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hamburger.lesemaus
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Bargfeld-Stegen

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Insgesamt 464 Bewertungen
Bewertung vom 20.08.2025
Ruffieux, Katinka

Zu wenig vom Guten


ausgezeichnet

ZU WENIG VOM GUTEN
Katinka Ruffieux
ET: 09.07.2025

„Ich kann den Tod meiner Schwester nicht begreifen, aber ich habe ihn verstanden. Möglich, dass ich ihn irgendwann verzeihe, ihr und mir, aber auch jedem anderen“. (S. 246)

Katinka Ruffieux erzählt die Geschichte von zwei Schwestern, die mit ihrer ungarischstämmigen Familie in der Nähe von Zürich leben – zwischen Sehnsucht und Angst, Hoffnung und Verlust. Sie warten auf die Einbürgerung wie auf einen erlösenden Moment, bemühen sich, unsichtbar zu bleiben, angepasst zu wirken, ja keinen Fehler zu machen, der diesen Traum zerstören könnte.

Die Autorin führt uns in den „Fischbau“, ein großes Mehrfamilienhaus, das seit der Flucht aus Ungarn ihr Zuhause ist. Der Platz ist knapp – die Mädchen teilen sich ein Schlafzimmer mit dem Großvater, die Waschmaschine steht im Wohnzimmer. Wir riechen den Duft ungarischer Speisen, die die Mutter liebevoll auf den Tisch stellt. Und obwohl wir von der ersten Seite an wissen, dass die Schwester der namenlosen Ich-Erzählerin sterben wird, hoffen wir bis zuletzt, dass sich das Schicksal noch umstimmen lässt.

Doch nach dem Tod des Großvaters zerbricht das fragile Gleichgewicht. Der Vater verlässt die Familie, und ohne ihn fühlen sie sich nicht mehr vollständig. Die Schwester verliert den Halt, sucht Freiheit – und findet sie in der falschen Gesellschaft. Die Mutter, erschöpft und gezwungen, wieder zu arbeiten, hat keine Kraft mehr, sich zu kümmern. Die Abwärtsspirale beginnt: Drogen, falsche Freunde – und eines Abends kommt sie nicht mehr nach Hause.

Katinka Ruffieux hat mit zarter Sprache und feinem Gespür für Zwischentöne ein eindrucksvolles Debüt geschaffen. Besonders ihre kleinen, poetischen Wortspiele verleihen dem Text eine leise Schönheit.
Es ist ein Roman über Migration, Verlust, Zugehörigkeit und Sehnsucht – nach einer Heimat, die in der Fremde niemals ganz zu finden ist. All das verdichtet die Autorin zu einer Atmosphäre, die lange nachhallt.
5/5

Bewertung vom 18.08.2025
Dröscher, Daniela

Junge Frau mit Katze


gut

JUNGE FRAU MIT KATZE
Daniela Dröscher
ET: 14.08.2025

In "Lügen über meine Mutter" erzählte Daniela Dröscher eindringlich von Elas Kindheit – von einer Mutter, die sich im ständigen Kampf mit ihrem Körper befand, und einem Vater, der nie müde wurde, an seiner Frau herumzukritisieren.
Im neuen Buch verschiebt sich der Blickwinkel: Nun geht es darum, welche Spuren diese Kindheit in Elas Erwachsenenleben hinterlassen hat.

Seit fünf Jahren arbeitet Ela an ihrer Doktorarbeit. Die Dissertation ist bereits eingereicht, jetzt steht nur noch die Verteidigung bevor. Doch anstatt erleichtert zu sein, wächst die Anspannung ins Unerträgliche. Eine Kehlkopfentzündung zwingt sie zur Schonung, das verschriebene Medikament löst einen allergischen Schock aus, Herzrasen und Atemnot kommen hinzu – und schließlich landet Ela im Krankenhaus.
Kaum zurück im Alltag, reißen die Beschwerden nicht ab: Schlafstörungen, ständige Erschöpfung, Schwindelattacken, Magenprobleme und Panikgefühle bestimmen ihren Alltag und lassen sie immer tiefer in einen Kreislauf aus Krankheit und Angst geraten.
Zu allem Überfluss entsteht durch ein Missverständnis der Eindruck, sie beherrsche Japanisch in Wort und Schrift. Ihr Doktorvater nimmt das für bare Münze – und macht ihr das überraschende Angebot einer Habilitation. Anstatt sich darüber zu freuen, setzt dieses Versprechen einer akademischen Zukunft Ela zusätzlich unter Druck. Sie fühlt sich zu krank, um für die Disputation zu lernen, sucht immer neue Ärzte auf, sammelt widersprüchliche Diagnosen und verliert sich in einem Strudel aus Überforderung, Selbstzweifeln und Symptomen, die immer neue Formen annehmen.

Eine weitere Erzählebene widmet sich ihrer komplizierten Beziehung zur Mutter und zum Bruder. Mehr möchte ich hier jedoch nicht vorwegnehmen.

Mein Fazit:
Normalerweise lese ich Geschichten über Krankheit nicht gern. Doch Dröschers leichte, klare Sprache hat mich durch die Seiten getragen. Für mich ist es kein Buch, das man unbedingt gelesen haben muss – aber eines, das sicherlich seine Leserschaft finden wird. Empfehlenswert vor allem für Leser*innen, die sich gerne mit den Themen Krankheit, Psyche und familiären Prägungen beschäftigen.
3/5

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.08.2025
Imgrund, Barbara

Der Wurm


ausgezeichnet

DER WURM – Eine kleine Geschichte
Barbara Imgrund
ET: 27.03.2025

„Der Wurm war im Tal angekommen, und als er sich dort unten breitgemacht hatte, nahm er sich auch die Höhen vor. Kein Ort war vor ihm sicher, überall gab es Leute, die unzufrieden waren oder nicht genug von dem bekamen, was sie brauchten, und deshalb hatten sie offene Ohren für die Einflüsterung des Schmarotzers“. (S. 39)

Martha ist 87 Jahre alt, als sie ohne Lebenswillen auf den alten, verfallenen Hof ihrer Eltern – direkt am Berg – zurückkehrt.
Als letzte Überlebende ihrer Familie möchte sie Frieden mit den Dämonen ihrer Vergangenheit schließen. Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs beging sie als kleines Mädchen einen fatalen Fehler, der unverzeihlich war. Er zerstörte nicht nur ihre Familie, sondern belastete sie ihr Leben lang mit quälenden Gewissensbissen. Nur ihrem Mann, der vor einem Jahr verstarb, konnte sie später die Wahrheit anvertrauen.

Doch Martha lag falsch: bereits lange vor dieser Tragödie war die Familie am Zerbrechen: Der Vater kehrte versehrt aus dem Ersten Weltkrieg heim – griesgrämig und schnell reizbar. Die Mutter brachte fast jedes Jahr ein Kind zur Welt, doch nicht alle überlebten. Die Grippe hatte auch den Hof hoch oben am Berg erreicht. Schließlich aber wurde der Wurm ihr Verderben. Der Nationalsozialismus konnte sich beim Vater einnisten, denn es gab immer mehr hungrige Münder zu stopfen, und die Vorräte reichten nicht aus. Da hatte der Wurm ein leichtes Spiel …

Barbara Imgrund hat hier ein kleines literarisches Meisterwerk geschaffen:
Mit sicherer Hand wechselt sie zwischen der jungen und der alten Martha und lässt uns als Zeitzeugen die Familie im Nationalsozialismus begleiten.
Dieses schmale Büchlein mit gerade einmal 150 Seiten ist ein eindringliches Mahnmal – eine Geschichte, die man gelesen haben muss, um zu verhindern, dass der Wurm jemals wieder Wurzeln schlägt.

Fazit:
Ein spannendes, zeitgenössisches Buch, das Vergangenheit und Gegenwart kunstvoll verbindet.
Große Leseempfehlung!
5/5

Bewertung vom 15.08.2025
d`Halluin, Benoit

Ein Schrei im Ozean


ausgezeichnet

EIN SCHREI IM OZEAN
Benoit d’Halluin
ET: 6.6.2025
Der Franzose Oliver und sein kambodschanischer Freund Arun leben seit sieben Jahren in Paris. Kennengelernt haben sie sich in einem Restaurant, in dem Arun als Kellner arbeitete. Nachdem Arun zu Oliver gezogen war, wollte dieser nicht mehr, dass sein Freund arbeitet – also hütete Arun das Appartement und langweilte sich zunehmend.

Zum ersten Mal reisen sie gemeinsam nach Pattaya, Thailand, damit Arun seine Familie im benachbarten Kambodscha besuchen kann. Als er aus seinem Heimatdorf zurückkehrt, erfährt er, dass Oliver ihn in dieser Zeit mit einem Prostituierten betrogen hat. Ein heftiger Streit eskaliert. Arun verlässt wütend das Restaurant, schreibt Oliver eine letzte Nachricht, blockiert ihn und fährt mit dem Taxi in den kleinen Fischerhafen Bang Saray. Dort spricht ihn ein Fremder an, spendiert ihm Drinks – und wenig später erwacht Arun im Laderaum eines Fischerbootes, mitten auf dem Ozean.

Arun ist einer von über 200.000 Zwangsarbeitern, die in Thailands Fischfangflotte – der viertgrößten der Welt – festgehalten werden.
Ob er und Oliver sich jemals wiedersehen, müsst ihr selbst herausfinden.

Benoît d’Halluin erzählt die Geschichte aus wechselnden Perspektiven und auf mehreren Zeitebenen – und entlarvt dabei schockierende Praktiken der Fischerei, die nicht nur Menschenleben zerstören, sondern auch zur Überfischung der Meere beitragen.

Obwohl ich seit mehr als 25 Jahren in Thailand lebe, hatte ich keine Ahnung, was sich nur 1,5 Stunden von meinem Zuhause abspielt. Ich wusste nicht, dass es dort Leinenlängen von bis zu 70 Kilometern(!!!) gibt – in der EU sind nur 10 Kilometer erlaubt! Unfassbar!
Wusstet ihr, dass Fischer täglich das Fünfhundertfache des Erddurchmessers mit Netzen auslegen?

Dies ist mein zweites Buch von Benoît d’Halluin. Den Vorgänger habe ich geliebt – aber dieses Buch geht tiefer, schmerzt, macht wütend, zeigt mir meine Machtlosigkeit auf und muss deshalb unbedingt gelesen werden. Ein echter Pageturner und für mich ein #Highlight.

LEST DIESES BUCH! Und sorgt dafür, dass dieser Schrei im Ozean gehört wird!
5+/5

Übrigens: Die Bücher des @verlag_karlrauch sind mit ihrer strukturierten Oberfläche („Peywave“) ohnehin wunderschön – doch dieses Cover mit seinen Wellen ist kaum zu übertreffen.
Vielen Dank an #KarlRauch und @benoit.d.h 🌊💙

Bewertung vom 10.08.2025
Sauer, Anne

Im Leben nebenan


ausgezeichnet

IM LEBEN NEBENAN
Anne Sauer
ET: 10.07.2025

Antonia, von allen nur Toni genannt, ist seit Langem mit Jakob zusammen. Sie liebt alles an ihm: seinen Geruch am Morgen, seine Halskette und dass er ihr genug Freiraum zum Atmen lässt. Heiraten war nie ein Thema – doch jetzt, Mitte 30, kommt die Frage nach Kindern auf. Wollen sie welche? Oder genießen sie lieber weiter ihre Freiheit? Braucht man wirklich diese ständig schreienden Babys im Leben?

Als die Entscheidung schließlich auf Ja fällt, sieht Toni plötzlich überall Schwangere und Mütter mit Kindern. Gefühlt jede Frau ist schwanger oder bereits Mutter – nur bei ihr passiert … nichts. Keine Eizelle will sich befruchten lassen. Es beginnt ein zermürbender Kreislauf: Hormontherapie, Sex nach Fahrplan, Schwangerschaftstests, ständige Nachfragen von Freunden – und das alles, weil sie den Fehler gemacht hat, ihren Kinderwunsch offen zu erzählen.

Und dann die Frage: Was wäre, wenn sie damals einen anderen Weg eingeschlagen hätte?

In einem nun anderen Lebensszenario wacht Toni eines morgens wie gerädert auf – mit einem Baby an der Brust. Sie weiß nicht, wo sie ist, erkennt jedoch den Ausblick: ihr Heimatdorf. Als ihr Ex-Freund Adam sich als ihr Ehemann vorstellt, will sie sofort fliehen. Doch mit einem vier Monate alten Baby namens Hanna ist das gar nicht so einfach. Alles fühlt sich falsch an – der Mann, das Kind und die Narbe seit der Geburt.
Was war passiert?
Das müsst ihr am besten selbst herausfinden …

Mein Eindruck:
Anne Sauer greift ein Thema auf, mit dem sich jede Frau früher oder später auseinandersetzen muss: Will ich Kinder – und was, wenn es nicht klappt? Sie beleuchtet einfühlsam beide Seiten: den nicht vorhandenen Kinderwunsch und den unerfüllten. Ihr flüssiger Schreibstil hat mich mühelos durch die Seiten getragen, und ich habe die unterschiedlichen Szenarien mit großem Interesse verfolgt. Besonders jüngeren Frauen kann ich dieses Buch sehr ans Herz legen.

Das Ende ist ungewöhnlich, mutig und offen – für mich hat es perfekt gepasst.

Fazit:
Ein starkes Debüt, das nachhallt und berührt. Für mich eine absolute Leseempfehlung.
5 / 5

Bewertung vom 05.08.2025
Clark, Polly

Ocean - Gefangen im Blau


gut

OCEAN – Gefangen im Blau
Polly Clark
ET: 30.05.2025

Helen und Frank stehen kurz vor dem Ende ihrer Ehe, als Helen mit 42 Jahren noch einmal schwanger wird. Das ungeplante Kind soll ihrer Beziehung neuen Halt geben – auch Sohn Nicholas freut sich auf das Geschwisterchen.

Doch alles kommt anders: Helen gerät in der Londoner U-Bahn in einen Bombenanschlag und verliert das Baby. Nur durch die Hilfe eines Mannes namens James überlebt sie. Die Trauer über den Verlust lähmt sie, starke Medikamente intensivieren ihr Gefühl, nicht mehr am Leben teilnehmen zu können.
Helen beginnt, von ihrem Retter zu träumen. Sie schreibt ihm imaginäre Briefe und versucht, ihn ausfindig zu machen.

Ein Wendepunkt kommt, als Frank seine Firma verkauft und die Yacht „Innisfree“ kauft – jenes Boot, auf dem sie sich einst kennengelernt haben. Mit ihrem Sohn und ihrer Pflegetochter brechen sie zu einer Atlantiküberquerung auf. Alles wird verkauft, das alte Leben hinter sich gelassen.
Doch der ersehnte Neuanfang auf hoher See entpuppt sich bald als Zerreißprobe: Die alten Konflikte holen sie ein, auf engstem Raum entladen sich angestaute Spannungen.

Ob am Ende wirklich alle gemeinsam wieder von Bord gehen – das müsst ihr selbst herausfinden.

Ich liebe das Meer. Und ich liebe dieses Cover!
Aber liebe ich auch den Inhalt?

Ganz ehrlich: Der Anfang war für mich richtig schlimm. Ich wollte das Buch schon zurück ins Regal stellen.
Aber irgendetwas hat mich weiterlesen lassen. Ich stand gefühlt mit offenem Mund in der Küche der Protagonisten – Zeugin von unfassbar verletzenden Dialogen. Wie kann man sich so viele Gemeinheiten an den Kopf werfen und im nächsten Atemzug gestehen, dass man sich trotzdem noch begehrt?

Ja, vieles war too much. Einige Entscheidungen waren für mich einfach nicht nachvollziehbar.
Aber dann kam die zweite Hälfte – die Reise auf dem Boot. Und die war spannend, intensiv, atmosphärisch. Ich habe diesen Teil verschlungen.

Fazit:
Liebt ihr das Meer?
Habt ihr Lust auf Drama, Wellen und emotionale Achterbahnfahrten?
Dann lest dieses Buch!

Von mir gibt’s:
🌊 für die erste Hälfte
🌊🌊🌊🌊🌊 für die zweite
= 🐭🐭🐭 insgesamt.

Bewertung vom 04.08.2025
Segal, Francesca

Entscheidungen auf Tuga


sehr gut

ENTSCHEIDUNG AUF TUGA
Francesca Segal
Band 2 der Tuga-Trilogie
ET 24.07.2025
Charlotte Walker ist auch nach dem Ende ihres Forschungsauftrags auf der Insel Tuga de Oro geblieben.
Ursprünglich war sie angereist, um die seltenen Goldmünzen-Schildkröten zu erforschen und gleichzeitig ihren Vater zu finden, der auf der abgelegenen Insel lebt. Sie hatte ihn nie kennengelernt und sich zeitlebens nach ihm gesehnt. Doch nach dem ersten Treffen stellte sich schnell heraus, dass er weder von ihrer Existenz wusste noch Interesse an einer Beziehung hatte.
Erst als sie Levi begegnete und sich in ihn verliebte, entschied sie sich, dauerhaft auf Tuga zu bleiben.

Mittlerweile hat sie sich gut in das einfache Leben auf der Insel eingefunden und arbeitet dort als Tierärztin. Tuga ist winzig – nur etwa sechzig Menschen leben hier, jeder kennt jeden, Geheimnisse gibt es kaum. Während der Zeit des „Island Close“, wenn aufgrund der Schlechtwetterperiode keine Schiffe anlegen oder abfahren können, ist die Insel völlig von der Außenwelt abgeschnitten.

Als plötzlich ein Segelboot genau in dieser Zeit einen Notruf sendet, ist die Sorge groß: Ein Passagier soll dringend ärztliche Hilfe benötigen. Mutig setzen sich einige Inselbewohner einem riskanten Rettungseinsatz aus – nur um festzustellen, dass es sich bei dem angeblich kranken Gast um Charlottes quicklebendige Mutter handelt: Lucinda Compton-Neville.
Sie ist fest entschlossen, dass die Zeit ihrer Tochter auf Tuga ein Ende haben muss. Charlottes Einwände wischt sie beiseite. Doch nicht nur Charlottes Leben wird durch die Ankunft ihrer dominanten Mutter durcheinandergebracht, auch das Leben der Inselbewohner gerät aus dem Gleichgewicht. Ob Lucinda ihre Tochter tatsächlich zur Rückkehr nach London bewegen kann – und zu welchen Mitteln sie greift –, sollte jede*r selbst nachlesen.

Auch der zweite Band der Tuga-Trilogie überzeugt mit Francesca Segals flüssigem und bildhaftem Erzählstil. Mit viel Einfallsreichtum entführt sie uns erneut auf die kleine (fiktive) Insel und lässt uns eintauchen in das Leben der manchmal etwas schrulligen, aber liebenswerten Einheimischen.

Auch wenn dieser Band meines Erachtens nicht ganz an seinen Vorgänger heranreicht, ist er ein ideales Buch für den Sommerurlaub – besonders für Leser*innen, die gerne in atmosphärische Inselwelten eintauchen.
Ich freue mich schon sehr auf den abschließenden Teil der Reihe und bin gespannt, wie Charlottes Geschichte weitergeht.

Fazit:
Ein warmherziger Inselroman mit Charme. Die Geschichte ist in sich abgeschlossen, doch ich empfehle, unbedingt mit Band eins zu beginnen.
4/5

Bewertung vom 28.07.2025
Prizkau, Anna

Frauen im Sanatorium


sehr gut

FRAUEN IM SANATORIUM
Anna Prizkau

Darf ich heute mal anders beginnen – und zwar mit dem Fazit?
Danke

Fazit:
Selten hat mich ein Buch so zwiegespalten fühlen lassen wie das Debüt von Anna Prizkau.
Wie kann etwas so zart und schön daherkommen - das Cover, die Sprache – und gleichzeitig so brutal und schonungslos sein? Unsere Protagonistin war mir so unfassbar unsympathisch, und doch hing ich an ihren Worten wie eine Süchtige an der Nadel.
Erzählte Märchen enden hier in Albträumen.
Aber ist das Leben immer fair? Und tut es nicht auch mal gut, von denen zu lesen, deren Realität nicht aussieht wie ein Bilderbuch?

Anna wird nach einem traumatischen Ereignis in ein Sanatorium eingewiesen.
Dort trifft sie auf ganz unterschiedliche Menschen, die eines gemeinsam haben: Sie brauchen Hilfe.
Wir begleiten Anna in den Kurpark, an den See, zu einem blassen Flamingo namens Pepik, und lauschen ihren Geschichten zwischen Therapiesitzungen und fadem Kantinenessen.
Sie beobachtet, hört zu, erzählt – von Marija, die so stolz auf ihre Tochter ist, es ihr aber nie zeigen kann und sie diese ausschließlich kritisiert.
Von Elif, die sich lieber Geschichten ausdenkt, als die Wahrheit zu erzählen.
Und von Katharina, einer Soldatin, die ihre Wahrheiten in Wodka und Wein ertränkt.

Kein Wohlfühlbuch – aber läuft das Leben immer nach Plan?
Sehr lesenswert.
3½/5

Bewertung vom 25.07.2025
Slocombe, Penelope

Sunbirds


ausgezeichnet

„Ich habe vergessen, wer ich war, bevor ich Mutter wurde, und jetzt weiß ich nicht, wie ich aufhören soll, eine zu sein. (S. 180)

SUNBIRDS
Penelope Slocombe

Annes Sohn Tarron ist seit sieben Jahren in Indien spurlos verschwunden. Damals verließ er sein Hotel ohne Pass, ohne Schuhe und ohne Geld – seither fehlt jede Spur. Während Vater Robert die Hoffnung längst aufgegeben hat und nach Schottland zurückgekehrt ist, kann Anne nicht loslassen. Seit drei Jahren lebt sie in Indien, verteilt Flugblätter und zeigt Reisenden das Foto ihres Sohnes – in der Hoffnung, dass ihn jemand gesehen hat.
Als Elvie, die über dreißig Jahre lang in Indien als verschollen galt, nach Schottland zurückkehrt und die Hinterlassenschaften ihrer verstorbenen Eltern durchsieht, stößt sie auf einen alten Zeitungsartikel über den vermissten Tarron. Daraufhin nimmt sie Kontakt zur Autorin des Artikels auf – Esther, Tarrons ältere Cousine –, um ihr mögliche Hinweise auf seinen Verbleib mitzuteilen. Obwohl Esther ein schwieriges Verhältnis zu Anne und Robert hat, entschließt sie sich, nach Indien zu reisen. Gemeinsam mit Anne folgt sie einer neuen Spur, die sie tief in die Täler und Landschaften des Himalayas führt.

Was für ein wunderschöner, atmosphärischer Roman! Ich hatte das Gefühl, selbst drei Tage in den Bergen des Himalayas verbracht zu haben. Von der ersten Seite an zog mich die Autorin mit ihrer poetischen Sprache und den eindrucksvollen Naturbeschreibungen in den Bann – einzig das Ende empfand ich als etwas überladen (Kritik auf hohem Niveau).

Dass viele junge Menschen in dieser Region vermisst werden, hatte ich schon gehört – doch es ist jedes Mal aufs Neue erschütternd, über individuelle Schicksale zu lesen.

Ein großartiges Buch über Verlust, Vergebung, Neubeginn – und darüber, dass wir unsere Kinder loslassen müssen, damit sie ihren eigenen Weg finden können.

Große Leseempfehlung von mir.
4½/5

Bewertung vom 24.07.2025
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


ausgezeichnet

DAS GESCHENK
Gaea Schoeters

Bundeskanzler Hans Christian Winkler unterzeichnet ein neues Bundesgesetz, das den Import von Elfenbein ab sofort verbietet. Kurz darauf tauchen mehrere afrikanische Elefanten in der Hauptstadt Berlin auf. Zuerst glaubt man an einen Ausbruch aus dem Zoo – doch bald stellt sich heraus: Der Präsident von Botswana hat Deutschland „als Dankeschön“ für das neue Gesetz 20.000 Elefanten überlassen. Natürlich nicht aus echter Dankbarkeit – sondern eher als ironischer Kommentar darauf, dass sich Deutschland in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einmischt.

Denn: Durch das Gesetz werden keine Jagdlizenzen mehr verkauft. Die Folge? Ein unkontrollierbares Wachstum der Elefantenpopulation. Die Tiere fressen Felder leer, die eigentlich dringend zur Versorgung der Bevölkerung gebraucht werden. Der Präsident Botswanas erklärt: Sein Volk hungert.

Und nun? Was soll man in Berlin mit 20.000 Elefanten anfangen? Und viel dringlicher: Was macht man mit deren Ausscheidungen, die drohen, die Hauptstadt zu begraben? Gelangen Phosphate und Nitrate des Dungs etwa ins Grundwasser? Und furzen afrikanische Riesenkühe nicht auch CO₂?

All das bringt Berlin an den Rand einer Krise – und was genau passiert, solltet ihr euch auf keinen Fall entgehen lassen!

Die Idee allein verdient schon 5 ⭐️!
Wie auch im Vorgänger Trophäe greift die Autorin ein brisantes Thema auf und fordert uns dazu auf, einmal die Perspektive zu wechseln und die Kehrseite vermeintlich richtiger Entscheidungen zu betrachten. Schreibstil und Thema ließen mich nur so durch die Seiten fliegen.

Auch wenn ich in der zweiten Hälfte eine Mini-Länge empfunden habe und es mich kurz irritiert hat, dass eine Holländerin über deutsch Politik schreibt, gebe ich unbedingt 5 Lesemäuse und empfehle euch das Buch uneingeschränkt weiter.
5/5