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Benutzername: 
icey
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LE

Bewertungen

Insgesamt 14 Bewertungen
12
Bewertung vom 24.02.2022
Das Loft
Geschke, Linus

Das Loft


gut

Sarah, Marc und Henning – auch wenn es uns der Text auf dem Cover suggerieren will, die Beschreibung „beste Freunde“ ist hier vielleicht doch etwas ungenau. Sarah und Marc sind in einer scheinbar innigen Beziehung, Marc und Henning sind auf einer mir unzugänglichen Ebene so etwas wie beste Freunde. Und Sarah und Henning? Da hört die Freundschaft auf… Und plötzlich ist da Hennings Blut in der Küche, viel Blut, so viel, dass er unmöglich noch am Leben sein kann. Das von dem Dreiecksgespann gemeinsam bewohnte Loft wird zum Tatort, das Traumpaar zu Verdächtigen.

Das Leben der drei wie sie es kannten hört an diesem Punkt auf und das Buch beginnt. Aus drei Perspektiven wird der Leser durch die Aufklärung des Falls geführt. Auf gängige Erzählweise wird das Ermittlerteam eingeführt, ihre Gedanken zu den Verdächtigen und zum Tathergang dargelegt und die eigentliche Ermittlungsarbeit beschrieben. Ungewöhnlich ist die Einbindung der Verdächtigen Sarah und Marc. In der Form der Ich-Erzählung schildern sie ihre ganze eigene Sicht auf die Geschehnisse von ihrem Kennenlernen bis zu ihrem aktuellen Aufenthalt in der Untersuchungshaft. Und diese Sicht weicht ab – voneinander und auch von dem, was sie der Polizei erzählen. Doch wer lügt und vor allem warum, das bleibt bis zum bitteren Ende ein dunkles Geheimnis.

„Das Loft“ beeindruckt mit durchaus überraschenden Wendungen und ist sprachlich angenehm zu lesen, ohne sich eines zu einfachen Schreibstils zu bedienen. Die Veränderungen in den Beziehungen der drei Protagonisten zueinander mit all ihren Konsequenzen sind gut nachvollziehbar und die damit verbundene Demontage des Trugbilds ihrer innigen Freundschaft ist durchaus gelungen. Teilweise bleibt mit der Autor dabei allerdings zu sehr auf der sachlichen Ebene, da hätte ich mir noch mehr von der emotionalen Komponente gewünscht.

Das Buch beginnt mit einer Ansage, die die Erwartungen gleich zu Beginn nach oben schraubt. Und tatsächlich ist die Spannung anfangs auch am höchsten, flacht zur Mitte hin deutlich ab, um gegen Ende wieder etwas an Fahrt aufzunehmen. Sie wird eher von der psychologischen Komponente getragen, d. h. von dem, was die Protagonisten denken und erzählen. Und da zeigten sich mir zwischendurch ein paar deutliche Längen. Hier hatte ich mir – auch angesichts der Covergestaltung - etwas mehr erhofft.

Die überraschende Auflösung kommt sehr schnell und war (für mich) nicht vorhersehbar. Hier fehlen ein paar Erklärungen, denn für mich bleiben durchaus Fragen hinsichtlich der Plausibilität offen. Ich will nicht sagen, das Ende wäre an den Haaren herbeigezogen, aber so wirklich schlüssig finde ich es auch nicht.

Insgesamt halte ich das Buch durchaus für lesenswert. Es ist weniger ein Thriller sondern gleicht eher einer Sozialstudie im Rahmen der Aufklärung eines mutmaßlichen Gewaltverbrechens. Wer also nicht unbedingt auf Action aus ist, kann mit diesem Buch ein paar unterhaltsame Stunden verbringen. Wenn man es nicht liest, verpasst man allerdings auch nicht wirklich etwas.

Bewertung vom 16.05.2021
Hauskonzert
Levit, Igor;Zinnecker, Florian

Hauskonzert


weniger gut

Zu viel Pianist, zu wenig Persönlichkeit

Für „Hauskonzert“ begleitet der Journalist Florian Zinnecker den Pianisten Igor Levit durch die Konzertsaison 2019/20. Das Buch ist keine Biografie, sondern soll als Porträt vielmehr aufzeigen, was Igor Levit antreibt, woher seine Energie, Vehemenz und seine Ungeduld rühren und wo ihn sein zukünftiger Weg hinführt. Dementsprechend hatte ich wenig Abhandlungen über seine Musik und mehr tiefergehende Einblicke in die Persönlichkeit Levits erwartet.

Ich hatte bis zu diesem Buch noch nie von Igor Levit gehört, habe allerdings auch kein tiefergehendes Interesse an jedweder Form von klassischer Musik. Doch um das Porträt oder die Biographie eines Menschen zu lesen, muss man sich in der Regel nicht in dem Metier der porträtierten Person auskennen. Hier allerdings wird dem musikalischen Teil sehr viel Platz eingeräumt. Für mich als Laien ging es dabei häufig zu sehr ins Detail und ich fand diese Passagen entsprechend oft langatmig und anstrengend. Erschwerend kamen noch die vielen Zeit- und Themensprünge hinzu, die dem Lesefluss ebenfalls nicht zuträglich waren.

Interessant waren die Einblicke in den Werdegang und das Leben eines Pianisten. Man erahnt die körperlichen Anstrengungen, die damit einhergehen, man versteht, dass jede Note, jede Phrase verschieden interpretiert und gespielt werden kann und das zu Erfolg nicht nur Talent und Fleiß gehören, sondern auch etwas Glück und wohlwollende Fachjournalisten.

Igor Levit scheint Klavierstücke auf eine eher ungewöhnliche Weise zu interpretieren. Das stößt vor allem zu Beginn seines Schaffens nicht immer auf Wohlwollen – scheinbar nicht ohne Folgen für Levits Selbstbewusstsein. In mir ist das Bild eines ständig an sich und seiner Umwelt zweifelnden Mannes entstanden, der nur wenige Menschen an sich ranlässt und trotz seiner Erfolge unzufrieden und rastlos durch sein Leben zieht. Insgesamt scheint Igor Levit ein vielseitig interessiert Mensch zu sein, der sich allein mit seiner Musik als Lebensinhalt nicht zufriedengeben kann. Doch leider erfährt man nicht wirklich viel über die Person hinter dem Pianisten. Laut Klappentext erhebt Igor Levit seine Stimme für Demokratie und gegen Unrecht, Rassismus, Antisemitismus und generell Menschenhass. Diese Seite seiner Persönlichkeit wird allerdings nur angerissen und meines Erachtens stellenweise sogar stark auf seine jüdische Herkunft reduziert.

Das Buch verschenkt auch Potential, indem es Levit hauptsächlich aus der distanizierten, beobachtenden Position des Musikjournalisten Zinnackers charakterisiert, der sich auch gern mal in die Beschreibung der einzelnen Musikstücke verliert. Igor Levit und sein persönliches Umfeld hätten gern öfter selbst zu Wort kommen können.

Zusammenfassend muss ich sagen, dass ich mich mit dem Buch sehr schwergetan habe. Die Erwartungen, die der Klappentext geweckt hat, wurden kaum erfüllt, die dort aufgeworfenen Fragen nicht beantwortet. Ich kann aus dem Buch kaum etwas entnehmen, mir fehlt es schlicht an greifbaren Inhalt.

Bewertung vom 25.04.2021
Der Abstinent
McGuire, Ian

Der Abstinent


weniger gut

Es mangelt in jeder Hinsicht an Tiefgang

1867, der irische Polizist James O´Connor wird nach dem Tod seiner Frau als trockener Alkoholiker nach Manchester versetzt. Dort soll er die „Fenians“ ausspionieren, eine Gruppe militanter irischer Unabhängigkeitskämpfer. Als drei dieser Männer hingerichtet werden, sinnen die Fenians unter Führung des irischstämmigen Amerikaners Stephen Doyle auf Rache. Nachdem O´Connors erster Spitzel bereits ermordet wurde, wird nun sein Neffe von der englischen Polizei genötigt, sich als Spion bei den Fenians einzuschleusen. Er liefert auch die entscheidende Information, die einen Anschlag verhindert, aber ein Polizist verliert trotzdem sein Leben. Während O´Connor dafür unberechtigter Weise im finstersten Gefängnisloch festgehalten wird, wird sein Neffe enttarnt und getötet. Nach seiner Entlassung schwört O´Connor Rache und folgt dem inzwischen in seine Heimat zurückgekehrten Doyle nach Amerika.

Man steigt ohne große Einführung sofort in die Handlung ein und das macht es Anfangs etwas unübersichtlich. Ich brauchte einige Seiten, um die einzelnen Personen hinsichtlich ihrer Beziehung zu O´Connor und ihrer politischen bzw. gesellschaftlichen Stellung einzuordnen. Sehr viel einfacher war es, die düstere Grundstimmung des Buches zu erfassen. Der Autor beschreibt die damaligen Lebensumstände und vorherrschenden Probleme und Konflikte sprachlich sehr überzeugend.

Leider war das aber auch das Einzige, was mich an dem Buch überzeugt hat. Aufgrund des Klappentextes hatte ich nicht erwartet, dass der irische Unabhängigkeitskampf selbst großartig thematisiert wird, sondern lediglich als Aufhänger für den Kampf zwischen O´Connor und Doyle dient. Ich hatte eher mit einer persönlich gefärbten Fehde zwischen den beiden gerechnet. Doch weder hat sich Doyle wie angekündigt ernsthaft an O´Connors ‚Fersen geheftet‘, sondern ist nach Amerika geflohen, noch konnte ich einen „erbitterten Kampf“ zwischen beiden feststellen. Das ist schade, denn dem Buch hätte die konsequente Verfolgung einer Erzählrichtung gutgetan – entweder durch Vertiefung in Richtung des politischen Konfliktes oder durch die Herausarbeitung einer echten Feindschaft zwischen O´Connor und Doyle. Beides hätte ein spannendes Setting schaffen können, so aber dümpelt die Geschichte nur vor sich hin.

Zu viele Sachen werden angerisssen und dann wieder fallengelassen: die Hinrichtung der drei Fenians, O´Connors Beziehungen zu den Menschen in seinem Umfeld wie Rose, Michael und Fazackerley, seine Alkoholsucht, das geplante Attentat – um nur einige zu nennen. Nichts wird wirklich vertieft, das Buch kratzt von Anfang bis Ende immer nur an der Oberfläche und das geht zu Lasten der Spannung. Ich hatte zu keiner Zeit Probleme, das Buch aus der Hand zu legen und habe auch nie das Bedürfnis verspürt, unbedingt weiterlesen zu wollen.

Auf der Ebene der handelnden Personen wird es leider nicht besser. Sie werden beschrieben, ihnen werden Eigenschaften zugeordnet und ab und an erfährt man auch etwas aus ihrer Vergangenheit. Doch es gelingt dem Autor nicht, vielschichtige Persönlichkeiten mit Tiefgang zu erschaffen, mit denen man sich identifizieren kann, die Emotionen wecken. Da hilft auch der Rückfall von O´Connor in seine Alkoholsucht nicht, die eher rüberkommt wie eine vorübergehende Grippe als wie eine Reaktion auf eine emotionale Überforderung.

Das alles wäre noch halbwegs verzeihlich und hätte für eine durchschnittliche Bewertung gereicht, aber das Ende des Buches war für mich die Krönung – im negativen Sinn. Wer hier auf einen Showdown hofft, wird maßlos enttäuscht werden. O´Connor folgt Doyle nach Amerika, findet seinen Aufenthaltsort heraus und geht wieder ohne ihm überhaupt persönlich zu begegnen – die tieferen Beweggründe bleiben wieder einmal im Dunkeln. Was danach passiert, wird von einem schnell noch in die Geschichte eingefügten Schützling von O´Connor „erzählt“. Ein abstrus anmutendes Ende, das mich zu einer weiteren Abwertung veran

Bewertung vom 10.04.2021
Gefangen und frei
Sheff, David

Gefangen und frei


gut

Distanzierte Betrachtung einer beeindruckenden Wandlung


Mit 19 Jahren wird der Afroamerikaner Jarvis Jay Masters wegen zahlreicher Gewaltverbrechen zu 20 Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis schließt er sich einer Gang an. Als ein Mitglied dieser Gang einen Wärter ermordet, wird Jarvis wegen Beihilfe angeklagt und noch während der Verhandlung in Isolationshaft verlegt. Für den Prozess wird die junge Kriminalistin Melody Ermachild von der Verteidigung damit beauftragt, zu dokumentieren, wie Masters aufwuchs. Aufgrund zerrütteter Familienverhältnisse hatte er seine Kindheit und Jugend in verschiedenen Pflegefamiien verbringen müssen. In dieser Zeit war er fast durchgehend mit Armut und Gewalt konfrontiert. Die Verteidigung hatte gehofft, mit Offenlegung seines sozialen Hintergrundes die Todesstrafe von Masters abwenden zu können. Da dieser aber, dem Ehrenkodex der Gang folgend, nicht gegen das mutmaßlich schuldige Gangmitglied aussagt, wird er zum Tode verurteilt.

Nach einem schwierigen Start fasst Jarvis langsam Vertrauen zu Melody. Um seiner Ängste und Gefühle hinsichtlich des Ausgangs der Verhandlung Herr zu werden, rät sie ihm zur Meditation. Sie ist es auch, die ihn an das Schreiben als ein Mittel zur Vergangenheitsbewältigung heranführt.
Im Laufe des Buches begleitet man Jarvis Jay Masters auf seinem Weg vom Gewaltverbrecher hin zu einem praktizierenden Buddhisten. Dieser Weg ist gekennzeichnet von Selbstzweifeln und Rückschlägen aber auch von einer unglaublichen Stärke. Vielleicht hätte Masters in der Einsamkeit der Isolationshaft bald aufgegeben, aber er erhielt fortwährend Unterstützung von außen. Nicht nur Melody Ermachild stand ihm auf seinem Weg zur Seite, sondern auch andere Mitglieder der buddhistischen Religionsgemeinschaft, so unter anderem die bekannte Buddhistin Pema Chödrön. Seine Erkenntnisse nutzt Masters nicht nur für sich, sondern versucht auch, Mitinsassen helfend zur Seite zu stehen und antwortet u. a. auf Hilferufe, die ihn per Post von außen erreichen.

Trotz mehrmaliger Versuche während seiner 30 Jahre Gefangenschaft gelang es nie, seine Todesstrafe in einem Haftstraße umzuwandeln oder gar einen Freispruch für die Mordanklage zu erreichen. Jarvis Jay Masters ist nach wie vor physisch ein Gefangener, aber der Buddhismus und das Schreiben haben ihm geholfen, sich mit seiner Vergangenheit, seinen Taten aber auch seinen Ängsten und Gefühlen auseinanderzusetzen und mit sich selbst in Reine zu kommen und so zumindest innerlich frei zu sein.

Der Autor David Sheff ist kein Buddhist, vielleicht ist seine Schreibweise deshalb größtenteils sehr distanziert und nüchtern. Dabei geht es um die tiefgreifende persönliche Entwicklung eines Menschens verbunden mit einer Achterbahn der Gefühle aus Hoffnung, Enttäuschung, Scham, Schmerz und Liebe, um nur einige zu nennen. Als jemand, der sich mit Buddhismus nicht auskennt, fiel es mir schwer, die Entwicklung von Jarvis wirklich zu begreifen. Zu widrig erscheinen mir seine Ausgangslage vor seiner Verhaftung und seine Situation im Gefängnis. Hier wären Erläuterungen aus einer buddhistischen Sichtweise heraus sicherlich hilfreich gewesen.

Ich habe mich auch gefragt, warum Masters seine Geschichte nicht selbst aufgeschrieben hat, denn wer könnte tiefere Einblicke in seine Gefühlswelt geben als der Protagonist selbst? Zumal er selbst Autor ist und bereits Gedichte, Kurzgeschichten, Artikel und sogar zwei Bücher verfasst und veröffentlicht hat. Doch vielleicht war es eine Frage der Glaubwürdigkeit. Trotz mehrerer Ungereimheiten wurde die Frage nach Masters Unschuld bisher nie abschließend geklärt. Mit David Sheff wird seine überaus beeindruckende Geschichte nun von einem Autor mit einem neutralen Blickwinkel auf die Ereignisse erzählt und bietet somit deutlich weniger Angriffsfläche für Zweifel an deren Wahrheitsgehalt.

Insgesamt ein lesenswertes Buch, das durch die sachlich distanzierte Schreibweise des Autors sehr viel Potential verschenkt.

Bewertung vom 28.03.2021
Der gekaufte Tod
Mack Jones, Stephen

Der gekaufte Tod


sehr gut

Gelungener Auftakt der Detroit-Krimi Reihe

August Snow war Polizist in Detroit, bis er gegen korrupte Teile des Staatsapparates und damit auch gegen einige Kollegen aussagte. Mit seiner millionenschweren Entschädigung reist er nach dem Prozess durch die Welt, kehrt aber bereits nach einem Jahr zurück nach Mexicantown. In dem vernachlässigten Stadtteil von Detroit verbrachte er seine Kindheit und renoviert nun dort heruntergekommene Häuser, um sie anschließend preiswert an Einwohner des Viertels zu vermieten.

Seine Rückkehr bleibt nicht unbemerkt und es wird offensichtlich, dass er unter seinen Ex-Kollegen mehr Feinde als Freunde hat. Doch nicht nur die Polizei zeigt Interesse an seiner Person, sondern auch Eleonore Paget, Erbin eines kleinen Privatbankimperiums. August hatte in seiner Zeit als Cop zum Selbstmord ihres Mannes ermittelt und nun bittet sie ihn um Hilfe wegen Unstimmigkeiten in ihrer Bank.

Snow lehnt es ab, für Paget zu ermitteln. Doch als sie kurze Zeit später tot aufgefunden wird, erwacht sein Spürinstinkt. Zur Seite stehen ihm dabei alte und neue Freunde und u. a. ein Hacker und eine FBI-Agentin. Die Zusammenarbeit verläuft nicht immer ganz freiwillig oder zur Zufriedenheit und zum Wohl aller Beteiligten. Im Großen und Ganzen wird der Fall aber gelöst. Doch wie es sich für den Auftakt einer Reihe gehört, bleiben am Ende Fragen offen und neue Feinde werden definiert. Bleibt zu hoffen, dass der Tropen-Verlag zeitnah auch den zweiten und dritten Band herausgibt, denn ich fand das Buch durchaus lesenswert.

Die einzelnen Charaktere sind hervorragend ausgearbeit und fügen sich gut in die Story ein. Die Charakterisierung von August Snow bedient zwar einige Klischees für private Ermittler u. a. hinsichtlich Beziehungsstatus, Alkohol und seiner problematischen beruflichen Vergangenheit. Nichtsdestotrotz ist es dem Autor gelungen, einen facettenreichen Protagonisten zu erschaffen: Auf der einen Seite den harten Ex-Marine und Ex-Cop - strategisch, klug und unbeirrbar, bereit, für seine Überzeugungen und die ihm nahesstehenden Menschen bis aufs Äußerste zu gehen und auch vor Gewalt nicht zurückzuschrecken. Und dann ist da noch der großherzige Wohltäter Snow. Geleitet von seinem inneren moralischen Kompass, der maßgeblich durch seine Eltern geprägt wurde, hilft er seinen Mitmenschen zumeist uneigennützig und versucht, Vorurteile aufzulösen, Menschen zusammenzubringen und ihnen Perspektiven für Ihre Zukunft zu bieten.

Mit seinen afroamerikanisch-mexikanischen Wurzeln steht Snow aber auch für die Zerissenheit der Kulturen und Ethnien, von der Detroit – vermutlich stellvertretend für die gesamten USA - gezeichnet ist. So gibt der Autor diesem Thema in seinem Buch relativ viel Raum und übt recht offensichtlich Kritik an der amerikanischen Gesellschaft. Menschen mit heller Hautfarbe kommen dabei nicht unbedingt gut weg. Von dem einen oder anderen könnten die einzelnen Passagen deshalb vielleicht als übertrieben und überzeichnet wahrgenommen werden. Als Außenstehende ist es schwer zu beurteilen, wie stark der Rassenhass in Amerika oder auch anderswo ausgeprägt ist und wie er sich tatsächlich auf die Betroffenen auswirkt. Deshalb tue ich mich persönlich schwer damit, ein abschließendes Urteil darüber zu fällen, wie nah dieses Buch hier an der Realität ist. Fakt ist aber, dass die Hautfarbe bzw. ethnische Herkunft leider immer noch nicht egal ist und fast überall noch eine Rolle spielt…

Das ganze Buch wird von einem lebendigen Schreibstil mit Liebe zum Detail getragen. Die teils schnoddrigen, flapsigen Dialoge werden mit einer angenehmen Prise Humor und Sarkasmus gewürzt. Zwischen Spannung und Gewalt finden sich auch immer wieder die leisen zwischenmenschlichen Töne, sodass es nie wirklich langweilig wird. Die Handlung selbst ist in vielen Teilen glaubwürdig und vor allem wenig vorhersehbar.


Fazit: Sicher nicht der Krimi des Jahrhunderts aber durchaus lesenswert. Insofern freue ich mich auf weitere Teile

Bewertung vom 21.03.2021
Sie haben mich nicht gekriegt
Kucher, Felix

Sie haben mich nicht gekriegt


gut

Wo ist die souveräne Verknüpfung der zwei Lebenswege?

„Souverän verknüpft Felix Kucher die sehr unterschiedlichen Lebenswege zweier Frauen, die jede auf ihre Art dem Faschismus überzeugend entgegentreten.“ Diesen Satz, der dem KLAPPENTEXT entnommen ist, habe ich so oder ähnlich in einigen anderen Rezensionen gelesen. Leider kann ich dieser Aussage, die vorab einige Erwartungen bei mir geweckt hatte, nicht zustimmen.

Das Buch beschreibt die Lebenswege zweier Frauen während der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Italienerin Tina Modotti stammt aus einer armen Arbeiterfamilie. Einen Teil ihrer Kindheit verbringt sie in Klagenfurt. Nach ihrer Rückkehr nach Italien bricht sie die Schule ab und sichert mit ihrem Fabriklohn das Überleben ihrer Familie. Später folgt sie ihrem Vater nach Amerika, wo sie unter anderem als Weberin, Schauspielerin und Model arbeitet. Anfang der 20er-Jahre folgt sie ihrem Mann nach Mexiko, wo ihrer Karierre sowohl als Fotografin als auch als Revolutionärin beginnt. Ihr Weg führt sie dabei u. a. nach Berlin, Leningrad, Paris und schlussendlich zurück nach Mexiko. Zeit ihres Lebens setzt sie sich für die kommunistische Idee ein.

Ganz anders die jüdische Marie Rosenberg aus Fürth. Sie will Ärztin werden, gibt aber letztendlich dem Wunsch des Vaters nach und übernimmt die elterliche Buchhandlung. Bis zuletzt hofft sie, dass es sich bei dem offen gelebten Judenhass um eine vorübergehende Erscheinung handelt. Buchstäblich in letzter Sekunde flüchtet sie 1939 nach New York und fungiert kurzerhand ihre kleine Wohnung eine Buchhandlung um. Mit viel Fleiß und Durchhaltevermögen schafft sie es, in den Vereinigten Staaten zu der Institution für deutschsprachige Literatur zu werden.

Die geschilderten Schicksale beider Frauen beruhen auf Überlieferungen aus ihren echten Leben, zwischen denen es keinerlei Berührungspunkte gab. Auch im Buch von Felix Kucher lernen sich die beiden Frauen nie kennen. Aktuell werden viele Romane veröffentlicht, deren Handlung auf mehreren Erzählebenen abläuft. Doch immer finden diese Ebenen irgendwie zusammen und haben einen echten Bezug zueinander. In diesem Buch werden dagegen zwei paralell ablaufende, aber völlig voneinerander unabhängige Geschichten erzählt. Es werden zwar drei Momente geschildert, in denen vielleicht die Möglichkeit eines Kennenlernens bestanden hätte. Von der eingangs erwähnten „souveränen Verknüpfung“ kann aber meines Erachtens keine Rede sein. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, die Geschichten der beiden Frauen getrennt voneinander zu veröffentlichen.

Während ich am Anfang des Buches noch ganz gespannt war, wie das Leben der Frauen verlaufen würde, ließ mein Interesse im Verlauf immer mehr nach. Gerade die vielen Dialoge über Revolution, Kunst und Philosophie in Tinas Geschichte empfand ich teilweise als recht langatmig. Dabei hätte ihr Leben so viel mehr interessanten Lesestoff hergegeben. Durch den ständigen Wechsel zwischen Tina und Marie kam ich leider auch nie richtig in einen Lesefluss. Kaum hatte ich mich in die Geschichte von Tina eingelesen, musste ich mich – teilweise nach gerade einmal 2 Seiten – wieder auf Marie einstellen und andersherum. Mit ein paar mehr Seiten vor jedem Wechsel hätte ich vielleicht eine Beziehung zu den Protagonistinnen aufbauen können. So aber war es nur ein Lesen ohne wirklich in die Geschichten einzutauchen.

Schade finde ich auch, dass es keinerlei Anmerkungen des Autors gibt, inwieweit er Fakten mit fiktionalen Elementen gemischt hat. Eine kurze entsprechende Zusammenfassung hätte das Buch wunderbar abgerundet.
Dies war mein erstes Buch von Felix Kucher und leider bin ich damit nicht so richtig warm geworden. Allerdings hat mir sein Schreibstil sehr gut gefallen und die einzelnen Charaktere waren gut herausgearbeitet. Ich könnte mir durchaus vorstellen, mich noch an einem anderen Buch des Autors zu versuchen.

Bewertung vom 07.03.2021
Die dritte Frau
Fleischhauer, Wolfram

Die dritte Frau


gut

Von zwei Geschichten ist eine zu viel

Der Roman „Die dritte Frau“ verknüpft historische Geschehnisse aus der Epoche des französischen Königs Heinrich IV. mit einer Liebesgeschichte in der Gegenwart. Der namentlich unbekannte Ich-Erzähler ist Autor und will eine Fortsetzung zu seinem Erstlingswerk schreiben, dass von einem im Louvre ausgestellten Porträt zweier Damen in erotisch gewagter Pose handelte. Der Autor hatte damals versucht, die Hintergründe zu ebenjenem Porträt zu enträtseln. In einem Leserbrief wurde ihm auf recht arrogante Art und Weise die Überarbeitung dieses Werks nahegelegt und der Verfasser des Briefes lud ihn nach Südfrankreich ein, um ihm seine Sicht der Dinge auf die historischen Personen seiner Familie darzulegen.

Erst sehr viel später nimmt der Autor Kontakt auf. Der Verfasser des Briefes ist inzwischen verstorben, doch er trifft auf dessen Nichte Camille Balzac d‘Entragues, die zu den Nachfahren einer der abgebildeten Frauen gehört. Anfangs nur getrieben von dem Verlangen, an das historische Material zur Fortsetzung seines ersten Romans zu gelangen, verfällt der Autor nach und nach der Faszination der geheimnisvollen Camille. Es entwickelt sich ein gefährliches Spiel zwischen beiden, bei dem er letztlich den Kürzeren zieht.

Wolfram Fleischhauer kann wirklich virtuos mit Worten umgehen. Seine Beschreibungen sind präzise und anschaulich, ohne langen Schachtelsätze oder andere Stilmittel, die den Lesefluss unterbrechen. Lediglich die Zitate und Übersetzungen der fremdsprachigen Originalbelege, die teilweise sogar abgebildet sind, empfand ich als störend.

Der Roman spielt in zwei Zeitebenen: In der Gegenwart recherchieren der Autor und Camille zu dem Gemälde, die historischen Fakten sind in einer Erzählebene in der Vergangenheit verpackt. Beides in Kombination birgt viel Potential, das hier leider zum Teil ungenutzt blieb. Es gelingt Wolfram Fleischhauer nicht, die Zeitebenen so miteinander zu verbinden, dass sich eine Spannungs- und Erwartungshaltung aufbaut. Zu wenig sind die Ebenen miteinander verwoben, zu ungleichmäßig sind sie über die Länge des Buches verteilt.

Die historischen Ebene nimmtzu Beginn des Buches (zu) viel Raum ein. Die Beziehungen zwischen den Personen sind sehr komplex und der Einstieg fiel mir recht schwer. Ein kurzer historischer Abriss zu dieser Zeit wäre hier hilfreich gewesen. Die historische Erzählebene endet ziemlich abrupt im zweiten Teil des Buches zugunsten der ungesunden Beziehung zwischen dem Erzähler und der undurchsichtigen Camille. Trotz einiger unerwartete Wendungen, wurde es nie richtig spannend. Zu aufgesetzt und unstimmig wirkte die ganze Handlung. Auch die philosophisch-intellektuellen Gespräche erschienen mir zu konstruiert.

Die beiden Protagonisten der Gegenwart sind mir nicht sonderlich sympathisch. Die ständigen Grübeleien des Autors und sein inkonsequentes Verhalten gegenüber Camille sind als Charakter genauso wenig überzeugend wie das sprunghafte Verhalten der unnahbaren Camille selbst.
Verwirrend fand ich zudem die vielen Parallelen zwischen dem namenlosen Autor in der Geschichte und des Autors W. Fleischhauer, der die Geschichte verfasst hat. Der Name des Erstlings „La Ligne Pourpre“ bzw. „Die Purpurlinie“ gleicht sich genauso wie einige persönliche Fakten.

Sprachlich wirklich gut gelungen, lässt mich der Roman trotzdem ratlos zurück und ich frage ich mich, an wen er sich richtet. Es ist weder ein Krimi noch eine richtige Liebesgeschichte und auch einem historischen Roman wird er nicht gerecht. Auf die Geschichte in der Gegenwart hätte ich gut verzichten können. Stattdessen hätte ich lieber einen ausschließlich historischen Roman zur Entstehung des Gemäldes „Gabrielle d’Estrées und eine ihrer Schwestern“ gelesen.

Bewertung vom 01.03.2021
Der Zirkus von Girifalco
Dara, Domenico

Der Zirkus von Girifalco


gut

Zu viele Charaktere verderben die Poesie

Nach seinem ersten Buch „Der Postbote von Girifalco“ entführt uns Autor Domenico Dara mit „Der Zirkus von Girifalco“ erneut in sein Heimatdorf in Kalabrien, Italien. Diesmal ist es nicht der Postbote, sondern ein Zirkus, der das Leben der Dorfbewohner, zum Teil sehr nachhaltig, beeinflusst. Doch es ist nicht der eine Zirkus, der jedes Jahr um die gleiche Zeit im Dorf gastiert. Der ist zum üblichen Datum einfach nicht aufgetaucht. Dafür hat sich ein anderer, unbekannter Zirkus nach Girifalco verirrt, die Einladung zum Bleiben angenommen und so zu einem überaus denkwürdigen Sommer für die Bewohner von Girifalco beigetragen.

Das Buch ist keine leichte Lektüre. Es beginnt mit den wenig einprägsamen und nicht immer einfach zu lesenden Namen der Dorfbewohner, die mich anfangs immer mal wieder ins Stocken gebracht haben. Hinzu kommen die überaus poetische, märchenhafte Sprache und die vielen philosophisch anmutenden Formulierungen und Fragestellungen. Es ist ein Buch, das Zeit braucht, damit man das Geschriebene verarbeiten und auf sich wirken lassen kann. Die Geschichten der Dorfbewohner verstecken sich manchmal regelrecht unter der bildgewaltigen, atmosphärischen und ausufernden Sprache von Domenico Dara und man muss sich konzentrieren, um den roten Faden nicht zu verlieren.

Oder sollte ich sagen, DIE roten Fäden? Denn es sind viele Geschichten, die erzählt werden - für mich etwas zu viele. Es gibt nicht den einen Protagonisten, keinem Dorfbewohner wird auffällig mehr Raum im Buch gewährt als allen anderen. Die einzelnen Schicksale sind mal mehr, mal weniger miteinander verwoben. Die einzelnen Verstrickungen werden nach und nach aufgedeckt und manchmal ist es schwer, den Überblick zu behalten. Nach jedem Kapitel wird zu einer anderen Geschichte, einer anderen Person gewechselt und dabei sind die Kapitel häufig nur 2-3 Seiten lang. Gerade am Anfang habe ich manchmal einen Moment gebraucht, um mich daran zu erinnern, für welche Eigenschaften und welche Geschichte der jeweilige Charakter stand. Das detaillierte Verzeichnis zu den agierenden Personen am Ende des Buches wäre wirklich hilfreich gewesen, wenn ich denn davon gewusst hätte. Leider findet sich auf den ersten Seiten keinerlei Hinweis zu diesem Verzeichnis und so habe ich es erst gefunden, als ich mit lesen fertig war.

Ein fester Handlungsstrang, um den sich weitere Nebengeschichten aufbauen, fehlt in diesem Buch vollständig. Stattdessen setzt sich aus den vielen einzelnen Erzählsträngen einem Mosaik gleich ein Gesamtbild zusammen von den Bewohnern Girifalcos und all ihren Wünschen, Sehnsüchten und Träumen, ihren Sorgen und Nöten und ihren guten Taten genauso wie ihren Fehlern und Verfehlungen. Girifalco gleicht einem Mikrokosmos, der das Leben der großen weiten Welt mit all seinen Facetten in kleinem Maßstab widerspiegelt.

Viele der der im Verlauf des Buches offenbarten Wünschen und Sehnsüchte erfüllen sich, allerdings nicht immer so, wie ich mir das ausgemalt hatte. Hier trafen meine eher romatischen Vorstellungen eines rosaroten Happy Ends auf teilweise recht pragmatische aber wohl auch deutlich realistischere „Lösungen“, die für den einen oder anderen Betroffenen aber durchaus zu einem glücklicheren Dasein beitragen dürften.

Wer bei „Der Zirkus von Girifalco“ hochgradige Spannung erwartet, wird enttäuscht. Es ist eher ein Buch der leisen Töne und unter anderem für jeden zu empfehlen, der in Poesie aufgehen und sich in philosophischen Denkansätzen verlieren kann und der der Anziehungskraft von Märchen auch im Erwachsenenalter weder entfliehen kann noch will.

Bewertung vom 21.02.2021
Das achte Kind
Grabovac, Alem

Das achte Kind


gut

Interessant aber unvollständig

„Das achte Kind“ erzählt die autofiktive Geschichte von Alem Grabovacz. Er beschreibt das ärmliche Leben seiner Mutter im damaligen Jugoslawien, ihren Weg nach Deutschland und die damit verbundenen Sehnsüchte nach einem besseren Leben. Nach der Geburt ihres Sohnes zwingen ihre Lebensumstände als Gastarbeiterin sie, ihren Sohn in eine deutsche Pflegefamilie zu geben. Nur so kann sie seine angemessene Betreuung garantieren und ihn vor seinem zwielichtigen Vater schützen. Was als vorübergehende Notlösung gedacht war, entwickelt sich zu einem Dauerzustand. Und so begleitet man Alem Grabovacz bei seinem Aufwachsen in einer deutschen Pflegefamilie, dass nur durch Wochenendbesuche bei seiner Mutter und dem jährlichen Urlaub bei ihrer Familie in Jugoslawien unterbrochen wird. Längst erwachsen begibt sich Alem dann auf die Suche nach den Spuren seines leiblichen Vaters.


Alem Grabovacs Kindheit war für unsere Verhältnisse definitiv ungewöhnlich, herausfordernd und schwierig. Er war ein Wanderer zwischen zwei Kulturen und Welten, die sich kaum vereinbaren ließen. Zum einen das wohlbehütete Aufwachsen in einer deutschen, kleinbürgerlichen Pflegefamilie – das erst relativ spät getrübt wird durch die rechte Gesinnung des Pflegevaters. Zum anderen das Leben mit seiner Mutter und ihrem gewalttätigen Freund, von der er sich, auch bedingt durch zu wenig gemeinsame Zeit, immer mehr zu entfremden scheint.

Natürlich ist es traurig, wenn ein Kind nicht bei seinen Eltern aufwächst. Aber vermutlich haben sich ihm durch sein Leben in einer deutschen Pflegefamilie auch Chancen eröffnet, die ihm in einem Leben bei seiner Mutter und ihrem Freund verwehrt geblieben wären. Und diese Chancen hat er genutzt, hat in Deutschland und Großbritannien studiert, eine Familie gegründet und arbeitet als freier Autor und Journalist.

Leider ist diese Entwicklung nicht mehr Bestandteil des Buches und für mich blieben viele Fragen offen. Ein paar Seiten über den weiteren Weg von Alem Grabovac hätten das Buch hervorragend abgerundet. Oder bin ich die Einzige, die sich am Ende des Buches gefragt hat, was aus ihm geworden ist – privat und beruflich, wie sich sein Verhältnis zu seiner Mutter entwickelt hat, ob er noch Kontakt zu seinen Pflegegeschwistern hat, ob seine Mutter ihren Freund noch geheiratet hat oder welchen Einfluss seine Kindheit auf sein heutiges Leben, seine Familie, seine Arbeit hat?


Laut dem Autor handelt es sich bei dem Buch um Autofiktion. Unwillkürlich habe ich mich immer wieder gefragt, wie viel von dem, was ich gerade lese, tatsächlich genauso passiert ist. Was wurde fiktional hinzugefügt und wozu? Um einige Sachen abzuschwächen, die Geschichte abzurunden, Geschehnisse plausibler erscheinen zu lassen? Mir persönlich wären eine rein fiktionale Geschichte oder eine Autobiographie lieber gewesen!

Für mich fühlte sich das Buch an wie ein Hybrid zwischen Roman und Sachbuch. Die Themen wie Migration, Gastarbeiter in Deutschland, Aufwachsen in einer Pflegefamilie oder häusliche Gewalt sind sehr interessant, werden aber lediglich angerissen. Offen bleibt, ob der Autor ganz bewusst darauf verzichtet hat, dem Leser mehr Hintergrundinformationen mit an die Hand zu geben. Es hätte dem Buch auf jedem Fall gutgetan und die gewählte Form des autobiografischen Romans hätte das auch ohne Weiteres zugelassen.

Wer nun dafür aber mehr Tiefgang auf der emotionalen Ebene erwartet, wird ebenfalls enttäuscht. Alem Grabovacz schreibt völlig nüchtern und wertfrei, so distanziert, als würde er das Leben eines anderen dokumentieren. Nun bin ich nicht gerade ein Fan von Gefühlsduselei und Effekthascherei, aber hier wird derart konsequent auf Gefühlsäußerungen, Reflexionen und Wertungen verzichtet, dass ich keinerlei Verbindung zu diesem Buch und seinem Inhalt aufbauen konnte. Mir fehlte einfach eine gewisse persönliche Komponente.
Fazit: Ein an sich gutes und interessantes Buch, dem es mir persönlich aber an Tiefgang mange

Bewertung vom 07.02.2021
Fürchtet uns, wir sind die Zukunft
Oppermann, Lea-Lina

Fürchtet uns, wir sind die Zukunft


weniger gut

Da hatte ich mir mehr erhofft...

Das Cover ist ein Eye-Catcher und der Klappentext klang definiv vielversprechend. Umso enttäuschender fand ich den Inhalt. Die Wandlung des Protagonisten vom zurückhaltenden, bodenständigen Theo hin zu Neo, einem subversiven Element einer Untergrundbewegung der Akademie, geschieht zu schnell und radikal, als dass sie glaubwürdig scheint. Das Gleiche gilt für seinen Weg „zurück“, den er in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit hinlegt und sogar noch über den alten Theo hinauswächst. Wie und wodurch sich sein Verhältnis zur Musik und zum Klavierspielen selbst sowie seine Art zu hören und zu spielen ändern, ist deutlich plausibler und für mich auch der interessantere Teil des Buches. Vielleicht liegt es auch an der Darstellung von Aida, die mir als Charakter völlig überzeichnet und unwirklich erscheint – völlig egal zu welchem Zeitpunkt der Handlung ich sie betrachte.

Sinn oder Botschaft des Buches beziehungsweise der Handlung sind mir nicht ganz klar geworden. Vermutlich kann man es am ehesten als Selbstfindungstrip eines Musikschülers betrachten, für den Aida letztendlich nur die Funktion eines Katalysators innehat.

Obwohl ich weder mit der Handlung noch mit den zwei Protagonisten wirklich warm geworden bin, habe ich das Buch doch relativ schnell durchgelesen. Der Schreibstil empfand ich als leicht und erfrischend. Die relativ kurzen aber ereignisreichen Kapitel ließen nie Langeweile aufkommen.

Alles in allem war das Buch eher nichts für mich, da hatte ich mir von Cover und Klappentext einfach zu viel erhofft. Schade, denn dieser gesellschaftskritische Ansatz im Mikroumfeld der Hochschule hätte so viel mehr Potential gehabt, war aber letztendlich nur Nebensache.

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