Die überwiegend negative Bewertung von Th. Manns Werk, Person und Handlungen scheinen auf s nicht ausgesprochene und dennoch omnipräsente These zurück zu führen zu sein, Th. Mann hätte nach dem Muster Susan Sonntags nur reifen sollen, indem er seine sexuelle Orientierung zugibt und ihr entsprechend lebt. Diese These lässt sich vielerorts, z. B. anhand Lahmes Beschreibung der Ratlosigkeit in Th. Manns Essay über Gides bestätigt finden. Auch die Ehe-Partnerschaft mit Katja Pringsheim-Mann schreibt Lahme zuerst herunter, muss dann aber doch ihre Vielfältigkeit und Tiefe zugestehen. Das sehr ungleichmäßige Verhältnis zu den Kindern, die Kinderliebe für den Vater wohl eher überraschend auf eine Tochter bezogen, will sich gar nicht in Lahmes These fügen, er scheint es eher zu der ihm ja genehmen Gesamtkritik an Th. Mann zu verwenden.
Gelegentlich gelingen Lahme Kabinettstückchen, wie im Zusammenhang mit Th. Manns Ratlosigkeit beim Windeln. Mit dem ja von Th. Mann selbst veranlassten Detailreichtum bezüglich Th. Mann wird Lahme auch in solchen Fällen nur fertig, indem er die Vorgänge in den Kontext seiner Grundthese stellt. Dabei notiert Lahme selbst, dass viele Altersgenossen ähnlich unbeholfen gewesen wären wie Mann.
Besonders kurios wir Lahmes Tendenz, gegen Th. Mann Stellung zu nehmen, wenn er alsbald von der Entdeckung Manns durch Dehmel auf die Vorschläge Dehmels zu Th. Manns Werk und deren Ablehnung umschwenkt.
Die neuen Details aus Manns Leben, die Lahme anführt, stützen wiederum Lamms These nicht wirklich. Wäre der gemäß der These handelnde Mann etwa nicht mehr noch im Alter jungen Männern merkwürdig abstrakt verfallen, hätte sie insgeheim „geliebter Dummkopf“ genannt, auf Reaktionen auf seine Briefe gehofft. Hätte Th. Mann sich mit wechselnden Partnern versuchen sollen, obwohl er ja Stabilität liebte? Lag nicht die depressionsartige, aber die Praxis einer Beziehung in der Form des Beischlafs nicht suchende Verfallenheit in Manns Charakter, war also eigentlich nicht so „kurierbar“, wie sich das Lahme vorstellt?
Wenn aus den physischen Einzelheiten über den Beischlaf Manns mit seiner Frau so viel zu schließen ist wie Lahme meint, warum hat sie Th. Mann in Form der Tagebücher zugänglich gemacht? Was sagt die Weglassung über die Herausgeber der Tagebücher und den (Th. Mann-bezogenen) bisherigen Wissenschaftsbetrieb aus? Natürlich kann man, mit Lahme, unterstellen, dass damit an wesentlichen Folgerungen gehindert zwerden sollte. Mir scheint eher wahrscheinlich, dass eine an sich eher dümmliche Prüderie Ursache der Weglassungen war. Anders mag es mit dem von Lahme kritisierten Herunterspielen des Verhältnisses zu Grauthoff liegen. Dieses wiederum hätte ich in den Zusammenhang des Einflusses von Körper auf Geist gestellt, dass Mann z. B. in den "Vertauschten Köpfen" oder, eher tragisch, in der von Lahme überhaupt nicht geschätzten "Betrogenen" beschäftigt hat. Dass nun Manns Sexualität von Lahme so anders gesehen werde als bisher sehe ich nicht - Manns Neigung zum männlichen Geschlecht etwa war schon in den 70-iger Jahren, als ich begann, mich mit ihm zu beschäftigen, allgemein bekannt.
Auch wenn er – eher selten, verhalten, s. zu Luischen und Tristan – Th. Mann lobt, greift Lahme kurz: So widmet er zwar dem „Bruder-Hitler“-Essay und seiner eher schwierigen Publikationsgeschichte (S. 398), merkt eher süffisant an, Essay sei nur in einem Männdermagazin erschienen, will ihn aber auf die persönliche Ähnlichkeit Hitlers und Manns beschränken, liest ihn nicht zusammen mit „es ist viel Wagner in Hitler“, nicht als Teil der schwierigen Arbeit, das Gefährliche in sich zu finden, verliert kein Wort über dieÄhnlichkeit zur Diagnose Haffners, zur –von Mann in einer seiner Radioansprachen und auch von Haffner reflektierten - Veränderung von Hitlers Demagogie im Krieg.
Entsprechend liest man die Biographie am gewinnbringendsten gegen den Strich: Wenn Faustus auch durch die Einschaltung Adorno nach Lahmes Einschätzung überladen geriet, ergäben sich aus einer solchen Zusammenarbeit neue Erkenntnisse zur Musik? Weitere Ausführungen dazu wären besonders interessant gewesen, weil der Vergleich zu Adornos Werk fehlt etwa im Kommentarband der Frankfurter Ausgabe zu Faustus geradezu auffallend fehlen.
Man erschließt das Bändchen am Besten von hinten: Die vielen Nerudas sind dann eine Überleitung zu einer Moderne, die mühelos auch Schlagerreifes umfasst (man denkt an portugiesische Parallelen wie Chico Buarque, so eindrucksvoll auch Mascha Kaléko ist, zu dieser Art von Popularität hat sie es nicht gebracht), das Fehlen von Borges deutet darauf hin, dass er diese Linie gestört hätte. In diesem Kontext leuchten viele Gedichte wie Trouvaillen, vor allem, wenn man die eher reizlosen, aber präzisen Übersetzungen als Aufforderungen versteht, sich selbst ans Übersetzen zu machen. Besonders hat mich ein renaissancistisches Gedichtlein beeindruckt, in dem eine Schäferin sich einem Aristokraten gerade nicht ergibt. Und, natürlich, wie immer leuchtet Garcia Lorca, diesmal hat mich besonders seine Kunst des Nachrufs beeindruckt.
Zugegeben, ich habe nicht gründlich gelesen, eher durchgeblättert: Goya als der gutmütige, allenfalls im Sinne der Sache notgedrungen leicht hintertriebene, an Philosophie und seinen Kindern mit tiefem Interesse hängende, durch das Schicksal zu einer Liebschaft genötigte; seine Dämonen reflektieren Verderbt-, Dummheit und Brutalität (gegen Hexen oder (der Franzosen) gegen einfache Spanier). Wo ich Vernunftkritik suchte, eine Art Murillo mit anderen Mitteln, die ihre Eigenart, ihre mögliche Allgültigkeit verlieren, verniedlicht werden.
Einer aus Honeckers Truppe, aber nie mit Honecker einig. Schließlich ist er der einzige Außenseiter, der übrig geblieben ist. Wenig ist also über Weggenossen zu erfahren, viel darüber, wie etwa mit Romanow (Leningrad), Honecker, Krenz zusammengearbeitet werden konnte, ohne mit ihm überein zu stimmen. So kann eigentlich nicht überraschen, dass in Zeiten der Konflikte mit seiner nun von der Macht verbannten Partei der Bruder als Stütze erscheint.
Fast berührend ist die Sympathie, mit der Modrow über Begegnungen mit dem Dubček berichtet, der nach dem Überwintern nach den Prager Frühling, Kommunist geblieben und im Übergang vom Kommunismus kurz wieder ein Amt hatte. Nur ist besonders unangenehm, dass Modrow, nach eigenen Angaben, nach dem Prager Frühling, nicht nach dem 17. Juni 1953, dem Ungarnaufstand, dem Mauerbau über Widerstand und Veränderungen nachdachte.
Zwiespältig.
Ein handliches Bändchen mit knapp unter 500 Seiten und unendlich viel Material. Viel kann man, etwa bei Rheinsberg, sogar über die unmittelbare Nachkriegszeit erfahren, das Hin- und Her- der Geschichte „im“ Wedding, die Rolle des Schlosses und der Baugeschichte in Charlottenburg oder des Joachimthaler Gymnasiums in Wilmersdorf, die Geschichte von Frederswalde sind knapp und farbig gelungen. Das Bändchen verfügt über ein exzellentes Stichwortverzeichnis so ermöglicht es z. B. den Zugang zur Firmengeschichte der AEG.
Botho Strauss‘ zeitgenössische Zaubersprüche in biblischer Größe
Strauss’ Herrscher will selbst bestimmen (ob er Herrscher wird, wen er tötet, wann er seine Herrschaft abgibt, ob er seine Gefühle zeigt) und dennoch Gott folgen, Strauss’ Gott die unnachsichtige Tötung der Feinde und dennoch den holden David erhöhen, nicht zuletzt, an die Utopien der 70-iger erinnernd: Strauss‘ junge Generation ist utopisch anders, ohne sich aufzudrängen. Wie bei Strauss üblich, ist das zwar psychologisch plausibel, aber nicht folgerichtig, hat es mehr Konsistenz als Spiel der Gegensätze. Wie in seiner Fremdenführerin, bei der es um die Spannbreite der Liebe ging, hält sich Strauss hier, vielleicht eben von der Bibel, vielleicht von der Vorstellung eines Librettos inspiriert, an ein Thema, kollagiert nicht mehrere. Umso deutlicher wird Strauss‘ Kunst, umso weniger kann seine Eigenart durch eine Balance des Verschiedenen getroffen werden.
Strauss hat sich in den 70-igern und 80-igern so leicht von so unterschiedlichen Regisseuren wie Stein, Bondy, Wilson, Dorn, Rudolph, Giesing durchsetzen lassen, weil sie alle psychologisierendem Pathos abschwören und großartige Schauspieler wie Ganz, Kirchhoff, Samel, Quadflieg, Dene, Froboess einander gegenüber stellen konnten, und ist wegen seines beschwörenden Tons, der zur heute modischeren Brilianz der Einzelszenen nicht passt, aus der Zeit gefallen. Während Galic im jüngst im BE natürlich zu liegen schien, was Strauss zum Scheinen bringt, sie gelegentlich an die große Christine Oesterle erinnert, schien Harzer heutiges Theater mit dem Strausschen versöhnen zu wollen und erreicht genauso wie Bühnenbild, Kostüme und Musikeinspielung keines von beiden.
Anregend ist die Vorstellung, dass der Text mit seinen kräftigen Bildern Rihm und andere Komponisten ebenso glänzen könnten wie Reimann mit Hennebergs Lear.
Man kann dieses Büchlein als eine private Geschichte des Sehen-Lernens lesen:
Aus einem gutbürgerlichen Hause stammend, studiert er, gegen den Willen des Vaters, die damals wohl erst am Anfang stehende Kunstgeschichte nach dem den Eltern eher willkommenen Jurastudium, ist einer der Wenigen, die dem neuen Deutschen Reich auch zu einem in Europa konkurrenzfähigen Bilder-Ansehen verleihen kann, reist wie besessen nach Russland, Frankreich, England, Spanien, Süddeutschland und, immer wieder nach Spanien zu Kirchen, Museen und Sammlern, gewinnt Ansehen bei Öffentlichkeit und Herrscherhaus durch Ausstellungen und Reise- und Publikationen über Skulpturen.
Das alles spiegelt sich im Briefwechsel mit der gleichaltrigen Cousine, die ihn bei Krankheiten, Depressionen und eine gescheiterte Liebe berät und sich in seinen Seh-Sog hineinziehen, begeistern lässt und zur kundigen Beraterin wird, beide wissen sich einig darin, dass ihre Art von Sehen zu überlegenerem Sein führt. Erst mit 36, er ist nun materiell gesichert, wagen sie plötzlich und gegen Widerstände die Ehe, das Buch endet mit ihrem Tod kurz danach und ihrer Fürsorge für ihn. Ergänzt wird es durch umsichtige Beschreibungen des Umfelds, der Eltern-Tochter-Beziehung, der landwirtschaftlichen Güter der Familie und der Organisation ihrer Modernisierung,, des Alltags- und Familienlebens bis hin zu Aufstehzeiten und Familienhäusern. Die Autorin gibt den klug ausgesuchten, folgerichtig und leicht lesbar angeordneten Quellen so viel Raum, dass man sich in die berichtete Zeit versetzt sieht. Geradezu belebend wirkt, dass die Autorin ihren Figuren nicht gerade wohl will. So spricht sie öfter von Zerwürfnissen, ohne diesen Platz einzuräumen, die scheint auch die Gefühlswelt ihrer Helden nicht nachvollziehen zu wollen. Die Bedeutung Bodes für die Berliner Sammlungen lässt sich einigermassen, die für die Austellungskonzeption mit Mühe erraten: "Die Erinnerung an Bode, den großen Museumsmann, ist in New York, Stiichwort Frick-Collection, lebendiger als in Berlin": Der Satz von Hermann Wiesler, Bilderleben II, S. 23f aus dem Jahr 1999 scheint modifiziert weiter zu gelten.
Das optimale Geschenk für den, der kurz erklärte Bilder über die Stuttgarter Stadtgeschichte gerne anschaut: Qualität und Auswahl der Fotos aus der Vorkriegszeit sind eindrucksvoll.
Mich hat diesmal bei „Unterm Birnbaum“ auch beeindruckt, wie Kultur, von den Theaterbesuchen in Berlin bis zum Grabkreuz, die erzählte Geschichte – eigentlich nicht besonders erfreulich – beeinflusst. Ganz anders dagegen wirkt Kultur in Cécile, s. als Auszug: S. 352, Rosa:„Ich missbillige diese Kunstprüderie, die doch meistens nur Hochmut ist. Die Kunst soll die Menschen erfreuen, immer da sein, wo sie gerufen wird, aber sich nicht wie die Schnecke oder gar vornehmen im Haus zurückziehen. Die schrecklichsten sind die Klaviervirtuosen, die 12 Stunden lang spielen, wenn man sie nicht hören will, und nicht spielen, wenn man sie hören will. Das Verlangen nach einem Walzer ist die tödlichste der Beleidigung, und doch ist der Walzer etwas Hübsches und wohl eines Entgegenkommens wert. Denn er macht ein Dutzend Menschen auf eine Stunde glücklich.“ Besonders berührt hat mich, wie passend die außerhalb dem früheren sowjetischen Raum kaum bekannten Wereschagin und die beginnende Industrialisierung Zentralasiens einfließen, Tintorettos „Salat von Engelfüssen“ in der Anmerkung, S. 533 aufgeschlüsselt wird. Die entspannt-konzentrierte Distanz ist auch in den Beschreibungen spürbar, wenn es etwa heißt, das Wetter sei „zwischen nebeln und nieseln“.
Den Horizont erweitert die – glänzend – als Hauptintrige von Cécile auf S. 563 in den Anmerkungen mitgeteilte Anekdote, die doch hinsichtlich des Inhalts der Geschichte eigentlich irreführt, geht es doch um eher um Lebensentwürfe und ihren Niederschlag in „Plaudereien“ und Ausflügen. Die Anmerkungen sind immer interessant, halten bei Verweisen auf andere Werke oder biographische Hintergründe klug die Waage zwischen leerer Verdoppelung der Erzählungen und rein aufzählender Knappheit. So habe ich auch nur ein Versehen entdeckt, dass nämlich auf eine dritte Anmerkung hingewiesen wird, wo doch die erste gemeint zu sein scheint: Welche zwei man wohl überlesen, versäumt hat, weil der Atem für sie nicht reichte?
Die Präzision des Autors, dem ja auch zur "Angst des Torwarts vor dem Elfmeter" etwas einfiel, bewährt sich auch hinsichtlich dem Verhältnis zu einem (seinem?) Kind, wenn man auch Umzüge nicht, wie im Buch, als Schicksal wahrnehmen, sondern das Kindeswohl dabei berücksichtigt wissen will. Strafen werden zwar spürbar nur zurückhaltend aber doch in einer Weise besprochen, die eher Bedenken erweckt. So ist das Buch auch ein Zeugnis einer Übergangszeit.
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