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jewi
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Forchheim

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Insgesamt 29 Bewertungen
Bewertung vom 26.03.2023
22 Bahnen
Wahl, Caroline

22 Bahnen


sehr gut

Tilda studiert Mathematik und steht kurz vor ihrer Masterarbeit. Im Gegensatz zu ihren ehemaligen Mitschülern hat sie die (namenlose) Kleinstadt nach dem Abitur nicht verlassen, um ihre kleine Schwester Ida nicht mit der alkoholkranken Mutter alleine zu lassen. Als sie ein Angebot bekommt, in Berlin promovieren zu können, wagt sie erstmals, von einer Zukunft zu träumen. Und dann taucht auch noch Viktor auf, der Bruder eines ehemaligen Freundes.

Caroline Wahl hat mit Tilda und Ida ein sehr sympathisches Geschwistergespann geschaffen:
Tilda schafft sich innerhalb das Chaos, was ihr Elternhaus verursacht, eigene Strukturen, indem sie im örtlichen Schwimmbad fast täglich 22 Bahnen schwimmt. Neben der Uni jobbt sie in einem Supermarkt und kümmert sich um ihre kleine Schwester Ida. Ida ist erst 10 Jahre alt, sehr introvertiert und malt sehr gerne. Aber sie ist gewitzt und gegenüber Tilda nicht auf den Mund gefallen. Beide wünschen sich stabile Strukturen. Die Krankheit ihrer Mutter durchlaufen sie in Phasen, die beide anhand von kleinen Zeichen ablesen können.

Die Möglichkeit zu promovieren stellt Tilda vor das Problem, ihrer Verantwortung gegenüber Ida nicht gerecht werden zu können:

„Januar. 5 Monate. Ich hätte 5 Monate Zeit, um Ida vorzubereiten“ (S.52)

Die Vorbereitung für Ida will Tilda mit Filmen wie „Die Tribute von Panem“ sicherstellen und ich fand diese Idee sowohl witzig, kreativ, absurd und auch etwas traurig. Tilda sieht es aber als Ihre Aufgabe, dass sich die introvertierte Ida in der Welt behaupten kann.

Die Figur Viktor, die Tilda im Schwimmbad nach 5 Jahren wieder trifft, ermöglicht Tilda eine Abwechslung zwischen dem Alltagstrott zwischen Uni-Schwimmbad-Supermarkt und zuhause. Mir hat es gefallen, dass die Geschichte um Viktor etwas vielschichtiger ist und der Fokus des Buches eher in der Beziehung zwischen den beiden Schwestern als in einer Liebesgeschichte liegt.

Caroline Wahl ist mit „22 Bahnen“ ein sehr lesenswertes Debüt gelungen. Die Geschichte um Tilda und Ida hätte gerne noch ein paar Seiten länger sein können. Trotz des schweren Themas Alkoholismus ist „22 Bahnen“ kein trauriges Buch, der leichtfüssige Erzählweise um Tildas Leben folgt man sehr gerne.

Bewertung vom 25.03.2023
Es war einmal in Brooklyn
Atlas, Syd

Es war einmal in Brooklyn


sehr gut

In „Es war einmal in Brooklyn“ begleiten wir die beiden 17-jährigen Nachbarn Juliette und David im Sommer des Jahres 1977. Die beiden kennen sich seit ihrer Kindheit und sind enge Freunde.
Während David durch seine Leukämiediagnose die Zeit wegläuft und sich sein Leben nur noch innerhalb seines Hauses abspielt, zieht es Juliette raus auf Partys und zu anderen Jugendlichen ihres Alters. Nach dem Sommer wird sie aufs aufs Collage wechseln und David in Brooklyn zurücklassen.

Der Sommer 1977 war geprägt von den Spielen der Yankees, die Taten des Serienmörders „Son of Sam“ und einem Blackout, der komplett New York betraf. Um eben diesen Blackout wird die Geschichte in drei Teilen erzählt: Vor dem Blackout, um bzw. während des Blackouts und die Zeit danach. Kreativ fand ich das Layout einiger Seiten im dritten Teil, die Erwartungen und Emotionen gelungen dargestellt hat.

Ich mochte die fast allwissende Erzählweise, die kurz vor dem Stromausfall einzelne Personen und Szenen beschreibt.
Auch an Juliettes sowie Davids Gedanken, ihren Wünschen und Träumen kann man auf diese Weise teilhaben und schließt sie deshalb sehr schnell ins Herz. Auch wenn man einzelne Handlungen und Entscheidungen der beiden nicht verstehen kann, trägt das nur umso mehr dazu bei, dass man sich den Charakteren nah fühlt. Dies ist Syd Atlas wirklich sehr gut gelungen. Ich habe das Buch wegen Erzählweise und der sehr sympathisch gezeichneten Charaktere sehr gerne gelesen.

Das Cover gefällt mir mit der Farbgebung sehr gut. Die beiden Haustüren (rosa für Juliette, blau für David?) hatte ich mir beim lesen etwas anders vorgestellt - für mich waren die Häuser freistehend, weil Gärten und Einfahrten beschrieben wurden.

Bewertung vom 20.08.2019
Bitte nehmen Sie meine Hand da weg
Bokowski, Paul

Bitte nehmen Sie meine Hand da weg


sehr gut

In seinem Buch „Bitte nehmen sie meine Hand da weg“ beschreibt Paul Bokowski skurrile Geschichten aus dem Leben. Ob aus seinem oder aus dem seines Alter Egos wird nicht ganz klar. Fest steht aber, dass ich schon auf den ersten Seiten laut lachen musste.

Gefallen haben mir die Kapitelreferenzen auf bekannte Filme, Serien und Büchern. Mein Favorit: „Bokowskis und der stille Gast“ (Wer den jetzt nicht zuordnen kann, sollte mehr Tatort gucken!).

Meiner Highlights waren insbesondere die Kapitel „Warten auf Merlot“, „Briefe an einen schwulen Dichter“ (Meine Theorie: Da Herr Kesselring aus Pegnitz kommt, gibt Paul keine Lesungen in (Ober-)Franken), „Selbstabholer, kein Versand“ und besonders die Kapitel, in denen Mama und Papa Bokowski auftauchen. Die Geschichte mit dem Karpfen war großartig, zwischendurch hatte ich jedoch leichte „Dexter“-Flashbacks: „In erstaunlicher Geschwindigkeit hatte Vater den kompletten Hobbyraum mit Abdeckfolie versiegelt. [...]“ (S. 176)

Abschließend hätte ich gern erfahren, ob Herr Kesselring doch noch ein Bild erhalten hat, ob Paul seinen Schreibtisch losgeworden ist und wie French Nails im Spargellook aussehen.

Bewertung vom 09.04.2019
Das Verschwinden der Stephanie Mailer
Dicker, Joël

Das Verschwinden der Stephanie Mailer


sehr gut

2014. Die Journalistin Stephanie Mailer verschwindet spurlos, nachdem Sie in Orphea über einen Mordfall aus dem Jahr 1994 recherchiert hat. Bei diesem wurde der damalige Bürgermeister und seine Familie sowie eine Joggerin ermordet.
Die Polizisten Derek und Jesse, die damals in dem Fall ermittelt haben machen sich gemeinsam mit ihrer Kollegin Anna auf die Suche nach Stephanie Mailer und das Geheimnis, auf dessen Spur diese war.

Kapitel für Kapitel kommt man dem Rätsel näher und bis zum Schluss war ich ahnungslos, wie das Buch enden würde. Dicker schlägt in seinem Roman immer wieder Haken, die den Leser dann doch in eine andere Richtung bringen. Die Geschichte hat viele Personen und Handlungsstränge und ist nicht so einfach zu durchschauen. Das hat mir während des Lesens größtenteils gut gefallen, war aber an einigen Stellen etwas zu gewollt, als müsse Dicker möglichst viele Plot Twist schaffen, weil das bei den beiden letzten Büchern schon gut funktioniert hat (Ich habe seine anderen beiden Bücher noch nicht gelesen).

Ich hatte auch einige Probleme mit den Charakteren. Zwar konnte ich zu den Protagonisten Jesse, Derek und Anna Sympathien aufbauen, da die drei jeweils genug Hintergrundstory bekommen haben, damit man als Leser das Gefühl hat, die Figuren zu kennen.

Alle anderen Figuren fand ich jedoch ziemlich eindimensional. Ich kann hier leider nicht in die Tiefe gehen, ohne zu Spoilern, aber bei einigen waren die Kategorien „gut“ und „böse“ schon sehr klar gezeichnet. Die Figur des Kirk Harvey fand ich in seiner Entwicklung innerhalb des Buches ziemlich seltsam: Kinsky-esk poltert er und brüllt verschiedene Personen an, später findet eine komplette Wandlung statt.

Insgesamt ist „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ ein ungewöhnlicher Krimi mit einigen Schwächen, den ich aber alles in allem gespannt gelesen habe.

Fun Fact am Rande: Dicker stellt die These auf, dass es bereits 2012 bei Facebook einen Dislike Button gab (S. 463).

Bewertung vom 12.03.2019
Die Liebe im Ernstfall
Krien, Daniela

Die Liebe im Ernstfall


ausgezeichnet

In Daniela Kriens Roman „Die Liebe im Ernstfall“ begleiten wir episodenartig das Leben der fünf Frauen Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde. Alle Protagonistinnen sind irgendwie miteinander verbunden. Wie genau die Verbindung zwischen den Frauen aussieht, möchte ich an dieser Stelle jedoch nicht verraten, weil dies auch den Reiz des Buches ausmacht.

Alle Protagonistinnen sind auf sehr unterschiedliche Weise mit den Themen Beziehung, Familien- und Lebensplanung konfrontiert.

Am besten gefallen hat mir Jorindes Kapitel, welches auch das letzte im Buch darstellt. Vor allem lag dies an der ungewöhnlichen familiären Konstellation, in der sie sich ganz bewusst am Ende des Buches wiederfindet. Am wenigsten Sympathien konnte ich Brida entgegenbringen. Ich konnte ihren Wunsch, mehr Zeit für ihre Leidenschaft zu haben nachvollziehen, auf der anderen Seite fand ich sie z.T. recht manipulativ. Selbst die teilweise recht kühl wirkende Judith, die mir jedoch wegen ihres Selbstbewusstseins und ihrer klaren Lebensvorstellung gefallen hat war mir näher.

Abgesehen von Brida hätte ich alle Frauen gerne länger begleitet, weshalb das Buch ruhig noch etwas länger hätte sein können. Dies liegt vor allem an Kriens hervorragendem Schreibstil, der mich ab der ersten Seite vereinnahmt hat. Mit Leichtigkeit steigt man ins erste Kapitel ein und ist sofort in der Geschichte und nah an den Protagonistinnen.

***Fazit***
Ein sehr lesenswertes Buch über Träume und Vorstellungen von Frauen über gewollte / ungewollte Mutterschaft, bewusste / ungewollte Kinderlosigkeit, Beziehungen, sowie das Verhältnis zu den Eltern und das Gefühl nicht zu genügen.

Bewertung vom 28.10.2018
Die wundersame Mission des Harry Crane
Cohen, Jon

Die wundersame Mission des Harry Crane


sehr gut

Bei einer Wanderung auf den Azoren sind wir immer wieder vor Bäumen stehen geblieben, die wir uns staunend angesehen haben. Einige Tage zuvor hatte ich „Die wundersame Mission des Harry Crane“ von Jon Cohen zu Ende gelesen und musste an Harrys Liebe für Bäume denken, die ich in diesem Moment nur nachvollziehen konnte.

Harry ist Ende 30 und glücklich verheiratet mit Beth. Allerdings wünscht er sich nichts sehnlicher, als seinem langweiligen Job bei der Forstbehörde kündigen zu können, um seinem großen Traum von „Harry’s Trees“ (so auch der Originaltitel des Buches, mit der eine Art Baumschule gemeint ist) erfüllen zu können. Durch einen schrecklichen Unfall stirbt Beth, und da Harry sich die Schuld dafür gibt, zieht er sich in die Wälder Pennsylvanias zurück.
Dort lernt er Amanda und ihre 10-jährige Tochter Oriana kennen, die selbst mit einem Verlust umgehen müssen. Während Amanda versucht, nach dem Tod ihres Mannes Dean die Familie über Wasser zu halten, verliert sich Oriana in einer Märchen- und Phantasiewelt, in der Sie mit ihrem Vater kommunizieren und diesen vielleicht auch retten kann.

Es handelt sich hierbei um kein trauriges Buch, sondern vielmehr um ein modernes Märchen. Die Figuren – allen voran Harry und Oriana – waren mir sehr sympathisch, allerdings teilweise etwas schwarz / weiß gezeichnet. Das hat mich aber bei dieser Art von Geschichte nicht gestört, da ich mich trotzdem gut unterhalten gefühlt habe. Das lag zum einen an der schönen Sprache, aber auch an den liebenswerten Protagonisten. Zudem ist immer wieder vom Schicksal die Rede und die vielen Zufälle, die im Buch eine Rolle spielen, haben mir gut gefallen. Zum einen, weil ich vielleicht daran glauben möchte, dass es sowas wie „Schicksal“ gibt, zum anderen, weil es dem Roman eine sehr phantastische Note gegeben hat.

„Wenn die Eichentüren sich leise ächzend öffneten und jemand die Bibliothek betrat (meistens Fred, der Briefträger, oder jemand, der nur mal schnell auf die Toilette wollte), brach das Tageslicht so hell in die dämmerige Stille der Pratt Library, dass man unwillkürlich aufschrak. Wenn aber Oriana Jeffers durch die Türen kam, verwandelte das Licht sich in Mondschein und Sternenglanz, und in den Regalen begannen die Bücher leise zu tuscheln und aufgeregt mit den Seiten zu flattern. Welch Freude, raunten sie einander zu, eine Leserin!“ (S. 114)

Besonders gefallen haben mir auch die im Buch abgebildeten Zeichnungen (Beispielsweise die von der Märchengestalt „Grum“ oder eine Zeichnung, die auf einem Baum verewigt wurde). Das macht das Leseerlebnis nochmal um einiges lebendiger.

***Fazit***

Insgesamt ist „Die wunderbare Mission des Harry Crane“ ein Feel-Good-Märchen, welches Spaß gemacht hat zu lesen und mir trotz des erwarteten Ausgangs ein paar Tränen abgerungen hat (was zugegebenermaßen nicht viele Bücher schaffen).

Wer für ein gemütliches Herbstwochenende einen schönen Schmöker sucht, der kann mit diesem Roman von Jon Cohen nichts falsch machen.

Bewertung vom 24.06.2018
Häuser aus Sand
Alyan, Hala

Häuser aus Sand


schlecht

Auf der Frankfurter Buchmesse 2017 hatte ich eine Dumont-Mitarbeiterin gefragt, auf welches Buch ich mich in 2018 besonders freuen könne, da mir "Heimkehren" von Yaa Gyasi und "Was man von hier aus sehen kann" von Mariana Leky sehr gefallen hatten. Die Mitarbeiterin hatte mir "Häuser aus Sand" empfohlen, weshalb ich dieser Neuerscheinung besonders entgegengefiebert habe. In dem Buch geht es um die Geschichte einer palästinensischen Familie, die der Leser in einem zeitlichen Abstand von über 50 Jahre begleitet. Jedes Kapitel ist jeweils aus der Sicht eines Familienmitglieds verfasst.


Ich habe bisher noch keinen Roman gelesen, der in den palästinensischen Autonomiegebieten spielt bzw. die palästinensische Seite des Nahostkonflikts beleuchtet, weshalb ich mir erhofft habe, dass ich in diesem Buch mehr darüber erfahren kann. Hierbei hätte ich mir sowohl mehr Informationen zum historischen Kontext, als auch wie die jüngere Generation mit diesem Konflikt umgeht gewünscht. 

Ich habe das Buch nun schweren Herzens auf Seite 260 abgebrochen, da es absolut nicht meinen (hohen) Erwartungen entsprach. Es war langweilig und die Figuren eindimensional. Die Charaktere sind entweder still / schweigsam oder laut / streitlustig bzw. religiös oder vertreten westliche Werte. Ich habe mich mit niemandem wirklich identifizieren können und konnte auch für niemanden größere Sympathien aufbauen. Die einzige Erkenntnis, die ich aus diesem Buch mitnehmen kann ist, dass das palästinensische Volk sehr entwurzelt ist, was in dem Buch durch die vielen Umzüge – um dem Krieg und der Enteignung zu entfliehen - deutlich wird.

Historisch hat mich das Buch auch nicht weitergebracht. Alles wurde eher etwas angeschnitten – das Schicksal eines (getöteten) Bruders wurde zwar deutlich – jedoch wird der Leser über die Umstände im Unklaren gelassen, obwohl eine Figur mehr darüber weiß. Der 6-Tage Krieg wurde als solcher nicht benannt (hierbei kam mir der Gedanke, dass dies vielleicht eine Bezeichnung der Israelis ist, den wir in unseren Sprachgebrauch übernommen haben, von den Palästinensern jedoch nicht übernommen wurde?!). Auch die Herrschaft des irakischen Diktators Saddam Hussein wurde angeschnitten, aber als Leser, der mit der politischen Geschichte des Nahen Ostens nicht bewandert ist, musste ich immer einzelne historische Ereignisse und Daten durch zusätzliche Recherchen erarbeiten.

***Fazit***

Die Lektüre hat meinen (hohen) Erwartungen nicht genügt. Ich bin etwas enttäuscht, weil ich mich besonders auf dieses Buch sehr gefreut habe. Schade!

Bewertung vom 27.04.2018
Das Mädchen, das in der Metro las
Féret-Fleury, Christine

Das Mädchen, das in der Metro las


weniger gut

In „Das Mädchen, das in der Metro las“ von Christine Féret-Fleury begleiten wir Juliette, die jeden Tag mit der Metro zu ihrem langweiligen Job fährt. Anstatt zu lesen, beobachtet sie gerne andere Leser und hängt Tagträumen nach. Als sie eines Tages eine Haltestelle früher aussteigt verändert dies ihr Leben komplett.

***Die Magie von Büchern als Hauptthema***
In meiner alten Wohnung hat die Heizung im Wohnzimmer nicht mehr gehalten, weshalb einige Lexikonbände, die ich 13 Jahre vorher geschenkt bekommen hatte, für den Heizkörper eine tragende Rolle gespielt haben. Bis das gesamte Konstrukt irgendwann repariert wurde.

Warum erzähle ich diese Anekdote zum Einstieg in die Rezension zu „Das Mädchen, das in der Metro las“ von Christine Féret-Fleury? Weil diese Lexika für mich kaum noch Wert besaßen. Das Wissen war zum Teil veraltet, das Internet war verbreiteter, ich habe kaum noch in die Bücher geschaut. Inzwischen stehen sie im Keller.

In „Das Mädchen, das in der Metro las“ werden Bücher als etwas Magisches dargestellt, Bücher werden gehortet, weil jedes Buch einen neuen Besitzer finden kann, der es schätzt. Der Gedanke ist zwar schön, aber fern der Realität, wenn man sich mal gut frequentierte Bücherschränke anschaut, in denen beispielsweise immer wieder die selben Bücher von Konsalik und Co. zu finden sind, die auch nur verschwinden, wenn sie entsorgt werden.

"[...] Mit den Büchern konnten sie nichts anfangen. Und so kaufte Juliette sie auf, füllte ihre Bude mit Bändern aus unterschiedlichen Reihen, mit Kochbüchern, Bastelbüchern und erotischen Krimis, die sie eigentlich nicht mochte, nur um sie mal in der Hand zu halten und ihnen ein bisschen von ihrer Aufmerksamkeit zu schenken.“ (S. 75)

Die Protagonistin sammelt also Bücher, an denen Sie selbst kein Interesse hat. Das ist für mich nicht magisch oder bibliophil, sondern hat für mich messihafte Tendenzen. Auch andere Aussagen im Buch fand ich eher fragwürdig:

„Lesen war etwas Intimes und Wertvolles […]“ (S. 110)

Man muss das Lesen nicht glorifizieren. Lesen kann Intim und Wertvoll sein, ist es aber nicht per se.

„Sie wollen damit sagen, dass … ich sie alle lesen soll? Alle?“ (S. 112)

Man muss und kann nicht alle Bücher kennen. Man muss primär für sich eine Auswahl treffen und aus der Masse an Büchern die Bücher rausssuchen, die einen interessieren und „weiterbringen“.

Auch das Buch-Namedropping – also einfach irgendwelche Buchtitel in den Raum werfen – fand ich ziemlich nervig. Ich möchte behaupten, dass auch jemand, der belesener ist als ich, nicht alle im Buch genannten Bücher gelesen haben kann. Wenn die Autorin damit bezwecken wollte, dass man neugierig auf das jeweilige Buch wird, ist ihr dies zumindest nicht geglückt. Warum nicht dann die Protagonisten darüber sprechen lassen? Man hätte durch eine Auseinandersetzung zu den Werken auch Interesse für diese wecken können.

***Bücher als Obsession?***
Scheinbar leben und lebten alle Protagonisten im Buch von Luft und Buchliebe. Die Protagonistin Juliette kündigt ihren Job, um ihre Leidenschaft – das richtige Buch an den richtigen Menschen zu bringen – ausleben zu können. An einer Stelle wird gesagt, dass sie sich ihre Wohnung leisten kann, weil Sie von ihrer Großmutter geerbt hat. Die anderen Figuren im Buch haben jedoch nicht dieses Glück.

Ob wohl das Buch nur 170 Seiten lang ist, habe ich mich sehr durchquälen müssen und mehrmals überlegt es abzubrechen. Warum ich nicht abgebrochen habe war die große Hoffnung, dass noch irgendwas passiert, was mir dieses Buch doch noch lesenswert macht. Leider ist das nicht passiert.
Die eigentliche Aussage, über den Tellerrand zu schauen, seinen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.04.2018
Wie man die Zeit anhält
Haig, Matt

Wie man die Zeit anhält


gut

Ich liebe Zeitreise Romane und auch wenn es sich bei „Wie man die Zeit anhält“ von Matt Haig strenggenommen nicht um einen Zeitreiseroman handelt, weil der Protagonist Tom Hazard „nur“ sehr langsam altert – er somit nach 439 Jahren immer noch wie 39 aussieht – und die Zukunft nicht kennt, würde ich das Buch trotzdem zumindest ansatzweise zu diesem Genre zuordnen.

Wie auch in vielen anderen Zeitreiseromanen ist ein großer Aspekt die Liebe: In „Die Frau des Zeitreisenden“ von Audrey Niffenegger und in „Der Anschlag“ von Stephen King wurde dieser Aspekt grandios umgesetzt. In „Wie man die Zeit anhält“ ist es Matt Haig meiner Meinung nach nicht so gekonnt gelungen.

Tom ist im Jahr 1599 18 Jahre alt, sieht aber aus wie 14. Nachdem er auf sehr brutale Weise seine Mutter verliert, findet er in Rose die Liebe seines Lebens und bei ihr ein neues zuhause. Während Rose jedoch „normalsterblich“ – im Buch „Eintagsfliege“ genannt – ist, überlebt Tom – ein „Alba“, wie „Albatrosse“, wie sich die Gesellschaft der Langlebigen untereinander nennt – sie um viele Jahrhunderte.

Ich kann mir vorstellen, dass viele Leser es romantisch finden, dass Tom nach Jahrhunderten der Qual in denen er seiner ersten Liebe Rose hinterhertrauert, in Camille eine zweite große Liebe findet.

"Dann verstummt ihr Lachen. Ich will sie küssen. Aber ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll. Ich bin seit 400 Jahren Single und habe keine Ahnung von den Regeln." (S. 288)

Ich finde aber die Art, wie Haig dies umgesetzt hat ziemlich plump und vorhersehbar:

"’Die erste Regel lautet, du darfst nicht lieben’, sagte er. ‚Es gibt noch andere Regeln, aber das ist die wichtigste. Du darfst dich niemals verlieben. Niemals lieben. Niemals von der Liebe träumen. – Solange Sie sich daran halten, kommen Sie durch’" (S. 11)

Außer einem leidenden und sich nach der Liebe sehnenden Tom passiert innerhalb des Ganzen Buches nicht viel. Die gesamte Geschichte plätschert über die gesamten 384 Seiten nur so dahin und für mich fühlten sich die 400 Seiten wie ein 800 Seiten Wälzer an.

Tom leidet, Tom vermisst Rose. Von den anderen „Albas“ erfährt man nur ansatzweise etwas und auch Tom blieb mir im ganzen Buch sehr fremd. Außer von seiner Einsamkeit und dass er mehrere Musikinstrumente gelernt hat, erfährt man überraschend wenig von ihm.

Dann lernt er Camille kennen, will sich aber an den oben genannten Leitsatz halten, schafft es aber nicht. Puh.

Auch sprachlich konnte mich Matt Haig nicht überzeugen. Er ist kein Wortakrobat, abgesehen von einigen philosophisch angehauchten Sätzen, die aber ihre Kraft durch die sehr seichte Geschichte verlieren.

Neben all der bisher geäußerten Kritik gibt es einige Aspekte, die mir am Buch gefallen haben. Durch Toms Vergangenheit ist er der ideale Geschichtslehrer und schafft es auch, einige Schüler für Geschichte zu begeistern. Auch die (nicht neue) Erkenntnis, dass „sich das einundzwanzigste Jahrhundert langsam zu einer schlechten Coverversion des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelt“ (S. 374) fand ich sehr treffend formuliert, hätte aber innerhalb der gesamten Geschichte deutlicher rausgearbeitet werden können.

Die eigentliche Kernaussage des Buches: Nicht in Angst zu leben sondern, das „Jetzt“ zu genießen, also nach dem barocken Leitspruch „Carpe Diem“ zu leben hat mir sehr zugesagt.

***Fazit***

„Wie man die Zeit anhält“ ist kein schlechtes Buch. Der Grundgedanke – Mensch altert nur sehr langsam und lebt Jahrhundertelang – ist durchaus spannend. Der Autor hat jedoch das Potential dieser Geschichte nicht komplett ausgeschöpft, sodass Kernaussage und Protagonisten nur sehr blass daherkommen.

Bewertung vom 27.02.2018
Hologrammatica
Hillenbrand, Tom

Hologrammatica


ausgezeichnet

Na, "Schwammkopf"?

Richtig gelesen, im Tom Hillenbrands neustem Science-Fiction Thriller "Hologrammatica" werden im Jahr 2088 Menschen so genannt, die sich keinen kleinen Computer anstelle ihres Gehirns implantiert haben lassen. Das Pendant dazu sind "Hohlköpfe" bzw. "Quants" - Menschen, die ihr Gehirn durch einen Quantencomputer ersetzen ließen und ihr Bewusstsein in andere Körper, sogenannte "Gefäße", hochladen lassen können. Dies ermöglicht den "Hohlköpfen" / "Quants", ein beliebiges (menschliches) Erscheinungsbild anzunehmen.

Klingt cool? Ist aber nicht ganz ausgereift. Nach 21 Tagen muss jeder "Quant" in seinen Stammkörper zurück, sonst erfolgt ein Braincrash - Datensalat sozusagen. Neben diesen menschlichen Errungenschaften hat die Menschheit inzwischen den Mars besiedelt, die Klimaerwärmung wurde mithilfe eines Supercomputers reguliert und die Menschen reisen in Überschallgeschwindigkeiten durch die Welt. Das Holonetz „schönt“ mithilfe von "Holopolish" die Umgebung, sodass Abnutzungserscheinungen etc. nicht mehr zu sehen sind. Um das Holonetz von der Realität zu unterscheiden, gibt es Datenbrillen (sogenannte "Strippergoggles") die für den Betrachter die holographischen Schichten "deaktivieren" können.

In dieser Zukunftsversion begleitet der Leser den Quästor Galahad Singh - eine Art Privatdetektiv, der verschwundene Personen finden soll. Er wurde beauftragt eine Programmiererin zu finden, die sich mit Verschlüsselungen für Backups von "Quant"-Gehirnen beschäftigt hat. Während seiner Ermittlungen lernt Galahad Francesco kennen (und lieben) - einen "Quant", der zwischenzeitlich auch als Francesca auftritt. Da Galahad schwul ist, ist er zu Beginn aufgrund dieser wechselnden Identitäten etwas verwirrt. Letztendlich ist dies jedoch eine der schönen Erkenntnisse dieses Buches: Es spielt in der Liebe keine Rolle welches Geschlecht ein Mensch hat oder wer er ist. Auch ein anderer Aspekt dieser Zukunftsversion ist mir sehr positiv aufgefallen: Die Welt ist durch die schnelleren Transportmöglichkeiten zusammengewachsen, Nationalitäten scheinen keine große Rolle zu spielen.

Es gibt immer wieder witzige Szenen im Buch - beispielsweise kann Galahad mit ein paar Plüschwürfeln, die in einem Auto hängen nichts anfangen. Auch auf "Drohnenland" gibt es indirekt eine Referenz:

„So eine Assistenz-Software ist leider nicht allzu helle. Eine Aufgabe wird ihr schnell zu komplex. Vermutlich wäre es möglich, eine schlauere zu programmieren.“ (S. 298)

Einzig der Schluss und der Epilog sind mir etwas zu kurz geraten. Nichtsdestotrotz habe ich mich durch "Hologrammatica" sehr gut unterhalten gefühlt.

***Fazit***
Ich habe vor ca. zwei Jahren Hillenbrands ersten Science-Fiction Krimi "Drohnenland" gelesen, der mir bereits sehr gut gefallen hat. Auch bei "Hologrammatica" gelingt es Hillenbrand, eine Zukunftsversion zu entwerfen, die durchaus glaubhaft daher kommt. Mit Galahad Singh hat er außerdem einen sympathischen Protagonisten entworfen. Setz deine "Strippergoggles" auf und lies dieses Buch!