei in einem gewissen Machtverhältnis zueinander: Er kann als Theaterkritiker ihre Karriere zerstören. Sie ist als Künstlerin von seinem Urteil abhängig, kann ihrerseits aber wiederum die Aufmerksamkeit, die ihr zuteilwird, nutzen, um seine Karriere zu gefährden.
Die Geschehnisse werden von Alex‘ Kollegin Sophie geschildert. Damit hat Charlotte Runcie für ihren Roman eine interessante Perspektive gewählt, die den Blick einer außenstehenden Person ermöglicht, gleichzeitig aber so nah dran ist, dass sie alles aus erster Hand zu berichten weiß.
Sophie beschreibt sämtliche Ereignisse, angefangen bei Alex‘ negativer Kritik über die Nacht mit Hayley bis hin zur Hayleys neuer Show. Sie zeigt, dass daraufhin eine regelrechte Hexenjagd beginnt, gefördert vor allem durch die Verbreitung im Internet. Die Erzählerin beleuchtet dabei stets beide Seiten der Geschichte: Hayley, die mit großen Hoffnungen und Ambitionen zum Kulturfestival kam, die Alex ihr Herz ausschüttete, sich verletzlich zeigte und schließlich von ihm gedemütigt wurde. Und sie beschreibt Alex, der als Kritiker für seine scharfen Worte bekannt ist und gegenüber Frauen schon öfter ein teils misogynes Verhalten an den Tag gelegt hat. Die Sachlage, wer hier Täter und wer das Opfer ist, scheint somit klar. Im Laufe der Geschichte erfahren wir aber auch, wie Hayley ihre Show nutzt, um Frauen gegen Alex und Männer seiner Art zu mobilisieren. Und wir lesen, wie Alex in besonderen Familienverhältnissen aufgewachsen ist und sich seinen Rang als Starkritiker hart erarbeitet hat. Sophie erzählt, welche Auswirkungen Hayleys öffentliche Abrechnung auf Alex‘ Psyche hat, wie sich gute Freunde von ihm abkehren und ihm der Jobverlust droht. Die Verhältnisse, wer nun Täter und wer das Opfer ist, haben sich augenscheinlich umgekehrt.
Ich finde es ausgesprochen gut, dass die Autorin beide Seiten der Geschichte beleuchtet und ihre Figuren somit nicht eindimensional daherkommen. Dennoch wirkt Alex aus Sophies Sicht für mich zu häufig wie der Leidtragende der Geschichte. Ich hätte mir gewünscht, dass die Verantwortung für die Situation, die meiner Meinung klar bei ihm liegt, noch deutlicher herausgearbeitet worden wäre. So aber wirkt der Roman für mich streckenweise fast wie eine Kritik am Feminismus.
Den Höhepunkt der Geschichte schließlich empfand ich als zu viel des Guten: zu viele Zufälle, zu viel Drama. Da mich das Buch dennoch unterhalten hat, kann ich – anders als der Kritiker Alex Lyons – mehr als einen Stern vergeben, für fünf Sterne reicht es aufgrund der Schwächen jedoch nicht.

Bewertung vom 18.06.2025
Noort, Tamar

Der Schlaf der Anderen


sehr gut

Schicksalhafte Begegnung zweier Frauen am Rande der Gesellschaft

Janis arbeitet im Schlaflabor. Seit vielen Jahren schon verrichtet sie ihren Dienst Nacht für Nacht – immer dann, wenn alle anderen schlafen. Eines Abends besucht Sina die Station, um aufgrund ihrer Schlafstörungen ein Schlafprofil aufzeichnen zu lassen. Augenblicklich spürt Janis eine Verbindung zu ihrer Patientin, nichtsahnend, dass diese Begegnung tatsächlich das Leben der beiden Frauen ändern wird.

Janis und Sina sind die Protagonistinnen in Tamar Noorts zweitem Roman. Man lernt sie in stetig wechselnden Kapiteln intensiv kennen, wobei die Autorin geschickt mit den Perspektiven spielt. Während sie anfangs über Janis in der dritten Person erzählt und Sina in Ich-Perspektive vorstellt, wechselt Noorts dies im Laufe der Geschichte. Dadurch bleibt das Lesen abwechslungsreich.
Die Frauen führen recht unterschiedliche Leben, aber haben dennoch eine Gemeinsamkeit: Beide sind aus dem klassischen Tag-Nacht-Rhythmus geraten; Janis, da sie im Schichtdienst arbeitet, Sina, weil sie Schlafprobleme hat. Woher letztere rühren, erfährt man im Laufe der Geschichte, wobei unter anderem die Erwartungen anderer sowie die traditionellen Geschlechterrollen thematisch aufgegriffen werden. Dass dies zu dem Gefühl führen kann, stets und ständig funktionieren zu müssen, was wiederum unruhige Nächte nach sich zieht, liegt auf der Hand.
Welche Macht Schlaf, vor allem fehlender Schlaf, auf das Leben eines Menschen ausübt, hat die Autorin schließlich überzeugend herausgearbeitet. Er sorgt dafür, dass sowohl Janis als auch Sina sich selbst vernachlässigen, Freundschaften kaum mehr pflegen, ihren Hobbys nicht nachgehen und sich der Gesellschaft nicht mehr zugehörig fühlen. Diese Einsamkeit sowie daraus resultierend der Wert der Gemeinschaft bzw. einer echten Freundschaft sind aus meiner Sicht neben dem Thema der Selbstverwirklichung wesentliche Elemente des Romans.
Die Art, wie Noorts Situationen und Handlungsabläufe beschreibt, war mitunter sehr detailreich. An vielen Stellen mochte ich diesen Erzählstil sehr, hin und wieder empfand ich Abschnitte jedoch auch als etwas langatmig.
Den Weg, den die Geschichte einschlägt, konnte ich nicht vorhersehen. Die Entwicklung der Figuren war für mich aber schlüssig und so hat mir das Ende des Romans gut gefallen.

Bewertung vom 07.06.2025
Blum, Alma Corina

fantastisch fermentiert


ausgezeichnet

Fundierte Grundlagen, strukturierter Aufbau, vielfältige Rezepte

„Fantastisch fermentiert“ führt uns ein in die Welt des Fermentierens. Diese alte Technik hilft nicht nur dabei, Lebensmittel zu konservieren, sondern unterstützt auch die Darmgesundheit. Auf den ersten Seiten des Buches kann man viel über die Grundlagen lernen: Wie funktioniert die Milchsäurefermentation? Welche Bakterien bringen mein Darmmikrobiom in Schwung? Was benötige ich zum Fermentieren? Daran schließt sich ein großer Teil mit Rezepten an, wobei neben Gemüse auch Obst, Kräuter und Pilze haltbar gemacht werden. Der letzte Abschnitt zeigt mit einer Vielzahl an weiteren Rezepten, wie die Fermente in Suppen und Salaten, Hauptspeisen sowie in Saucen, Dips und Beilagen weiterverarbeitet werden können.

Als Einsteiger im Fermentieren gefällt mir dieses Buch sehr gut! Es ist übersichtlich strukturiert und daher leicht zu handhaben. Der Grundlagenteil hilft mir zu verstehen, wie das Ganze funktioniert und zeigt auch auf, was man möglichst vermeiden sollte, um seine Lebensmittel erfolgreich zu konservieren. Die Anleitungen zum Fermentieren sind sehr vielfältig, sodass für Jede/Jeden etwas dabei ist. Die ersten Fermente habe ich angesetzt, kurz nachdem ich das Buch bekommen habe. Ich kam mit den Beschreibungen gut zurecht, da die Vorgehensweise verständlich erklärt wird und entsprechend einfach nachzumachen ist. Den Geschmack kann ich aktuell allerdings noch nicht beurteilen, da die Fermentation einige Zeit dauert. Von den Rezepten, die zeigen, wie man Fermente in seine Gerichte einbinden kann, habe ich daher aktuell noch keines ausprobieren können. Grundsätzlich finde ich es aber klasse, dass dieser Teil im Buch bedacht und aufgegriffen wurde. Die Rezepte sehen sehr ansprechend aus, sodass ich mich schon darauf freue, bald die ersten umsetzen zu können!