Benutzer
Benutzername: 
Sophie

Bewertungen

Insgesamt 165 Bewertungen
Bewertung vom 23.08.2025
Dark, Simone

Teufel, tanz mit mir!


gut

Ein spannender Fall, aber leider unaufregende Ermittlungen

„Teufel, tanz mit mir!“ ist schon der vierte Band um das Ermittlungsduo Magnabosco und Pasqualina in Simone Darks Südtiroler Krimi-Reihe. Der Neueinstieg in die Reihe ist jedoch mit diesem Buch problemlos möglich. Schade hingegen ist, dass die Ermittlungen in diesem sehr dünnen Krimi viel zu reibungslos ablaufen, obwohl der Kriminalfall selbst enormes Potenzial gehabt hätte.

Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist der Rückblick zu den Hexenverfolgungen des 16. Jahrhunderts. Bei den grausamen Prozessen wurden mehrere Männer und Frauen aus der Region gefoltert und hingerichtet – und das Geschehen scheint auf die Gegenwart auszustrahlen. Kurz vor dem ersten Leichenfund müssen die Ermittler*innen jedoch erst mal schnell heiraten, was wie ein eher bemühter Versuch anmutet, den Figuren mehr Leben zu verleihen. Solche kleinen Ausflüge ins Privatleben der Ermittler*innen, die vermutlich humorvoll gedacht sind, gibt es mehrere im Buch. Aufgrund der Kürze des gesamten Texts (gerade mal knapp über 200 Seiten) wirken sie jedoch allesamt eher gehetzt. Schließlich ist ja kaum genug Platz für die Ermittlungen.

Die Ermittlungen sind tatsächlich die eine große Schwäche von „Teufel, tanz mit mir!“. Der Fall selbst ist spannend aufgebaut, enthält eine interessante Zusatzperspektive und birgt direkte Verbindungen in die Vergangenheit. Die Hintergründe der Hexenverfolgung sind gut aufbereitet und passen sich schön in die Geschichte ein, sodass man sogar noch ein bisschen Lokalgeschichte auf dem Weg mitnimmt. Der Krimi krankt allerdings daran, dass dem Ermittlungsduo sämtliche Hinweise mehr oder weniger in den Schoß fallen. Da werden eindeutige Objekte in der Nähe von Tatorten gefunden (bei denen man sich fragen muss, welche*r Täter*in so nachlässig wäre), und Zeugenaussagen sind zufällig immer sofort verfügbar und fügen sich passgenau ins Bild ein. Falsche Fährten und langes Brüten über kryptischen Hinweisen: Fehlanzeige. Wer also im Krimi gern miträtselt und an der Nase herumgeführt wird, ist mit diesem Buch schlecht beraten.

Meine Bewertung fällt daher sehr zwiespältig aus: Die Anteile über die Hexenverfolgung, die Grundidee des Falls und vor allem die kryptische Ich-Perspektive, die immer wieder eingestreut wird, haben mir sehr gut gefallen. Die Ermittlungen hingegen haben meinen Anspruch an Kriminalromane nicht erfüllen können. Ich muss hier also eine Durchschnittsbewertung im Mittelfeld geben: Für den einen Teil des Romans würde ich gern 4 Sterne vergeben, für andere Aspekte nur 2.

Bewertung vom 23.08.2025
Lühmann, Hannah

Heimat


gut

Unter die Haut gehende Grundidee, leider oberflächlich in der Ausführung

„Heimat“ von Hannah Lühmann hat einen unheimlich spannenden Ausgangspunkt: Was passiert mit einer orientierungslosen jungen Frau, der in ihrem Familienleben etwas fehlt, wenn sie mit dem radikal rechten Milieu in Gestalt einer Tradwife-Influencerin in Kontakt kommt? Das Buch trifft von der Themenwahl her genau meinen Geschmack, und ich habe mich begeistert in die Lektüre gestürzt. Was eine tiefgründige Charakter- oder Milieustudie hätte werden können, bleibt in diesem gerade mal 170 Seiten langen Roman allerdings leider zu weit an der Oberfläche.

Jana zieht mit ihrem Partner und den zwei Kindern hinaus ins Grüne in eine Neubausiedlung. Den Job hat sie gekündigt, die finanzielle Lage ist nicht gerade rosig, und in der Beziehung kriselt es. Jana liebt ihre Kinder, schwebt aber irgendwie orientierungslos durchs Leben. Als Leser*in erfährt man nie so recht, wer sie eigentlich ist: was sie will im Leben, wo ihre Überzeugungen liegen, welche Leidenschaften sie antreiben (oder zumindest einmal angetrieben haben). Diese Kontrastlosigkeit ist es auch, die die eigentlich brisante Begegnung mit der Familien-Influencerin Karolin relativ unspektakulär verlaufen lässt: Karolin erzieht die fünf Kinder primär zu Hause, backt Kuchen und findet Kitas unmenschlich. Von Anfang an ist klar: Hier herrscht ein erzkonservatives Familienbild. Aber Jana bleibt im Kontakt merkwürdig passiv: Man begreift nicht, ob sie Karolins Haltung eigentlich ablehnt oder nicht – und folglich auch nicht so recht, wie ihre Haltung sich im Laufe des Romans verändert. Was also eine psychologisch tiefe Geschichte darüber hätte werden können, wie ganz normale Menschen in ein gefährliches Milieu abgleiten können, bleibt relativ monoton. Von Subtilität und Zwischentönen ist im Roman wenig zu spüren, stattdessen bekommen wir mehr oder weniger auf dem Silbertablett serviert, wer welche Agenda verfolgt (Janas Ehemann ist zum Beispiel ein glühender Gegner des Rechtsrucks, der im Buch klar ausbuchstabiert wird).

Trotzdem hat Lühmanns Buch auch seine Stärken. Der knappe, unaufgeregte Stil liest sich flüssig, und mit der Themenwahl trifft die Autorin trotz ausbaufähiger Umsetzung einen Nerv. Ihr nach rechts abgewandertes Deutschland mit seinen Stay-at-Home-Moms, den AfD-Ständen im Stadtzentrum und den Anschlägen auf Politiker*innen mag etwas plakativ daherkommen, fühlt sich aber doch nicht weit entfernt von der Realität an. Und auch wenn man sich bei Jana mehr Tiefe in der Entwicklung gewünscht hätte (und mehr Subtilität bei Karolins Versuch, sie auf ihre Seite zu ziehen), ist sie doch auch eine interessante Figur, gerade weil sie so wenig starke eigene Meinungen mitbringt. Vielleicht ist diese Figur sogar eigentlich keine Romanfigur, sondern eher eine Allegorie der schweigsamen Mitte der Gesellschaft, die sich ohne große Leidenschaft in die eine oder die andere Richtung ziehen lässt, je nachdem, von welcher Seite stärkere Kräfte wirken.

Insgesamt ist „Heimat“ ein Buch mit großem Potenzial, das vor allem an seiner Kürze krankt. Wäre das Szenario in doppelter Länge, mit mehr Tiefgang und psychologischer Vielschichtigkeit ausgebreitet worden, hätte das ein sehr bedrückendes, nachdenklich machendes Buch werden können. Vor allem dank des sehr abrupten Endes lässt einen die Lektüre dieses schmalen Bändchens leider ein wenig ratlos zurück. Kein schlechter Roman, aber auch keine große Leseempfehlung.

Bewertung vom 14.12.2024
Fields, Helen

The Killer Profile


ausgezeichnet

Spannung von der ersten bis zur letzten Seite

„The Killer Profile“ ist ein Pageturner vom Feinsten, der auf jeder Seite neue, überraschende Wendungen bereithält. In Kombination mit den überzeugenden Figuren und dem flüssigen Schreibstil wird so aus Helen Fields’ neuestem Thriller ein absolutes Lieblingsbuch.

Bereits das Setting des Romans ist originell und bietet reichlich Futter für Spekulationen: ein undurchsichtiger Tech-Konzern, der dank kontinuierlicher Überwachung der Mitarbeitenden und restriktiver Firmenregeln durchaus dystopische Züge trägt. Dort arbeitet Protagonistin Midnight und wertet von morgens bis abends Profile von Menschen aus, die eigentlich bloß einen Studienplatz ergattern oder einen neuen Job finden wollen. In Midnights Realität muss man sich dafür komplett nackig machen, und gerade dieser dystopische, jedoch keinesfalls realitätsferne Aspekt des Settings macht „The Killer Profile“ schon zu einer lohnenswerten Lektüre. Noch spannender wird es allerdings, als Midnight auf das Profil eines Menschen ohne jede Empathie und mit Spaß am Leiden anderer stößt – quasi zum selben Zeitpunkt, als der erste grausame Mord die Stadt erschüttert. Midnight hat das Gefühl, etwas unternehmen zu müssen, aber Eigeninitiative sehen die Firmenregeln nicht vor …

„The Killer Profile“ ist ein gelungener Thriller, der sich stets zwischen Psychothriller und Dystopie bewegt. Beinahe ebenso wichtig wie die Aufklärung der Morde ist nämlich der Blick auf eine nicht besonders ferne Zukunft, in der der gläserne Mensch allmählich zu handfester Realität wird, und zwar ganz ohne Big Brother, sondern indem Menschen, vermeintlich aus freien Stücken, ihr Innerstes vor Großkonzernen offenlegen. Diese beklemmenden Hintergründe verleihen dem Roman eine ganz besondere Wucht. Zugleich ist „The Killer Profile“ ein clever konstruiertes Katz-und-Maus-Spiel mit vielen wirkungsvoll eingesetzten Perspektivwechseln und einem gekonnten Aufbau, in dem erst nach und nach alle wichtigen Details ans Licht kommen. Somit ist das Buch nonstop spannend, selten vorhersehbar und besticht vor allem durch seine glaubwürdigen Figuren.

Absolute Leseempfehlung für Fans von Thrillern mit dem gewissen Etwas.

Bewertung vom 04.11.2024
Powers, Richard

Das große Spiel


sehr gut

Ein bewegender Roman über Leidenschaft und die Verwobenheit menschlicher Schicksale

In „Das große Spiel“ zeichnet Autor Richard Powers mit Prägnanz und Poesie die Biographien mehrerer Menschen nach, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch tief miteinander verbunden sind. Der Roman beschäftigt sich vorrangig mit den Leidenschaften seiner Figuren und Fragen von Herkunft, Zugehörigkeit und Menschlichkeit.

„Das große Spiel“ ist eines dieser Bücher, bei denen eine Inhaltsangabe schwerfällt: Mehrere parallele Handlungsstränge leiten durch den Roman, die alle miteinander verknüpft zu sein scheinen, deren Verknüpfung aber nicht auf den ersten Blick offenbar wird. Ein todkranker Tech-Mogul, der auf sein Leben und sein Schaffen zurückblickt, in erster Linie aber an seinen ältesten, entfremdeten Freund zurückdenkt, mit dem er eine große Leidenschaft teilte: das Go-Spiel. Eine Meeresforscherin, die ihren Beruf gegen alle Widerstände der sexistischen Nachkriegsgesellschaft auslebt. Eine Insel im Pazifik, die mit ihrem kolonialen Erbe ringt. All diese Geschichten stehen für sich, sind bewegende und tiefgehende Biographien aus sich selbst heraus. Aber sie gehören auch zusammen, und das ist das eigentlich Beeindruckende an diesem Roman.

Richard Powers ist mit „Das große Spiel“ ein flammendes Plädoyer für menschliche Leidenschaft gelungen. Die Geschichten seiner Figuren zeigen, welch kraftvollen Antrieb echte Leidenschaft darstellen kann, aber auch, welches zerstörerische Potenzial ihr innewohnt. Gerade die Geschichte um die zerbrechende Freundschaft von Internet-Billionär Todd Keanes und Rafi, seinem Freund aus Jugendtagen, ist zugleich wunderschön, berührend und schmerzhaft realitätsnah. Dieses Konzept der Leidenschaft kontrastiert Powers immer wieder mit dem technologischen Fortschritt, repräsentiert durch Todd und seinen Drang zur Innovation und Automatisierung. Über den Biographien dieser Menschen liegt also wie ein dünner Schleier stets auch die Frage danach, was echte Menschlichkeit ausmacht. All dies stellt Powers in einer bildhaften, kraftvollen Sprache dar, wobei seine Schilderungen nicht ganz ohne Längen bleiben. Hier und da mäandert der Text vielleicht ein wenig zu weit davon, aber es gelingt ihm doch immer wieder, seine Leserschaft aufs Neue zu packen und zum Kern der Sache zurückzuleiten.

Ein anspruchsvolles, poetisches und bewegendes Buch mit vielen aktuellen Bezügen und Denkanstößen.

Bewertung vom 27.10.2024
Gornichec, Genevieve

Sisters in Blood - Der Schwur


weniger gut

Spannende Idee mit mauer Umsetzung

„Sisters in Blood. Der Schwur“ ist ein historischer Roman, der sich mit einigen Handlungselementen und Figuren auf altnordische Sagas aus dem mittelalterlichen Island zurückbezieht. In diesem Rahmen erzählt Autorin Genevieve Gornichec eine häufig modern anmutende Geschichte über zwei Frauen, die ihren Weg im Leben suchen, gewürzt mit vielen Details über das Leben im mittelalterlichen Norden.

Die Schwestern Signy und Oddny verbindet eine tiefe Freundschaft mit Gunnhild, die sich zur Hexe ausbilden lassen möchte. In jungen Jahren schwören die drei, einander immer beizustehen, bevor Gunnhild für ihre Ausbildung einen Weg fernab der beiden einschlägt. Als der Hof von Signy und Oddny überfallen und Signy verschleppt wird, heißt es, den Schwur einzulösen und Signy zu retten. Gunnhild und Oddny begeben sich auf die Suche nach ihrer (Bluts-)Schwester und treffen dabei beide auf Männer, die ihr Leben auf den Kopf stellen, während sie zugleich noch mit eigenen Unsicherheiten und Unzulänglichkeiten ringen. Insbesondere Gunnhild ist eine zutiefst konfliktbehaftete Figur, deren magische Fähigkeiten immer wieder auf die Probe gestellt werden und der auch Scheitern nicht fremd ist.

„Sisters in Blood“ hätte eigentlich das Zeug zu einem durch und durch spannenden historischen Roman gehabt, der vor allem Menschen mit Interesse am mittelalterlichen Norden und seinen kulturellen Besonderheiten hätte Spaß machen können. Leider gelingt es der Autorin jedoch nicht, diese kulturellen Besonderheiten auf organische Weise in den Handlungsverlauf einzuweben. Insbesondere in der ersten Hälfte reiht sich oftmals Infodump an Infodump. Sobald sich diese informationslastige Erzählweise etwas gelegt hat, stehen dann sofort die respektiven Liebesgeschichten von Gunnhild und Oddny im Vordergrund, die zwar mit der Suche nach Signy zu tun haben (beide Romanzen entwickeln sich, weil die Frauen Unterstützung von den Männern brauchen), dieses zentrale Ziel jedoch häufig in den Hintergrund verdrängen. Am Ende möchte das Buch im Grunde sagen, dass Frauen sich selbst behaupten können, untergräbt diese Aussage aber dadurch, dass seine beiden Heldinnen sich jeweils an (mächtige) Männer hängen.

Ein Buch, das ich leider Fans von historischen Romanen nicht empfehlen kann. Wer auf Liebesgeschichten in einem historischen Setting steht, könnte vielleicht etwas mehr Freude an dem Roman haben, die informationslastige Erzählweise und eine ganze Reihe von unglaubwürdigen Entwicklungen im Verlauf der Geschichte werden die Lesefreude allerdings auch für diese Zielgruppe etwas dämpfen. Leider keine Empfehlung.

Bewertung vom 06.10.2024
Thorogood, Robert

Mrs Potts' Mordclub und der tote Bürgermeister / Mord ist Potts' Hobby Bd.3


sehr gut

Amüsanter Whodunit

Hört man den Namen Robert Thorogood, wissen Krimi-Fans eigentlich sofort, dass sie ein besonderes Schmankerl erwartet. Auch der dritte Band von Mrs Potts’ Mordclub („Der tote Bürgermeister“) überzeugt durch sein liebevoll-verschrobenes Setting und seinen wohldurchdachten Mordfall. Einzig die Schrulligkeit der Ermittlerinnen kommt in diesem Band ein wenig zu kurz.

Judith Potts landet mit ihren ermittlungswütigen Freundinnen Becks und Suzie schon wieder mitten in einem mysteriösen Mordfall, der das lauschige Marlow erschüttert. Diesmal muss der Bürgermeister dran glauben – dabei scheint er allgemein beliebt und ein durch und durch anständiger Mensch gewesen zu sein. Oder hütete er ein dunkles Geheimnis? Die drei Damen vom Mordclub wollen es herausfinden, diesmal sogar in offizieller Rolle, denn die frisch beförderte Inspektorin Tanika beruft sie diesmal als Beraterinnen in dem Fall. Das hindert die drei allerdings nicht daran, ihre Nachforschungen auf teils unkonventionelle Weise anzustellen und nicht immer in vollem Ausmaß mit der Polizei zu kooperieren.

Der dritte Band der Reihe hat im Grunde alles, was man sich von einem Cosy Murder Mystery wünscht: einen vertrackten Fall, viele, viele Zeugenaussagen und Indizien, ein schrulliges Ermittlertrio und jede Menge englischen Charme, alles gewürzt mit einer ordentlichen Prise Humor. Was hier allerdings ein wenig zurückbleibt, sind die Schrullen der Hauptfiguren. Hatte gerade Judith in den ersten Bänden noch ausnehmend viele Ecken und Kanten, sind diese hier schon deutlich geglättet, und auch Suzie und Becks fehlt es ein wenig an Schärfe, was ihre persönlichen Eigenheiten angeht. Zwar bekommt jede von ihnen einen kleinen Nebenhandlungsstrang, jedoch in wirklich homöopathischen Dosen. Der Vorteil: Dadurch bekommt der Fall sehr viel Raum, und Rätselfreund*innen kommen in diesem Krimi wirklich voll auf ihre Kosten. Wer zudem aber auch an den Figuren selbst interessiert ist, wird vielleicht ein wenig enttäuscht sein.

Insgesamt ein absolut lohnenswerter Krimi mit viel Charme und Witz, der die Ermittlung im Mordfall stark in den Vordergrund stellt und mit vielen Verdachtsmomenten, Irrungen und Wirrungen aufwartet.

Bewertung vom 06.10.2024
Turhan, Su

Verwerfungen


gut

Etwas verwirrend, aber nicht ohne Charme

Mit „Verwerfungen“ schickt Su Turhan bereits zum achten Mal seinen bayrisch-türkischen Kommissar Zeki Demirbilek ins Rennen.Vorweg sei gesagt: Es war vielleicht nicht die beste Idee, mit dem achten Band einer Reihe zu starten. Vieles, was für mich als Einsteigerin verwirrend war, ist womöglich für Fans der Reihe selbstverständlich. Insofern würde ich bei Interesse dazu raten, den ersten Band zu kaufen.

Verwirrungspotenzial gibt es nämlich allerhand in diesem Roman mit seinen vielfältigen Schauplätzen und den unzähligen Figuren, die hier und da alle einmal zu Wort kommen. Im Kern geht es in „Verwerfungen“ um ein Kunstobjekt, das zwischen Istanbul und München hin und her wandert, hier mal gestohlen und dort mal gefälscht wird und stets in die falschen Hände zu geraten scheint. Jeder scheint „die Medusa“ haben zu wollen. Zeki Demirbilek, der sich nach einer ernsten Verletzung in Istanbul auskuriert, kooperiert auf etwas undurchsichtige Weise sowohl mit der Istanbuler als auch mit der Münchner Polizei und ist zudem noch persönlich involviert, denn das Opfer des ersten Diebstahls war ein befreundeter Münchner Antiquitätenhändler, der sich immer tiefer in das Drama um die Medusa verstrickt.

Die größte Schwierigkeit, die ich mit „Verwerfungen“ hatte, war, einen Überblick über die vielen Figuren zu bekommen. Das Problem dabei ist, dass die Fäden nicht alle bei einem Protagonisten (Zeki) zusammenlaufen, sondern unheimlich vieles gleichzeitig an verschiedenen Orten passiert, was Zeki teilweise nur am Rande tangiert. Wir folgen hier also nicht einem Ermittler oder einem Ermittlungsteam, sondern vielen verschiedenen Handlungssträngen mit unterschiedlichen Hauptfiguren, die alle irgendwie (entfernt) mit der gestohlenen Medusa zu tun haben. Bei dieser gewaltigen Menge an Perspektiven bleibt kaum Zeit, um einzelne Figuren besser kennenzulernen oder überhaupt ihre Bedeutung in Zekis Leben klar festzustellen. ABER: Dieser Eindruck entstammt natürlich meiner Perspektive als Neuleserin. Wer all diese Figuren bereits aus sieben Vorgängerbänden kennt, sieht das womöglich völlig anders. Daher bin ich geneigt, das Buch wohlwollend zu bewerten, denn die Verstrickungen um die Medusa, also der eigentliche Kriminalfall, sind durchaus spannend und unvorhersehbar, sodass die Kriminalhandlung selbst positiv aus dem Perspektiven-Gewirr hervorsticht.

Insgesamt ein Buch, das ich nur Menschen ans Herz legen würde, die bereits die Vorgängerbände zur Reihe gelesen haben.

Bewertung vom 06.10.2024
Vaglio Tanet, Maddalena

In den Wald


gut

Ein nachdenklicher, langsamer Roman

„In den Wald“ von Maddalena Vaglio Tanet startet wie ein Spannungsroman, entwickelt sich dann jedoch sehr langsam und behutsam in eine nachdenkliche Erzählung über Lebenswege und Träume, enttäuschte Hoffnungen und verborgene Sehnsüchte. Nicht reizlos, aber durchaus mit Schwächen.

In einem kleinen italienischen Ort begeht eine 11-jährige Schülerin Selbstmord. Ihre Lehrerin, Silvia, der das Mädchen ans Herz gewachsen ist, verkraftet diese grauenvolle Entwicklung überhaupt nicht und versteckt sich in einer Übersprungshandlung im Wald. Während ihre Familie und ihr Umfeld nach ihr suchen, reflektiert Silvia nicht nur über das, was zur Tat ihrer Schülerin geführt hat, sondern auch über ihr eigenes Leben – die Kindheit im Internat, das Verhältnis zur Familie, ihren Status als Alleinstehende.

Zu Wort kommen neben Silvia noch viele weitere Stimmen: Menschen aus dem Dorf wie auch Familienangehörige. Sie alle haben ihre eigenen Päckchen zu tragen, sodass die Geschichte immer wieder von der Handlung um Silvia abrückt und andere Pfade erforscht. Diese Vielstimmigkeit hat zwar ihren ganz eigenen Reiz, zeigt sie doch eine große Bandbreite von Biographien und den Wert eines Lebens, das auf viele unterschiedliche Arten verlaufen kann. Zugleich nimmt diese Vielfalt an Perspektiven dem Buch jedoch auch den Fokus. Hier geht es mal um Gewalt in der Familie, dort um Eheschwierigkeiten, dann wieder um Entwurzelung und Umzug in jungen Jahren, um Krankheiten und Mobbing. All diese Bereiche tangieren die Sphäre der Hauptfigur Silvia, aber eine echte Protagonistin ist sie nicht, wie sie dort passiv im Wald sitzt und über weite Strecken anderen Figuren das Feld überlässt.

„In den Wald“ ist ein durchaus interessanter Roman, der einen jedoch nach der Lektüre eher ratlos zurücklässt. Da der Text von hier nach dort mäandert, ist beim Zuschlagen des Buchs nicht so recht klar, welche Aussage es nun eigentlich transportieren wollte. Wer nachdenkliche Texte mag, wird „In den Wald“ aber vielleicht gerade aufgrund seiner unaufgeregten und beinahe dahinplätschernden Art zu schätzen wissen.

Bewertung vom 08.09.2024
Meller, Marc

Das Smartphone


sehr gut

Spannungssnack für Thrillerhungrige

Marc Mellers neuer Thriller „Das Smartphone“ spielt auf spannende Weise mit den Möglichkeiten des technischen Fortschritts – samt allen Konsequenzen. Echter Tiefgang kommt auf der rasanten Reise durch die Welt von KI, Spyware und Genforschung zwar nicht zustande, dafür besticht das Buch jedoch durch sein flottes Tempo und die originellen Ideen.

Paula steht kurz davor, ihre Doktorarbeit in Molekularbiologie zu beginnen und ihre wissenschaftliche Karriere zu starten, als der Kauf eines gebrauchten Smartphones ihr Leben aus den Angeln hebt. Unmittelbar nach dem Kauf wird der Besitzer des Handyshops ermordet – kurz nachdem er Paula mitgeteilt hat, dass er Spyware auf ihrem alten Gerät gefunden hat. Nur ein merkwürdiger Zufall? Paula wendet sich zunächst an die Polizei, gerät jedoch selbst bald ins Fadenkreuz der Ermittlungen. Nur der psychisch kranke Bruder des Ermordeten scheint an Paulas Unschuld zu glauben. Aber ist die Verschwörung, die er aufzudecken gedenkt, echt oder nur ein Hirngespinst?

„Das Smartphone“ bewegt sich auf der Grenze zwischen Wissenschafts- und Actionthriller und setzt vor allem auf ein rasantes Tempo ohne Atempausen. Beinahe jedes Kapitel hält eine neue Wendung bereit, sodass die Lektüre wie im Flug vergeht. Der sehr einfach und knapp gehaltene Schreibstil trägt ebenfalls dazu bei, dass die Seiten nur so dahinsausen. Das Buch legt den Fokus vor allem auf die Schattenseiten moderner Technologie und beleuchtet einige erschreckende Möglichkeiten, wie diese Technologie missbraucht werden kann. So richtig zum Nachdenken anregen kann der Thriller dabei allerdings nicht. Aufgrund des rasanten Tempos und des knappen, handlungsorientierten Stils bleibt wenig Zeit für Reflexion, und bei keinem der angerissenen Themen geht es so richtig in die Tiefe, was gesellschaftliche oder individuelle Konsequenzen anbelangt. Das tut jedoch dem Unterhaltungswert des Buchs keinen Abbruch.

Fazit: „Das Smartphone“ ist ein spannender und origineller Thriller, jedoch eher eine Lektüre für zwischendurch. Wer nicht nach Tiefgang sucht, sondern vor allem gut unterhalten werden möchte, wird mit dem Buch sicher seinen Spaß haben.

Bewertung vom 03.08.2024
Whitaker, Chris

In den Farben des Dunkels


ausgezeichnet

Ein wirklich großer Wurf

Mit „In den Farben des Dunkels“ ist Chris Whitaker ein großer Roman mit phänomenalem Nachhall gelungen, der an die ganz essenziellen Fragen von Menschlichkeit rührt. Die Jahrzehnte umspannende Handlung verliert nie an Intensität, und der sprachlichen Wucht des Romans wird sich wohl kaum jemand entziehen können.

Im Kindesalter wird der Außenseiterin Saint ihr einziger Freund entrissen: Patch, aufgewachsen in schwierigen Verhältnissen, wird unverhofft zum Helden, als er die Entführung einer Mitschülerin verhindert, dabei jedoch selbst in die Fänge des Entführers gerät und über Monate hinweg verschollen bleibt. Während Saint alles daransetzt, ihn zu finden und zu befreien, kommt Patch in Gefangenschaft einem Mädchen näher, das das Verlies mit ihm teilt. Als die Befreiung schließlich irgendwann gelingt, bleibt dieses Mädchen zurück, doch Patch wird sie sein Lebtag lang nicht vergessen und sein Leben der Suche nach ihr widmen.

Was „In den Farben der Dunkelheit“ zu einem so außergewöhnlichen Buch macht, ist nicht nur die psychologische Tiefe jeder einzelnen Figur, sondern auch, dass so viele von ihnen zu Wort kommen, ohne dass die Geschichte je an Richtung verlieren und zerfasern würde. Saints Großmutter, der ermittelnde Sheriff, die von Patch gerettete Mitschülerin, der örtliche Kunsthändler … So viele Menschen spielen eine Rolle rund um die Entführung und die Folgen, die sie auch Jahrzehnte später noch nach sich zieht, und ihnen allen wird eine eigene Geschichte zugestanden, mit ihren eigenen Traumata und Sehnsüchten. Dabei bleibt Whitaker gleichwohl stets fokussiert auf das große Ganze, verliert nie Patchs Suche nach seiner Mitgefangenen aus den Augen. Seine Figuren entwickeln sich stetig weiter, selbst wenn sie auf der Stelle zu treten scheinen. Mit wortgewaltiger Sprache malt der Autor ein Bild davon, wie das Schicksal einer einzigen Person Wogen schlagen kann, die nicht nur eine kleine Gemeinschaft, sondern fast ein ganzes Land in Bewegung setzen.

„In den Farben des Dunkels“ ist ein tief berührender Roman, dessen Figuren einen noch lange nach dem Beenden der Lektüre nicht loslassen. Voller Inbrunst wünscht man ihnen das Beste und muss doch zusehen, wie sie einen Fehler nach dem anderen begehen. Mit diesem Roman ist Chris Whitaker wahrhaftig ein Abbild des wahren Lebens gelungen, jedoch angereichert mit Ästhetik und Poesie. Unbedingte Leseempfehlung!