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Verena

Bewertungen

Insgesamt 158 Bewertungen
Bewertung vom 07.05.2025
Beeren pflücken
Peters, Amanda

Beeren pflücken


sehr gut

Eindringlich

„Beeren pflücken“ von Amanda Peters ist für mich ein erstes kleines Jahreshighlight, auch wenn es knapp nicht für fünf Sterne gereicht hat.

Im Sommer 1962 ist eine Mi’kmaq-Familie aus Nova Scotia in Maine als Blaubeerenpflücker tätig, als plötzlich die vierjährige Ruthie spurlos verschwindet. Zuletzt wurde sie von ihrem zwei Jahre älteren Bruder Joe gesehen, auf ihrem Lieblingsstein am Rand eines Beerenfeldes. Das Verschwinden bleibt ungeklärt und verfolgt die Familie über Jahrzehnte. Währenddessen wächst Ruthie in den USA bei einem wohlhabenden, emotional distanzierten Paar als Norma auf. Ihre Eltern verbergen etwas, was Norma erst im Lauf der Jahre zu erahnen beginnt.

Ich lese regelmäßig indigene Literatur und bin immer wieder schockiert über die strukturelle Diskriminierung, die Indigene erfahren haben und zum Teil immer noch erfahren. In diesem Roman ist es – neben der systemischen Benachteiligung – vor allem Normas „Familie“, deren skrupelloses, respektloses Verhalten gegenüber der First Nation-Familie heraussticht.

Erzählerisch besonders gelungen finde ich, dass Amanda Peters, selbst Mi’kmaq und europäischer Abstammung, die Perspektiven der beiden jüngsten Kinder gewählt hat. Über die Jahre hinweg begleiten wir sie durch unterschiedliche Lebensabschnitte. Ruthies Entführung und die damit verbundenen Geheimnisse haben das Leben beider Geschwister geprägt – Joe fühlt sich schuldig, obwohl er selbst noch ein Kind war, und Norma spürt, dass mit ihrer Herkunft und ihrer Familie etwas nicht stimmt. Das Geschehene lässt beide nie los. Das sorgt für eine spannende, emotionale Erzählung.

Einzig das Ende wirkte etwas zu glatt und zu harmonisch. Es löst sich zu schnell auf, um wirklich realistisch zu erscheinen. Dennoch bleibt der Roman stark, dank der emotionalen Ebene und den glaubwürdigen Figuren.

„Beeren pflücken“ ist eine sehr empfehlenswerte Lektüre, die zum Nachdenken anregt. Ein schönes, wenn auch nicht perfektes, Jahreshighlight.

Bewertung vom 26.04.2025
Halbinsel
Bilkau, Kristine

Halbinsel


sehr gut

Leise Sinnsuche

„Halbinsel“ von Kristine Bilkau ist ein ruhiger, nachdenklicher Roman, der Fragen zu Familie, Verantwortung und Bewältigung von mentalen Krisen aufwirft. Zunächst habe ich gezögert, ob ich den Roman lesen möchte, da ich selbst in einer ähnlichen Situation war und befürchtete, dass mich die Geschichte emotional zu stark mitnehmen könnte. Gleichzeitig war es aber auch der Grund, warum ich es unbedingt lesen wollte, v.a., weil ich Bilkaus "Nebenan" so gern gelesen habe.
Der Roman spielt an der nordfriesischen Halbinsel im Wattenmeer und erzählt die Geschichte von Annett, Mitte 40, die nach dem frühen Tod ihres Mannes ihre Tochter Linn allein großgezogen hat. Linn, Anfang 20, kämpft mit Erschöpfung und Sinnsuche – eine Thematik, die ich nur allzu gut nachvollziehen kann. Nach einem Zusammenbruch auf einer Konferenz möchte sie sich für kurze Zeit bei ihrer Mutter erholen, aus Tagen werden Wochen werden Monate. Die Handlung entfaltet sich behutsam, ohne große Dramen, sondern vielmehr durch die leisen Zwischentöne des Zwischenmenschlichen.
Spannend fand ich natürlich, die Geschichte aus Sicht der Mutter zu lesen, während ich selbst in einer ähnlichen Situation als Tochter war. Vieles kam mir bekannt vor, Gedanken, die ich selbst hatte, Vorwürfe, die mir von anderen gemacht wurden, Vorurteile, die in der Gesellschaft weit verbreitet sind, wenn es um mentale Gesundheit geht.
Überhaupt behandelt der kurze Roman eine Vielzahl von Themen: mentale Gesundheit, zwischenmenschliche Beziehungen, Trauerarbeit, Generationenkonflikte, die Klimakrise. Bilkau nähert sich all diesen Themen sprachlich unaufgeregt und gleichzeitig mit einer gewissen Sogwirkung.
Dennoch hatte ich manchmal das Gefühl, dass der Roman etwas kurz ist für die Vielzahl an Themen. Manche Aspekte hätten noch mehr Tiefe vertragen können, was aber vielleicht auch an meiner eigenen Distanz während des Lesens lag.
Trotz kleiner Kritikpunkte kann ich „Halbinsel“ nur empfehlen und denke selbst auch Wochen nach der Lektüre noch darüber nach. Es ist ein leiser, ehrlicher Blick auf das Leben, das Weiterleben trotz aller Ungewissheit. Der Roman bleibt bei einem – wie das Meer – manchmal unberechenbar, manchmal still, aber immer da.

Bewertung vom 03.04.2025
Von einem Mädchen, das das Schreiben liebte. Jane Austen
Hopkinson, Deborah

Von einem Mädchen, das das Schreiben liebte. Jane Austen


ausgezeichnet

Für kleine und große Jane Austen Fans

Ein ganz wundervoll gestaltetes Büchlein, das sowohl Kinder als auch Erwachsene (und insbesondere Janeites) begeistern wird! Ich kenne bereits das englische Original „Ordinary, Extraordinary Jane Austen“ und freue mich umso mehr über die deutsche Übersetzung – das ideale Geschenk für die Kiddies in meinem Freundeskreis.

Das Buch bietet eine hervorragende Gelegenheit, mehr über Jane Austens Leben zu erfahren und gleichzeitig junge Leser:innen für das Lesen, Schreiben und das Erfinden von Geschichten zu begeistern. Besonders gut für die jüngeren Leser:innen ist, dass oft auch Jane Austen als Mädchen dargestellt wird und es dadurch eine Möglichkeit zur Identifikation gibt. Obwohl natürlich nur „wenig“ Text vorkommt, gelingt es dem Buch, einen guten Überblick über Austens Biografie zu vermitteln.

Besonders hervorheben möchte ich die wirklich wunderschönen, liebevoll und detailreich gestalteten Illustrationen. Dafür gebührt der Illustratorin Qin Leng ganz viel Lob, und ich kann das Buch wärmstens empfehlen!

Bewertung vom 27.03.2025
Mein wunderbarer Cottage-Garten
Groeningen, Isabelle van

Mein wunderbarer Cottage-Garten


gut

Inhalt top, Gestaltung flop

Pflanzplanerin und Gartenhistorikerin Isabelle Van Groeningen erzählt in ihrem neuen Buch von der Verwandlung eines leblosen Gartens in der Ortschaft Coleshill in ein blühendes Paradies. Sie beschreibt, wie sie gemeinsam mit ihrer Partnerin Gabriella Pape einen Garten gestaltet hat, der sowohl Menschen als auch der Natur Freude bereitet. Dennoch bin ich bei der Bewertung des Buches etwas hin- und hergerissen.

Das enorme Fachwissen und die Liebe zum Gärtnern sind unübersehbar, und es ist toll zu sehen, wie Gärtner:innen durch nachhaltige Praktiken einen positiven Einfluss auf die Umwelt ausüben können. Man erhält eine Fülle an Informationen über Pflanzen und den Garten in Coleshill – doch leider wird das Ganze kaum visuell unterstützt, denn Struktur und Gestaltung des Buches stellen das größte Manko dar. Dass Van Groeningen über einen Garten berichtet, den sie in den Neunzigern und frühen Zweitausendern in England angelegt hat und heute nicht mehr dort lebt, macht das Ganze natürlich ein bisschen tricky, aber nicht unmöglich, alles bildlich zu untermalen. Und es wäre absolut notwendig gewesen, denn ich hätte mir auf fast jeder Seite Fotos oder Abbildungen der beschriebenen Pflanzen gewünscht. Beispiele aus anderen Cottage-Gärten oder Zeichnungen (die wenigen enthaltenen Zeichnungen sind wirklich gelungen) hätten die qualitativ weniger hochwertigen Privatfotos als persönliche Note ergänzen können. Gerade wenn die Schönheit eines Gartens thematisiert wird, ist es essentiell, das auch bildlich darzustellen, anstatt nur Textblock an Textblock zu reihen.

Es ist schade, da die Expertise der Autorin wirklich beeindruckend ist und ich Cottage- und Bauerngärten liebe – wie wohl alle, die zu diesem Buch greifen. Da hatte ich einfach mehr erwartet. Einerseits, weil es ein schöner Zeitvertreib ist, in Gartenbüchern zu schmökern und in die grünen Oasen zu träumen; andererseits, weil ich mir noch mehr Inspiration für meinen eigenen Garten erhofft hatte.

Daher: Inhalt 5 Sterne, Gestaltung leider nur 1 Stern

Bewertung vom 26.02.2025
Das Leben fing im Sommer an
Kramer, Christoph

Das Leben fing im Sommer an


gut

Solides Sommermärchen

Fußballweltmeister Christoph Kramer hat sich an einen Roman gewagt. Sympathisch ist er eh und v.a. nachdem er begeistert über das Lesen an sich, aber auch seinen Traum vom Schreiben sprach, war meine Neugier auf sein Debüt war groß. Ich war gespannt, ob er schriftstellerisch überzeugen kann, oder ob er veröffentlich wurde, weil er – nun ja – Christoph Kramer ist.

„Das Leben fing im Sommer an“ erzählt das ganz persönliche Sommermärchen des 15-jährigen Chris im Jahr 2006. Fußball, Heim-WM, Freibad und Freunde bestimmen Chris Tage. Sein größter Wunsch: Fußballprofi werden und cool sein. Was die Profikarriere angeht, sieht es nicht so gut aus, doch plötzlich interessiert sich Debbie, das tollste Mädchen der Schule, für Chris…

Wer erinnert sich nicht an den Sommer 2006? Kramers Roman mit autobiografischen Elementen setzt genau da an: Nostalgie und unbeschwerte Momente. Ich finde es toll, dass die Handlung in NRW spielt und nicht an einem (schlecht recherchierten) „Sehnsuchtsort“, wie das aktuell ihn ähnlichen Geschichten oft der Fall ist. Chris ist ein authentischer, schüchterner Teenager, der sich nicht den toxischen Idealen seiner Altersgenossen anpasst. Ich find’s super, einen jungen Protagonisten in einem Coming-of-Age Roman so darzustellen, einen, der 8 Jahre später Weltmeister wird in einer Sportart, die oft von toxischen Männlichkeitsbildern geprägt ist.

Dennoch ist der Roman nicht ohne Schwächen. Die Übergänge zwischen den Szenen wirken oft holprig, und der Handlungsstrang um Debbie hätte mehr Tiefe vertragen können. Ich glaube, die hätte es durchaus gegeben, wenn noch mehr Fokus auf Chris‘ Entwicklung gelegt worden wäre. Es ist natürlich auch einfach super süß, wenn man im Nachwort liest, dass die Ereignisse aus diesem Sommer eine ganz nachhaltige Auswirkung auf Chris‘ Leben hatten (echt, Zufälle gibt’s!!).

Fazit: Kramers Debüt ist ein solider Coming-of-Age-Roman. Man merkt, dass er das Genre liebt, doch es gibt noch handwerkliche Unebenheiten, die durch mehr „Training“ (Sportmetapher lol) hätten verbessert werden können. Das Potenzial ist da, und ich bin gespannt, ob er weiterhin schreiben wird.

Bewertung vom 25.02.2025
Coast Road
Murrin, Alan

Coast Road


sehr gut

Beeindruckendes Debüt

„Coast Road“ von Alan Murrin ist ein eindrucksvolles Debüt, das subtil zeigt, wie sehr doch eigentlich alles Menschen unter patriarchalischen Strukturen leiden. Der Roman spielt im Herbst und Winter 1994 im kleinen Küstenort Ardglas in Irland, wo der Einfluss der Religion trotz der säkularen Verfassung des Landes nach wie vor deutlich ist. Der gesellschaftliche bzw. politische Hintergrund des Romans ist nicht ohne: Der sehr knappe Volksentscheid von 1995 zur Legalisierung von Scheidungen zeigt, wie lange es dauert, grundlegende Rechte zu erkämpfen. Mehrfach habe ich das wirklich ungläubig realisiert. 1996, als die Verfassungsänderung dann endlich in Kraft trat, ist nicht weit in der Geschichte zurück – ich selbst war da schon eingeschult.

Mit Izzy und Colette stehen 2 Frauen stehen im Mittelpunkt des Romans. Colette Crowley, eine Dichterin, hat ihren Mann verlassen, um in Dublin Erfolg zu suchen. Ihre Rückkehr wird von der Gemeinde genau beobachtet: ihr Mann lässt keinen Kontakt zwischen ihr und den gemeinsamen Kindern zu; andere nutzen Colettes vulnerable Situation aus. Izzy ist unglücklich mit einem Lokalpolitiker verheiratet. Die Verbindung zwischen den beiden Frauen treibt nicht nur die Handlung voran, sondern auch die Entwicklung der einzelnen Figuren.

Obwohl ich anfangs mit den vielen Figuren zu kämpfen hatte, rücken Colette und Izzy schnell ins Zentrum. Murrin gelingt es, die komplexen Beziehungen innerhalb der Gemeinde zu entwirren. Die verschiedenen Charaktere bleiben nie eindimensional, sondern stehen stellvertretend für die Herausforderungen, die viele Menschen in ähnlichen Situationen durchleben.

Am Ende wird mir alles ein bisschen zu schnell abgewickelt, aber dennoch ist „Coast Road“ ein wirklich beeindruckendes Debüt und für mich ein Lesehighlight.

Bewertung vom 24.02.2025
Der Gott des Waldes
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


sehr gut

Atmosphärischer Thriller

Ein starkes Cover, viel Lob und sogar eine Empfehlung von Obama – meine Erwartungen an „Der Gott des Waldes“ waren hoch. Darum geht’s: Im Jahr 1975 verschwindet die 13jährige Barbara Van Laar während eines Sommercamps. Ihrer sehr reichen Familie gehören das Camp und das Naturreservat, in dem es liegt. Besonders brisant: 14 Jahre zuvor verschwand bereits Barbaras Bruder Bear unter mysteriösen Umständen. Während die Suchaktion ihren Lauf nimmt, spielt die Geschichte mit Gerüchten und Geheimnissen innerhalb der Familie, aber auch der Angestellten des Camps sowie der Menschen aus der Umgebung. War das Verschwinden von Barbara ein Zufall oder steckt mehr dahinter?

Der Roman ist spannend und flüssig zu lesen, ein echter Pageturner. Doch nach ein paar Wochen fällt es mir schwer, mich an einzelne Details zu erinnern. Persönlich fand ich die vielen Perspektivwechsel nicht so ideal gewählt. Eine, maximal zwei Perspektiven oder gar ein auktorialer Erzähler, der häppchenweise Informationen an die Leser:innen weitergibt, hätten den Roman glaube ich gut tun können. Dadurch hätten evtl. auch einzelne Figuren mehr Eindruck hinterlassen können, denn obwohl keine davon flach oder stereotypisch war, blieb immer eine gewisse Distanz zu ihnen. Durch mehr Tiefe und eine größere Bindung hätte ich vll. stärker mitgefiebert, was einem Thriller grundsätzlich nicht schadet.

Hervorragend gewählt ist allerdings das Setting. Die 70er Jahre und die fehlende moderne Technologie verstärkt die Dramatik der Vermisstenfälle enorm. Und natürlich ist auch das Feriencamp mitten im Naturreservat eine wunderbare Location, die Liz Moore super in Szene setzt und in die beiden Fälle einbaut. Ich habe gelesen, dass der Roman als Mini-Serie adaptiert werden soll und kann mir die Orte, die Gebäude, die Klamotten wirklich richtig gut vorstellen.

Es sind auch zahlreiche gesellschaftliche Themen wie soziale Ungleichheit und Feminismus sind präsent, könnten aber noch besser wirken, wenn, wie erwähnt, weniger Figuren im Fokus stünden.

"Der Gott des Waldes": Ein richtig guter, atmosphärischer Thriller, der wunderbar unterhält, während der Lektüre zum Nachdenken anreget, aber zumindest bei mir keine nachhaltige Erinnerung hinterlässt.

Bewertung vom 19.02.2025
Achtzehnter Stock
Gmuer, Sara

Achtzehnter Stock


gut

Potential begraben unter Klischees

„Achtzehnter Stock“ war schon vor der Veröffentlichung omnipräsent, meine Erwartungen hoch. Leider konnte der Roman mich nicht überzeugen, trotz eines vielversprechenden Starts. Wanda lebt mit ihrer fünfjährigen Tochter Karlie in einem heruntergekommenen Berliner Plattenbau. Sie träumt von einer Karriere als Schauspielerin, will der tristen Realität entfliehen. Das Potential war da: der Roman hätte eine tiefgründige Milieustudie sein können, doch verliert sich in Klischees, die die Authentizität stark beeinträchtigen.

Wanda selbst ist leider keine Sympathieträgerin. Es wirkt meist so, als halte sie sich für etwas Besseres; sie betrachtet die anderen Frauen in ihrem Umfeld herablassend – dabei sind sie ihre einzige Unterstützung, besonders in Bezug auf die kleine Karlie. Wandas Charakterentwicklung hinterlässt mehr Fragen als Antworten: Als Karlie schwer erkrankt, wird Wanda zur Übermutter, ist Tag und Nacht im Krankenhaus. Doch dann lässt sie die Fünfjährige nachts allein zuhause, um mit einem Filmstar eine Affäre zu beginnen. Was will der Roman uns damit sagen? Irgendwie fehlt mir die Einordnung, v.a., nachdem die Figuren anfangs tiefgründiger wirkten. Da ist der Wunsch nach einem besseren Leben, die Enttäuschungen, strukturelle Probleme, aber je weiter die Handlung fortschreitet, desto mehr Raum nehmen die Klischees ein.

Besonders gehäuft sind die Klischees bei der Darstellung der Filmwelt: Wanda hat nur Castings für Hauptrollen (Komparsen, Werbung, kleine Episodenrollen – alles, was Geld bringt und realistisch ist, findet nicht statt). Vertragsverhandlungen? Vorbereitung? Alles, was in der Realität, Monate dauert, passiert innerhalb kürzester Zeit. Der Produzent wirft mit Geld um sich; mit dem männlichen Costar beginnt Wanda sofort eine Affäre.

Als privilegierte Person, die nur schwer nachvollziehen kann, wie es ist, in den prekären Verhältnissen zu leben, die der Roman darstellen will, frage ich mich daher wie realistisch diese Darstellung ist, wenn sonst die Klischees und Stereotypen überwiegen? Das, aber auch die unausgereifte Protagonistin blenden die gesellschaftlichen Strukturen, die dem Ganzen zugrunde liegen, aus. Insgesamt bleibt „Achtzehnter Stock“ hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Bewertung vom 20.01.2025
Freiheit (MP3-Download)
Merkel, Angela; Baumann, Beate

Freiheit (MP3-Download)


sehr gut

Ende 2024 hörte ich Angela Merkels Biografie „Freiheit“ als Hörbuch , gelesen von Corina Harfouch, ergänzt durch ein Vor- und Nachwort von Merkel selbst.

Harfouchs angenehme Lesung lässt die 25 Stunden wie im Flug vergehen. Es ist beeindruckend, wie sie Merkels charakteristische Sprechweise einfängt, ohne sie zu imitieren: man erkennt die Kanzlerin a. D. in jedem Wort.

Autobiografien zu bewerten, ist oft eine Herausforderung, da die Autor:innen entscheiden, was sie teilen möchten. Merkel und ihre Vertraute Beate Baumann haben hier einen meist gelungenen Rückblick auf ihre politische Karriere geschaffen. Sie erzählt größtenteils chronologisch von den vielen Herausforderungen ihrer politisch aktiven Zeit, und schafft es, komplexe Themen klar und direkt zu vermitteln. Auch wenn ich mit ihrer Partei absolut gar nichts anfangen kann, so ist ihr klarer, direkter, schnörkelloser Stil, der versucht, komplizierte Sachverhalte (für die es selten einfache und noch seltener perfekte Lösungen gibt) einzuordnen, beinahe eine Wohltat im Vergleich zum aktuellen Ton vieler Politiker:innen.

Besonders interessant fand ich die kurze Passage über ihre Zeit bevor sie Politikerin wurde: die Kindheit, das Studium (v.a. die Studienwahl), tatsächlich auch wie sie – so kam es zumindest bei mir an – eher zufällig in der Politik landete.

Obwohl die Privatperson Angela hier und da durchscheint, bleiben ihre Erinnerungen distanziert. Das hat einerseits etwas Bedauerliches, andererseits wäre ein tieferer Einblick in ihr Privatleben vermutlich nicht authentisch gewesen.

Einige Punkte, die mir in Erinnerung bleiben werden:
- Merkel ist reflektiert und kritikfähig – Eigenschaften, die in der Politik oft fehlen
- Es ist faszinierend und ein wenig befremdlich zugleich, dass sie und ihre langjährige Vertraute Beate Baumann sich stets siezen
- Die Anwesenheit von Dolmetscher:innen bei wichtigen internationalen Verhandlungen ist nicht nur logisch, sondern auch faszinierend, wenn man sich der Bedeutung ihrer Rolle bewusst wird

Insgesamt ist „Freiheit“ ein interessanter Einblick in das Leben und die Gedanken einer der einflussreichsten Politikerinnen unserer Zeit.

Bewertung vom 09.12.2024
Die Lungenschwimmprobe
Renberg, Tore

Die Lungenschwimmprobe


gut

Geschichtsstunde mit Schwächen

In "Die Lungenschwimmprobe" wird ein realer Fall aus Leipzig erzählt, der im Jahr 1681 seinen Lauf nimmt: die erst 15-jährige Anna Voigt wird beschuldigt, ihr Neugeborenes getötet zu haben. Ein Vorwurf, der damals zahlreichen jungen Frauen zum Verhängnis wurde und oft in grausamen Verurteilungen endete. In Annas Fall allerdings steht ihre Familie hinter ihr; ihr Vater hat die Mittel, um einen Anwalt zu engagieren. Glücklicherweise fällt seine Wahl auf einen Wegbereiter der Aufklärung, der sich für eine Trennung von Rechtsprechung und Religion einsetzt. Ein weiterer „Pionier“, ein Arzt, führt eine neue forensische Untersuchung durch, die sogenannte Lungenschwimmprobe, mit der man eine Totgeburt nachweisen kann. Wie nicht wenige wissenschaftlichen Erkenntnisse, wird diese nicht nur angezweifelt, sondern teils sogar verteufelt.

Der norwegische Autor Tore Renberg hat jahrelang recherchiert, um Annas Geschichte zu rekonstruieren. Im Mittelpunkt der Erzählung steht ihr Anwalt, Christian Thomasisus, ein Gegner von damals gängigen Praktiken wie Hexenprozessen und Folter – eine faszinierende Figur der Zeitgeschichte.

Doch bedauerlicherweise tritt Anna, die zentrale Figur, in den Hintergrund. Während Thomasisus im Mittelpunkt steht, bleibt die junge Frau oft im Schatten, was in einem Roman, der sich mit dem Unrecht an Frauen auseinandersetzt, schon ein wenig enttäuschend ist. Da hatte ich definitiv andere Erwartungen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Länge des Werkes. Renbergs akribische Recherche zeigt sich in einem Übermaß an Details und oft wirkte es so, dass sie alle ihren Weg in den Roman finden sollten, was den Lesefluss gelegentlich hemmt (v.a. bei 700 Seiten). Manchmal hatte ich den Eindruck, der Roman hätte als Sachbuch besser funktioniert.

Die Geschichte und das Thema sind zweifellos fesselnd und teilweise erschreckend aktuell, doch als Roman blieb „Die Lungenschwimmprobe“ hinter meinen Erwartungen zurück. Daher nur eine eingeschränkte Empfehlung: Wer sich an den teils zähen Passagen nicht stört und darüber hinwegsehen kann, dass die weibliche Hauptfigur nicht die gebührende Aufmerksamkeit erhält, wird diesen historischen Roman sicherlich mehr genießen als ich.