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Turbulenzen.und.so
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Berlin

Bewertungen

Insgesamt 60 Bewertungen
Bewertung vom 02.08.2025
Fonthes, Christina

Wohin du auch gehst


sehr gut

Schweigen heißt nicht, dass nichts zu hören ist; Schweigen ist eine Sprache." (Seite 15)

Wieder ein Buch, dass auf verschiedenen Zeitebenen spielt. Ich liebe das sehr. Vor allem, wenn nicht von Anfang an klar ist, wie der Zusammenhang ist.
Hier fügen sich die Zusammenhänge zwar schnell, aber es bleiben dennoch Fragen, die erst am Ende beantwortet werden bzw. biegt die Geschichte am Ende noch Wendungen, die ich so nicht habe kommen sehen.

'Wohin du auch gehst' hat mich bewegt und erschüttert und in seinen Bann gezogen. Bijoux habe ich von Anfang an ins Herz geschlossen. Ich habe mit ihr mit gelitten, getrauert, habe mich mit ihr gemeinsam verliebt und gehofft. Mit Mira, der zweiten Protagonistin musste ich erst warm werden. Die Autorin hat unser Lesende lange schmoren lassen, was sie so hart hat werden lassen.

Christina Fonthes verwebt Familiendrama mit politischen Realitäten und gesellschaftlichen Themen. Wenn ich während des Lesens immer Mal wieder Suchmaschinen nutze, um selbst zu recherchieren und die realen Fakten nachzulesen, zeigt dafür, dass ich vollkommen in die Geschichte eingetaucht bin und mein Interesse entfacht ist. Dieses Buch hat meinen Horizont wieder einmal erweitert. Über die Unruhen in Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) wusste ich kaum etwas, ebensowenig, dass auch dort Homosexualität ein großes Tabuthema war. Gleichwohl ich mir letzteres natürlich denken konnte.

Wenn man die Themenvielfalt lesen würde, die dieses Buch behandelt bzw. abschneidet (Entwurzelung, Trauma, Missbrauch, häusliche Gewalt, HIV, Homophobie) könnte man davon ausgehen, dass es zu überladen, zu konstruiert sein wird. Aber das ist es nicht. Jedes Thema erhält seinen Raum. Und auch die Liebe bekommt ihren Platz.

Ein feministischer Debütroman, der mehr von der Autorin hoffen lässt.

Bewertung vom 28.07.2025
Kitamura, Katie

Die Probe


gut

'Die Probe' hat mich auf die Probe gestellt. Ich sag euch auch warum. Wenn ich viele Bücher in kurzer Zeit lese, dann brauche ich bei jedem Neuen Buch oft umso länger, um hineinzufinden. Schwierig bei einem Buch, dass insgesamt nur wenig Seiten hat. Es lag also vielleicht hat nicht am Buch selbst, dass ich anfangs zu sehr abschweifte, sondern an meinen mangelnden Lesepausen.

Nun aber endlich zum Buch. Das Leben rauscht an uns vorbei und viele von euch haben sich die Frage "Wo ist bloß die Zeit geblieben?" schon einmal gestellt. Dieses Buch ist auf eine interessante Art faszinierend. Zwei Teile, zwei Lebenswege, die selben Protagonist*innen. Mehr möchte zum genauen Geschehen nicht spoilern.

Ein wenig kann ich aber doch erzählen. Es geht um Erfolg, uns Altern, um Ehe und Liebe, um Mutterschaft und Kinderlosigkeit, um das Buhlen um Zuneigung, um erste Liga oder zweite Reihe.

"Viele Leute sprachen über Kinder, als wären diese etwas, das man plante, sie bedachten nicht, dass auch Kinderlosigkeit geplant, anders gesagt weder eine Lücke noch ein Mangel war, auch die war auf dieser Welt eine Realität eigenen Rechts." (Seite 64/65)

Ein bisschen viel für so ein schmales Büchlein, könnte man meinen, ist es aber nicht.

Ich brauchte etwas, um dieses Buch zu begreifen und es ist wieder so ein Buch, bei dem ein ReRead sinnvoll erscheint. Die Schauspielerin, der Ehemann, der vermeintliche Sohn, sie alle haben mir manchmal Rätsel auf und ich konnte sie oft nur schwer greifen. Ihre Handlungsstrategien konnte ich oft nur schwer nachvollziehen, aber ist es nicht genau das , was und beim Lesen reizt? In die Psyche andere Menschen einzutauchen?

"Ein Halt inmitten der Turbulenzen meines Inneren ..." (Seite 174)

Spannend fand ich die Beschreibung der Ehe. Auch wenn ich selbst nicht verheiratet bin, kann ich das Beziehungskarussell was hier beschrieben wird gut verstehen. Die namenlose Schauspielerin stellt fest, dass sich ihr Mann plötzlich nach Freiheiten sehnt, er der ihr immer die sichere Basis erscheint, über den sie die Hoheit hatte. Das fand ich wunderbar beobachtet. Affären spielen hierbei ebenso eine Rolle aber auch wunderbar beschriebene Frühstücksrituale.

"Durch diese Alltagsrituale band ich mich von neuem an die Ehe, in all ihrer Banalität." (Seite 61)

Ein kurzes, aber dafür sehr intensives Buch, für dass man sich Zeit nehmen sollte.

Triggerwarnungen: Abtreibung, Fehlgeburt

Bewertung vom 22.07.2025
Rubik, Kat Eryn

Furye


sehr gut

"Die Zeit heilt keine Wunden, sondern läuft einfach aus." (Seite 285)

"Ich hatte mein Leben vertan. Mich in mir selbst vertan." (Seite 287)

Unbarmherzig und erbarmungslos - so sollten sie in die mythologische Geschichte eingehen. Aber ebenso galten sie als Verteidigerinnen mutterrechtlicher Prinzipien. Ich spreche von den Erynnien, den Schutz- und Vergeltungsgöttinnen Alekto, Megaira und Tisiphone. Besser bekannt als die drei Furien.

Und damit sind wir schon beim Buch. Alec, Meg und Tess, die Furien der Moderne? Dabei könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Aber es eint sie die Jugend und der Wunsch nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung.

Der Anfang ist gleichzeitig das Ende und erzählt wird auf zwei Zeitebenen. Die beruflich erfolgreiche Erzählerin kehrt an den Ort ihrer Jugend zurück und lässt uns teilhaben, wie sie zu einer der drei Furien wurde und welche Rolle ein gewisser Romain damals und heute spielt.

Ich bin so eingetaucht in beide Zeitebenen, dass ich das Ende, also den Anfang fast vergessen habe. Das Ende hat mich dann vielleicht nicht unbedingt geschockt aber doch sehr mitgenommen. Ich habe es nicht kommen sehen wollen.

Der Schreibstil hat mich absolut eingefangen und ich habe schon lange nicht mehr, so viele Stellen markiert. Hier noch ein paar snackbites, die mich total gecatcht haben: es gibt eine Stelle, in der eine Person Charaktereigenschaften anhand von Unterschriften analysiert - genial.
Das blau-weiße Cover findet sich in Text in Form von blau-weißen Tablettenpackungen und Sonnensegeln wieder.

Insgesamt ein tolles Buch, dass dem Cover gerecht wird.

Wer muss bei dem Cover auch an Romy Schneider und den Film "Swimmingpool" denken.

Triggerwarnungen! Depressionen
Eine Abtreibung wird beschrieben und ist beim Lesen schwer zu ertragen.

Bewertung vom 22.06.2025
Clavadetscher, Martina

Die Schrecken der anderen


gut

Dieses Buch hat mich herausgefordert und dann doch beeindruckt und vor allem sehr viel zum Nachdenken angeregt. Welche Verantwortung haben Kinder und Kindeskinder am Erbe ihrer Eltern? Sind es die Nachfahren, die sich den Verbrechen der Ahnen stellen müssen? Übernehmen wir Schuld, wenn wir die Augen verschließen?

Aber zurück zur Geschichte: Ein Toter im Eis, eine Alte, die alles was geschieht beobachtet, ein Archivar, der Dingen auf den Grund geht und ein reicher Erbe. Lange war mir nicht klar, wie diese Personen miteinander zusammenhängen oder ob sie es überhaupt tun. Es fiel mir schwer, der Geschichte zu folgen. Ellenlange Schachtelsätze trieben mich beim Lesen fast in den Wahnsinn.

Aber dann machte es irgendwann klick, ich verstand worum es ging und ab da wurde jede Seite klarer und klarer. Ich Schloss den einen Teil der Personen in mein Herz und den anderen hätte ich am Liebsten schütteln mögen. Das Verharren und Verherrlichen der dunkelsten Zeit unserer Geschichte ließ mich erst fassungslos zurück, machte mich aber noch Fassungsloser, als mir klar wurde, dass diese Geschichte zwar fiktiv aber nicht unwahr ist.
In hier und jetzt kommen alte Gesinnung erschreckend oft wieder zum Vorschein und das nicht bei Alteingesessenen, sondern quer durch die Generationen.

Martina Clavadetscher hat ein gesellschaftspolitisches Portrait geliefert, dass aktueller denn je ist. Und beim Zuklappen des Buches wünschte ich mir, es wäre "nur" eine Geschichte.

Bewertung vom 20.06.2025
Dreyer, Tine

Morden in der Menopause mit dem richtigen Mindset


gut

Eins vorweg: ich habe Band 1 nicht gelesen und dachte mir beim Lesen an einigen Stellen, dass es vielleicht doch ganz sinnvoll gewesen wäre, den ersten Band doch vorab zu lesen.

Nun gut, der Unterhaltung selbst tat das keinen Abbruch. Ich flog ja regelrecht durch die Zeilen und das obwohl ich anfangs dachte, dass der Humor für mich etwas zu platt ist.
Aber je mehr ich las, desto abstruser wurde alles, aber auf eine Art, die dann wirklich wieder witzig war. Nach einigen eher klassisch literarischen Werken tat es gut bei diesem Buch einfach nur zu entspannen.

Ich habe schon erwähnt, dass die Geschichte schräg ist (warum wurde Band 1 eigentlich noch nicht verfilmt?). So schräg, dass eine Vielzahl von Bildern in meinen Kopf entstehen.

Liv, Iza und Marlies. Drei Frauen, aus drei Generationen, jede auf ihre Art herzerwärmend. Herrlich, welche Ideen sie haben und berührend, wie sie zusammenhalten. Man trifft auf einige Klischees, die mich im normalerweise stören, aber hier passt es und bestimmt wird es mich auch Band 3 nicht stören.
Und der wird kommen. Da bin ich mir so sicher, wie ich Küchenplanerinnen bisher unterschätzt habe.

Ganz nebenbei fühle ich mit Liv so mit. Ich, ebenfalls 48, ebenfalls drei Kinder, ebenfalls in der Menopause. Zum Glück hielten sich die Mordgelüste bisher bei mir noch in Grenzen.
Gelernt habe ich auch noch etwas: Es gibt die, die Wechseljahre bei Männern - die Andropause. Ich werde drauf achten.

Bewertung vom 18.06.2025
Berman, Ella

Before we were innocent


weniger gut

Drei Freundinnen verbringen den Sommer auf einer griechischen Insel. Eine stirbt. Das klingt nach einem Thriller, ist es aber nicht. Es ist eher ein Roman über das Konstrukt junger Freundschaften und wie sich Konflikte darauf auswirken.

Bess, Joni und Evangeline müssen sich finanziell keine Sorgen machen. Sie können die Zeit auf dieser kleinen griechischen Insel vollkommen genießen. Sie können sich sonnen, baden, essen und über alle möglichen Themen ausgiebig austauschen. Zwei von ihnen wird es aber mit der Zeit langweilig, denn auf dieser Insel gibt es nicht viel und so kollidieren unterschiedliche Meinungen aufeinander und der Ton wird rauer und zickiger.

Der Schreibstil ist leicht und flüssig, so dass man durch die Seiten nur so fliegt. Die Katastrophe ist von Anfang an klar. Als Leser:innen wissen wir nur nicht, was genau wie passiert es und wer eventuell daran beteiligt war? Es wird aus Sicht von Bess und auf zwei Zeitebenen erzählt. In der einen lernen wir die drei Freundinnen kennen und begleiten sie vom Beginn ihrer Freundschaft bis zu der Zeit auf der Insel und den Folgen danach. In der Gegenwart ist Bess zehn Jahre älter und wird wieder mit dem Tod ihrer damaligen Freundin konfrontiert, denn eine weitere Frau verschwindet.

Ich hatte von Anfang an eine ziemlich konkrete Ahnung, was passiert ist. Die Ahnung hat sich nur zum Teil bestätigt. Das ist auf einer Seite gut, denn ich mag es überrascht zu werden. Zum Anderen bleibt mir die Auflösung doch zu vage. Offene Enden können verheißungsvoll sein, dieses hier ist weder richtig offen noch geschlossen.

Ich hadere noch, ob mir das gefällt oder nicht. Die letzten Zeiten wären fast philosophisch, ganz anders als der Rest des Buches, der für mich typisch Young Adult ist. Die drei Hauptcharaktere waren fern meines Lebensstils, was natürlich kein Kritikpunkt ist aber auch sehr gern von mir gemocht zu werden. Ich habe zu keiner der jungen Frauen Zugang gefunden und zu viele Entscheidungen und Konversationen hinterfragt.

Dennoch ist es ein perfekter Roman für träge Sommerurlaubstage, denn er bringt ein wenig Schwung ins Gehirn.

Bewertung vom 11.06.2025
Dave, Raksha

Auf den Spuren unserer Vorfahren


ausgezeichnet

Der Beruf der Archäolog:innen übt vor allem bei Kindern eine große Faszination aus. Wer möchte nicht Zeuge einer Ausgrabung mit Funden, die uns neue Erkenntnisse liefern.

Genau darum geht es in dem Kinder-Sachbuch, welches ich euch heute vorstelle.
Chronologisch werden uns Völker und Orte vorgestellt, die in ihrem sozialen Miteinander und in ihrem Denken sie viel fortschrittlicher waren, als lange Zeit angenommen und teilweise an wir heute.

Vom Lake Mungu in Australien vor 40.000 Jahren mit Menschen, die sich um das Wohl der Natur gesorgt haben, über die nachhaltige Stadt Mohenjo-Daro in Pakistan, bis Groß Simbabwe, dass den rassistischen Kolonialisten eines besseren belehrt, wird an verschiedenen Fundstücken gezeigt, wie wir zu dem Wissen kommen, dass wir heute haben uns welche Rückschlüsse daraus gezogen werden können.

Wir lernen, dass Wikinger auch friedlich handeln könnten, dass Frauen schon lange vor unserer Zeit Anführerinnen im Kampf und Siegerinnen im Sport waren, dass Völker gleichberechtigt lebten und dass die Natur immer im Einklang zum Leben stehen und geschützt werden musste.

Ein Buch, dass Mut macht und Hoffnung gibt. Denn wenn wir Menschen all das schon gelebt haben, was uns heute wichtig erscheint, sollte es doch möglich einen Zustand mit Frieden, Gleichberechtigung, Vielfalt und Umweltbewusstsein wieder herzustellen.

Bewertung vom 31.05.2025
Moore, Georgina

Die Garnett Girls


weniger gut

Nachdem ich das Hörbuch abgebrochen habe, weil ich ständig gedanklich abgeschweift bin habe ich mir das Buch vorgenommen.
Auch hier brauchte ich eine ganze Weile, um in die Geschichte hineinzukommen. Die Charaktere waren für mich schwer greifbar und ich fühlte mich keiner von ihr nah. Ein glamouröse Mutter, ihre drei erwachsenen Töchter und dazu die Ehemänner und einige weitere Nebenfiguren. Die Frauen leben scheinbar perfekte Leben, doch wie so oft bröckelt es hinter den Fassaden.

Spannender wird es für mich, als ich mehr über die Vergangenheit von Margo, der Mutter, lese. Ich fühle das Glück, das Margo empfindet, aber auch die Verzweiflung, als der Alkohol immer mehr Besitz von ihrem Mann ergreift und sie am Ende mit ihren drei kleinen Töchtern allein zurückbleibt.

Hier verstehe ich auch die einzelnen Positionen der Töchter, die jede für sich anders damit umgehen, vom Vater verlassen worden zu sein. Die Gemeinschaft der Schwestern ist authentisch und auch schön mit anzusehen. Und doch bleibt dieses Gefühl der Oberflächlichkeit und keinen von ihnen dringt wirklich zu mir durch.

Am Ende bleibt das Buch für mich eine eher seichte Lektüre, die Tiefgang versucht. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es genau deswegen das perfekte Urlaubsbuch für andere Leser:innen ist.

Bewertung vom 27.05.2025
Oertel, Friederike

Urlaub vom Patriarchat


ausgezeichnet

Einfach mal dem Patriarchat den Rücken kehren und tief verwurzeltes abstreifen bzw. neu denken. So oder so ähnlich hat Friederike Oertel vielleicht gedacht, als sie für drei Monate ihr Leben in Deutschland gegen das in Juchítan, einer Stadt nahe der Pazifikküste Mexikos eintauschte. Juchítan, dass schon vorher als Matriarchat in der Presse vorkam. Ich bin aber erst durch dieses Buch darauf gestoßen.

Mir gefällt wie ehrlich Oertel ihre Zeit dort beschreibt. Sie beobachtet und fragt nach, sie beachönigt nichts und kritisiert auch nicht. Mir als Leserin bleibt es überlassen, wie ich das Gelesene beurteile.

'Urlaub vom Patriarchat' ist aber nicht einfach ein Reisebericht oder eine Anekdotensammlung von Erlebnissen, sondern es ist gleichzeitig ein Sachbuch. Oertel hat viel zu den Matriarchaten dieser Welt geforscht. Sie erklärt, wie Patriachalische Strukturen entstanden sein könnten und geht tief in die Geschichte der Menschheit hinein. Sie greift Themen wie Diversität, Wut, sexuelle Gewalt und einige weitere auf, alle eng verbunden mit dem System in dem wir, aber auch die Menschen Juchitans leben. Und immer wieder lässt uns Oertel an ihren eigenen Erfahrungen teilhaben, die die sachlichen Fakten Nachbar untermauern.

Wieder einmal denke ich mir, dass wir so viel mehr von indigenen Völkern (in Juchítan leben u.a. die Zapotek:innen) als wir ihnen genommen haben. Das Matriarchat dort ist keine Umkehr des Patriarchats wie wir es kennen, es ist auch nicht perfekt (was immer auch perfekt bedeuten mag). Es ist ein anderes Verständnis, dass dennoch durchzogen ist von männlichen Denkweisen. Die Politik ist dort immer noch größtenteils männlich und vor der Hochzeit findet ein Brautraub mit dem Nachweis der Jungfräulichkeit statt. Letztes ist kein Muss, aber die Tradition lässt viele noch daran festhalten.

Ich habe wieder vieles gelernt, z.B. das sich das Wort Matriarchat nicht nur von Mutter, sondern auch von Anfang herleiten lässt. Oder dass Zapotek:innen Ageism nicht kennen. Und ja, ich kannte das Wort Ageism nicht. Das ist die Diskriminierung des Alters. In Juchítan gibt ein drittes Geschlecht, sie Muxe. Ich könnte noch so viel mehr schreiben und erklären. Aber lest es selbst. Ich werde jedenfalls die Werbetrommel schüren und bei meiner großen Tochter und meinem Mann beginnen.

Bewertung vom 06.05.2025
Peters, Amanda

Beeren pflücken


sehr gut

Ein Kind verschwindet und außer der eigenen Familie scheint es niemanden zu kümmern. Tiefer kann Rassendiskriminierung kaum greifen. Denn so geschieht es als die kleine Ruth verschwindet. Ihre Familie gehört zu den Mi'kmaqs, die in Novia Scotia (Kanada) beheimatet sind und zum Arbeiten nach Maine (USA) kommen. Sie werden geduldet, weil die Arbeitskraft benötigt wird, aber ein Interesse an Integration gibt es nicht.
Die Geschichte beginnt in den 60er Jahren, aber auch die kommenden Jahrzehnte bringe keine wirkliche Verbesserung.

Die Spannung des Buches besteht nicht darin, was mit Ruth passiert ist, denn das wird schon sehr schnell klar, sondern, wie die Leben zweier Menschen verlaufen und der Hoffnung, ob sie sich wiedersehen.

Erzählt wird abwechselnd aus Sicht von Joe, dem jüngsten Sohn der Familie und älteren Bruder von Ruthie und aus Sicht von Norma und - Achtung Spoiler - die eigentlich Ruthie ist.

Obwohl es teilweise schwer auszuhalten war, könnte ich nicht aufhören zu lesen. Ich habe mit Joe mitgelitten. Er war selbst noch ein Kind, als seine Schwester, ohne Spuren zu hinterlassen, von einem Moment auf den nächsten verschwand. Aber diese Tatsache und die (unnötige) Schuld, die er sich selbst aufgeladen hat, beeinflussen sein halbes Leben. Weitere Schicksalsschläge und Verzweiflungstaten lassen ihn ausbrechen und alles hinter sich zu lassen, was ihm lieb ist. Während wir ihn auf seinem Roadtrip begleiten, lernen wir Norma kennen, die oft so nah an der eigenen Wahrheit ist und dann doch daran vorbei schlittert. Ein Leben voller Entbehrungen, von denen sie vielleicht etwas ahnt, das aber lange, lange Zeit unentdeckt bleibt.

Amanda Peters schafft es mich immer wieder verzweifeln zu lassen, aber dennoch die Hoffnung zu schüren, dass eines Tages alles gut wird. Der Roman hat mich so gefesselt, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen wollte und das ist eines dieser Bücher, dass das Fernweh entfacht. Ich habe wieder große Lust auf Kanada. Ich möchte nach Nova Scotia, möchte die Badlands und Grassland sehen und vielleicht in Maine Beeren pflücken.