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marcialoup

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Insgesamt 147 Bewertungen
Bewertung vom 04.08.2025
Lewis, Caryl

Wilder Honig


sehr gut

Der Trost der Bienen

Eine leise, zarte Geschichte erzählt die Autorin Caryl Lewis über Hannah, die ihr Leben aus Schicksalen knüpft.
Nach dem Tod ihres Mannes John, der leidenschaftlicher Imker war, erfährt Hannah bei der Testamentseröffnung Unfassbares und ihr komplettes Leben wird in Frage gestellt.
Zerknischt und zutiefst verletzt trauert sie mit verschiedensten Emotionen durch den großen Obstgarten am elterlichen Haus, der einst Geborgenheit schenkte, während ihre Schwester Sadie sie dazu antreibt, die Briefe von John, die er Hannah hinterlassen hat, unbedingt zu lesen…

Mit jedem gelesenen Brief erfährt Hannah Wahrheiten und schöpft durch die Bienenstöcke ihres Mannes und die Geschichte der Bienen neues Vertrauen, das zerbrechlich nach Festigkeit sucht.
Und dann ist da noch Megan…
Die drei Frauen einen gemeinsame Verbindungen und doch kämpft jede für und gegen ihren eigenen Widerspruch im Leben.

Verwoben mit detailreichen Landschaftsbeschreibungen atmen wir apfelsüße Luft oder klaren frischen Morgentau, hören das leise Summen der Bienen und gehen mit Hannah durch stille Naturidylle, getränkt von Schmerz, Enttäuschungen und auch Liebe.
Die behutsam gefeilte Sprache der Autorin gleitet harmonisch durch die Seiten, bringt achtsame Momente, Entschleunigung und naturgetragene Entspannung beim Lesen.
Auch punktet der Roman mit gut eingestreuten, überraschenden Momenten und nur wenigen Längen.
Auf weniger als 300 Seiten ist eine bemerkenswerte Geschichte entstanden, die Trost spendet und ganz viel hinterlässt.

Bewertung vom 31.07.2025
Evans, Virginia

Die Briefeschreiberin


ausgezeichnet

Sie haben Post!

Ein außergewöhnlicher Roman in reiner Briefform lädt uns durch sein gemütlich wirkendes, in warmen Farben gestaltetes Cover dazu ein, Sybil kennenzulernen.

Sybil ist eine charmante 73jährige ehemalige Juristin und schreibt für ihr Leben gern Briefe, echte handgeschriebene Briefe!
Jeden Tag schreibt und bekommt sie Briefe, an und von Freunden, Verwandtschaft, Kollegen, selbst vom Nachbarn Herrn Lübeck. Den Briefaustausch mit ihm finde ich sehr entzückend! Und während des Verlaufs gehen die beiden vom Sie zum Anreden mit Vornamen über.
Aber sie schreibt auch Briefe an Ärzte, Firmen, Journalisten und Autoren und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Auch brieflich kann man sich hervorragend streiten! Ihre Meinung und ihre Gefühle gibt Sybil immer offen preis.

Den Austausch mit ihrer Schwägerin, gleichzeitig Freundin, Rosalie mochte ich am meisten, u.a. auch, weil sie beide sich am Ende ihrer Briefe immer erzählen, welches Buch sie gerade lesen. Total süß!
Zwischendrin ist regelmäßig ein Part ohne Adresse und ohne Gruß am Ende, mit dem Hinweis, dass die vorherigen Seiten nicht abgeschickt sind. Wem schreibt Sybil wohl?
Sie reflektiert darin viel... Am Ende des Buches werden wir es erfahren.

Man lernt durch die Briefe nach und nach Sybil und ihr Leben sehr gut kennen. Dabei gibt es Briefe, die sie Kraft und Mut kosten und Geheimnisse aus ihrem eigenen Leben lüften.

Anfangs musste ich mich erst einmal einlesen, wem denn nun gerade geschrieben wird, dafür ist auf den letzten Seiten ein hilfreiches, nett beschriebenes Personenverzeichnis angelegt und der Empfänger steht jeweils am Anfang der Kapitel.
Jedes Kapitel ist ein Brief.
Zwischendurch gibt es auch E-Mails.

Oft lege ich Romane zurück, wenn darin viele Briefe vorkommen... Dieser Roman jedoch besteht ja nur aus Briefen und hat dadurch eine große Besonderheit die Protagonisten und Nebenfiguren einmal auf andere Weise zu entdecken. Man hat das Gefühl in permanentem Austausch zu sein, quasi wie Dauergespräche.
Die Autorin zeichnet eindrucksvolle Charaktere und jeder Brief hat seine eigene Stimme mit eigenem Klang. Man bekommt während des Lesens Ideen, wie die Menschen aussehen könnten und es entsteht fast ein Gefühl des Sich-Kennens.

Außerdem bekommt man Lust, selbst wieder Briefe zu schreiben, und gern zu empfangen, in einer Zeit, in der nur noch Werbung und Rechnungen im Briefkasten liegen.
Vor über 30 Jahren hatte ich sehr viele Brieffreundschaften in aller Welt. Leider verläuft sich manches mit der Zeit.
Letztes Jahr hatte ich einen Postkartenkalender und habe jede Woche eine Postkarte an eine liebe Person geschickt. Jeden Montag, wenn ich das Kalenderblatt abriss, ging die Postkarte raus. War tatsächlich eine so schöne Beschäftigung!
Und so ähnlich geht es wohl Sybil, wenn sie sich an ihren Platz ans Fenster setzt und Briefe schreibt.
Sehr zu empfehlen!
Also... schreibt doch mal einen Brief!

Bewertung vom 13.07.2025
Kitamura, Katie

Die Probe


gut

Ein rotes Tuch

Das Cover, ein rotes Tuch... Ein Teil eines Vorhangs der Bühne? Wehend, umspielend... subtil verbergend... Undurchsichtig! So beginnt auch DIE PROBE. Ein bisschen undurchsichtig, wohin es führen wird.
Ein rotes Tuch, dass Tomas, der Mann der Schauspielerin, also seine Frau, mit einem Jüngeren, Xavier, in einem Restaurant sitzen sieht, in das er ging, in dem Bewusstsein, seine Frau dort sicher nicht anzutreffen... Tomas tat als hätte er sie nicht gesehen, doch sie hatte ihn gesehen und am späteren Abend Zuhause schwebten sie gegenseitig um sich herum wie im Schleichgang, um die Szene im Restaurant zu verstehen ohne dabei über Grenzen des anderen zu treten, oder sich selbst bloßzustellen und Antworten zu forcieren.
Haben wirklich beide etwas zu verbergen?

Dann erzählt Xavier, der Schauspielschüler, bei einem weiteren Zusammentreffen mit der Schauspielerin, dass sie seine Mutter ist.
Wer, wenn nicht die Mutter, weiß ganz genau, ob sie jemals überhaupt ein Kind geboren hat?
Xavier hat es von seinen Zieh- Eltern erfahren.
Die Schauspielerin sagt, sie habe nie ein Kind geboren, wird aber durch diese Konfrontation an damals erinnert, als sie eine Fehlgeburt hatte.
Dadurch sieht sie auch Tomas mit anderen Augen und Veränderungen lassen sich nicht mehr verhindern.

Mit klarer Schreibart bleibt Katie Kitamura hinter Verborgenem und lässt dem Leser Raum.
Leise zieht sie Kreise um die Ehe, um die namenlose Schauspielerin, um Tomas und Xavier und weiteren Figuren, die Rollen spielen. Es geht um Wahrheiten und Spiele im Sinne von Schauspielerei und deren Entwicklungen und Verknüpfungen auf der Bühne und im echten Leben.
Ein Roman den man mögen muss, kein Nebenbeiwerk!
Mit Muße und nicht so flüssig zu lesen...
Mir hat er nicht gefallen!

Bewertung vom 06.07.2025
Knecht, Doris

Ja, nein, vielleicht


ausgezeichnet

Eindeutig Ja zum Buch!

Die sehr sympathische Ich-Protagonistin nimmt uns mit in ihr alterndes Leben, das langsam einige Gebrechen und Wehwehchen aufweist, die sie auf amüsante, gelassene Weise preisgibt. Die Kinder sind aus dem Haus, den Ehemann gibt's nicht mehr und sie freut sich auf ein ruhiges Leben, das eben durch kleine Einschnitte, wie ein parodontisierender Zahn, oder ihre plötzlich auftauchende Schwester, oder Friedrich, der Mann aus Jugendzeiten, ins Wanken gerät.
Die Ja-Nein-Vielleicht-Stimmung für Entscheidungsfindungen in Alltagsgeschehen merkt man durch die vielen Abwägungen und das In-Frage-Stellen der Protagonistin. Sie verfällt oft in viele Gedanken um Friedrich, aber auch Suzy Quatro oder der Hochzeit ihrer Freundin.

Die Ich-Protagonistin bleibt namenlos, sodass man die Geschichte leicht auf sich selbst oder natürlich auf die Autorin projizieren kann.
Man verfällt dem humorvollen, fast tröstenden, sprachlich gut ausgearbeiteten Erzählton sofort, findet Lebensgleichheiten, die man gern zitiert und ist insgesamt mit dieser wortreichen Geschichte in hoher Sprachqualität sehr glücklich. Mit wenigen Seiten ist der Autorin ein vollmundiger Roman mit klugem Witz und offener Ehrlichkeit gelungen, der nicht nur für die ältere Leserschaft geeignet ist. Es geht um Miteinander, Vergangenheiten und positives Alleinsein, um das Wir und das Ich.

Überaus aktuell fand ich die Jahrhundert-Überschwemmung, die ihr Haus in Gefahr brachte, da damit sicher das katastrophale Hochwasser in Österreich gemeint ist, das ich im September letzten Jahres während eines Wien-Urlaubs selbst miterlebt habe.

Das blumig bunte Cover macht beim Anschauen immer wieder Freude, es hat Struktur im Chaos, und auch der Marder ziert eine Blumenvase. Es passt zu dem unentschlossenen, aber doch entschieden bewussten Ja, Nein, Vielleicht!

Bewertung vom 02.07.2025
Gerstberger, Beatrix

Die Hummerfrauen


sehr gut

Mr. Darcy

Wechselnde Zeitebenen zwischen 2000 und 1982 bringen uns die Hummerfrauen näher.
In der Zeit um 2000 treffen Mina, Julie und Ann, drei unterschiedliche Frauen aus drei Generationen, aus zufälligen Gründen zusammen.
1982 gibt Rückblicke in Mina’s Kindheit. Ich fühle mich in beiden Zeiten wohl, die kindliche Geborgenheit ebenso wie erwachsene Verantwortungen und Lebensprobleme ausstrahlen.
Zudem überwiegt durch die Hummerfischerei viel Meeresatmosphäre in diesem Roman und man kann stellenweise die salzige Meerluft riechen und erfrischende Gischttropfen spüren.
Ein Buch, dass den Sommer auf dem Land in einen Urlaub am Meer verwandelt.
Mr. Darcy, der blaue Hummer, den Ann eines Tages fing und dann als Haustier umfunktionierte, lockert auf besondere Weise auf.
Auch sollte man unter den Schutzumschlag des Buches schauen, dessen Umschlag-Cover einen roten Hummer abbildet, unter dessen Oberfläche aber ein blauer Hummer zu finden ist. Und so ist auch das Buch, es geht tiefer…
Insgesamt eine netter sommerlicher Wohlfühl-Roman mit Liebe, Gefühlen, Schmerz, Verlusten und ganz viel Gemeinschaft.

Bewertung vom 26.06.2025
Maury , Avril

Noch fünfzig Sommer mehr


gut

Die Powerblume Ranunkel und ganz viel Bretagne mit Crepes Caramel

Wie ein kleiner Urlaub in der Vorstellungskraft erlebt man diesen Roman durch idyllische Landschaftsbeschreibungen der Bretagne, dem wildwüchsig-verwunschenen Garten und zarte Kindheitserinnerungen von Eleni.
Tragische Momente erlebt Eleni aber schon bald zu Beginn des Romans...
Zuckersüß ist es, wie Eleni und Theo sich kennenlernen. Doch ihre liebreizenden Zeiten enden viel zu bald katastrophal und Eleni's Leben wird in eine Angststörung katapultiert. Kaninchen Anemone, das Theo ihr geschenkt hatte, spendet ihr in diesen schweren Zeiten Trost.
Bis eines Tages ein Blumen-Topf vor ihrer Tür steht, dabei nur ein maschinengeschriebener Zettel ohne Absender. Die Pflanze benötigt Fürsorge und so traut sich Eleni wieder raus in ihren Garten. Dabei schwelgt sie in Erinnerungen an ihre Kindheit.
Der Blumenbote hört nicht auf und immer wieder findet Eleni eine Pflanze, um die sich gekümmert werden muss. Wer ist der heimliche Bote und was bezweckt er damit?

Das Buch würde ich schon allein wegen des herrlich sommerlich- frischen Covers kaufen. Die Geschichte selbst ist eine sehr leichte Sommerlektüre, am besten verschwindet man am Strand mit Crepes und Kuchen für ein paar Stunden in der Sommersonne.
Das war's aber auch schon. Lange nachhallen wird der Roman nicht und stellenweise war er mir zu seicht. Anfangs haben mich die Zeitenwechsel verwirrt und ich brauchte einige Zeilen um zu wissen, ob wir uns im Hier und Jetzt, in Eleni's Kindheit oder in ihrer Zeit mit Theo befinden.
Das Ende ist überraschend, auch wenn man mit einigem davon gerechnet hatte.

Bewertung vom 20.06.2025

tiptoi® - Mein erstes Bild-Wörterbuch Deutsch-Englisch


ausgezeichnet

Mum, I can speak English!

Mit 12 Seiten und 14 Themenwelten empfinde ich das Bild-Wörterbuch Deutsch-Englisch als sehr umfangreich und richtig gut!
Auf übersichtlichen Seiten sind Gegenstände, Tiere, Lebensmittel und Weiteres aus dem Leben Gegriffene abgebildet, sodass die Kinder mit dem Tiptoi-Stift ganz einfach neben dem deutschen Wort das englische dazu lernen und es sich für eine gute Aussprache so oft sie wollen vorsagen lassen können.
Die wunderschönen Illustrationen und weitere Möglichkeiten durch den Tiptoi-Stift lassen Bilder und Worte miteinander verschmelzen, was leichtes Abspeichern des Gelernten festigt.

Für Dreijährige in Englisch vielleicht noch etwas schwierig, lernt diese Altersgruppe dann aber das deutsche Wort zum Bild.
Meine Nichte ist fünf und kann mit den englischen Begriffen schon mehr anfangen und ihren Sprachschatz spielerisch erweitern. Selbst für mich gab es neue Begriffe ;-)

Die beiden Krokodile haben auf jeder Seite etwas anderes zu tun und sind treue Begleiter durchs Buch, mit denen man sich auch Seitenweise Geschichten ausdenken kann.
Definitiv wird hier Fremdsprache lernen positiv behaftet, hätte ich in meiner Vorschulzeit auch gern gehabt.

Bewertung vom 09.06.2025
Noort, Tamar

Der Schlaf der Anderen


ausgezeichnet

Leiser Ton so traumhaft stark

Janis und Sina begegnen sich im Schlaflabor. Die eine arbeitet dort, die andere will wieder schlafen lernen. Mit kurzen erklärenden Sätzen verkabelt Janis routiniert Sina mit den Messgeräten, um ihren Schlaf zu überwachen. Dabei entsteht ein zartes unsichtbares Band zwischen den Frauen. Sina, Lehrerin, Ehefrau und Mutter, aufgeregt ob der kommenden Nacht, die ihren Schlaf durch Gehirnströme offenlegt, einer gewissen Blöße gleich, verschwindet dieses Mal ohne Tablette in ihre Träume, deren Auswirkungen Janis über die Geräte und Körperbewegungen auswerten kann.
Janis’ Arbeit im Schlaflabor hinterläßt eigene Spuren, die ihren allein lebenden Alltag umgekrempelt haben. Durch Sina kommt ein neuer Impuls in Janis’ farbloses Leben im Schatten der Nächte.

In der fein abgestimmten Wortwahl entwickelt sich ein subtiler, fast traumartiger Sog, in den die Autorin Tamar Noort uns in die Tiefen der Nacht und in die Leben ihrer Protagonistinnen einsaugt.
Durch detaillierte Beobachtungsgabe prägen Zwischentöne ein sanftes Bild innerer Augenblicke.
Sätze wie „Sina wird jetzt wieder hergestellt, weil sie bei ihr, Janis, endlich schlafen kann“ zeugen von unausgesprochener Geborgenheit, die sich still eingeschlichen hat. Während Sina schläft, erfahren wir durch Rückblendungen genug über ihr vollgefülltes, überbordendes Leben.
Janis kommen wir in einem anderen Teil des Buches näher.
Die Autorin sorgt für spannende Veränderungen, die sich leise aber gewichtig ergeben. Überraschungsmomente trösten über wenige, kaum erwähnenswerte Längen hinweg, wie die Längen im Leben, die auf den nächsten Seiten, am nächsten Tag schon bald vergessen sind.

Janis und Sina, zwei Frauen, die sich während des Kennenlernens selbst näher kommen, weil sie sich spiegeln, holen gegenseitig Verborgenes aus sich heraus und müssen sich in teils schmerzhafter Auseinandersetzung dem stellen, um letztendlich daran zu wachsen.

Das Thema Schlaf wird in zwei Lebensgeschichten eingeflochten und auf interessante Weise beleuchtet - ein wichtiges Thema in Zeiten Burn-Outs und Funktionieren-Müssen. Gerade Sina als Lehrerin rückt Schlaf in einen anderen Fokus auch in der Schule und trifft dabei einen provokanten Nerv.

Im Cover wirft dezentes Tageslicht Schatten in einen Raum, läßt helle Streifen aufleuchten, und auch die große Tasse verbirgt Geheimnisvolles einer nachdenklichen Frau. Dennoch strahlt diese Szene insgesamt eine schwerelose Ruhe aus.

Tamar’s bewegende Erzählkraft und herausragende Sprachgestaltung fängt uns ein wie ein beschützender Mantel, der von Innen wärmt, noch bevor man merkt, dass ein bißchen von Janis und Sina auch in uns steckt.
Man ist ziemlich glücklich mit diesem Buch! Es hat mich gleichermaßen verwirrt und angezogen, erfrischt und berauscht, berührt und mitgerissen und vor allem irgendwie so beeindruckt, dass es schwer fällt, die richtigen Worte zu finden, die dieses Buch verdient!

Wer „Ava liebt noch“ oder Bücher von Caroline Wahl mag, dem empfehle ich Tamar Noort von Herzen! Danke für diese außergewöhnliche Aus-/LeseZeit!!

Bewertung vom 01.06.2025
Habeck, Emily

Shark Heart


ausgezeichnet

Die Verwandlung – eine andere Liebesgeschichte

Ein Pageturner! Es ist bemerkenswert, mit welcher Sogkraft uns Emily Habeck in die Geschichte um Lewis und Wren hineinzieht! Mit fast zärtlichen Beschreibungen auf den ersten Seiten stellt sie uns die beiden Protagonisten vor – im Verlauf der Verwandlung(en) lernen wir sie immer tiefer und eingehender kennen.
Lewis und Wren werden ein Paar und kurz darauf ein Ehepaar, in ihren Innersten sind sie gegensätzlich und grundverschieden, ihre Liebe ist jedoch mächtig und wird auf eine harte Probe gestellt, nachdem Lewis an sich Veränderungen bemerkt.
Lewis, Theaterschauspieler und Künstler im Herzen, Lehrer an einer Schule, weil das Drehbuchschreiben nur ein Traum bleibt, erfährt die absurde Diagnose von seinem Arzt, dass er gerade dabei ist, sich relativ schnell in einen weißen Hai zu verwandeln.
Wie kann er das seiner Frau Wren beibringen?
Wren - die klar strukturierte Perfektionistin, Finanzangestellte und die bezauberndste Frau seiner Träume!
Zunächst verfängt sich Lewis in Verdrängung gegen sich selbst und den Rest der Welt, dann in Lügen.
Bis der Moment der Enthüllung naht, der ihr Leben für immer verändern wird (Zitat S. 46).

Die nicht aufzuhaltende Metamorphose von Lewis’ Körper zum weißen Hai nimmt Raum ein und fokussiert sich auf Essen, Schmerz- und Gefahrenabwehr, sowie ihm das Leben so lebenswert wie möglich zu machen, da er seine menschlichen Gedanken zunächst überwiegend behält, und auch die Frage, wie Liebe und das Zusammenleben mit Wren irgendwie aufrecht erhalten werden kann. Während dieser Verwandlungsphase trifft Wren im Schwimmbad eine kleine schwangere Frau, die beiläufig erzählt, dass sie Zwillinge erwartet, jedoch Vogelkinder, die sich aus ihr herauspicken werden, während sie bei der Geburt wohl sterben kann.
Hauptbestandteil einer körperlichen Verwandlung war nicht Magie sondern Schmerz (Zitat).

Emily Habeck hat der Geschichte eine besondere Form gegeben, indem sie, neben einer großartigen Schreibweise, die Kapitel in Jetzt-Zeit und Vergangenheit unterteilt, in der Wrens’ schmerzlich-einsame Kindheit beleuchtet wird. Außerdem werden zwischendurch Szenen wie im Drehbuch aufbereitet, die klare, kurze Intensität widerspiegeln.
Im späteren Verlauf schwenkt die Szenerie in Angela’s Leben, Wren’s Mutter. Dadurch werden noch tiefere Verschürfungen und Seelenzustände klarer, die im ersten Moment die Frage aufkommen lassen, warum jetzt Angela’s Geschichte? Was dann aber zu überraschenden Wendungen führt!

Diese völlig irrealen Gegebenheiten der Mutationen vom Mensch zum Tier sind in Shark Heart so wahrhaftig real erzählt, dass sie nichts Befremdliches an sich haben. Im Gegenteil erzeugt die Geschichte Metaphern, in die man Ängste, Verluste und Flucht hineininterpretieren oder sie mit allgemeinen Lebensveränderungen und Schicksalen oder Krankheiten vergleichen kann, es ist auf so vieles übertragbar – das Leben eben! Die Frage des Klappentextes, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, schneidet dabei tief in die Seele und hallt lange nach. Auch ein Taschentuch darf die Lesezeit gern begleiten, denn die Erlebnisse gehen stellenweise sehr nahe!

Der mit Blumen gefüllte Hai auf dem Cover mit schwarzem Hintergrund paßt nach Lesen der Lektüre erstaunlich gut zum Inhalt. Beim ersten Betrachten ist es ein Hingucker, der sicher in viele Hände fallen wird.
Ich bin positiv überrascht von diesem sehr eindrucksvollen Roman!

Bewertung vom 25.05.2025
Peters, Amanda

Beeren pflücken


ausgezeichnet

Geschichte nicht so intensiv wie die Blaubeeren auf dem Cover

Die vierjährige Ruthie und ihre Familie verbringen ihre Sommer regelmäßig mit Blaubeeren pflücken in Maine, als Ruthie eines Tages spurlos verschwindet und das Leben ihrer Familie dadurch zerstört wird.
Rückblickend betrachtet erzählt Joe, ihr Bruder, die Geschichte aus seinem Erleben heraus während er auf dem Sterbebett die Gedanken endlich losläßt.

Ruthie dagegen verkörpert in Norma ein Mädchen, dass bei Eltern groß wird, bei denen sie sich zunehmend unwohl fühlt. Sie beginnt das Warum zu hinterfragen, bekommt aber keine Antworten… Gequält durch Träume, in denen immer wieder eine andere Frau als ihre Mutter auftaucht und Flashback-Erinnerungen an früheste Kindheit aufblitzen lassen, die nicht mit Fotos oder Geschichten „ihrer“ Eltern zusammenpassen, lassen Norma keine Ruhe.
Spannend, dass Norma eine fiktive Seelenfreundin namens Ruthie hat…
Auch ihre dunklere Hautfarbe wirft Fragen auf und läßt Zugehörigkeit schwinden.

Joe’s Geschichte empfinde ich als etwas zu langatmig und irgendwie ereignislos dargestellt, während ich die Kapitel um Norma alias Ruthie verschlungen habe.
Die Geschichte um das indigene Volk der Mi’kmaq, denen Joe und Ruthie angehören, ist eher mager eingearbeitet.
Das Ende geht einem zu Herzen, jedoch entwickelt es sich auf wenigen Seiten viel zu schnell und läßt wenig Raum zum Atmen.
Man hätte sicher etwas mehr aus allen Protagonisten herausholen können, das Potential dazu hat die Geschichte jedenfalls!

Der Roman hat mich nicht wirklich intensiv berührt.
Dafür ist das Cover appetitlich und hat mich erste leckere, knackig-süße Blaubeeren als Begleitung zur Lektüre naschen lassen!