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Benutzername: 
EvaLiest
Wohnort: 
Nürnberg

Bewertungen

Insgesamt 55 Bewertungen
Bewertung vom 01.05.2025
Schauplätze der Weltliteratur

Schauplätze der Weltliteratur


sehr gut

Schauplätze der Weltliteratur: Eine Reise zu berühmten Orten großer Werke ist ein wunderschönes Coffee Table Book, herausgegeben von John Sutherland und übersetzt von Andreas Schiffmann und Alan Tepper.
Das Buch ist unterteilt in vier Kapitel, die sich auf literarische Epochen bzw. Zeitabschnitte beziehen. Von der Romantik bis zur Gegenwart werden einzelne Werke aufgegriffen und es wird aufgezeigt, wie diese den Ort der Handlung beschreiben, in die Geschichte mit einbeziehen, symbolisch aufladen, usw. Die Einträge werden unterstützt durch Zeichnungen, Karten, Bilder und Zitate. Zusätzlich gibt es zu allen Autor:innen eine kurze Information.
Geografisch ist hier mäßig gut gestreut worden. Es finden sich auch Werke aus Regionen, die oft weniger im Fokus stehen, grundsätzlich merkt man aber dennoch die westlich geprägte Sicht auf Literatur. Ähnlich sieht es beim Thema Geschlecht aus. Es gibt etwa doppelt so viele Bücher, die von Männern geschrieben wurden wie die aus der Feder von Frauen.
Optisch ist das Buch (abgesehen vom Cover) sehr ansprechend gestaltet und es macht viel Freude, es durchzublättern. Natürlich ist es kein Buch, das man von vorne bis hinten durchliest (wer das mag, kann das natürlich trotzdem tun), sondern eher eines, bei dem man immer mal wieder einen Eintrag liest. Ich habe als erstes die Beiträge zu den Büchern angeschaut, die ich selbst schon gelesen habe. Wissenschaftliche Tiefe findet man hier eher nicht, aber das ist auch nicht das, was das Buch bieten kann und will. Vielmehr sind es schöne Überblicke und Hintergrundinformationen zu Schauplätzen und deren (metaphorischer, historischer, individueller, …) Bedeutung.
Mir hat das Buch bis auf die erwähnten Punkte sehr gut gefallen und ich freue mich darauf, die ein oder andere Entdeckung zu machen. Gelungen finde ich übrigens auch das Vorwort, das sich auf Gertrude Stein und ihr Zitat „There’s no there there“ bezieht und die Thematik des literarischen Ortes einordnet.

Bewertung vom 01.05.2025
Diskriminierung geht uns alle an
Apraku, Josephine;Antmann, Debora;Bordo Benavides, Olenka

Diskriminierung geht uns alle an


ausgezeichnet

Diskriminierung geht uns alle an ist ein gut gestaltetes Sachbuch für Kinder und Jugendliche, in dem verschiedenste Formen der Diskriminierung erklärt werden und die Leserschaft für das Thema sensibilisiert werden soll.

Herausgegeben wurde das Buch von Josephine Apraku, mitgearbeitet haben aber ganz viele Menschen aus unterschiedlichen Bereichen und mit unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen.

Nach einem Einführungskapitel, in dem erst einmal der Begriff der Diskriminierung erklärt und auf die drei Ebenen (individuell, institutionell und strukturell) eingegangen wird, widmen sich die folgenden Kapitel jeweils einem Bereich der Diskriminierung (wobei auch hier darauf geachtet wird, auf Überschneidungen hinzuweisen – zudem gibt es ein eigenes Kapitel zur Intersektionalität). In möglichst zugänglicher Sprache werden auch komplexere Sachverhalte auf ein Niveau gebracht, dem Kinder bzw. Jugendliche durchaus folgen können (das Buch ist ab 12 empfohlen, individuell kann ich es mir eventuell auch schon früher vorstellen). Dabei ist die Aufmachung wunderbar bunt, mit vielen Illustrationen, Infoboxen, Erklärungen und auch Reflexionsfragen.

Diskriminierung ist ein Thema, mit dem man sich von klein auf beschäftigen sollte und dieses Buch bietet eine wunderbare Gelegenheit, mit Teenagern darüber zu sprechen. Vor allem das Eingehen auf die Lebensrealität junger Menschen, das Abholen auf Augenhöhe und die Fragen, die dazu anregen, über die eigene Situation und das eigene Verhalten nachzudenken, machen dieses Buch zu einer wertvollen Ressource.

Bewertung vom 01.05.2025
Unsere Suche nach Zärtlichkeit
Ehrenhauser, Martin

Unsere Suche nach Zärtlichkeit


weniger gut

Unsere Suche nach Zärtlichkeit von Martin Ehrenhauser ist ein stiller, leiser Roman, der mich leider nicht überzeugen konnte.

Sebastian Dumont ist Telefonseelsorger und nachdem eine Anruferin außer Weinen nur ein paar Silben herausgebracht hat, bevor sie aufgelegt hat, entschließt er sich, den wenigen Anhaltspunkten folgend nach ihr zu suchen. Er fährt also los und hält Ausschau nach traurigen Frauen (gar nicht creepy…). Dabei lernt er Florence kennen und wir begleiten die beiden durch die nächsten Tage.

Leider zieht sich die Geschichte sehr und man braucht ein gewisses Durchhaltevermögen, um den langatmigen Beschreibungen zu folgen. Auch war mir die Relevanz oder Plausibilität von Ereignissen nicht immer klar und der Fokus verschiebt sich schnell weg von der Arbeit als Telefonseelsorger (schade, das hätte ich sehr spannend gefunden). Die durchweg männliche Perspektive inklusive diverser Stereotype (was bitte ist denn eigentlich eine „weibliche Beobachtungsgabe“?) hat mich das ein oder andere Mal mit den Augen rollen lassen und nicht unbedingt dazu beigetragen, eine emotionale Verbindung zu den Charakteren aufzubauen.

Das war wohl inhaltlich ein klassischer Fall von falsch interpretiertem Klappentext und entsprechend aufgebauten Erwartungen. Da mich dann auch der Erzähler und der Ton des Buches nicht begeistert haben, gibt es hier keine Empfehlung von mir.

Bewertung vom 16.04.2025
Der Duft des Wals
Ruban, Paul

Der Duft des Wals


weniger gut

Der Duft des Wals von Paul Ruban ist die leicht absurde Geschichte mehrerer Personen und ihrer Interaktionen in einem Urlaubsressort in Mexiko.
Bereits auf dem Flug dorthin lernen wir die ersten Charaktere kennen: die Flugbegleiterin Celeste und das Ehepaar Hugo und Judith samt Tochter. Im Hotel kommen dann noch Waldemar und Bon dazu, sowie ein paar Nebendarsteller.
Laut Klappentext ist es ein Buch über ein Ehepaar, das versucht, durch einen Urlaub ihre Beziehung zu retten. Ein Naturereignis (ein toter Wal wird angespült) fungiert als Hindernis und sorgt dafür, dass wir hinter die Fassade der Illusionen schauen können. Das klang genau nach einem Buch für mich.
Leider ist das nur ein sehr kleiner Teil der Handlung, die ansonsten von teils albern anmutenden Episoden und Menschen, die sich eigentlich nicht ausstehen können, dominiert wird. Ich möchte hier nicht spoilern, daher ist das etwas kryptisch, aber Celestes Problematik hat für mich überhaupt nichts zum Roman beigetragen und die Auswirkungen des Wals waren nicht humorvoll, sondern nervig, vor allem in der Häufigkeit, in der sie betont werden. Spätestens bei den Nasenbären war ich dann raus.
Schade, aber für mich war das Buch leider nichts. Wenn ihr aber auf leicht absurde Situationen und eigentümliche Charaktere steht, solltet ihr ihm vielleicht eine Chance geben.
2,5/5

Bewertung vom 15.04.2025
Beeren pflücken
Peters, Amanda

Beeren pflücken


gut

Beeren pflücken von Amanda Peters habe ich aufgrund des schönen Covers bewundert und mich sehr gefreut, als ich es endlich lesen konnte. Doch die Vorfreude währte nicht lange, denn die Geschichte hat sich so gezogen! Ich weiß nicht, ob meine Erwartungen einfach zu hoch waren, oder ob ich nicht in der richtigen Stimmung für das Buch war, aber ich musste mich phasenweise fast schon selbst überreden, weiterzulesen. Ich habe länger darüber nachgedacht, woran das gelegen haben mag, und habe zwei Vermutungen:

Zum einen ist es so, dass das Buch aus zwei wechselnden Perspektiven erzählt wird, die jeweils zwischen zwei Zeitebenen wechseln. Als dann auch noch innerhalb einer Zeitebene die Dinge nicht unbedingt chronologisch wiedergegeben wurden, war ich ehrlich gesagt ein bisschen verwirrt. Verschiedene Perspektiven mag ich eigentlich ganz gerne, und das Buch profitiert auch davon. Aber ich muss leider zugeben, dass ich ein großer Fan chronologischen Erzählens bin und ich mir das hier auch gewünscht hätte. Klar wäre dann der Fokus etwas anders gelegen, aber die Geschichte hätte dennoch funktioniert und mich vermutlich wesentlich mehr berührt. Durch die ständigen Sprünge (sowohl zeitlich als auch personell) habe ich nämlich irgendwie keine wirkliche Bindung zu den Personen aufbauen können.

Zum anderen wird relativ früh klar, worauf die Geschichte hinausläuft. Also tatsächlich schon innerhalb der ersten Kapitel (ok, vielleicht sogar schon anhand des Klappentextes). Dadurch wird die Spannung von der Handlung in die Charaktere verlagert, was an sich ja gar keine schlechte Idee ist. Nur, wenn man - wie ich - mit den Charakteren so gar nicht warm wird und alles distanziert bleibt, dann funktioniert das halt nicht mehr.

Wirklich wirklich schade, denn die Geschichte klang so vielversprechend und ich hatte mir eine gelungene Erzählung zur Lebenssituation und den Alltagsproblemen des Stammes der Mi'kmaw erhofft. Natürlich kommen diese Elemente vor - es geht um Identität, Sucht, Gewalt, und mehr - aber sie können durch die zerstückelte Erzählweise nicht ihr volles Potenzial entfalten.

Bewertung vom 04.04.2025
3 Streuner wittern das Abenteuer
Fröhlich, Anja

3 Streuner wittern das Abenteuer


sehr gut

3 Streuner wittern das Abenteuer ist eine lustige Tiergeschichte von Anja Fröhlich mit Illustrationen von Pe Grigo.
Die drei Hundefreunde sind zunächst frei streunende Hunde in Spanien, werden dann aber eingefangen und landen in einem Tierheim in Deutschland. Glücklicherweise werden sie gemeinsam adoptiert, allerdings können sie sich mit dem Verlust der Freiheit noch nicht so ganz arrangieren. In mittellangen Kapiteln (gute Vorleselänge!) erleben sie episodische „Abenteuer“ (das Wort wird recht freizügig eingesetzt – hier war mein Sohn etwas enttäuscht, dass es keine echten Abenteuer sind, sondern eher Alltagssituationen), die letztendlich altersgerecht zu einem Happy End führen.
Die Sprache ist unkompliziert und eignet sich auch gut zum Vorlesen. Besonders die Kinder lachen sicher über Ausdrücke wie „Mopskopf“ oder die flapsigen Sprüche der Hunde. Als Erwachsene ist mir die Geschichte teilweise zu albern (Püpse ins Gesicht finde ich nicht so prickelnd; mein Sohn hat sich schiefgelacht und er ist ja schließlich die Zielgruppe). Die Illustrationen passen gut zur Geschichte. Ich finde es etwas schade, dass sie nur schwarz-weiß gehalten sind, aber das ist Geschmackssache.
Insgesamt eine schöne Geschichte über Freundschaft und Zusammenhalt, allerdings nicht so aufregend und abenteuerreich wie erhofft.
3,5/5

Bewertung vom 03.04.2025
Die Kinder von Birkby. Hier kommen die Tierretter! (Band 1)
Rose, Barbara

Die Kinder von Birkby. Hier kommen die Tierretter! (Band 1)


ausgezeichnet

Die Kinder von Birkby von Barbara Rose, mit Illustrationen von Caroline Opheys, ist eine tolle Geschichte über Freundschaft und Abenteuer.
Jette und Emilia finden einen Hund, der niemandem zu gehören scheint. Sie kümmern sich um ihn und erleben mit ihren Freunden jede Menge Abenteuer bei dem Versuch, ihn wieder zu seiner Familie zu bringen. Dabei lernen wir verschiedene Dorfbewohner kennen, die allesamt sehr liebevoll ausgearbeitet sind. Die Dorfidylle erinnert etwas an Bullerbü und ist für mein Stadtkind immer wieder faszinierend (ich selbst bin ein Dorfkind und sehe als Erwachsene nicht alles so unkritisch – aber es ist natürlich nicht Aufgabe eines solchen Buches, das zu thematisieren).
Sehr schön fand ich die Illustrationen und auch die Gestaltung der Seiten. Es gab viele Bilder und bunte Elemente, aber die Seiten waren nicht überfrachtet. So ließ es sich wunderbar lesen.
Ich habe das Buch vorgelesen und ich fand die Länge der Kapitel gut: genau richtig, um jeden Abend eines vorzulesen (natürlich wurde versucht, noch etwas mehr rauszuhandeln 😉 ). Ich kann mir auch vorstellen, dass es für etwas geübte Leser:innen gut alleine machbar ist, ein Kapitel zu lesen.
Von uns gibt es eine ganz klare Empfehlung für dieses schöne Kinderbuch!

Bewertung vom 31.03.2025
Egal, sagt Aal
Regett, Julia

Egal, sagt Aal


sehr gut

Egal, sagt Aal von Julia Regett ist ein lustiges Kinderbuch mit einer wichtigen Botschaft.
Der kleine Aal schwimmt durch sein Leben und macht, was er möchte, denn ihm ist fast alles egal. So lange, bis er sich schlecht fühlt, weil er ein anderes Tier mit seiner Haltung verletzt hat. Mit der Hilfe eines Frosches fängt er an, zu reflektieren und gemeinsam kommen sie zu dem Ergebnis, dass es toll ist, eine eigene Meinung zu haben und nicht immer mit dem Strom zu schwimmen, dass aber die Bedürfnisse und Grenzen der anderen auch wichtig sind und nicht leichtfertig missachtet werden dürfen.
Diese wichtige Botschaft ist in eine witzige Geschichte verpackt, die auch für kleinere Kinder funktioniert (ich würde sagen, das empfohlene Mindestalter von 4 ist ziemlich passend). Mit viel Sprachwitz und kreativen Einfällen erzählt Julia Regett vom Alltag des Egal-Aals und der anderen Teichbewohner.
Die Übergänge zwischen den Episoden fand ich an manchen Stellen etwas holprig (vor allem nach der Begegnung mit dem Haubentaucher und der Schnecke), aber insgesamt ist die Geschichte rund und hat eine angemessene Länge, sodass auch Kindergartenkinder bis zum Ende folgen können.
Die Zeichnungen sind in „Teich-Farben“ gehalten (mich haben sie sofort an den kleinen Wassermann erinnert) und der Stil hat meinem Sohn sehr gut gefallen. Das Buch fühlt sich wertig an und die Haptik des Umschlags war für mich überraschend angenehm.
Unser Fazit: ein gelungenes Buch, das wir sicher häufiger lesen werden und das tolle Gesprächsanlässe bietet.
4,5/5

Bewertung vom 24.03.2025
Der Sternenstaubdieb
Abdullah, Chelsea

Der Sternenstaubdieb


gut

Der Sternenstaubdieb von Chelsea Abdullah ist eine fantastische Geschichte, die mit ihrem wunderbaren Setting punktet, mich aber dennoch nicht überzeugen konnte.
Der Roman dreht sich um die drei Protagonist:innen (eine Mitternachtshändlerin, einen Prinzen und eine Räuberin), magische Relikte, und die Dschinn. Dabei fließen Elemente aus der arabischen (Erzähl-)Kultur mit ein, was der Geschichte eine gewisse Authentizität und auch etwas Magisches verleiht.
Leider können die Charaktere nicht so punkten wie das Setting. Sie bleiben oberflächlich und unnahbar, und einige Male habe ich ihr Verhalten einfach nicht nachvollziehen können. Ich hatte mehrmals das Gefühl, der Roman weiß nicht so genau, ob er YA- oder Erwachsenenliteratur sein möchte, und so sind die Protagonist:innen zwar schon erwachsen, verhalten sich aber oft nicht so. Ich bin mit keiner der Personen wirklich warm geworden, und hatte auch nicht das Gefühl, dass es zwischen den Charakteren genug Verbindungen gab.
Beim Erzählstil bin ich zwiegespalten. Einerseits gab es Passagen, in denen das Pacing gut gepasst hat und die Sätze sich flüssig aneinandergereiht haben. Dann aber gab es Stellen, da wurde viel zu langsam oder auch wirr erzählt (am Anfang habe ich eeeewig gebraucht, um in die Geschichte zu kommen, was meiner Meinung nach an den ständigen Perspektivwechseln lag), und teilweise gab es auch einige Wiederholungen (ich habe nicht mitgezählt, wie oft jemand ein Lächeln versteckt, aber vermutlich reichen meine beiden Hände nicht aus) und irrelevante Erzählungen.
Sprachlich war es mir oft ein wenig zu einfach bzw. zu deutlich. Die Autorin erzählt zu viel und zeigt zu wenig. Dadurch passiert es auch oft, dass man als Lesende Dinge längst durchschaut hat, die dann noch einmal lang und breit erklärt werden (auch das ein Indiz, dass der Roman vielleicht eher für ein jüngeres Publikum gedacht war). Ich habe einige Rezensionen gelesen, in denen kritisiert wird, dass hier stellenweise genderneutrale Pronomen verwendet werden. Ja, es ist im ersten Moment gewöhnungsbedürftig und etwas sperrig, aber man gewöhnt sich daran. Und ich finde es gut, dass Versuche unternommen werden, wie man das sprachlich ausdrücken kann. Was mich in dem Zusammenhang mehr gestört hat, war, dass zwar die Pronomen neutral waren, einige andere Wörter aber nicht, und dadurch wirkt es etwas unausgegoren. So wird zum Beispiel im Zusammenhang mit einem nicht-binären Dschinn von „König“ geredet. Außerdem ist in anderen Bereichen die Sprache dennoch problematisch. Wenn etwa die Rede davon ist, dass jemand sich „eine Frau genommen hat“. Oder dass Mazen ein Mädchen, das er sieht, einfach „haben muss“. Puh, ich dachte, da sind wir schon weiter…
Insgesamt eine nette Geschichte, aber auch nicht mehr. Ich würde sie definitiv unter YA-Fantasy verbuchen, ansonsten müsste ich noch mindestens einen halben Punkt abziehen.

Bewertung vom 21.03.2025
Schweben
Ben Saoud, Amira

Schweben


sehr gut

Der Roman Schweben von Amira Ben Saoud spielt in einer nicht näher definierten dystopischen Zukunft. Durch die Klimakatastrophe haben sich die Lebensbedingungen so drastisch geändert, dass die Menschen nun nicht mehr global vernetzt sind (zumindest nicht auf individueller Ebene), sondern in abgeschotteten Siedlungen leben. Eine unbekannte Regierung bzw. Organisationsinstanz scheint es in irgendeiner Form aber dennoch zu geben, denn ein Warenaustausch zwischen den Siedlungen findet statt (der Kapitalismus stirbt wohl als letztes…). Das Setting hat mich durchaus sehr an The Giver von Lois Lowry erinnert: Erinnerungen an früher, bzw. das Aneignen von Wissen sind verboten und ein Verlassen der Siedlung wird mit dem Tod gleichgesetzt.
Die Protagonistin von Schweben verdient ihr Geld durch „Begegnungen“. So nennt sie das von ihr erdachte Geschäftsmodell, bei dem sie bis zur kompletten Selbstaufgabe in die Rolle einer anderen schlüpft, um den (meist männlichen) Auftraggebern dabei zu helfen, Beziehungen erneut zu durchleben und/oder zu verarbeiten. Viel mehr kann ich zur Handlung gar nicht sagen, ohne zu viel vorwegzunehmen.
Identität ist also ganz klar ein zentrales Thema dieses Romans. Aber es gibt noch mehr. Die ersten zwei Drittel des Buches lesen sich für mich wie ein Kommentar der aktuellen gesellschaftlichen Situation, vor allem in Hinblick auf systemische Gewalt und Machtstrukturen. Im Buch ist Gewalt verboten, und darum gibt es sie natürlich nicht (zwinki-zwonki). Da höre ich doch gleich Horst Seehofer, wie er meint, Racial Profiling bei der Polizei gibt es nicht, weil das ja verfassungswidrig wäre. Und auch die Abhängigkeit vieler Frauen von ihren Partnern wird thematisiert, wobei unter anderem gezeigt wird, wie schleichend dieser Prozess ablaufen kann und wie wenig Chancen sie haben, wenn das System nur scheinbar ihren Schutz gewährleistet.
Leider passieren im letzten Drittel dann ein paar Dinge, die mich an dieser Interpretation zweifeln lassen und mich ziemlich ratlos machen. Viele Aspekte werden nicht erklärt (das ist bei Dystopien ja durchaus mal der Fall, aber hier hätte ich mir wirklich mehr Aufklärung gewünscht) und bestimmtes Verhalten erscheint mir patriarchale Strukturen geradezu zu untermauern. Auch ist mir aufgefallen, dass (mit einer Ausnahme) sämtliche Individuen im Leben der Protagonistin Männer sind. Dabei hatte es so gut angefangen, zum Beispiel mit einem scheinbar unkomplizierten Zugang zu Verhütung und zwei guten Gegenentwürfen zu toxischer Männlichkeit. Und klar, die „Übermacht“ männlicher Individuen kann natürlich auch als Kritik genau daran gedacht sein – aber dafür ist mir die Thematik nicht rund genug, das gibt das Buch für mich nicht her.
Insgesamt also leider kein Highlight für mich, auch wenn ich das Buch gerne und schnell gelesen habe. Trotz vieler guter Aspekte und klug inszenierter Elemente (alleine über den Titel des Prologs könnte ich Lobeshymnen schreiben) hat mich das Buch gegen Ende verloren – sehr schade, denn das Potenzial war da!

3,5/5