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Sagota
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Saarbrücken

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Insgesamt 90 Bewertungen
Bewertung vom 04.09.2025
Kornmüller, Jacqueline

6 aus 49


sehr gut

Die Großmutter der Autorin, Lina, entstammt tiefster Armut; "einer Armut, die verboten gehört", wie sie selbst zeitlebens sagte und diese nie vergaß. Es gelingt ihr, eine Stelle in einem Hotel des in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts aufstrebenden Partenkirchen zu finden, in der sie zuerst in der Küche Pfannen schrubbt. Bis Fanny, eine Hotelangestellte, sie im Service anlernt und Lina immer mehr Gefallen am Hotelwesen findet. Hier sollte sie auch Maria begegnen, der sie zeitlebens verbunden war. Durch einen Zufall verpachtet ein Chemiker, der nach Berlin zieht, das schönste Haus am Platz: Die "Amalie"; hier sollten beide Frauen ihr Glück finden, in dem sie Zimmer (und später mehr Zimmer) vermieteten und Lina die Gastfreundlichkeit in Persona war; Maria dagegen eher schüchtern und im Hintergrund. Dafür ist sie jedoch kreativ und entwirft eigene Daunenbettdecken für das Hotel, mit dem sie sich selbständig machten (was ein Glück war, da Lina schwanger war), die solch' einen Erfolg haben, weil man himmelsgleich in ihnen schläft, dass sie später mit der Werkstatt und der Herstellung expandieren sollten. Der Tourismus kommt im bayrischen Partenkirchen, das später nach Hitlers Wunsch mit Garmisch zusammengelegt werden sollte, in den 20er Jahren in Fahrt und Personal wird überall gesucht. Doch es ist auch die Zeit der beginnenden Verfolgung von Juden: An einigen Beispielen weist die Autorin und Enkeltochter Linas darauf hin, wie unmenschlich mit Juden umgegangen wurde und die "Juden-Abwehrschilder" vor Wettkämpfen und Winter-Olympiaden flugs abgebaut wurden, um sie später wieder (und Schlimmeres) aufzustellen.

Auch wird nicht verschwiegen, dass Amtsleiter unbeschadet auch nach dem Krieg in Amt und Würden waren; diese Gesellschaftskritik fand ich sehr wichtig und fand es gut, dass sie (bei allem Glück der Großmutter) hier nicht ausgespart wurde. Im Gegenteil: Die Autorin springt oft in der Zeit und bringt dennoch das Wesen der Großmutter, die eine starke Persönlichkeit war, der geneigten Leserschaft näher. Lina's Rücken hatte die Enkelin "stets vor allen Unwägbarkeiten des Lebens geschützt" und dies bis ins hohe Alter; wenn auch die Kreise zwischendurch nicht immer eng waren. Dennoch hielt die enge Verbindung wohl ein Leben lang und es ist ein Roman voller Respekt und Ehrfurcht vor Lina, die immer zuversichtlich war, an ihr Glück glaubte (auch im Lottospiel) und dieses selbst in die Hand nahm. Die ein Lachen besaß, "das alles Schwere wegwischte", die aus Nichts etwas machen konnte und sich mitmenschlich und selbstlos zeigte: So wies sie einem jungen Amerikaner (Besatzungsmacht nach dem 2. WK in Bayern) an einem eiskalten Winterabend nicht die Tür, sondern ließ ihn in ihrem Wohnzimmer (mit Frühstück) übernachten: Dies sollte sich als weiteres Glück erweisen, da dieser junge Mann später ein weltberühmter Reisejournalist war, der in einem seiner Bücher Lina erwähnte. Woraufhin 'halb Amerika auf ihrer Couch übernachten wollte'. Das Hotel war also immer ausgebucht und Lina, die sich mit Fremdsprachen schwer tat, reichten sieben englische Wörter, um sich verständlich zu machen. Hier und da blitzt also immer wieder Humorvolles auf, das neben auch schwierigen Zeiten überwiegt. Zumal das Glück (sehr viel später auch in Form eines Sechsers im Lotto!) nie abwesend, sondern immer an der Seite Lina's bleibt. Nur auf die Liebe sollte sich dieses Glück nicht beziehen. Dennoch liebte Lina zeitlebens "das Zufällige, das Überraschende, das Unverfügbare" - und das Wesen des Glücks ist unverfügbar.

Dies hat mir die Großmutter sehr sympathisch werden lassen, je mehr ich von ihr las. Im letzten Drittel erzählt J. Kornmüller auch aus ihrem Leben und mir gefiel die erste Hälfte des Romans noch besser als die zweite, da es interessant und spannend war, mit der Autorin auf das Leben einer sehr starken Frau zurückzublicken, die stets an ihr Glück glaubte. Es ist eine liebevolle Hommage an die Großmutter von J. Kornmüller, deren Liebe und Zuversicht, aber auch ihre Gastfreundschaft, ihr Humor und ihre Mitmenschlichkeit einen Roman durchaus verdienen. Die Kapitel sind kurz, die Handschrift der Autorin glasklar und schnörkellos, der Stil regt dazu an, gerne zwischen den Zeilen zu lesen (was ich sehr mag). Etwas befremdlich fand ich die Distanz zwischen der Autorin und deren Mutter, die im Roman nur mit "Linas Tochter" benannt wird: Der Grund dieser Distanz bleibt dem Leser jedoch verborgen.

Da Lina stets bewusst war, wie viel Armut es gibt (der sie entrinnen konnte), hat sie auch das Leben geliebt, das sie führen konnte (Bali mit Maria im 5-Sterne-Ressort, dahinter die Wellblechhütten); die Schweiz, Venedig mit der Enkelin etc. "weil sie es bezahlen konnte". Hier hätte ich mir vielleicht einen kleinen Hinweis der Autorin gewünscht, dass Lina (z.B. nach dem 6er im Lotto) auch einen Teil des Geldes gerne - für Menschen, die nicht im Glück baden konnten - gespendet hätte. Das ist aber auch mein einziger Kritikpunkt;

Bewertung vom 04.09.2025
Caspari, Anna-Maria

Schlehengrund


ausgezeichnet

Der letzte Romanteil ist im Nachkriegsdeutschland, in der schönen Eifel, angesiedelt, über das Dörfchen Scheven bis zum Hof nach Embken, wo sich die fiktive Familie um Albert Lintermann, Leni, Johanna mit ihrem Sohn Rolf, Silvio und Maria, das eng befreundete sympathische Ehepaar mit ihren Kindern ein neues Leben aufzubauen versuchen. Wir treffen all' diese bereits aus den Vorgängerbänden wohlbekannten ProtagonistInnen des Romans wieder, an deren weiterem Schicksal wir bis Anfang der 70er Jahre teilnehmen dürfen.

Johanna wartet seit Jahren auf ihren geliebten Ehemann Karl, der in sowjetische Gefangenschaft geriet und von dem in den letzten zwei Jahren jegliches Lebenszeichen fehlt. Sowohl die Gefühle der Angst um Karl als auch das auf sich selbst gestellt sein (wobei Schwiegervater Albert ihr freie Hand lässt und sie tatkräftig unterstützt) wie auch später die Emotionen von Karl, der nach Jahren brutaler Gefangenschaft an Leib und Seele gezeichnet ist und nicht als der zurückkehrt, als der er einst eingezogen wurde, sind von der Autorin sehr nachvollziehbar und tief beeindruckend dargestellt: Man wünscht sich, dass Karl wieder ankommt, mit der Zeit Schritt halten kann und Veränderungen gegenüber offen ist - und erlebt tiefe Verunsicherung, dass er sich fremd fühlt und sogar abgelehnt, da er an den alten Werten und Traditionen hängt. Eine Herausforderung ist dabei, mit seiner Frau Johanna alles zu besprechen, was auf dem Hof von großer Wichtigkeit ist, da sich herausstellen sollte, dass sie, die Jahre alles gut auch alleine hinbekommen hat, andere Vorstellungen hat in der Landwirtschaft. So entwickeln sich die beiden, die sich einst so sehr liebten, auseinander und Johanna fühlt sich bald zu einem Mann hingezogen, der Kurse in biologisch-dynamischer Landwirtschaft nach Steiner und Hildegard von Bingen gibt; gegen den Einsatz von Pestiziden ist u.v.m. Karl hält von solchen Neuerungen gar nichts und leidet daran, dass er das Gefühl hat, immer mehr am Rande zu stehen. Er steht symbolhaft für so viele deutsche Soldaten, die nach Jahren der Gefangenschaft zurückkamen, die tiefe Spuren hinterlassen hatte wie auch Traumatas; viele begannen zu trinken, andere wurden gewalttätig. Heute gibt es eher psychologische Hilfe für solch traumatisierten Menschen, nach dem 2. Weltkrieg war jeder auf sich allein gestellt. Die damit einhergehenden Konflikte und Probleme in den Familien wurde beispielhaft von A.-M. Caspari ausgearbeitet und sehr nachvollziehbar, differenziert wie auch emotional sehr gut dargestellt.

Das Tagebuch des klugen, intelligenten und regimekritischen, reflektierenden wie auch kinobegeisterten Studenten Emil Schlösser (der jüngste Sohn des Schmiedes Hermann Schlösser) beleuchtet in Einflechtungen immer wieder das gesellschaftliche Leben und die technischen Neuerungen und politischen Ereignisse in den 50er und 60er Jahren; z.B. das Fernsehen, der Mauerbau, der Besuch Kennedys in Deutschland, die Kubakrise, der Besuch des Schah etc. Dies fand ich als ergänzendes Stück Zeitgeschichte sehr gut und es ist das Jahrzehnt meiner eigenen Kindheit, weshalb ich natürlich einiges noch in Erinnerung habe und schmunzelte, wenn es um "Stahlnetz" ging, (das ich als Kind nicht sehen durfte); zumal die Figur Emil Schlösser, der möglichst rasch und sehr fleißig sein Studium beenden will, um Lehrer für Geschichte zu werden, als kritischer Geist so manchem Nazi-Ungetüm, die es noch immer gab (wie z.B. ein Dr. Textor, Vater von Horst, der mit Rolf befreundet ist im Roman) gegenübersteht: Auch die Geschichte der jüdischen Bevölkerung wird erwähnt; die, 40 an der Zahl, sogar eine eigene Synagoge hatten - und von denen nach dem Krieg niemand mehr dort lebte; dies soll und darf immer wieder betroffen machen.


Mir sind besonders Johanna, Albert und Leni wie auch der verstörte Karl und Enkel Rolf ans Herz gewachsen; doch da die Geschichte der Wollseifener Familie Lintermann hier endet - um das Jahr 1970 - muss man von manchem Charakter, der dann auch über 80 Jahre zählt, Abschied nehmen. Einige Abschiede gingen mir ebenso wie die Schicksale der Familienmitglieder (wie auch Silvio's und Maria's) sehr zu Herzen und ich danke der Autorin, dass sie anhand dieser Trilogie das Dorf Wollseifen (das man erst seit dem Jahre 2006 wieder betreten kann!) literarisch wieder auferstehen ließ: Ein sehr bewegendes, spannendes Stück Zeitgeschichte mit wundervollen Charakteren, deren Schicksal ich gerne gefolgt bin! Ich kann diesen auch stilistisch hervorragenden Roman; nein die ganze Trilogie (am besten chronologisch zu lesen!) nicht nur historisch interessierten LeserInnen mehr als empfehlen und vergebe daher die höchste Punkt- und Sternezahl, nämlich 5*.

Bewertung vom 15.08.2025
Lindberg, Karin

Unsere Tage am Fluss


sehr gut

Der neue Roman von Karin Lindberg, deren Namen ich zwar schon länger kannte, aber noch nichts von ihr bis dato gelesen habe (was sich jetzt ändern soll), erschien bei Tinte & Feder, Luxembourg, 2025.

Elisa hat ihren Job in den Sand gesetzt als Investigativjournalistin und weiß nicht, wie es weitergeht, als Leah, ihre Schwester, ein Foto und Unterlagen der Großmutter auf dem Dachboden findet: Sie schlägt Elisa vor, sich des merkwürdigen Fundes anzunehmen, zumal die verstorbene Großmutter ein Tagebuch erwähnt, das sich unter den Dielen eines Herrenhauses in England befindet und von Harriett Lynham geschrieben wurde. Da Elisa nichts zu verlieren hat, entdeckt sie, dass auf "Rosewood Manor", wo ein Nachfahre noch immer das Anwesen besitzt, gerade u.a. eine Housekeeperin sucht. Kurzerhand bewirbt sie sich, bekommt ein Vorstellungsgespräch mit dem kühlen und reservierten Hausherrn - und auch den begehrten Job. Nun kann sie in Ruhe nach dem Tagebuch suchen, was sich jedoch bei der Größe und Unkenntnis des Zimmers, wo es verborgen sein könnte, als wahre Mammutaufgabe herausstellen sollte.

Harriett wollte eigentlich Medizin studieren, nach dem Tod des Vaters jedoch platzte dieser Traum und eine Ehe mit Edward Lynham wurde arrangiert, in der sie mehr als unglücklich ist: Trotz ihrer vierjährigen Ehe konnte sie ihrem Ehemann noch keinen Stammhalter schenken und Edward missachtet mehr und mehr seine Ehefrau, ohnehin zur Gewalt neigend und stellt sie gar bloß, wenn sich Besuch auf Rosewood Manor einfindet. Cresseda, die Mutter des unsympathischen und tyrannischen Earls, ist erkrankt und eines Tages kommt Dr. Arthur Schelling, der vollkommen andere Behandlungsmethoden an den Tag legt, die jedoch dem/der zu Behandelnden abverlangen, aktiv mitzuarbeiten...

Für Harriett ist es schwer, mit dem netten Arzt in Kontakt zu kommen und mit ihm über seine Profession zu reden, an der sie sehr interessiert ist: Als sich die beiden zufällig am Fluss begegnen, wohin Harrietts Spaziergänge sie regelmäßig führen, kommen sie ins Gespräch und nach und nach entwickelt sich eine tiefe Verbindung, aus der Liebe erwächst. Aus Furcht vor ihrem Ehemann beschließen beide nach der Ballsaison, die Harriett noch für ihre Halbschwester Rose ausrichtet, zu fliehen. Doch jemand sollte diese Pläne durchkreuzen, der auf Rache sinnt...

Viele Wendungen und Ereignisse, zuweilen romantischer, zuweilen dramatischer Natur, machen diesen flüssig und bildhaft geschriebenen Roman aus, die man gut nachvollziehen kann und die meisten Figuren sind sehr liebenswert; allen voran wohl Harriett und Arthur, Elisa und Calam, mit denen wir so manche Höhe und Tiefe durchschreiten, nachdem sich auch hier eine gefühlvolle und ehrliche Verbindung angebahnt hat.

Der Roman beinhaltet zwei Zeiteibenen; die Gegenwart, in der Elisa und Calam agieren und die Zeit um 1908, als es für Frauen, die unglücklich verheiratet waren, denkbar schwer wenn nicht sogar unmöglich war, sich zu trennen. Das Tagebuch Harrietts hat die Autorin geschickt in die Handlung eingeflochten. Die Romanthemen sind vielfältig: Es geht um Familiengeheimnisse, um arrangierte Ehen und Standesdünkel, Gewalttätigkeit und Rechtlosigkeit von Frauen vor 100 Jahren; um Familienzusammenhalt und um die zeitlose Kraft der Liebe, die hier auch mit einer guten Prise Romantik und Atmosphäre daherkommt, jedoch nie schwülstig wird.

Fazit:

Ein atmosphärischer, romantischer Roman um ein Familiengeheimnis mit Tiefgang, der mit sympathischen Figuren aufwartet und den ich allen ans Herz legen kann, der die beschriebenen Themen gerne liest; besonders Fans von Familiengeheimnissen sollten hier zugreifen. Von mir gibt es gute 4* und eine Empfehlung.

Bewertung vom 01.08.2025
Koelle-Wolken, Patricia

Der Garten der kleinen Wunder


sehr gut

Wir alle kennen sie: Die eher 'laute' Fraktion der Menschheit, die extrovertiert ist, überall (gut) ankommt und hoppla, hier bin ich sagt - voller Selbstbewusstsein und Charme sowie einem Lächeln, die jede Situation (scheinbar) mit links meistert. Und da gibt es auch die leisen, stillen Charaktere. Die, die niemand bemerkt, die leicht übersehen werden, die sehr introvertiert bis hochsensibel sind, sich nicht zutrauen, eine Rede vor einem Pulk von Menschen zu halten und Menschenmengen generell meiden. Die mit Reizüberflutungen zu kämpfen haben.

In Patricia Koelle-Wolken's Roman "Der Garten der kleinen Wunder" geht es im Kernthema um die Introvertiertheit mancher Menschen und die Hochsensibilität. Aber auch darum, dass jeder Mensch einen Mentor brauchen kann, der ihn zum richtigen Zeitpunkt unterstützt, ihn erkennt und an ihn glaubt. Die positiven Veränderungen sind dann oft (nur) die Konsequenz daraus....

Vica (14) lebt neben Toya und Bär und fühlt sich magnetisch angezogen von dem bunten Mandarinfisch, der in Toyas Garten steht. Es entwickelt sich eine leise Freundschaft zwischen den beiden, trotz des großen Altersunterschieds. Denn Toya fühlt sich an ihr eigenes Ich erinnert und möchte Vica einen Rahmen für ihr Leben geben, um sich zu entfalten (so wie Wille es bei ihr instinktiv vor vielen Jahren getan hat). Sie lädt Vica kurzerhand immer wieder ein und auch Bär (mit seiner eigenen Geschichte) mag Vica sehr; erinnert sie ihn doch um seine kleine Schwester, die er vor langer Zeit verloren hat.

So verfolgen wir die Freundschaft an dem Ort, der einen eigenen Zauber besitzt: Toyas Garten und lauschen der Geschichten, die sich um die ProtagonistInnen spinnen. Wir lernen Mamoun, den marokkanischen Gewürzhändler kennen, Herr Kowiecki, der Antiquar, bei dem Toya aushelfen durfte und der ihr Talent zum Zeichnen entdeckte, entdecken die Schönheit von Quallen und Korallen (von denen Toya Fotos von Marc, ihrem Freund, erhält, um sie in ihre Buchgestaltung einzubinden) und gehen mit in ein Aquarium, in dem alles begann. Weitere HauptprotagonistInnen sind schöne Pflanzen wie der Bart-Iris (die bei etwas Abstand zueinander besser gedeihen, ebenso wie bei manchen Menschen) und der Garten, dem bald eine Neuauflage in Vicas Elternhaus folgen sollte. Micki, eine Bekannte von Bär, hilft hier ehrenamtlich und mit großer Passion mit und soll auch noch eine Rolle im Roman bekommen.

Florian, Vicas Vater, ist Augenchirurg und zuerst nicht sehr angetan von der Freundschaft seiner Tochter und Toya; dies ändert sich jedoch, als Toya sich ihm vorstellt und er mit der bunten Welt im Nachbarsgarten 'kollidiert'. Es ist schön zu lesen, wie sich eher starre Charaktere, die festgefahren (und zuweilen spießig) sind, auch verändern können, wenn sie in anderem Umfeld sind und längst Verschüttetes in sich ausgraben. Vica macht Gartenarbeit viel Freude, sie ist glücklich, als sie ihr eigenes Beet, einen Steingarten, 'komponieren' darf. Im Gegensatz zur Schule, die ihr eher Magendrücken bereitet, erblüht sie regelrecht in Toyas Gartenpracht. Letztere ist auch sehr poetisch beschrieben und jedem müsste hier das Gärtnerherz leuchten: Der Garten als ein Glücks- und Kraftort; die beeindruckende Farbenvielfalt des prächtigen Gartens und die Empfindungen Vica's kann ich bestens nachempfinden, da ich das Glück hatte, einen sehr passionierten Gärtner zum Vater zu haben; auch gehören Iris zu meinen Lieblingspflanzen.

In diesem poetischen und flüssig zu lesenden Roman kann man die wundersamen Veränderungen von Menschen nachlesen, die von ihrer Natur her eher zurückgezogen sind; deren Verhalten oft missgedeutet wird und die es aufgrund ihrer Introvertiertheit (oder sogar einer Hochsensibilität) zuweilen schwer haben. Sie brauchen Ruhe und Verständnis, um sich entfalten zu können; so die Autorin. Dem kann ich mich nur anschließen, da ich selbiges auch früh bei meinem Bruder bemerkte, der mit Sicherheit hochsensibel war und oft (durch sein Verhalten) dadurch missverstanden wurde.

Fazit:

Ein Roman über einen 'zauberschönen' Garten und leise Menschen, die die nötige Empathie, auch Ruhe und Unterstützung sowie einen Ort brauchen, an dem sie sich voll entfalten können. In poetischer Sprache gelingt es P. Koelle-Wolken auch, die Leserschaft in Bezug auf 'eher leise Menschen' zu sensibilisieren. Ich empfehle ihn gerne weiter und vergebe 4* und 88° auf der Belletristik-Couch.

Bewertung vom 21.07.2025
Pfister, Kristina

Nach dem Sommerregen


weniger gut

Jede Menge Zündstoff im Sommerhaus....


kann man im Roman von Kristina Pfister "Nach dem Sommerregen" finden. Verlegt wurde er im S. Fischer-Verlag, Frankfurt, 2025 (TB, brosch., 349 Seiten).


Marika ist von Berlin aus auf dem Weg in den Süden, zur Familie und ins Sommerhaus: Die drei erwachsenen Geschwister Cecilia (die Älteste und stets Verantwortungsbewussteste), Jonas (Sandwichkind, Lehrer wie Vater Walter und etwas lethargisch, passiv, der während des Romans dann doch plötzlich weiß, wo er hin will) und Marika, die Jüngste, der stets wenig zugetraut wurde und die deshalb (vielleicht) am weitesten wegzog, um sich in Berlin eine Existenz mittels eines Second-Hand-Shops aufzubauen.


Alle drei haben wenig miteinander zu tun und sprechen kaum miteinander, ausser wenn sie sich im Sommerhaus der Familie treffen, wo sie viele Sommer ihrer Kindheit verbracht haben.


Die Eltern, Walter und Marianne, haben sich ebenso wie Sohn Jonas von ihren Ehepartnern entfernt, sich auseinandergelebt. Marianne, die hier als 'stark und bezaubernd' beschrieben wird, ist für mich kaum sichtbar und bleibt auch bis zur letzten Seite nicht sehr deutlich zu erkennen (und eher unsympathisch). Walter scheint ein Familienmensch zu sein, auch wenn er ansonsten "am liebsten seine Ruhe hat" und sich auch so verhält (er verschwindet, wenn ihm eine Situation zu viel wird), freut er sich doch sehr, seine "Kinder" um sich zu haben, wenn sich alle im Sommer treffen und er seinen 70. Geburtstag feiert.


Diesen vorzubereiten, macht sich Cecilia (wie bei allem in ihrem Leben) den meisten Stress; Jonas hingegen ist völlig entspannt, rührt kaum einen Finger (ausser wenn es um die hübsche Nachbarin Billy geht, deren Sohn im Sommerhaus hilft, um sich etwas dazuzuverdienen) und Marianne glänzt erstmals durch Abwesenheit: Ihre Freundin Doro, die mit Dirk verheiratet ist, liegt im Hospiz im Sterben.


Dass hier etwas schief liegt, ist erkennbar, als besagter Dirk auftaucht und ihn Walter recht erbost auffordert, zu gehen. Was für ein alter Konflikt ist hier die Wurzel dieses Verhaltens - und was hat Marianne damit zu tun, die er eigentlich sprechen will?


Meine Meinung


Ich hatte andere Erwartungen an diesen Roman, der mich leider nicht überzeugen konnte: Die Figuren ließen kaum eine wirkliche Annäherung des Lesers zu, die Dialoge (z.B. zum Thema Geschwister) blieben oberflächlich, sprachlich platt und ohne Tiefe.


So liest man von den Vorbereitungen des Geburtstagsfests, von schwelendem Ärger unter der Oberfläche, von Eheproblemen und Trennungen, von Männern, die aus dem Haus geworfen werden (um sich im Sommerhaus wiederzutreffen); von einem abgefackelten Baumhaus, von einem Speed-Dating für Senioren, von Entscheidungen für oder gegen ein Kind (wobei man erstaunt ist, dass es nicht durch einen 'Ausrutscher' zu einer Fehlgeburt kam) und von drei Geschwistern, die völlig unterschiedlich sind und die dennoch ihre wertvollsten Erinnerungsstücke beim Ausmisten des Sommerhauses gemeinsam vergraben.


Es gehört Marianne, die "damit tun kann, was sie will und ihren Kindern nichts schuldig ist", wie sie im Roman sagt: Die erwachsene Cecilia, Jonas und Marika dürfen zwar zum Ausmisten kommen, Entscheidungen, was mit dem Haus voller Erinnerungen passiert, kommen jedoch nur der Mutter zu. Dies fand ich etwas befremdlich (gelinde gesagt) und freute mich dann für die Geschwister, dass 'jemand' dann doch noch eine Lösung fand....


Vieles bleibt auch nach dem Ende des Romans für mich im Dunkeln, auch die rückblickenden Einschübe fand ich nicht sehr erhellend. Vermutlich sollten sie für Spannung sorgen, doch bei mir haben sie eher das Gegenteil bewirkt. Zu viel war vorhersehbar und einige meiner Vorahnungen bestätigten sich leider; zudem konnte ich weder Spannung noch Humor erkennen. Manches war sehr überspitzt dargestellt: Ich kann mir z.B. kaum vorstellen, dass ein Mensch über zwei Jahre lediglich 3 Stunden schlafen kann, ohne mehr als einen burnout zu erleiden; vor allem mit einem Kleinkind wie Oskar, vieles erschien mir hingegen immer wieder fragmentarisch und die intensivere Ausleuchtung der Figuren fehlte.


Themen dieses Romans sind Überforderungen im Alltag (besonders von Müttern), Geschwisterrivalitäten und -rollen, Familiengeheimnisse bzw. fehlende Offenheit, Trennungen und Neuanfänge. Besonders glänzte in letzterer Rolle Marianne, die Mutter, die alle Fenster aufreißt und das Bedürfnis hat, "mal ordentlich durchzulüften" - was man bestenfalls mit der Klärung von Beziehungen gleichsetzen kann. Eine Empfehlung kann ich hier nicht aussprechen und vergebe 2,5 *

Bewertung vom 09.07.2025
Pierre, Marie

Der Weg der Frauen / Das Pensionat an der Mosel Bd.3


ausgezeichnet

Wie die Autorin stamme auch ich aus der Grenzregion Saarland/Lothringen/Luxemburg/Elsass, deren Historie oftmals durch Kriege und Weltkriege eine Besondere war. (Das Elsass, Lothringen wie auch das Saarland gehörten zum einen Frankreich, zum anderen Deutschland an in der Vergangenheit). Personifiziert werden sie durch Pauline, der Leiterin und Lehrerin des Pensionats an der Mosel als Lothringerin aus Metz; durch den preußischen Offizier Erich von Pliesnitz, der im Grunde wenig von Frauen hält (was mit dessen eigener Geschichte sehr viel zu tun hat) und der dennoch großen Respekt und auch tiefere Gefühle für Pauline hegt, die ihm mit ihrer Geradlinigkeit, ihrer Intelligenz und auch ihrem Mut, den eigenen Weg zu gehen und sich über gesellschaftliche Konventionen hinwegzusetzen und Probleme möglichst eigenständig zu lösen, sehr imponiert, er sehr von ihr angetan ist. Desweiteren treffen wir den Gärtner und früheren (schuldlos in Haft geratenen) Sträfling Vincent wieder, der an Haus und Garten der Schule nach dem Rechten guckt und ein Auge auf Camille, das Stubenmädchen geworfen hat, das ihrerseits eine eigene Geschichte mitbringt. Die Schülerinnen; besonders Ernestine, die später einmal Journalistin werden will, Brunhilde, die für ihr Leben gerne liest, zwei Schwestern, die später ein Restaurant eröffnen wollen und andere mehr treffen wir in diesem Schuljahr, in dem einige ihren Abschluss machen werden, wieder.

Sorgen bereiten diesmal das Schicksal um Sophie, die in Metz in Haft genommen wird, da sie Frauenparolen an Wände schmierte und Schlimmeres tat, woraufhin ihre Eltern sie mit sich nach Luxemburg nehmen und nach einiger Zeit durch viel Zureden von Pauline das Mädchen zurückkehren darf; allerdings stark verändert, introvertiert, auffallend ruhig und apathisch. Was ist nur mit ihr los?

Zum Eklat kommt es schließlich, als klar wird, dass es eine Denunziantin innerhalb des Pensionats gibt, die Informationen an die Eltern der SchülerInnen weitergibt, die niemand von außerhalb wissen kann: Des Rätsels Lösung muss man schon selbst erkunden, aber ich kann nur sagen, dass es eine Freude und ein großer Lesegenuss für mich war, den Geheimnissen und Rätseln auf die Spur zu kommen, die dieser Romanreihe viel Spannung geben. Großartig und authentisch werden die Personen und deren Gefühls- und Handlungswelt greifbar und man fühlt sich eine Weile in Lothringen anno 1912 angekommen, wobei die sprachlichen und kulturellen Besonderheiten natürlich ebenfalls ihren Platz im Roman finden. Man freut sich und leidet besonders mit Pauline und Erich, die einem wie die zwei Königskinder erscheinen, die sich lieben, "aber konnten zusammen nicht sein". Auch hier darf man gespannt sein, wie die Romanreihe endet.

Wie bei den zwei Vorgängern, legt Marie Pierre, deren Stil und sprachliche Ausdruckstiefe ich sehr schätze, Wert auf Kernthemen, der in diesem Band als "die Rechte der Frauen" (oder sollte ich besser schreiben "die gesellschaftlichen Einengungen von Frauen") bezeichnet werden, wobei der Kampf der Frauen um Mitspracherechte, Wahlrecht, das Recht, einen Beruf auszuüben und nicht in jedem Falle den gesellschaftlich vorgezeichneten Weg beschreiten zu müssen, im Mittelpunkt steht: Ihren SchülerInnen die Erkenntnis mitzugeben, dass es sehr wichtig ist, seinen eigenen Weg zu finden und ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, (sie lebt es vor) ist Pauline überaus wichtig und soll auch gerne bis zur Leserschaft vordringen: Ohne diese Frauen, die vor 100 Jahren unter schwierigen Bedingungen sogar Haft und oftmals Ausgrenzung und Schlimmeres auf sich nahmen, indem sie sich gegen die Unfreiheit und Unterdrückung auflehnten, sähe es um die Frauenrechte noch heute vermutlich schlechter aus - und selbst in der aktuellen Zeit gibt es noch einiges "nachzubessern".

Etwas wehmütig klappt man den Roman am Ende zu, denn Historie auf solch' unterhaltsame und sehr gut recherchierte Weise - auch noch im benachbarten Lothringen meist spielend und mit wirklich liebenswerten Figuren - bekommt man nicht alle Tage zu lesen. Das Warten hat sich gelohnt; ich kann jedem, der gerne historische und bestens recherchierte (mit weiteren Tipps am Buchende zu der Grenzregion) sowie unterhaltsame, berührende Romane liest, diese Reihe bis zum finalen Band mehr als empfehlen. Mein Dank geht an Marie Pierre und ich hoffe sehr auf einen neuen Roman, oder noch besser - auf eine Romanreihe! Von mir daher die höchste Bewertung mit 5 Sternen und Platz im Regal der 'Lieblingsbücher'.

Bewertung vom 29.06.2025
Nore, Aslak

Felsengrund / Die Falck Saga Bd.2


sehr gut

"Felsengrund" von Aslak Nore stellt den 2. Teil der geplanten Trilogie dar und ist nicht minder packend wie der Vorgänger (Meeresfriedhof), in der die fiktive Historie der reichen Reederfamilie Falck und des Unternehmens plus Stiftung SAGA weitererzählt wird.

Erschienen ist der literarische Thriller im KiWi-Verlag (brosch., 2025), Köln; übersetzt wurde er von Dagmar Lendt.


Im 2. Teil der "Falck-Saga" geht es spannend, mitunter hochspannend weiter; das Buch ist in 4 Teile untergliedert und es liegt eine gewisse Steigerung der Spannung vor, die bis zum Schluss von "Felsengrund" gehalten wird. Wie zuvor, sind die Charaktere vielschichtig und komplex, ebenso wie die Handlung, die größtenteils in (Nord)norwegen, aber auch in Russland verortet ist. Es geht um die Zukunft von SAGA, um Rederhaugen und die zerstrittene Familie um den Bergenser Zweig (Hans Falck) und den Osloer Zweig (Olav Falck). Sasha, die den Vorsitz von SAGA von ihrem Vater Olav, für den sie sein Augenstern war und ist, übernimmt, kann viel verlieren, wenn Hans seine Ansprüche (die aus dem verschollen geglaubten Testament von Vera Lind hervorgehen), erhebt; zum einen den SAGA Vorsitz und zum anderen Rederhaugen, wo sie zeitlebens wohnte. Während die anderen Figuren der Familie oft schwer zu fassen sind, ist Sasha für mich die Glaubwürdigste, deren Handlungen ich am ehesten nachvollziehen kann.


Die Kluft zwischen den einzelnen Familienmitgliedern ist groß; die Spannung vor der Hauptversammlung von SAGA wächst, denn das 'Zünglein an der Waage' könnte Conny Knarvik, das schwarze Schaf der Familie und früher drogenabhängig, spielen: Hans scheint sie abgrundtief zu hassen, Sasha auch nicht unterstützen zu wollen. Ihre Aktienanteile sind gering, doch wem wird sie letzten Endes ihre Stimme geben und was wird aus dem umworbenen Grundstück Adventgarden, das Conny gehört? Es ist strategisch eigentlich fast unbezahlbar, was sie sehr wohl weiß....


Und welche Rolle spielt hier Johnny Berg, der den Maulwurf bei SAGA, der sich eingeschlichen hat, aufdecken und zu Fall bringen soll? Bei dieser Aktion wird die Gefährlichkeit klar, die Doppelagenten eingehen und das Tor zur Welt der Geheimdienste wird ein kleines Stück aufgestoßen, wenn auch nur sehr klein: So geht es um "Einflussagenten" und Züge hochbrisanter, erschreckender und aktueller Zeitbezüge von Realpolitik. Darum, wie weit Staatsmächte und auch mächtige Familien- und Konzerndynastien gehen, um ihre Macht und ihre Pfründe zu sichern!

In diesem Zusammenhang ist die Suche nach dem Maulwurf hochspannend und geopolitische Spannungen um das Gebiet der Arktis (siehe Besuch Vance vor einiger Zeit in Grönland) spielen hier eine gewichtige Rolle. Denn wenn das Polareis weiter schmilzt, könnten neue Handelswege erstehen, die Verschiffungen nach Ostasien z.B. sehr verkürzen... Hier ist es eine zentrale Frage, wo SAGA steht: Ist es so, wie Olav seiner Tochter Sasha erklärte, dass SAGA immer die Speerspitze im Dienst norwegischer Interessen und Beschützerin der Freiheit war? Ist es wirklich die "letzte Verteidigungslinie der Demokratie"? Oder verhält es sich in Wahrheit ganz anders.... Ich bin auf jeden Fall sehr auf den finalen Teil dieser hochinteressant zu lesenden und spannenden literarischen Thrillerserie gespannt!


Fazit:


Eine spannende Lesereise nach Norwegen, die eine sehr mächtige Reeder-Familiendynastie beleuchtet, deren umstrittene gesellschaftspolitischen dubiosen Machenschaften hier von Aslak Nore aufs Korn genommen werden: Der Bezug zu realpolitischen Zusammenhängen, die Arktis betreffend und evtl. See- und Handelswege, die durch den Klimawandel und das schmelzende Eis zukünftig vermutlich erschlossen werden können, werden hervorragend beschrieben. Gesellschaftskritisch, spannend, unterhaltsam, vielschichtig und komplex: Eine gelungene Mischung zwischen Polit-, Geheimdienst, - Spionage- und literarischem Thriller, den ich absolut weiterempfehlen möchte.

Bewertung vom 25.06.2025
George, Nina

Die geheime Sehnsucht der Bücher


sehr gut

"Die geheime Sehnsucht der Bücher" von Nina George ist der 3. Teil der Geschichte um Jean Perdu, der mit 18 Jahren sein 'Bücherschiff' baut, damit eines Tages in den Süden fährt, wieder zurück nach Paris kommt und hier vor Ort 'den Menschen nicht die Bücher verkauft, die sie wollen, sondern jene, die sie brauchen'. Schließlich handelt es sich um eine "Pharmacie Littéraire", einer Buch-Apotheke, die nun auch eine ebenso buchbegeisterteAuszubildende mit viel Feingefühl und Verve hat (Pauline Lahbibi, die hier neben Perdu eine Hauptrolle spielen soll): Sie brachte frischen Wind auf das Bücherschiff, da Monsieur Perdu nun auch online ist und Videoberatungen gegen jedwede "Infektionen des Gemüts" anbietet und einen online-shop sein eigen nennt.

(Verlegt wurde das Buch im von mir geschätzten Droemer Knaur-Verlag; München 2025, HC, 329 S.).

Wer die Vorgänger der Wortakrobatin und Sprachpoetin Nina George, die zu meinen Lieblingsautorinnen zählt, bereits kennt, wird hier einige Personen (und Katzen) wiedertreffen, die bereits bekannt sind. Ich empfehle die chronologische Reihenfolge (Das Lavendelzimmer, Das Bücherschiff des Monsieur Perdu) einzuhalten, dann hat man als LeserIn noch mehr Vergnügen an diesem neuen Roman!

Hier lernen wir Francoise Bellanger kennen, 12 Jahre alt, bücherhortend und "bücherverfressen", die jedoch auch voller Angst ist, dass man ihr und ihrer Mutter Cleo 'draufkommt', denn das würde bedeuten, dass sie in ein Heim kommt, was sie aus Büchern lernte. Die Mutter wird im Roman nach und nach sichtbarer und Perdu rettet ihr gar das Leben (und das nicht nur einmal), als sie endlich auf Wunsch von Francoise (die hofft, dass Perdu ihre Mutter 'heil machen kann') das Bücherschiff betritt. Cleo ist eine sehr interessante Figur, wenn auch der Hintergrund sehr dramatisch ist und erst nach und nach klar wird, weshalb hier die Rollen (Tochter und Mutter) vertauscht erscheinen. Francoise ist ebenso wie Marie, die sie später kennenlernt, ein wirklich mutiges und tolles Mädchen, jedoch habe ich diesmal einen 'kleinen' Kritikpunkt: Ein Mädchen von 12 Jahren stelle ich mir doch noch als Kind vor, hier scheint sie für ihr Alter, mir fast unrealistisch erscheinend, sehr erwachsen zu sein. Eine 14 oder 16Jährige käme da meine Vorstellung schon näher, die Handlungen und Sichtweisen von Francoise nachzuvollziehen.

Eine weitere Hauptrolle spielt Pauline, die Azubine mit algerischen Wurzeln: Sie liebt Emile (den Bretonen) und fühlt sich auch zu Kofi, dem Pflegesohn von Mdme. Bomme, hingezogen: Wird sie ihr Herz sprechen lassen und sich für den Richtigen entscheiden?

Berührend beschreibt George in dieser wiederum sehr warmherzigen Geschichte, wie sich Menschen helfen können - auch mittels Büchern, die Pauline auf ihrer Vespa (Aufschrift: "Eilige Arzneimittel!") z.B. Mister Kenny bringt, der kürzlich "Unsere Seelen bei Nacht" von Kent Haruf las und sich selbiges mit der netten Witwe nebenan vorstellen könnte. Wir erfahren von einem illustren Witwenclub in er Rue Montagnard, die gerne erotische Literatur bei Perdu bestellt und lernen Perdu noch besser kennen, der den Menschen tief in die Seele zu blicken vermag und Neuerscheinungen stets auf das Maß ihrer Tauglichkeit für die Maladien der Seele prüft. (Er hat über 9800 Bücher für ca. 1600 Maladien an Bord). Einige davon erscheinen hier im Roman, die wir alle gelesen haben (sollten), was mir ebenso große Freude machte.

Letztlich wird Jean Perdu zum Samweis Gambschie, der nicht will, dass Pauline dasselbe passiert wie einst ihm... Es ist ein Vergnügen, diesen Roman zu lesen, da Nina George nicht mit skurilen Wortschöpfungen, poetischen Beschreibungen, literarischen Weisheiten (man muss Bücher nach sich rufen spüren!) und Tiefgang sowie warmherzigen und liebenswerten Charakteren gespart hat.

Die Themen sind vielfältig; u.a. geht es natürlich um Liebe, um Freundschaft, um Bücher(liebe), Verzeihen, um anders sein, zueinander finden, zusammenhalten - und um Bibliotherapie.

Das wunderschöne Gedicht am Ende des Romans ("Die Wälder der Zeit") sind für mich ein Highlight, da die Autorin darin ausdrückt, was auch ich empfinde, wenn ich an Bäume denke.

Ich empfehle diesen und die beiden Vorgängerromane (siehe oben) sehr gerne weiter; besondere Freude dürften diejenigen haben, die "Bücher über Bücher" lieben!

Bewertung vom 12.05.2025
Sampson, Freya

Ms Darling und ihre Nachbarn (eBook, ePUB)


gut

"Ms Darling und ihre Nachbarn" von Freya Sampson erschien (tb, brosch., 365 Seiten) im Verlag Dumont, Köln, 2025 und ist bereits der 3. ins Deutsche übersetzte Unterhaltungsroman der Autorin.


"Die argwöhnische Dorothy Darling ist die älteste Mieterin in Shelley House und hat alles im Blick. Kein Regelverstoß ihrer Nachbarn bleibt ihr verborgen. Die neue Untermieterin von nebenan, die 25jährige Kat mit ihren pinken Haaren und schlechten Manieren, ist der alten Dame gleich ein Dorn im Auge. Doch dann bringt eine schreckliche Nachricht unvorhergesehene Ereignisse ins Rollen: Shelley House soll abgerissen werden, und die Bewohner stehen kurz vor der Zwangsräumung. Jetzt ist es ausgerechnet an Dorothy und Kat, die Dinge gemeinsam wieder ins Lot zu bringen."

(Quelle : Buchrückentext)


Dieses Mal entführt uns Freya Sampson in eine alte viktorianische Villa, dem Shelley House in Chalcot, in der Poet's Road gelegen: Vorstellbar ist es auf dem sehr schönen Cover und signalisiert Alter und Würde, auch wenn so manches im Argen liegt und nicht auf dem neuesten Stand ist, da Alexander Fergus, der Hausbesitzer, ein raffgieriger Immobilienmakler ist und eines Tages allen Bewohnern eine Räumungsklage zukommen lässt: Er will Shelley House abreißen lassen und es durch 24 moderne Wohnungen komplett ersetzen.


Was der Vermieter unterschätzt, sind die wehrhaften Bewohner; allen voran Joseph Chambers, der Kat, der jungen Frau (25), die gerade einzog und aus deren Perspektive der Roman entworfen ist (wie auch aus der Perspektive von Dorothy Darling, 77). Nun ist guter Rat teuer und besonders Joseph und Dorothy möchten ihre Bleibe, die sie schon sehr lange bewohnen, nicht kampflos aufgeben. So zieht Joseph mit einem Megafon und Schildern vor das Büro von Fergus und protestiert auf diese Weise gegen die Räumung; nicht lange danach hat er durchaus Mitstreiter, doch wird es den Bewohnern gelingen, den Abriss des alten historischen Hauses zu verhindern?


Dieser Frage geht dieses Buch nach und zeichnet sehr sympathische Figuren, die allesamt BewohnerInnen von Shelley House sind; allen voran Joseph, Kat (die nicht lange bleiben wollte, warum, wird erst viel später im Roman klar..) und Dorothy, die, stets den Notizblock samt Bleistift in der Hand, alle Mängel des Hauses, die sie finden kann und auch die Mängel im Verhalten der Nachbarn festhält; die jedoch sogar ihre Abneigung gegen Hunde (Flohbündel) überwindet und Reggie, den kleinen Hund von Joseph, übernimmt, wenn Kat arbeitet. Mich hat sie anfangs an eine Art 'Concierge' erinnert; nicht eine der sympathischen. Doch das änderte sich im Laufe der Handlung. So formieren sich die Bewohner, die zuvor recht wenig miteinander zu tun hatten, mehr und mehr gegen die Absicht des Vermieters; es gesellt sich auch ein Journalist hinzu, Will, der den Leuten helfen will, Shelley House zu retten und ganz nebenbei auch an Kat großen Gefallen findet.


Die Themen des Romans, der leicht lesbar und eingängig geschrieben wurde und großen Unterhaltungswert besitzt, sind vielfältig: Es geht um Familienkonflikte, Verlust, Trauer, Nachbarschaft, Solidarität, Vorurteile, Schuldgefühle, Selbstbestrafung, aber auch um Neubeginn und (späte) Liebe. Der Schreibstil von Freya Sampson sagt mir zu; allerdings bemängele ich hier des öfteren eine gewisse Vorhersehbarkeit und dass der Roman leider nicht frei von Klischees ist. Die sehr sympathischen Figuren sind jedoch sehr gut ausgeleuchtet (besonders Dorothy und Kat, deren Veränderungen im Laufe der Handlung nicht zu übersehen ist) und der schöne, gelungene und auch stimmige Schluss versöhnte mich ein wenig damit, dass die ersten zwei Drittel des Romans etwas langatmig und spannungslos verliefen. Dennoch handelt es sich um einen Roman mit Wohlfühlcharakter, der den Lesern vor Augen hält, dass es gut ist, mit eigenen Vorbehalten aufzuräumen und sich solidarisch zu verhalten, und der mit einem schönen und stimmigen Ende aufwarten kann.

Bewertung vom 27.04.2025
Smith, Sally

Der Tote in der Crown Row / Sir Gabriel Ward ermittelt Bd.1


sehr gut

1901, London, Inner Temple: Sir Gabriel Ward, scharfsinniger und dennoch Barrister und Lordrichter "mit Feingefühl", verschroben, mit neurotischen Macken, der sein ganzes Leben (und das sehr gerne) im Inner Temple lebt, stolpert eines Morgens über eine Leiche: Der Tote trägt einen schwarzen Mantel, die Melone ist ihm vom Kopf gefallen - und er hat weder Strümpfe noch Schuhe an! Wie sich herausstellt, handelt es sich um den Lordoberrichter Norman Dunning.... Da es sich um ein Verbrechen handelt (der Schaft des Messers ragt aus der Brust des Toten), wird schnell klar, dass dies ein Fall für die örtliche Londoner Polizei ist. Da diese im Temple Bezirk (einer mit dem Vatikan vergleichbaren Enklave, in der seit Jahrhunderten eigene Gesetze gelten) keine Befugnisse hat, kommt man überein, Gabriel zu beauftragen, interne Ermittlungen einzuleiten. Er kannte den Lordoberrichter von Kindesbeinen an; sie studierten zusammen im Eton College und die Laufbahnen waren sehr unterschiedlich: während der eine (Dunning) zum Lordoberrichter avancierte und zeitlebens darum fürchtete, für seinen minderen Intellekt 'enttarnt' zu werden, war der andere (Gabriel Ward) dafür bekannt, selbst die vertracktesten Fälle zu lösen, an denen seine Kollegen verzweifelten.

Seitens der Ermittlungen kommt es zu einer Teambildung zwischen Gabriel und dem jungen Constable Wright, der hier eine gute Figur macht und von neuen Ermittlungstechniken (im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten, der dies für 'Kokolores' hält) ebenso wie von den Fähigkeiten Gabriels sehr viel hält: So hat er eine blutige Hand an der Mauer fotografiert, die später noch Bedeutung haben sollte. Auch die neue Art, zu ermitteln, die auf Fingerabdrücken basiert, machen sich die beiden ungleichen Männer, die sich wundervoll ergänzen, später zunutze. Denn Temple-intern benötigt es wirklich 'Feingefühl', da einige, die verdächtig erscheinen könnten, sehr an ihrem Ruf, an ihrer Ehre, an ihrem Renomee - und an ihrer Karriere hängen....

Was z.B. liegt im Dunkeln, was bei dem "Kleinen Diner", das der Schatzmeister am Abend des Mordes gab, so dringend besprochen werden sollte? Welche Rolle spielen Lordrichter Brown und Wilson, der Kontrahent bei Gericht (und dennoch fairem Freund) Sir Barton - und der Schatzmeister? Ganz zu schweigen vom Reverend der Temple Church? All' diese Fragen gilt es für Gabriel und Wright, herauszufinden. Und es ist sowohl spannend als auch sehr vergnüglich zu lesen, wie die beiden dies anstellen: Da werden die Herren Lordrichter befragt; frühere Gouvernanten im Hause Dunning, die - zum Leidwesen Gabriels nicht in der näheren Umgebung leben - weshalb kurzerhand Wright in seinen freien Tagen nach Greenwich und nach Bournemuth reisen muss (Gabriel schätzt es überhaupt nicht, sich vom Temple zu entfernen, der ihm existenzielle Sicherheit und Wohlgefühl verschafft: In der Bench Street umgeben von Stapeln von Büchern fühlt er sich zu Hause; zu Frauen hat er ein eher schwieriges Verhältnis. Allerdings gibt es da Ausnahmen: Die Köchin sowie auch Meg, das Küchenmädchen sowie das gesamte Küchenpersonal hat den Anwalt ins Herz geschlossen (was sich in prächtigen Körben als Gruß aus der Küche vor seiner Türschwelle manifestiert). Doch parallel zu dem Mordfall gibt es noch eine weitere 'Ungereimtheit' - Mr. Moore, seines Zeichens Buchhändler und Verleger bzw. dessen kleine Tochter finden ein Manuskript, das ihm jemand vor seine Tür im Verlag legte: "Millie, die Kirchenmaus". Die Tochter ist so entzückt, dass ihr Vater auf die Botschaft im Kinderbuch aufmerksam wird - und es verlegt: Mit solch' einem Erfolg, dass der auf der Kippe stehende Verlag gerettet werden kann! Doch wer ist die Urheberin des Textes? Handelt es sich hierbei um ein Pseudonym? Moore versucht vergeblich, die Autorin bzw. den Autor zu ermitteln, bis es eines Tages zu einem Prozess kommen sollte: Miss Susan Hatching beansprucht das Urheberrecht an "Millie" und möchte sich nicht an den Einnahmen bereichern, sondern es 'ihrer' Kirche zukommen lassen. Doch ist sie wirklich die Autorin?

Diese beiden "Fälle" werden parallel verfolgt und Sally Smith versteht es hervorragend, die subtile Spannung zu halten: Die Figuren werden sehr gut ausgeleuchtet und besonders Wright und Sir Gabriel Ward sind sehr sympathische Ermittler! Mir gefiel z.B. die Neurose Gabriels, das Tintenfass und den goldenen Bleistift immer in derselben Position auf dem Schreibtisch zu wissen, da ich vor ca. 30 Jahren dieselbe Neurose hatte :D. Der Cosy-Krimi hat kurze Kapitel, ist sehr eingängig und mit ironischem Unterton geschrieben, der auch die Atmosphäre dieses geschichtsträchtigen Bezirks zum Ausdruck bringt.

Ein vergnüglich zu lesender historischer Cosy-Krimi, der durch Authentizität sowohl der Lösung der Fälle als auch der Figuren überzeugt. Ich kann "Der Tote in der Crown Row" bedenkenlos und gerne weiterempfehlen und würde mich sehr freuen, wenn die Autorin weitere Fälle für Sir Gabriel Ward (und den jungen Constable Wright) folgen lässt!