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B. S.

Bewertungen

Insgesamt 177 Bewertungen
Bewertung vom 04.09.2025
Flitner, Bettina

Meine Mutter


sehr gut

Eindringliche Reise in das Leben der eigenen Mutter

Nach "Meine Schwester" widmet sich Bettina Flitner in "Meine Mutter" nun ihrer Mutter, die wie auch ihre Schwester Suizid begangen hat.

In dem autobiografischen Roman, mit fiktionalen Elementen, versucht die Autorin einerseits zu ergründen, wer ihre eigene Mutter war, und andererseits ihr eigenes persönliches Verhältnis zu ihr.

Man folgt Flitner dabei, wie sie sich auf Reisen nach Polen aufmacht, um dort im ehemaligen Nordschlesien auf Spurensuche zu gehen. Bevor ihre Mutter mit ihrer Familie von dort fliehen musste, verbrachte sie dort ihre Kindheit.
Eindringlich beschreibt die Autorin, wie ihre Mutter als junges Mädchen dort im Sanatorium der Familie aufgewachsen ist, und fängt dabei stimmungsvoll die damalige Zeit ein.

Die Reise zu den Wurzeln der Mutter ist eine dichte Erzählung voller Ereignisse und Personen.
Zum Schluss hin, wenn Flitner ihre eigenen Erinnerungen über ihre Mutter teilt, schlägt der Roman leisere und nachdenklichere Töne an. Im Vergleich zum Anfang war jedoch die Mutter als Person hier etwas blasser und weniger greifbar für mich. Der Esprit in der Beschreibung zu Anfang fehlte etwas.

Trotzdem ist Flitner ein starkes und bewegendes Porträt der eigenen Mutter gelungen, das nicht vor unbequemen Fragen zurückschreckt und ein ehrliches, aber dennoch respektvolles Bild der eigenen Mutter zeichnet.

Bewertung vom 24.08.2025
Laabs, Laura

Adlergestell


gut

Sprachlich eine Wucht, inhaltlich mit Schwächen

Die Inhaltsangabe von "Adlergestell" klingt vielversprechend: Verschiedene Generationen von Müttern und Töchtern, ein Aufwachsen als Jugendliche nach der Wende in Berlin und der Blick zurück in die Vergangenheit, auf eine Freundschaft und wie sich alles veränderte.
Leider wurden meine Erwartungen nur zum Teil erfüllt.

Am literarischen Können der Autorin hat es nicht gelegen.
Gleich zu Beginn gelingt es Laura Laabs, dank ihres spritzigen und atmosphärischen Schreibstils, einen direkt in die Handlung und die Gedanken- und Gefühlswelt der Erzählerin zu werfen. Es fühlt sich so an, als würde man mit ihr und ihren Freundinnen Lenka und Chaline in der Schule sitzen oder die Freizeit verbringen.
Kurze Kapitel und Kapitel aus Sicht der Mütter bzw. Großmütter sorgen dafür, dass das Interesse an der Geschichte hochgehalten wird und man gespannt weiterliest, will man doch wissen, wie sich die drei Freundinnen verloren habe und was damals vor 35 Jahren passiert ist. Nebenbei bekommt man auch Einblicke in das jetzige Leben der Erzählerin.

Womit ich meine Probleme hatte, war die inhaltliche Ausarbeitung der Geschichte.
Man lernt zwar die Erzählerin kennen und gewinnt einen Eindruck von Chaline und Lenka, aber so richtig greifbar als Personen mit ihren eigenen Gedanken und Gefühlen würde ich ihrer nicht. Man kratzt eher an der Oberfläche damaliger Ereignisse. Zugang zu dem Innenleben und den Protagonisten bekommt man nicht wirklich.
Zudem wird alles in einer Art Erinnerungsstrom geschrieben, sodass man eher in einzelne Szenen und Momente eintaucht. Erzählerisch wird das zwar stark umgesetzt, inhaltlich ging für mich so jedoch etwas an Tiefe verloren.
Der sprachlichen Wucht steht so leider eine blasse Handlung gegenüber.

Alles in allem ist "Adlergestell" trotz inhaltlich kleiner Schwächen, dennoch ein starkes Debüt einer vielversprechenden Autorin.

Bewertung vom 24.07.2025
Lorath, Peter

Gesetz des Midas - Wiener Abgründe / Leopold Kern Bd.3


sehr gut

Gefährliche Ermittlungen vor historischer Kulisse

In "Gesetz des Midas - Wiener Abgründe 3" von Peter Lorath wird Leopold Kern wieder als Sonderermittler im Auftrag des Polizeipräsidenten Marx tätig und bringt sich dabei in Lebensgefahr.

Erzählt aus unterschiedlichen Perspektiven, taucht man tief in die Ermittlungen von Leopold Kern unter den Ziegelarbeitern und in die sozialistischen Bestrebungen einiger Arbeiter ein. Man wird hierbei Zeuge von Machtspielen und der Gier Ziegelfabrikbesitzern und wie hart die Arbeit als Ziegelarbeiter ist. Aber auch Kerns privates Leben


All das wird durchaus spannend und äußerst bildhaft vor der historischen Kulisse Wiens erzählt. Beim Lesen hat man richtig das Gefühl, durch die Gassen Wiens und die Umgebung mit den Ziegelfabriken zu laufen.

Die Charaktere sowie Wien zum Ende des 19. Jahrhunderts werden nämlich vom Autor authentisch und mit viel Liebe zum Detail dargestellt. Besonders in Kerns Gedanken- und Gefühlswelt wird man hineingezogen. Er ist ein spürbar gezeichnet von seiner Vergangenheit und ist nicht perfekt, aber in seiner Art liebenswert.

Unter der ausführlichen Beschreibung leidet jedoch leider etwas der Erzählfluss, sodass es sich eher um einen gemächlich erzählten Kriminalroman mit ein paar Spannungsmomenten handelt. Zum Ende hinnimmt der Krimi jedoch nochmal deutlich an Fahrt auf, sodass insgesamt ein packender Mix aus Historie und Krimi entsteht.

Alles in allem ist "Gesetz des Midas - Wiener Abgründe 3" ein historischer, leise erzählter Krimi, der vor allem durch seine historische Detailfülle überzeugen kann.

In Verbindung mit einem glaubhaft konstruierten Kriminalfall und vielschichtig gezeichneten Charaktere werden Krimifans, die Gefallen an Krimis mit historischem Bezug, die politisch und gesellschaftliche Strömungen der damaligen Zeit aufgreifen, sicherlich gefallen finden.

Bewertung vom 24.07.2025
Hausmann, Romy

Himmelerdenblau


sehr gut

Geheimnisvolle und fesselnde Suche nach einer Vermissten

Geheimnisvolle Suche nach einer Vermissten

"Himmelerdenblau" von Romy Hausmann ist ein klug konstruierter Thriller, der einen dank seiner fesselnd erzählten Handlung schnell in seinen Bann zieht.

20 Jahre nach dem Verschwinden seiner Tochter Julia, scheint für Theo die Chance greifbar nah, herauszufinden, was damals wirklich mit Julia geschah. Wurde Julia von ihrem damaligen Freud Daniel ermordet und ist sie sogar noch am Leben? Für Theo drängt auch die Zeit, denn er leidet an fortschreitender Demenz. Als die True-Crime-Podcasterin Liv ein Interview mit ihm machen will, beginnt er gemeinsam mit ihr Nachforschungen zu betreiben. Begleitet wird er dabei von seiner Tochter Sophia und Liv von ihrem Partner Phil. Doch schnell wird klar, dass nichts ist so, wie es auf den ersten Blick erscheint und dass alle Beteiligten, ihr eigenes Spiel spielen und was zu verbergen haben.

Erzählt wird der spannende Thriller aus unterschiedlichen Perspektiven, darunter auch einer ominösen Lara, und anhand kurzer Kapitel. Dadurch fällt es schwer, mit dem Lesen aufzuhören, will man doch unbedingt wissen, wie es weitergeht.

Nebenbei taucht man so auch direkt in die Gedanken- und Gefühlswelt der Figuren ein und kann sich so ein realistisch erscheinendes Bild von ihrem Charakter und ihren Motiven machen. Dadurch, dass die Autorin auch den Schreibstil leicht variiert, entwickeln die Kapitel aus Sicht einer Person auch eine persönliche Note, die für zusätzliche Authentizität sorgt.

Nicht nur stilistisch kann der Thriller überzeugen, auch inhaltlich hat er einiges zu bieten.

Was zu Beginn nach einer eindeutigen Suche nach einer Vermissten aussieht, entwickelt schnell zu einem Fall voll lauter Verstrickungen der Figuren untereinander. Besonders am Ende folgt eine überraschende Wendung auf die nächste. Leider erfolgt dies etwas auf Kosten der Handlungstiefe. Die zahlreichen Wendungen wirken nämlich zu konstruiert und die Figuren werden eher zu Werkzeugen der Handlungskonstruktion als zu "echten" Personen.

Auf jeden Fall ist das alles spannend erzählt und nicht nur für Fans.

Bewertung vom 06.07.2025
Geschke, Linus

Der Trailer / Donkerbloem Bd.1


sehr gut

Fesselnd erzählter Thriller mit eigenwilligen Charakteren

"Der Trailer" ist der spannende Auftakt zu einer Thriller-Reihe aus der Feder von Linus Geschke, der mit einer geheimnisvollen Handlung und mit schlagkräftigen (im wahrsten Sinne des Wortes) Figuren aufwarten kann.

Der Fokus der packend beschriebenen Geschichte liegt auf der Suche nach der Wahrheit, was mit Lisa, einer jungen Frau, die vor 15 Jahren auf dem Campingplatz Donkerbloem in Belgien spurlos verschwunden ist, passiert ist. Der suspendierten Kommissarin Frieda Stahnke lässt der Fall nämlich keine Ruhe und sie ermittelt auf eigene Faust an dem Fall weiter. In den Fokus ihrer Ermittlungen gerät dabei der Barbesitzer Wout Meertens, der selber vor 15 Jahren vor Ort war und mehr über das Verschwinden von Lisa weiß, als er gegenüber der Kommissarin preisgeben will. Als er erfährt, dass jemand darauf abgesehen hat, alle Zeugen von damals, zum Schweigen zu bringen, wird der Fall persönlich und gemeinsam mit seiner Nachbarin Kathinka und seinem Mitarbeiter Tayfun begibt er sich auf den Campingplatz, wo alles seinen Anfang genommen hat.

Erzählt wird das alles aus unterschiedlichen Perspektiven und anhand kurzer Kapitel, die an unterschiedlichen Orten und teils auch in der Vergangenheit spielen. Die Spannung wird so konstant hochgehalten, sodass man nur so durch die Seiten fliegt. Einzig im Mittelteil des fast 400 starken Thrillers wird sein Erzähltempo etwas gedrosselt. Langeweile kommt aber zu keinem Zeitpunkt wirklich auf.
Dazu trägt auch der klare und bildhafte Schreibstil des Autors bei, dank dessen der Autor es schafft, die wichtigsten handelnden Figuren als lebendige und realistisch wirkende Personen darzustellen. Besonders Wout ist ein eigenwilliger Charakter, der zu überzeugen weiß.

Zum Ende hin, nimmt der Thriller dann nochmal so richtig an Fahrt auf und die Ereignisse überschlagen sich regelrecht, wodurch das Ende leider etwas zu gehetzt wirkt. Auch gewinnt ein weiterer Erzählstrang an Bedeutung, der sicherlich eine wichtige Rolle im nächsten Band spielen wird.

Tolle Charaktere, eine glaubwürdig konstruierte Handlung mit überraschenden Wendungen und neuen Entwicklungen machen das Buch "Der Trailer" zu einem kurzweiligen und spannenden Thriller, der Lust auf mehr macht.

Bewertung vom 06.07.2025
Zwickau, Dora

Gesellschaftsspiel


gut

Gesellschaftsrevolution auf Sparflamme

"Gesellschaftsspiel" von Dora Zwickau ist ein ruhig erzählter Roman, der versucht, aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen mit einer Familiengeschichte zu verknüpfen, damit aber nur bedingt überzeugen kann.

Die Handlungsidee des Romans liest sich noch vielversprechend.
Erzählt abwechselnd aus den Perspektiven der beiden Schwestern Isabelle, Annika und ihrer Tante Dagmar, unterbrochen von Chatposts und Interviews, taucht man in das beschauliche Weimar ein, das dank eines Tech-Milliardärs zum Schauplatz eines gesellschaftlichen und sozialen Experiments wird. Denn der Milliardär möchte mittels seiner App die Gesellschaft revolutionieren, und Weimar soll der Startpunkt dafür sein.
Eigentlich haben die drei Protagonistinnen jedoch andere Sorgen, liegen doch Isabelle und Annikas Mutter und Schwester von Dagmar nach einem Schlaganfall im Krankenhaus. Doch nach und nach werden alle drei nach anfänglicher Skepsis auch vom Sog der App und ihrem Ziel des gesellschaftlichen Umbaus erfasst.

Was jedoch nach einer tiefgründigen Geschichte über aktuelle gesellschaftliche Fragen und Entwicklungen klingt, entwickelt sich schnell zu einer eher oberflächlichen und erstaunlich emotionslos geratenen Erzählung.

Zum einen bleiben die drei Hauptfiguren in ihrer Darstellung blass und wirken eher als Handlungswerkzeuge anstatt als echte Personen mit Gedanken und Gefühlen. Das Gleiche gilt auch für den Schlaganfall der Mutter, der die drei nicht so richtig zu berühren scheint. Durch die Unnahbarkeit der Charaktere fällt es so schwer, eine Verbindung zu ihnen aufzubauen und sich für sie und ihr Leben zu interessieren.

Zum anderen steuert der Roman nicht wirklich auf einen Höhepunkt zu und entstehende Konflikte werden ziemlich geräusch- und reibungslos aufgelöst.
Auch vielen Aspekten, die zum Thema Demokratie, Politik, Gesellschaftsvorstellungen, Geschlechterrollen oder Gefahren neuer Technologien, angesprochen werden, fehlt es an der erhofften Schlagkraft. So werden eher Schlagwörter oder Argumente genannt, ohne sie wirklich Gegenstand der Handlung zu machen.

"Gesellschaftsspiel" ist so alles in allem ein Roman, der sein Potenzial leider nicht nutzt.
Auch wenn ein angenehm zu lesender Schreibstil und wechselnde Erzählperspektiven für eine kurzweilige Lektüre sorgen, verbleibt die Handlung enttäuschenderweise nur an der Oberfläche und schafft es nicht, einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen.

Bewertung vom 29.06.2025
Hope, Anna

Wo wir uns treffen


sehr gut

Erbe mit Sprengkraft

"Wo wir uns treffen" von Anna Hope ist ein Roman, der zum Nachdenken anregt. Anfangs kommt er noch auf leisen Pfoten daher und baut erst nach und nach an Spannung auf, um dann aber mit voller Wucht zuzuschlagen.

Die Handlung erstreckt sich über fünf Tagen auf einem verfallenen, aber majestätischen Anwesen in Sussex, wo sich die Familie Brooke versammelt, um ihren Patriarchen Philip zu beerdigen. Seine Frau und seine drei erwachsenen Kinder Frannie, Milo und Isa sind in ihren Moralvorstellungen und Idealen teils sehr unterschiedlich und es dauert nicht lange, dass diese aufeinanderprallen. Das Gleiche gilt für ihre Pläne für das Anwesen. Und dann ist da noch die Tochter von Philips langjähriger Geliebten, die das wahre Erbe der Brookes kennt.

Die Autorin liefert auf den mehr als 400 Seiten einen scharfen psychologischen Blick und ein atmosphärisch dichtes Porträt einer Familie, die unter der Last von Erbe, Trauer und unausgesprochenen Wahrheiten zerbricht. Familie ist eben kompliziert, und dieses Buch beschreibt einige dieser Kämpfe sehr gut.

Aber nicht nur die vielschichtige Familien- und Geschwisterdynamik steht im Mittelpunkt der klug erzählten Geschichte, sondern auch das Anwesen in Sussex selbst ist ein wesentlicher Bestandteil der Handlung, so dass es fast wie eine eigene Figur wirkt. Zudem liefert die Entstehungsgeschichte des Anwesens einen tiefen Einblick in die soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit der Vergangenheit und wird überzeugend aufgearbeitet.

Dank des bildhaften und präzisen Schreibstil der Autorin und der verschiedenen Erzählperspektiven ist man ebenso nah an den Charakteren dran, wodurch eine umfassende und realistische Figurenzeichnung entsteht. Mancher Charakter sowie Handlungsstrang hätte jedoch noch etwas mehr Tiefe vertragen können.

"Wo wir uns treffen" ist insgesamt ein tiefgründiger Roman, der nach gemächlichen Beginn, schnell eine Sogwirkung entfaltet und kluge Fragen über Familie, Erbe und aktuelle gesellschaftliche Themen stellt.

Bewertung vom 29.06.2025
Winkelmann, Andreas

Ihr werdet sie nicht finden


sehr gut

Spannende und geheimnisvolle Suche nach der verschwundenen Tochter

"Ihr werdet sie nicht finden" von Andreas Winkelmann ist sein neuestes Werk, das von Anfang bis Ende mit einer fesselnd und glaubwürdig konstruierten Handlungsidee überzeugen kann, auch wenn es mehr einen Spannungsroman als einen Thriller für mich darstellt.

Erzählt abwechselnd aus der Perspektive von Franka und Jonas, unterbrochen von gelegentlichen Rückblicken in die Vergangenheit, nimmt die Geschichte schnell an Fahrt auf und erhält so auch ihren geheimnisvollen Charakter.

Der Schreibstil des Autors ist gewohnt geradlinig und atmosphärisch.
Auch seine Figurenzeichnung kann überzeugen. Lebendig und realistisch werden Franka und Jonas in ihren Gedanken und Gefühlen beschrieben, sodass man sich gut in beide hineinversetzen kann. Besonders Jonas' Wut und Trauer um seine verschwundene Tochter wird gut spürbar.

Der Fokus der Handlung liegt eher im psychologischen Bereich und weniger auf brutalen Thrillerelementen. Zudem lässt sich die Geschichte auch etwas Zeit, auch wenn verschiedene Wendungen bzw. neue Erkenntnisse den Spannungsbogen hochhalten.

Wer auf der Suche nach einem packend erzählten Spannungsroman ist, wird von "Ihr werdet sie nicht finden" sicherlich nicht enttäuscht werden.
Nicht nur Fans von Andreas Winkelmann kommen hier auf ihre Kosten!

Bewertung vom 22.06.2025
Carr, Garrett

Der Junge aus dem Meer


sehr gut

Leises und poetisches Porträt einer Familie und eines Dorfes

„Der Junge aus dem Meer“ ist ein ruhig und einfühlsam erzählter Roman, der in dem kleinen irischen Fischerdorf Donegal spielt.
Im Zentrum der Handlung steht die Familie Bonnar, deren Leben sich durch die Adoption des kleinen Jungen mit dem Namen Brendan, der am Meer gefunden wird, grundlegend verändert. Über den Verlauf von zwei Jahrzehnten taucht man in das Alltagsleben der Bonnars ein, ergründet die komplexen familiären Beziehungen zwischen Ehepartnern, Brüdern, Schwestern sowie Vater und Töchter. Ebenso wird man Zeuge ihrer Bemühungen, ihren Lebensunterhalt in einer Zeit zu verdienen, in der die Fischerei zunehmend unter Druck gerät.

Der Roman lebt von seiner ruhigen Erzählweise, die einem Zeit gibt, sich auf die kleinen und großen Dramen des Alltags einzulassen. Es sind die Beziehungen, die im Vordergrund stehen.
Dank der unterschiedlichen Erzählperspektiven, darunter auch die einer kollektiven Stimme der Dorfbewohner, gelingt es dem Autor, die komplexen Gedanken und Gefühle der wichtigsten handelnden Personen feinfühlig und authentisch darzustellen. Das Ergebnis ist eine vielschichtige Figurenzeichnung, die zu berühren weiß.
Die kollektive Stimme wiederum verleiht dem Roman eine besondere Atmosphäre und macht das Dorf selbst zu einem wichtigen Charakter. Besonders die enge Gemeinschaft, die das Leben der Menschen prägt, wird spürbar.

Anders als der Titel vermuten lässt, bleibt der Junge aus dem Meer ein rätselhafter und unnahbar wirkender Charakter. Man lernt ihn vorwiegend aus der Sicht seiner Familie und der Dorfbewohner kennen. Da ist Ambrose, der ihn wie einen eigenen Sohn liebt, dann Christine, die versucht, die Familie zusammenzuhalten, und Declan, der eifersüchtig und abweisend auf den neuen Bruder reagiert.

Der Roman schreitet langsam voran und nimmt sich Zeit für die Entwicklung der Charaktere. Die lyrische Prosa und das irische Setting verleihen der Geschichte Authentizität und Charme. Auch wenn das Tempo manchmal etwas zu gemächlich ist, gelingt es dem Buch, den Leser in seinen Bann zu ziehen.

„Der Junge aus dem Meer“ ist ein Roman über Familie, Zusammenhalt und die kleinen Wunder des Alltags. Wer sich auf die ruhige, tiefgründige Erzählweise einlässt, wird mit einer bewegenden und poetischen Lektüre belohnt.

Bewertung vom 22.06.2025
Grandl, Peter

Reset


sehr gut

Fake oder Wahrheit - Packender Thriller über eine entfesselte KI

"Reset - Die Wahrheit stirbt zuerst" von Peter Grandl ist ein fesselnd geschriebener Thriller, der von Anfang bis Ende zu fesseln weiß, manchmal aber etwas zu viel auf einmal will.

Schon im ersten Kapitel kann der packend erzählte Thriller mit Schockmomenten aufwarten.
Zu Beginn wird ein Flugzeug über dem deutschen Luftraum entführt und es steht die Frage im Raum, ob das Flugzeug abgeschossen werden soll oder nicht. Zudem erhalten zahlreiche Menschen vermeintliche Anrufe oder Videos von Familienangehörigen oder Bekannten, die sich nicht von Fake und Echtheit unterscheiden lassen. All das wird von einer unbezwingbaren KI im Hintergrund gesteuert, die das Ziel im Auge hat, die Menschheit zu vernichten. Chaos und Misstrauen bricht aus. Kann die Menschheit vor der Zerstörung durch ein Rückbesinnen auf "alte" Techniken gerettet werden?

In dem Thriller passiert so einiges. Zeit zum Durchatmen bleibt keine. Erzählt aus unterschiedlichen Perspektiven und anhand kurzer Kapitel, lässt das Spannungsmoment zu keinem Zeitpunkt nach und man fliegt nur so durch die knapp 500 Seiten. Zahlreiche Wendungen und Cliffhanger tragen ihr Übriges bei.

Zu viel Tiefe sollte man bei dem Feuerwerk an actiongeladenen Szenen und verschiedenen Handlungsverläufen jedoch nicht erwarten.
Denn so finden zahlreiche Themen, wie z. B. KI, Fake News, Missbrauch, Trauma oder Quantentechnologie, Eingang in die glaubwürdig wirkende Handlung. Teilweise rennt man von Anschlag zu Anschlag, ohne lange bei einem Thema oder einer Person zu verbleiben. Darunter leidet auch die Charakterzeichnung der wichtigsten handelnden Personen. So richtig nah kommt man keinem der wichtigsten Akteure. Der Actionpart steht ganz klar im Vordergrund.

Trotzdem wird ein beängstigendes und durchaus realistisches Szenario erzeugt, das aktuelle Entwicklungen rund um KI, Vertrauen in die Medien und gesellschaftliche Entwicklungen aufgreift und zum Nachdenken anregt.

Wer sich für Thriller über KI interessiert und dabei nicht so viel Wert auf inhaltliche Tiefe und Plausibilität legt, der wird mit "Reset" seine Freude haben.
Kurzweilig, spannungsgeladen und leicht beängstigend ist der Thriller allemal!