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Leobiene
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Düsseldorf

Bewertungen

Insgesamt 31 Bewertungen
Bewertung vom 22.08.2025
Everett, Percival

Dr. No


ausgezeichnet

Kann man Nichts klauen?
Nach dem herausragendem Roman „James“ von Percival Everett war ich sehr gespannt auf sein neues Buch. Auch hier fand ich das Cover sehr ansprechend.
Am Anfang stehen einige herausfordernde wissenschaftliche und philosophische Abhandlungen über verschiedene Aspekte des „Nichts“, das Wissensgebiet des Professors Wala Kitu. Wenn man diese jedoch überwunden hat, nimmt die Geschichte um den Professor, seinen einbeinigen Hund Trigo und dem größenwahnsinnigen Milliardär John Sill Fahrt auf. In klassischer Bond-Manier geht es um einen Diebstahl aus dem Hochsicherheitstrakt von Fort Knox: dem Nichts . Dabei werden sämtliche Klischees des superreichen Schurken bedient: schöne Frauen, gefährliche Männer mit Waffen, Kleinflugzeuge, U-Boote, usw. Er befiehlt eine schier endlose Schar an Bediensteten. Also ein Mann der alles hat, will in den Besitz von Nichts kommen. Mich hat diese Satire sehr amüsiert, auch wenn die mathematischen Exkurse nur sehr schwer verständlich waren. Wenn man darüber hinweg lesen kann, ist dieser Ritt durch die Genres ein großes Vergnügen.

Bewertung vom 19.08.2025
Coe, Jonathan

Der Beweis meiner Unschuld


ausgezeichnet

Für mich ist Jonathan Coe ein herausragender Chronist der politischen Lage in Großbritannien. Hochaktuell befasst er sich mit der Geschichte der Rechtskonservativen und deren unaufhaltsamem Aufstieg seit den 80ern. Wie das Unsagbare langsam normal wird können wir auch in Deutschland und anderswo beobachten. Wie die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben wird durch rechte Denkfabriken beschreibt er klar und spannend. Während Liz Truss Prime Ministerin wird und wieder zurücktritt, R. Sunak übernimmt, die Queen verstirbt, verfolgen die Vordenker unaufhaltsam ihre Ziele, wie den Brexit oder die Reform des Gesundheitswesens. Mit Christopher hat diese Clique jedoch einen Widersacher, der in seinem Blog über die Machenschaften aufklärt. Er veröffentlicht ihre geheimen Pläne und macht sich Feinde, wird schließlich ermordet. Die Aufklärung seiner Ermordung führen dann seine Adoptivtochter und eine Freundin über England nach Monaco und schließlich nach Venedig. Mir haben die Protagonisten mit ihren Schrullen und Eigenheiten gut gefallen und auch sein Spiel mit unterschiedlichen Genres finde ich gelungen. Ich hatte großen Spaß an seiner Satire und dem typisch britischen, trockenen Humor, auch wenn die allzu realistische und hochaktuelle Darstellung der Rechten und das bereits in vielen Ländern zu beobachtende Erreichen ihrer Ziele beängstigend ist.
Das Cover dazu gefällt mir sehr gut.

Bewertung vom 23.07.2025
Shattuck, Ben

Die Geschichte des Klangs


gut

Uneins
Mit diesem Buch habe ich mich sehr schwer getan. Der Titel verheißt so viel und hält so wenig. Im ersten Teil lernen wir zwei hochbegabte Musiker kennen in ihrem Liebessommer vor dem Weltkrieg. Danach trennen sich die Wege und es bleibt die eine große Liebe, die man nie vergisst. Der zweite Teil handelt von einer Hausfrau, die zugunsten des Mannes ihre Karriere aufgegeben hat und auf ihre Weise unglücklich ist. Die beiden verbinden nur die Musikwalzen, die während des Sommers entstanden sind auf der Suche nach Liedern und die sie auf dem Dachboden des Hauses findet und dem Musiker schickt. Einerseits poetisch und prägnant erzählt Shattuck von unerfüllten Träumen. Andererseits kommt mir das Buch eher unfertig vor und ich hätte mir eine ausführlichere Erzählung gewünscht. Das Cover, in Sepia gehalten, finde ich sehr ansprechend, auch wenn die beiden in dem Sommer zu Fuß unterwegs waren und nicht mit den Fahrrädern.

Bewertung vom 17.06.2025
Myers, Benjamin

Strandgut


ausgezeichnet

Soul zum Lesen und Hören
Myers ist ein erneuter Bestseller mit Strandgut gelungen. Es spiegelt ein kaputtes Amerika, in dem Protagonisten im Gefängnis sterben und andere der Opioid Krise zum Opfer fallen, so wie Bucky, der Held dieser Geschichte. Komplett abhängig von den Drogen wird der ehemalige Soulsänger auf ein Festival nach England eingeladen, um dort seine wenigen Songs zu singen. Während er in den USA vergessen wurde, ist er in England nach wie vor ein gern gehörter Sänger und hat eine beeindruckende Fanbase. Sein größter Fan Dinah ist gleichzeitig auch seine Betreuerin für die Zeit seines Aufenthalts in England und die beiden freunden sich an. Während Bucky versucht, den beginnenden kalten Entziehung zu verdecken, geht es unaufhaltsam auf den Auftritt zu.
Eindringlich, klar und offen beschreibt Myers die Schmerzen und die Suche nach Drogen im fremden Land. Auch das Thema Soul und Bucky als gefeierter Sänger ist in seiner Naivität sehr liebenswert.
Ich empfehle noch intensiver in die Geschichte einzutauchen, indem man die im Buch erwähnten Songs dazu anhört. So entsteht neben der spannenden Geschichte ein Soundtrack der sich hören lassen kann!
Das Cover dazu, Titel und die Haptik des in Leinen gebundenen Buchs machen das Buch zu einem Highlight!

Bewertung vom 11.06.2025
Tang, Jiaming

Cinema Love


gut

1985 in China ist Homosexualität geächtet und für die beiden verheirateten Shun-Er und Old Second etwas, dass sie nur im dunklen Kino ausleben können. Auf der anderen Seite stehen ihre Ehefrauen, die nach Entdeckung die Beziehung unterbinden wollen. Einfühlsam begleitet der Roman die Protagonisten von China bis ins NY unserer Zeit. Ab da wandelt der Roman von der queeren zur Auswanderergeschichte. Die Zeitwechsel waren sprunghaft und im Mittelteil hat mich das Buch verloren. Zu viele Side-Geschichten. Gegen Ende laufen die Fäden zusammen und es entsteht im Ganzen eine gekonnte Mischung aus queerem Roman, Auswanderergeschichte und Identitätsfindung. Ich habe dieses Debut gern gelesen mit leichten Flauten. Das Cover finde ich sehr gelungen!

Bewertung vom 05.06.2025
Debré, Constance

Play Boy


gut

Der Titel Play Boy scheint zunächst irritierend für eine lesbische Coming Out Geschichte, doch die Protagonistin war schon immer sehr männlich geprägt. Groß gewachsen mit kurzen Haaren hat sie als Kind lieber mit den anderen Jungs gespielt und ist die Bäume hoch geklettert. Dennoch lässt sie sich auf eine Ehe ein und bekommt ein Kind. Nach der Scheidung merkt sie, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühlt. Ihre Beziehungen zu Frauen verlaufen aber eher nach einem männlichen Muster. Sie ist schnell gelangweilt, lässt die Partnerinnen kaum an sich heran. Für mich ist die Protagonistin kaum beziehungsfähig. Im Text wiederholt sich die Autorin, sie beschreibt offen und schonungslos die Bettszenen. In ihrer Auseinandersetzung mit ihrem drogensüchtigen Vater und der früh verstorbenen Mutter bleibt sie diestanziert und kalt. Insgesamt eine für mich eher unsympathische Person, andererseits sehr freiheitsliebend und unangepasst geht sie ihren Weg. Empfehlung wohl eher an ein jüngeres Publikum. Mich hat es nicht mitgerissen.

Bewertung vom 08.05.2025
Disher, Garry

Desolation Hill


sehr gut

Mit Desolation Hill präsentiert uns Disher seinen vierten Roman um den geschassten Constable Hirschhausen, genannt Hirsch. Er hat ein riesiges Gebiet zu patrouillieren und die Fahrten sind eher ungemütlich, weil sie über Schotterpisten führen. Das Land, ca. 2 Stunden von Adelaide entfernt, ist von Landwirtschaft und Tierhaltung geprägt.
Gleich mehrere Delikte beschäftigen Hirsch: ein verschwundener Student aus Belgien, eine verbrannte Leiche in einem Koffer und die Tochter seiner Freundin, die gemobbt wird. Die vielen Protagonisten lassen das Buch manchmal unübersichtlich werden, aber gegen Ende laufen die Fäden zusammen. Insgesamt finde ich das Buch zu gemächlich und es hat mich nicht so richtig gepackt wie die Vorgänger. Das Cover hingegen ist fantastisch mit großem Wiedererkennungswert der Serie.

Bewertung vom 26.04.2025
Armstrong, Tammy

Pearly Everlasting


ausgezeichnet

Absolutes Highlight
Dieses Buch ist jetzt schon ein Jahreshighlight für mich. Pearly Everlasting wächst in einem Holzfällercamp im Kanada ca. 1918 auf. Ihr Vater ist Koch, die Mutter als Heilerin geschätzt, denn es passieren viele Unfälle. Als ein kleiner neugeborener Bär gefunden wird, stillt die Mutter ihn einfach zusammen mit ihrer kleinen Tochter Pearly zusammen. Die Fotografie eines Naturfotografen hat die Autorin Armstrong zu diesem Buch inspiriert. Pearly und ihr Bärenbruder Bruno wachsen fortan zusammen auf.
Eine Szenerie wie in den frühen John Irving Büchern, absolut faszinierende Landschaftsbeschreibungen und eine spannende, zu Herzen gehende Geschichte machen dieses Buch zu einem Erlebnis. Man möchte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen und am Ende gleich wieder von vorn beginnen. Auch das Cover hat mich sehr angesprochen. Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 24.04.2025
Hughes, Siân

Perlen


ausgezeichnet

"Perlen" ist ein bemerkenswertes Debut. Die Protagonistin Marianne erleben wir als Kind und später als Mutter, die ihr Leben lang nach der Mutter sucht und sie betrauert. Als Kind und Teenager gibt sie sich die Schuld am Verschwinden der Mutter. Auch der Polizei kann sie keine zufriedenstellenden Antworten geben und so erfindet sie bei jeder Befragung neue Varianten des Tages. Die Reaktion scheinen die Polizisten nie zufrieden zu stellen und sie zwifelt an sich selbst. Sie durchlebt viele Phasen der Selbstzerstörung und auch der Vater kann sie da nicht rausholen. Erst nach und nach offenbart sich das Schicksal der Mutter.
Das Buch ist in einer sehr sanften und einfallsreichen Sprache geschrieben, man möchte viele Sätze herausschreiben. Das Cover erschließt sich einem nicht auf den ersten Blick. Man muss schon genau hinschauen, dass die Perlen kleine Einblicke geben in Familienbilder. Und so wie die Perlen auf dem Cover entwickelt sich die Geschichte Perle um Perle. Sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 13.04.2025
Suter, Martin

Wut und Liebe


ausgezeichnet

Nichts, wie es scheint
Ein Künstler, der seine große Liebe zurück gewinnen will, ein unmoralisches Angebot und viel Geld sind die Zutaten zu diesem neuen, großartigen Suter!
Camilla trennt sich, obwohl sie Noah, einen mittellosen Künstler noch liebt. Sie hat sich ein besseres Leben erhofft und das will Noah ihr nun mit allen Mitteln ermöglichen. Betty, eine sehr wütende, reiche Frau, kommt da grade recht.
Suters Bücher entwickeln einen Sog, in den man sich gern hineinziehen lässt und oft sind die Dinge nicht so wie sie scheinen, oder wie die Protagonisten sie darstellen. Und so lässt auch Noah sich in die Geschichte hinein ziehen und die Dinge nehmen ihren Lauf.
Für mich sind Suters Bücher immer ein Muss und auch diesmal hat er mich nicht enttäuscht. Auch diesmal sind nicht alle Protagonisten die sympatischsten Mitmenschen, aber auch das macht das Suter-Panoptikum der "normalen" Typen aus. Das klassische Diogenes Cover, passend wie immer. Unbedingt empfehlenswert!