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kaffeeelse
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psychologiebegeiste und Ethnographie liebende Vielleserin

Bewertungen

Insgesamt 62 Bewertungen
Bewertung vom 23.03.2025
Die Influencerin
Russ, Rebecca

Die Influencerin


gut

Rehlein meets Instagramerin

Die Influencerin Sarah Rode verliert mit einem Male alles, was ihr Leben bisher ausgemacht hat. Eine Followerin der Lifestyle Influencerin ist gestorben und die Social Media Welt gibt Sarah Rode die Schuld. Ein Shitstorm überrollt sie. Daraufhin zieht sie sich aus der Social Media Welt zurück. Doch der Hass verfolgt sie aus dem Netz ins reale Leben. Und ihre Welt wird damit noch kleiner, noch bedrohlicher.

Das klingt doch nach einem interessanten Plot. Dachte ich mir so.

Doch dieser Charakter Sarah Rode stellt mich auf eine harte Geduldsprobe. Denn dieser Charakter hat wirklich ein hohes Nervpotenzial. Unter einer Influencerin mit Fotostrecken auf Instagram, die für Livestyleprodukte wirbt und auch sich selbst ins Rampenlicht stellt, stelle ich mir schon ein gestandenes Frauenzimmer mit einer gehörigen Menge Power vor. Denn ein kleines huscheliges Mäuschen wird dies meiner Meinung nach nicht unbedingt schaffen. Gerade in unserer Welt, die vor Gehässigkeit und Häme nur so strotzt. Da brauchst du ein dickes Fell. Finde ich zumindest.

Hier bei dieser Instagramerin Sarah Rode findet man wenig Power, sie wirkt wie ein kleines Rehlein. Ein pubertierendes Mädchen hat sie auch, sie ist Mutter und sie ist verheiratet, die Familie lebt in einem Haus am Stadtrand. Ich habe mich gefragt, wie die kleine Sarah das alles so schafft.

Mich hat Sarah sehr genervt und auch wütend gemacht, ein furchtbarer Mensch. Brrr.

Auch die Handlung hat mich anfangs nicht mitgenommen, wirkt überzeichnet, arg konstruiert, bis ins Unglaubwürdige hinein. Erst im Letzten Drittel kommt dann aber doch etwas Spannung auf und die Handlung wird rasanter, deutlich besser. Dieses letzte Drittel bringt dann dem Buch schlussendlich den dritten Stern.

Empfehlen mag ich es dennoch eher nicht. War leider nicht mein Fall!

Bewertung vom 23.03.2025
Über die Berechnung des Rauminhalts I
Balle, Solvej

Über die Berechnung des Rauminhalts I


sehr gut

Und täglich grüßt das …

Tara Selter kommt von einer Geschäftsreise aus Bordeaux und beginnt immer wieder den 18. November neu zu erleben. Täglich grüßt das Murmeltier oder eben dieser 18. November. Für Tara Selter ein Grauen. Sicher für jeden von uns nachvollziehbar. Sie versucht aus diesem Drama zu entkommen, lernt die Funktion der Zeitschleife nach und nach besser kennen. Dieses Trauma beschäftigt sie, deprimiert sie, noch dazu, wo sie herausfindet, dass sie selbst altert, ihre Umgebung aber nicht. Einfach eine Horrorvorstellung. Tara lebt mit ihrem Mann Thomas in einem Haus in Nordfrankreich, dies ist ihr sicherer Hort, der mit einem Mal gefährdet ist. Der Blick der Leser wird auf das Fragile im Leben gerichtet. Man bekommt ein Eindruck von den Wichtigkeiten im Leben, die man manchmal so achtlos ansieht, für gegeben hält. Doch dem ist nicht so. Für Tara ist dies nicht so und für die Leserschaft eigentlich auch nicht. Und das Buch richtet den Blick genau darauf. Aber nicht nur dahin schaut dieses Buch. Auch auf die Dinge, die uns umgeben, die wir um uns aufhäufen, richtet sich dieser Blick. Damit kratzt das Buch am System, an unseren Wertvorstellungen und macht damit nachdenklich. Denn was brauchen wir wirklich? Alles, was Tara am 18. November anhäuft, ist am nächsten Tag weg. Sie kann nichts mitnehmen, nichts ins Zurück mitnehmen. Manches verschwindet allerdings auch unwiederbringlich. Dies betrifft Verbrauchsgüter. Und richtet damit den Blick der Leserschaft auch auf schwindende Ressourcen unserer Erde. „Über die Berechnung des Rauminhalts 1“ kann man damit auch als eine berechtigte Kritik an unserer bunten Warenwelt sehen, natürlich nur wenn man das möchte. Das Buch von Solvej Balle ist damit ein wunderbares Buch zum Sinnieren, gerade in dieser Erweiterung des Blickwinkels liegt auch der Reiz des Buches. Denn allein die Handlung des Buches, Taras Suche nach dem Ausweg aus ihrer Zeitschleife, ist etwas eintönig. Denn Taras Erkennen ihrer Situation, ihre Suche nach dem Ausgang, das Herausfinden einiger Verbesserungsmöglichkeiten ist alleinstehend nicht allzu sehr reizvoll. Die Verbindung von Taras Geschichte mit einer Gesellschaftskritik macht das Buch deutlich gehaltvoller.

Ich bin neugierig, wie diese Geschichte fortgeführt wird. Sehr neugierig!

Bewertung vom 23.03.2025
Tizianas Rosen
Györke, Stefan

Tizianas Rosen


ausgezeichnet

Eindringliche Rosen

Tiziana Mara ist die Hauptprotagonistin in dem Buch von Stefan Györke. Und sie stellt sich. Sie stellt sich der Polizei und gesteht einen Mord. Den Mord an dem Züricher Anwalt Ulrich Vanderhoff. Gleich zu Beginn des Buches. Wo man sich als geneigte Leserin schon fragt, hä, wat soll das?

Doch der Autor Stefan Györke hatte mich schon mit dem Vorgänger „Die Mütter“ sehr begeistert und deshalb weiter im Buch. Denn wo geht hier die Reise nun hin.

Tiziana Mara erzählt der Polizei ihre Geschichte. Doch erzählt sie der Polizei wirklich alles? Das darf der geneigte Leser selbst herausfinden.

Tiziana Mara ist jung. Und Tiziana Mara ist flügge. Der elterlichen Enge ist sie entkommen. Eine kleine Wohnung ist ihr Reich. Sie ist glücklich. Sie arbeitet. Mal hier und mal da. Wobei die zweite Arbeitsstelle sie in eine renommierte Anwaltskanzlei befördert. Und hier begegnet sie dem schillernden Anwalt Ulrich Vanderhoff und verfällt als junge und unerfahrene Frau sichtlich seinem hochkarätigen Charme. Nachdem er sich erjagt hat, was er wollte, zeigt er sein wahres Gesicht und lässt Tiziana fallen, erniedrigt sie und genießt das. Tiziana wird ein Opfer ihrer Liebe. Wie so viele von uns!?!?

Doch dann wird er ermordet aufgefunden, mit einem Strauß Rosen tief in seinem Hals, wobei die Dornen die Arbeit erledigten. Kein schönes Ende! Ein brutales Ende! Ein typischer Ritualmord der Mafia. Tizianas Eltern stammen aus Sizilien. Doch Tiziana gesteht ja selbst. Und sie ist keine Mafiosi. Die Polizei hat nun zu tun. Denn was ist hier geschehen? War das mafiöses Tun?!

Scharfzüngig schafft es Stefan Györke, obwohl Tiziana am Anfang schon den Mord gesteht, eine spannende und auch etwas schwarzhumorige Geschichte zu erzählen. Ich als Leserin bin vollkommen dabei. In dieser Geschichte über die Liebe, über eine manipulative Beziehung, über eine kleine und unerfahrene italienische Eva. Jede Leserin wird wissen, was dies bedeutet, was es bedeutet, so jemandem zu verfallen. Und auch mancher Leser wird Ulrichs Handlungen in den Taten von jemand anderem wiedererkennen.

Gerade dieses Wissen, dieses Wiedererkennen lässt dieses Buch so spannend sein. Obwohl der Mord zugegeben wurde.

Und so kann ich nur vollkommen zufrieden rufen. Leute, lest dieses Buch von Stefan Györke, seine Hommage an Tiziana, an die kleine italienische Eva.

Bewertung vom 23.03.2025
Die einzige Frau im Raum / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.4
Benedict, Marie

Die einzige Frau im Raum / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.4


sehr gut

Hedy Lamarr

Hedy Lamarr. Leinwandgöttin. Weltweit bekannt. Strahlend schön und voller Kraft und Ausstrahlung. Doch Hedy Lamarr hat noch viel mehr zu bieten.

Diese Biografie hier in Romangestalt zeigt dies. Hedy Lamarr wurde als Hedwig Eva Maria Kiesler am 9. November 1914 als Tochter jüdischer Eltern in Wien geboren. Ihre Familie lebte nicht offen jüdisch und so gestaltet sich das Wissen zu den Menschen zu gehören, die vielleicht bald verfolgt werden, zu einer Krise der Lamarr. Schon in Österreich begann sie sich eine Karriere als Schauspielerin auf der Leinwand und der Bühne aufzubauen. Dadurch fiel sie dem Wiener Industriellen Fritz Mandl auf, der schon damals mit den Faschisten kokettierte, aber schon so viel Macht besaß, dass es der Familie Kiesler geschadet hätte, wenn Hedwig ihm einen Laufpass gegeben hätte. Und so heiratet Hedwig frisch katholisch getauft 1933 Mandl. Die Liebe verschwindet schnell und Hedwig fühlt sich gefangen und beherrscht von Mandl. Aber nicht nur das beschäftigt Hedwig, sie muss auch mit ansehen, wie der mächtige Ehemann mit den Faschisten liebäugelt (Na, wem kommt das noch bekannt vor?). Ihr gelingt es 1937 schließlich nach Paris zu fliehen, keine Sekunde zu früh. 1938 wird Österreich an Deutschland angeschlossen und auch in Österreich kommen die Nationalsozialisten an die Macht. Von Paris geht sie nach London, dann nach Hollywood, wo sie sich gut zu verkaufen weiß, endlich zu der Berühmtheit wird, die wir heute kennen. Ihr Grauen vor dem Tun der Nationalsozialisten verschwindet aber nicht, sondern wird nachvollziehbar immer größer und so ersinnt der schlaue Kopf Hedy Lamarr eine Funkfernsteuerung für Torpedos, die auf einem Frequenzsprungverfahren beruht. Dies lässt sie sich 1942 patentieren. Von der Army wird es nicht angenommen, obwohl es Leben gerettet hätte. Aber was will man auch von dem allseits bekannten Patriarchat erwarten? Eine Filmschauspielerin erfindet für die Army etwas. Nein!?!? Es kann ja nicht sein, was nicht sein darf. Heute wird dieses Verfahren zum Beispiel bei Bluetooth verwendet. Heute, aber nicht damals.

Nun habe ich wirklich einiges vom Buch hier erzählt. Aber die Lamarr entzündet mich. Ich habe Hochachtung vor dieser Frau. In der damaligen Zeit. Wow!!! Eine Filmdiva und eine wunderschöne Frau. Und auch noch ein schlauer Kopf. In einer Thematik, die, nun ja, nicht zu meinen Hochtalenten gehört. Einfach nur wow!!!

Und dieses Buch hier kann ich sehr empfehlen. Man lernt die Lamarr kennen und bewundern. Eine sehr starke Frau! Schön und interessant geschrieben. Ich hatte etwas Kopfschmerzen, bevor ich zu dem Buch gegriffen habe, denn ich kenne Marie Benedict noch von der Biografie zu „Frau Einstein“. Und diese war nun nicht gar so dolle. Aber dieses Buch hier hat deutlich mehr Feuer. Also unbedingt lesen!

Bewertung vom 23.03.2025
Die frühen Jahre
Stephan, Felix

Die frühen Jahre


gut

Erwachsenwerden

Die Nachwendejahre. Die Nachwendejahre in einer Familie der dem System Angepassten. Schon für alle anderen waren diese Jahre prägend. Zerfetzten diese Jahre doch die Lebensläufe. Ein großer Teil der Industrie verschwand und damit verschwanden Arbeitsplätze und Einnahmen. Die Systemhörigen hatten da noch ein paar Probleme mehr.

Dies kleidet der Autor in eine Coming of age Geschichte, die eigentlich glaubhaft und fesselnd daherkommen müsste. Der Autor ist selbst 1983 geboren, war also 1989 6/7 Jahre alt. Ein Alter, in dem das Verständnis für das momentane Geschehen nicht vorhanden ist. Dies findet sich in der Geschichte wieder.

Nur tut diese Geschichte dies nicht. Also fesselnd und interessant gestaltet sein und mich als Leserin in ihren Zauber aufnehmen. Denn dies ist sie für mich nicht. Dies mag an meiner Ostsozialisation hängen. Vielleicht empfindet dies jemand aus den alten Bundesländern anders. Aber die Geschichte der Familie flackert seltsam emotionslos an mir vorbei. Und dies bei diesem Thema. Normalerweise gehen bei diesem Thema bei mir alle Lampen an und ich bin Feuer und Flamme. Nur eben hier nicht. Und sorry. Aber dies ärgert mich etwas!

In mir entwickelt diese Geschichte um eine angepasste Familie der DDR und der kleine Junge, der das Geschehen in der Welt erst etwas staunend betrachtet und später auch mit deutlich mehr Verständnis keinen allzu großen Sog. Ich fühle mich nicht angezündet. Ich lese dies und denke mir so. Nun denn. Was sehr schade ist!

Denn gerade wir Osttanten und Ostonkel haben doch die Pflicht den Menschen in den alten Bundesländern zu vermitteln was diese Übernahme unserer Welt, diese so krasse Abwicklung und Vernichtung unserer Welt und diese Abwertung unserer Lebensleistung, diese Abwertung von uns selbst mit uns gemacht hat. Denn das sollten sie verstehen. Dann passiert es vielleicht nicht, dass man, wenn man mit einem Autokennzeichen der östlichen Welt in der westlichen Welt unterwegs ist, von vermeintlich höhergestellten Menschen als dummer Ossi beschimpft wird. Wobei diese plärrenden Menschen jung waren und den Osten gar nicht kennen konnten, aber dieses Bild sicher von irgendwoher vermittelt bekamen. Zum Fremdschämen und Blutdruck erhöhen.

Dieses Buch hier plätschert aber im Fortlauf der Geschichte, die Charaktere verbleiben für mich farblos. Warum? Ist das die Herkunft der Familie. Denn die dem System der DDR angepassten Menschen erzeugen in mir wenig Mitleid. Dennoch kann ich mich doch auch in solche Charaktere hineinversetzen, versuchen sie empathisch auszuleuchten. Doch dies passiert hier nur ansatzweise. Und ich verbleibe etwas ratlos. Was wollte mir das Buch „Die frühen Jahre“ eigentlich sagen? Wie es einer Familie von dem System der DDR angepassten Menschen nach der Wende erging und wie das Kind der Familie sich entwickelt, der Sohn erwachsen wird und sich vom Althergebrachten distanzieren kann. Ganz nett. Aber kein Feuer und keine Flamme. Was schade ist!

Bewertung vom 09.03.2025
Die liegende Frau
Vogt, Laura

Die liegende Frau


ausgezeichnet

Das Gestern, das Jetzt und das Morgen

3 Frauen. Romina, Szibilla und Nora. 3 Freundinnen. 3 Lebenswelten. Ein wunderbares Konzept. Schon in „Was wir sind“ von Anna Hope und in „Katzenzungen“ von Borger & Straub hat mich dieses Konzept begeistert. Und dieses Begeistern schafft auch Laura Vogt in „Die liegende Frau“.
Freundinnen. Ein immerwährendes Thema denke ich. Frau braucht sie genauso, wie sie sich daran reibt. Ein Ritt auf einem Pulverfass. Manchmal. Oft. Dennoch ist die Freundinnenschaft auch etwas Essentielles.
Und auch hier ist das so. Romina, Szibilla und Nora stehen in ihren Leben. Sie sind erwachsen. Autark. Konventionell und auch unkonventioneller. Sie kommen zusammen. Doch anders als geplant. Nora reist mit ihrer Tochter zur Mutter ins schweizerische Rheintal, verfällt dort in ein neuordnendes Schweigen, zieht sich in sich selbst zurück. Ihre Freundinnen Romina und Szibilla kommen nach und müssen warten, bis Nora wieder da ist, wieder in der Aktion ist und haben in der Zwischenzeit sich selbst. Ihre doch recht unterschiedlichen Welten und Sichten prallen aufeinander. Dann wird aus der Welt zu zweit wieder eine Welt zu dritt. Und das Annähern der Frauen geht weiter. Ihre Sichten. Ihre Welten. Ihr Wollen. Ihr Miteinander. Ihre Schwesternschaft.
Ein wunderbares Buch! „Die liegende Frau“. Ein Buchtitel. Doch eigentlich noch viel mehr. Dieses ach so tolle Patriarchat, welches sich fügsame und steuerbare Frauen wünscht und die heutige Welt, in der die Frauen aufwachen und diese altbekannten Lebensentwürfe zu hinterfragen beginnen. Das ist das Thema des Buches. Und wer meine Lesegewohnheiten kennt, wird wissen, ja, für dieses Buch brennt sie. Und genau so war es. 3 unterschiedliche Frauen, die sich begegneten, die sich anfreundeten. Ob das hier real ist? Warum nicht? Man lernt sich in einem bestimmten Moment kennen und dann kommt die Zeit, sie verändert, man wächst, bzw. man sollte wachsen. Und später kommt man dann an den Punkt altbekanntes zu überdenken. An diesem Punkt sind auch Nora und Szibilla und auch Romina.
Die Leserschaft darf daran teilhaben, darf mitfiebern. Und noch etwas darf die Leserschaft. Die eigenen Sichten hinterfragen. Und dabei wünsche ich besonders viel Spaß!
Ein richtig gutes Buch, dem ich eine große Zahl an Lesenden wünsche. Gestern war der 8. März, der feministische Kampftag. Und Simone de Beauvoir sagte: „Frauen, die nichts fordern, werden beim Wort genommen. Sie bekommen Nichts!“
„Die liegende Frau“ ist ein Roman über 3 Freundinnen, über ihre Sichten, über ihr Wollen. Und das ist etwas über das wir alle einmal nachdenken sollten! Ein Bundestag mit nicht mal 33 % Frauenanteil, was kann so ein Bundestag für uns Frauen, für unsere Sichten, für unsere Freiheit bewirken. Und wollen wir das? Wollen wir liegen oder wollen wir schreien? Mädels, wacht endlich auf!

Bewertung vom 09.03.2025
Die Welt hat blaue Haare
Steiner, Paula

Die Welt hat blaue Haare


ausgezeichnet

Erwachsenwerden

„Die Welt hat blaue Haare“ habe ich wirklich sehr gern gelesen. Nicht weil die Geschichte mich so umhaut. Verzaubert hat mich hier eher der Sprachklang der jungen Autorin Paula Steiner. Erzählt wird hier eine Coming of Age Geschichte. Wer meinen Account kennt, wird wissen, dass ich hier bei diesem Genre gespaltene Sichten besitze. Manchmal holen mich diese Geschichten ab und manchmal komme ich einfach in dieses jugendliche Geplärre nicht hinein. Hier bei „Die Welt hat blaue Haare“ war ich Feuer und Flamme. Luisa in ihrer Lebenswelt im deutschen Schweinfurt verzaubert mich etwas mit ihrer jugendlich aufmüpfigen Art. Und nicht nur mit dieser. Fast ebenso begeistert sie mich mit ihrer Fantasie, denn es gelingt ihr in ihre doch etwas langweilige Welt einen fantastischen Klang zu bringen. Dazu gehört schon etwas. Und dieses jugendlich Rotzige gemixt mit dieser Fantasie hat mich dann doch völlig begeistert und auch erreicht.
In dieser fantastischen Welt, die Paula Steiner hier in dieser von ihrer Protagonistin Luisa erfundenen Geschichte präsentiert, steckt jede Menge Gesellschaftskritik. Eine Gesellschaftskritik, die gerade in der empfundenen kleinstädtischen Enge von Schweinfurt begründet ist. Und wie wir jetzt nach den Wahlen, nach den Sondierungen wissen, eine Enge, die in vielen Köpfen in Deutschland herrscht und die unserem Land leider massiv schadet. Nicht Ausgrenzung ist das Rezept, sondern eine Aufnahme in unsere Welt und damit eine Erweiterung und Stärkung unserer Welt. Aber was der Bauer nicht kennt, das frisst er nun mal nicht.
Paula Steiner prangert dieses ewig gestrige Denken in ihrem Buch an und verzaubert mich damit, aber auch mit dieser herrlich unkonventionellen Luisa. Ich hatte in meiner Jugend selbst einmal blaue Strähnen in meinen Haaren. Von daher und nicht nur von daher weiß ich was es heißt Aufmerksamkeit in einer eng gesteckten Welt zu erzeugen. Ja, wir aufmüpfigen Geister erzeugen Reaktionen. Und wir verändern. Dazu braucht man Kraft und manchmal auch ne große Klappe. Vielleicht verzaubert mich dies alles in dem Buch, die Gesellschaftskritik an dieser eng gestrickten Welt, die Fantasie, der Sprachklang und starke weibliche Charaktere. Sicher ist das so!
Luisa geht ihren Weg, entdeckt ihre Gefühlswelt, entdeckt ihre Fantasie, sie gewinnt und sie verliert, wie das eben so ist im Leben. Und Paula Steiner entführt mich mit ihrem wunderschönen Buch „Die Welt hat blaue Haare“ in die Fantasie, in die Welt ihrer Protagonistin Luisa und lässt mich mit ihrer Geschichte auch etwas zum Sinnieren kommen.
Für mich eine wunderbare Lektüre!

Bewertung vom 03.03.2025
Fliehkraft
Röder, Britta

Fliehkraft


ausgezeichnet

Realität und Wünsche

Fliehkräfte. Etwas Altes, dem man entfliehen möchte. Dazu gehört das Erkennen, dass irgendetwas nicht stimmt oder dass man nicht weiterkommt. Doch dieses Gehen können ist oft nicht so einfach. Dazu braucht man Gedankenanstöße von außen. Durch manch einen Charakter im Buch bekommen die Protagonisten eben diese Gedanken, diese Anregungen. Und die Leserschaft bekommt diese Anregungen durch die Lektüre von zum Beispiel „Fliehkraft“ von Britta Röder. Ich bin förmlich durch die Seiten geflogen. Warum ist das so? Viele von uns sitzen wahrscheinlich in Gegebenheiten fest, die einen nicht zufrieden machen. Und dieses Buch von Britta Röder dockt genau daran an.

Es sind Kurzgeschichten, genau 7 Kurzgeschichten. Und es sind Erzählungen voller Kraft und voller Intensität. Es sind Kurzgeschichten mit Charakteren, die sich förmlich ins Herz brennen.

Am meisten haben mich Mira und Sandro in der Kurzgeschichte „In der Wartehalle“ und auch Karin auf ihrer Reise nach Prag anlässlich ihres anstehenden Hochzeitstags in „Freihändig“ angesprochen. Mira steckt in einer angespannten Situation fest, der sie durch ein höheres Arbeitspensum entfliehen möchte und Karin steckt in einer nicht perfekt laufenden Beziehung. Beide berühren mich intensiv, ich durchschreite in den Kurzgeschichten ihre Lebenswelten und bin gebannt von ihnen und genauso lassen mich die Charaktere in meine eigenen Welten blicken und Vergleiche ziehen. Wer meine Rezensionen und meine Gewichtungen kennt, wird wissen, dass ich genau solche Literatur sehr mag. Ich nenne es immer wieder Sinnieren und genau dies ermöglicht mir Britta Röder mit ihrem Buch „Fliehkraft“. Ich liebe es, ich liebe es, ich liebe es!

Aber auch die anderen Charaktere sind intensiv und die Erzählungen sind einfach sehr gut! Sei es die auf ihren Mann wartende Ingrid in „Hochzeitstag“, sei es die in den Urlaub fahrende Familie in „Sommer 1981“, sei es der wirklich liebenswerte Gert in „Gert macht kehrt“, sei es Tante Trude und der Blick aus der dritten Generation auf sie in „Tante Trude“ und sein es Sanja und ihre Rückkehr zur Familie, einer Familie, die vor Versäumnissen förmlich strotzt in „Fliehkraft“. Allesamt Erzählungen, die so intensiv und voller liebenswerter Charaktere sind, welche sich beim Lesen tief ins Herz graben.

„Fliehkraft“ ist ein richtig gelungenes Buch mit liebenswerten Protagonisten und fließenden Geschichten rund ums Leben. Sehr schön zu lesen und absolut zum Nachdenken anregend.

Definitiv ein Jahreshighlight!

Und ich kann nur beherzt und völlig beseelt rufen: Leute, lest dieses Buch, denn es ist ein Herzensbuch, mein Herzensbuch! Völlige Liebe von mir „Fliehkraft“ gegenüber!

Bewertung vom 19.02.2025
Du hast die Wahl
Raschke, Marc

Du hast die Wahl


ausgezeichnet

Tage vor diesem Wahlkrimi

Der Politikwissenschaftler, Journalist, Publizist und Influencer Marc Raschke hat kurz vor diesem Wahlkrimi, der uns am 23.2.2025 ereilen wird, noch seinen Taschen-Raschke auf den Markt geworfen.

Was meines Erachtens ein sehr gutes Unterfangen war und ist. Mit seinen 100 Seiten ist dieses Taschenbuch auch gut und schnell lesbar. Und in den heutigen Zeiten der Polemik, die auch oft außerhalb von Deutschland ihren Ursprung und ihren Grund in der Destabilisierung der deutschen, wie auch der europäischen Welt hat, ist ein Blick auf dieses Tun überlebenswichtig! Denn seine Gegner entmachtet man. An einigen Orten kennt man genau diese Thesen. Dies sollte und muss man wissen!!!

Kurz entschlossen hat der Pinguletta Verlag dieses Buch ermöglicht, hierbei gab es viel mutiges Handeln. Meinen Applaus dafür. Denn am 23.1.2025 ein Buch herauszubringen, welches das Geschehen am 23.2.2025 für die Menschen vereinfachen soll und politische Denke greifbarer machen soll. Meinen Respekt! Und Danke! Denn hier gibt es nur einen Monat zur Handlung, zur Lektüre. Doch vorab. Die Lektüre geht hier wirklich schnell und ist ungemein lehrreich/wichtig. Bis zum Sonntag sind es noch ein paar Tage mit vielen Stunden. Hier dieses Buch zu lesen ist durchaus keine unnütz verbrachte Zeit!

Marc Raschke blickt in seinem Taschen-Raschke auf unser Land, blickt auf die gespaltene Gesellschaft, nimmt diese immer weiter klaffende Schere zwischen Arm und Reich in den Blick, sieht die Gefahr, die hier liegt. Er schaut auf die Polemik, in den Medien und in den Parteien, schaut auf deren Ziele und die Ursachen, schaut auf das, was uns, der Bevölkerung, bei einem Sieg der Polemik blüht. Er schaut auf die Polemik und die Fakten. Er deckt auf. Er zeigt die Lügen und er zeigt die Wahrheiten dahinter. Er schaut auf die Klimadebatte und das unsägliche Tun gegen Grün. Er schaut auf die soziale Spaltung, er schaut auf die Gewinner hinter diesem Aufeinanderhetzen. Er schaut auf unser reiches Land. Und er schaut auf die Reichen und ihr Tun. Er schaut auf die Gier. Eine zerstörerische Kraft.

Ein Buch mit einer ungeheuren Kraft!

Und bei aller Kritik. Dies ist mitnichten ein Buch für Links! Dies ist ein Buch der Mitte und ein Buch für die Mitte. Es ist ein Buch gegen die unsägliche Gier! Wer hier sagt, dass dieses Buch gegen Rechts ist, dies stimmt nicht, es ist ein Buch gegen eine unverfrorene Gier und wer sich hier angesprochen fühlt, sollte einfach mal überlegen wo er/sie steht!

Auf sozial Schwache einzutreten, ist ein gesellschaftliches No Go! Denn wir alle sind nur eine Krankheit/ einen Unfall von einer Erwerbsminderung entfernt. Und ich möchte in einem Land leben, wo man genau dann abgesichert ist, ohne versichern zu müssen, dass es gerechtfertigt ist Leistungen zu beziehen. Denn vorher war man ein Leistungsträger in der Gesellschaft! Und basta!

Unbedingt lesen!

Bewertung vom 19.02.2025
Diesseits der Mauer
Hoyer, Katja

Diesseits der Mauer


ausgezeichnet

Geschichte der DDR

Der Historikerin Katja Hoyer gelingt hier ein richtig eindrucksvolles Buch zur Geschichte der DDR. Die 1985 in Guben geborene Katja Hoyer absolviert ihr Geschichtsstudium in Jena und ging 2010 nach England, wo sie lebt und arbeitet.

Mit ihrem Buch „Diesseits der Mauer“, 2023 bei Hoffmann und Campe auf Deutsch erschienen, als Übersetzung von „Beyond the Wall. East Germany“, welches ebenso 2023 bei Allen Lane in London erschien, begeistert sie mich ungemein. 1989 war Katja Hoyer 4 Jahre alt, was ihr vielleicht half, einen nicht verfärbten Blick auf den Osten zu wagen. Ich weiß nicht, ob ich dies könnte und ich würde nicht sagen, dass ich irgendwie DDR-nostalgisch veranlagt wäre. Dennoch verbinden mich einige Jahre mit der DDR, auch und gerade diese prägenden Coming of age. Das verändert. Ebenso wie mich so manch ein Blick aus fremden Augen auf diesen Osten regelrecht ärgert.

Deswegen habe ich auch etwas warten müssen mit der Lektüre. Man muss reif sein für ein Buch und dies trifft noch mehr auf Geschichtsbücher über die DDR zu. Denn wenn man im Osten aufgewachsen ist und immer noch dort lebt, hat man für gewöhnlich sehr feine Antennen bei diesem Thema. Denn mit Ruhm bekleckert hat sich Deutschland beim Thema Osten auf gar keinen Fall. Auch wenn dies im Westen oft niemand hören will. Denn dieses unsägliche Jetzt hat mit diesem Damals zu tun. Leider!

Aber zurück zu dem Buch. Obwohl ich mich durchaus als eine geschichtlich bewanderte Ostfrau halte, hat mich „Diesseits der Mauer“ oft verblüfft. Ja, dieses sehr gut recherchierte Buch vermittelt Neues und ich empfehle es schon deswegen. Schon in den ersten Kapiteln hatte mich Katja Hoyer erreicht, erstaunt und überzeugt. Ein so wichtiges Buch! Ein weiterer Pluspunkt bei diesem Buch ist der Ton, einerseits wird der Informationsfluss durch Berichte von Zeitzeugen gelockert, andererseits gelingt Katja Hoyer ihr Blick auf die DDR wirklich gut, und zwar weder verklärt noch voreingenommen, was fast ein Meisterstück ist, denn dieses Thema polarisiert ungemein.

Ich finde dieses Buch sollte eine Pflichtlektüre sein für jeden in Deutschland, zusammen mit „Ungleich vereint“ von Steffen Mau. Vielleicht wäre dann einiges anders. Bildung hilft ja für gewöhnlich. Wobei vielleicht auch eine Haltung helfen könnte, kein Opfer sein und die Schuld bei Anderen suchen zum Beispiel. Immer die eigene Beteiligung beim Geschehen erfragen, die eigene Wahl bei den Wegkreuzungen des Lebens. So lebt es sich meines Erachtens deutlich besser, ruhiger und inhaltlich voller.