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Benutzername: 
Damian Postman
Wohnort: 
Bochum, Ruhrgebiet

Bewertungen

Insgesamt 2 Bewertungen
Bewertung vom 24.08.2022
Nichtmuttersein
Pungs, Nadine

Nichtmuttersein


ausgezeichnet

Großartiges Handbuch zur weiblichen Selbstermächtigung

Die Autorin Nadine Pungs möchte nicht nur keine Mutter sein, sie wehrt sich mit „Nichtmuttersein. Von der Entscheidung ohne Kinder zu leben“ auch gegen die mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber ihrer persönlichen Entscheidung. Eine freiheitliche Gesellschaft ist für sie nur möglich durch die kollektive, weibliche Selbstermächtigung und die uneingeschränkte gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber der individuellen, selbstbestimmten Entscheidung jeder Frau zum Nichtmuttersein einschließlich Sterilisation und Schwangerschaftsabbruch.
Die Realität sieht im Jahr 2022 noch extrem anders aus; es herrscht Reproduktionsungerechtigkeit, in der die Gesellschaft den Frauen die Mutterschaft moralisch aufzwingt, der Uterus wird so in Geiselhaft genommen, es reicht ein Blick in unsere Gesetzgebung mit Paragraf 218 StGB.

Pungs erzählt im ersten Strang von ihrer eigenen Sozialisation, was wichtig für die Leserschaft ist, um ihren Weg vom Kind zur selbstbestimmten Frau nachvollziehen zu können. Außerdem arbeitet sie sich konsequent an den Themen ab, die damit zusammenhängen; die Geschichte des Patriarchats, Geschichte der Familie, Frauen am Herd und im Arbeitsleben, Protestantismus und Muttermythos, die Rolle der katholischen Kirche beim Thema Abtreibung, der gesellschaftliche Forderungskatalog an Mütter usw. Pungs spricht mit Müttern, Nichtmüttern und Frauen, die gerne Mütter wären. Sie bespricht Influencer-Mütter in der Insta-Realitätsblase und die persönliche Situation der eigenen ungewollten Schwangerschaft und der tour de force des anschließenden Schwangerschaftsabbruchs.
Und sie führt die Leserschaft an den Punkt, wo es logisch verständlich wird, dass es für sie nur einen Weg gibt, sich von der gesellschaftlichen und politischen Anspruchshaltung zu befreien, um zu vollständiger, weiblicher Körperherrschaft zu gelangen.

Dabei ist „Nichtmuttersein“ immer gerecht und liberal, denn Pungs geht es nicht darum, das „Nichtmuttersein“ gegenüber dem „Muttersein“ als bessere Alternative darzustellen, es geht ihr einzig und allein darum, dass beide Konzepte gleichberechtigt akzeptiert werden, ohne Wenn und Aber. Die Tonalität ist manchmal wütend, sehr oft liebevoll und teilweise witzig.

An „Nichtmuttersein“ werden sich alle Diejenigen orientieren, die beim Thema der eingeforderten Reproduktionsgerechtigkeit ein profundes Wort mitreden möchten. Da dieser Prozess harmonisch nur gemeinsam von Frauen und Männern vorangetrieben werden kann, ist „Nichtmuttersein“ nicht nur ein Buch für Leserinnen, sondern explizit aufklärerisch auch für Leser.

Uneingeschränkte Leseempfehlung!

Bewertung vom 05.08.2012
Sternenreiter
Jando

Sternenreiter


ausgezeichnet

Man muss die kindliche Anarchie in sich wiederentdecken, um auf den Sternen zu reiten

Der Autor Jando erzählt in seinem Buch „Sternenreiter – Kleine Sterne leuchten ewig“ davon, dass man heute noch an Wunder glauben soll.

Mats ist Angestellter eines renommierten, börsennotierten Unternehmens und glaubt nicht mehr an seine Träume – zu sehr ist er daran gewöhnt, in der Arbeitswelt, die aus Sitzungen, Kundenpräsentationen, Kursschwankungen und koffeinbetriebenen Überstunden besteht, zu funktionieren. Auch seine Frau Kiki erreicht ihn nicht mehr, die Arbeit geht vor, schließlich muss das Haus abbezahlt und der gehobene Lebensstandard gehalten werden. Doch dann kommt es unerwartet zu einem Ereignis, das Mats zwingt, innezuhalten. Ein kleiner Junge hilft ihm dabei, die Welt mit anderen Augen zu sehen und sein Leben neu zu gestalten.

Die Welt mit anderen Augen sehen ist das Thema des Buches, für das der Leser die Bereitschaft aufbringen sollte. „Wenn wir anfangen, auf unser Herz zu hören, werden wir Dinge im Leben erkennen, die uns unvorstellbar erschienen.“, schreibt Jando als Ouvertüre in den Klappentext. Damit ist „Sternenreiter“ thematisch ein Buch, das sich kritisch mit dem Leistungsdenken und den negativen Erscheinungen wie Erfolgsdruck, Versagensangst, Gier und Einsamkeit im gegenwärtigen Neoturbokapitalismus beschäftigt. Dür wählt Jando den Stil eines modernen, poetischen Märchens. Das ist logisch, denn er weiß, dass er diejenigen Leser, die am dringendsten darauf angewiesen sind wieder wie als Kind auf ihr Herz zu hören und an Wunder zu glauben, nur mit der Stimme des Herzens und der Poesie erreicht. Und damit erinnert er einerseits in seiner Vision an Friedrich Nietzsches Satz des Zarathustra: „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“, dem der Titel dieser Rezension entlehnt ist: Denn es geht nicht darum, das eigene kindliche Chaos zu haben, sondern darum, es wiederzuentdecken und sich wieder anzueignen. Andererseits fühlt man sich an den vielzitierten Satz: “Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ von Antoine de Saint-Exuperys Kleinem Prinzen erinnert.
Diese Herzenssicht entwickelt Jando im Sternenreiter weiter, zu einer wahrhaften und poetischen Erziehung des Herzens. Gemeinsam mit dem anarchischen Ungehorsam gegen das Leistungssystem entsteht ein Plädoyer für Freundschaft, Menschlichkeit und die Verwirklichung von Träumen:

Der Ausdruck des Sternenreiters von den „großen Menschen“ ist eine bewusst Adaption an „die großen Leute“ des Erzählers aus dem kleinen Prinzen. Stilistisch daran angelehnt setzt Jando die Begegnung des Erzählers mit dem Sternenreiter allerdings – im Gegensatz zu Exupéry – nicht in eine isolierte Situation, sondern in eine realistische Alltagssituation und schafft damit einen neuen poetischen Realismus.
Was diese Melodie des Textes auf der literarischen Ebene einlöst, begleiten die handgemalten Bilder der Kinder- und Jugedbuchillustratorin Antjeca auf der bildpoetischen Ebene: durch die schlichte Form einer Kalkulation größtmöglicher Einfachheit entsteht die Radikalität der Bildsprache hin zu einer ozeanischen Zärtlichkeit. Diese poetische Wirkung ist die Fähigkeit des Textes und der Bilder, immer neue und andere Lesarten zu erzeugen, ohne sich jemals ganz zu verbrauchen. Dieses ist meine ganz persönliche Lesart.

Mit dem „Sternenreiter“ ist dem Autor – nach seinem Erstling Windträume – wieder ein wundervolles und poetisches Buch gelungen, das ich uneingeschränkt empfehle. Doch nicht nur das, denn ein gutes Buch sollte man empfehlen, ein sehr gutes seinen Freunden ans Herz legen und die wirklich besonders wichtigen Bücher sollte man seinen besten Freunden schenken. Ich freue mich darauf, meinen besten Freunden mit dem „Sternenreiter“ ein Herzensgeschenk zu machen.

14 von 14 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.