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Filia Libri
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Neuss

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Bewertung vom 19.01.2014
Ganze Tage im Café
Jónsdóttir, Sólveig

Ganze Tage im Café


sehr gut

Ursprünglich veröffentlicht auf http://anima-libri.de

Folgender Text findet sich auf dem Buchrücken:

Ein Café im coolen Stadtteil 101 Teykjavik, Treffpunkt für vier junge Frauen. So manches ist schiefgelaufen. Das Leben ein Drama. Die Männer eine Katastrophe. Auf den Herzschmerz aber folgt die Einsicht, dass es Wichtigeres gibt als den Traum von der großen Liebe.

Scharfsinnig, witzig, clever - der rasante Roman der isländischen Bestsellerautorin Sólveig Jónsdóttir.

Also erstmal sind sowohl Inhaltsangabe wie der Text auf dem Buchrücken wirklich irreführend und ich bin froh, dass ich sie mir vorher gar nicht so genau durchgelesen habe. Denn geht man von diesen Texten aus, klingt Sólveig Jónsdóttirs Roman "Ganze Tage im Café" wie eine isländische Version von "Sex and the City" - vier Freundinnen, die in locker-leichter Art über Mode und Männer und andere Katastrophen diskutieren. Dabei ist dieser Roman eigentlich ganz, ganz anders...

Im Zentrum der Geschichte stehen die vier jungen Isländerinnen Hervör, Mía, Silja und Karen - allerdings sind die vier keine guten Freundinnen, die sich regelmäßig auf einen Kaffee treffen. Ganz im Gegenteil, zu Beginn der Geschichte kennen sie einander nicht einmal und auch zum Ende des Romans hin, würden sie sich wohl auch kaum als etwas anderes als flüchtige Bekannte bezeichnen. Das ist es auch nicht vorauf der Roman abzielt oder was ihn besonders macht.

Viel mehr ist es die Art, auf die die Autorin nach und nach die Geschichten dieser vier Frauen so verknüpft, dass immer wieder Berührungspunkte entstehen, die mal kaum einen offensichtlichen Effekt haben und mal überaus einschneidende Erlebnisse darstellen - und natürlich gibt es auch sämtliche Zwischenstufen. Gemeinsame Bekannte, Zufallsbegegnungen und natürlich das namensgebende Café Viertel (im Original heißt der Roman übrigens “Korter”, isländisch für “Viertel”) sind die Schnittpunkte, die die Leben dieser so unterschiedlichen Frauen verbinden und die mich beim Lesen immer wieder begeistert haben.

Vor allem aber waren es die Charaktere, durch die “Ganze Tage im Café” für mich geglänzt hat. Denn Hervör und Co. wirken allesamt so erschreckend, nun ja, vielleicht nicht direkt normal, aber so realistisch, dass man keinerlei Probleme hat, sich vorzustellen, diesen Frauen tatsächlich irgendwann mal zufällig im Café, im Supermarkt oder in der Kneipe über den Weg zu laufen. Sie alle sind sehr viel tiefgründiger, als ich erwartet hätte, und mit jeder kann man sich auf Grund ihrer so ganz und gar menschlichen Probleme irgendwo identifizieren - was aber noch lange nicht bedeutet, dass ich sie alle vier sympathisch fand.

Etwas Probleme hatte ich zu Beginn mit dem Schreibstil der Autorin, der jedoch nach kurzer Eingewöhnung sehr gut und flüssig zu lesen ist und für mich vor allem durch immer wieder sehr ungewöhnliche, dabei aber umso gelungenere Vergleiche und Metaphern geglänzt hat. Mehr Probleme haben mir da schon die ganzen isländischen Namen bereitet, die mich immer wieder ins Stocken gebracht haben und bei denen ich teilweise doch etwas Schwierigkeiten hatte, sie mir zu merken und sie den Figuren zuordnen zu können. Die Tatsache, dass sich alle Menschen in Island offenbar aus Prinzip schon Duzen und mit Vornamen anreden, hat auch gerade bei Artzszenen oder ähnlichem erstmal für etwas Verwirrung meinerseits gesorgt.

Trotzdem, auch wenn ich nicht alle Figuren sympathisch fand und die Geschichte - nicht zuletzt dadurch - zwischenzeitlich auch immer wieder die eine oder andere Länge hatte -, alles in allem ist Sólveig Jónsdóttirs Roman “Ganze Tage im Café” für mich eine wirklich positive Überraschung gewesen, sehr viel tiefsinniger, emotionaler und ernster (auch Themen wie Tod und psychische Probleme spielen eine wichtige Rolle) als erwartet, trotzdem aber auch immer wieder witzig und unterhaltsam. Von meiner Seite daher definitiv eine Empfehlung!