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karo_liest

Bewertungen

Insgesamt 78 Bewertungen
Bewertung vom 21.07.2025
Hauff, Kristina

Schattengrünes Tal


sehr gut

Wie gut kennst du die Menschen um dich herum wirklich?
Kristina Hauff nimmt uns in „Schattengrünes Tal“ mit in ein abgelegenes Dorf im Schwarzwald – ein Ort, an dem jeder jeden kennt. Oder zu kennen glaubt.

Worum geht’s konkret?
Lisa lebt mit ihrer Familie im Schwarzwald und arbeitet im Hotel ihres Vaters. Als eine fremde Frau zu Gast dort ist, verändert sich die Stimmung – im Dorf und in Lisas Umfeld. Was als Neuanfang wirkt, bringt alte Spannungen ans Licht und stellt vieles infrage.

„Schattengrünes Tal“ ist spannend und mitreißend erzählt – von der ersten Seite an gelingt es Kristina Hauff, eine dichte Atmosphäre aufzubauen, die einen regelrecht in die Geschichte hineinzieht. Die Figuren sind sehr plastisch gezeichnet, sodass man sie sich mühelos vorstellen kann – mit all ihren Ecken und Kanten. Besonders bleibt mir Daniela im Gedächtnis, wenn auch im negativen Sinn: Ihre Art ist extrem unangenehm, fast beängstigend.

Der Roman lebt stark von der Dynamik zwischen den Charakteren und der unterschwelligen Bedrohung, die sich nach und nach entfaltet.

Insgesamt ist die Lektüre ein intensives Leseerlebnis mit psychologischem Feingefühl und fesselnder Stimmung.
Lediglich das Ende wirkt auf mich etwas abrupt und lässt mich leicht unbefriedigt zurück – hier hätte ich mir mehr Tiefe oder einen runderen Abschluss gewünscht.

Bewertung vom 12.07.2025
Kloeble, Christopher

Durch das Raue zu den Sternen


ausgezeichnet

Durch das Raue zu den Sternen“ von Christopher Kloeble erzählt die Geschichte von Moll, einem 13-jährigen Mädchen, das mit dem plötzlichen Verschwinden ihrer Mutter ringt. Sie weigert sich, die Wahrheit ganz zuzulassen, und hält an der Hoffnung fest, ihre Mutter könnte auf irgendeine Weise zurückkommen – vielleicht durch die Kraft der Musik.

Moll bewirbt sich bei einem Knabenchor, obwohl sie dort als Mädchen eigentlich nichts verloren hat. Was zunächst wie ein kindlicher Trotz wirkt, wird schnell zu einer Suche nach Zugehörigkeit, Halt und Sinn. Der Chor wird für sie ein Ort der Herausforderung, aber auch des Wachstums.

Der Roman begleitet Moll auf einem stillen, oft wütenden, manchmal zärtlichen Weg durch Verlust, Erinnerung, Verdrängung und Selbstbehauptung.

Kein einfaches Buch – weder vom Thema noch von der Sprache her. Es verlangt Aufmerksamkeit und Mitdenken, weil vieles nicht direkt gesagt wird. Aber genau das macht es besonders. Wer sich darauf einlässt, wird mit einer intensiven und sehr feinfühligen Geschichte belohnt, die lange nachhallt.

Bewertung vom 11.07.2025
Suter, Martin

Wut und Liebe


ausgezeichnet

Noah ist ein junger Künstler, der sich gerade so über Wasser hält. Seine Freundin Camilla – ehrgeizig und voller Zukunftspläne – trennt sich von ihm, nicht aus Mangel an Gefühlen, sondern weil sie sich nach einem verlässlichen, finanziell stabilen Leben sehnt. Für Noah gerät alles aus dem Gleichgewicht. Um sie zurückzugewinnen, ist er zu allem bereit.
Als ihm eine wohlhabende ältere Dame ein zweifelhaftes Angebot macht, nimmt er es an – nicht ahnend, dass er sich damit in ein gefährliches Spiel aus Abhängigkeit, Moral und Selbstverlust verstrickt.

Wie immer schreibt Martin Suter mit Eleganz und feinem Gespür für Zwischentöne. Seine Figuren sind lebendig, glaubwürdig und mit psychologischer Tiefe gezeichnet. Ein fein gesponnener Roman über emotionale Abgründe, stille Manipulation und die Frage, wie weit man für die Liebe – oder die Angst, sie zu verlieren – zu gehen bereit ist.
Auch wenn „Wut und Liebe“ nicht die Wucht und Extravaganz früherer Romane besitzt, ist es doch ein unverkennbarer Suter – fein, durchdacht und präzise komponiert.
Ein Lesegenuss – klug, atmosphärisch und voller leiser Dramatik.

Bewertung vom 10.07.2025
Gerstberger, Beatrix

Die Hummerfrauen


sehr gut

Ann, Anfang 70, schweigsam, kantig, lebt allein mit einem Hummer als Haustier.
Julie, Mitte 50, laut, direkt, körperlich gezeichnet, innerlich nicht weniger verletzt.
Mina, Ende 20, still, wach, auf der Suche nach einem Platz, der sich wie ihrer anfühlt.

Drei Frauen, drei Leben, ein Ort an der rauen Küste von Maine in den USA. Sie treffen aufeinander in einem Moment der Umbrüche. Was entsteht, ist keine große Freundschaft, kein Lebenswandel mit Knalleffekt. Aber etwas Echtes. Etwas, das bleibt.

Beatrix Gerstberger erzählt zurückhaltend, mit großer Nähe zu ihren Figuren und einem tiefen Gespür für das, was Menschen mit sich herumtragen, ohne es auszusprechen. Die Sätze sind klar, ohne Schnörkel. Vieles bleibt zwischen den Zeilen – genau dort wirkt es nach.

Ich mochte die drei Protagonistinnen, aber es hat ein wenig gedauert, bis ich mit ihnen warm wurde. Ich mochte die Sprache, das Tempo, die Landschaft in dem Roman.
Aber ich habe auch gemerkt: Manches zieht sich. Einige Passagen verlieren sich, werden beinahe zu langsam. Aber vielleicht ist das genau so gewollt.

Am Ende kann ich sagen, dass ich das Buch gerne gelesen habe, auch wenn ich dafür relativ lange gebraucht habe und mir das Ende ein wenig zu offen erscheint.

Bewertung vom 10.07.2025
Sauer, Anne

Im Leben nebenan


sehr gut

„Im Leben nebenan” von Anne Sauer ist ein stiller, feinfühliger Roman über Entscheidungen, Verzicht und die Frage, wie viele mögliche Leben in einem Menschen stecken.
Erzählt wird von Antonia, deren Leben sich in zwei Richtungen entfaltet: als Mutter auf dem Land und als kinderlose Frau in der Stadt. Beide Varianten stehen nebeneinander, gleichwertig, ohne Bewertung – ein literarisches Gedankenspiel über die Vielschichtigkeit von Identität.

Der Schreibstil ist einfach und klar. Das Buch lässt sich schnell und leicht lesen. Anne Sauer findet genau die richtigen Worte, um die Stimmung und Gefühle der Figuren zu beschreiben, ohne zu viele Schnörkel. Dadurch ist die Geschichte ruhig, aber trotzdem spannend genug, um dran zu bleiben.

Was mich besonders beschäftigt hat, war die Frage: Was wäre gewesen, wenn? Obwohl ich Antonias Gedanken gut verstehen konnte, fiel es mir schwer, wirklich mit ihr mitzufühlen. Vielleicht soll das so sein. Der Roman zeigt eher, wie schwer es ist, sich selbst zu finden, wenn man zwischen verschiedenen Lebenswegen steht. Beide Leben sind nicht perfekt, sondern voller Zweifel und kleiner Verluste.

Wer eine klare Antwort oder ein eindeutiges Ende erwartet, wird hier nicht fündig. Der Roman lässt viel offen und regt zum Nachdenken an. Genau das macht ihn besonders und lässt ihn lange im Kopf bleiben.

“Im Leben nebenan” ist kein leichtes Wohlfühlbuch. Es stellt Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind – und genau deshalb bleibt es im Gedächtnis.

Bewertung vom 30.03.2025
Haas, Wolf

Wackelkontakt


ausgezeichnet

Was für ein irritierendes Cover!
Wie gut, dass man den Schutzumschlag einfach entfernen und weit weg legen kann.

Aber was für eine großartige Geschichte!
Ich bin nur so durch die Seiten gerauscht.
Habe verfolgt, wie Franz Escher auf den Elektriker wertet, weil seine Steckdose einen Wackelkontakt hat. Habe erfahren, dass er währenddessen ein Buch über den Mafia-Kronzeugen Elio Russo liest.
Ich habe verfolgt, wie Elio im Gefängnis auf seine Entlassung wartet und um sein Leben fürchtet. Wie er aus Angst nachts wach bleibt und ein Buch liest – über Franz Escher der auf den Elektriker wartet.

Wolf Haas hat mich mit „Wackelkontakt“ richtig begeistert. Die Geschichte ist so crazy und so gut!
Das Buch habe ich spontan ausgeliehen bekommen. Und es war die perfekte Lektüre für mich. Kurzweilig, spannend, verrückt. Richtig gut!
Bisher kannte ich von Wolf Haas nur „Junger Mann“. Aber nun will ich unbedingt noch mehr von ihm lesen.

Wer „Wackelkontakt“ noch nicht kennt - unbedingt lesen! Und nicht Cover verrückt machen lassen.

Bewertung vom 18.03.2025
Bilkau, Kristine

Halbinsel


ausgezeichnet

In „Halbinsel“ erzählt Kristine Bilkau von der komplexen Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Linn, Mitte 20, und ihrer alleinerziehenden Mutter Annett, Ende 40. Linns Vater ist bereits gestorben, als sie noch ein Kindergartenkind war, und seither trägt Annett allein die Verantwortung für das Leben der beiden. Der Verlust ihres Mannes hat Annett geprägt – sie vermisst ihn noch immer sehr.
Nach einem Schwächeanfall zieht Linn zu Annett an die Nordsee, um sich eine berufliche Auszeit zu nehmen und ihr Leben neu zu ordnen. Aus einer Woche werden Monate. Das Haus am Wattenmeer wird zu einem Rückzugsort für Linn.
In dieser Phase der Unsicherheit fragt sich die junge Frau, was ein erfülltes Leben wirklich ausmacht.

Annett wiederum will das „Beste“ für ihre Tochter – doch was bedeutet das? Für sie sind es die traditionellen Werte: Abitur, Studium, Karriere. Doch könnte das „Beste“ nicht auch in einem einfachen, bodenständigen Job liegen? Annett ringt mit ihrem Drang, Linn zu schützen, und der Erkenntnis, dass sie ihre Tochter nicht kontrollieren kann.

Wie bereits im Buch „Nebenan“, das 2022 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreises stand, hat mich Kristine Bilkau auch hier wieder mit ihrer leisen, aber eindrucksvollen Erzählweise beeindruckt.
„Halbinsel“ ist eine bewegende und nachdenkliche Geschichte.
Das Cover in zarten Farben rundet die Lektüre wunderbar und sehr perfekt ab.

Absolut empfehlenswert - unbedingt lesen!

Bewertung vom 12.03.2025
Fuchs, Katharina

Vor hundert Sommern


sehr gut

Als Lena und ihre Mutter Anja die Wohnung der Großmutter ausräumen, entdecken sie den Nachlass von Anjas Großtante Clara. Deren Leben war geprägt von unausgesprochenen Geheimnissen. In den 1920er Jahren in Berlin hatte Clara wenig Interesse an Politik, doch als sie dem Revolutionär Aleksei in ihrem Hundesalon geheime Treffen ermöglicht, bringt sie sich und ihre Familie in Gefahr.
Hundert Jahre später muss sich Lena mit der Vergangenheit auseinandersetzen, um ihre eigene Zukunft zu finden, und erkennt, wie Scham und Schuld ihre Familie bis heute beeinflussen.

Katharina Fuchs erzählt - wie gewohnt sehr einfühlsam und detailliert - in ihrem neuen Buch die Geschichte ihrer Großtante Clara. Gleichzeitig lässt sie uns ihre Großmutter Anna wieder treffen. Wer „Zwei Handvoll Leben“ kennt, dem ist Anna bereits vertraut.
„Vor hundert Sommern“ ist ein großer, vielschichtiger Schmöker, der uns mitnimmt in die Zeit der 1920er und 30er Jahre. Immer wieder blicken wir in einzelnen Kapiteln zurück auf diese Jahrzehnte. Die Autorin verknüpft gekonnt Historisches mit brisanten Themen unserer aktuellen Zeit.

Das Buch ließ sich insgesamt sehr gut lesen und zieht einen dank der geschickten Erzählweise schnell in seinen Bann. Ein kleiner Kritikpunkt ist jedoch, dass die Geschichte an einigen Stellen Längen aufweist.

Auf jeden Fall ist es aber eine Lektüre, die ich sehr empfehlen kann.

Bewertung vom 11.03.2025
Stern, Anne

Wenn die Tage länger werden


sehr gut

Die Musiklehrerin Lisa, erschöpft vom hektischen Alltag, verbringt sechs Wochen Sommerferien ohne ihren sechsjährigen Sohn, der mit seinen Vater zu den Großeltern nach Polen fährt. Einerseits freut sich die Alleinerziehende auf die freie Zeit, andererseits sehnt sie sich nach ihrem Kind.
Dann gibt es noch ihre Mutter, mit der Lisa ein eher distanziertes Verhältnis pflegt und mit der sie immer wieder aneinandergerät.
Ein weiteres Thema ist eine Geige, die Lisa von ihrem Großvater geerbt hat und die dringend restauriert werden muss. Ein erfahrener Restaurator und Geigenbauer nimmt sich der Sache an und entdeckt Unstimmigkeiten in der Herkunft des Instruments.
Neben Lisa begleiten wir auch Obstbäuerin Ute. Sie ist die Tochter des Geigenbauers und hat auch ihr Päckchen zu tragen.

Die Geschichte wird abwechselnd aus den Perspektiven der beiden Frauen erzählt und beleuchtet unter anderem die Frage, ob man Kriegstraumata aufarbeiten oder besser verdrängen sollte.

Obwohl ich einige Bücher von Anne Stern vom Sehen her kenne, war dies der erste Roman der Autorin, den ich gelesen habe – und ich muss zugeben, er hat mir sehr gut gefallen. „Wenn die Tage länger werden“ wird ruhig und angenehm erzählt und fängt die sommerliche Stimmung hervorragend ein. Das schöne Cover rundet das Ganze perfekt ab.

Sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 26.02.2025
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

Hannes und Polina kennen sich seit ihrer Geburt, denn ihre Mütter freundeten sich damals im Krankenhaus an. Die Kinder wachsen zusammen auf.
Während Polina die Temperamentvolle ist,
zeigt sich Hannes Prager dagegen sehr introvertiert. Er drückt seine Gefühle über die Musik aus. So komponiert er daher für Polina ein Klavierstück.
Durch einen Schicksalsschlag werden beide als Jugendliche voneinander getrennt und verlieren sich irgendwann gänzlich aus den Augen.
Hannes lässt dies allerdings keine Ruhe. Mit Hilfe der Musik möchte er Polina wieder finden.

„Für Polina“ ist so ein besonderes Buch.
Es geht um Liebe, und es geht um die Musik.
Takis Würger hat eine leise, ganz feinfühlige Geschichte geschrieben. Ich kann kaum beschreiben, wie sehr mich diese berührt und begeistert hat. Eine Lektüre, die man ganz beseelt beendet und die lange nachhallt.
Wirklich ganz großes Kino!