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Sophie

Bewertungen

Insgesamt 169 Bewertungen
Bewertung vom 01.10.2025
Handorf, Anne

Es könnte so einfach sein


sehr gut

Ein bewegtes Leben, erzählt in Momentaufnahmen

Das Autor*innen-Duo, das sich hinter dem Pseudonym Anne Handorf verbirgt, hat mit „Es könnte so einfach sein“ einen Roman geschaffen, der oft bewegt, manchmal wütend macht und hier und da ein kleines bisschen zu sehr auf der Metaebene verweilt. Ein Buch über eine Frau mit einem festen Willen und tief sitzendem Ehrgeiz, die zumindest für mich (trotz ihrer Fehler) definitiv ein Vorbild sein könnte.

Vera ist Autorin und arbeitet an ihrem letzten Roman vor der Rente. Es soll ein Buch werden über eine Frau mit frisch diagnostizierter Krebserkrankung, die auf eine große Feier hinlebt – während Veras eigene Feier zum 65. Geburtstag kurz bevorsteht. An diesem Tag soll das Buch fertig sein, aber Vera ist blockiert aufgrund eines Familienkonflikts. Nach und nach reflektiert sie während dem Schreiben (oder auch dem Nicht-Schreiben) ihre eigene Biografie: wie sie als Sekretärin in einem Verlagshaus durch Zufall dazu kam, Heftromane zu schreiben, wie sie um jeden Auftrag kämpfen musste, immer und immer wieder, und wie sie jahrelang hinter einem männlichen Pseudonym verborgen bleiben musste, weil die Öffentlichkeit angeblich keine Bücher von Frauen lesen wolle.

Veras Geschichte ist letztlich eine Erfolgsgeschichte, aber eine, die jede Hürde auf dem Weg zu diesem Erfolg klar offenlegt. Als moderne Leserin um die 30 macht es fassungslos und wütend zu lesen, wie Vera sich ihre erste Arbeitsstelle von ihrem Mann (übrigens ein absolut feiner Kerl!) absegnen lassen musste, wie sie nur durch Zufall zu ihrem eigenen Konto kam, wie Gewinnbeteiligung ausblieb und stattdessen gönnerhaft Likörflaschen überreicht wurden. Vera hat sich in einer Männerwelt durchgebissen, und dafür verdient sie höchsten Respekt. Gleichzeitig zeigt das Buch aber auch die Vielschichtigkeit der Figur: Es legt schonungslos Veras Fehler im persönlichen Bereich offen, zeigt ihre Unsicherheit und mal auch ihr Versagen. Allein diese Lebensgeschichte hätte gereicht, um ein überzeugendes Buch zu füllen, aber die Autor*innen haben sich damit nicht begnügt, sondern noch das „Buch im Buch“ über diese Erinnerungen gelegt, und an diesen Stellen bin ich beim Lesen immer ein wenig ausgestiegen. Meines Erachtens hätte es nämlich nicht die vielen Versatzstücke aus Veras entstehendem letzten Roman gebraucht – oder zumindest nicht in dieser Ausführlichkeit. Hier hat sich „Anne Handorf“ vielleicht ein wenig verkünstelt mit ihrem Buch über das Schreiben.

Insgesamt ist „Es könnte so einfach sein“ ein eindrückliches Buch, eine Art fiktionale Biografie einer Frau, wie es sie in Deutschland durchaus gegeben haben könnte. In der Hauptfigur Vera vereint sind die Mühen und Kämpfe so vieler Frauen, die sich immer noch einen weiteren Stein aus dem Weg räumen mussten, um ihre Ziele zu erreichen.

Bewertung vom 01.10.2025
Schmitt, Caroline

Monstergott


gut

Ein Buch mit vielen spannenden Ansätzen, aber ein bisschen zu wenig von allem

„Monstergott“ ist Caroline Schmitts zweites Buch. Der Roman dreht sich um zwei Geschwister und eine christliche Sekte und berührt somit viele existenzielle Themen: Glaube, Familie, Identität, Selbstbestimmung und nicht zuletzt Geschlechterverhältnisse. Eine spannende Thematik, die jedoch in der Umsetzung leider etwas zu oberflächlich bleibt.

Ben und Esther sind beide seit ihrer Kindheit Teil einer sektenartigen Freikirche mit einem zutiefst konservativen Weltbild. Für die beiden Geschwister bedeutet die Kirche Heimat und Familie, und dass die Gemeinschaft ihnen Lebensregeln vorgibt, empfinden beide zunächst als nicht schlimm und „gottgewollt“. Für Lesende ist natürlich von vornherein klar, dass diese Kirche alles andere als harmlos ist und ihre Mitglieder bis in intimste Bereiche wie Sexualität und Ehe hinein kontrolliert. Doch für die beiden Hauptfiguren, vor allem für Esther, die als Frau in den Kirchenstrukturen massiv benachteiligt wird, wird erst nach und nach klar, dass sie aus diesem zerstörerischen System ausbrechen müssen.

Was mir an „Monstergott“ gut gefiel, ist, dass das Buch nicht aufmerksamkeitsheischend an das Thema herangeht. Es greift nicht zu drastischen Bildern oder extremen Entwicklungen, sondern zeigt „das ganz normale Leben“ innerhalb einer Sektenstruktur. Für Lesende wird greifbar, warum Ben und Esther zunächst nicht aus diesem System ausbrechen können – oder es überhaupt wollen. Allerdings hält die Geschichte auch keine Überraschungen bereit. Sowohl inhaltlich als auch sprachlich wirkt das Buch sehr ruhig und relativ unaufregend. Die meisten Entwicklungen zeichnen sich von Anfang an ab, und sprachlich ist der Text solide, aber keinesfalls besonders originell. Zugleich bedient das Buch auch so manches Klischee: So wird die Doppelmoral der Oberhäupter auf recht vorhersehbare Weise veranschaulicht (ohne an dieser Stelle zu viel zu verraten).

Insgesamt würde ich „Monstergott“ als ein wenig zahnlos beschreiben. Ein spannendes Thema, glaubwürdige Figuren, aber einfach etwas zu wenig Biss in der Zuspitzung von Gedanken, Konflikten und Figurenentwicklung. Es ist keinesfalls ein schlechtes Buch, aber eben auch keines, das besonders lange im Gedächtnis bleiben wird.

Bewertung vom 07.09.2025
Blunck, Timo

Ein kleines Lied über das Sterben


sehr gut

Ein wilder Ritt: blutig und voller schwarzem Humor

Auf den ersten Blick mag „Ein kleines Lied über das Sterben“ von Timo Blunck aussehen wie ein humorvolle Regionalkrimi, aber Achtung: Hier geht es ganz schön finster zu! Das Buch spart nicht an abgründigem Humor, Blut und Nacktheit, also seid gewarnt. Wer darauf Lust hat, den erwartet jedoch ein Heidenspaß – oft ein bisschen drüber, aber wahnsinnig humorvoll, oft spannend und teilweise überraschend emotional.

Die Hauptfiguren: ein koksender Ex-Polizist, eine kettensägenschwingende Kannibalin und ein rumänischer Straßenhund. Zutaten für ein herrlich absurdes Krimi-Abenteuer, in dem die Leichen nur so links und rechts zu Boden fallen. Dieser Roman ist kein klassischer Ermittlerkrimi, denn die Antagonistin wird schon auf den ersten Seiten vorgestellt. Stattdessen handelt es sich um ein irrsinniges Katz-und-Maus-Spiel, in das Protagonist Tom mehr zufällig hineinstolpert. Stets an seiner Seite: eine wichtige Mordzeugin, die Hündin Knef, die sich mehr und mehr zur stillen Heldin des Romans mausert und mit ihrer Perspektive ein emotionales Gegengewicht zu dem ganzen Blut und Gesplatter darstellt.

Wenn man diesem Krimi etwas vorwerfen kann, dann ist es, dass es ganz schön viele Zufälle gibt. Viele Entwicklungen in den Ermittlungen sind somit kein Ergebnis cleverer Gedankengänge, sondern eben von Zufallsbegegnungen. Das sorgt dafür, dass in der Ermittlung selbst wenig Spannung steckt. Stattdessen bekommen die Mordszenen jede Menge Raum, was mitunter voyeuristisch wirken und ein wenig zu viel des Guten werden kann – zumal ja bereits von Anfang an klar ist, wer da mordet. Man muss aber fairerweise zugeben, dass das Buch auch nie vorgibt, ein Ermittlerkrimi zu sein. Eigentlich ist es ein Guy-Ritchie-Film in Buchform, und darin ist es verdammt gut. Es gibt viel zu lachen, und der Roman enthält überraschend viel Repräsentation von Vielfalt, mit der das Buch respektvoll umgeht: einen bisexuellen Protagonisten, eine Schwarze Schutzpolizistin und mehr als einmal auch ein Gendersternchen. Gerade diese reflektierten Aspekte sorgen dafür, dass „Ein kleines Lied über das Sterben“ nicht zum Exploitation-Machwerk verkommt, sondern auch immer wieder klare Positionen bezieht und kluge Kommentare zur gegenwärtigen Lage der Nation abgibt.

Kurzum: Timo Bluncks schwarzhumoriger Krimi ist ein Fest für alle, die das Absurde und Düstere lieben und vor Sex und Gewalt nicht zurückschrecken. Dabei schießt das Buch zwar manchmal übers Ziel hinaus, kippt aber trotzdem nie gänzlich ins Plumpe.

Bewertung vom 07.09.2025
Sotto Yambao, Samantha

Water Moon


sehr gut

Eine phantastische Reise mit vielen stillen Zwischentönen

„Watermoon“ von Samantha Sotto Yambao entzieht sich ein Stück weit klassischen Genre-Zuordnungen: Es ist zugleich ein Fantasy-Roman, eine Liebesgeschichte und ein philosophisches Werk über Themen wie Selbstbestimmung und Schicksal. Je nach persönlichem Geschmack enthält das Buch also Häppchen für viele Arten von Lesenden – und ist darin vielleicht ein wenig zu breit aufgestellt, um alle zufriedenzustellen.

Protagonistin Hana führt ein Pfandhaus, in dem Menschen ihre bereuten Entscheidungen abgeben und sich somit davon befreien können. Das Pfandhaus gehört zu einer phantastischen Parallelwelt, die kaum ein Mensch aus der Realität je zu sehen bekommen hat. Als Hanas Vater unter mysteriösen Umständen verschwindet, will Hana sich auf die Suche nach ihm machen und bekommt dabei unverhofft Unterstützung von dem brillanten Wissenschaftler Keishin, der zufällig gerade in diesem Moment ins Pfandhaus gestolpert kommt.

Hana nimmt Keishin mit in ihre Welt, die voller Paradoxe und Unmöglichkeiten ist: Ein Sprung in einen Teich teleportiert an andere Orte, die Zeit lässt sich falten, ein Lied kann ein Schiff über einen Ozean tragen … Dieses Buch steckt voller phantastischer Ideen, über die man beim Lesen nur staunen kann. Zugleich ist Hanas Welt keine schöne, friedliche Welt: Schreckensgestalten verfolgen die beiden, verlorene Kinder rufen von unter der Erde, in einem Museum werden die schlimmsten Fehlentscheidungen der gesamten Menschheit aufbewahrt. Yambao erzählt all das auf eine sehr ruhige, oftmals auch poetisch-philosophische Weise. Trotz der vielen Gefahren, denen Hana und Keishin begegnen, wird das Buch niemals actiongeladen oder hektisch. Dieser ruhige Erzählstil trägt zur unwirklichen Atmosphäre von „Watermoon“ bei, die sehr eigen und gerade dadurch reizvoll ist.

Einige Aspekte des Buchs sind jedoch auch weniger gelungen: Die häufigen Sprünge von einem phantastischen Szenario zum nächsten wirken zum Teil etwas abgehackt, als hätte die Autorin versucht, möglichst viele ihrer (wirklich wundervollen!) Ideen im Buch unterzubringen, ohne sich zu fragen, ob dafür noch genug Platz ist. So graben sich manche Ideen gegenseitig das Wasser ab. Auch die unvermeidliche Liebesgeschichte zwischen Hana und Keishin konnte zumindest mich nicht überzeugen, wurde das Trope von „Liebe auf den ersten Blick“ doch arg überstrapaziert. Gerade Keishins Beweggründe, Hana zu helfen, bleiben sehr oberflächlich und dadurch oftmals unglaubwürdig.

Insgesamt ist „Watermoon“ jedoch ein Buch voller Zauber, Phantastik und dem ein oder anderen gut platzierten Gruselmoment. Es entführt wahrhaftig in eine völlig andere Welt, in die man sich als Leserin einfach hineinfallen lassen kann. Das ideale Buch für ein wenig Realitätsflucht!

Bewertung vom 23.08.2025
Dark, Simone

Teufel, tanz mit mir!


gut

Ein spannender Fall, aber leider unaufregende Ermittlungen

„Teufel, tanz mit mir!“ ist schon der vierte Band um das Ermittlungsduo Magnabosco und Pasqualina in Simone Darks Südtiroler Krimi-Reihe. Der Neueinstieg in die Reihe ist jedoch mit diesem Buch problemlos möglich. Schade hingegen ist, dass die Ermittlungen in diesem sehr dünnen Krimi viel zu reibungslos ablaufen, obwohl der Kriminalfall selbst enormes Potenzial gehabt hätte.

Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist der Rückblick zu den Hexenverfolgungen des 16. Jahrhunderts. Bei den grausamen Prozessen wurden mehrere Männer und Frauen aus der Region gefoltert und hingerichtet – und das Geschehen scheint auf die Gegenwart auszustrahlen. Kurz vor dem ersten Leichenfund müssen die Ermittler*innen jedoch erst mal schnell heiraten, was wie ein eher bemühter Versuch anmutet, den Figuren mehr Leben zu verleihen. Solche kleinen Ausflüge ins Privatleben der Ermittler*innen, die vermutlich humorvoll gedacht sind, gibt es mehrere im Buch. Aufgrund der Kürze des gesamten Texts (gerade mal knapp über 200 Seiten) wirken sie jedoch allesamt eher gehetzt. Schließlich ist ja kaum genug Platz für die Ermittlungen.

Die Ermittlungen sind tatsächlich die eine große Schwäche von „Teufel, tanz mit mir!“. Der Fall selbst ist spannend aufgebaut, enthält eine interessante Zusatzperspektive und birgt direkte Verbindungen in die Vergangenheit. Die Hintergründe der Hexenverfolgung sind gut aufbereitet und passen sich schön in die Geschichte ein, sodass man sogar noch ein bisschen Lokalgeschichte auf dem Weg mitnimmt. Der Krimi krankt allerdings daran, dass dem Ermittlungsduo sämtliche Hinweise mehr oder weniger in den Schoß fallen. Da werden eindeutige Objekte in der Nähe von Tatorten gefunden (bei denen man sich fragen muss, welche*r Täter*in so nachlässig wäre), und Zeugenaussagen sind zufällig immer sofort verfügbar und fügen sich passgenau ins Bild ein. Falsche Fährten und langes Brüten über kryptischen Hinweisen: Fehlanzeige. Wer also im Krimi gern miträtselt und an der Nase herumgeführt wird, ist mit diesem Buch schlecht beraten.

Meine Bewertung fällt daher sehr zwiespältig aus: Die Anteile über die Hexenverfolgung, die Grundidee des Falls und vor allem die kryptische Ich-Perspektive, die immer wieder eingestreut wird, haben mir sehr gut gefallen. Die Ermittlungen hingegen haben meinen Anspruch an Kriminalromane nicht erfüllen können. Ich muss hier also eine Durchschnittsbewertung im Mittelfeld geben: Für den einen Teil des Romans würde ich gern 4 Sterne vergeben, für andere Aspekte nur 2.

Bewertung vom 23.08.2025
Lühmann, Hannah

Heimat


gut

Unter die Haut gehende Grundidee, leider oberflächlich in der Ausführung

„Heimat“ von Hannah Lühmann hat einen unheimlich spannenden Ausgangspunkt: Was passiert mit einer orientierungslosen jungen Frau, der in ihrem Familienleben etwas fehlt, wenn sie mit dem radikal rechten Milieu in Gestalt einer Tradwife-Influencerin in Kontakt kommt? Das Buch trifft von der Themenwahl her genau meinen Geschmack, und ich habe mich begeistert in die Lektüre gestürzt. Was eine tiefgründige Charakter- oder Milieustudie hätte werden können, bleibt in diesem gerade mal 170 Seiten langen Roman allerdings leider zu weit an der Oberfläche.

Jana zieht mit ihrem Partner und den zwei Kindern hinaus ins Grüne in eine Neubausiedlung. Den Job hat sie gekündigt, die finanzielle Lage ist nicht gerade rosig, und in der Beziehung kriselt es. Jana liebt ihre Kinder, schwebt aber irgendwie orientierungslos durchs Leben. Als Leser*in erfährt man nie so recht, wer sie eigentlich ist: was sie will im Leben, wo ihre Überzeugungen liegen, welche Leidenschaften sie antreiben (oder zumindest einmal angetrieben haben). Diese Kontrastlosigkeit ist es auch, die die eigentlich brisante Begegnung mit der Familien-Influencerin Karolin relativ unspektakulär verlaufen lässt: Karolin erzieht die fünf Kinder primär zu Hause, backt Kuchen und findet Kitas unmenschlich. Von Anfang an ist klar: Hier herrscht ein erzkonservatives Familienbild. Aber Jana bleibt im Kontakt merkwürdig passiv: Man begreift nicht, ob sie Karolins Haltung eigentlich ablehnt oder nicht – und folglich auch nicht so recht, wie ihre Haltung sich im Laufe des Romans verändert. Was also eine psychologisch tiefe Geschichte darüber hätte werden können, wie ganz normale Menschen in ein gefährliches Milieu abgleiten können, bleibt relativ monoton. Von Subtilität und Zwischentönen ist im Roman wenig zu spüren, stattdessen bekommen wir mehr oder weniger auf dem Silbertablett serviert, wer welche Agenda verfolgt (Janas Ehemann ist zum Beispiel ein glühender Gegner des Rechtsrucks, der im Buch klar ausbuchstabiert wird).

Trotzdem hat Lühmanns Buch auch seine Stärken. Der knappe, unaufgeregte Stil liest sich flüssig, und mit der Themenwahl trifft die Autorin trotz ausbaufähiger Umsetzung einen Nerv. Ihr nach rechts abgewandertes Deutschland mit seinen Stay-at-Home-Moms, den AfD-Ständen im Stadtzentrum und den Anschlägen auf Politiker*innen mag etwas plakativ daherkommen, fühlt sich aber doch nicht weit entfernt von der Realität an. Und auch wenn man sich bei Jana mehr Tiefe in der Entwicklung gewünscht hätte (und mehr Subtilität bei Karolins Versuch, sie auf ihre Seite zu ziehen), ist sie doch auch eine interessante Figur, gerade weil sie so wenig starke eigene Meinungen mitbringt. Vielleicht ist diese Figur sogar eigentlich keine Romanfigur, sondern eher eine Allegorie der schweigsamen Mitte der Gesellschaft, die sich ohne große Leidenschaft in die eine oder die andere Richtung ziehen lässt, je nachdem, von welcher Seite stärkere Kräfte wirken.

Insgesamt ist „Heimat“ ein Buch mit großem Potenzial, das vor allem an seiner Kürze krankt. Wäre das Szenario in doppelter Länge, mit mehr Tiefgang und psychologischer Vielschichtigkeit ausgebreitet worden, hätte das ein sehr bedrückendes, nachdenklich machendes Buch werden können. Vor allem dank des sehr abrupten Endes lässt einen die Lektüre dieses schmalen Bändchens leider ein wenig ratlos zurück. Kein schlechter Roman, aber auch keine große Leseempfehlung.

Bewertung vom 14.12.2024
Fields, Helen

The Killer Profile


ausgezeichnet

Spannung von der ersten bis zur letzten Seite

„The Killer Profile“ ist ein Pageturner vom Feinsten, der auf jeder Seite neue, überraschende Wendungen bereithält. In Kombination mit den überzeugenden Figuren und dem flüssigen Schreibstil wird so aus Helen Fields’ neuestem Thriller ein absolutes Lieblingsbuch.

Bereits das Setting des Romans ist originell und bietet reichlich Futter für Spekulationen: ein undurchsichtiger Tech-Konzern, der dank kontinuierlicher Überwachung der Mitarbeitenden und restriktiver Firmenregeln durchaus dystopische Züge trägt. Dort arbeitet Protagonistin Midnight und wertet von morgens bis abends Profile von Menschen aus, die eigentlich bloß einen Studienplatz ergattern oder einen neuen Job finden wollen. In Midnights Realität muss man sich dafür komplett nackig machen, und gerade dieser dystopische, jedoch keinesfalls realitätsferne Aspekt des Settings macht „The Killer Profile“ schon zu einer lohnenswerten Lektüre. Noch spannender wird es allerdings, als Midnight auf das Profil eines Menschen ohne jede Empathie und mit Spaß am Leiden anderer stößt – quasi zum selben Zeitpunkt, als der erste grausame Mord die Stadt erschüttert. Midnight hat das Gefühl, etwas unternehmen zu müssen, aber Eigeninitiative sehen die Firmenregeln nicht vor …

„The Killer Profile“ ist ein gelungener Thriller, der sich stets zwischen Psychothriller und Dystopie bewegt. Beinahe ebenso wichtig wie die Aufklärung der Morde ist nämlich der Blick auf eine nicht besonders ferne Zukunft, in der der gläserne Mensch allmählich zu handfester Realität wird, und zwar ganz ohne Big Brother, sondern indem Menschen, vermeintlich aus freien Stücken, ihr Innerstes vor Großkonzernen offenlegen. Diese beklemmenden Hintergründe verleihen dem Roman eine ganz besondere Wucht. Zugleich ist „The Killer Profile“ ein clever konstruiertes Katz-und-Maus-Spiel mit vielen wirkungsvoll eingesetzten Perspektivwechseln und einem gekonnten Aufbau, in dem erst nach und nach alle wichtigen Details ans Licht kommen. Somit ist das Buch nonstop spannend, selten vorhersehbar und besticht vor allem durch seine glaubwürdigen Figuren.

Absolute Leseempfehlung für Fans von Thrillern mit dem gewissen Etwas.

Bewertung vom 04.11.2024
Powers, Richard

Das große Spiel


sehr gut

Ein bewegender Roman über Leidenschaft und die Verwobenheit menschlicher Schicksale

In „Das große Spiel“ zeichnet Autor Richard Powers mit Prägnanz und Poesie die Biographien mehrerer Menschen nach, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch tief miteinander verbunden sind. Der Roman beschäftigt sich vorrangig mit den Leidenschaften seiner Figuren und Fragen von Herkunft, Zugehörigkeit und Menschlichkeit.

„Das große Spiel“ ist eines dieser Bücher, bei denen eine Inhaltsangabe schwerfällt: Mehrere parallele Handlungsstränge leiten durch den Roman, die alle miteinander verknüpft zu sein scheinen, deren Verknüpfung aber nicht auf den ersten Blick offenbar wird. Ein todkranker Tech-Mogul, der auf sein Leben und sein Schaffen zurückblickt, in erster Linie aber an seinen ältesten, entfremdeten Freund zurückdenkt, mit dem er eine große Leidenschaft teilte: das Go-Spiel. Eine Meeresforscherin, die ihren Beruf gegen alle Widerstände der sexistischen Nachkriegsgesellschaft auslebt. Eine Insel im Pazifik, die mit ihrem kolonialen Erbe ringt. All diese Geschichten stehen für sich, sind bewegende und tiefgehende Biographien aus sich selbst heraus. Aber sie gehören auch zusammen, und das ist das eigentlich Beeindruckende an diesem Roman.

Richard Powers ist mit „Das große Spiel“ ein flammendes Plädoyer für menschliche Leidenschaft gelungen. Die Geschichten seiner Figuren zeigen, welch kraftvollen Antrieb echte Leidenschaft darstellen kann, aber auch, welches zerstörerische Potenzial ihr innewohnt. Gerade die Geschichte um die zerbrechende Freundschaft von Internet-Billionär Todd Keanes und Rafi, seinem Freund aus Jugendtagen, ist zugleich wunderschön, berührend und schmerzhaft realitätsnah. Dieses Konzept der Leidenschaft kontrastiert Powers immer wieder mit dem technologischen Fortschritt, repräsentiert durch Todd und seinen Drang zur Innovation und Automatisierung. Über den Biographien dieser Menschen liegt also wie ein dünner Schleier stets auch die Frage danach, was echte Menschlichkeit ausmacht. All dies stellt Powers in einer bildhaften, kraftvollen Sprache dar, wobei seine Schilderungen nicht ganz ohne Längen bleiben. Hier und da mäandert der Text vielleicht ein wenig zu weit davon, aber es gelingt ihm doch immer wieder, seine Leserschaft aufs Neue zu packen und zum Kern der Sache zurückzuleiten.

Ein anspruchsvolles, poetisches und bewegendes Buch mit vielen aktuellen Bezügen und Denkanstößen.

Bewertung vom 27.10.2024
Gornichec, Genevieve

Sisters in Blood - Der Schwur


weniger gut

Spannende Idee mit mauer Umsetzung

„Sisters in Blood. Der Schwur“ ist ein historischer Roman, der sich mit einigen Handlungselementen und Figuren auf altnordische Sagas aus dem mittelalterlichen Island zurückbezieht. In diesem Rahmen erzählt Autorin Genevieve Gornichec eine häufig modern anmutende Geschichte über zwei Frauen, die ihren Weg im Leben suchen, gewürzt mit vielen Details über das Leben im mittelalterlichen Norden.

Die Schwestern Signy und Oddny verbindet eine tiefe Freundschaft mit Gunnhild, die sich zur Hexe ausbilden lassen möchte. In jungen Jahren schwören die drei, einander immer beizustehen, bevor Gunnhild für ihre Ausbildung einen Weg fernab der beiden einschlägt. Als der Hof von Signy und Oddny überfallen und Signy verschleppt wird, heißt es, den Schwur einzulösen und Signy zu retten. Gunnhild und Oddny begeben sich auf die Suche nach ihrer (Bluts-)Schwester und treffen dabei beide auf Männer, die ihr Leben auf den Kopf stellen, während sie zugleich noch mit eigenen Unsicherheiten und Unzulänglichkeiten ringen. Insbesondere Gunnhild ist eine zutiefst konfliktbehaftete Figur, deren magische Fähigkeiten immer wieder auf die Probe gestellt werden und der auch Scheitern nicht fremd ist.

„Sisters in Blood“ hätte eigentlich das Zeug zu einem durch und durch spannenden historischen Roman gehabt, der vor allem Menschen mit Interesse am mittelalterlichen Norden und seinen kulturellen Besonderheiten hätte Spaß machen können. Leider gelingt es der Autorin jedoch nicht, diese kulturellen Besonderheiten auf organische Weise in den Handlungsverlauf einzuweben. Insbesondere in der ersten Hälfte reiht sich oftmals Infodump an Infodump. Sobald sich diese informationslastige Erzählweise etwas gelegt hat, stehen dann sofort die respektiven Liebesgeschichten von Gunnhild und Oddny im Vordergrund, die zwar mit der Suche nach Signy zu tun haben (beide Romanzen entwickeln sich, weil die Frauen Unterstützung von den Männern brauchen), dieses zentrale Ziel jedoch häufig in den Hintergrund verdrängen. Am Ende möchte das Buch im Grunde sagen, dass Frauen sich selbst behaupten können, untergräbt diese Aussage aber dadurch, dass seine beiden Heldinnen sich jeweils an (mächtige) Männer hängen.

Ein Buch, das ich leider Fans von historischen Romanen nicht empfehlen kann. Wer auf Liebesgeschichten in einem historischen Setting steht, könnte vielleicht etwas mehr Freude an dem Roman haben, die informationslastige Erzählweise und eine ganze Reihe von unglaubwürdigen Entwicklungen im Verlauf der Geschichte werden die Lesefreude allerdings auch für diese Zielgruppe etwas dämpfen. Leider keine Empfehlung.

Bewertung vom 06.10.2024
Thorogood, Robert

Mrs Potts' Mordclub und der tote Bürgermeister / Mord ist Potts' Hobby Bd.3


sehr gut

Amüsanter Whodunit

Hört man den Namen Robert Thorogood, wissen Krimi-Fans eigentlich sofort, dass sie ein besonderes Schmankerl erwartet. Auch der dritte Band von Mrs Potts’ Mordclub („Der tote Bürgermeister“) überzeugt durch sein liebevoll-verschrobenes Setting und seinen wohldurchdachten Mordfall. Einzig die Schrulligkeit der Ermittlerinnen kommt in diesem Band ein wenig zu kurz.

Judith Potts landet mit ihren ermittlungswütigen Freundinnen Becks und Suzie schon wieder mitten in einem mysteriösen Mordfall, der das lauschige Marlow erschüttert. Diesmal muss der Bürgermeister dran glauben – dabei scheint er allgemein beliebt und ein durch und durch anständiger Mensch gewesen zu sein. Oder hütete er ein dunkles Geheimnis? Die drei Damen vom Mordclub wollen es herausfinden, diesmal sogar in offizieller Rolle, denn die frisch beförderte Inspektorin Tanika beruft sie diesmal als Beraterinnen in dem Fall. Das hindert die drei allerdings nicht daran, ihre Nachforschungen auf teils unkonventionelle Weise anzustellen und nicht immer in vollem Ausmaß mit der Polizei zu kooperieren.

Der dritte Band der Reihe hat im Grunde alles, was man sich von einem Cosy Murder Mystery wünscht: einen vertrackten Fall, viele, viele Zeugenaussagen und Indizien, ein schrulliges Ermittlertrio und jede Menge englischen Charme, alles gewürzt mit einer ordentlichen Prise Humor. Was hier allerdings ein wenig zurückbleibt, sind die Schrullen der Hauptfiguren. Hatte gerade Judith in den ersten Bänden noch ausnehmend viele Ecken und Kanten, sind diese hier schon deutlich geglättet, und auch Suzie und Becks fehlt es ein wenig an Schärfe, was ihre persönlichen Eigenheiten angeht. Zwar bekommt jede von ihnen einen kleinen Nebenhandlungsstrang, jedoch in wirklich homöopathischen Dosen. Der Vorteil: Dadurch bekommt der Fall sehr viel Raum, und Rätselfreund*innen kommen in diesem Krimi wirklich voll auf ihre Kosten. Wer zudem aber auch an den Figuren selbst interessiert ist, wird vielleicht ein wenig enttäuscht sein.

Insgesamt ein absolut lohnenswerter Krimi mit viel Charme und Witz, der die Ermittlung im Mordfall stark in den Vordergrund stellt und mit vielen Verdachtsmomenten, Irrungen und Wirrungen aufwartet.