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Michael_B_M

Bewertungen

Insgesamt 17 Bewertungen
12
Bewertung vom 20.08.2023
Toxin
Lange, Kathrin;Thiele, Susanne

Toxin


ausgezeichnet

Temporeicher Wissenschaftsthriller über globale Erderwärmung, Permafrost, Kipppunkte, Anthrax ... und Backpulver

Kathrin Langes und Susanne Thieles jüngstes Werk „Toxin“ ist unverkennbar der Nachfolger zur überzeugenden und allseits gelobten „Probe 12“ und somit der zweite Band dieses Autorenduos. Bereits das Cover, welches wiederum mit der auffallenden Kombination aus Neon-Gelb-Grün und Schwarz aufwartet, sorgt für einen extrem hohen Wiedererkennungswert und ist stimmig zum Titel gewählt. Einmal mehr verbinden die beiden Autorinnen, wie schon beim Vorgängerband, auf grandiose Art und Weise mit ihrem wunderbar mitreißenden Schreibstil atemberaubenden Thrill und geladene Action mit wissenschaftlich fundierten und hervorragend recherchierten Fakten, die das aktuelle Zeitgeschehen intensiv aufgreifen.

Wie immer bei Kathrin Lange und Susanne Thiele wird in den jeweiligen Kapiteln nie zu viel verraten, wodurch das Spannungslevel immer hoch gehalten wird, die konsequenten Cliffhanger mit anschließendem Szenenwechsel am Ende jedes Abschnitts und die Vielzahl von parallelen Handlungssträngen tun ihr Übriges hierzu. In einem dieser Stränge erfahren wir dann im weiteren Verlauf, dass Gereon Kirchner der aktuelle Lebenspartner von Nina Falkenberg ist, also der Heldin und Hauptprotagonistin aus „Probe 12“. Von Berlin aus, welches erst vor kurzem aufgrund der viel zu hohen Temperaturen und starken Regenfällen überflutet war, kann sie Gereon seit Tagen nicht erreichen. Darüber hinaus wirft die Presse die Frage auf, ob Gereon mit seiner Nutzbarmachung der Milzbranderreger für die Krebsforschung am ungeklärten Tod von Berliner Obdachlosen schuld sein könnte. Zusätzliche Spannung verspricht ein weiterer Handlungsstrang in welchem Nina Tom Morell, einen weiteren guten Bekannten und Helden aus dem Vorgängerband, bittet nach Alaska zu reisen und mehr über den vermissten Gereon herauszufinden. Dort angekommen, wird die Leiche einer Frau gefunden, in deren Tod möglicherweise Gereon involviert ist. Ferner wird von Klimaaktivisten und einflussreichen Gegenorganisationen, geschmierten Lobbyisten, großartigen Ermittlerteams und potentiellen Revolverhelden mit einer gemeinsamen Vegangenheit im Arctic Village die Rede sein – sowohl im fernen Alaska, als auch auch im hiesigen Berlin ist demzufolge permanent für Hochspannung gesorgt.

Viele offene Fragen werden somit bereits im ersten Drittel des Buches eindrucksvoll motiviert und so ganz nebenbei ein detailliertes wissenschaftliches Hintergrundwissen vermittelt. Im zweiten Drittel werden die zahlreichen Handlungsstränge dann spannungsgeladen weiterentwickelt und geschickt verknüpft und schließlich allesamt im letzten Drittel grandios und schlüssig miteinander verwoben und zusammengeführt ohne zu irgendeinem Zeitpunkt den roten Faden zu verlieren. Obwohl für den ein oder anderen Leser die klimapolitischen Aspekte des ersten Buchdrittels in ihrer Fülle vielleicht ein wenig zu sehr mahnend in den Vordergrund geraten mögen und hier und da auch ein paar kleinere Klischees bedient werden, ist es großartig, wie man als Leser Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen aus verschiedenen Perspektiven unmittelbar in die Ermittlungsarbeit auf beiden Seiten des großen Teichs eingebunden wird und der Wahrheit sukzessive immer näher kommt. Stets kann man sich sehr gut nicht nur in die Handlung, sondern auch in die jeweiligen Gefühlswelten der Hauptcharaktere, die treffend und facettenreich gezeichnet wurden, hinein versetzen. „Toxin“ ist somit ein faszinierender Pageturner mit einer rasanten Handlung und durchaus realem Narrativ, bei dem ein gründliches Nachwort ein überzeugendes Buch abrundet und dem Leser nochmals ungemein hilft, das gesamte Geschehen in jeglicher Hinsicht richtig einzuordnen.

Bewertung vom 19.03.2023
Liebe ist schön, von einfach war nie die Rede
Poppe, Sandra

Liebe ist schön, von einfach war nie die Rede


ausgezeichnet

Testamentsvollstreckung mit Folgen – Ein großartig humorvoller Urlaub auf Rügen

"Liebe ist schön, von einfach war nie die Rede" von Sandra Poppe ist nach "Liebe beginnt, wo Pläne enden" bereits der zweite Roman der Autorin beim Lübbe Verlag und ist dem Titel entsprechend am ehesten dem Genre des Liebesromans zuzuordnen. Allerdings bietet das Buch weit mehr als eine einfache Liebesgeschichte oder gar einen seichten Plot ohne Botschaft oder jedweden Tiefgang: Jede(r), der/die in seinem/ihrem Leben bereits einmal in den Genuss eines Campingsurlaubs kam oder zu Hause einen oder mehrere Teenager bei Laune zu halten hatte oder auf Partnersuche war, wird viele der fiktiven Charaktere und Gegebenheiten mit all seinen Schwierigkeiten, die es mit sich bringt, mühelos aus dem eigenen Leben wiedererkennen. Fast schon im Stile des großartigen Vicco von Bülow - alias Loriot - beobachtet Sandra Poppe Menschen in ihrer Umwelt bei alltäglichen Situationen und gibt das Geschehen in einer satirisch, leicht überzeichneten Weise wieder, sodass dem Leser beim Studium der Lektüre permanent ein Schmunzeln bis hin zu einem lauten Lachen ins Gesicht gezaubert wird. Lustig und äußerst unterhaltsam wird hier eine wirklich interessante Geschichte erzählt ohne dabei jemals den Fluss zu verlieren oder auch nur entfernt Langeweile aufkeimen zu lassen – einmal angefangen zu lesen, gibt es für den Leser keine Chance mehr der Handlung zu entrinnen, zu sehr wird man humorvoll und emotional mitgerissen. Es ist übrigens kein typischer Frauenroman (oder das, was man sich als Mann darunter vorstellt) und auch als Mann sollte man zumindest einen Blick in das Buch werfen – wem humorvolle, geistreich gewitze Literatur gefällt, wird sehr wahrscheinlich auch von diesem Werk begeistert sein.

Fazit: "Liebe ist schön, von einfach war nie die Rede" ist ein wunderbarer Roman für alle, die gleichsam der Protagonistin Evi, einfach mal abschalten und das Leben von seiner lustigen Seite aus genießen möchten. Sandra Poppe hat hier ein tolles Buch vorgelegt, bei dem es auch, aber keineswegs nur um Liebe geht. Im Vordergrund werden vielmehr alltägliche Schwierigkeiten, die jeder Leser auf die eine oder andere Weise von sich selbst ebenso kennt, mit viel Humor und Ironie präsentiert. Nichtsdestotrotz hat das Buch Tiefgang genug, um die Eltern-Teenager-Problematik genauso wie die Fragen, die einem bei der Partnersuche in den Sinn kommen, gründlich zu beleuchten und bietet ferner durchaus die Möglichkeit eigenes Verbesserungspotenzial im Umgang mit seinen Mitmenschen zu bedenken. Als Leser bin ich stets mittendrin im Geschehen und sehr gerne reise ich in einem der nächsten Romane Sandra Poppes zusammen mit Protagonistin Evi wieder nach Rügen, um mir Sätze wie „Is’ Meer, was?“ oder „Da nicht für!“ anzuhören, die mir wie all die liebevoll gezeichneten Charaktere des Romans, mittlerweile sehr ans Herz gewachsen sind.

Bewertung vom 12.01.2023
Blüte der Zeit
Weiß, Sabine

Blüte der Zeit


ausgezeichnet

Free Willy (Ruf der Freiheit) – Schicksalsjahre eines Prinzen

Was bei „Blüte der Zeit“ – ebenso wie bei seinen beiden Vorgängern - einmal mehr besticht, ist, dass das Historische dem Leser sehr ausführlich näher gebracht wird und so umfangreich gestaltet ist, dass es auch dem Geschichtskenner und -fan zu keinem Zeitpunkt langweilig wird. Der Schreibstil ist dabei leicht zugänglich und flüssig und es gelingt der Autorin über den gesamten, hervorragend recherchierten Roman hinweg Tempo und Spannung so hoch zu halten, dass man das Buch am liebsten nicht mehr aus der Hand legen möchte. Wunderbar wird man in der Person des fiktiven Paulus im Umfeld von Prinz Wilhelm III., Hans Willem Bentinck, Charles II. und des Herzog von Monmouth immer am Puls der realen niederländischen und englischen Geschichte gehalten und fast schon spielerisch wird man an die bedeutenden Persönlichkeiten jener Epoche auch in Brandenburg-Preußen heran geführt – Vorkenntnisse in der niederländischen und preußischen Geschichte mögen hierbei indes von Vorteil sein und den Lesegenuss durchaus noch steigern. Aber auch die emotionale Komponente kommt in persona von charakterstarken und facettenreichen Protagonisten wie Jerun, Georg, Annabelle, Elvina und Rosa und widersprüchlichen wie beispielsweise Dittrich Impen und seiner Frau beim Leser zu keinem Zeitpunkt zu kurz. Hierdurch gewinnt der Leser von der ersten Zeile des Prologs bis zur letzten im begeisternden Showdown das Gefühl intensiv und unmittelbar in die Handlung integriert zu sein und an keiner Stelle läuft der Plot hierbei Gefahr langatmig, undurchdacht oder unschlüssig zu wirken. Gekonnt werden die drei unterschiedlichen Handlungsstränge im Verlauf des Romans immer stärker miteinander verwoben und in weiten Teilen final auch zusammengeführt. Einziger Kritikpunkt mag jedoch sein, dass das Buch im Vergleich zu seinen beiden Vorgängern mit 560 Seiten merklich kürzer ausfällt und die Zeitsprünge gegen Ende des Buches auch ein wenig größer geraten. Obwohl die historische Komponente bis hin zur Krönung Wilhelms zusammen mit seiner Gattin Mary II. Stuart zum Königspaar von England, Schottland und Irland im Jahre 1688 und der Glorious Revolution vollständig ist, mag bei manch einem Leser der Eindruck entstehen, dass die fiktive Geschichte seiner Protagonisten insbesondere um den Personenkreis in Cölln als nicht komplett zu Ende erzählt erscheint. Ein Glossar am Ende des Buches zusammen mit den Anmerkungen im Nachwort, die das Geschehen im Buch gut einordnen und die Absichten der Autorin verdeutlichen, runden einen rundum tollen Historischen Roman ab, der problemlos auch unabhängig von den anderen Bänden der Trilogie gelesen werden kann.

Fazit: Einmal mehr gelingt es Sabine Weiß durch ihren spannenden und bildhaften Schreibstil den Leser mitzureißen und auf eine großartige und abwechslungsreiche Reise ins 17. Jahrhundert der Niederlande, Englands sowie Brandenburgs mitzunehmen. Wer ihre Historischen Romane kennt, weiß, dass sie in „Blüte der Zeit“ nicht nur die Gartenarchitektur und den Landschaftsbau intensiv erkundet und alle historisch relevanten Orte selbst aufgesucht hat, sondern dem Leser vor allem auch sehr präzise den geschichtlichen Hintergrund zum Holländischen Krieg und zur Situation Brandenburg-Preußens in dieser Epoche vermittelt. Auch im Abschlussband ihrer Holland-Trilogie gelingt es der Autorin akribisch recherchierte Historie mit emotionaler Fiktion zu einem grandiosen Buch zu kombinieren und Geschichte lebendig werden zu lassen. Freunden des Historischen Romans und jedem, der an der niederländischen Geschichte und Kultur interessiert ist, kann „Blüte der Zeit“ nur ans Herz gelegt werden. Manch ein Leser dürfte durch ihre detaillierten Beschreibungen zum Aufsuchen der monumentalen Bauten und Barockgärten inspiriert werden. Wir dürfen gespannt sein, welche Thematik sich nun Sabine Weiß als nächstes vornehmen wird und wir in Form eines weiteren wunderbaren und bewegenden Werkes genießen dürfen.

Bewertung vom 23.11.2022
Der eiserne Herzog
Schiewe, Ulf

Der eiserne Herzog


ausgezeichnet

Ein authentisches Erlebnis, bei dem der Leser an der normannischen Eroberung Englands teilnimmt

Im Herbst fallen bekanntermaßen die Blätter von den Bäumen und draußen wird es deutlich kälter. Glücklicherweise ist auch die Jahreszeit in der viele der Verlage die Historischen Romane ihrer großen Autoren dieses Metiers auf den Markt bringen. Eine der festen Größen in diesem Genre ist ganz ohne Zweifel Ulf Schiewe. Sein jüngstes und mittlerweile 16. Werk „Der eiserne Herzog“ widmet sich dominant dem Normannen Wilhelm dem Eroberer und seinem großen Widersacher auf der Insel, Harold Godwinson, und deren Kampf um die angel-sächsische Krone nach dem Tode des frommen Edward, dem Bekenner. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die kinderlose Ehe zwischen Edward und seiner Frau Edythe aufgrund derer er seinen normannischen Neffen Wilhelm zu seinem Nachfolger als König Englands bestimmt. Durch einen Trick besteigt aber Harold den Königsthron. Wilhelm, der sich damit nicht abfindet, wird schließlich mit seinem Heer von der Normandie nach England übersetzen und bei der Schlacht bei Hastings Harold besiegen, was letztendlich zum vermutlich bedeutendsten Ereignis der Englischen Geschichte führt und durch welches Wilhelm vom verhöhnten "Bastard" zum angesehenen "Eroberer" wird.

Im Prinzip könnte man sich zusammenfassend also damit begnügen, dass der Roman in weiten Teilen die Geschichte des handgestickten Teppichs von Bayeux mit der Eroberung Englands durch die Normannen als eines der wichtigsten und gewaltigsten Bilddokumente des Mittelalters nacherzählt. Aber Ulf Schiewe gibt sich damit alleine nicht zufrieden, sondern schmückt die historische Geschichte, die sich nicht als bloße Kulisse im Hintergrund einer fiktiven Handlung befindet, sondern Hauptbestandteil des Romans ist, mit vielen Dialogen und Interaktionen zwischen seinen Protagonisten aus, bei denen der Leser stets das Gefühl hat am Puls des Geschehens mittendrin dabei zu sein. Nicht nur die historischen Ereignisse selbst sind dabei von Bedeutung, sondern insbesondere auch der jeweilige Weg, über den der Leser dahin geführt wird. Einige der fiktiven Aktionen sind sicherlich nicht verbürgt, könnten sich aber ganz genau so zugetragen haben. - Aber genau das macht einen guten und fesselnden Historischen Roman aus.
Der Autor unterteilt den Roman dazu in drei Hauptkapitel, die jeweils verschiedene Zeitabschnitte begleiten. Bereits im ersten Teil, welches den Zeitabschnitt 1049–1053 behandelt, lernen wir u.a. in Brugis (Brügge) Guilhelm (Wilhelm) und seine zukünftige Frau Matilda (Mathilda) aus Flandern und deren Eltern kennen, genauso wie auf der gegenüberliegenden Seite des Kanals auch den englischen König Eadweard (Edward), seine Mutter Emma (selbst zweimalige Königin Englands) und die reichen Godwins, die sehr viele der Ländereien Englands besitzen und den Witan dominieren. Ganz zu Beginn mag der Leser vielleicht durch die Verwendung der historischen Personen – und Städtenamen eine gewisse Orientierungsphase brauchen. Dank des umfangreichen Personen – und Städteregisters auf den ersten Seiten des Buches findet man sich aber sehr schnell zurecht, eine Karte hilft beim Auffinden der jeweiligen Orte. Hier fällt auch auf, dass fast ausschließlich geschichtlich verbürgte Personen auftreten und nur ganz wenige fiktive Figuren benötigt werden. Sehr schön wird man im Laufe des Buches an den ambivalenten Charakter sowohl des charismatischen Guilhelms (liebevoller Werber um Matilda vs. eiserner Herzog bei der Belagerung Brionnas und der qualvollen Hinrichtung seiner Feinde), wie auch den seines eher pragmatischen englischen Pendants Harold heran geführt.
Der zweite Teil behandelt sehr solide den Zeitraum der Jahre 1064–1065 und berichtet uns dann ausführlich über den Besuch Harolds in der Normandie, seinen Schiffbruch den er erleidet und den Schwur den er Guilhelm leisten muss, sowie über den dahin siechenden Eadweard und dessen Tod – inklusive des Tricks, der Harold zum König macht.
Der dritte und letzte Teil beschreibt das Jahr 1066 und somit die Vorbereitungen auf beiden Seiten des Kanals, die für die finale Schlacht bei Hastings getroffen werden. Dieser Teil ist schlichtweg atemberaubend und bildgewaltig wie der Teppich von Bayeux und kann nur mit „Schiewe at his best“ beschrieben werden. Es ist hinlänglich bekannt, dass Ulf Schiewe Schlachten lebendig werden lässt wie kaum ein anderer, die – wie üblich – nichts für zu Zartbesaitete sind. Hier arbeitet er aber ferner viele kleine historische Details und jüngste wissenschaftliche Interpretationen mit ein, die akribisch und gewissenhaft recherchiert wurden. Nur als Beispiel sei hier das Auftreten des Kometen Halley, die unterschiedlichen Kampfstrategien auf den gegnerischen Seiten, den sich langsam zu Ende neigenden Verpflegungsreserven oder die für den Leser unmittelbar spürbare Unruhe und Nervosität des Heeres vor der Schlacht genannt.

Bewertung vom 29.10.2022
Drachenbanner / Waringham Saga Bd.7
Gablé, Rebecca

Drachenbanner / Waringham Saga Bd.7


sehr gut

Ein fulminanter "echter Gablé" über einen bedeutenden Abschnitt englischer Geschichte

Der aktuelle Roman "Drachenbanner", der nunmehr 7. Waringham-Band, ist der unmittelbare Nachfolger von „Teufelskrone“ und – sofort erkennbar – in jeglicher Hinsicht, vom beeindruckenden Cover angefangen, über den Schreibstiel der Autorin bis hin zur gründlichen Recherche, ganz ohne Zweifel ein „echter Gablé“. Während „Teufelskrone“ sich mit Richard Löwenherz und dem teuflischen John Ohneland aus dem Hause der Plantagenets sowie der Magna Charta beschäftigte, ordnet sich „Drachenbanner“ geschichtlich nahtlos bei Johns ältestem Sohn, König Henry III. und dessen Sohn Edward sowie Johns jüngster Tochter Prinzessin Eleanor und ihrem historisch nicht gerade unbedeutenden Ehemann Simon de Montfort ein und umspannt den wichtigen Zeitraum der englischen Geschichte von 1238 bis 1265.

Der Bogen der fiktiven Handlung wird rund um Adela und Bedric erzählt und erinnert so ganz vage an sanft adaptierte Züge aus Shakespeares „Romeo und Julia“. Die beiden sind von Beginn an große Sympathieträger: Sie - von adeligen Stand und ausnahmsweise weiblicher Spross der Waringhams (Amabel und Yvain aus der „Teufelskrone“ haben übrigens auch kurze Gastauftritte), er - ein kerniger Naturbursche mit losem Mundwerk aus einer Leibeigenenfamilie. Die beiden sind am gleichen Tag geboren und Milchgeschwister, da Bedrics Mutter auch Adelas Amme war, und unzertrennlich, … bis zu jenem Tag, als Adela an den Hof von Prinzessin Eleanor entsandt und wenig später mit dem Adeligen Joshua of Meriden verheiratet wird. Adela und Eleanor verbinden vielerlei Eigenschaften und imponieren dem Leser durch ihren starken Charakter, ihr Selbstbewusstsein, ihre liebevolle und direkte Art und einen strategisch enorm weitsichtigen Blick, der vor allem bei Eleanor, geradezu zum Strippenziehen im Hintergrund verleitet. Bedric hingegen muss sich nach dem Tod seines Vaters mühevoll mit der Rolle des Leibeigenen herumschlagen, um Mutter Eldrida und Schwester Bertha kümmern, von seinem Stiefvater Wigot und Adelas ältestem Bruder Raymond drangsalieren lassen und beschäftigt sich mit dem Bogenbau und -schießen.
Allerlei Strapazen stehen den beiden und ihrer Liebe noch bevor und die Autorin investiert dieses Mal zu Beginn des Buches sehr viel Zeit in die fiktive Geschichte, in welche der Leser durch das behutsame Nahebringen aller Protagonisten mühelos hinein findet. Im Laufe des Buches rücken wir immer näher an die tatsächlichen historischen Geschehnisse dieser Epoche heran und wie immer gelingt es Rebecca Gablé die facettenreichen Charaktere sowohl ihrer fiktiven wie auch der geschichtsträchtigen Protagonisten so lebensnah und echt zu zeichnen und so geschickt miteinander zu verweben, dass der Leser das authentische Gefühl bekommt, dass die Fiktiven tatsächlich im Umfeld der Historischen gelebt haben und der Leser mittendrin den Protagonisten über die Schultern schaut. Überaus viel wird dem Leser auf den 928 Seiten des Buches geboten: vom Leben des einfachen armen Volkes, welches trotz Hungersnot und Seuche von seinem verschwenderisch bauwütigen aber schwachen König, der obendrein noch das Königreich Sizilien vom Papst für seinen Sohn Edmund kaufen und erobern möchte, extrem ausgepresst wird, über einen realen Blick auf beispielsweise das mittelalterliche London, den Provisions of Oxford, die jedem Menschen, auch den Leibeigenen Rechte verleihen sollen, dem zweiten Krieg der Barone, der Schlacht von Lewes, Simon de Montfort’s Parlament (dem Vorläufer des späteren House of Commons), bis hin zur finalen, schicksalsträchtigen Schlacht von Evesham mit all ihrer tragischen Konsequenzen. Und die fiktiven Charaktere um Adela und Bedric sind dabei zusammen mit dem Leser stets beeindruckend und zum Greifen nah in der historischen Kulisse mit dabei.

Darüber hinaus bringt die Autorin dem Leser viele geschichtlich bedeutende Persönlichkeiten jener Zeit nahe (neben den bereits oben genannten u.a. Richard of Cornwall, Henry d’Almain, Guillaume und Aymer de Lusignan, Thomas FitzThomas, Llewelyn ap Gruffydd), allesamt festgehalten im umfangreichen Personenregister. Zusätzlich zum - wie immer - flüssigen, emotional mitreißenden und ausdrucksstarken Schreibstil, gesellt sich dieses Mal auch eine überaus humorige Komponente hinzu und zu Beginn/Ende der einzelnen Abschnitte des Buches findet man wunderbare Zitate und Zeichnungen und zum Auffinden der jeweiligen Orte des Geschehens, sogar eine Karte über das relevante Gebiet von England und Wales. Ganz ohne Zweifel ist „Drachenbanner“ ein ganz großartiger Historischer Roman, der mit Gewissheit zu den besten dieses Genres zählt.

Bewertung vom 30.04.2022
Frische Wunden (eBook, ePUB)
Nähle, Kirsten

Frische Wunden (eBook, ePUB)


sehr gut

Würdiger Abschluss der Trilogie mit aktueller und interessanter Thematik

Nach Kirsten Nähles Krimi-Debut „Zwölf Sünden“ und dem Nachfolger „Vertraute Qualen“ stellt nun „Frische Wunden“ den Abschluss der Kriminalroman-Trilogie um das Würzburger Ermittler-Duo Victoria Stahl und Daniel Freund dar.

Wie bereits in den beiden Bänden zuvor ist man als Leser von Beginn an gleich mitten drin im Geschehen und muss dieses Mal hautnah miterleben, wie im Prolog eine junge Frau mit Baby auf dem Arm durch den Wald gehetzt und getötet wird. Der Prolog wird dabei in „Ich“-Form erzählt und hebt sich damit vom Rest des Buches ab. Im ersten Kapitel wird dann das Ermittler-Duo, wie bereits im Vorgängerband ergänzt durch die Anwärterin Kathrin und Oberkommissar Benedikt Strobel, zu eben diesem Tatort mitten im Wald gerufen. Obwohl das offensichtlich auffallend hübsche Opfer teure Kleidung trägt, ist sie im angrenzenden Nobel- und Villenviertel unbekannt, wie sich bei den ersten Befragungen herausstellt. Ungereimt bleibt zunächst einmal, wie die junge Frau dorthin gelangt war und die Bedeutung einer Babydecke, mit welcher die Tote zugedeckt war. Ein von den Ermittlern vermutetes Baby bleibt zunächst erst einmal verschwunden bis dann die Suche nach ihm eingeleitet wird. Darüber hinaus lernt der Leser Jonas kennen, der in einem Fitnessstudio arbeitet. Die Handlung spitzt sich dann soweit zu, dass der Leser befürchten muss, dass es sich bei der Toten wohl um Lara, die (Ex-)Freundin von Jonas handelt. Jonas stellt auf eigene Faust Nachforschungen an und gerät dadurch selbst unter Verdacht. Zu diesen Protagonisten gesellen sich dann auch noch eine vernünftig überschaubare Anzahl von Nebencharakteren, die im Verlauf des Buches mal mehr, mal weniger Einfluss auf die Handlung nehmen und von denen manche selbst zu Hauptverdächtigen werden. Privat ist Victoria mittlerweile wieder zu ihrem Mann zurückgekehrt, ihre Tochter befindet sich derzeit auf einem Auslandsaufenthalt in den USA und Daniel und seine Lebensgefährtin hatten eine Fehlgeburt erlitten. Und auch zwischen Kathrin und Daniel entwickelt sich nun deutlich mehr als die beiden wohl geplant hatten. Hier wird also an vielen Stellen die Handlung dort fortgesetzt, wo sie ganz grob in Band 2 geendet hatte.

Die wieder einmal düstere Atmosphäre des Covers, welches einen leicht mit Schnee bedeckten Wald in gleißendem Gegenlicht zeigt, der Titel „Frische Wunden“ und die ständigen Perspektivenwechsel in den kurzen, mit den Namen der Protagonisten überschriebenen Kapiteln, welche die Autorin mit ihrem mitreißenden Schreibstil gekonnt einbaut, stellen absolute Hochspannung über den gesamten Umfang des Buches hinweg sicher. In gewohnter Weise flüssig und nie langweilig erzählt, lässt Kirsten Nähle den interessanten Plot von „Frische Wunden“ sich zu einem Pageturner entwickeln – zumal sie der gesamten Handlung wie auch den diesmal deutlich Ausdrucks- und Charakter-stärkeren Protagonisten im Gegensatz zum Vorgängerband mehr Zeit zur Entfaltung gewährt und deutlich mehr Tiefe verleiht. An keiner Stelle ist die Handlung auch nur im Entferntesten absehbar und alle Handlungsstränge werden am Ende logisch und sinnvoll zusammengeführt. Ebenso wird mit der nicht erfüllten Kinderwunschproblematik einmal mehr ein interessantes und hoch-aktuelles Thema aufgegriffen, zu welchem der Leser sich auf der Basis des Buches sein ganz eigenes Meinungsbild erstellen kann und zum individuellen Abwägen gelangt, was nun gesellschaftlich, moralisch und politisch sinnvoll ist oder sein könnte. Eine besonders emotionale Note bekommt der Roman dadurch, dass die Autorin die persönlichen Schicksale der Protagonisten, insbesondere der Ermittler Victoria, Daniel, Kathrin und Benedikt mit dem Kriminalfall geschickt verwebt.

Fazit: Kirsten Nähle liefert mit „Frische Wunden“ ein deutlich reiferes Werk ab als das noch mit dem unmittelbaren Vorgänger „Vertraute Qualen“ der Fall war. Die Handlung bleibt völlig widerspruchsfrei und spannen

Bewertung vom 11.04.2022
Verweigerung
Moore, Graham

Verweigerung


ausgezeichnet

Talentierte Junganwältin im Wechselbad von Moral und Gerechtigkeit steht urplötzlich selbst unter Mordverdacht

Zum einen wird in einer Rückblende um 10 Jahre von einem der spektakulärsten Gerichtsprozess des letzten Jahrzehnts berichtet. In diesem soll der afroamerikanische Aushilfslehrer Bobby Nock seine minderjährige Schülerin Jessica Silver, welche die Tochter eines der wohlhabendsten und einflussreichsten Männer in Los Angeles ist, getötet haben, um seine Affäre mit ihr zu vertuschen. Jessicas Leiche wurde jedoch nie gefunden. Maya war damals eine der zwölf Geschworenen gewesen, hatte zunächst als einzige auf unschuldig plädiert, nach und nach alle anderen Geschworenen auf ihre Seite gezogen und letztlich wurde Bobby aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Zum anderen wird, initiiert durch einen Fernsehsender, 10 Jahre nach dem Prozess nun ein Treffen dieser Geschworenen stattfinden, bei welchem der Fall nochmals aufgerollt und neu betrachtet werden soll - insbesondere nachdem der wie Bobby Nock ebenfalls Schwarze Rick Leonard, ein weiterer Geschworener im damaligen Prozess, auf diesem Treffen nach jahrelanger, hartnäckiger Recherche medienwirksam den ultimativen Beweis für Bobbys Schuld präsentieren möchte. Rick und Maya hatten während des damaligen Prozesses eine kurze, geheim geglaubte Affäre und möchten nochmals unter vier Augen miteinander sprechen. Das Gespräch gerät allerdings zum Streit, Rick wird ein wenig später tot in Mayas Hotelzimmer aufgefunden und Maya wird zur Hauptverdächtigen gegen die alle Indizien zu sprechen scheinen. Sie wird verhaftet, kommt gegen Kaution wieder frei und versucht unterdessen auf eigene Faust zu ermitteln, wird aber vor ihrem eigenen Prozess nicht davonlaufen können. Durch geschicktes Verknüpfen der beiden Zeitebenen, auf denen wir immer genauere Details über das Privat- und Berufsleben von Bobby, Jessica und ihrer Familie, Rick und Maya, aber auch jedes einzelnen der anderen, damaligen Geschworenen und deren jeweiliger Perspektive auf das Geschehen erfahren, entfaltet sich eine ungemein spannende Geschichte mit zahlreichen Wendungen, die in sich aber stets schlüssig bleibt und bei der am Ende alles mit allem verwoben zu sein scheint.

Vordergründig geht es in dem von André Mumot ins Deutsche übersetzen Roman also um die Schuldfrage in den beiden Mordfällen Jessica Silver sowie Rick Leonard und um die Beziehung zwischen Maya und Rick. Hintergründig durchleuchtet Graham Moore jedoch sehr detailliert das traditionsbehaftete, angelsächsische Rechtssystem in Amerika und deckt dessen Schwächen auf, wenn sich eine 12-köpfige Jury bestehend aus Laien, querbeet ausgewählt durch alle Bevölkerungsschichten, unter Zeit- und äußerem (Medien-)Druck auf eine mehr oder weniger willkürliche Entscheidung einigt - oftmals stark beeinflusst vom Talent und der sprachlichen Gewandtheit der Verteidigung oder der Staatsanwaltschaft. Mit seinem mitreißenden Schreibstil vermittelt Graham Moore zudem die gesamte Palette ethnischer, moralischer und politischer Aspekte, von denen ein solches Strafverfahren begleitet wird. Der Autor bringt dabei eine ganz gehörige Portion Gesellschafts- und Politikkritik mit hinein und eine der ganz zentralen Botschaften des Buches ist, dass nicht unbedingt „Nichts als die pure Wahrheit“ zu einem Freispruch führt, sondern die schlüssigste und am geschicktesten zurechtgezimmerte Geschichte die im Gerichtssaal präsentiert wird; "Ehrlich währt am längsten" mutiert dabei zum "Am geschicktesten Lügen währt am längsten".

Fazit: Mit „Verweigerung“ ist Graham Moore einmal mehr ein rundum atemberaubender Roman gelungen, der über seine gesamten 400 Seiten hinweg überzeugt und in jeglicher Hinsicht keine Vergleiche, auch nicht mit jenen, die dieses Genre seit Jahrzehnten dominieren, zu Scheuen braucht - in puncto Modernität und Aktualität überflügelt er jene sogar um Längen. Dem Autor ist hier ein überaus spannender, stets real wirkender Justizthriller geglückt, voll bepackt mit e

Bewertung vom 12.03.2022
Vertraute Qualen
Nähle, Kirsten

Vertraute Qualen


ausgezeichnet

Glaubhafte Auseinandersetzung mit Mobbing, Erpressung und Vergewaltigung

„Vertraute Qualen“ ist der zweite Band von Kirsten Nähles Kriminalroman-Trilogie und somit Nachfolger ihes Krimi-Debüts „Zwölf Sünden“. Widerum steht das Würzburger Ermittler-Duo Victoria Stahl und Daniel Freund im Mittelpunkt des Geschehens. Recht unterhaltsam wird der Leser gleich von Beginn an mitten in die Handlung geworfen und es dauert einen Augenblick bis er sich zu orientieren vermag. Sobald man aber die Protagonisten von den Nebencharakteren zu unterscheiden gelernt hat, lässt sich der Handlung leicht und problemlos folgen.

Gleich zu Beginn befindet sich der 16-jährige Leon angetrunken auf dem Nachhauseweg von einer Party. Den letzten Bus hat er verpasst, seine ein Jahr jüngere Freundin Marie war nicht auf der Party und in der Hoffnung bei ihr übernachten zu dürfen, ruft er sie an. Marie nimmt seinen Telefonanruf allerdings nicht entgegen und so muss er also mit einem längeren Fußmarsch ans andere Ende der Stadt vorlieb nehmen, bis ein Auto anhält und ein ihm bekannter Fahrer vorschlägt ihn heim zu fahren. Leon steigt zögerlich ein und es wird lange dauern bis wir wieder von ihm hören - auf welche Weise sollte an dieser Stelle nicht vorweggenommen werden. Weitere männliche Teenager aus Leons Klasse verschwinden und gleich mehrere Personen, unter ihnen auch die Lehrer der Schüler, geraten als potentielle Täter ins Fadenkreuz der Ermittlungen und stehen unter Verdacht. Besondere Brisanz und Dramatik erhält der Plot dadurch, dass Leons Freundin Marie die Tochter der ermittelnden Oberkommissarin Stahl ist. Zu den Hauptcharakteren hinzu gesellt sich der schüchterne Außenseiter Samuel, der von seinen Mitschülern keinerlei Beachtung findet, gemobbt, erpresst und aufs Übelste erniedrigt wird. Darüber hinaus werden dann als Ausgleich zur spannenden Haupthandlung und zur durchaus sehr kritischen Thematik des Mobbings zum Durchatmen für den Leser die jeweiligen privaten Probleme in Ehe bzw. Beziehung des Ermittlerduos mit eingestreut und es entfaltet sich eine durchaus interessante Kriminalgeschichte, bei welcher der Leser über weite Strecken die Gelegenheit zum Mitermitteln und -rätseln bekommt. Die Handlung folgt dabei einem „Geradeauskurs“ ohne größere Schnörkel und Abschweifungen.

Insgesamt ist der flotte Schreibstil von Kirsten Nähle sprachlich eher einfach gehalten, Sätze sind nur äußerst selten kompliziert aufgebaut. Die einzelnen, kurzen Kapitel aus diversen Perspektiven sind mit den jeweiligen Namen der Protagonisten überschrieben. Die Geschichte wird auch Tempo-reich, recht spannend und schlüssig erzählt, ohne zu viel vorab bereits zu verraten, ist für den Leser auch sehr gefällig geschrieben und ein Spannungsbogen wird zunehmend aufgebaut - ja, bis zu dem Punkt, als sich der Täter dann zufällig, unvorsichtig und völlig unnötigerweise im Prinzip fast schon selbst verrät. Hier gibt es eine etwas enttäuschende Wendung und ab diesem Zeitpunkt ist die Handlung dann äußerst vorhersehbar und leider reißt hier dann auch der zuvor aufgebaute Spannungsbogen zwar nicht komplett, aber dennoch spürbar ab. Trotzdem ist der Krimi weit davon entfernt, ein schlechter Roman zu sein und in einer Hinsicht dann sogar mehr als herausragend: Denn Kirsten Nähle greift einige Probleme der heutigen Gesellschaft auf und thematisiert insbesondere Mobbing, Erpressung, Vergewaltigung und Sex mit Minderjährigen – nicht, dass es das nicht schon immer gegeben hätte, aber diese sehr problematischen Herausforderungen haben in der heutigen Zeit enorm zugenommen und sind bedauerlicherweise bereits zum Alltagsgeschehen geworden. Und in der Auseinandersetzung mit genau dieser Problematik besteht die eigentlich wahre Stärke des Buches. Ohne große Umschweife wird dies hier nicht tabuisiert, sondern in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt, was den Leser zum Nachdenken über sich selbst, seine Kinder oder Enkel ermuntert und die Frage aufwirft, wo habe ich in der Vergangenheit

Bewertung vom 12.03.2022
Der tote Priester / Jigsaw Man Bd.2
Matheson, Nadine

Der tote Priester / Jigsaw Man Bd.2


ausgezeichnet

Ohne „Jig, Saw und (the) Man“, aber mit bestechender Hochspannung und mitreißenden Emotionen

Mit „Jigsaw Man - Der tote Priester“ setzt Nadine Matheson ihren Vorgängerband „Jigsaw Man - Im Zeichen des Killers“ sehr überzeugend fort. Wie bereits in Band 1 bekommt der Leser wieder eine hervorragende Mischung aus einerseits Privatleben der Protagonisten, welche einem das Gefühl vermittelt, die Hauptcharaktere seien keine Sherlock-Überflieger, sondern ganz normale Menschen wie du und ich, allesamt sehr verletzlich und jeder mit seinen ganz eigenen beruflichen wie auch privaten Problemen, und andererseits erfolgreicher Ermittlungsarbeit und sehr gekonnter, logischer Kombinationsgabe präsentiert - also alles, was einen richtig guten, vielschichtigen und äußerst fesselnden Thriller ausmacht. Über weite Strecken ist der Leser dabei am Puls des Geschehens, auf Augenhöhe mit dem Ermittler-Team und somit fast schon Mitglied der Serial Crimes Unit (SCU) von DI Anjelica Henley & Co., in der er sich seit dem Vorgängerband bereits zu Hause fühlt. Dieses Mal wir auch allen anderen Mitgliedern der SCU mehr Entfaltungsspielraum gegönnt, was sich insgesamt sowohl für die realistische und authentische Ermittlungsarbeit, als auch für das Lesevergnügen sehr positiv auswirkt.

Worum geht es nun also in der knapp ½ Jahr nach Ende der Handlung von Band 1 beginnenden Fortsetzung der Anjelica Henley-Serie? - Bereits zum Einstieg erfährt der Leser von einer an Exorzismen erinnernde Misshandlung eines eingesperrten Opfers durch zwei Peiniger, welches nur schwer verletzt, im Koma liegend, überlebt. Entdeckt wurde der Gefolterte durch die beiden Polizeibeamte Anjelica Henley sowie Salim Ramouter, in einer versteckten Kammer einer Kirche. Allerdings wurden die beiden nicht wegen dieser Gewalttat zur Kirche gerufen, sondern da dort von der Reinemacherfrau Uliana Piontek die Leiche des Pastors Caleb Annan gefunden wurde. Recht schnell wird klar, dass der Pastor, der sich selbst als Prophet Dr. Caleb Annan betitelte, nicht sonderlich bibeltreu war, einen überaus luxuriösen Lebensstil pflegte, seelisch leidende Menschen bedrängte, Frauen sexuell ausnutzte und bereits im Gefängnis eingesessen hat. Im weiteren Verlauf werden weitere Opfer von Teufelsaustreibungen gefunden und so baut Nadine Matheson in der ihr eigenen Weise ein großartiges Gerüst auf verschiedenen Handlungs- und Zeitebenen auf, welches dem Leser kaum Luft zum Verschnaufen lässt - entweder verstrickt sich der Leser mit seinen Gefühlen in den privaten Problemen der Protagonisten oder er leidet mit den grausamen Taten an den Opfern und möchte den oder die Täter unbedingt fassen.

Über die meisten der 576 Seiten des Buches hinweg gelingt es Nadine Matheson mit ihrem packenden und fesselnden Schreibstil den Leser in den Bann der Handlung zu ziehen und damit verschmelzen zu lassen, den Leser regelrecht zu ihrem Spielball zu machen. Manchmal hat man das Gefühl Personenbefragungen gemeinsam mit Anjelica Henley durchzuführen, ihre Eheprobleme mit ihr zusammen durchzustehen oder den Anblick der gequälten Opfer nicht mehr ertragen zu können. Selbst nach weit über 400 Seiten, lässt die Autorin den Leser im völligen Nebel, mit nur vagen Vermutungen und ohne konkreten Verdacht verharren – all das hat sie brillant und auf allerhöchstem Niveau gelöst. Allerdings beschleicht einem im Rahmen des fulminanten Showdown des Buches beim schlüssigen Zusammenfügen der einzelnen Handlungsstränge das Gefühl, dass einige Charaktere eingeführt, dann aber nicht mehr weiterverfolgt wurden und bei der Überführung der Täter urplötzlich Beweise auftauchen, von denen der Leser nicht die geringste Ahnung haben konnte; private Konflikte und jegliches Potenzial sie zu lösen, werden nicht mehr aufgegriffen und eine Klärung leider auf einen Folgeband verschoben. Im Rahmen eine mehr-bändigen Serie bietet sich natürlich die Option dies genau so gestalten zu können, dennoch hätten hier ein paar Seiten mehr, auf denen auch diese Punk

Bewertung vom 10.12.2021
Gold und Ehre
Weiß, Sabine

Gold und Ehre


ausgezeichnet

In „Gold und Ehre“ setzt die Autorin nach Überspringen der Generation des Dreißigjährigen Krieges fort, was in „Krone der Welt“ zur niederländischen, spanischen und englischen Geschichte begonnen wurde; historisch liegt somit, neben den vielschichtigen Kon­flikten des Hauses Oranien, ein Schwerpunkt auf einerseits der von Johan de Witt nicht-monarchisch geführten Periode der Republik der Sieben Vereinigten Niederlanden nach Ende des Achtzigjährigen Krieges und andererseits der Wiedererlangung der Macht des englischen König Charles, dem Jüngeren, gegen Oliver Cromwell. Es ist atemberaubend zu lesen, wie hier alle relevanten historischen Personen, Orte, Kolonialfragen, Auseinandersetzungen der großen Seefahrernationen, der abscheuliche und menschenunwürdige Sklavenhandel in Westafrika, damalige Bautechniken und -künste, Epidemien, Flutkatastrophen, der große Brand von London und viele weitere Gegebenheiten meisterhaft eingearbeitet und mit den Schicksalen der fiktiven Charaktere verwoben wurden. Es wird sogar aufgegriffen, wie sich der typische und noch heute spürbare „way of life“ mit seinem unverkennbaren Freiheitsgedanken der damaligen Niederlande in Nieuw Amsterdam, dem heutigen New York, entwickelt und etabliert hat. Bei weitem zu umfangreich gestaltet sich dabei die großartige Palette an historischen Persönlichkeiten, um sie in einer Rezension alle aufzählen zu können. Exemplarisch wird anhand der Handlungsstränge der jeweiligen Protagonisten widergespiegelt, was einerseits den einzelnen Adelshäusern und Nationen, sei es in Frankreich und Spanien oder insbesondere in den Niederlanden und England widerfahren ist und andererseits, wie sich das Alltagsleben des kleinen Mannes der Gosse gestaltet und welch schrecklich unverdiente und nahezu bedeutungs- und respektlose Rolle man zu dieser Zeit den Frauen außerhalb der noblen Schichten zugedacht hatte; akribisch wurde dabei herausgearbeitet welche Schluchten sich damals zwischen der gehobenen „Noblesse“, dem gemeinen „Pöbel“ und jenen, die versuchten sich für die höheren Schichten zu empfehlen, auftaten. Historisch betrachtet ist „Gold und Ehre“ schlichtweg brillant und gehört diesbezüglich für mich zum Allerbesten, was ich bislang in diesem Genre lesen durfte. Die fiktive Handlung ist über weite Strecken der 688 Seiten ebenfalls großartig gestaltet und, wie bei Sabine Weiß üblich, gespickt mit Emotionen-transportierenden Charakteren.

Die fiktive Handlung spielt hierbei dominant, beim Erstellen von Bauwerken, in Amsterdam und Hamburg (u.a. spielt hier das Wahrzeichen Michel eine große Rolle) sowie in s’Gravenhage, mit Abstechern in einige bedeutende europäische Städte und in holländische Kolonien. Im Rahmen der fiktiven Handlung lernen wir Benjamin kennen, den Sohn Michiels - seines Zeichens Ziehsohn Vincents. Letztere beiden sind dem Leser bereits aus dem Vorgängerband bekannt. In guter Familientradition strebt er in Amsterdam - mittlerweile zur Weltstadt gereift - den Beruf des Architekten an. Nach einem Missgeschick muss er für einige Zeit nach Hamburg und sich dort bewähren, wo er die beeindruckende und charakterstarke Lucia trifft. Diese allerdings muss sich des nachts als Mann verkleiden und Passanten bestehlen, um das Überleben ihrer Familie zu sichern. Theo, Sohn von Kris, den der Leser noch als mutigen Jungen und ‚Bruder‘ Michiels aus „Krone der Welt“ in Erinnerung hat, wird Seemann, wie schon sein Vater, und erkundet die Welt. Samuel, Adoptivsohn von Nathan und Betje (die in „Gold und Ehre“ leider nicht mehr vorkommen), möchte als reicher Unternehmer unbedingt in die Welt der Adligen aufsteigen. Und so lernen wir nach und nach eine Vielzahl an sympathischen und weniger sympathischen Charakteren und deren Beziehungen zueinander und zu den realen Persönlichkeiten jener Epoche kennen.

Detailliert und fesselnd präsentiert Sabine Weiß Fiktion sowie perfekt recherchierten, komplexen historischen Hintergrund ausdrucksstark, bildhaft und für jedermann verständlich; Vorke

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