Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
stephanus217
Wohnort: 
Leonberg

Bewertungen

Insgesamt 56 Bewertungen
Bewertung vom 15.05.2023
Wovon wir leben
Birnbacher, Birgit

Wovon wir leben


sehr gut

Kein Buch zum „Runterlesen“

Ein Zitat aus Bertold Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“, Epilog „Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen – den Vorhang zu und alle Fragen offen“, mit dem Marcel Reich-Ranicki dereinst sein „Literarisches Quartett“ zu beschließen pflegte, beschreibt treffend mein Gefühl nach Lektüre von „Wovon wir leben“ von Birgit Birnbacher. Aber worum geht es?

Julia, die Ich-Erzählerin, war als junges Mädchen der dörflichen Enge ihres Heimatortes entflohen und lebt seit Jahren als Krankenschwester im mondänen Salzburg. Ihr eigenes Leben ist aber alles andere als mondän, sie ist gesundheitlich angeschlagen und in einer perspektivlosen Beziehung gefangen. Als sie auch noch ihren Job im Universitätsklinikum verliert, will/muss sie in ihr Dorf zurück, um sich im Schoße ihrer Familie neu zu sortieren. Aber ihre Familie, wie sie sie gekannt hatte, existiert nicht mehr. Ihre Mutter hat die Familie verlassen, ihr Vater ist schwer krank und verbittert und ihr behinderter Bruder ins Heim abgeschoben. Und auch das Dorfleben hat sich verändert; nachdem der letzte große Arbeitgeber der Region seine Pforten geschlossen hat, hat sich eine allgemeine Depression breit gemacht. Da lernt Julia Oskar kennen. Dieser lebt, in einer festen Beziehung, und arbeitet eigentlich in Salzburg und kuriert seinen Infarkt in einer Reha-Klinik am Ort aus. Zwar ist seine Lebenshaltung auch ohne Arbeit gesichert, dennoch hadert auch er mit seiner Situation. Wie ist dieser Teufelskreis zu durchbrechen?

Die Autorin berührt mit ihrem Roman wichtige Themen, stellt wichtige Fragen. Persönliches Scheitern, private oder gesundheitliche Schicksalsschläge oder Massenarbeitslosigkeit solche Themen, die, eingebettet im Niedergang der dörflichen Umgebungen, wie wir ihn auch im Deutschland der 1960ern/1970ern in den Montanregionen beobachten mussten, dargestellt werden.
Die zentrale Frage ist aber die nach dem Wert der Arbeit. Darf man in Krisensituationen auch mal ohne Arbeit einhalten und mit dem Strom schwimmen und Verantwortung auch mal abgeben oder muss man den Kampf unverzüglich wieder aufnehmen, frei nach dem Spruch „Aufstehen, Krone richten und weiter gehen“. Geht es vielleicht sogar so weit, dass die Persönlichkeit einer Person ausschließlich über ihre Arbeit definiert wird?
Die Sprache ist klar, streng, schon fast steril, was aber recht gut zu dem berichtshaften und wenig empathischen Erzählstil passt.

Das Ende bleibt letztendlich offen. Das ist vor dem letztlich doch etwas eindimensionalen thematischen Hintergrund nachvollziehbar. Aber auf einen Ausweg, eine conclusio hätte ich gehofft, vielleicht auch ein Stück weit erwartet - womit wir wieder bei dem Brecht-Zitat vom Anfang angekommen sind.

Bewertung vom 15.05.2023
Abschied auf Italienisch / Commissario Grassi Bd.1
Bonetto, Andrea

Abschied auf Italienisch / Commissario Grassi Bd.1


ausgezeichnet

Ein echter Wohlfühlkrimi
Es ist immer spannend, wenn man für sich einen neuen Autor entdecken darf und die Vorfreude ist besonders groß, wenn, wie hier, ein neuer Autor seinen Erstlingsroman vorstellt – und ein bisschen bibbert man ja immer mit dem Autor mit, so eine Vorstellung kann ja auch mal daneben gehen.

Auch unser Protagonist steht vor einem Neustart. Commissario Vito Grassi hat von seinem kürzlich verstorbenen Vater, zu dem er seit Jahren nur noch sporadisch Kontakt hatte, dessen Rustico (die ligurische Variante einer mallorquinischen Finca) nahe bei Cinque Terre geerbt. Nachdem sein Leben in Rom aktuell unbefriedigend verläuft, beschließt er, sich nach La Spezia versetzen zu lassen und selbst in das Rustico einzuziehen.
Dort angekommen, stellt er fest, dass Toni, die aktuell noch das Haus bewohnt, mehr war als eine Haushälterin, was Vito angenommen hatte. War sie etwa die Lebensgefährtin des Vaters, von deren Existenz er keine Ahnung hatte. Obwohl die Begrüßung sehr reserviert und frostig ausfällt, werden sich die beiden miteinander auseinandersetzen müssen.
Auch die erste Begegnung mit seiner neuen Chefin, Questora Feltrinelli verläuft distanziert und das sein Verhältnis zu seiner neuen Kollegin, der forschen etwas übermotivierten Inspectora Ricci ist von Anfang an schwierig. Wird sich Vito mit den drei neuen Frauen in seinem Leben arrangieren können, schließlich wartet ein dubioser Todesfall auf Aufklärung? Als sich dann noch ein (weiterer) Mord ereignet, ist zu allem Überfluss auch noch die überregionale öffentliche Aufmerksamkeit geweckt. Da müssen die Startschwierigkeiten warten...

Mir hat der Roman wirklich gut gefallen, hat er doch alle Elemente eines cosy-Krimi. Der Fall ist spannend und die Geschichte hat durchaus Tempo. Die Protagonisten sind interessant und lebendig beschrieben und auch außerhalb des Falles ist einiges „los“. Dass es zwischenmenschlich zwischen den Akteuren -zumindest zu Anfang- nicht so einfach sind, schadet nicht, im Gegenteil. Insbesondere das Verhältnis zu Toni entwickelt sich spannend und immer wieder irgendwie anders. Auch die Questorin ist sehr speziell, aber mit Marta hat er aber wohl wirklich eine verlässliche, loyale Partnerin an seiner Seite. Das reicht dicke auch für eine Fortsetzung, die ich mir wünschen würde.
Auch der touristische Aspekt hat mir gefallen, man will sofort aufbrechen in das wunderschöne Cinque Terme, am Strand oder am Pool liegen und weiter schmökern.
Zwei kleine Punkte hätte ich aber doch noch zu kritisieren. Die Lösung ist etwas überraschend, die hätte man besser vorbereiten können. Und schließlich fehlt mir etwas ein Alleinstellungsmerkmal, der Roman reiht sich nahtlos in die Legion ungezählter Regionalkrimis ein – dem konkreten Lesevergnügen tut das aber keinen Abbruch.

Bewertung vom 10.05.2023
Mallorquinische Strafe / Casasnovas ermittelt Bd.2 (eBook, ePUB)
Alonso, Lilly

Mallorquinische Strafe / Casasnovas ermittelt Bd.2 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ausflug in die Geschichte Mallorcas

War der erste Fall rund um den „Roten Blitz“ den historischen Zug, der seit Anfang des 20-Jahrhunderts zwischen Palma und Soller verkehrt, angesiedelt, sind wir diesmal bei einem traditionellen Fest am Hafen von Soller zu Gast.

Die Atmosphäre im Polizeirevier in Soller, die während der Ermittlungen im Fall des Toten im Zug doch sehr angespannt war, hat sich beruhigt. Lluc Casanova hat seinen Rentenantrag zurückgenommen und bleibt Revierchef und Fina Garcia, die designierte Nachfolgerin, hat ihre Rolle als Stellvertreterin -mehr oder weniger- akzeptiert. Das Revier bereitet sich, wie ganz Soller, auf den Höhepunkt des Jahres vor. Mit dem Festival „es firó“ feiert die Stadt die Schlacht von 1561, in der die Piraten geschlagen und aus Soller vertrieben wurden. Als Highlight des Festivals stellen hunderte Bürger in historischen Gewändern die damalige Schlacht nach. Nur diesmal spielt einer der Akteure falsch, er benutzt statt einer Theaterwaffe einen echten Säbel und einer der Akteure ist plötzlich tot; bedauerlicher Unfall oder Mord? Lluc und sein Team stehen noch ganz am Anfang ihrer Ermittlungen, als am Strand eine weitere Leiche gefunden wird. Die Toten könnten unterschiedlicher nicht sein, aber könnten die beiden Fälle nicht dennoch miteinander zusammen hängen?

Ich habe mich sehr gefreut, als ich vom Erscheinen der Fortsetzung erfahren habe.Wie war es nun diesmal?

Das war eine runde Sache von der ersten bis zur letzten Seite. Wie im ersten Band profitiert die Geschichte enorm von der überlegten, logisch sauberen Konzeption der Story, das auch stringent eingehalten wird. Das verhindert zuallerst, dass die Auflösung am Ende in der Luft hängt, trotz des verschlungenen und kurzweiligen Weges, der sich mehrfach als Holzweg herausgestellt hatte, hin zum Ziel. Darüber hinaus hat auch diese Geschichte ein genreuntypisches Tempo; ich hatte auch den Eindruck, dass die Geschichte insgesamt etwas straffer daher kommt als die Vorgängergeschichte – allerdings mit einer Ausnahme: Bei der Darstellung des Festes selbst und der historischen Schlacht treten einige Personen auf, deren Funktion in der Geschichte unklar bleibt. Darüber hinaus lässt sich die Autorin bei der Beschreibung etwas zu sehr treiben, schwelgt in üppigen Bildern. Das wirkt etwas übersichtlich, erzeugt allerdings auch Atmosphäre und man glaubt fast die Kanonenkugeln und das Säbelrasseln zu hören und den Pulverdampf zu riechen.
Dass man sich sofort wieder ins frühlingshafte Mallorca versetzt fühlt, ist da fast nur noch eine selbstverständliche Randnotiz. Ich bin schon gespannt, wie es weiter geht; vielleicht irgendwann mal mit Fina an der Spitze und den „Unruheständler“ Lluc als Strippenzieher im Hintergrund...

Fazit: Gerne mehr!

Bewertung vom 27.04.2023
Lavendel-Zorn / Lavendel-Morde Bd.5
Bernard, Carine

Lavendel-Zorn / Lavendel-Morde Bd.5


ausgezeichnet

Lohnender Abstecher in die provenzalische Provinz

„Lavendel-Zorn“ ist bereits der 5. Band um die junge Kommissarin Lilou Braques. Für mich war es der erste Besuch in Carpentras, entsprechend neugierig und erwartungsfroh war ich – und ich bin nicht enttäuscht worden.

Lilou, die frischgebackene Kommissarin aus Carstensen nutzt einen freien Septembernachmittag zu einem Picknick mit ihren Freund Simon, dem Patron eines neuen, erfolgreichen Restaurants im Zentrum, am nahen Badesee. Ihr Badevergnügen nimmt jedoch ein jähes Ende, als sie eine junge weibliche Leiche im Wasser treibend entdecken. Ein Badeunfall? Tags drauf wird der Arbeitgeber des Frau, der angesehene ortsansässige Notar, tot aufgefunden, augenscheinlich nach seiner Selbstmord. Aber Lilou hat Zweifel und beginnt zu ermitteln. Allerdings ergaben weder das Umfeld der Toten noch umfangreiche Zeugenbefragungen Ungewöhnliches. Einziger Anhaltspunkt könnte allenfalls eine Weinflasche sein, diese Spur allerdings würde ausgerechnet in Simons Restaurant führen. Da spitzen sich die Ereignisse zu. Am Ende ist nichts so, wie man es auf den ersten Blick den Anschein hatte...

Ich habe meinen Ausflug ins Provenzalischen Hinterland sehr genossen. Es ist schon bemerkenswert, wie viele hervorragende Krimireihen in Südfrankreich, insbes. Der Provence, angesiedelt sind. Deshalb suche ich immer zu zuallererst nach einem Alleinstellungsmerkmal; insbesondere dann, wenn ich eine neue Buchreihe für mich entdecke.Da ich die ersten Bände der Reihe nicht kenne, habe ich mich mit meiner Suche hier zunächst etwas schwer getan. Es ist nicht die toll beschriebene mediterrane Atmosphäre. Es ist auch nicht der wohldosiert bediente touristische Aspekt. Das findet man so oder so ähnlich häufig. Auch kulinarische Ausflüge und persönliche Geschichten der Protagonisten gehören einfach dazu. Und kein Frankreich-Krimi kommt aus ohne Kabbeleien zwischen Gendarmerie und Police Nationale und Eifersüchteleien im Kollegenkreis.
Besonders ist aber Lilou selbst. Wir kennen strafversetzte Protagonisten, Wiedereinsteiger nach Burnout, Austauschkommissare oder gescheiterte Privatdetektive usw, Lilou können wir dagegen bei ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung vor der jungen Praktikantin zur verantwortlichen Kommissarin über einen längeren Zeitraum begleiten. Sie ist jung, selbstbewusst und voller Tatendrang, zugleich empathisch.
Und wenn sie dann auch noch so lebendig und liebevoll gezeichnet wird, ist alles gut. Ich werde Carine Bernard definitiv auf meine Liste der beobachteten Autoren aufnehmen. Ich kann das Büchlein nur wärmstens empfehlen.

Bewertung vom 08.01.2023
Katz und Mord
Albracht, Mareike

Katz und Mord


ausgezeichnet

Cosy crime im Sauerland

Gerade in Neuauflage erschienen, handelt es sich um den ersten Band einer bislang vier Bände umfassende Reihe.
Ich finde diesen ersten Band, zugleich auch Krimierstling der Autorin, rundum gelungen.

In einem kleinen Örtchen im Sauerland, nahe Brilon, wurde der „Dorfquerulant“ erschossen aufgefunden. Geht der Mord auf die Dauerfehde zwischen dem Opfer und der einflußreichen örtlichen Jägerschaft zurück? Oder gibt es vielleicht sogar einen Zusammenhang mit dem Todesfall einer älteren Dorfbewohnerin, der sich erst vor kurzem ereignet hatte und der immer noch Rätsel aufgibt?
Thorsten Seidel, der Leiter der Mordkommission Dortmund nimmt die Ermittlungen auf, dabei wird er ausnahmsweise unterstützt von Anton Hellmann, einem jungen, unerfahrenen Kollegen vor Ort, nachdem seine feste Partnerin, KHK Anne Kirsch nach einem Unfall ausgefallen ist. Das hält diese aber nicht davon ab, auf eigene Faust zu ermitteln. Das wiederum führt zu schweren Verwerfungen zwischen den ermittelnden Beamten vor Ort, der Polizeiführung in Dortmund und der Staatsanwaltschaft. Schaffen sie es am Ende doch noch, wieder an einem Strang zu ziehen und die Tat(en) aufzuklären?
Wie eingangs erwähnt, mir hat das Buch sehr gefallen. Die Geschichte hat alles, was ich von einem guten Regionalkrimi erwarte. Die Story ist gut konzipirt, auch durcherzählt und der Täter tritt auch nicht erst 20 Seiten vor Schluß in Aktion, quasi wie „Kai aus der Kiste“. Die Charaktere sind interessant gezeichnet und durchaus mit Ecken und Kanten versehen. Lokalolorit kommt auch nicht zu kurz und trotz der genretypisch bildhaften Sprache ist das Buch spannend von Anfang bis zum Ende. Und auch der Humor kommt nicht zu kurz. In einer Szene beschattet Anton stundenlang die vermutliche Täterin. Als diese sich dann als seine Kollegin outet, war das schon urkomisch, zumal man sich so richtig in die Situation hinein versetzen konnte.

Wenn man unbedingt mäklen wollte, könnte man vielleicht einwenden, dass die Story insgesamt nicht so ganz realistisch ist. Aber es ist ja auch ein Krimi und kein Tatsachenbericht – volle Punktzahl!

Bewertung vom 13.12.2022
Vienna's Secrets
Tschische, Roland Werner

Vienna's Secrets


sehr gut

Wolf im Schafspelz

Dass „Vienna´s Secrets“ auf dem Tisch neben meinem Lesesessel liegt, ist ein bedauerlicher Irrtum.
Nach Titel und Klappentext bin ich von einem Regionalkrimi aus Wien ausgegangen. Wenn dann der Protagonist auch noch Andorian von Anders heißt, habe ich völlig arglos den Prolog in Angriff genommen.
Aber bereits nach dem -kurzen- Prolog war mir klar, dass ich mich schwertun würde. Es handelt sich beileibe nicht um cosy crime, sondern um einen Thriller at it´s best – und zwar nicht um einen aus der Psycho- Schublade. Vielmehr werden in bester skandinavischer Tradition Gewaltszenen, ob physisch oder psychisch, in aller Ausführlichkeit, lebendig und detailreich beschrieben. Ich weiß, dass dieses Thriller-Konzept vielen Lesen gefällt. Mich schreckt es allerdings ab, das möchte ich nicht lesen und nach der zweiten oder dritten solcher Szenen musste ich das Buch endgültig weglegen.
Dabei war das, was ich bis dahin gelesen habe, beileibe nicht schlecht. Der Plot ist interessant aufgebaut, die Protagonisten sind interessant und lebendig gezeichnet. Da ist der reiche Privatdetektiv, der wie ein Sherlock Holmes 2.0 aus Langeweile ermittelt, allerdings ist sein „Gegenpart“ bei der Polizei, die ehrgeizige Kommissarin Daniela Friedmann so gar kein Inspector Lestrade. Auch die berührten Themen sind brandaktuell, vom Entführung, über Menschenhandel und Missbrauch bis hin zu Korruption auf höchster Ebene. Aber entspanntes Lesen war mir nicht mehr möglich, habe ich doch bei jedem Umblättern neue Szenen befürchtet, die ich nicht lesen möchte. Überblättern war aber auch nicht möglich, ohne den Faden zu verlieren.
Letztlich ist mir die Sprache auch zu kalt, zu hölzern, was aber prima zum Buchkonzept passt; Tempo und Spannung sind genretypisch atemberaubend.

Insgesamt tue ich mich diesmal bei der Bewertung sehr schwer, insbesondere, weil ich es nicht bis zum Ende geschafft habe. Wenn ich nur mein persönliches Lesevergnügen berücksichtigen würde, müsste ich 1* vergeben. Ich sehe aber einen wirklich gut gemachten Triller vor mir, den alle Fans in höchsten Tönen loben, also 5*. Wenn ich die Mitte nehme und noch einen Sympathiepunkt für ein gelungenes Erstlingswerk hinzurechne, bin ich bei 4*.

Nur am Rande noch bemerkt: Beim Lektorat sehe ich eindeutig Steigerungspotential.

Bewertung vom 27.10.2022
Und darauf ein Glas Wein
Werner, Ingrid

Und darauf ein Glas Wein


sehr gut

Klein aber fein

Wir haben es zu tun mit einer kleinen Krimi-Anthologie rund um den Wein, drei Kurzgeschichten beinhaltend.
In der ersten Geschichte geht es um einen kleinen Jungen, der den Mord an seinem Opa, einem Weingutsbesitzer in Ungarn, mitansehen musste und der erst ein halbes Leben später den Mut findet, den Ort seiner Kindheit wieder aufzusuchen. Dort glaubt er, wieder Zwiesprache mit seinem Opa halten zu können. Das ist eine schön erzählte kleine Geschichte, die mir persönlich allerdings etwas zu viel „X-Factor“ aufweist.
Die zweite Geschichte ist thematisch pickepacke vollgepackt. Vordergründig geht es um Eifersüchteleien zwischen zwei benachbarten Weinbaubetriebe in Gorgien. Daneben geht es um Liebschaften, Treue, Bioweinbau und und... Klingt wild, ist aber liebevoll und genau gezeichnet und sehr unterhaltsam.
Die dritte Geschichte ist wiederum schwere Kost. Es geht um die Emanzipierung eines Opfers häuslicher Gewalt, die am Ende völlig aus dem Ruder läuft. Aus Krimisicht ist diese die beste der drei Geschichten. Allerdings ist mir das Ende etwas zu heftig, zu viel Quentin Tarantino zu wenig cosy-crime.

Mir hat das Bändchen, mit ganz kleinen Abstrichen, sehr gefallen, auch wenn es natürlich eher als ein amuse gueule, als ein 3-Gang-Menu daherkommt. Aber das ist vielleicht gerade die Stärke des Formats, das ich so noch nicht kannte, da sich gängige Anthologien üblicherweise doch sehr viel umfangreicher präsentieren.
Dieses Bändchen ist für mich z.B. ein geradezu perfektes Mitbringsel für einen Krimi- oder Weinliebhaber.

Bewertung vom 21.10.2022
LAS VEGAS IN UNTERFILZBACH
Adam, Eva

LAS VEGAS IN UNTERFILZBACH


ausgezeichnet

Im besten Sinne „schräg“

Hansi Scharnagel ermittelt inzwischen zum 5. mal in Unterfilsbach, einer Kleinstadt im tiefsten Niederbayern. Hansi ist aber nicht etwa der örtliche Kriminalbeamte, sondern er ist beim städtischen Bauhof beschäftigt und der dortige Schneepflugspezialist. Obwohl ich zum ersten Mal dabei bin, konnte ich mich problemlos orientieren. Der Fall, schräg und verzwickt:

Hansi, ein bodenständiger, etwas engstirniger Niederbayer, fällt aus allen Wolken, als sein Nesthäkchen ein Studium in Chicago beginnt. Es hilft nix, seine bessere Hälfte, die patente Bettina ruht nicht eher, bis zu aufbrechen, ihr Töchterchen in Amerika zu besuchen. Zur Verstärkung sind Hansis Kumpel Seppl mit seiner Frau mit dabei. Auf Stippvisite in Las Vegas lernen sie einen Casinobesitzer kennen, der sich als Charly Woodforth vorstellt, bei dem es sich aber eigentlich um Karl Holzfurtner aus Unterfilsbach handelt, der vor über 40 Jahren unter nebulösen Umständen nach Amerika ausgewandert und dort reich geworden ist.
Zurück daheim war das „Hallo“ groß, als Hansi berichtet, wen er getroffen hat. Nur seine drei früheren Spezl, die als „glorreiche Vier“ bekannt waren, reagieren verhalten oder gar unwirsch. Hängt es daran, dass Charly, der als Playboy bekannt war, in fremden Revieren gewildert hat und deshalb fluchtartig ausgewandert ist? Die Situation verschärft sich noch, als direkt in Hansis Nachbarschaft eine Luxusvilla hochgezogen wird, in die Charly, geplagt von Heimweh, zusammen mit seiner überstylten Freundin Scarlett (die eigentlich Uschi Schmitt heißt und aus Graz stammt) und einen pinkfarbenen Cadillac-Cabrio-Oldtimer einzieht. Kaum eingezogen erleidet Scarlett in Cadillac einen mysteriösen tödlichen Autounfall und Charlie trauert mehr um sein Auto als um seine Freundin. Polizeiliche Ermittlungen verlaufen aber im Sande. Ansonsten lebt sich Charly schnell ein, insbesondere der (reifere) weibliche Teil der Bevölkerung sind Feuer und Flamme, nur das frühere Kleeblatt grantelt weiter. Dabei hilft Charly sogar dem TSV, dem örtlichen Fußballverein, aus der Klemme. Als er sich, obwohl über 70, im Spiel des Jahres kurz vor Schluss sogar einwechseln lässt, bricht er tot zusammen. Doppelmord? Jetzt ist Bauhof-Sherlock Hansi gefragt...

Obwohl bereits als Kriminalkomödie angekündigt, habe ich viel mehr Krimi gefunden, als erwartet bei diesem Genre. Darüber hinaus ist die Geschicht bis zum – überraschenden – Ende spannend erzählt. Aber die Geschichte lebt natürlich nicht nur von der Spannung, sondern auch und gerade von den unzähligen verrückten Ideen der Autorin, die sie auch noch genüßlich ausschlachtet. In meiner Lieblingsszene z.B. sind die Bauhofmitarbeiter mit Reparaturabeiten in der Kirche beauftragt. Weil ihnen der Weg zum Wasserhahn zu weit ist, rühren sie ihren Mörtel kurzerhand mit Weihwasser an. Die Liste der skurrilen Szenen wäre lang...
Die Personen sind detailliert, lebendig und liebevoll gezeichnet und allesamt, jede auf ihre Art, sympathisch. Das ist für den Erfolg einer solchen Geschichte wichtig. Schließlich sind die verschiedenen Handlungsstränge allesamt überzeugend zu Ende geführt worden. Trotzdem sind genügend Ansatzpunkte für weitere Abenteuer vorhanden.
Insgesamt haben wir es mit einer absolut gelungenen Mischung aus spannendem Krimi und gut gemachter Provinzposse zu tun; ich hatte meinen Spaß.

Bewertung vom 11.10.2022
Bullauge
Ani, Friedrich

Bullauge


sehr gut

Schwerstarbeit

Puh, das war Schwerstarbeit. Diesen Roman musste ich mir Seite für Seite erarbeiten. Dabei hatte ich nach dem Klappentext ein spannungsgeladenes Lesevergnügen erhofft und erwartet. Diese Erwartung war wohl falsch. Dabei ist die Buchidee bestechend, waren doch eine ganze Fülle brandaktueller Themen angesprochen:
Da ist die Gewalt in Reihen der Polizei, erinnert man sich an viele Fälle aus den USA, da ist die Gewalt gegen die Polizei, wenn man etwa an die Querdenkerkrawalle der letzten Jahre denkt, da ist die Zuwendung zum rechten Rand, der immer „einfache Lösungen“ bereit hält. Schließlich befinden wir uns aktuell in einer leidenschaftlichen Inklusionsdebatte.

Der Ich-Erzähler, Kay Oleander, einfacher Polizist in München, wurde vor einigen Wochen während einer außer Kontrolle geratenen Demo von einer Bierflasche im Gesicht getroffen und verliert ein Auge. Wie betäubt versucht er, sein Leben zu sortieren, beteiligt sich aber nur eher halbherzig an der Tätersuche. Im Zuge dieser Ermittlungen wurde er auf Silvia Glaser aufmerksam, eine ältere Dame mit einer Gehbehinderung, die aus einem Unfall resuliert, für den sie die Polizei verantwortlich macht. Verbittert schließt sie sich einer radikalen rechten Gruppierung an; könnte sie unter den Flaschenwerfern gewesen sein? Trotz aller Unterschiede und des greifbaren wechselseitigen Mißtrauens schweißt sie ihr Schicksal doch zusammen. Wird der Flaschenwerfer ermittelt? Gelingt es Oleander sein Leben neu zu ordnen? Kann Frau Glaser ihre Verbitterung überwinden?

Viele Fragen und kaum Antworten, denn die Geschichte hat weder einen Anfang noch ein Ende. Es ist, als ob man zu einem beliebigen Zeitpunkt einen Scheinwerfer auf das Schicksal zweier Menschen richten und diesen Scheinwerfer etwas später an einem wiederum beliebigen Zeitpunkt wieder abschalten würde. Das ist die Geschichte zweier Menschen, die durch ein Unglück aus der Bahn geworfen wurden und die unterschiedliche Wege einschlagen, um ihren inneren Frieden wieder zu finden. Das ist unbefriedigend, zumal ich mir eine tiefere Message nicht erschlossen hat. Einen Krimi oder gar ein Thriller habe ich auch nicht gefunden; die zu erwartenden Ermittlungen des Flaschenwerfers sind kaum mehr als eine Randnotiz.
Dazu kommt die sehr sperrige Sprache und der ständige, oft abrupte Wechsel zwischen den Handlungsebenen. So wechselt der Ich-Erzähler ständig zwischen der realen Story, seinen Erinnerungen und Gedanken und seinen Dämonen, seinen Tagräumen hin und her. Dem zu folgen, ist bisweilen schwierig.

Ich konnte mich für dieses Buch leider nicht begeistern.

Bewertung vom 11.10.2022
Wenn ich das kann, kannst du das auch!
Zervakis, Linda;Patrikiou, Elissavet

Wenn ich das kann, kannst du das auch!


sehr gut

Sympathisch

Frau Zervakis und ihren Freunden sieht man an, dass sie bei der Arbeit an diesem Buch viel Spass hatten – und authentisch sieht es auch noch aus.

Da ich Linda Zervakis schon lange als überaus sympathisches Fernsehgesicht wahrnehme und nach der Lektüre der erfrischenden Beschreibung, wie es überhaupt zu dem Buchprojekt gekommen ist, war ich sehr gespannt.

Wie eigentlich nicht anders erwartet, handelt es sich nicht um ein Kochbuch im klassischen Sinn. Die Autorin sprich ja von vorneherein auch „nur“ von einer Rezeptsammlung. Aber ein bißchen mehr Kochen hätte es schon sein dürfen. Das fängt bei den nackten Zahlen an. Es finden sich nur ca. 30 Rezepte, wobei man z.B. „Datteldip zum Weißbrot“ nicht wirklich als Rezept bezeichnen kann. Andere, etwa „Bolo“ oder „Currywurst“, hat man schon -zig mal genau so gelesen. Da fehlt mir eine persönliche Note, die die Bolo zu ihrer Bolo gemacht hätte. Und schließlich hätte ich mir mehr Griechenland erhofft, zumal Mama ja eine zentrale Rolle in ihrer Beschreibung einnimmt.

Aber trotz aller Kritik am Kochbuch, ist Linda Zervakis ein tolles Buch gelungen. Die Fotos, teilweise in schwarz/weiß, sind toll. Sie sind leicht, ausdrucksstark, intim (im Sinne von Nähe), sympathisch und lebensfroh. Die eingestreuten Geschichtchen und Anmerkungen lockern auf und sind vergnüglich zu lesen. Der Gesamteindruck ist zwar etwas wirr und chaotisch, was den lockeren Touch aber nur befördert. Ich finde das lay-out insgesamt sehr gelungen.
Kleiner Punktabzug für den „Kochbereich“