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MarcoL
Wohnort: 
Füssen

Bewertungen

Insgesamt 230 Bewertungen
Bewertung vom 22.05.2025
Schatten über Sømarken / Lennart Ipsen Bd.3
Kobr, Michael

Schatten über Sømarken / Lennart Ipsen Bd.3


gut

Feine Sommerlektüre, aber relativ unspektakulärer Bornholmkrimi

Das ist der dritte Fall für Lennart Ipsen, dem sympathischen Insel-Kripo-Chef von Bornholm. Es ist Sommer auf der Insel, die Luft heiß und schwer, und Ipsen hat Urlaub. Und just da passiert ein Mord, noch dazu im Restaurant seiner Freundin, der Sterneköchin Maren. Klar, dass er da sofort ermitteln will, um jeden Verdacht von Maren fernzuhalten. Denn Gift und Küche kommen nicht so gut an. Nebenbei ist das Opfer Marens Ex, ein Unsympath wie er im Buche steht. Seine Kochshows waren legendär, seine verbalen Entgleisungen ebenfalls (erinnert mich jetzt schon sehr stark an einen gewissen DSDS-Moderator).
Allerdings darf Lennart nicht ermitteln, er habe ja Urlaub, außerdem sei er befangen. Er wird von seiner Mitarbeiterin Britta „ruhig“ gestellt, bekommt null Infos (die er sich dann bei seinem pensionierten Vorgänger Morten holen kann, denn da fließt der Informationsfluss ungehemmt).
Er ermittelt natürlich auf eigene Faust …
Die ersten beiden Fälle haben mir echt gut gefallen. Das Inselflair wurde super eingefangen – davon ist in diesem Band nicht viel bis gar nichts zu spüren. Auch die Ermittlungen laufen sehr schleppend dahin (und als erfahrener Krimileser würde man da vieles anders angehen), nebenbei ist einiges vorhersehbar.
Dominierend ist das Geplänkel zwischen Britta und Lennart, sein „Ruhigstellen“. Auch mit seiner Freundin Maren gibt es mehr Disharmonien als gepflegte Partnerschaft. Insgesamt werden die beiden Hauptprotagonistinnen diesmal sehr launenhaft dargestellt. Auch Lennarts Eifersucht kommt da nicht gerade hilfreich daher und macht einiges unglaubwürdig.
Wie auch immer, ab der Hälfte nehmen die ermittlungstechnischen Handlungen etwas mehr an Fahrt auf, die Spannung steigt zum Glück noch bis zum Showdown, der sich dann ziemlich plötzlich und kurz einstellt.
Irgendwie wirkt der Roman, der sicherlich auch seine Stärken hat, wie ein leises Geplätscher. Ich vermisse leider den wogenden Sturm und die knallharte Brandung.

Ich betitele den Krimi mal als leichte Sommerlektüre mit kriminalistischem Hintergrund und diversen Zwischenmenschlichkeiten.

Bewertung vom 18.05.2025
Der unsterbliche Zando
Rost, Martin

Der unsterbliche Zando


sehr gut

Was tun, wenn der Vater eine Brauerei besitzt? Nette Unterhaltung.

Der dreiundzwanzigjährige Fritz Fello hat so seine Pläne und Vorstellungen vom Leben. Glaubt er zumindest. In Wahrheit hangelt er sich von einer Nacht zur anderen – als Nachtwärter, um den restlichen Tag mehr oder weniger zu verschlafen. Da kann auch Toni nicht viel daran ändern, die, von Australien zurückgekehrt, einfach in sein Minikellerappartement einzieht und das nächtlich leerstehende Bett benützt. Bezeichnend ist die Aussicht aus dem kleinen Fenster auf vorbeitrippelnde Beine, meist Kinderfüße.
Dabei hätte es auch anders laufen können. Aber man muss Fritz verstehen. Er könnte die Brauerei seines Vaters übernehmen. Ein Vater, der ihn geduldig bei sich wohnen ließ (welch erhabene Leistung), nachdem seine Mutter auf und davon ist.
Die Geschichte geht in der Chronologie mal zurück, mal spielt sie in die Gegenwart. Fritz arbeitete in der Brauerei, hatte so etwas wie einen Hilfsjob, und sollte wohl irgendwann das Geschäft übernehmen, welches vor mehr als 50 Jahren von seinem Großvater gegründet und aufgebaut wurde. Insgesamt scheint sein Großvater die eigentliche Vaterfigur zu sein, während sein Vater nur ein Firmenboss und selbstdarstellender wohlwollender Gönner ist. Er meint, es sei für Fritz nun Zeit, etwas aus seinem Leben zu machen und BWL oder etwas in der Art zu studieren. Und wirft ihn quasi, Fritz dabei nicht ganz unverschuldet, raus.
Es taucht Maik Zando auf. Eine kryptische Gestalt, dem Geld hinterherrennend wie der Teufel den Seelen. Er habe da was – ganz was tolles, dazu müssen sie aber beide nach Australien fliegen. Nicht ganz greifbar, aber Fritz willigt ein, denn vielleicht kann er ja dann, Maik deutet da was an, seinem Vater eins auswischen. Und dann noch diese mysteriöse Mappe, die Maik immer herumträgt, aus der das Geld bündelweise herauslugt.
Die Geschichte geht hin und her, vermischt sich mit nebulösen Traumsequenzen und lässt Wirklichkeit und Gespinste miteinander vermischen. Einige Bekannte von Fritz und seinem Vater tauchen auf, und stiften nur noch mehr Verwirrung. Und die Brauerei läuft anscheinend auch nicht mehr so dolle …
Wie dann alles ausgeht, oder miteinander zusammenhängt, oder nicht gar ein Plan dahinter steckt, muss jeder für sich selber rausfinden.
Sprachlich ist der Roman sehr locker aus der Ich-Perspektive von Fritz geschrieben, die Dialoge dem Alter der Protagonist*innen gut angepasst. Ein Spannungsbogen, von dem man nicht weiß, wohin er führen wird, zieht sich durch das Buch und lässt die Geschichte Seite für Seite dahinschmelzen. Bis zum Ende – das ich für mich persönlich mit einem großen Fragezeichen abgeschlossen habe. Und dennoch bietet der Roman ein Karussell über existenzielle Fragen wie dem Zurechtfinden in einer vorgezeichneten Gesellschaft, gerade für junge Menschen.

Bewertung vom 10.05.2025
Der Geruch von verbranntem Eukalyptus
Domingo, Ennatu

Der Geruch von verbranntem Eukalyptus


ausgezeichnet

Äthiopien pur und eine intensive Auseinandersetzung über die eigenen Wurzeln und Identität

Die Autorin erzählt uns in dieser autobiografischen Geschichte viel über ihr Geburtsland Äthiopien.
Sie war sieben Jahre alt, als ihre Mutter sie und ihren dreijährigen Bruder mit allerletzten Kräften in die Mutter-Theresa-Station schleppte. Ihre Mutter verstarb ein paar Tage später, ausgezehrt von Aids. Ihr kleiner Bruder, dem das Virus mit der Zeugung in die Wiege gelegt wurde, folgte ihr keine drei Wochen später.
Ennatu hatte Glück, denn sehr bald fanden sich Adoptiveltern aus Barcelona. Und ein neues Leben jenseits der bislang gewohnten bitteren Armut und fern von Kinderarbeit konnte beginnen. Ihre Eltern waren so umsichtig und ließen die Autorin nie ihre Wurzeln vergessen. Ganz im Gegenteil, sie förderten es sehr und reisten drei Jahre später mit ihr nach Äthiopien, zurück in den Norden des Landes, in dem sie aufwuchs.
Es war ein hartes Leben, im Grenzgebiet von Sudan und Eritrea. Der gelebte Wahnsinn namens Krieg und bewaffnete Scharmützel standen an der Tagesordnung, die Leidtragenden waren immer die Ärmsten der Bevölkerung.
Die autobiografische Erzählung ist eigentlich nur ein Aufhänger, eine Rahmenhandlung, die sehr intensive Einblicke in das karge Leben auf dem Land vermitteln. Das Buch ist ein Manifest für die Identitätsfindung, das Besinnen der Wurzeln von denen man kommt und zugleich ein politischer Führer durch das Land.
Was ist Identität? Wie stellt sie sich dar? Oder wie kann sie sich darstellen, wenn man als junge Erwachsene aus zwei Welten kommt? Auch wenn es keine frühkindlichen Erinnerungen gibt, ab einem gewissen Alter vergisst man nichts mehr. So konnte Ennatu noch sehr viel von ihrer kleinen Familie und dem Leben in jenen Landstrichen berichten, sich darauf besinnen, ja sogar die Kontakte zu suchen um sich bewusst zu machen, wo sie ihre Wurzeln hat. Und wo man auf der anderen Seite (durch viel Glück) ein Zuhause bekommen hat. Wieviel Adoptivkinder haben schon die Möglichkeit, ihre Vergangenheit lebendig zu gestalten, und auch ihre Muttersprache als Teil ihrer wahren Identität zu behalten und zu pflegen.

S. 14: „Und wie schwierig es war, eine Karte zu finden, auf der die Ortsnamen Dansha und Humera vorkamen! Sie schienen nicht zu existieren, doch ich beharrte darauf, dass ich in diesen Städten gelebt hätte. Nie war mir so klar gewesen, wer ich war und woher ich kam.“ [Anm: Dies geschah 2003, im Zuge der Adoption der Siebenjährigen.]

Der Titel – „Der Geruch von verbranntem Eukalyptus“ ist eine der frühesten Erinnerungen aus der Kindheit. Denn diese Hölzer aus den riesigen Plantagen wurden auch zum Feuermachen verwendet.

Was die Autorin, geb. 1996, in ihrem kurzen Leben nicht nur erlebt, sondern auch schon geschaffen hat – bitte selber lesen. Es ist unglaublich informativ, natürlich auch stark politisch gefärbt, und dennoch mit den Lebensberichten unterhaltsam verfasst, sodass es einen richtigen Sog beim Lesen entwickelte. Das Leseerlebnis wäre natürlich nichts ohne eine sehr gute Übersetzung von Michael Ebmeyer

Das Buch habe ich sehr gerne gelesen. Es macht nachdenklich und eröffnet weite Blicke über den eigenen Tellerrand in einen Staat, den wir nur von den meist negativen Schlagzeilen her kennen. Ganz große Leseempfehlung !

Bewertung vom 08.05.2025
Die Kaiserin von Galapagos
Strausfeld, Michi

Die Kaiserin von Galapagos


ausgezeichnet

Eine schier wunderbar erschlagende Fülle von Informationen über deutschsprachige Helden und Antihelden in Lateinamerika!

Dieses Buch ist ein Sammelsurium, ein wahres Wunderwerk an ausgewählten deutschsprachigen Menschen (DE, A CH), die sich seit 1492 in Mittel- und Südamerika einen Namen gemacht haben. Im Guten wie im Schlechten. Man wird dabei beinahe schwindlig von der Fülle an Informationen, die die Autorin in akribischer Kleinarbeit zusammengetragen hat.
Das Glossar zählt ca. 620 Personen, die auf den 236 Seiten erwähnt werden.

Zunächst war Lateinamerika fest in der Hand der spanischen Kolonialmächte. Schon kurze Zeit nach Kolumbus verfügten die Konquistadoren ein gut ausgebautes Netz, um ja niemanden von der restlichen Welt an den immensen Schätzen der Neuen Welt teilhaben zu lassen. Dass dabei die indigene Bevölkerung ausgebeutet, gemordet, verschleppt und versklavt wurde, sollte hinreichend bekannt sein und diesen praktizieren Wahnsinn nur unterstreichen.
Mit der Zeit wurden die Einreise- und Handelsbestimmungen etwas gelockert, und viele Abenteurer, Künstler und Forscher bereisten den Kontinent – und natürlich zog es auch jene Menschen an, die nur schnelles Geld wollten, oder einfach auf der Flucht waren – vor allem die jüdische Bevölkerung Europas. Und dann gab es noch die Nazis, die ebenfalls meinten, Lateinamerika unterjochen zu können, was ihnen in Teilen sogar gelang. Sie dachten, sie könnten sich schon vor dem Krieg mit Paraguay eine faschistische Enklave sichern, was auch gebietsweise gelang.

Geprägt wurde der ganze Kontinent von Unterdrückung und Ausbeutung, mehr oder weniger bis heute hinein. Reich an Bodenschätzen, sind es heute China und Russland, die sich holen was zu holen ist, denn Europa hat den Kontinent anscheinend wirtschaftlich vergessen.
Und kaum waren die einzelnen Staaten unabhängig, gab es auch schon die ersten Revolten, Bürgerkriege und Diktaturen.
In den ersten drei Jahrhunderten nach der Entdeckung zog es vor allem, neben den zerstörerischen Spaniern und Portugiesen, Historiker und Naturforscher auf den unbekannten Kontinent. Und auch hier fand im Prinzip nur eine Ausbeutung der Kulturen statt.
Hunderttausende von Artefakten, den Indigenen entrissen oder aus Gräbern geraubt, tummeln und verstauben nun in europäischen Museen. Ein unermesslicher Reichtum – dazu noch das ganze Gold, das den Kontinent verlassen hatte.
Es gibt natürlich auch sehr viele wohlgesonnene Forscher. Allen voran ist natürlich Alexander von Humboldt zu nennen, der in Lateinamerika fast wie ein Heiliger verehrt wurde und noch immer wird. Oder Moritz Rugendas, ein Augsburger Künstler, über dessen Leben auch @mariegatestallforth in ihrem wunderbaren Buch „Mirador“ erzählt. Auch Prinzessin Therese von Bayern (1850-1925) hinterließ wohlwollende Spuren auf dem Kontinent. Eine weitere Frau, Maria Sibylla Merian (1647-1717) machte sich sogar schon vor Humboldt mit ihren Pflanzen- und Insektenstudien einen Namen.
Die titelgebende Geschichte der Kaiserin von Galapagos ist keineswegs eine Metapher, sondern die gab es wirklich. Eine nicht gerade rühmliche Geschichte, denn auf einer paradiesischen, abgelegenen Insel war es nicht mal einem Aussteigerpaar vergönnt, alleine in Ruhe und Frieden zu leben. Für den Horror bedurfte es nur zwei weiterer Personen. Geschehen 1929-1934, mittlerweile in Büchern, Dokus, Theaterstücken und sogar Verfilmungen (neueste: Eden) ausgiebig erzählt.
Neben all den vielen deutschsprachigen Personen, um die es in diesem Buch geht (mit dabei natürlich auch sehr viele namhafte Schriftsteller), ist der Band aber auch nebenbei eine akribische Auflistung des geschichtlichen Zeitrahmens und der politischen Entwicklung der einzelnen Länder. Dabei wird auch nicht mit Gesellschaftskritik gespart, denn aus all den Fehlern und Gräuel, die gemacht wurden, scheint die Welt nicht viel gelernt zu haben.

Von mir gibt es eine ganz große Leseempfehlung für dieses Werk mit seinem geballten Wissen. Riesenrespekt vor der Arbeit, die dahinter steckt!

Bewertung vom 04.05.2025
Forschungen einer Katze
Kettu, Katja

Forschungen einer Katze


ausgezeichnet

Ein gekonnter, wunderbar erzählter Streifzug durch die finnische Geschichte, gepaart mit Magischem Realismus, kritisch, liebevoll, mit der richtigen Dosis Sarkasmus und Humor.

Es gibt ein Amt für himmlisches Forschen, das laufend die aufgefangenen Seelen zurück zur Erde schickt, in den verschiedensten Arten der Wiedergeburt. Vom Einzeller bis zum höchstentwickelten Leben ist da alles drinnen. Diese Seelen werden meistens als Beistand den Menschen zu geteilt, aber nicht immer. Denn der Hauptgrund ist, zu beobachten und zu berichten.
So kehrt eine vielmals wiedergeborene Seele mit großem Erfahrungsschatz zurück, diesmal als Katze. Sie soll einer Schriftstellerin Beistand leisten, ein wenig auf sie aufpassen, und dann ihren Bericht schreiben. Denn die Frau musste schlimme Demütigungen erleiden, und zudem auch noch eine Fehlgeburt. Sie versinkt in ein Loch, kann daraufhin weder sprechen noch schreiben.
Doch beim Transfer aus den himmlischen Gefilden läuft etwas nicht ganz rund, und die Katze landet ein Jahrhundert zu früh im unwirtlichen Norden von Finnland in den Armen des Verdingmädchens Eeva. Auch sie hat ein schweres Los zu ertragen, ganz auf sich alleine gestellt in der rauen Welt, ohne Familie als Rückendeckung. Sie verguckt sich auf dem Markt in Mahte – einem einfühlsamen, ruhigen jungen Mann, der flussaufwärts an der Grenze zu Russland auf einer Insel wohnt. Auch er hat für die Zukunft nichts zu erwarten, außer ein kleines Stück Land auf der Insel mit sonst nichts. Dennoch, Eeva heiratete ihn, gegen die massiven Widerstände seiner Familie. Sound like a match in heaven. Aber die bösen Menschen, sie streiten und bekriegen sich fortlaufend. Die Russen sind da, die Deutschen, Faschisten und all die Mitläufer. Der zuerst hoffnungsvoll erscheinende Stalin entpuppt sich sehr schnell zum Monster das er war. Erster, zweiter Weltkrieg, die Nazis, dazwischen die Aufstände, Revolutionen und Bürgerkriege. All das übersteht das Paar mit großen Entbehrungen, aber die Liebe zueinander ist der beste Kitt, den man sich denken kann.
Und wer jetzt fragt, was haben die Katze und die Schriftstellerin damit zu tun. Nun, die Katze ist die Erzählerin der Geschichte.

Und manchmal, da klappt auch die ursprüngliche Bestimmung, und sie ist dann tatsächlich bei der Frau, die Sprechen und Schreiben verlernt hat. Sie hilft, und … ja, irgendwann werden dann die Verbindungen enthüllt, und es erfolgt ein hin- und herschwappen in der Geschichte. Und das sehr gekonnt.
Die Autorin erzählt uns in wunderbaren Bildern, grandios von Tanja Küddelsmann übersetzt, die geschichtliche Entwicklung Finnlands der ersten fünfzig bis sechzig Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Katze, wie erwähnt, erzählt. Aber nicht nur. Auch Eeva und die Schriftstellerin kommen kapitelweise zu Wort und berichten von sich.
Sprachlich eine Wucht und sehr unterhaltsam, mit einer guten Prise Sarkasmus und Humor, werden hier historischer Roman und magischer Realismus zusammengeführt. Die sehr laute Kritik an den großen Dummheiten der Menschen ist dabei äußerst angebracht.

S.10: „Seht doch nur, was gerade mit der Erde los ist. Sie leidet und geht vor die Hunde, und das nur wegen dieser einen vermehrungswütigen, dummen, aufbrausenden Spezies. Der Mensch ist ein lächerliches Etwas, ein unnatürlicher Parasit, Gottes vollkommen entbehrliche Ruhetagserfindung, die aus irgendeinem Grund aus den Radiowellen des Universums nichts als Kummer und Disharmonie verursacht.“

S. 140: „Müssen sich denn alle anderen Lebewesen vor ihm verkriechen und sich unterwerfen?“

Zehn von fünf möglichen Sternen und somit eine große Leseempfehlung für diesen ausnehmend guten, unterhaltsamen wie lehrreich und kritischen Roman der finnischen Autorin.

Bewertung vom 27.04.2025
Das Ministerium der Zeit (eBook, ePUB)
Bradley, Kaliane

Das Ministerium der Zeit (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Interessant konstruierter Roman über Zeitreisen und deren gesellschaftlichen Konflikte

Auf Grundlage einer verschollenen Arktis-Expedition, die 1845 startete, um die Nordwestpassage zu finden, hat die Autorin einen fiktiven Roman geschaffen. Hauptprotagonist ist der Expeditionsteilnehmer Graham Gore – eine reale Person, über die es kaum historische Aufzeichnungen gibt.
Dem sicheren Tod entrissen, sieht er sich in unserer Zeit wieder. Er wurde mittels einer Zeitmaschine in unsere Gegenwart katapultiert, zusammen mit anderen Personen aus anderen Jahrhunderten, bis zurück ins Jahr 1615.
Es ist ein geheimes Projekt der britischen Regierung. Jeder Person wird eine persönliche „Brücke“ in Form einer Regierungsangestellt:in beigestellt, die ab sofort zusammen leben. Aufgabe der „Brücke“ ist es vornehmlich, die Zeitreisenden in die neue Welt einzuführen – und natürlich rund um die Uhr zu überwachen. Im Falle von Gore ist es die Ich-Erzählerin Eleanor, eine junge Britin, mit Kambodschanischen Wurzeln. Als sie den Job (der eingeht mit einer Verdreifachung ihres Gehalts) annimmt, weiß sie noch nicht, was auf sie zukommt. Hier wird für mich (etwas unglaubwürdig) eine Person mit schwachem Durchsetzungsvermögen auf ein ranghohes ehemaliges Mitglied der Britischen Marine mit antiquierten Vorstellungen losgelassen.
Auch wenn es meist sehr harmonisch zugeht, Gore sich anzupassen versucht, ein Musterbeispiel an britischer Biederkeit der präviktorianischen Gesellschaft zu sein scheint, hat er so seine Schwierigkeiten damit, mit einer unverheirateten Frau zusammen zu wohnen.
Die anderen Expatriats (so werden die Entführten genannt) haben ebenfalls so ihre Anpassungsprobleme. Verständlicherweise.
Aber es geht in diesem Roman um sehr viel mehr. Es sind nicht nur die neuen technischen Errungenschaften und Lebensweisen, wie die Stellung der Frau in der heutigen Gesellschaft versus der vergangenen Jahrhunderte. Auch die Ethnien (v.a. People of Color, Ethnische Vermischungen (sehr schwierig das richtig zu beschreiben!) wie im Falle von Eleanor) wurden damals anders behandelt als heute (obwohl sich da nicht wirklich viel Positives getan hat im Laufe der Zeit).
Was die ganze Zeit im Hintergrund schlummert ist der Grund dieses Experiments, Menschen kurz vor ihrem Tod und Verschwinden von deren Zeitlinie ungefragt in die Zukunft zu verfrachten. Nur sehr allmählich poppen die Antworten auf die Fragen auf, die man sich beim Lesen stellt. So wird zwar ein gewisser Spannungsbogen aufrechterhalten, wird aber meines Erachtens nicht befriedigend gelöst.
Der Roman ist dennoch sehr interessant konstruiert. Dabei geht es sehr wenig um das technische Brimborium, als um zwischenmenschliche Aspekte. Und davon gibt es für meinen Geschmack wiederum zu viel. Die Einarbeitung unserer gesellschaftlichen Probleme wie Flüchtlinge, Kriege, Rassismus und der drohende Kollaps durch den Klimawandel sind hingegen sehr gut gelungen. Und so sehe ich dieses Buch mehr als Fingerzeig im zwischenmenschlichen Umgang, und in unserem verantwortungsvollen Gebaren der Natur gegenüber, denn als eine rasante Science-Fiction Geschichte. Diese tritt tatsächlich in den Hintergrund und kann bestenfalls als Beiwerk oder Story-Aufhänger betrachtet werden.
Nichts desto trotz habe ich das Buch trotz den gewissen kleinen Mängel gerne gelesen und finde, 4 Sterne kann man dafür getrost vergeben.

Bewertung vom 20.04.2025
Hinterm Beton das Meer
Wildschütz, Phil

Hinterm Beton das Meer


ausgezeichnet

Herrlicher, tiefgreifender Coming-of-age bzw. Coming-to-life Roman! Sehr gerne gelesen!

Ein wunderbares Buch, eine Mischung aus Coming-of-age und coming-to-life. Ihr glaubt, davon schon genug gelesen zu haben? Mit nichten! Hier begleiten wir den Ich-Erzähler von seiner Jugend bis hinauf ins (für Jugendliche fast schon biblische) Alter von über 30 Jahren. Er ist auf der Suche. Aber nach was?
Stabile Beziehung? Erfüllender Job? Das Strampeln nach Sehnsuchtsorten? Die Möglichkeit, das zu tun, was man gerne tun möchte?
Aber was will man denn gerne tun um dabei das eigene Innenleben zu verwirklichen, aber sich dennoch lieber verstecken für eine scheinbare Sicherheit?

Wir begleiten unseren Helden und starten mit ihm, als er als zwölfjähriger von der Schule fliegt.

S.10: „Wir schaffen das“, sagte sie leise. Damals war ich zwölf und mein Vater war gerade gegangen. Ich war unsicher, was wir schaffen mussten – ich war zu jung um es zu verstehen.“

Dann geht es recht schnell dahin, er scheint immer wieder über seine eigenen Füße zu stolpern. Ein erster Roadtrip mit seinen Kumpels ist ein Hit. Einfach nur abhauen und den Tag auf sich zukommen lassen. Dann Studium, Job, Hamsterrad. Hie und da eine Beziehung, selten was langes oder stabiles. Aufkeimende Unsicherheiten, zu vieles Nachdenken? Versagen und Versagensängste begleiten den jungen Mann. Und die Sehnsucht nach damals. Und der Surfsommer an der französischen Atlantikküste, der immer wieder kapitelweise auftaucht wie ein Gespinst.

Auf eine sehr unterhaltsame und tiefschürfende Weise in einer feinen Sprache zieht uns der Protagonist (seinen Namen erfahren wir erst am Schluss) durch den Roman. Ohne übertriebene Knalleffekte versteht es Phil Wildschütz, uns mit seiner Art zu Schreiben einzulullen und nimmt uns mit auf diese Reise. Zwischen Träumen und Alltagschaos gibt es immer diesen Funken, der einen antreibt, um eines Tages die perfekte Situation für einen zu finden.

S.236: „Ich dachte, jemand könnte mir zeigen, wie das geht – das Leben, Menschen, Beziehungen. Dass ich’s nur falsch verstanden habe“, sagte ich leise.

Und die Schlusssequenzen haben es in sich … versprochen!

Ganz große Leseempfehlung für diesen wunderbaren Reisebericht!

Bewertung vom 16.04.2025
Mondbad
Lahens, Yanick

Mondbad


ausgezeichnet

Intensiv wie ein Geschichtsbuch, spannend wie ein Krimi, weich wie ein Gedichtband, hart wie die Realität.

Bereits 2014 im französischen Original erschienen, wurde dieser preisgekrönte Roman (Prix Femina) der Haitianischen Autorin nun mit einem grandiosen Sprachgefühl ins Deutsche übersetzt.
Sie beschreibt auf den 200 Seiten eine Familiensaga über einhundert Jahren, wie sie typischer für das gebeutelte Land nicht sein kann.
Auf der einen Seite sind die reichen Landbesitzer. Skrupellos und brutal, nur auf den eigenen Vorteil bedacht, nehmen sie sich, was sie wollen. Häuser, Ländereien, Frauen, Mädchen, Leben. In diesem Fall ist es die Familie Mésidor, ständig auf der Suche nach noch mehr Macht. Auf der anderen Seite die weitverzweigte Großfamilie Lafleur, die Tag für Tag versucht, genug zum Essen und zum Leben zu ergattern. Die Lafleurs hatten einst Land, doch das fiel vor langer Zeit den Mésidors in die Hand. Seitdem kämpfen sie sich durch. Als die Militärs das Land übernehmen, ändert sich nicht viel. Trotz der Hoffnungen der armen Landbevölkerung. Arme wie Reiche sind an der Teilnahme beim Regime nicht abgeneigt, um ihr Stück am Kuchen zu ergattern. Die einen machen es, um es den Landbesitzern „mal so richtig zu zeigen“ und vielleicht aus dem Elend ausbrechen zu können, die anderen tun es in der Hoffnung, noch mehr Macht und Besitz zu ergattern. In beiden Fällen geht der Schuss nach hinten los.
Die Autorin zeichnet hier ein markantes Sittenbild des ländlich geprägten Haitis. Die Kluft zwischen arm und reich bleibt immer bestehen, auch wenn sich die Grenzen manchmal in die eine oder andere Richtung verschieben. Das Leben der Landbevölkerung ist stark geprägt von der Voodoo–Religion mit all ihren Geistern, Göttern und Geschichten (sehr interessante Einblicke, und Voodoo ist keinesfalls das Klischee von Puppen mit Nadeln drinnen). Doch auch die Lehren (und Hartnäckigkeit) des Christentums fließen mit ein. Man pickt sich heraus, was gerade am Nützlichsten erscheint.

S.17: „Ein Wechselspiel, das uns alle mit den Mésidors verband und sie, wider Willen, an uns kettete. Ein Wechselspiel, das wir, Sieger wie Gefangene, seit langer Zeit meisterlich beherrschten. […] Nur eine Geschichte der Menschen aus der Zeit, da die Götter noch nicht fern sind … Da Meer und Wind ihre Namen aus Schaum, Feuer, Staub noch leise hauchen oder auch laut hinausschreien.“

In klaren, und auch immer wieder sehr poetischen Worten, wird uns dieses Gesellschaftsbild nahe gebracht. Die Sprache ist intensiv wie ein Geschichtsbuch, oftmals spannend wie ein Krimi, weich wie ein Gedichtband und dennoch hart wie die Realität.
Wenn man mit einem offenen Geist in die Seiten eintaucht, erlebt man ein Gefühl für das Land, ohne es bereisen zu müssen. Ganz große Leseempfehlung.

Bewertung vom 11.04.2025
Hatokos wunderbarer Schreibwarenladen
Ogawa, Ito

Hatokos wunderbarer Schreibwarenladen


ausgezeichnet

Still, leise. Mit Tiefgang. Ein feiner Wohlfühlroman um die Tageshektik zu entschleunigen.

Der Titel mag etwas abgedroschen klingen, aber das Buch entpuppt sich von Anfang an zu einem feinen, stillen Wohlfühlroman. Gerade die richtige Ablenkung in dieser hektischen Zeit voll von alltäglichen politischen Horrormeldungen. Es sind ruhige Episoden aus Hatokos neuem Leben, angefüllt mit Herzlichkeiten und guten Dingen. Ich würde sagen typisch japanisch. Die Leser*innen werden dabei gut unterhalten mit der traditionellen Höflichkeit und Zurückhaltung, Fremde nicht mit Problemen zu belasten.
Um was geht es: Hatoko kommt nach dem Tod ihrer Großmutter zurück nach Kamakura und übernimmt deren Schreibwarenladen. Sie ist damals im Streit davongelaufen, hatte jeglichen Kontakt abgebrochen, da ihre Großmutter meinte, Zuneigung könne man nur durch eine sehr strenge Erziehung beweisen.
Dennoch, ihre „Vorgängerin“, wie sie von Hatoko meistens genannt wurde, gab ihr eine wertvolle Gabe mit: die hohe Kunst der Kalligraphie und die Befähigung, für andere im Auftrag Briefe zu verfassen. Und das ist es, um was es hauptsächlich im Roman geht. Es kommen die unterschiedlichsten Menschen zu ihr mit der Bitte, einen Brief zu schreiben. Die Gründe sind sehr verschieden – von Dankesschreiben bis zum Trennungsbrief ist alles dabei. Wichtig hierfür ist, das richtige Papier zu wählen, und auch das für die Situation passende Schreibutensil.
Rund um diese „Jobs“ begleiten wir Hatoko natürlich auf ihren privaten Pfaden, treffen liebevolle Nachbarinnen, einen Baron, und andere gute Freunde. Und so ganz nebenbei erfährt unsere Protagonistin auch etwas über ihre Vergangenheit …
Klingt langweilig? Nein, denn die Art und Weise wie Ito Ogawa diese Geschichten schreibt ist alles andere als kitschig. Mit einer sanften Feder (für die sie zahlreiche Auszeichnungen erhalten hatte) leitet sie uns durch die Seiten, lässt einen dabei zurücklehnen und dahinschweben.
Für mich ist das ganz große Erzählkunst und somit gebe ich hier sehr gerne eine absolute Leseempfehlung – Entschleunigung ist das Zauberwort.

Bewertung vom 09.04.2025
Zucker
Knoll, Ursula

Zucker


ausgezeichnet

Ungesüßt historisch! Klug inszenierte Reise durch die Zeit anhand dreier Frauengenerationen.

Puh – wo fange ich an bei diesem sehr vielschichtigen, klug inszenierten Roman …

Drei Frauen sind es, die uns hauptsächlich durch die ungesüßte Wahrheit des weißen Goldes führen. Dabei durchschreiten wir mehrere Epochen der Zeitgeschichte.
Ejo (eine allwissende Geisterscheinung – wunderbare Idee) erzählt über ihre Schwester Mary Prince (1788-1834). Mary war Sklavin auf den Zuckerrohrplantagen, erlangt die Freiheit und zerbricht daran. Ihr Buch wird wegweisend für die Abschaffung der Sklaverei (zumindest bei den Briten).

1848 während der Märzrevolution in Wien treffen zwei Frauen aufeinander. Dita, ehemalige Arbeiterin in einer Wiener Kolonialzuckerfabrik, der Hunger ein treuer Bekannter ist und sich den Aufständen anschließt, landet als Dienstmagd bei den Rothermanns. Tochter Mathilde (Hunger ist ein Fremdwort) hat gute Ideen, um der großen Konkurrenz an Rohrzucker aus den „Kolonien“ zu begegnen und setzt auf die Zuckergewinnung aus Zuckerrüben, trotz massiver Widerstände von der patriarchalen Seite.

In der Jetztzeit, beginnend 1990, begleiten wir Paula. Zuerst als Gastschülerin in London, dann mit ihrer Arbeit an der Entwicklung einer Brennstoffzelle, gespeist mit Zucker. Zusätzlich spielt Paulas Tochter Katja eine tragende Rolle mit ihren Recherchen zur Familiengeschichte – natürlich verschränkt mit der Historie des Zuckers.
Die Autorin verwebt hier sehr genial die Schicksale der handelnden Frauen, und nach und nach kommt man in den Genuss der Wahrheit, wie diese Lebensgeschichten miteinander verflochten sind.
Reichtum prallt auf bittere Armut. Der Drang, einfach nur etwas zu Essen, ein Bett und ein Dach über dem Kopf zu haben, waren bzw. sind Grund genug, Menschen bis aufs Blut auszubeuten.
Der Roman ist mehr als eine Aneinanderreihung von historischen Fakten, verpackt in die Geschichten der jeweiligen Protagonistinnen. Der Zucker ist das bindende Glied zwischen mehreren Generationen und Familiengeschichten. Dabei kommt die gesellschaftliche Akzeptanz der Frauen nicht zu kurz, gleichwohl ob sie in Reichtum oder Armut leben.

Das Nicht-Erkennen und Nicht-Akzeptieren von Hunger und den Nöten der Arbeiterschicht, die ja letztendlich zum Wohlstand der Unterdrücker und Arbeitgeber maßgeblich beiträgt, ist für mich ein weiterer Faden, der sich durch das Buch zieht (und bis heute nichts an Aktualität verloren hat, wenn man die Volksfremde der Politiker betrachtet).

Meine Hochachtung an die Autorin für diesen Roman, der akribisch recherchiert und genial umgesetzt ist. Geschichte meets Gegenwart, ungesüßt – wohlgemerkt. Somit gebe ich gerne eine Leseempfehlung