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TontoM
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Wolsfeld
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Ich lese gern anspruchsvolle Literatur und Sachbücher.

Bewertungen

Insgesamt 46 Bewertungen
Bewertung vom 16.07.2025
Bang, Michelle

Ssukgat


sehr gut

Essen ist Medizin, Essen ist Liebe
MJ Bang beschreibt in ihrem Erlebnisbericht, wie sie nach einem physischen Zusammenbruch koreanische Ess- und Lebensgewohnheiten in ihren Alltag integriert. Diesen ganzheitlichen Ansatz verkörpert die unscheinbare Heilpflanze Ssukgut. Essen bedeutet in der koreanischen Kultur Liebe/Fürsorge und Medizin. Im Buch finden sich deshalb zahlreiche Rezepte für vielfältige ausbalancierte Gerichte zum Nachkochen. Besonders empfiehlt sie fermentierte Lebensmittel. Das Prinzip der Selbstfürsorge hat positive Auswirkungen auf Körper, Seele und Geist, es fördert die Langlebigkeit und das Erreichen seiner Ziele. Bang nennt als weitere wichtige Elemente: gute Atemtechnik, Bewegungen wie Dehnübungen, traditionelle Badehäuser und Meditation. Zu einem glücklichen Leben gehört das Konzept der 3 Schätze: Jing(Essenz)- Qi(Energie), Shen(Geist). Bangs Begegnungen mit buddhistischen Nonnen und Haenyeos(Taucherinnen) bereichern diesen Ratgeber für Langlebigkeit und Lebenszufriedenheit. Den aufmerksamen Leser erwartet eine anspruchsvolle Lektüre.

Bewertung vom 30.06.2025
Marly, Michelle

Die Villa in Weimar


sehr gut

Gute Unterhaltung mit Lotte in Weimar
Ende des 19. Jh. soll die patente Krankenschwester Lotte, die Goethes Lotte nachempfunden ist, Ungereimtheiten im Marie Seebach Stift für ehemalige Bühnenkünstler in Weimar aufklären. Lotte überzeugt mit Fingerspitzengefühl und Takt, die sich zu einer selbstbewussten modernen Frau entwickelt.
Romanaufbau und Dramatik folgen dem eines Theaterstückes mit Prolog, drei Akten und Schlusswort und führen uns in die besseren Kreise der Goethestadt und in das mondäne Sankt Moritz. Charmant präsentiert Michelle Marly die früheren Schauspieler und Sänger mit ihren Eifersüchteleien und Sehnsüchten vor einer glaubwürdigen Zeitkulisse. Die von der gesellschaftlichen Stellung abhängigen weiblichen Lebenswelten und Intrigen werden vor dem Szenario von Kriminal- und Liebesgeschichte überzeugend erzählt. Etwas mehr Dramatik und Überraschungseffekte habe ich erhofft. So hat mich die Reaktion Lottes auf den an sie gerichteten, aber von ihrer Nebenbuhlerin Dorothee geöffneten Brief verwundert. Ein Wilhelmine-Kapitel vermisse ich, denn von ihrem Wohlwollen hängt die Zukunft des Künstlerheims ab.
Aufmerksam habe ich die Einlassungen zur Medizingeschichte gelesen: Knochenbrüche oder aufkommende Demenz. Das offene Ende des Romans ist stimmig und lässt Raum zum Fantasieren. Der Roman ist eine würdige Hommage an die im 19. Jh. weltweit gefeierte Theaterschauspielerin Marie Seebach, ihre Stiftung und natürlich Goethe.

Bewertung vom 19.06.2025
Sina, Kai

Was gut ist und was böse


ausgezeichnet

Der pragmatische Aktivist
Eine genussvolle Lektüre für einen TM-Freund, weil es das Bild des großen Literaten um seine politische Aktivitäten deutlich erweitert und mit neuen Details ergänzt. TM’s politisches Wirken beschränkt sich nicht auf Die Bekenntnisse eines Unpolitischen und seine BBC-Radioansprachen Deutsche Hörer.
Kai Sina untersucht dieses Wirken immer auch im Kontext seines literarischen Schaffens und erklärt, wie er zum politischen Aktivisten wurde, der pragmatisch und leidenschaftlich für die Demokratie eintrat. Bereits vor dem 1. Weltkrieg wurde in seinen Beiträgen zu den damals populären Rundfragen oder seiner Teilnahme an Unterschriftenaktionen für wichtige gesellschaftliche Themen seine demokratische Gesinnung deutlich. Das Buch enthält die wegweisenden Reden von 1922 und 1930 im Beethovensaal in Berlin. Erst jetzt werden mit der GKFA tagesaktuelle Texte erschlossen, die seine umfangreiche Lese- und Vortragstätigkeit im amerikanischen Exil bezeugen, in denen er stetig über die Gräuel in Hitlerdeutschland und die Judenverfolgung aufklärt. Sina erörtert die bisher nur ungenügend erörterte Frage nach Manns Beziehung zum Zionismus. Er vertrat einen kulturellen statt eines politischen Zionismus und sprach sich für ein friedliches Zusammenleben von Juden und Arabern aus, wofür er scharf attackiert wurde. TM verfolgte und kommentierte aufmerksam die Staatengründung Israels 1948.
Ausführlich geht Sina auf Manns Entgegnungen auf seine Ausbürgerung und Aberkennung der Ehrendoktorwürde durch die Bonner Universität 1936 ein, worin er sich insbesondere auf Jacob Grimm bezieht.
Erstaunt war ich über die Tatsache, dass trotz Manns Emigration und Bücherverbrennung 1933 die ersten beiden Bände des Joseph-Romans in Deutschland erschienen sind, was auch seiner engen Verbundenheit zum S. Fischer Verlag geschuldet ist.
Sinas hat für seinen Essay sorgfältig recherchiert. Ein hervorragender Anmerkungsapparat mit Sekundärliteratur und Personenregister laden zu weiteren Studien ein.

Bewertung vom 26.05.2025
Grandi, Alberto

Mythos Nationalgericht. Die erfundenen Traditionen der italienischen Küche


ausgezeichnet

Buon Appetito

Wir lieben fast alle Pasta, Olivenöl und Nutella. Der Wirtschaftshistoriker Alberto Grandi erzählt die wahre Geschichte der italienischen Küche, die es so, wie wir sie kennen, erst seit etwa 50 Jahren gibt. Ihren großen Erfolg verdankt sie den Millionen italienischen Auswanderern, die sie weltweit populär machte. Das Buch liest sich wunderbar leicht, vermittelt viele Details und lädt ein zum nächsten Besuch beim Italiener.

Bewertung vom 13.05.2025
Feuerstein-Praßer, Karin

Die Palast-Rebellin


sehr gut

Schön, glamourös - gelangweilt
Die wohlbehütete schöne, glamouröse Königstocher Margaret ist talentiert und die charmanteste Botschafterin ihres Landes. Leider ist sie immer gelangweilt und besitzt einen ausgeprägten Standesdünkel, den sie andere sehr deutlich spüren lässt. Neben den vielen bekannten Fakten aus ihrem Leben und dem der britischen Königsfamilie liefert die Autorin neue Details, die erst in den letzten Jahren publik wurden und eine andere Sicht auch auf die verhinderte Hochzeit mit Peter Townsend erlauben. Gute Freunde schätzten ihre freundschaftliche Verbundenheit und Aufrichtigkeit. Als Leser erfährt man von Margarets Tragik als kleine Schwester der Königin, der sie stets loyal begegnete, die aber nie ihren eigenen sinnstiftenden Platz gefunden hat. Sie betäubte sich mit Partys, Affären, Zigaretten und Alkohol. Die Lektüre des Buches ist angenehm und eine kenntnisreiche Einführung in die Welt des Adels und des Margaret Set.

Bewertung vom 07.05.2025
Wagner, Thomas

Abenteuer der Moderne


ausgezeichnet

Verschlungene Wege der Soziologie

Die Studentenrevolten von 1968 werden auch als zweite Geburt der Bundesrepublik bezeichnet. Was zu dieser Entwicklung führte, thematisiert auch der Kultursoziologe Thomas Wagner in seinem Buch über die Beziehung der beiden führenden Soziologen Adorno und Gehlen. Wagner beschreibt, wie die Soziologie vom philosophischen Nebenfach zur geisteswissenschaftlichen Leitdisziplin aufsteigt. Er schildert die intellektuelle Gemengelage der Zeit und liefert ein facettenreiches Panorama der gesellschaftlichen Umbrüche Nachkriegsdeutschlands – in West und auch in Ost. Trotz gegensätzlicher Wertvorstellungen Adornos und Gehlens nähern sie sich privat an und ringen um ihre Stellung nicht nur in der Soziologie sondern auch in den Institutionen der noch jungen Bundesrepublik. Wichtige soziologische Schulen mit ihren herausragenden Vertretern wie Schelsky, Habermas, König vervollständigen das Bild, ebenso Bezüge zur amerikanischen Forschung. Bemerkungen über Adornos Positionierung zu Benns Lyrik, Golo Mann oder Noelle-Neumann runden das Bild ab. Bemerkenswert finde ich auch die so nicht erwartete offene Haltung Gehlens zur modernen Kunst. Die Begeisterung des Ostberliners Wolfgang Harich für Gehlen überrascht zunächst, die erst 10 Jahre nach dessen Tod wegen eines Plagiats Gehlens schließlich getrübt wurde. Uns schockiert einerseits Gehlens Stalinbegeisterung, andererseits erklärt sie sich mit seiner früheren Position im nationalsozialistischen System.
Der umfangreiche und detaillierte Anhang belegt Wagners sorgfältige Recherche zu einem wichtigen Kapitel deutscher Geistesgeschichte. Kenntnisreich und kritisch.

Bewertung vom 15.04.2025
Reinhardt, Volker

Esprit und Leidenschaft


ausgezeichnet

Charmante Grande Nation

Grand Plaisir bereitet Volker Reinhardts Kulturgeschichte Frankreichs. Elegant und detailreich verknüpft er die Zeugnisse einer ereignisreichen Historie, die neben der Hochkultur auch vermeintlich Triviales einschließt. Neben französischer Geschichte vermittelt das Buch spannende Ausblicke auf europäischen Geschichte. Italien sei für seine Bildende Kunst berühmt, Deutschland für seine Musik und Frankreich für seine Ideengeschichte.
Nicht nur: Es gibt Ausführungen zu Architektur und Religion, Haute Cuisine und Haute Couture, Literatur, Film, Musik, Eifelturm und Tour de France. Reinhardt hat in seinem allumfassenden Werk fast niemand und nichts vergessen. Auch Themen wie Kolonialgeschichte, Kunstrestitution und Résistance finden ihren gebührenden Platz. Wie Ludwig XIV. und andere bedeutenden Herrscher verewigten sich moderne Präsidenten in prachtvollen Bauwerken. Reinhardt erwähnt anscheinend kleine Details wie die Verbindung zwischen Pierre Corneille (dt. die „Krähe“) und dem Asterix Abenteuer in der Trabantenstadt. Es sind auch diese kleinen Details, die uns die Grande Nation und ihre wechselvolle Geschichte charmant nahebringen.

Bewertung vom 20.03.2025
Maar, Michael

Das Blaubartzimmer


ausgezeichnet

Das Buch ist sehr anspruchsvoll und die Lektüre von Michael Maars Essay zur Schuldfrage bei Thomas Mann eine rechte Herausforderung für jeden, der sich mit Thomas Mann beschäftigt. Kernpunkt ist die Frage, was in den frühen Tagebüchern stand, sodass er die Enthüllung ihres verfänglichen Inhaltes im Exil 1933 dermaßen fürchtete. TM Homoerotik war zu diesem Zeitpunkt bekannt und auch um 1900 stand er nicht allein mit diesem Gefühl.
Später in den USA verbrannte er die Tagebücher. TM verarbeitete autobiografische Erlebnisse in seinen Werken und Maars Überlegungen, inwieweit den Schilderungen tatsächliche Ereignisse zugrunde liegen, finde ich sehr spannend.
Dankenswerterweise hat der Rowohlt Verlag diese bereits 2000 erschiene wichtige Untersuchung neu herausgegeben. Schade, dass die relevante Sekundärliteratur nur Werke bis 1999 erfasst

Bewertung vom 25.02.2025
Felsen, Juri

Getäuscht


sehr gut

Zwischen Täuschung und Selbsttäuschung

Juri Felsens Roman reiht sich ein in die Tradition der großen russischen Romane und beschreibt intensiv Verlust und Verlustängste. Der namenlose Exilrusse im Paris der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts schreibt exzessiv Tagebuch über seine Gefühle zu Ljolja, die er über eine gemeinsame russische Bekannte aus Berlin kennengelernt hat. Eher beiläufig erfahren wir von seinen Geschäften und Kontakten zu anderen Exilrussen, insofern sie seine Beziehung zu Ljolja berühren. Ljolja wird als starke zarte Person vorgestellt. Der Ich-Erzähler fühlt sich von ihr getäuscht, täuscht selbst andere und muss sich eingestehen, dass er am meisten jedoch seiner Selbsttäuschung erliegt.
Felsen beschreibt subtil die russischen Exilkreise, ihre täglichen Sorgen und Vernetzungen, um sich ein standesgemäßes Leben in der neuen Heimat aufzubauen.
Rosemarie Tietzes Übersetzung besticht durch eleganten Stil und facettenreiche Sprache.

Bewertung vom 13.02.2025
Braun, Ursel

Exil im Paradies. Von Marta Feuchtwanger bis Helene Weigel


ausgezeichnet

Anspruchsvoll & leicht

Ursula Braun hat sorgfältig recherchiert und nimmt sich mit einem leichten Erzählton eines anspruchsvollen Themas an. Sie beschreibt sechs berühmte Frauen in ihrem amerikanischen Exil zwischen 1940 und 1945. Dieses ist so tragisch wie ihre Protagonistinnen. Während Katia und Martha gut bürgerlichen Haushalten vorstehen, die ihren international publizierenden Männern einen scheinbar sorglosen Arbeitsalltag ermöglichen, leidet Helene still unter ihrer künstlerischen Untätigkeit und Abhängigkeit vom chronisch untreuen Ehemann. Alma gibt sich weiter mondän. Salkas Salon war lebendiger Treffpunkt zahlreicher Emigranten und Nelly die tragisch Belächelte. Sie versuchen sich in New Weimar einzuleben, aber ihre Seelen sind ganz tief in Europa.
Das schön ausgestattete Buch ist ein geschätztes Geschenk nicht nur für Bücherfreunde