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Benutzername: 
Anton
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München

Bewertungen

Insgesamt 9 Bewertungen
Bewertung vom 12.02.2024
ausgeklammert
Hufgard, Henriette;Steimer, Kristina

ausgeklammert


schlecht

Das Buch ist wirklich eine bodenlose Frechheit. Die Autorinnen wurden nicht danach ausgewählt, wer tatsächlich zur kritischen Theorie beigetragen bzw. zur Frankfurter Schule oder Kritischen Theorie (was natürlich alles nicht unterschieden wird) gehörte, sondern danach, wer für ein Interview bereitstand. Da hat Rahel Jaeggi — die einzige bekanntere Autorin, die in diesem Buch wirklich vorkommen MUSS — wohl Pech gehabt. Lieber nimmt man irgendwelche ehemalige Mitarbeiterinnen Habermas‘.
Null Systematik, null zielgruppengerechte Adressierung (Ich meine: wer, der sich für eine Facette der KT interessiert, braucht denn eine Bemerkung dazu, wer Kant oder Descartes waren?), und dem Titel will man eigentlich auch überhaupt nicht gerecht werden.
Es ist eine einzige Farce und schadet dem Feminismus wohl mehr, als es rechte Kulturkämpfer jemals könnten. Allein die Chuzpe zu haben, so etwas zu veröffentlichen, lässt auch einige Bemerkungen über den eigenen Werdegang der Autorinnen grotesk scheinen.

Bewertung vom 04.07.2022
Geopolitische Machtspiele
Grosch, Martin

Geopolitische Machtspiele


schlecht

Eigentlich sollte hier eine abwägende Einschätzung der Stärken und Schwächen dieses Buches stehen. Eigentlich.
Nach knapp 300 Seiten eines für die Wissenschaft zu unseriös und agitatorisch geschriebenen, für interessierte Beobachter zu banalen, für einen Essay zu dilettantisch formulierten und wenig originellen Buches fehlt mir dazu leider jeder Nerv.
Die Hoffnung, der Buchtitel sei einmal mehr das fragwürdige Unterfangen eines Verlages, die Auflage durch vermeintliche Volksnähe zu steigern, muss nach spätestens 100 Seiten aufgegeben werden.
Den gesunden Mittelweg zwischen dem Determinismus des 19. Jahrhunderts (Kjellén) und dem (verzerrt wiedergegebenen Radikal-)Konstruktivismus der Postmoderne einzuschlagen, gelingt Grosch, trotz des Bekenntnisses, keineswegs — so suggeriert die unzählbar häufige Verwendung von Floskeln wie „nicht umsonst“ oder „nicht von ungefähr“ recht offen die Parteinahme für einen von moderner Theoriebildung unbehelligten Geodeterminismus (zur Einordnung: das schreibe ich als jemand, der selbst die Theoriebildung seit 1970 ablehnt und gerne Carl Schmitt liest).
Mit Hegel ließe sich behaupten, der Autor stehe über den Dingen, weil er nicht in ihnen ist. Geradezu stolz stellt er seine Unkenntnis moderner politischer wie theoretischer Entwicklungen zur Schau, wenn er über die vermeintliche Absurdität von poststrukturalistischen bzw. konstruktivistischen Ansätze herzieht oder die Befassung mit ökologischen Fragen abkanzelt („Energiewende hin oder her“). Anschaulich wird die intellektuelle Höhe dieses Machwerks vor allem an der Stelle, an der er den Grünen unterstellt, sie nähmen das „Schreddern“ von Insekten (!) durch Windkraft (übrigens eine „Verschandelung der Landschaft“) nicht etwa billigend in Kauf, sondern diese Tatsache sei „ökologisch“ von ihnen „gewollt“ (S. 77 — bitte fragen Sie nicht, was sowas überhaupt in einem Buch über Geopolitik zu suchen hat). Nach der jahrelangen Beschäftigung mit dem Nahen Osten und v.a. der Türkei kann ich nur feststellen, dass auch die Länderanalysen lieber an der Oberfläche kratzend Klischees bedienen, als eine ernsthafte Auseinandersetzung zu liefern.
Mehrfach macht der Autor, der den Nimbus des distanzierten Beobachters einnehmen möchte, seine neokonservative und — das sage ich nicht leichtfertig — bisweilen ins Rechtsradikale kippende Neigung deutlich. Die Kombination mit dem Schreibstil eines mittelmäßigen Abiturienten sowie mehrere unangebrachte Exkurse rauben jeden Spaß an der Lektüre. Da ist es nur verständlich, dass gleich zum Release des Buches auf Amazon mehrere Fünf-Sterne-Rezensionen erschienen, wo zufällig der Nachname der einen Rezensentin derjenige des Autors ist.
Trotz der Befürchtung, durch mein Fazit fälschlicherweise in die linksliberal-identitäre Ecke gestellt zu werden, muss ich resümieren: hierbei handelt es sich um das Buch eines alten Mannes, der seine Überforderung mit der Welt als intellektuelle Stärke missversteht, für alte Männer, die ihre Überforderung mit der Welt als intellektuelle Stärke missverstehen — oder, um es im Stil des Autors zu formulieren: Dunning-Kruger lässt grüßen.

Bewertung vom 02.02.2022
Das digitale Kapital
Fuchs, Christian

Das digitale Kapital


weniger gut

Wie man auf die Idee kommt, ausgerechnet den anspruchsvollsten Titel zu wählen, den ein Buch im 21. Jahrhundert tragen kann, um dann etwas völlig anderes vorzulegen, ist mir ein Rätsel. Die einzige interessante polit-ökonomische Überlegung war diejenige, dass das verarbeitungslastige deutsche Kapital den Fetischismus rund um den Begriff der "Industrie 4.0" ankurbelt, um die Lohnstückkosten zu senken und die sektorale Profitrate der allgemeinen anzupassen. Ansonsten handelt es sich hier um eine eklektische Sammlung, die weitgehend auf den Zusammenhang mit dem Buchtitel verzichtet. Der Autor scheint der Meinung zu sein, Marxismus bestehe darin, inflationär die Worte »Dialektik«, »Krise« und »widersprüchlich« aneinanderzureihen — was insofern verwunderlich ist, als die groben Erklärungen mancher Aspekte des Hegelschen Denkens insgesamt zutreffend sind.
Dass es sich hier um ein dezidiert kommunikationswissenschaftliches Buch handelt, merkt man leider zu spät. Als gelernter Polittheoretiker habe ich kein Problem mit Politischer Theorie an sich, welche hier ebenfalls weite Teile einnimmt, das zentrale Duo Negri/Hardt wirkt allerdings deplatziert.
Verwunderlich ist der Umstand, dass Fuchs zwar massenhaft Marx zitiert (wenn auch umständlich im Harvard-Stil, statt die MEW-Ausgabe zu nennen), sich in der Vorgehensweise dennoch so stark von Marx unterscheidet. Kurios ist, dass die vorliegende Marx-Exegese ignoriert, dass es durchaus Unterschiede zwischen dem jungen, naiven, philosophischen Marx und dem reifen, kritischen, ökonomischen Marx gibt (so werden die Zitate aus MEW01 bis 03 nicht relativiert, was sich in der unkritischen Verwendung der Begriffe Entfremdung, Arbeitsteilung und Humanismus widerspiegelt). Während Das Kapital eine zwar polemische, aber doch nüchterne Analyse ist, liegt hier eher ein utopistisches Pamphlet vor. Ärgerlich ist die Oberflächlichkeit, in der Marx bspw. zum Erfinder des Internets erklärt wird, weil manche seiner Prognosen der Produktivkraftentwicklung sich oberflächlich wie eine Vorwegnahme einzelner Aspekte des Internets lesen. Absurd wird das Buch, wenn es sich in seinem Hang zum Namedropping dazu verleiten lässt, Martin Luther als Vertreter der Klassischen Politischen Ökonomie zu bezeichnen (ja, wirklich: vgl. S.75). Auch seitenlanges Herunterleiern unzusammenhängender Begriffe aus dem Marxismus als wissenschaftlichem Sozialismus ist nervig und beileibe nicht respekteinflößend (was es vermutlich sein sollte). Das Rumhacken auf "dem Postmodernismus" und "der Identitätspolitik" ist ebenfalls billig und nicht im Ansatz hilfreich (obwohl ich das Grundmotiv der Kritik an beiden Phänomenen teile!). Das Kapitel über die sogenannte "Coronavirus-Krankheit" raubt einem dann den letzten Nerv, da es sich um eine sinnlose Aneinanderreihung trivialster Fakten handelt.
Wenn der Text es schon nicht schafft, einen zum Abbruch zu verleiten, dann schafft es der Verlag bzw. die Bindung. Die Seiten sind derart unvorteilhaft starr gebunden, dass das Bearbeiten mit Stift und Lineal zur Tortur wird. Das Problem ist nicht selten, aber hier extrem. Die Seitenzahlen an den äußeren Rand zu drucken, finde ich zwar optisch ganz ansprechend, es ist aber für Randnotizen etc. nervig.
Fazit: Wer eine Einführung in den Marxischen Begriff der Maschinerie vom Maschinenfragment der Grundrisse bis zum Kapitel 13 des Kapitals sucht, mag in den ersten Kapiteln fündig werden. Wer allerdings etwas über die politische Ökonomie des digitalen Kapitalismus lernen will, sollte lieber Philipp Staab, Sabine Pfeiffer, Nick Srnicek oder auch Joseph Vogl lesen. Weitere Empfehlungen finden sich sogar im Literaturverzeichnis (Dan Schiller, Vincent Mosco; der große Evgeny Morozov fehlt leider), weshalb es umso trauriger ist, dass Fuchs nicht nur die Chance vergeben, sondern auch den Namen verbrannt hat.

Bewertung vom 11.11.2021
Irrationaler Überschwang
Shiller, Robert J.

Irrationaler Überschwang


sehr gut

Habe das englische Original gelesen und war darüber erstaunt, wie schnell man den Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften ("Wirtschaftsnobelpreis") bekommt. Shillers Einsichten sind sicherlich interessant, geradezu schockierend ist deren Anwendung auf die Gegenwart -- ich hatte bisweilen das Gefühl, die meisten (wenn nicht alle) Vorboten der Krisen wären jetzt in ihrer Extremform gegeben.
Es ist zwar nicht der große Wurf, den man vom allgemeinen Stellenwert des Buches erwartet (auch durch die vielen außer-ökonomischen Bezüge und Anekdoten), aber die 13€ für die deutsche Ausgabe sind es allemal wert.

Bewertung vom 27.04.2021
Die neuen Kriege
Münkler, Herfried

Die neuen Kriege


gut

Das Buch ist interessant, vermutlich aber etwas überbewertet.

Es ist gut gegliedert, allerdings habe ich eine Art Framework bzw. verallgemeinertes Konzept vermisst, in dem nochmal die verschiedenen Befunde halbwegs geordnet und kompakt wiedergegeben werden. Das wäre auch ohne weitere Seiten möglich gewesen, da ich einige Stellen als sehr redundant empfunden habe. Die Systematisierung hätte sich geradezu angeboten, da die verschiedenen Aspekte häufig anhand der gleichen Phänomene erklärt werden und die Zusammenfassung recht einfach durch einen Wechsel der Perspektive bzw. des Fokus gelungen wäre.

Ich bin kein Historiker, hatte aber manchmal den Eindruck, dass die historische Faktenlage etwas selektiv ausgelegt wurde (das betrifft v.a. die Konzeptualisierung der verschiedenen Ausprägungen der Kriegführung, wobei das selbstverständlich nicht ohne Abstraktion möglich ist).

Alles in allem ist es ein lesenswertes Buch, wenn man sich über die Grundzüge kriegerischer Auseinandersetzungen (v.a. deren Pathologien, Widersprüche und Schattenseiten) im 21. Jahrhundert informieren will. Für den detaillierten wissenschaftlichen Gebrauch ist es nur von eingeschränktem Nutzen.

Bewertung vom 31.03.2021
Über das Fernsehen
Bourdieu, Pierre

Über das Fernsehen


ausgezeichnet

Eine brillante Polemik.
Vieles, was Bourdieu anspricht, hat sich heute erst richtig bewahrheitet. So spricht er beispielsweise, trotz des nicht-akademischen Publikums etwas verklausuliert, von einer "zirkulären Zirkulation", die wir heute einfach als Filterblase bzw. allgemein als Bubble bezeichnen würden. Wer ein diffuses Unbehagen mit der politischen Medienwelt verspürt, das nichts mit antidemokratischen Interventionen von Rechts zu tun hat, ist hier an der richtigen Stelle. Vor allem die kurzen Aufsätze am Ende bringen eine der besten Medienkritiken seit Adornos und Horkheimers Kulturindustrie-Kapitel auf den Punkt.

Bewertung vom 29.03.2021
Einleitung in die Soziologie
Adorno, Theodor W.

Einleitung in die Soziologie


ausgezeichnet

Wohl das non plus ultra der Einleitungen in die Soziologie.
Man merkt, dass es die letzte (aufgezeichnete) Vorlesung Adornos ist. Kaum je hat man ihn derart strukturiert, ausgereift erlebt. Ich wünschte, ich hätte das Buch früher gekannt, das hätte mir den Einstieg in die dialektische Theorie der Gesellschaft maßgeblich erleichtert.
Es empfiehlt sich, Band 8 der Gesammelten Schriften Adornos zur Hand zu haben, da der Herausgeber Christoph Gödde nicht mit Fußnoten spart (308 an der Zahl), welche die weitere Beschäftigung mit der Thematik ankurbeln.
Interessant sind auch die Einblicke in die Atmosphäre im Hörsaal -- für einen heutigen Studierenden sind das völlig neue Einsichten; ganz zu schweigen von den vielen Stellen, die schmunzeln lassen, weil wieder irgendetwas nicht funktioniert.

Bewertung vom 29.03.2021
Digitaler Kapitalismus
Staab, Philipp

Digitaler Kapitalismus


ausgezeichnet

Eine hervorragende Analyse. Unerlässlich, um die großen Umwälzungen unserer Zeit zu verstehen.
Es ist schade, dass die Debatten über das Thema von Shoshana Zuboffs Buch über den Überwachungskapitalismus überschattet wurden. Nicht, dass sie den Erfolg nicht verdient hätte, allerdings nimmt Staab eine deutlich breitere Perspektive auf deutlich kleinerem Raum ein, welche mehr über die großen Zusammenhänge lehrt.
Ich bin mir nicht sicher, wie weit ich mit seiner politischen Analyse übereinstimme, interessante Gedanken stellt Philipp Staab jedoch auf alle Fälle an.

Bewertung vom 29.03.2021
Influencer
Nymoen, Ole;Schmitt, Wolfgang M.

Influencer


ausgezeichnet

Eine wunderbare Lektüre.
Trotz seines Anspruchs, welcher sich in zahlreichen Referenzen aus der Filmgeschichte, Philosophie und Ökonomie äußert, ist das Buch offen für alle Zielgruppen, die etwas über Influencer erfahren möchten.
Erfreulich ist, dass es eine materialistische Analyse eines kulturellen Phänomens darstellt, das auf bestimmte polit-ökonomische Krisen unserer Zeit antwortet. Befürchtungen, zwei (alte) weiße Männer ließen ihren Ressentiments gegen junge Damen, sind fehl am Platz: regelmäßig wird darauf aufmerksam gemacht, dass die "Werbekörper" durch und durch regressive Wertvorstellungen und Geschlechterrollen propagieren. Dennoch wird darauf geachtet, dass die Kritik nicht zu persönlich bzw. subjektiv wird, da es sich um ein objektiv notwendiges, sprich gesellschaftlich erzwungenes Phänomen handelt.
Sicherlich formulieren die beiden keine Theorie der Ideologie im Sinne einer Weltanschauung, eine interessante Ideologiekritik haben sie allemal geleistet.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.