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kaffeeelse
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psychologiebegeiste und Ethnographie liebende Vielleserin

Bewertungen

Insgesamt 86 Bewertungen
Bewertung vom 10.06.2025
Mishani, Dror

Fenster ohne Aussicht


ausgezeichnet

Mutige Sichten

Der 7. Oktober 2023. Wohl ein genauso ein in unserem Hirn festsitzendes Datum wie der 11. September 2001. Ein furchtbarer Tag! Und wenn dieser Tag schon für jeden von uns außerhalb von Israel ein furchtbarer Tag ist, wie wird es dann wohl den Israelis gehen? Dror Mishani gibt hier seine Sicht der Dinge wieder. Was ich sehr mutig finde! Denn Dror Mishanis Sicht trifft mitnichten die Sichten der dortigen Machthaber. Netanjahu und Konsorten werden da wohl andere Gedanken zu diesem Tag haben, wie man ihrem Tun unschwer anmerkt. Aber so ist das eben, so denkt halt ein pazifistischer und empathischer Mensch. Und diese Gedanken in einem Buch zu verfassen, rechne ich Dror Mishani hoch an. Denn seine Gedanken werden Netanjahu und seinen Parteifreunden in der Likud nicht gefallen. Zu was diese Likud in der Lage ist, wage ich mir nicht auszumalen. Denn schon ihr Tun in Gaza verrät viel über die Geisteshaltung dieser Partei. Denn ob dieser Partei das Leben der israelischen Geiseln in Gaza in irgendeiner Form am Herzen liegt, nun, ich wage das zu bezweifeln.

Dror Mishani beschreibt in seinem Buch „Fenster ohne Aussicht“ was so ein Terrorakt in einem Land anrichten kann, beschreibt dieses Danach. Diese Zeit danach. Nun hat Israel schon immer mit dem Terror zu kämpfen, immer wieder gab es in der Vergangenheit Terrorakte mit menschlichen Opfern. Und auch wenn so etwas nicht normal werden sollte, in irgendeiner Form wird es das aber. Denn ein Mensch wird nicht immer in dieser Habacht-Stellung verharren können. Irgendwann wird man abgeklärter, man nimmt hin was nicht zu verändern ist und lebt, lebt weiter. Doch dieser 7. Oktober 2023 hat hier etwas verändert. Klar bedingt dieses furchtbare Geschehen Antworten. Und auch kriegerische Antworten. Durchaus. Aber meiner Meinung nach werden hier Grenzen überschritten. Denn was soll dieses Tun in Gaza verändern? Soll dieser Krieg die Hamas vernichten oder werden nicht durch dieses anhaltende Töten weitere Gefolgsleute der Hamas generiert? Wann ist die Hamas vernichtet? Wenn kein Palästinenser mehr in Gaza lebt. Ist dies nicht ein weiterer Terrorakt, der dem schändlichen Tun am 7. Oktober 2023 in nichts nachsteht?

Dror Mishani richtet in seinem Buch das Augenmerk auf das Leben von sich und seiner Familie. Richtet sein Augenmerk auf die Veränderungen, die ihm und seiner Familie passieren. Dieser Terror generiert Angst und Angst lähmt. Angst beeinträchtigt. Angst verändert. Denn wenn so etwas Furchtbares einfach so passieren kann, kann es wieder passieren. An anderen Orten, zu weiteren Daten. Passiert es dann mir? Fragen, die sich die Israelis unweigerlich gestellt haben. Doch was macht so etwas mit den Menschen? Wer genau dies erfahren möchte, sollte zu „Fenster ohne Aussicht“ greifen. Ob nun jeder zu den Antworten von Dror Mishani gelangt, nun, ich wage dies zu bezweifeln. Aber eine Gesellschaft kommt nun einmal ohne kriegerische Aktivitäten weiter, denn diese kriegerischen Aktivitäten bündeln jede Menge Menschen. Menschen, die in anderen Zweigen des Landes deutlich besser und effektiver aufgehoben wären. Nur wenn dieses unsägliche Leid endlich aufhört, zieht wieder so etwas wie Normalität in Israel ein. Ein normales Leben! Und genau darauf sollte jeder auf dieser Welt seine Aufmerksamkeit richten, auf ein normales Leben! Auf den Frieden!

Lesen!

Bewertung vom 10.06.2025
Mengeler, Thea

Nach den Fähren


sehr gut

Neuanfang

Das Buch „Nach den Fähren“ von Thea Mengeler handelt auf einer Urlaubsinsel. Nein, es handelt auf einer ehemaligen Urlaubsinsel. Denn die Urlauber kommen nicht mehr. Warum sie nicht mehr kommen, bleibt unklar. Dennoch eröffnet eben dieses Fehlen der Urlauber eine etwas dystopisch anmutende Welt. Der Lebenszweck eben jener Insel und ihrer Bewohner fehlt plötzlich. Doch welcher Bewohner? Denn mit den Urlaubern verschwinden natürlich auch die Einnahmen und so hat sich ein Großteil der ehemaligen Bewohner auch davon gemacht. Nur ein paar der einstigen Bewohner blieben zurück und warten. Auf die Fähren. Auf die Urlauber.

Doch in dem Warten sortieren eben jene Bewohner ihr Leben neu. Denn was brauchen sie wirklich? Die Urlauber? Die volle Insel? Die Unannehmlichkeiten, die eben jene Urlauber über die idyllische Insel bringen? Das Geld der Urlauber? Oder brauchen sie etwas völlig anderes? Etwas, was ihnen in der turbulenten Zeit mit den Urlaubern abhandengekommen ist? Etwas, was sie erst jetzt in der Ruhe und der Abgeschiedenheit ihrer eigenen Insel wiederfinden. Sich selbst. Und ihr eigenes Miteinander.

Auf dieser Insel passiert viel und auch eigentlich nichts. Bis dann eben doch etwas passiert und ein Mädchen namens Ada auftaucht. Sie zieht in den Sommerpalast ein und wirbelt die Bewohner der Insel etwas auf. Besonders das Leben des Hausmeisters. Ein Mann, der sich in der Zeit der Urlauber schon um jenen Sommerpalast gekümmert hat und dies auch noch nach deren Wegbleiben macht. Ada taucht auf und Ada stellt Fragen. Fragen, die Antworten verlangen. Und eben jene Antworten verändern die jetzigen Bewohner der Insel. Ada verschwindet so mysteriös wie sie gekommen ist, nur die Kraft der Veränderung bleibt.

Thea Mengeler hat in ihrem Buch „Nach den Fähren“ nur der Figur der Ada einen Namen gegeben, alle anderen Figuren werden nach ihrer Funktion auf der Insel benannt. Aber genauso könnte man nach der Funktion der Ada fragen. Ada ist die Veränderung, Ada ist das, was den Bewohnern der Insel die Veränderung bringt, obwohl sie nicht allen Bewohnern der Insel körperlich erscheint. Dies passiert nur dem Hausmeister und dieser wiederum gibt eben jene Veränderung an die anderen Bewohner der Insel weiter.

Eine Gesellschaft in einer Veränderung. Was passiert danach? Verharrt man in der Situation und sehnt man sich nach der Wiederkehr der alten Verhältnisse? Oder besinnt man sich nach einem Neuanfang. Macht aus dem Gegebenen etwas Neues, etwas Gutes. Eigentlich besitzen wir Menschen diese positive Kraft. Doch braucht man den Anstoß, eben jene Ada. Wer wird die Ada für uns sein? Denn dass wir uns in Veränderungsprozessen befinden, dürfte immer klarer sein. Machen wir die Insel zu, dass eben keine Ada zu uns durchkommt? Oder erwarten wir diese Ada und werden zu Machern. Machern unserer neuen Welt?!?!

Bewertung vom 10.06.2025
Kieser, Luca

Weil da war etwas im Wasser


gut

Monsterschau

Ein Riesenkalmar ist hier der Hauptprotagonist. Bzw. eine Riesenkalmarin. Und ihre zehn Arme. Bei Riesenkalmaren und auch anderen Kopffüßern ist bekannt, dass die Arme über eigene neuronale Zentren verfügen, die teilweise durchaus als Gehirn betitelt werden. Dadurch sind diese Tiere hochintelligent. Was in verschiedenen Versuchen mit ihnen gut zu beobachten ist. Luca Kieser nutzt dieses Wissen, diese Thesen um den Armen der Riesenkalmarin Stimmen zu verleihen. Und so berichten die Arme der Kalmarin in diesem Buch. Und diese Arme bekommen Namen und so sprechen eben der Hehre Arm, der Halbe Arm, der Andere Tentakel usw.. Eine richtig gute Idee wie ich finde. Was mir weiterhin sehr an „Weil da war etwas im Wasser“ gefallen hat, war die recht laute Kritik am Tun des am weitesten auf der Erde verbreiteten und in seinem Tun den bisher größten Schaden anrichtenden Raubtiers auf der Erde, dem Menschen. Eine immer mehr den Zeitgeist treffende Thematik! Nur leider findet sie in den Machtzentren der Erde zu wenig Gehör. Von daher sind solche Bücher wie „Weil da war etwas im Wasser“ auch ungemein wichtig und richtig. Mich hat diese Gestaltung über diese Blicke dar Arme der Kalmarin sehr begeistert.

Weiterhin in dem Buch relevant sind natürlich auch menschliche Stimmen, wie etwa Sanja, die auf einem Trawler der Fischfangindustrie arbeitet oder Dagmar, die in der Antarktis stationiert ist. Es kommen dann immer weitere Personen der Familien Sanz/Sanchez dazu, die einen zeitlich weit gefächerten Blick ermöglichen und darin enthaltene kulturgeschichtliche Aspekte der Leserschaft eröffnen, die sich thematisch um die Monster der ozeanischen Welten drehen. So befasst sich das Buch unter anderem mit der Welt des Jules Verne, der cineastischen Blicke auf die Tiere des Wassers bis zum legendären und unterirdischen „Der weiße Hai“. Doch die Monster, die hier gezeichnet wurden, sind sie wirklich diese Monster? Oder ist das wahre Monster nicht doch der Homo Sapiens?

Nun ist dieser Blick rein informativ ein wirklicher Segen. Doch erzählerisch wird mir dies dann doch alles leider etwas zu viel des Guten. Denn irgendwie empfand ich diese ganze Menge an Informationen und vor allem diese Menge an Personen den Erzählfaden des Buches zerreißend und für mich schmälert dies den Lesegenuss leider entscheidend. Nun könnte man sagen, dass genau das zur Grundaussage des Buches unbedingt benötigt wird, was ja auch so ist. Aber dennoch hat dies mein Leseerlebnis irgendwann deutlich vermindert und mir das anfänglich vorhandene Vergnügen an der Geschichte geraubt. Was schade ist. Sehr schade. Denn ich wollte dieses Buch lieben. Passt es doch thematisch voll in meinen Lesegeschmack und trifft es doch auch völlig mein Meinungsbild!

Bewertung vom 10.06.2025
Kames, Maren

Hasenprosa


sehr gut

Hasenwissen

„Hasenprosa“ Ein interessantes Buch. Experimentell. Eigenwillig. Künstlerisch. Sprachgewaltige Bilder einer Schau nach innen und außen innerhalb einer skurrilen Interaktion mit einem Hasen. Ein Gespräch mit einem Hasen. Ja. Richtig gelesen. Wie man auf so etwas kommt. Keine Ahnung. Hat es mir gefallen. Ja. Irgendwie schon. Durch das Experimentelle. Das etwas Punkige. Das Wilde. Das Ungeschliffene. Dann aber auch wieder poetisch. Mit den Worten spielend. Teilweise sprachlich sehr schön. In dieser Mischung einzigartig und genial.

Inhaltlich bin ich dagegen etwas zwiegespalten. Natürlich präsentiert „Hasenprosa“ auch Blicke auf die Erzählerin und deren Familie. Aber diese Blicke sind ungeordnet und sporadisch. Sie erscheinen immer wieder. Diese Blicke nach innen. Werden aber irgendwie nicht auserzählt. Sind traumhaft. Schemenhaft. Deuten eine Auseinandersetzung an. Aber formulieren diese Auseinandersetzung nicht vollkommen aus. So dass alles etwas sequenziell bleibt. Doch auch dies hat seinen Zauber.

Zwischen diesen Blicken nach Innen gibt es die vielen Blicke nach Außen auf dieser Reise durch Raum und Zeit mit dem Hasen. Informationen tauchen auf. Machen neugierig. Erhellen. Aber verwirren auch etwas. Wie kommt man zu so einer Zusammensetzung von nicht immer völlig zusammenpassenden Dingen. Informationen zu Kunst, Kultur und Wissenschaft und dann wieder diese Blicke nach Innen. Ein Hin und ein Her. Springend. Galoppierend. Und rasant.

Garniert mit den Gesprächen mit dem Hasen, der einen recht eigenen Humor aufweist. Eine recht eigenwillige Konversation, die damit aber klug diese Blicke nach innen und außen garniert und untermalt. Diese Reise durch Raum und Zeit mit diesem Hasen und beginnend mit den Worten »Wenn das alles gewesen ist, ziehe ich aus!«, ruft da eine und macht sich in ihren Meilenstiefeln, ihren Reisesocken davon, könnte als ein gewisses Ausklinken verstanden werden, ein Revoltieren gegen das Starre, in dem es dieses Starre durch eine aus dem Raum und der Zeit gefallenen und etwas punkigen Geschichte karikiert und mit diesen Blicken nach innen und außen garniert.

Vor allem ist aber diese Idee der Konversation mit dem Hasen, der Reise durch Raum und Zeit ein gewagtes und absolut interessantes Lese- und Schreib-Experiment, dass meiner Meinung nach völlig zurecht gewürdigt gehört.

„Hasenprosa“ ist kein Buch, welches eine laufende Geschichte erzählt, macht damit die Lektüre nicht ganz so einfach, wenn man sich aber darauf einlassen kann, wird man mit dieser doch recht experimentellen und auch sprachgewaltig-poetischen Schreibe der Maren Kames belohnt.

Bewertung vom 10.06.2025
Ammaniti, Niccolò

Intimleben


ausgezeichnet

Scheinbare Idylle

Maria Cristina Palma ist schön, reich und berühmt. Sie ist die Frau des italienischen Ministerpräsidenten Domenico Mascagni. Eine Frau an der Spitze Italiens. Italien bewundert sie, verehrt sie. Und Italien beobachtet sie. Nun ja. Die Vorstellung, dass man es geschafft hat, wenn man an der Spitze der Nahrungskette angekommen ist. Sie trügt. Denn natürlich hat die Macht auch Schattenseiten. Denn wer oben ist möchte auch oben bleiben. Und dies geschieht natürlich nicht ohne Folgen.

Niccolò Ammaniti beobachtet hier scharfzüngig und humorvoll, was es bedeuten könnte mit der Macht zu klüngeln. Denn ist Maria Cristina glücklich? Nun mag das Glücklichsein nicht unbedingt und ausschließlich mit dem Thema Macht und Geld verbunden sein. Aber wenn man ehrlich ist, hilft es nun einmal wenn man finanziell sorgenbefreit ist. Doch das finanziell sorgenbefreite Leben garantiert nun mal nicht allein das Glück. Und dies weiß Maria Cristina. Denn ist sie glücklich mit ihrem Mann? Ist sie glücklich in ihrem außergewöhnlichen Leben. Denn dieses Leben beinhaltet keine Ungestörtheit, um sie herum ist immer ein Gefolge. Und ihre Ehe. Nun. Diese ist ebenso in die Jahre gekommen und durch die Politik erkaltet. Denn die Politik, der Machterhalt bestimmt das Leben von Domenico und damit auch das Leben von Maria Cristina.

Und in diese schon allein recht brisante Gemengelage klopft nun die Vergangenheit an. In Gestalt von Nicola Sarti. Einem smarten Jugendfreund, mit dem Maria Cristina an ihr Leben vor dem Glamour und vor der Enge, die das Leben als Frau des Ministerpräsidenten so mit sich bringt, erinnert wird. Und damals war Maria Cristina eine Andere, lebenslustig, frech und recht unbedarft. Und dieses Unbedarfte zeigt sich in einem Video, welches Nicola ihr schickt. Ein sehr eindeutiges Video, in dem Maria Cristina und Nicola die lustvollen Hauptrollen spielen. Ein Schock für Maria Cristina. Denn was soll dieses Video für sie und ihren Mann bedeuten? Was will Nicola? Soll das eine Erpressung sein? Maria Cristina verfällt in eine Panik, hat Angst, aber andererseits führt ihr dies alles auch ihre jetzige Lage vor, ihre doch recht unglückliche Situation.

Niccolò Ammaniti blickt mit seinem Buch „Intimleben“ in die italienische Gesellschaft, aber ebenso in unsere gesamte westliche Welt des Scheins. Man möchte der Umwelt ein Sein präsentieren, was der Umwelt zeigt, schaut her ich bin glücklich und mir geht es sehr gut. Doch wenn man dann die Masken fallen lässt, die Verkleidungen enthüllt, was bleibt dann? Und was ist letztendlich wichtig im Leben. Nun ja, dies ist jetzt nicht die allerneuste These. Aber Niccolò Ammaniti erzählt diese These leicht und mitreißend, und auch recht humorvoll. „Intimleben“ ist ein sehr schönes, mit bösem Humor durchsetztes kluges Buch über unsere Scheinwelten, die ja nicht nur in der Haute Volée bestehen, sondern überall zu finden sind.

Lesen!

Bewertung vom 10.06.2025
Gibson, Marion

Hexen


ausgezeichnet

Hexenmacht und die Angst davor

Marion Gibson schaut hier in diesem wirklich gut recherchierten Buch auf das Thema Hexen. Ein mich seit Jahren umtreibendes Thema. Denn wie geht so etwas? Gut, das mag vielleicht etwas naiv klingen. Denn der Mensch ist halt der Mensch. Dann kommt noch der patriarchal tickende Mensch hinzu. Und naja. Frauen mit Macht. Dies geht nun mal gar nicht. Und bei uns in Deutschland, Gefilden, in denen die Hexenprozesse sehr massiv wüteten, waren die Hexenjäger recht agil. Schätzungen besagen, dass es allein in Deutschland 40000 Hexenverbrennungen von 1450 bis 1750 gab, das ist mehr als die Hälfte der Hexenverbrennungen in Gesamteuropa. Und dies spricht nicht unbedingt für uns als Gesellschaft. Nun könnte man sagen, dies war damals. Doch ist dies wirklich nur auf das Damals zu beziehen? Frauen mit Macht. Frauen in Machtpositionen. Wo sind sie bei uns zu finden in Zeiten der Frauenquoten? Und wenn sie denn mal in Machtpositionen angekommen sind. Was passiert dann? Man schaue mal auf unsere ehemalige Kanzlerin. Wie ist über sie geredet worden? Was war damals ihr Erscheinungsbild wichtig? Als ob dies irgendetwas über ihre Fähigkeiten aussagt. Oder haben wir schon einmal gelesen, dass es wichtig wäre, wie unser jetziger Kanzler auftritt, was er angezogen hat. Übrigens auch jemand, der damals an Angies Macht kratzte, sägte. Wie so viele andere. Wie reden bestimmte Kreise noch heute über sie? Wie wird über Frau Baerbock und Frau Lang gehetzt? In teilweise sehr beschämender Weise! Und was passiert? Nichts. Über Frau Merkel sagte damals ein führender Politiker der unsäglichen Blauen, Wir müssen Sie jagen. Und. Was passierte? Nichts. So etwas darf man anscheinend sagen. Nun ist das keine Hexenverbrennung, aber vergleichbar ist es dennoch. Denn Frauen in Machtpositionen sehen patriarchale Kräfte nicht so gern und versuchen gegen sie vorzugehen.

Marion Gibson schaut in ihrem Buch „Hexen“ auf 13 Hexenprozesse, angesiedelt vom Mittelalter bis in die heutige Zeit und sie zeigt damit, dass eben jene Hexenverfolgung des Mittelalters nicht aufgehört hat, sich nur verändert hat. Marion Gibson schaut auf die Opfer, gibt ihnen Gesichter und verleiht ihnen ihre Stimme. Sie schaut auf die Gründe, auf diese unsägliche Machtgier, auf den Kolonialismus, auf die Angst vor nicht passender und/oder indigener Spiritualität, auf politische Verschwörungen. Sie schaut auf das Damals, aber eben nicht nur, denn über dieses Damals gibt es Überschneidungen ins Jetzt. Man sollte niemals glauben, dass es Hexenverfolgungen nicht mehr gibt. Sie enden halt nur nicht auf dem Scheiterhaufen. Denn mundtot gemacht werden funktioniert in recht vielfältiger Weise. Das Patriarchat ist da recht erfinderisch und wird sich niemals ohne kämpferische Aktivitäten die Macht nehmen lassen. Man braucht nur in die heutige politische Landschaft zu schauen und dann findet man sie, unsere heutigen Hexenverfolgungen. Unsere heutigen Diffamierungen an den Menschen, die an der patriarchalen Macht sägen. Dies trifft nicht nur Frauen. Siehe Habeck. Denn das Patriarchat hat auch mediale Verflechtungen und die Springer Presse agiert hier recht fleißig. Und diese Presse hat eine immense Reichweite, wie uns auch diese beschämende Covid-Zeit zeigte. Noch heute befinden wir uns in den Folgen dieser Hetzwelle, die damals und heute auf viele offene Ohren stieß und auch diese Zeit hat viele Hexenverfolgungen gezeigt.

Also Obacht, denn auch heute gibt es dieses Verfolgen von Personen, die dem ach so heiligen Patriarchat gefährlich werden können. Die Angst vor dem Machtverlust gebiert fürchterliche Dinge!!!

Marion Gibsons Buch „Hexen“ kann ich nur empfehlen, denn es schaut recht weit gefächert und sehr gut recherchiert auf das Damals und das Jetzt der Hexenverfolgungen. Ein wirklich erhellendes Buch!!!

Bewertung vom 10.06.2025
Levy, Deborah

Heim schwimmen


ausgezeichnet

Urlaubspläne und deren extravagante Umsetzung

Urlaub. Was für ein schönes Wort! Ausruhen. Entspannen. Relaxen. Auftanken.

Herrlich, nicht!?!?

Aber geht dies eigentlich wirklich?

Der Frage geht Deborah Levy in ihrem Buch „Heim schwimmen“ nach. Eine Gruppe von Menschen macht in einer Villa bei Nizza Urlaub. Sie kommen aus London und wollen in dieser inspirierenden französischen Welt am Mittelmeer, in flirrender Hitze, inmitten von Lavendelfeldern entspannen. Doch geht das so einfach, denn man nimmt ja das eigene Leben, das eigene Erleben mit in den Urlaub. Man nimmt die familiären Zwiste mit und wie hier, denn diese Urlauber sind zwei befreundete Familien, man nimmt auch die Probleme der Freunde untereinander mit. Denn obwohl man familiär und freundschaftlich verbandelt ist, es gibt auch das Dunkle innerhalb des menschlichen Miteinanders. Und so finden das Ehepaar Josef und Isabel Jacobs, ihre Tochter Nina und das befreundete Paar, Mitchell und Laura ihren wohlverdienten Urlaub. Und sie finden nicht nur diesen, nicht nur die notwendige Erholung.

In diese schon allein recht gefährliche Gemengelage trifft noch Kitty Finch. Eine junge Frau, die Probleme mit ihrer Unterkunft hat und deswegen ebenso in der Villa Unterschlupf findet, der ihr von den Mietern der Villa gewährt wird.

Ein Zufall. Ja. Nein. Vielleicht.

Deborah Levy hatte mich schon mit ihrem Buch „Heiße Milch“ richtig begeistert und dies schafft sie hier bei „Heim schwimmen“ wieder. Ihre Zeichnung der Charaktere, diese Zeichnung des menschlichen Miteinanders ist fulminant und zeigt eine besondere Beobachtungsgabe der Autorin und ebenso zeigen die Bücher von Deborah Levy auch eindrucksvoll, dass sie eben das Beobachtete menschliche Miteinander auch authentisch und spannend, sinnlich, lebendig und anschaulich in Romanform umsetzen kann. Alles bisher von dieser Autorin Gelesene empfehle ich uneingeschränkt. Also los Leute, ran an die Bücher von Deborah Levy.

Bewertung vom 10.06.2025
Dolovai, Verena

Dorf ohne Franz


sehr gut

Ein Blick auf weibliches Leben

Maria, Josef und Franz wachsen in den 60er Jahren in einem österreichischen Dorf in den Bergen auf. Ihre Familie ist patriarchal geprägt, der Vater ist autoritär, gegen ihn lehnt sich niemand in der Familie auf. Nun könnte man meinen, dass die Struktur des dörflichen Lebens das Althergebrachte fördert und das Leben der drei Geschwister auch auf die Umgebung anwendbar wäre. Aber dies ist eindeutig zu einfach gedacht und diesen Fehler macht die Autorin Verena Dolovai nicht. Denn Freundinnen von Maria schaffen den Absprung aus der engen dörflichen Welt in die weitere Welt der Stadt. Nur Maria schafft dies nicht. Denn sie wird schon von früh an in ihre spätere Lebenswelt gedrängt. Sie ist das Sandwich-Kind der Familie, sie ist eine Frau, also wird sie nichts erben, aber sie darf von früh an sehr viel arbeiten, Ausbildung ist auch nicht so wichtig, aber ihre Arbeitskraft auf dem eigenen Hof. Und diese Strukturen bedient halt leider die Mutter von Maria genauso. Was traurig ist! Sehr traurig! Denn wie sollen sich die althergebrachten patriarchalen Strukturen verändern, wenn diese selbst von dem benachteiligten Geschlecht gefördert werden!?!?

Als Einziger in der Familie schafft es Franz als das Nesthäkchen der Familie, als der geliebte Sohn der Mutter der familiären Struktur und Gewalt zu entkommen und er ermöglicht dadurch erst dieses Dorf ohne Franz. Maria bemerkt erst relativ spät die Ursache dieser Flucht von Franz, wobei hier der Neid sicher auch eine Rolle spielt und das Hadern mit der eigenen Rolle und das bildungsferne Leben.

Nun ist das Erzählte sehr traurig, aber es macht mich auch wütend. Denn solche Strukturen machen ja alle Beteiligten erst möglich. Ja. Alle Beteiligten! Die Frauen in der Familie und die Frauen der Umgebung. Die Männer auch. Aber bekanntlich nutzt ihnen dieses Procedere auch mehr. In der Vergangenheit, aber manchmal auch im Jetzt.

Man weiß ja bei der Lektüre des Buches, wann und wo das Geschehen spielt. Aber das Geschilderte ließe sich auch unproblematisch auf frühere Zeiten implizieren. Also ist in manchen Gefilden, in manchen Familien die Vergangenheit sehr aktiv und man wähnt sich als feministisch eingestellte Leserin auf einem fremden Planeten. Schlimm!

Dennoch ließ mich das Buch auch etwas kalt, denn die Charakterzeichnung der Maria wirkt recht kühl gezeichnet. Jeder, der mich und meine Sichten auf die buchige Welt kennt, wird wissen, dass da etwas für mich fehlt. Deswegen auch meine 4 Sterne Bewertung. Denn die Thematik trifft mich natürlich vollkommen! Aber die Charaktere tun dies nicht, sie lassen mich relativ kalt und ich schaue aus einer gewissen Distanz.

Bewertung vom 10.06.2025
Erdrich, Louise

Spuren


ausgezeichnet

Ein Blick auf das indigene Gestern

Die Lebenswelt der Indigenen in Amerika Anfang des vorigen Jahrhunderts. Louise Erdrich gibt in ihren Büchern gute Überblicke über das Geschehen in den Indigenen-Gemeinschaften in der damaligen Zeit. Von dieser wunderbaren Autorin kenne ich schon „Der Klang der Trommel“, „Von Büchern und Inseln“, „Die Wunder von Little No Horse“, „Liebeszauber“ und „Die Rübenkönigin“. Und ich liebe diese Blicke in eine fremde Welt, ich liebe den Magischen Realismus in den Texten. Louise Erdrich hat selbst indigene Wurzeln in der mütterlichen Linie, ihre Familie war im Kontakt mit den Indigenen der USA, von daher hatte sie von früh an Einblicke in die indigenen Lebenswelten. Und genau dies merkt man den Büchern der Autorin an. Seit meinem ersten gelesenen Buch von Louise Erdrich, „Der Klang der Trommel“ bin ich begeistert von dieser Autorin. Ich hatte mir nach der Lektüre von „Die Wunder von Little No Horse“ vorgenommen, die Bücher der Erdrich in der Reihenfolge ihres Erscheinens in den USA zu lesen. Denn in den Büchern erscheinen Figuren aus den älteren Romanen wieder. Die Bücher sind nicht unbedingt in chronologischer Reihenfolge geschrieben. Dennoch finde ich es gut das Leben dieser Charaktere in der USA-Reihenfolge zu betrachten. „Liebeszauber“ und „Die Rübenkönigin“ sind die ersten beiden Romane von Louise Erdrich, „Liebeszauber“ ist in den USA 1984 erschienen und „Die Rübenkönigin“ im Jahre 1986. „Spuren“ ist das dritte Buch von Louise Erdrich, in den USA wurde es 1988 herausgebracht. Ich finde es sehr gut, dass es in den USA auch Bestrebungen gibt, das Augenmerk auf das Erleben der Indigenen zu richten. Seit dem Erscheinen des Films „Little Big Man“ von Arthur Penn im Jahre 1970 scheint sich in den USA da etwas zu verändern. Dass einer indigenen Autorin ein Podium geboten wird, ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Dass Louise Erdrich natürlich mit ihren Romanen auch ihre schriftstellerische Stärke zeigt, trägt natürlich auch zu ihren Erfolgen bei.

In den bisherigen Romanen spielten Menschen der Familien Kashpaw, Lamartine, Lazarre, Nanapush, Morrissey, Pillager und Adare eine bedeutende Rolle. Und genau diese Familien, ihre Charaktere, besonders die indigenen Familien spielen auch in „Spuren“ eine tragende Rolle. Was passierte mit den Indigenen Anfang des vorigen Jahrhunderts in den USA. Beispielhaft dafür stehen hier die Chippewa in North Dakota, genau das Volk, dem auch die Vorfahren der Autorin Louise Erdrich und auch die Autorin selbst entstammen. Die Chippewa waren früher auch unter dem Namen Ojibwa bekannt und sind ein Volk, welches sich früher als Wildreis-Ernter, Jäger, Fischer und in einem kleinen Umfang auch Gartenbauer ernährte. Der große Bezug zur Natur müsste bei dieser Lebensweise völlig nachvollziehbar sein, besonders wenn man hier noch bedenkt wie lebensfeindlich ihre Umwelt in den US-amerikanischen Bundesstaaten North Dakota, Minnesota, Wisconsin, Michigan und den kanadischen Provinzen Manitoba und Ontario sein kann, dem einstigen Wohngebiet der Chippewa (Saulteaux) und Chippewa (Ojibwa).

Louise Erdrichs Bücher zeigen eine andere Welt, andere Sichten aufs Leben und besonders zeigen sie charismatische Charaktere, die die Erdrich sofort in das geneigte Herz der Leser schreibt.

Und so kann ich natürlich nur rufen:

Lesen!!!

Bewertung vom 10.06.2025
Beer, Elisabeth

Die Bücherjägerin


ausgezeichnet

Eine Ode an Sarah

Sarah ist der Hauptcharakter in dem Buch „Die Bücherjägerin“ von Elisabeth Beer. Sarah ist ebenjene Bücherjägerin. Damit ist Sarah eine von uns. Sarah mag Bücher, mag sie sehr! Weniger mag sie Menschen. Sie ist schrullig und sie ist liebenswert. Sehr liebenswert!

Sarah wurde mit ihrer Schwester Milena von ihrer Tante Amalia großgezogen, da die Eltern der beiden Schwestern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen. Sarah war damals 9 Jahre alt und Milena war siebenjährig. Ein Drama für zarte Kinderherzen. Und ein Trauma. Dieser Wechsel aus dem streng und hierarchisch und auch etwas lieblos aufgebauten Elternhaus zu einer locker und allein lebenden Frau, kombiniert mit dem erlittenen Verlust macht natürlich etwas mit den Mädchen. Dennoch gleichen sich die beiden Mädchen in einem wichtigen Aspekt nicht. Sarah trägt autistische Züge, hat Probleme die Signale ihrer menschlichen Umwelt richtig zu deuten, eckt mit ihrer Art an und flüchtet sich in eine bibliophile Welt. Amalia entdeckt diese Wesenszüge von Sarah und fördert das Mädchen dementsprechend. Amalia ist Antiquitätenhändlerin und bibliophil, führt Sarah in ihre Welt hinein. So findet Sarah für sich einen Lebenszweck. Bis zum Tod von Amalia. Wieder bricht eine Welt ein. Da Amalia nicht so eine perfekte Organisatorin war, hängt die Zukunft von Sarah an einem seidenen Faden, Schulden häufen sich auf. Die Ankunft von Bibliothekar Ben in Sarahs Welt bringt eine Veränderung. Er sucht eine alte Karte, an der schon ihre Tante Amalia interessiert war, erst blockt Sarah ab, aber ihre etwas prekäre Lage lässt sie dann in eine Aktion kommen. Ben und Sarah machen sich gemeinsam auf die Suche nach der alten Karte und finden gemeinsam so Vieles.

Die Suche nach dieser Karte macht aus diesem Buch eine Art Abenteuerroman, der aber gespickt ist von Rückblicken auf Amalias und Sarahs Leben. Sarahs Wesen inspiriert wiederum Ben und in Bens Wesen gibt es viele Gleichnisse zu Sarah. Gemeinsamkeiten verbinden halt auch irgendwie. Dieses Miteinander der beiden Charaktere habe ich sehr geliebt!

Ansonsten bezaubert das Buch „Die Bücherjägerin“ durch das Bibliophile im Text, durch die vielen Verweise auf Bücher, durch das darin enthaltene neugierig machen, durch das Hinführen zum Buch, durch die lockere und humorvolle Schreibe

Aber am meisten hat mich aber der Charakter Sarah berührt! Wegen so einiger Gemeinsamkeiten, wegen ihrer Art, ich bin so dermaßen Team Sarah! Love it!

Lesen!!!