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hasirasi2
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Dresden

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Insgesamt 1263 Bewertungen
Bewertung vom 26.11.2025
Stern, Anne

Der Preis der Freiheit / Fräulein Gold Bd.8


ausgezeichnet

Eisige Zeiten

„Was für ein seltsamer Ort, an dem Ratten freier waren als Menschen?“ (S. 103)
Berlin, Ostern 1932: Hulda Gold arbeitet nach der Einschulung ihrer Tochter Meta tageweise im Frauengefängnis Barnimstraße, wo sie Schwangere, Mütter und Babys betreut. Bei einer Untersuchung bricht ihre Patientin Anna in Tränen aus. Eine Mitgefangene ist plötzlich gestorben. Im Gefängnis findet man selten echte Freunde, doch Ruth war die Einzige, die Anna freundlich begegnet ist. Erst als Hulda auf Kommissarin Irma Sigel trifft, wird klar: Ruth wurde ermordet – und Anna hat bereits einmal auf genau diese Weise getötet. Obwohl Hulda und Irma sich noch nie leiden konnten, halten beide Anna diesmal für unschuldig. Und je mehr sie miteinander zu tun haben, desto deutlicher wird, wie ähnlich sie sich in ihren Lebensentwürfen sind: „Sie war, in den Grenzen ihrer Möglichkeiten, eine freie Frau.“ (S. 161)

Hulda kämpft mit dem Spagat zwischen Hebammenarbeit und Muttersein. Sie liebt ihren Beruf, doch die Sorge, Meta zu kurz kommen zu lassen, bleibt. Zum Glück helfen Metas Großeltern und Huldas Vater, während ihr Mann Max wenig Verständnis zeigt. Die Ehe ist angespannt, Hulde entspricht nicht dem Ideal der Hausfrau, vieles bleibt an Max hängen. Ihre Freundin Jette versichert ihr immer wieder, dass sie eine gute Mutter und Partnerin ist, aber die Zweifel bleiben.

Gleichzeitig verschärft sich das politische Klima. Nach dem ersten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl steht ein zweiter an – hoffentlich gegen die NSDAP. Denn auch auf dem Winterfeldplatz wird die Stimmung immer eisiger. Ihr Freund Bert und sein Partner werden angegriffen, Hulda selber aufgrund ihrer jüdischen Herkunft misstrauisch beäugt. Max erhält ein Angebot, Deutschland zu verlassen, während Hulda (noch?) nicht bereit ist, ihre Heimat aufzugeben. „Sie glauben noch an Wunder, was, Fräulein Gold?“ (S. 157) Doch kann sie Max verbieten, für sich und seine Söhne aus erster Ehe einen sicheren Weg zu suchen?

Das Setting im Frauengefängnis fand ich besonders gelungen. Trotz seiner Lage mitten in Berlin wirkt es wie eine abgeschottene Insel mit eigenen Regeln und einer strengen Hierarchie, in der Anna als Mörderin ganz unten steht.
Huldas moderner Arbeitsplatz kontrastiert mit dem trostlosen Innenhof, der jede Hoffnung erstickt. Viele ihrer Patientinnen sind von der Mutterrolle überfordert und fürchten, nach ihrer Entlassung wieder in die ausweglose Situation zurückzufallen, aus der sie gekommen sind. Hulda gibt ihnen mit, was sie selbst kaum glauben kann: „… eine Mutter kann alles. Sie ist der stärkste Mensch der Welt.“ (S. 399)

„Der Preis der Freiheit“ ist bereits der 8. Band der Reihe und hat mich von der ersten Seit an gepackt. Anne Stern erzählt atmosphärisch dicht, macht das Berlin der frühen 1930er, politische Spannungen und gesellschaftlichen Wandel lebendig. Besonders habe ich mich über das Wiederlesen mit bekannten Protagonisten wie Karl North sowie den Auftritt von Kriminalrat Gennat und seiner backenden Sekretärin gefreut. Das verleiht dem Roman zusätzliche Authentizität.
Ein wichtige Reihe #gegendasvergessen.

Bewertung vom 23.11.2025
Beer, Alex

Mord an der Spree / Felix Blom Bd.3


ausgezeichnet

Das Medaillon

„Mathilde sprach eigentlich nie über ihre Vergangenheit. Sie hütete ihre Geheimnisse wie zerbrechliche Artefakte, die nicht ans Tageslicht gelangen durften.“ (S. 65)
Seit einem Jahr arbeitet der ehemalige Meisterdieb Felix Blom nun schon für die Privatdetektivin Mathilde Voss, als sie plötzlich von ihrer früheren Tätigkeit als Edelprostituierte eingeholt wird. Ein Graf beauftragt sie, ein Medaillon zurück zu beschaffen, dass ihm seine Geliebte gestohlen hat. Als Mathilde deren Namen hört, erstarrt sie: Die vermeintliche Diebin ist Charlotte, einstige Kollegin und Freundin. Doch ist spurlos verschwunden.
Kurz darauf meldet sich eine weitere ehemalige Kollegin, aber als Mathilde bei ihr eintrifft, ist diese bereits tot. Mathilde wird von der Polizei überrascht und als mutmaßliche Mörderin verhaftet. In ihrer Wohnung findet man zudem das gestohlene Schmuckstück. Es sieht es so aus, als hätte sie aus Habgier gemordet. Obwohl Blom Zweifel ihrer Schuld streut, liegt der Fall längst bei Gericht, und Mathilde wird nach Moabit überstellt. Für Blom beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Gelingt es ihm, ihre Unschuld zu beweisen, bevor sie als Mörderin verurteilt und hingerichtet wird?

„Berlin wandelte sich wie eine Schlange, die sich häutete. Die Stadt streifte ihre alte Hülle ab – aber darunter verbarg sich nicht nur Glanz, sondern auch etwas Rohes, Ungezähmtes und Brutales.“ (S. 17)
„Mord an der Spree“ ist der dritte Band der Reihe und erneut temporeich, atmosphärisch dicht und äußerst spannend. Mathilde und Blom kämpfen mit finanziellen Sorgen, Blom verspürt zunehmend den Drang, in alte Muster zurückzufallen. Die vermeintlich lukrative Suche nach dem Medaillon hätte der Durchbruch sein können, doch dann nimmt der Fall eine dramatische Wendung. Während Mathilde im Gefängnis sitzt, versuchen Blom und Kommissar Harting, trotz gegenseitiger Vorbehalte, gemeinsam, den wahren Täter zu finden. Die Ermittlungen bleiben lange erfolglos, bis Blom ausgerechnet aus der Unterwelt einen entscheidenden Hinweis erhält und wieder zu den Methoden des Meisterdiebs greift – gelernt ist eben gelernt!

Alex Beer gehört für mich zu den besten AutorInnen historischer Kriminalromane. Ihre detaillierte Recherche, die dichte Atmosphäre und die authentische Darstellung von Moabit, Polizei- und Gerichtsstrukturen sowie der Berliner Unterwelt machen den Roman besonders lebendig. Geschickt flicht sie eine zweite Zeitebene ein, die mehr über die eventuellen Hintergründe der Morde und den vermuteten Täter verraten. Die Handlung ist klug konstruiert und hält bis zum Schluss überraschende Wendungen bereit – auf diese Lösung wäre ich niemals gekommen.

Bewertung vom 19.11.2025
Sternberg, Cleo

Die an den Tod nicht glauben


ausgezeichnet

Der Menschenflüsterer

„Ich bin Gerichtsmedizinerin, auch wenn mir das verfluchte Zertifikat, um es nachzuweisen, fehlt.“ (S. 173)
Berlin 1910: Perdita ist im gerichtsmedizinischen Institut Berlin aufgewachsen, wo ihr Vater Hausmeister ist. Seit ihrer Geburt ist sie vom Tod umgeben und fasziniert. Ihr Traum, Gerichtsmedizinerin zu werden, scheitert jedoch am fehlenden Schulabschluss. Also lernt sie das Handwerk praktisch, indem sie den Rechtsmedizinern assistiert. Als die angebliche Selbstmörderin Frauke Walther obduziert wird, fällt ihr die stark vergrößerte Leber der jungen Frau auf. War die halbverhungerte Mutter eines wenige Monate alten Babys wirklich Alkoholikerin? Wo sollte sie das Geld dafür herhaben, und hätte sie ihr Kind wirklich allein zurückgelassen?
Perdita möchte die Leiche am nächsten Tag noch einmal heimlich untersuchen, doch die ist verschwunden! Als sie den Fall bei der Kripo meldet, landet sie bei Kriminalanwärter Dieter Schulz. Der hat Fraukes Akte bearbeitet und ebenfalls Unstimmigkeiten bemerkt. Warum wurde die Leiche so schnell von Charon Czerny abgeholt, dem teuersten Bestatter Berlins, und wer hat ihn bezahlt? Perdita berichtet ihm von einem weiteren Fall von vor 2 Jahren. Eine junge Frau, arm und ohne Angehörige, mit deutlichen Anzeichen einer Vergiftung; auch sie wurde als Selbstmörderin eingestuft und von Czerny bestattet. Das kann kein Zufall sein! Gemeinsam beginnen Perdita und Schulz zu ermitteln.

„Dieses „Schwarze Ferkel“ war offenbar ein Schmelztiegel, indem die Heimatlosen eine Heimat fanden.“ (S. 235)
Ihre Nachforschungen führen sie ins Schwarze Ferkel, eine üble Spelunke, in der Tadeú, der Vater von Fraukes Kind, Hof hält und alle in seinen Bann zieht. Er bezeichnet sich selbst als Satan, losgelöst vom Gesetz und Herrscher über Leben und Tod, allein durch die Macht seiner Gedanken. Er lebt von den Gaben anderer, findet stets jemanden, der ihn einlädt, und Frauen, die ihm zu Füßen liegen. Frauke war nur eine von vielen. Ein perfekter Verdächtiger, doch er hat ein Alibi und verweist stattdessen auf Czerny: „Der hat den Tod in den Augen, wenn Sie da reingucken, erstarrt Ihnen das Herz zu Eis …“ (S. 15)

„Die an den Tod nicht glauben“ ist der Auftakt einer neuen Krimireihe und hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Cleo Sternberg erschafft einen spannenden Kosmos, in dem man nie weiß, wem man glauben kann. Besonders überzeugt hat mich das historische Setting: Es erinnert zwar an andere Krimireihen, zeigt aber dennoch neue Facetten. Die Figuren sind sehr gut ausgearbeitet und wirken realistisch.
Perdita ist für eine Frau ihrer Zeit und gesellschaftlichen Stellung ungewöhnlich klug und entschlossen. Sie will unbedingt Gerichtsmedizinerin werden, ohne nochmal die Schulbank zu drücken. Ihr Vater hat sie allein großgezogen und ihr, ebenso wie der Institutsleiter, viele Freiheiten gelassen. Sie kennt kaum Angst, bis sie Czerny begegnet. Der Bestatter mit den eisigen Augen ist ihr unheimlich. Kann sie ihm wirklich trauen? Auf der Suche nach der Wahrheit riskiert sie ihr Leben und erschrickt über ihre eigene Courage.
Czerny ist sehr schwer zu durchschauen. Er wurde früh zum Waisen und für den Tod seiner Familie verantwortlich gemacht, obwohl ihm nichts nachgewiesen werden konnte. Um seinen Ruf kümmert er sich nicht – es scheint ihn nicht zu interessieren. Und dennoch wirkt es, als sei auch er ein Anhänger Tadeús.
Dieter Schultz hat sich aus Liebe zu seiner Isolde vom einfachen Schutzmann zum Kriminalanwärter hochgearbeitet. Chancen, weiter aufzusteigen, rechnet er sich kaum aus – außer, er löst einen spektakulären Fall auf.

Für mich ist der Krimi so kurz vor Jahresende noch mal ein echtes Lesehighlight und ein klarer Tipp für Fans von Anne Stern, Alex Beer und Volker Kutscher.

Bewertung vom 16.11.2025
Sagon (Romaniszyn), Anja

Weihnachtlich vegan


ausgezeichnet

Weihnachten vegan genießen

Ich bin, ähnlich wie Foodbloggerin und Kochbuchautorin Anja Sagon, mit der Tradition opulenter Weihnachtsessen aufgewachsen. Die ganze Familie kam zusammen, und meine Mama begann schon Tage vorher, Pute, Karpfen und Co. vorzubereiten. Als ich mit 14 beschloss, weder Fleisch noch Fisch zu essen, war das Entsetzen groß: Für mich blieben damals nur die Beilagen – ohne Soße versteht sich. Tofu oder eine auch nur annähernd so vielfältige Obst- und Gemüseauswahl wie heute gab in der DDR einfach nicht. Zum Glück hat sich das längst geändert und die Auswahl an fleischlosen Alternativen ist mittlerweile riesig.

Das Buch eröffnet mit einer kurzen Einführung zu den Herausforderungen einer veganen Weihnacht, gibt hilfreiche Tipps zur Stressvermeidung und listet alle wichtigen Zutaten und Küchenutensilien auf.

Der Rezeptteil beginnt mit 20 veganen Plätzchen- und Gebäckvarianten – hier findet wirklich jede*r etwas Passendes.
Anschließend folgen die Vorspeisen (uns haben besonders die Maronensuppe und der Wintersalat mit Tofu und Maronen begeistert) inkl. Aperitif-Vorschlägen, gefolgt von den Hauptspeisen, wie dem hervorragend schmeckenden das Kürbisrisotto mit Rucola, sowie verschiedenen Beilagen. Den Abschluss bilden festliche Desserts, etwa Schokomousse oder ein Mohn-Schichtdessert.
Abgerundet wird das Buch durch fünf Menüvorschläge, die aus den vorgestellten Rezepten zusammengestellt sind.

Wir haben uns in den letzten Wochen durch viele Gerichte gekocht und sind begeistert von der Vielfalt, der Alltagstauglichkeit und der meist unkomplizierten, nicht allzu zeitintensiven Zubereitung.
Mein einziger Kritikpunkt sind die Portionsangaben. Nahezu alle Rezepte ergaben für uns mehr Portionen, als angegeben waren. Sowohl Suppen als auch Salate, die als Vorspeise gedacht sind, waren so reichlich, dass sie problemlos eine Hauptmahlzeit ersetzt hätten – und theoretisch folgen ja noch zwei weitere Gänge. Für ein mehrgängiges Menü würde ich die Vorspeisen daher deutlich kleiner portionieren, wenn man das Dessert nicht verpassen möchte.

Fazit: Ein inspirierendes, vielfältiges und liebevoll gestaltetes Kochbuch, das zeigt, wie köstlich und unkompliziert eine vegane Weihnachtszeit sein kann. Kleine Anpassungen bei den Portionsgrößen vorausgesetzt, ist es eine wunderbare Begleitung für alle, die ihre Feiertage pflanzlich, genussvoll und stressfrei gestalten möchten.

Bewertung vom 15.11.2025
Martin, Pierre

Monsieur le Comte und die Kunst der Entführung / Monsieur le Comte Bd.3


sehr gut

Etikettenschwindel

Lucien könnte sein Leben an der französischen Rivera genießen, wäre da nicht das Erbe seiner Familie. Denn die Comtes de Chacarasse sind seit Jahrhunderten Assassinen, Auftragskiller. Dass Lucien niemanden töten will, ist seinem Onkel Edmond völlig egal. Er nimmt weiterhin neue Aufträge an, die Lucien erledigen soll, wenn auch anders, als Edmond es sich vorstellt. Bisher hat Lucien es immer geschafft, ohne Mord auszukommen. Doch wie lange geht das noch gut?

Zurück zu Hause wird plötzlich ein Mordanschlag auf ihn verübt. Nur durch Zufall und eine ordentliche Portion Glück entkommt er der Täterin und kann sie überwältigen. Als sie ihm erzählt, warum sie ihn töten wollte, gerät seine Welt ins Wanken. Da hat Francine, seine Sekretärin und die ehemalige Geliebte seines verstorbenen Vaters, eine Idee, wie sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können.

Parallel dazu erhält Lucien von Edmond schon wieder einen neuen Auftrag – den schwierigsten bisher. Denn diesmal wird er ihn nicht auf seine übliche Art lösen können.

Zum Glück steht ihm Francine zur Seite. Sie kennt alle Geschäfte und Geheimnisse der Familie, recherchiert meisterhaft und ist technisch stets auf dem neuesten Stand. Und langsam weiht sie Lucien auch in ihr eigenes Geheimnis ein.
Genau wie Rosalie: Die alte, liebenswerte, leicht verschrobene Köchin, die sich liebevoll und Lucien und Francine kümmert. Sie hätte nichts dagegen, wenn die beiden endlich zueinander finden würden, so sehr, wie es zwischen ihnen prickelt. Doch noch steht Luciens verstorbener Vater zwischen ihnen.

Auch der dritte Band der Reihe von Pierre Martin ist wieder spannend und unterhaltsam. Lucien segelt sorglos durchs Leben, immer auf der Suche nach der nächsten schönen Frau, die ihm die Zeit versüßt. Nur Edmonds Aufträge durchbrechen seinen Müßiggang. Denn der pocht auf ihre jahrhundertealte Tradition des Tötens, die er nach einem Unfall nicht mehr selber ausüben kann. Auf das viele Geld, das ihre Dienste einbringen, möchte er dennoch nicht verzichten – dazu ist er ein zu leidenschaftlicher Stammgast in den Casinos von Monaco.

Ich mag das Flair der Krimi-Reihe: die Riviera-Küste, das Meer, das sofort Lust auf einen Sommer dort machen. Und bei den beschriebenen Speisen und Weinen läuft einem das Wasser im Mund zusammen.

Bewertung vom 13.11.2025
Engel, Henrike

Schatten über St. Pauli / Elbnächte Bd.2


ausgezeichnet

Schicksalsgemeinschaft

„Er muss aus meinem Leben verschwinden. Ich bin nicht frei, solange er dort draußen unterwegs ist.“ (S. 218)
Als Louises zum Tode verurteilter Mann Viktor aus dem Gefängnis befreit wird, stellt Inspektor Thönnes sie unter Polizeischutz. Schließlich hat Viktor Rache geschworen, weil sie ihn ans Messer geliefert hat. Doch trotz des Schutzes gelingt es jemandem, in Louises Haus einzubrechen und den Wachmann sowie eine Bewohnerin schwer zu verletzen.

„Elbnächte. Schatten über St. Pauli“ knüpft nahtlos an den ersten Band „Die Lichter über St. Pauli“ an und bleibt ebenso spannend. Um alle Zusammenhänge zu verstehen, sollte man den Auftakt unbedingt gelesen haben.
Louise führt inzwischen ein unabhängiges, selbstbestimmtes Leben und betreibt in St. Pauli die Bar Fatal. Aus der ahnungslosen, gutgläubigen Ehefrau ist eine entschlossene Geschäftsfrau geworden.
Ella, der nach jahrelanger Zwangsprostitution die Flucht nach Hamburg gelungen ist, hat sich ebenfalls ein neues Leben aufgebaut. Sie fährt morgens Brötchen für einen Bäcker aus und besucht abends die Schule, in der sie zu den besten Schülerinnen gehört.
Der ehemalige Polizist Paul arbeitet tagsüber auf dem Schlachthof und sorgt abends als Türsteher bei Louise für Ordnung und Sicherheit. Er liebt Ella, glaubt jedoch, mit seinem Handicap – er hat nur noch einen Arm – nicht gut genug für sie zu sein.

Die drei sind bereits im ersten Band zu einer echten Schicksalsgemeinschaft zusammengewachsen. Auch diesmal halten sie fest zusammen, als sie sich erneut ihren Feinden stellen, getrieben von dem Wunsch nach Gerechtigkeit und einem friedlichen Leben.
Louise will Viktor für seine Lügen und Verbrechen zur Strecke bringen und arbeitet dafür eng mit Kommissar Thönnis zusammen. Doch sie macht eine Entdeckung, den die sie ihm verschweigt.
Ella besucht regelmäßig den Waisenjungen Joshua bei seinen Pflegeeltern Reimers. Herr Reimers, ein Anwalt, versucht aufzuklären, wer für den Tod von Joshuas Eltern verantwortlich ist. Als er Unterstützung benötigt, eröffnet sich Ella eine große Chance.
Paul wiederum jagt immer noch den Unterweltboss Hinnerk Macke, obwohl er inzwischen weiß, dass es sich dabei um seinen als Kind verschollenen Bruder Michael handelt.
Ihre Ermittlungen sind fesselnd und gefährlich; alle drei geraten mehrfach in Lebensgefahr.

Doch Henrike Engels Fortsetzung ist so viel mehr als nur ein historischer Krimi. Ihre Figuren versöhnen sich mit ihren Schicksalen und z.T. auch Familien, finden Frieden mit ihrer Vergangenheit und finden oft auch ihr Glück in ungeplanten Karrieren und Beziehungen.
Schade, dass die Dilogie hier endet, ich hätte gerne noch mehr von Louise, Ella und Paul gelesen.

Bewertung vom 10.11.2025
Lloyd, Josie

Mord in besserer Gesellschaft


sehr gut

Ordentliche Ermittlungen

„Sauberkeit, Ordentlichkeit, Pünktlichkeit und harte Arbeit.“ (S. 9) ist das Motto von Alice Beetons „Agentur für gute Haushaltsführung“. Seit 25 Jahren vermittelt sie handverlesene Angestellte an exklusive, superreiche Kunden. Normalerweise prüft Alice ihr Personal gründlich, doch als die Familie Messent dringend eine neue Haushälterin sucht, schickt sie die Bewerberin Enya ohne tiefere Überprüfung dort hin. Nur wenige Tage später ruft die Polizei an: Enya wurde tot im Arbeitszimmer ihres Arbeitgebers aufgefunden – offenbar ermordet.
Alice, begeisterte Krimileserin, die ihren Hund nach Agatha Christie benannt hat, beschließt selbst zu ermitteln, als Detektive Rigby von dem Fall abgezogen wird. Sie fängt undercover als neue Haushälterin bei den Messents an.

Alice entstammt aus gutem Hause, verlor jedoch früh ihre Eltern. Ihr Bruder erbte das Familienvermögen – und brachte es schnell durch. Zum Glück hatte Alice alles über Küchen- und Haushaltsführung gelernt und kann damit ihren Lebensunterhalt bestreiten, muss aber auch ihrem Bruder immer wieder aushelfen. Privat ist sie zu gutmütig, beruflich jedoch resolut und organisiert. Ihr weitverzweigtes Netzwerk aus Angestellten und Freunden erweist sich als unschätzbare Hilfe bei ihren Ermittlungen. Und vielleicht bahnt sich zwischen ihr und Rigby ja doch noch eine späte Romanze an.

„Mord in besserer Gesellschaft“ von Josie Lloyd ist ein klassischer Cosy Crime mit viel britischem Flair. Die Geschichte nimmt zunächst nur langsam Fahrt auf, wird dann aber überraschend vielschichtig und gipfelt in einem filmreifen Showdown. Ich muss gestehen, den Täter hatte ich nicht auf dem Schirm.
Und da Alice leidenschaftlich gern kocht und backt, runden die eingestreuten Rezepte das Lesevergnügen auf charmante Weise ab.

Bewertung vom 07.11.2025
Barns, Anne

Der Klang von Wind und Wellen


ausgezeichnet

Der Ruf des Meeres

„Vielleicht war genau jetzt die Zeit, dorthin zurückzukehren. Und vielleicht würde ich dort nicht nur Erinnerungen wieder finden, sondern auch eine Ahnung davon, was ich wirklich wollte.“ (S. 84)
Nach dem Tod ihres Großvaters findet Julia in einer Schublade Urlaubsfotos von Amrum und erinnert sich an die Sommerferien, die sie dort mit ihren Großeltern verbracht hat. Außerdem entdeckt sie ein schmales Büchlein, in dem eine gewisse Mina Bork um 1880 die Preise für Schiffsladungen vermerkt hat – wie ist dieses Buch in den Besitz ihres Großvaters gelangt?
Da Julia sich gerade haltlos fühlt, wie ein Blatt im Wind, fährt sie kurzentschlossen für eine Woche auf die Insel. Nichts hält sie mehr im Haus ihres Großvaters, um den sie sich in den letzten Monaten liebevoll gekümmert hat. Kurz zuvor ist ihre Beziehung an der Untreue ihres Freundes zerbrochen, und auch ihren Job in der Buchhandlung hat sie durch einen Besitzerwechsels verloren. Dank eines kleinen Erbes kann sie sich nun die Zeit nehmen, wieder zu sich selbst zu finden und zu überlegen, was sie in Zukunft wirklich will. Ihr Herz schlägt nämlich nicht nur für Bücher, sondern auch für selbstgemachten Haselnussnougat. Aber könnte sie davon leben? Oder lässt sich vielleicht beides miteinander verbinden?

Als sie auf Amrum ankommt, fühlt es sich an wie ein Nach-Hause-Kommen. Auch wenn sich die Insel verändert hat, erkennt sie vieles wieder. Mitten im November lässt sie sich den Kopf und das Herz ordentlich durchpusten, findet alte Freunde wieder, lernt neue Menschen kennen – und erhält ganz unerwartet eine Stelle als Führerin bei der Pottwal-Ausstellung im Naturzentrum. „Vielleicht ist jetzt der Moment gekommen, die Vergangenheit ein für alle Mal ruhen zu lassen und nur nach vorne zu schauen.“ (S. 230) Während ihres Aufenthalts spürt Julia zudem ihrer Familiengeschichte nach. Sie erkundigt sich nach ihrem Großvater und seiner Verbindung zu Mina, entdeckt ein altes Geheimnis und söhnt sich mit einem nahen Familienmitglied aus.

Ich mag es, wie Anne Barns in ihren Büchern lange verschüttete familiäre Verbindungen aufdeckt und durch eine zweite Zeitebene lebendig werden lässt. Ganz nebenbei erfährt man vom harten, entbehrungsreichen Leben der Frauen und Kinder auf Amrum – davon, wie sie ohne Unterlass arbeiteten, um die Familien zu ernähren, während die Männer auf Walfahrt waren. Und wie die Mütter hofften, dass das nächste Kind endlich ein Mädchen sein würde, das auf der Insel bleiben könnte und nicht zur See fahren müsste.

Ich schätze Anne Barns‘ literarischen Stil sehr: Trotz der teils traurigen Schicksale ihrer ProtagonstInnen gelingt es ihr stets, Hoffnung und Zuversicht zu verbreitet.
„Der Klang von Wind und Wellen“ ist ein Buch zum Nachdenken, Wohlfühlen und Träumen, das Lust auf Nougat und Mee(h)r macht.

Bewertung vom 05.11.2025
Falk, Rita

Apfelstrudel-Alibi / Franz Eberhofer Bd.13


ausgezeichnet

Endlich wieder Niederkaltenkirchen!

Pfingstferien, 30°C, in Niederkaltenkirchen ist nichts los und Franz könnte entspannt in dre Sonne liegen, wenn Susi nicht als frischgebackene Bürgermeisterin erwarten würde, dass er sich um den Haushalt und Sohn Paulchen kümmert.
Zum Glück ruft ihn Richter Moratschek an: Noch vor 2 Wochen hat er auf der, seiner Meinung nach überstürzten, Hochzeit seiner Nichte Leddi getanzt, nun ist sie auf der Hochzeitsreise in den Dolomiten tödlich verunglückt. Und das, obwohl sie noch nie wandern und generell sehr unsportlich war. Für Moratschek ist klar: „Der schöne Mike“ hat sie nur wegen ihres Erbes geheiratet und umgebracht hat. Franz soll das bittschön beweisen. Während er nach Italien reist, um vor Ort zu ermitteln, soll sich Rudi undercover auf den Campingplatz, den Mike betreibt.

Nach 2 Jahren Pause gibt es endlich wieder einen neuen Eberhofer-Krimi – mit Herz, Witz, Charme und den liebenswert-schrägen Protagonisten, die mir über die Jahre ans Herz gewachsen sind. Franz hat das Arbeiten immer noch nicht erfunden, kommt am Ende seiner eher beiläufigen Ermittlungen aber trotzdem ans Ziel. Susi blüht als Bürgermeisterin auf, hetzt von Termin zu Termin und schafft es zwischendurch noch zum Frisör, in die Kosmetik, ins Fitnessstudio oder zum Yoga – schließlich will sie ihre Gemeinde würdig vertreten. Dass sie dabei gern übertreibt, bemerkt sie nicht. Paulchen ist inzwischen 10, klug, herzlich, und ganz unbemerkt groß und cool geworden. Er kümmert sich rührend um die Oma, der leider zusehends abbaut. Der Papa darf endlich legal Cannabis anbauen und schöpft diese Möglichkeit voll aus. Rudi fühlt sich wie immer – nicht ganz zu Unrecht – von Franz vernachlässigt, ist aber sofort zur Stelle, wenn er gebraucht wird. Es menschelt herrlich in Rita Falks neuem Buch.

Der Fall ist spannend aufgebaut. Franz findet in Italien Hinweise, die die örtliche Polizei übersehen hat: Leddi kann nicht einfach verunglückt sein kann. Moratschek setzt weitere Ermittlungen durch, doch der schöne Mike hat leider ein Alibi. Kann Franz es entkräften oder suchen alle am falschen Ort nach dem Täter?!

Natürlich läuft nicht alles glatt. Rudi ist leider nicht der begnadete Schnüffler, für den er sich hält, und fliegt relativ schnell auf. Franz überschreitet bei der Spurensicherung in den Dolomiten über seine körperlichen Grenzen (und die seiner Bergführer). Außerdem lernt dabei eine sympathische Wirtin kennen. Wird er Susi etwa untreu? Und ganz nebenbei muss er sich auch um Paul kümmern – und was stärkt ein Vater-Sohn-Verhältnis besser als ein Campingurlaub?!

Mich hat das „Apfelstrudel-Alibi“ wieder großartig unterhalten, und ich hoffe sehr, dass die Reihe weitergeht.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.10.2025
Bhatter, Ina

Drei Tage im Schnee


gut

Eine Reise zurück zu sich selbst

„Uns Erwachsenen wäre deutlich mehr geholfen, wenn wir nicht so schnell vergessen würden, wie es war, ein Kind zu sein.“ (S. 5)
Hannah ist 30 Jahre alt, beruflich erfolgreich und erschöpft von ihrem übervollen Alltag. Die Stimmen in ihrem Kopf sind laut, die Gedanken drehen sich in Endlosschleifen, alles fühlt sich nach zu viel an. Um wieder zu sich zu finden, mietet sie sich für drei Tage ein kleines Holzhäuschen am See, das langsam im Schnee versinkt. Doch statt der erhofften Stille und Entlastung erlebt sie zunächst das Gegenteil: Die Ruhe gibt den störenden Gedanken und Gefühlen noch mehr Raum.
Dann taucht plötzlich ein kleines Mädchen auf. Sophie baut mit Hannah Schneefiguren und ein Iglu, überredet sie zu Schneeengeln, Spaziergängen und heißer Schokolade. Vor allem aber erinnert Sophie sie daran, im Moment zu leben. Stück für Stück entdeckt Hannah die Freude am Einfachen wieder – und den Genuss, einfach da zu sein.

„Drei Tage im Schnee“ von Ina Bhatter ist ein stilles, philosophisches Buch über Selbsterkenntnis, Achtsamkeit und die Grenzen der Selbstoptimierung. Der Text besteht größtenteils aus Hannahs Gedanken und inneren Dialogen, in denen Sophie ihr Spiegel und Lehrerin wird.
Eine klare Genrezuordnung fällt mir schwer. Es liest sich weniger wie ein klassischer Roman, sondern eher wie eine literarische Reflexion über das Zurückfinden zum eigenen inneren Kind und den Mut, das Leben wieder bewusst zu genießen.