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Adelebooks
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Bremen

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Insgesamt 141 Bewertungen
Bewertung vom 24.06.2025
Kadota, Yumiko

Emotional Female


gut

Der Weg in Depression und Burnout und erschütternde Einblicke in das Gesundheitssystem

Über ihre Schulzeit in Singapur, London und Sidney, das Medizinstudium in Australien und ihre Ausbildung zur Assistenzärztin fühlen wir Yumikos Traum Chirurgin zu werden zum Leben erwecken und verfolgen ihren oft steinigen, beschwerlichen Weg dahin. Die Hürden stellen dabei nicht nur ein durch und durch kompetitives und von Diskriminierung wie Ausbeutung durchdrungenes Ausbildungs- und Gesundheitssystem dar. Schon früh wird deutlich, dass auch Yumikos Persönlichkeitsstruktur, der Drang immer die Beste sein zu wollen, immer gemocht zu werden und zu gefallen, ebenso ein kulturell geprägter Leistungsethos aus ihrer japanischen Sozialisation, eine destruktive Allianz mit dieser Berufswahl einzugehen scheinen. Diese Gesamtumstände führen sie schließlich in eine schwere Depression.

Als sehr positiv empfinde ich, dass die Autorin mit ihren Zeilen realistische Einblicke in das australische Gesundheitssystem und die Lebensrealität junger Ärztinnen darin vermittelt: Sexismus, Misogynie, Rassismus, Ausbeutung und Leistungsdruck sind die Variablen, die den Alltag Yumikos bestimmen. Parallelen zu europäischen und dem deutschen Gesundheitssystem sind hier sicher nicht zufällig, verschiedene Situationen habe ich zumindest schon sehr ähnlich in Krankenhäusern beobachten können. Ob hier immer alle geschilderten Patientinnenkontakte, Erkrankungen und Konflikte mit Kollegen im Detail notwendig für die Gesamterzählung sind, bleibt dahin gestellt. Für mich hatten die Schilderungen durchaus ein paar Längen.

Sehr schwer auszuhalten war für mich jedoch ab einem bestimmten Punkt die mangelnde Reflexion der Autorin, inwiefern ihre eigene Persönlichkeitsstruktur die beschriebene Entwicklung begünstigt hat - ihr Drang immer alles richtig zu machen, immer und überall die Beste zu sein und die repetitive, inflationäre Erwähnung dieses Musters über rund 400 Seiten wirkten zunehmend redundant auf mich, zumal es keine echte Entwicklung auf dieser Ebene gibt. Im Gegenteil beginnt man schon sehr früh in ihrer Laufbahn und den Schilderungen zu ahnen, dass das nicht gut gehen kann und auf eine Katastrophe zuläuft. Und so lesen sich die über 400 Seiten auch fast wie eine Chronologie dieser Katastrophe. Dabei verharrt die Autorin über weite Teile ihrer Ausführungen auf einer Stufe der Empörung, echte Lösungsorientierung und Selbstermächtigung, um aus den destruktiven Mustern auszubrechen, finden sich erst am Ende im Nachhinein und die Katastrophe wird so umso unausweichlicher. Damit im Zusammenhang fällt auch das völlige Fehlen von Solidarisierung und dem Bewusstsein für politische Handlungsmacht, um Veränderungen anzustoßen, in den Ausführungen auf. Die Autorin geht an die Öffentlichkeit, erst als sie nichts mehr zu verlieren hat.

Emotional Female wird so weniger eine wohl formulierte Systemkritik, als eine persönliche Chronik zur Aufarbeitung und Abrechnung Yumikos mit dem australischen Gesundheitssystem vor dem Hintergrund der Unfassbarkeit, wie es so weit kommen und ausgerechnet ihr dies passieren konnte. So wichtig auch Erfahrungsberichte sind, hätte ich mir gerade vor dem Hintergrund der im Rückblick verfassten Zeilen eine analytischere Betrachtung und Einordnung ihrer Erlebnisse in einen größeren gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Kontext gewünscht. Auch den Untertitel finde ich nicht ganz glücklich gewählt, denn die Autorin hat letztlich eine schwere Depression entwickelt. Der Begriff Burnout mag zwar catchy sein, sollte jedoch nicht über die schwere psychische Erkrankung über die Kadota berichtet hinwegtäuschen.

Eine allgemeine Empfehlung für das Buch auszusprechen fällt mir schwer. Ich bin der Autorin dankbar, dass sie über ihre Erfahrung berichtet hat, denn ihr Buch zeigt deutlich massive Missstände in westlichen Gesundheitssystemen auf und kann so vielleicht Veränderung anregen. Gleichzeitig sollte sich jede Leserin zuvor bewusst sein, dass gut 75% des Buchs die Chronologie einer Katastrophe sind und im Detail Yumikos Weg in die Depression beschreiben. Echte Handlungsmacht und Selbstermächtigung kommen aus meiner Sicht zu kurz, sodass man diese Schilderungen und ihre Dramatik und Destruktivität tatsächlich auch aushalten können muss. Analytische und in das Gesamtsystem einordnende Daten und Fakten fehlen vollständig, sodass Emotional Female primär eine Aufarbeitung und Vergangenheitsbewältigung der Autorin ist. Vor diesem Hintergrund empfehle ich Emotional Female gern allen Interessierten, die sich dessen bewusst sind und der Lektüre gewachsen fühlen.

Bewertung vom 23.06.2025
Carr, Garrett

Der Junge aus dem Meer


sehr gut

Authentische Einblicke in eine vom Fischfang geprägte Region und Gemeinschaft an der irischen Küste

Als in den 1970ern an der irischen Küste ganz in der Nähe eines kleinen, ursprünglichen Fischerortes ein Neugeborenes in einem Fass gefunden wird, ist die Aufregung groß. Schnell ranken sich in der eingeschworenen, abgelegenen Gemeinschaft Erzählungen und Mutmaßungen über das Auffinden und die Herkunft des Kindes - des Jungen aus dem Meer.

Im gleichnamigen Roman zeichnet der Autor ein Porträt einer autochthonen Gemeinschaft in der Donagal Bay. Im Mittelpunkt die Familie Bonnar: Mutter Christin, Vater Ambros und der kleine Declan. Als der Säugling am Strand gefunden wird, zögert die Familie nicht lange und nimmt den Jungen als zweites Kind in die Familie auf.

Gemeinsam mit der Erzählstimme, die als eine Art Chronist und selbst Mitglied der Gemeinschaft aus dieser heraus über die Ereignisse berichtet, sie und die Bewohnerinnen und Bewohner ausdeutet, begleiten wir den Lebensweg des Jungen aus dem Meer und damit auch der Familie Bonnar und der ganzen Region über knapp 20 Jahre.

Der kleine Ort in der Donegal Bay bleibt von der europäischen Geschichte und Politik nicht unberührt. Der anfängliche Erfolg und das Auskommen der Familie, wie vieler anderer Familien im Ort, verdankte sich dem Fischfang, der jedoch bald durch unglückliche Entscheidungen Ambros und europäischen Regelungen zu Fangquoten versiegt. Die sich verschärfende Armut der Familie Bonnar ist exemplarisch für die Gemeinschaft des Ortes, in der Wohlstand zunehmend ungleich verteilt ist, einige wenige viel, und viele immer weniger haben und am Existenzminimum leben.

Dies belastet auch die Familiendynamik. Die einst enge Beziehung zwischen Christin und Ambros wird durch die Existenznot auf die Probe gestellt und auch die Kinder bleiben nicht unberührt von den Existenzsorgen der Familie. Die Beziehung zwischen den Brüdern ist seit jeher angespannt und vom Ringen um die Zuneigung und Aufmerksamkeit der Eltern und Rivalität bestimmt. Brandon, der eher zurückgezogen lebt und Declan, der Brandon offen ablehnt und in ihm keinen echten Bruder sondern einen Eindringling in sein Familienleben sieht.

Declan und Brendan so unterschiedlich wie sie sind, hadern beide mit den Zwängen der Gemeinschaft und versuchen auf ihre Art sich selbst auszudrücken und ihren Weg zu finden und gemäß ihrer wahren Talente zu leben.

Der Junge aus dem Meer offeriert authentische Einblicke in das Leben einer Dorfgemeinschaft an der irischen Küste mit einer feinen Beobachtung für all die Eigenheiten und Traditionen, die sich in solchen eingeschworenen Gemeinschaften herausbilden. Ich persönlich mag den unaufgeregten, lakonischen Stil des Autors. Für mich hatte der Roman jedoch leider ein paar Längen und wurde trotz des eingängigen Erzählstils von einer recht melancholischen Grundstimmung durchzogen. Gerade diese spiegelt andererseits auch die Stimmung der Menschen und der Region im Roman wider.

Bewertung vom 23.06.2025
Gosling, Sharon

Der alte Apfelgarten


ausgezeichnet

Ein Roman, wie ein Urlaub an der schottischen Küste

Nina ist alleinerziehend und trägt noch physische wie psychische Narben aus ihrer letzten Beziehung mit dem Vater ihres Sohnes Barnaby. Vor 5 Jahren kam sie nach der Trennung zurück in ihre Heimat an der schottischen Küste, um die Farm der Familie zunächst mit ihrem Vater zu führen und schließlich irgendwann zu übernehmen. Ninas Schwester Beth, genannt Bet, ist erfolgreiche Scheidungsanwältin und führt ein unabhängiges Singleleben in London, fern und in bewusster Distanz zu ihrer Familie und Heimat im ländlichen Schottland.

Unterschiedlicher könnten die Schwestern kaum sein. Seit Nina auf der Farm lebt, haben sie sich kaum gesehen. Von Entfremdung zwischen den Schwestern zu sprechen, wäre fehlgeleitet, denn dazu müsste es jemals eine echte Nähe zwischen den beiden gegeben haben. Auch aufgrund des großen Altersunterschieds von 10 Jahren, doch sicher ebenso angesichts der völlig verschiedenen Charaktere, gab es jedoch nie ein inniges Schwesternverhältnis zwischen Bet und Nina.

Und nun ist Bern Crowdy, der Vater Ninas und Beths plötzlich verstorben und hinterlässt tiefe Trauer in der Familie, ein überraschend verändertes Testament, das beide Schwestern gemeinsam zum Erhalt der Farm verpflichtet und eine Crowdy Farm an einem malerischen Fleckchen Schottlands, deren wahren Zustand er selbst Nina zu seinen Lebzeiten verschwiegen hat. Die Schwestern stehen nach dem Tod des Vaters vor der großen Aufgabe sich erstmals wirklich anzunähern, kennenzulernen und dabei im besten Fall gemeinsam die Farm zu retten. Dass dies nicht ohne Reibungen und Hindernisse möglich sein wird, erahnt man bereits nach wenigen Seiten.

In das Reigen und Ringen der Schwestern gesellen sich noch weitere Protagonisten, die versprechen die Handlung und Geschichte zu beeinflussen. Nina erfährt große Unterstützung von ihrem attraktiven Nachbarn Cam, beteuert jedoch, auch sich selbst, nur freundschaftlich mit diesem verbunden zu sein. Bet wird wiederum mit einem Mann aus der Vergangenheit konfrontiert, der sie vor vielen Jahren bewogen hat Distanz zu ihrer Familie und Heimat zu wahren.

Während der Bestandsaufnahme der Farm im Rahmen der Erbschaft, machen die Schwestern eine unerwartete Entdeckung. Ein schmaler, versteckter Pfad führt zu einem geheimen Apfelgarten direkt an der Steilküste. Der Apfelhain führt sie tief in die Vergangenheit der Familie und Region sowie alte Legenden und dabei vielleicht auch näher zueinander und ihrem eigenen Glück…

Ich habe zuvor Forgotten Garden von Sharon Gosling gelesen und war bereits von diesem Roman begeistert. So kurzweilig und emotional erzählt die Autorin, ohne dabei banal zu werden. Der alte Apfelgarten hat mich fast noch mehr eingenommen. Die Figuren sind wohl ausformuliert, bereits nach wenigen Seiten fühlt man sich als Teil der Geschichte und möchte wissen, wohin die Erzählung führt. Als Kulisse dienen malerische Landschaften, in die die Autorin mit ihren authentischen, bildlichen Beschreibungen ihre Leserinnen eintauchen lässt. Der alte Apfelgarten verbindet eine mitnehmende Geschichte über Schwesternschaft, traumhafte Bilder von Schottlandsküste und als Bonus einige Einsichten in die Geheimnisse des Apfelanbaus und der Ciderherstellung.

Für mich ist Der alte Apfelgarten der perfekte Urlaubsroman, um für ein paar Stunden in eine andere Welt einzutauchen oder um einfach aus dem Alltag mit der Autorin zu einem geheimen Apfelhain an der schottischen Steilküste zu entfliehen und die Annäherung zweier Schwestern zu begleiten.

Bewertung vom 20.06.2025
Kempton, Beth

Kokoro


gut

Auf der Suche nach dem achtsamen Herzen und einem gelungenen Leben

Die Japanologin Beth Kempton nimmt uns in Kokoro mit auf eine Reise, nach Japan, in die japanische Mythologie und auch eine Reise in ihr Innerstes, die Konflikte ihres Lebens im Angesicht ihrer Lebensmitte und der Konfrontation mit dem Tod geliebter Menschen. Ihr Leitmotiv bei dieser Reise: das Kokoro - ein japanischer Begriff im Kontext eines achtsamen Herzens, der nur schwer zu definieren ist und dessen Verständnis sich Kempton zur Aufgabe macht.

Das Buch ist eine Mischung aus Reisedokumentation, Erfahrungsbericht und Selbsthilferatgeber. In den drei Teile mit den Schwerpunkten auf Gegenwart, Tod und Verlust sowie Zukunft und Wiedergeburt verknüpft die Autorin wunderschöne Landschaftsbeschreibungen mit Einsichten in die japanische Mythologie, Kultur und Religionen, um am Ende jeden Kapitels daraus eine kurze Lehre zu formulieren und die Leserin mit passenden Leitfragen zu animieren, diese auch auf das eigene Leben anzuwenden.

So ist Kokoro auch eine Einladung der Autorin zum Innehalten mit Hilfe der japanischen Weisheiten, einen bewussten Blick auf das eigene Leben zu richten und achtsam die eigene Existenz zu gestalten. Daraus wird im Gegensatz zu modernen Mahnungen der Achtsamkeit, die letztlich wieder der Selbstoptimierung dienen, eine ganzheitliche Philosophie, die das Leben und Sein erfasst. Dies ist über weite Teile gut gelungen, persönlich waren mir einige Aspekte in den Ausführungen jedoch zu spirituell und beliebig, wie etwa das Ziehen von Orakelkarten und die Deutung dieser. Der Schwerpunkt auf dem Erleben der Autorin war zwar interessant, ich hätte mich jedoch über mehr und strukturierte Einsichten in die japanische Mythologie und Kultur gefreut. Letztlich streift diese die Autorin lediglich, um stets und umfangreich zu sich selbst zurückzukehren.

Der zweite Teil setzt sich intensiv und im Detail mit der Krankheit und dem Sterben ihrer geliebten Mutter auseinander. Hier hätte ich mir eine Triggerwarnung gewünscht, denn die dezidierte Auseinandersetzung mit einem sterbenden Menschen über knapp 100 Seiten verlangt auch beim Lesen einiges ab. Auch wenn ich den Bezug zum Kokoro und ihre Erkenntnis aus dem Trauerprozess nachvollziehen kann, wirkte dieser Teil auf mich in der Ausdehnung primär von und für die Autorin selbst als individuelle Trauerarbeit.

Eine Karte mit den Orten, die die Autorin bereist hat und Angaben zu Zeit und Ort über den Kapiteln hätten aus meiner Sicht das Buch bereichert.

Mir hat Kokoro trotz der genannten Schwächen einige interessante Einsichten und Anstöße zum Nachdenken geliefert. Die Einblicke in die japanische Kultur, Religionen und Lebensweise fand ich sehr bereichernd und hätten für mich gerne mehr Raum einnehmen können. Letztlich war mir persönlich der Erfahrungs- und Selbsthilfeaspekt des Buchs zu stark im Vordergrund.

Bewertung vom 14.06.2025
Berkel, Christian

Sputnik


gut

Coming of Age Geschichte im Theatermilieu der Nachkriegszeit zwischen Frankreich und Deutschland

Sputnik - ist eine autofiktionale Coming of Age Geschichte des Schauspielers Christian Berkel.
Im ersten Teil werden Kindheit und Jugend im Nachkriegsdeutschland beleuchtet. Recht speziell sind hier zunächst die Reflexionen aus der Perspektive des imaginären Fötus Sputnik sowie der frühen Babyjahre. Auch wenn dies realistisch beschrieben sein mag, konnte ich damit nicht viel anfangen. Wesentlich besser haben mir dann jedoch die Beschreibungen der Kinderjahre und Jugendzeit gefallen. Sputnik wächst in einem künstlerisch-literarisch geprägten Elternhaus des Bildungsbürgertums auf, kein Fernseher dafür frühe Sprachbildung (mit der Mutter spricht er früh nur Französisch), Theaterbesuche und Hörspiele auf Schallplatte zu Hause. Und obwohl Sputnik seine künstlerischen Neigungen früh frei entdecken darf, fühlt er sich seltsam eingeschränkt. Da ist die dramatische Vergangenheit seiner Eltern, die Mutter als Jüdin verfolgt von den Nazis, der Vater im russischen Lager, die auch im Familienalltag immer wieder subtil durchscheint. Da ist seine Identität als Halbjude, die ihm nie bewusst vermittelt wurde und sich doch Stück für Stück für ihn zusammensetzt. Und da ist der durchaus bedrückende, wie für den Heranwachsenden gleichsam verwirrende Hintergrund vor dem dies alles geschieht: ein Nachkriegsdeutschland, dass sich weder an Krieg noch Judenverfolgung erinnern möchte und doch antisemitische Vorurteile sorgsam pflegt. Bei Sputnik führt all dies zu einem Gefühl von Bedrückung und dem Eindruck nie wirklich ganz zu sein. Trost spendet stets das Theater, schon früh verbringt er seine Wochenenden in den Berliner Kammerspielen.

Ein echtes Freischwimmen ist im zweiten Teil schließlich die Zeit als Heranwachsender in Paris, in dem Sputnik ab der 7. Klasse die Schule besucht. Zwar wirkt auch hier die Kriegszeit nach - Sputnik wird nun in jugendlichem Leichtsinn als Nazi verfemt. Und trotzdem erlebt er hier fern von seinem Elternhaus und der befremdlichen Stimmung im Nachkriegsdeutschland erstmals echte Freiheit. So mäandernd wie er im schillernden Paris seine Jugend entdeckt, sich in der Liebe, Erotik, und mit Drogen ausprobiert, so unbeirrt verfolgt er auch hier seinen Wunsch Schauspieler zu werden.

Im Dritten Teil kehrt Sputnik schließlich mit 16 Jahren zurück nach Berlin. Der Roman fokussiert hier auf die Zeit als Jungschauspieler in Film und Theater in Augsburg und Düsseldorf. Sehr interessant fand ich die Einblicke in die Schulddebatte im Nachkriegsdeutschland und die Diskussionen um die RAF und Stammheim, auch und gerade zwischen den verschiedenen Generationen und den künstlerisch-intellektuellen und bürgerlichen Milieus in die der Roman blickt.

Ich habe die Vorwerke des Autors, Ada und der Apfelbaum, nicht gelesen und hatte zwischenzeitlich das Gefühl, dass mir dadurch etwas fehlt, um die Protagonisten der Rahmenhandlung, im Fall der Vorwerke seine Schwester Ada und seine Mutter Sala (der Apfelbaum) besser einordnen zu können.

Der Roman ist flüssig geschrieben und lässt nachvollziehbar werden, wie die Liebe zum Theater bei Sputnik früh geweckt und seither stetig gewachsen ist. Für mich hatte die Erzählung jedoch einige Längen, die zentralen Identitätskonflikte aufgrund seiner Herkunft verlieren zwischen ersten Küssen, Masturbation, Drogenkonsum und Rebellionen fast ihre Bedeutung ohne sich zu einer kohärenten Gesamterzählung zu entwickeln.

So bleibt es für mich leider ein etwas durchwachsenes Leseerlebnis. Für Fans des Autors, die mehr über seinen bewegten Lebensweg erfahren wollen, ist es sicher eine lohnende Lektüre.

Bewertung vom 03.06.2025
Eui-kyung, Kim

Hello Baby


ausgezeichnet

Als Frau in Korea - Zwischen beruflichem Erfolg, Mutterschaft und gesellschaftlichen Erwartungen

Hello Baby - so heißt der Gruppenchat von sechs Frauen, alle Patientinnen der Angel Baby Klinik in Seoul, alle zwischen Ende 30 und Mitte 40, alle bisher ungewollt kinderlos. Die 44 jährige Munyeong versucht mit IVF schwanger zu werden, und findet in Jiun, Sora, Hyekyoung, Unha und Jeonghyo Gleichgesinnte. Geteiltes Leid mag hier angesichts von schmerzhaften Vorbereitungen und Eizellenentnahmen, erfolglosen Befruchtungen und Fehlgeburten kaum halbes Leid sein, doch die ähnlichen Erfahrungen und das Verständnis füreinander geben den Frauen in der Gruppe halt.

Über die verschiedenen Hintergründe der Frauen, beruflich, regional und auch mit Blick auf den finanziellen und sozialen Status, vermittelt der Roman einen erstaunlich weiten Einblick in die koreanische Gesellschaft und natürlich die diversen weiblichen Rollenbilder und Zwänge darin. Hier skizziert die Autorin eine Gesellschaft in der, gerade in der jüngeren Generation Mutterschaft negativ gedeutet zu sein scheint, als Belastung und ein Stören der wirtschaftlichen Produktivität. Dem steht jedoch gleichzeitig ein Druck von der Generation der Mütter und Schwiegermütter gegenüber Enkel „zu produzieren“. Und dazwischen steht die einzelne Frau mit ihren Träumen, Wünschen und eigenen Bedürfnissen.

Sensibel herausgearbeitet sind auch die Beziehungsmuster in denen die Frauen mit ihren Partnern agieren. Im Vergleich der jeweiligen Geschichten fällt auf wie unterschiedlich die Männer mit der Kinderwunschsituation, eventuell eigener Unfruchtbarkeit und den Belastungen der IVF Behandlung, auch für ihre Frauen, umgehen.

Hello Baby ist nüchtern und sensibel zugleich erzählt, schnörkellos gibt die Autorin Einblicke in die körperlichen und mentalen Belastungen der IVF und beweist dabei ein Gespür und Empathie für die Momente, in denen sie tiefer in die Gedanken der Frauen, Beziehungsmuster und gesellschaftlichen Zwänge in denen diese Agieren eintauchen muss.

Die vielfältigen Einzelschicksale verwebt die Autorin in eine berührende, erhellende, erschütternde und letztlich auch spannende Gesamterzählung. So wird Hello Baby zu einem hervorragend geschriebenen Roman über Frauen in der koreanischen Gesellschaft, gefangen zwischen den Erwartungen an sich selbst, der Familie, Schwiegerfamilie und eines gewissen Zeitgeistes. Ganz klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 26.05.2025
Labba, Elin Anna

Das Echo der Sommer


sehr gut

Eine Geschichte der Diskriminierung des Volks der Sámi

Inga ist 13 Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter und Tante die alljährliche Reise ins Sommerquartier der Samen am See antritt. Was die drei Frauen dort vorfinden ist jedoch nicht das Dorf und ihre Kote am See, sondern vielmehr liegt ihre Kote, wie das ganze Dorf, nun im See, denn die schwedische Regierung hat den See weiter gestaut und das Dorf der Sámi so abermals unter Wasser gesetzt. Ausgehend von diesem rücksichtslosen Akt der Diskrimierung, der einem ganzen Dorf und seinen Bewohnern das Heim und die Lebensgrundlage nimmt, erzählt Elin Anna Labba die Geschichte eines Volkes, ihres Volkes. Im Mittelpunkt dabei Inga und ihre Mutter Ravdna.

Schnell wird deutlich, dass diese Geschichte zwei Seiten hat, da ist die Naturverbundenheit und Bräuche des Volkes, die von der Autorin wundervoll und eingängig beschrieben werden. Und gleichzeitig ist die Geschichte eine der Diskriminierung und Ausgrenzung durch die schwedische Gesellschaft und Regierung, die dem Volk, das zu leben, was es ausmacht, im Einklang mit seinen Werten und Traditionen, immer schwerer bis unmöglich macht. Dabei stützt sich der Roman auf wahre Begebenheiten zur Ausgrenzung der Sámi in Schweden und dem Entzug ihrer Lebensgrundlage und ihres Lebensraumes, was den Schilderungen und der Geschichte Ingas und Ravdnas zusätzliche Brisanz verleiht und ihr Erleben um so bedrückender macht.

In einer poetischen Sprache lässt die Autorin so in die Geschichte und Lebensrealität der Sámi eintauchen. Für mich war der poetische Ton phasenweise etwas zu viel, was die Qualität des Romans angesichts seiner Stärken in der authentischen, einfühlsamen Vermittlung der Lebensrealität von Inga und Ravdna jedoch kaum schmälert.

Bewertung vom 26.05.2025
Suter, Martin

Wut und Liebe


ausgezeichnet

Kurzweilig, unterhaltsam und überraschend

Camilla und Noah sind ein junges Paar Anfang 30, noch immer verliebt und doch nicht völlig zufrieden und glücklich. Noah schlägt sich mehr schlecht als recht als Künstler durch und wartet bisher vergebens auf den ersehnten Durchbruch, der nicht nur Anerkennung sondern ihm und auch Camilla ein selbstbestimmteres, freieres Leben ermöglichen könnte. Und so blieb es bisher an Camilla mit einem Brotjob in der Buchhaltung, der sie alles andere als erfüllt, das gemeinsame Leben zu finanzieren. Es mag daher nicht völlig verwundern, dass sie einiges Tages zu dem Entschluss kommt, dass sie zwar Noah liebt, aber nicht das Leben mit ihm und sich deshalb konsequenter Weise von ihm trennt - jetzt wo sie noch jung und schön ist und die Chance auf eine Versorgerehe mit einem wohlhabenden Gönner hat. In seiner Verzweiflung darüber lernt Noah in einer Bar die ältere, wohlhabende Witwe Betty kennen, die nach dem Tod ihres Mannes nichts sehnlicher herbeiwünscht, als den, den sie dafür verantwortlich sieht, für den Tod ihres geliebten Pat büßen zu sehen.

Mit diesen Zutaten entspinnt Suter eine kurzweilige Erzählung nicht nur über Wut und Liebe, sondern auch Freundschaft, die Kunstwelt, Wahrheit, Lüge und Täuschung und letztlich die Frage worauf es im Leben ankommt. Der Roman lebt insbesondere von den starken Frauenfiguren darin, die die Handlung zu bestimmen scheinen und sich trotz einiger Metoo-Attitüden der männlichen Figuren gekonnt ihren Weg bahnen. Die handelnden Personen hatten für mich keine größere Tiefe, und das brauchten sie auch nicht, der Roman lebt von seiner Handlung, geschickten Wendungen und einer überraschenden Pointe - und liefert so ausgezeichnete Unterhaltung!

Der Schreibstil ist angenehm flüssig, die Dialoge authentisch und klug, der Ton manchmal ironisch bis humorvoll. Mir hat der Roman kurzweilige Lesestunden beschert und dafür gebe ich gern 5 Punkte!

Bewertung vom 26.05.2025
Ruban, Paul

Der Duft des Wals


gut

Willkommen im Horror-AI-Urlaub

In der Duft des Wals verweist bereits der Titel auf das Zentrum der Erzählung. Ein angeschwemmter Walkadaver, der einen furchtbaren Duft ausströmt, bildet die Kulisse des Urlaubs in einem luxuriösen All inclusive Resort in México.

Hierhin haben sich Judith und Hugo mit ihrer Tochter Ava zurückgezogen in einem verzweifelten Versuch ihre zerrüttete Ehe zu retten. Celeste, die Stewardess auf dem Flug der Familie, residiert ebenfalls im Hotel und kämpft mit ihren ganz eigenen Dämonen. Waldemar träumt als langjähriger Angestellter im Hotel von einer Beförderung. Aus Perspektive der 5 Personen, die abwechselnd erzählen, begleitet der Roman einen Urlaub in einem typischen AI Resort und doch wird nichts daran typisch verlaufen.

Mir hat gefallen, wie der Roman mit den Klischees von AI Resorts spielt, Armbändchen, Animateure und Romanzen dieser mit Gästen, Clubdisco etc. Obwohl oder gerade weil sich die Ereignisse innerlich und äußerlich dramatisch entwickeln, fehlte mir letztlich jedoch die Tiefe in der Erzählung. Gerade diese soll vermutlich über die jeweilige Innenperspektive der verschiedenen Figuren in eigenen Kapiteln erzeugt werden, gelingen tut dies jedoch nur in Ansätzen. Die Entfremdung von Judith und Hugo und deren Auswirkungen auf Ava werden nachvollziehbar dargestellt und doch bleiben die Figuren skizzenhaft ohne, dass ich eine Nähe zu ihnen aufbauen konnte. Sowohl in der Anzahl der Figuren als auch der dramatischen Ereignisse will der Roman auf (zu) wenigen Seiten zu viel. Und so plätschert die Handlung etwas dahin, ohne dass die Leserin tiefer darin involviert wird, daran vermag auch die dramatische Zuspitzung am Ende nichts verändern. Insgesamt ist der Duft des Wales ein nettes Stück für Zwischendurch, jedoch leider ohne, dass es länger bei mir nachhallen wird.

Bewertung vom 26.05.2025
Brodesser-Akner, Taffy

Die Fletchers von Long Island


sehr gut

Eine große jüdisch-amerikanische Familie - scharfsinnig und bitterböse erzählt

An einem vermeintlich unschuldigen Morgen im März des Jahres 1980 im beschaulichen Middle Rock erfährt das Leben der Familie Fletcher eine ungeahnte Wendung. Vater Carl wird auf dem Weg in seine Fabrik entführt. Damit wird ein Strudel von Ereignissen ausgelöst, die das Leben der Familie, trotz des glimpflichen Ausgangs der Entführung, nachhaltig prägen werden.

Ausgehend von der Entführung des Familienpatriarchen erzählt Taffy Brodesser-Akner, die Geschichte der Familie Fletcher. In den Fokus rückt sie dabei die Kinder der Familie, Nathan und Beamer, beide noch Kleinkinder zum Zeitpunkt der Entführung, und Jenny, die Jüngste, die erst nach dem Ereignis auf die Welt kam und doch nicht weniger dadurch geprägt wurde. Über die Entwicklung der Geschwister und die Einblicke in deren Berufs- und Familienleben macht die Autorin zugleich die Geschichte der gesamten Familie in wesentlichen Aspekten seit der Entführung nachvollziehbar. Brodesser-Akner zeigt auf, wie die totgeschwiegene Entführung zunächst unmerkliche Spuren und Narben hinterlässt, die im weiteren Verlauf der Geschichte und damit im Leben der Familie aufzubrechen drohen und die Familienmitglieder, ganz unterschiedlich, noch Jahrzehnte später belasten. Dabei beweist sie ein Gespür für die feinen Unterschiede in Charakter, Lebensweg und individueller Betroffenheit aus der Entführung und zeigt so eine Varianz im Umgang und Erleben familialer Traumata auf. Bereits früh im Roman wird deutlich, dass all der Reichtum der Familie, Glück und Zufriedenheit nicht garantieren kann. Der Umgang mit Traumata in der Familie zeigt wiederum eine Kontinuität, die immer wieder mit Verweisen zum Holocaust und der Flucht der Großeltern nach Amerika hergestellt wird.

Im extremen Gegensatz zu den schweren Themen der Geschichte steht der Stil und Ton Brodesser-Akners. Die Autorin spielt freigiebig mit Klischees und Stereotypen über jüdisch-amerikanisches Leben und jüdische Traditionen, wie auch Neurosen und ganz besonders die Spleens der Upperclass. Komisch und scharfsinnig seziert sie in sarkastischem Ton das verschwenderische Leben der Reichen und Schönen von Beauty-OPs, die die Patientinnen zuweilen näher an Amphibien als an Beauty bringen bis hin zum Umgang mit Hausangestellten.

So sehr mich dieser Stil und Ton phasenweise unterhalten haben, fehlte mir dadurch jedoch zuweilen die Tiefe und Ernsthaftigkeit in der Erzählung. Insgesamt lässt mich der Roman etwas zwiegespalten zurück. Eine scharfsinnige Gesellschaftsanalyse und humorvolle, zuweilen bitterböse Erzählweise stehen Abzügen in der Tiefe gegenüber. Letztlich ist und bleibt der Roman wirklich sehr gute Unterhaltung - nicht mehr und nicht weniger!