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EvaLiest
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Nürnberg

Bewertungen

Insgesamt 67 Bewertungen
Bewertung vom 11.08.2025
Frattini, Stéphane;Manceau, Édouard

183 Pinguine. Das große Tier-Such-Buch


ausgezeichnet

183 Pinguine von Stéphane Frattini und Édouard Manceau ist kein gewöhnliches Wimmelbuch. Auf jeder Seite sind 1 Tonne Tiere abgebildet (vermutlich ungefähr, so genau habe ich das jetzt nicht recherchiert…). So kann man das Größenverhältnis zwischen den verschiedenen Tierarten gut einschätzen, denn natürlich sind es viel weniger Wale als Krokodile oder Pinguine. Und auf jeder Seite gibt es dann einen kurzen Text und ein paar Suchaufgaben (die zum Glück recht anspruchsvoll sind, sodass wir mit dem Buch länger unseren Spaß haben können).
Das Buch ist ein ganz wunderbares Wimmelbuch für ältere Kinder. Neben kniffligen Suchaufgaben sind hier auch einige interessante Informationen enthalten, sodass ganz nebenbei auch noch etwas gelernt werden kann. Super Kombination. Für Fans von Walter und Pierre aber auch für alle anderen Hobby-Sucher😊.

Bewertung vom 11.08.2025
Leimbach, Thorsten;Jost, Beate

Kosmos SchlauFUX Roboter und KI


sehr gut

Das KOSMOS Kinderbuch Roboter und KI von Beate Jost und Thorsten Leimbach überzeugt durch eine Fülle von Fakten und abwechslungsreiche Themen.

Roboter und KI sind aus unserem Leben heute nicht mehr wegzudenken, aber die meisten von uns kennen sich mit den Details der Technologien vermutlich nicht so gut aus. Umso besser, wenn es gute Kinderbücher gibt, die das Ganze kindgerecht aufbereitet erklären können – so lernen auch wir Erwachsenen noch etwas dabei. Egal, ob Nanotechnologie, Sprachroboter oder Prothesen, hier werden wirklich unheimlich viele Themen abgedeckt. Und da diese oft recht eng miteinander verknüpft sind, gibt es auf jeder Seite Hinweise, welchen Beitrag man als nächstes lesen könnte – je nachdem, welcher Aspekt des aktuellen Themas am meisten interessiert hat. Das kennt man aus Abenteuergeschichten aus der Kindheit und auch wenn es hier meiner Meinung nicht nötig wäre, bietet es doch ein Gefühl der Autonomie und Selbstbestimmung, was für Kinder ja nie verkehrt ist.

Gut gefallen hat mir die Auswahl der Themen und die Aufarbeitung der Informationen. Einen Stern Abzug gibt es allerdings für die doch sehr beladenen Seiten. Man weiß gar nicht, wo man zuerst hinsehen soll und die Fülle der Informationen wirkt zunächst etwas erschlagend.

Abgesehen davon ein gelungenes Buch mit viel Fachwissen für kluge Köpfe.

Bewertung vom 11.08.2025
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


sehr gut

Das Geschenk ist der zweite Roman, den ich von Gaea Schoeters gelesen habe (in der wunderbaren Übersetzung von Lisa Mensing), und auch wenn er für mich nicht ganz an den grandiosen Debütroman Trophäe herankommt, ist es doch ein sehr gelungenes Buch.

Eines Tages stehen plötzlich Elefanten mitten in Berlin. Nach einem kurzen Moment der Verwirrung stellt sich heraus, dass die Regierung von Botswana 20.000 Tiere nach Deutschland geschickt hat. Und zwar als Reaktion auf die Einmischung des Bundeskanzlers in die dortige Politik: eine Änderung des deutschen Elfenbeineinfuhrgesetzes sorgt in dem afrikanischen Land nämlich für eine erhebliche Elefantenüberpopulation. Und nun muss Deutschland selbst sehen, wie man damit fertig wird, wenn Unmengen an Elefanten durchs Land streifen, und das Ausland bevormundend verbietet, korrigierend einzugreifen.

Es geht in diesem kurzen Roman um Überheblichkeit und Doppelmoral, um das gönnerhafte Auftreten westlicher Regierungen gegenüber ehemaligen Kolonien, deren scheinbare Zugeständnisse selten ohne erhobenen Zeigefinger auskommen.

Der Roman trifft – neben der Kritik an der Außenpolitik – auch voll ins Zentrum aktueller politischer Vorgänge. Ein konservativer Kanzler, eine rechte Partei als zweitstärkste Kraft, eine Ministerin, die wissentlich als Bauernopfer instrumentalisiert wird, und das, obwohl sie sich als äußerst kompetent herausstellt. Und inmitten der persönlichen Befindlichkeiten die Frage: wollen Politiker:innen „das Richtige tun oder an der Macht bleiben“?

Auf teils groteske, absurde Weise findet Schoeters wunde Punkte und drückt mal kurz drauf. Nicht zu sehr, doch schon so, dass man es spüren kann. Dadurch ist der Roman zwar kritisch, aber nicht dogmatisch oder belehrend, sondern ein Impuls zur Reflektion.

Diese Leichtigkeit erreicht die Autorin auch durch die präzise sprachliche Gestaltung. Die Geschichte liest sich unheimlich flüssig, hat aber dennoch einen gewissen Wortwitz, der auch dank der tollen Übersetzung erhalten bleibt. Daneben ist die Zeichnung der Personen und auch die Beschreibung der Elefanten äußerst gelungen.

Kleiner Wehrmutstropfen: Das Cover des Buches wurde mit KI erstellt. Das finde ich nicht gut, denn gerade in der Welt der Kunstschaffenden würde ich mir hier mehr Bewusstsein wünschen. Ich bin mir sicher, es gibt wunderbare Künstler:innen, die dem Buch ein würdiges Cover beschert hätten.
Abgesehen davon: Lest das Buch! Es ist kurz und knapp, und dabei wunderbar kluge und humorvolle Unterhaltung.

4,5/5

Bewertung vom 11.08.2025
Keskinkiliç, Ozan Zakariya

Hundesohn


sehr gut

Hundesohn von Ozan Zakariya Keskinkiliç ist ein Roman, der ganz sicher polarisieren wird. Auf dem Buchrücken steht, es sei eine Liebesgeschichte. Und das stimmt definitiv.
Doch es ist nicht nur die Geschichte zwischen Zakariya und Hassan, die erzählt wird. Auch die Liebe zur Familie, zu Freund:innen, zur Literatur, zu Sprache und letztendlich auch zu sich selbst wird hier verhandelt.
Der Roman ist zugleich derb und zärtlich, was wie ein Widerspruch klingt, aber die einzige Beschreibung ist, die hier passt. Neben rohen Passagen über Bettwanzen oder Sexualpraktiken stehen poetische Sätze über Sprache oder Herkunft. Der Protagonist ist dabei unaufhörlich auf der Suche nach sich selbst, seiner Identität und einem Halt in seinem Leben.
Dieses Buch zeigt für mich mal wieder, was Lesen und Literatur alles kann. Ich habe nichts, aber auch gar nichts mit dem Protagonisten gemeinsam. Er ist ein Mann, queer, Muslim, religiös, hat einen Migrationshintergrund, wechselnde Sexualpartner, … . Und dennoch konnte ich mich so sehr in seine Erzählung einfühlen! Manchmal, wenn das Leid und die Sehnsucht besonders spürbar waren, hätte ich ihn einfach gerne in den Arm genommen.
Ich muss aber ehrlicherweise sagen, dass ich auch verstehen kann, wenn man zu dem Buch keinen Zugang findet. Mann muss sich darauf einlassen, die expliziten, drastischen Szenen zu lesen und sich ihnen ausliefern, da die verletzlichen, leisen Seiten erst durch den Kontrast ihre volle Wirkung entfalten.

Bewertung vom 17.07.2025
Zwickau, Dora

Gesellschaftsspiel


gut

In Gesellschaftsspiel von Dora Zwickau entwickelt ein Tech-Milliardär eine App, mit der er die Demokratie digitalisieren möchte. Die Einwohner:innen Weimars erhalten in einem Pilotprojekt Zugang zu der Plattform, über die sie scheinbar basisdemokratisch alle Aspekte des politischen Miteinander bestimmen können. Im Zentrum des Geschehens stehen Isabelle, Annika, und ihre Tante Dagmar, die sich nach dem Tod der Mutter bzw. Schwester einander wieder annähern. Jede geht auf ihre eigene Art mit der App um, und so zeigen sich verschiedene Facetten. Durch Isabelles Arbeit als Lehrerin bekommt man zudem noch den Blick darauf, wie Jugendliche mit der App interagieren.

Wie das Ganze dann konkret abläuft und auf welche Probleme und Kritik wir stoßen, möchte ich gar nicht weiter ausführen, denn genau das ist das eigentlich Spannende an dem Roman. Wer nutzt die App, wer nutzt sie aus und wer boykottiert sie? Inwiefern gelingt es, eine Gesellschaft digital abzubilden und lassen sich die aktuellen Probleme der Demokratie damit lösen oder werden sie gar potenziert?

Abgesehen davon ist mir das Buch ein bisschen zu voll mit Nebenthemen. Ein klassisches Bingo-Buch, bei dem ich das Gefühl habe, die Autorin konnte sich nicht so ganz auf einige wenige Erzählstränge festlegen und bringt daher alles unter, was auf ihrer Bingokarte steht. Schade, denn das Kernthema hat definitiv Potenzial und hätte noch etwas mehr Details und Tiefe verdient.

Nachdem ich zum Inhalt nicht zu viel verraten möchte, noch ein paar Worte zum Titel, der mir ob seiner Mehrdeutigkeit unglaublich gut gefällt. Es geht hier zunächst um ein Gedankenspiel bezogen auf die Gesellschaft. Wie würden die Menschen reagieren, wenn sie die Möglichkeit hätten, per App an der Politik beteiligt zu sein? Welche Vorteile würden sich ergeben, und wo wären die Grenzen und Gefahren? Daneben ist es aber für mich auch eine Anspielung auf den Begriff Gamification, also den Trend, aus allem ein Spiel zu machen, oder zumindest spielerische Elemente einzufügen. Was im Alltag hilfreich sein mag (ich denke da an Lern-Apps für Kinder oder Haushalts-Apps mit Belohnungssystemen), muss gesamtgesellschaftlich gesehen noch lange nicht funktionieren. Letztlich lese ich aus dem Titel auch die Angst, dass unsere Zukunft aufs Spiel gesetzt wird und Menschen sich und somit unsere Demokratie regelrecht verzocken. Und wie bei den meisten Gesellschaftsspielen gibt es am Ende vielleicht mehr Verlierer als Gewinner.

Bewertung vom 12.07.2025
Szántó, Henrik

Treppe aus Papier


sehr gut

Treppe aus Papier von Henrik Szántó hat mich überrascht. Mit einer außergewöhnlichen Erzählperspektive, zwei sehr gut ausgearbeiteten Protagonistinnen und einem sehr nuancierten Blick auf Schuld und Verantwortung.

Die sechzehnjährige Nele, die sich mit dem Geschichtsunterricht rund um den Nationalsozialismus und die Gründung der BRD in der Schule schwer tut, gerät mit ihrer neunzigjährigen Nachbarin ins Gespräch und im Laufe des Buches erfährt sie von ihr aus erster Hand viel über die Vergangenheit. Der abstrakte Schulstoff wird so für sie greifbar und motiviert sie, sich selbst weiter zu informieren, sowohl allgemein als auch über ihre Familiengeschichte. Sie erkennt, wie wichtig es ist, (sich) auch unangenehme(n) Fragen zu stellen und verzweifelt an dem Verhalten der Mitmenschen, die sich dem Verweigern wollen.

Über weitere Erzählstränge erfahren wir von den unterschiedlichsten Hausbewohner:innen zu verschiedenen Zeiten und wie diese auf unterschiedliche Arten zu Opfern, Tätern, und Nutznießern einer Ideologie wurden. Dabei wird deutlich, dass die Hintergründe zwar oft erklären können, wie es zu einer Situation kommen konnte, diese aber nie eine Entschuldigung für das Verhalten darstellen. Es geht um Erinnerungskultur, um Schuldfragen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene und darum, dass es ohne ein Anerkennen dieser Schuld keine Möglichkeit gibt, die Vergangenheit aufzuarbeiten.

Der Roman hat mich zunächst aufgrund der außergewöhnlichen Erzählperspektive angesprochen. Wir bekommen die Geschichte nämlich vom Haus selbst erzählt, was ein richtig spannendes Konzept ist. Und das zieht sich allegorisch durch das ganze Buch und zeigt, dass Geschichte und Geschichten eben nicht nur flüchtig sind, sondern ihre Spuren hinterlassen und sich im Fundament einer Gesellschaft niederlassen, sich überlagern und wichtig für das Verständnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind. Im Gegensatz zu den meisten anderen Büchern, bei denen wir uns zeitlich auf einer Ebene befinden, uns aber räumlich mit den Figuren fortbewegen, überlagern sich hier die Ereignisse aus hundert Jahren, während wir uns räumlich auf einen Ort konzentrieren und dadurch die deutsche Geschichte in einer Art Mikrokosmos wahrnehmen. Diese besondere Erzählperspektive wurde hier meiner Meinung nach richtig gut umgesetzt und macht für mich den Reiz des Werkes aus.

Was mich immer wieder aus der Geschichte gerissen hat, waren die Eltern von Nele. Schon am Anfang fand ich sie ziemlich nervig (der Vater kümmert sich nicht um seine stinkigen Sportsachen, und die Mutter erwartet dann, dass die Tochter das übernimmt?), aber als Nele dann beginnt, ihre Fragen zu stellen, kann ich mir die abweisende Reaktion der Eltern einfach nicht erklären. Klar, sie werden damit konfrontiert, sich nicht/zu wenig mit der potenziellen Nazi-Vergangenheit der eigenen Familie auseinandergesetzt zu haben, und niemand wird gerne kritisiert, aber die Heftigkeit, mit der sie Neles Nachforschen als unangemessen hinstellen, fand ich nicht nachvollziehbar.

Abgesehen davon hat mir das Buch aber richtig gut gefallen und die Thematik rund um Erinnerungskultur, Schuld und Scham wurde durch die Erzählung auf innovative Art transportiert. Der Roman regt zum Nachdenken an, über die eigene Familiengeschichte, aber auch über Hintergründe, die unsere Gesellschaft geformt haben und vielleicht die ein oder andere aktuelle Entwicklung erklären können.
4,5/5

Bewertung vom 19.06.2025
Thilo

Eldrador Creatures: Lava gegen Eis


sehr gut

Das Erstlesebuch Eldrador Creatures – Lava gegen Eis von THiLO basiert auf den beliebten Schleichfiguren und kann dadurch sicher bei einigen Erstlesenden punkten.
Die Illustrationen von Tobias Goldschalt sind passend zur Geschichte und lenken nicht zu sehr vom Text ab, der ja in Erstlesebüchern durchaus im Vordergrund steht.
Die Geschichte ist simpel, aber spannend genug, um die Leseratten von morgen bei der Stange zu halten. Mein Sohn hat immer wieder spekuliert, was wohl als nächstes passiert. Mir hat diese Einteilung in Gut und Böse, bzw. Böse und Böse nicht so wirklich gefallen, aber bei meinem Sohn kam die Geschichte auch inhaltlich gut an.
Grundsätzlich finde ich den Text in Ordnung für Erstlesende, allerdings kommt das Wort Battle Cave vor, was zwar aus der Welt dieser Kreaturen stammt, aber zumindest meinen Sohn vor einige Probleme gestellt hat. Da wir das Buch gemeinsam gelesen haben (jeder eine Seite im Wechsel), konnte ich hier erklären, was gemeint ist und wie man es ausspricht, aber so etwas sollte bei Büchern, die explizit für Leseanfänger:innen konzipiert sind, nicht nötig sein.
Die Länge der einzelnen Geschichten ist angemessen, sodass man hier jederzeit Pausen machen kann, oder bei großer Motivation auch längere Passagen lesen kann.
Insgesamt war ich selbst nicht so begeistert, aber meinem Sohn hat das Buch sehr gefallen und es hat ihn sehr motiviert. Und das ist die Hauptsache!
3,5/5

Bewertung vom 12.06.2025
Leciejewski, Barbara

Am Meer ist es schön


ausgezeichnet

„Nur allzu mitfühlend durfte man nicht sein. Oder zu ehrlich. Oder zu gewitzt. Zu lebhaft und unbeschwert. Zu sehr Kind.“ (277)

Was für ein Buch! Ich habe es innerhalb von 24 Stunden eingeatmet, so sehr hat es mich in seinen Bann gezogen. Und das, obwohl ich es zunächst aufgrund des unscheinbaren Covers gar nicht wirklich in Erwägung gezogen hatte.

Wir begleiten Susanne auf zwei Zeitebenen, die sich immer wieder abwechseln: einmal im Jetzt, wo Dreh- und Angelpunkt das Seniorenheim ist, in dem ihre Mutter liegt; und dann im Sommer 1969, den sie mit ihren damals acht Jahren in einem Verschickungsheim verbracht hat. Stück für Stück erfahren wir von den grausamen Verhältnissen und der schwarzen Pädagogik, der die Kinder dort ausgesetzt waren und der Selbstverständlichkeit, mit der ihnen physische und psychische Gewalt angetan wurde.

Und obwohl manche der Szenen kaum auszuhalten sind, hat mich das Buch beim Lesen nicht runtergezogen. Ja, es war traurig und ja, ich habe ein paar Tränen verdrückt (und das mache ich beim Lesen eher selten) und vor allem hatte ich die ganze Zeit das Bedürfnis, die kleine Susanne ganz fest in meine Arme zu nehmen. Aber die Entwicklungen auf der Zeitebene der erwachsenen Susanne, die den Schrecken immer wieder unterbrechen, sorgen für Ausgleich. Hier hat die Autorin ein wunderbares Gerüst konstruiert, das die Lesenden durch den Roman trägt und mithilfe von mehr oder weniger expliziten Parallelen und Bezügen eine Balance herstellt. Und auch wenn ich normalerweise geneigt bin, ein Ende wie das dieses Buches als etwas zu gewollt zu kritisieren, ist es hier irgendwie stimmig und hat mir sogar gefallen 😉 .

Ich habe viel darüber nachgedacht, wie viele der älteren Menschen in unserer direkten Umgebung wohl in solchen Heimen waren und was sie dort erlebt haben müssen. Mit welcher Last sie seitdem durchs Leben gegangen sind und wie das vielleicht auch das ein oder andere Verhalten oder eine bestimmte pädagogische Haltung erklärt (wenn auch nicht entschuldigt). Eine Person in meinem familiären Umfeld hat letztens in einem Nebensatz ein Verschickungsheim erwähnt und ich habe mir fest vorgenommen, in einem geeigneten Augenblick einmal nachzufragen. Vielleicht möchte sie nichts erzählen, aber was, wenn doch, und bisher einfach nur niemand gefragt hat?

Fazit: Barbara Leciejewski ist mit Am Meer ist es schön ein Roman gelungen, der mich aufgewühlt hat, mich emotional in alle Richtungen mitgenommen hat und den ich nur allen empfehlen kann.

Bewertung vom 27.05.2025
Clavadetscher, Martina

Die Schrecken der anderen


sehr gut

Die Schrecken der Anderen von Martina Clavadetscher ist ein Roman, den man sich erarbeiten muss, der aber dafür umso eindringlicher die wichtigen Themen behandelt.
Es geht um ein Dorf in der Schweiz, in dem mehrere Erzählstränge zunächst scheinbar unverbunden nebeneinanderher laufen. Irgendwann wird klar, dass sie sich auf verschiedenen Zeitebenen abspielen und vielleicht doch nicht so unverbunden sind wie gedacht. Spiralförmig nähern sich die Erzählungen immer mehr einem Zentrum, das tiefer und verwobener ist als man es anfangs für möglich gehalten hat. Manche Sachverhalte werden klarer, andere in Frage gestellt und es werden Hypothesen aufgestellt und dann doch wieder verworfen. Ein Roman, der die Lesenden aktiv mit einbezieht, die die Leerstellen im Sinne Isers füllen müssen (in einer Art Metareflexion stellt dies auch eine der Figuren fest) und so unheimlich tief in das Geschehen eintauchen.
Das wird unterstützt durch den Schreibstil der Autorin: der Erzähler tritt oft in den Hintergrund und präsentiert das Geschehen sehr szenisch – ich kann es mir so gut als Film vorstellen! Dazu kommen Tempuswechsel, treibende Endlossätze (die jedoch den Lesefluss keineswegs hindern) und semantische Übertragungen, die Verbindungen herstellen, ohne sie auch nur ansatzweise anzusprechen – überaus gelungen!
Inhaltlich finden sich einige wichtige Themen, aber ich will dazu gar nichts weiter sagen, da diese nicht alle auf den ersten Blick ersichtlich sind und ich hier nichts vorwegnehmen möchte.
Schade, dass im Lektorat ein paar sprachliche Fehler übersehen wurden, aber dem Roman selbst soll dies nicht angelastet werden. Den Verzicht auf Anführungszeichen bei direkter Rede finde ich furchtbar (aber das scheint gerade en vogue zu sein) und es trägt hier auch nichts inhaltlich bei, sodass ich diese Wahl nicht verstehe.
Fazit: Mir hat die Geschichte sehr gefallen, auch wenn es ein bisschen gedauert hat, bis ich drin war. Doch dann hat sich die ganze Arbeit gelohnt! Ein Roman, auf den man sich einlassen muss, der einem aber so viel zurückgibt.
4,5/5

Bewertung vom 27.05.2025
Hope, Anna

Wo wir uns treffen


weniger gut

Wo wir uns treffen von Anna Hope, übersetzt von Ulrike Kretschmer, ist ein Roman über eine britische Familie und deren koloniale Vergangenheit.
Nach dem Tod des Familienoberhaupts versammeln sich dessen Witwe und Kinder und diverse andere Personen, die der Familie in der ein oder anderen Weise nahestehen, zur Beerdigung und um darüber zu sprechen, wie es mit dem Familienbesitz nun weitergehen soll. Natürlich hat jede:r eine eigene Meinung, eine eigene Hintergrundgeschichte und nicht selten auch ein eigenes Geheimnis.
Die Fülle der Personen hat es mir sehr schwer gemacht, in die Geschichte zu finden. Einige von ihnen konnte ich recht lange nicht auseinanderhalten und viele blieben bis zum Ende blass. Dadurch habe ich leider auch keine emotionale Verbindung zum Buch aufbauen können – dabei hatte ich mir das sehr gewünscht, denn das Thema an sich ist unheimlich spannend. Als dann auch noch ziemliche Längen dazukamen, habe ich ehrlich kurz überlegt, das Buch abzubrechen. Weil mich die Auflösung des Plots dann aber dennoch interessiert hat, habe ich mich bis zum Ende „durchgekämpft“ und wurde ein wenig versöhnt. Wer sich für das postkoloniale Erbe Großbritanniens interessiert, findet hier einen interessanten Aspekt auf „individueller“ Ebene (das Ganze ist natürlich immer strukturell und politisch bedingt).
Dennoch kann ich das Buch nicht empfehlen: zu lang, zu distanziert und trotz des wichtigen Themas zu wenig fesselnd. Schade.