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flower
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Wolfratshausen

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Bewertung vom 27.03.2021
Der große Sommer
Arenz, Ewald

Der große Sommer


ausgezeichnet

Ich bin ein großer Fan von Ewald Arenz. Bis jetzt konnte mich noch jedes seiner Bücher überzeugen. Ich ging also ziemlich voreingenommen an das neue Buch, der große Sommer. Und nachdem ich gleich am Anfang feststellte, dass der Hauptdarsteller mein Jahrgang ist und es sich um einen Coming-of-Age-Roman handelt, war mir klar, viel kann da nicht mehr schieflaufen.

Die Geschichte hat alle Inkredenzien, die es für einen guten Coming-of-Age braucht. Einen 16-jährigen Hauptdarsteller, von Familienmitgliedern schon mal liebevoll Frieder genannt, der gerade ziemlich pupertär unterwegs ist. Genervt von der Schule, eigentlich mit seiner Familie im Großen und Ganzen im Reinen, aber doch im Begriff, sich abzunabeln, zum ersten Mal richtig entflammt für ein Mädchen und immer schnell dabei, alles und jeden zu hinterfragen. Ihm zur Seite eine Schwester, die gleichzeitig auch seine allerbeste Freundin ist, einen allerbesten Freund, der ganz eigene Familienprobleme hat und die Herzensdame Beate, die ihm u.a. erklärt, dass Bossa Nova eine Musikrichtung ist - das war mir so auch noch nicht bewusst. Gut die Hälfte des Buches ist Frieder mit sich und seinen Wünschen beschäftigt und damit, die Menschen in seiner Umgebung immer mehr als junger Erwachsener zu sehen und nicht mehr mit kindlicher Naivität. Das liest sich leicht und unterhaltsam, weil man die Darsteller schnell ins Herz schließt, weil der Autor eine tolle Sprache als starke Waffe bereit hält, weil der Sommer und die Jugend aus jeder Seite hervorhüpfen und das Leseerlebnis hautnah, warm und intensiv machen. Und wie in jedem guten Coming-of-Age kippt das Ganze, als Krankheit und Tod die Freundschaft der vier zum Wanken bringen und das Weltbild sich nochmal ganz neu ordnen muss. Der Umschwung ist dabei wirklich so hart und rasant, dass ich eine Weile gebraucht habe, um das zu akzeptieren und als Chance und auch positive Veränderung zu sehen. Die jungen Leute werden mit der harten Realität des Lebens und dem Erwachsenwerden teilweise sehr unsanft konfrontiert. Aber auch hier gibt es Lichtblicke, wie vor allem die einfühlsame Großmutter und den Großvater, der in diesem Buch eine ganz besondere Person ist und Friedrich und mir als Leserin einiges abverlangt, bis er sich in unser Herz und unseren Verstand schleicht. (Eine wirklich starke Nebenfigur.) Am Ende passiert, was mir bei allen Arenz-Büchern passiert. Ich fand, es hätte gerne noch 100 Seiten weitergehen dürfen. Ich habe mich nur schweren Herzens von den Heldinnen und Helden getrennt und ein Buch verlassen, in dem ich wieder mal so einige Wort- und Bilderperlen gefunden und eingemerkt habe.

O-Ton Großvater: " Verliebtheit ist eine temporäre Hormonvergiftung. Meist heilt sie von selbst ab."

Großvater über seine Arbeit im Krankenhaus auf der Suche nach den Bakterien die eine Infektion ausgelöst haben: ...Es ist eine Suche in einem stockdunklen Zimmer nach einem Gegenstand, den du nicht kennst und von dem du nicht weißt, ob er die Form eines Stuhls hat, eines Messers oder einer Tasse und letztlich, ob er überhaupt da ist.".... "Aber du kennst dich prinzipiell in dem ZImmer aus, oder?"... "Ich laufe seit vierzig Jahren in dem ZImmer herum und stoße mir immer noch das Schienbein. Aber ja... ich weiß zumindest, wo die Schränke sind. Nur nicht, was drin ist."

Mein Fazit: Eine schöne Geschichte mit Darstellern, die man nicht so schnell vergisst. Eine Sprache, die wie ein warmer Sommerwind beim Lesen um mich herumgeweht hat. Ewald Arenz gehört einfach zu meinen absoluten Favorits. Und hat mich auch diesmal nicht enttäuscht.