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Benutzername: 
Jo
Wohnort: 
Hagen

Bewertungen

Insgesamt 70 Bewertungen
Bewertung vom 19.04.2025
Wo wir uns treffen
Hope, Anna

Wo wir uns treffen


ausgezeichnet

Eine schreckliche Familie

Philip Brooke ist tot. Er war ein Patriarch, der über ein Herrenhaus mit 400 Hektar Land in Sussex herrschte, aber auch über seine Frau Grace und ihre drei Kinder. Allerdings hatte er sich in seinen letzten zehn Lebensjahren verändert, als er zusammen mit seiner ältesten Tochter und Erbin Frannie das Land zu einem Ökoparadies umgebaut hat.
Nun treffen sich alle zur Beerdigung im Familienkreis. Und damit brechen schnell die alten Konflikte wieder auf. Frannie fühlt sich von den Ansprüchen ihrer Geschwister überfordert, der Sohn Milo kreist um sich selbst und seine Pläne für einen Gesundheitscampus für reiche Leute auf dem Grundstück, ihre jüngste Schwester Isa trauert ihrer großen Liebe Jack hinterher und setzt damit ihre Ehe aufs Spiel. Und dann taucht auch noch Clara aus New York auf und überschüttet die Familie mit ihren Erkenntnissen zur Herkunft ihres Reichtums.
Das Buch ist sehr komplex, aber auch sehr intensiv. Als Leser wird man hin und her geschüttelt und ist von Anfang an fasziniert von diesem Kosmos aus Gefühlen und Eindrücken. Wer hat Schuld auf sich geladen? Vererbt sie sich über die Generationen? Wie weit gibt man den Fehlern der Eltern die Schuld für ein misslungenes Leben? Und wo fängt die Selbstverantwortung an? Und kann man auch mit kleinen Maßnahmen die Erde vor dem ökologischen Kollaps für die nächsten Generationen bewahren?
Das Buch lässt viele der Fragen offen und deshalb beschäftigen sie die Leser auch noch nach der Lektüre und hallen lange nach.
Das Buch hat mich auch wegen der wunderbaren Naturbeschreibungen begeistert, man sieht, hört, riecht die Natur fast.
Ein unbedingt lesenswertes Buch, für das ich glatte sechs Sterne vergeben hätte!

Bewertung vom 13.04.2025
Frau im Mond
Jarawan, Pierre

Frau im Mond


sehr gut

Ein Leben voller Geschichten

Alles beginnt mit Fritz Langs Stummfilm "Die Frau im Mond". Als der junge Libanese Maroun ihn sieht, ist er fasziniert von der noch jungen Raketenwissenschaft und experimentiert selbst herum.
Das ist aber nicht alles, was es in diesem prallen Buch zu entdecken gibt. Als Maroun alt ist, erzählt er seiner Enkelin alles über sein Leben im Libanon und in Kanada, über seine Liebe zu seiner Frau Anoush und seine Liebe zu den Raketen.
Marouns Geschichte ist verwoben mit der Lebensgeschichte von Lilith und ihrer Zwillingsschwester Lena und da geht es recht wirr hin und her. Der Autor springt hin und her, man muss aufpassen, dass man den Faden nicht verliert.
Trotzdem hatte ich viel Freude an diesem Buch, denn es ist so voller skurriler, lustiger und trauriger Geschichten, dass man es einfach gern liest. Interessant ist auch die Nummerierung der Kapitel, die wie ein Countdown von 50 auf Null zählen.
Das Buch ist keine simple Lektüre und erfordert viel Aufmerksamkeit, aber dann wird man durch herrliche Abenteuer belohnt!

Bewertung vom 10.04.2025
Wie Risse in der Erde
Hall, Clare Leslie

Wie Risse in der Erde


ausgezeichnet

Großartig!

m Grunde ist es eine typische Geschichte: ein reicher Junge (Gabriel) verliebt sich in ein armes Mädchen (Beth), doch die Mutter hintertreibt die Beziehung und Beth heiratet den einfachen Farmer Frank. So weit, so klischeehaft.
Doch was Clare Leslie Hall aus der Geschichte macht, das ist einfach großartig. Nicht nur baut sie von Anfang an Spannung auf (da gibt es einen Prozess), sondern sie schafft es auch, die Beziehungen zwischen den drei Menschen sensibel und poetisch zu erzählen.
Beth ist zwischen den beiden Männern hin und her gerissen, als Gabriel nach vielen Jahren mit seinem kleinen Sohn in das Dorf zurückkehrt. Sie liebt Frank innig, aber auch Gabriel übt noch immer eine große Faszination auf sie aus. Die immer wieder eingestreuten Ereignisse aus dem Prozess, bei dem man weder den Geschädigten noch den Angeklagten kennt, bringen ein fast unerträgliches Spannungsmoment in den Text.
Sehr zu loben ist auch die hervorragende Übersetzung von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, die immer für Qualität bürgen.
Eines der besten Bücher dieses Jahres!

Bewertung vom 19.03.2025
Die Kurve
Schmidt, Dirk

Die Kurve


gut

Vollgepackt

Die Grundidee ist super, aber an der Ausführung habe ich viel zu kritisieren.
Carl hat eine kleine, diskrete Firma für Dienstleistungen aller (kriminellen) Art. Seine Mitarbeiter sind junge Leute, die er aus seiner Zeit als Sozialarbeiter in der "Kurve" in Herne kennt und die alle spezielle Fähigkeiten mitbringen. Ridley ist höchstbegabt, liebt aber Sex mit Escortgirls, Betty heißt nicht umsonst "FastBetty", weil sie Aufträge so schnell erledigt. Dann gibt es noch Schneider, einen präzisen Killer, und einige Randfiguren.
Nun soll Ridley einen alten Mafioso in Deutschland beschützen und Betty muss herausfinden, wer eine junge Amerikanerin in Berlin umgebracht hat. Carl zieht im Hintergrund die Fäden, gibt Anweisungen und Geld.
Das alles könnte ein wunderbarer Krimi sein, wenn die 270 Seiten nicht so vollgepackt wären. Immer wieder Erinnerungen, Lebensgeschichten, Rückblicke und dazu eine Vielzahl von Figuren, da bleibt eine Menge auf der Strecke, insbesondere der Tiefgang.
Ich fühlte mich beim Lesen immer gehetzt, fragte mich, wer denn diese oder jene Figur schon wieder sei, es ist ein einziges Durcheinander. Viele Abschnitte sind kryptisch, ich wurde daraus nicht richtig schlau. Man fühlt sich wie in einem hektischen, dunklen Film.
Das war kein Buch für mich, vielleicht bin ich für diese Art des Erzählens einfach zu alt.

Bewertung vom 12.03.2025
Heimweh im Paradies
Mittelmeier, Martin

Heimweh im Paradies


gut

Anspruchsvoll

Nachdem Thomas Mann mit seiner Frau Katia aus Deutschland weggegangen war, lebten sie zuerst in Frankreich, dann in der Schweiz, doch als die deutschen Pässe abliefen, fühlte sich das Paar auch dort nicht mehr sicher und siedelte 1938 in die USA über. Dabei war Thomas Mann in einer sehr komfortablen Situation, denn weder litt er finanzielle Nöte noch wurde er in den USA ausgegrenzt. Im Gegenteil, er war eine überall beliebter Redner und wurde mit Ehrungen überhäuft. Sogar einen großen Teil seiner geliebten Möbel konnte er aus der Schweiz nachkommen lassen.
1941 übersiedelte das Paar nach Pacific Palisades, wo auch heute noch die Villa der Manns zu besichtigen ist. Und an diesem Punkt setzt auch das Buch ein, das von den vielen Exilanten an der Westküste berichtet, die sich um Thomas Mann scharen. Lauter bekannte Namen wie Döblin, Max Reinhardt, Hans Eisler, Arnold Schönberg, Theodor W. Adorno und viele andere findet man in diesem Buch.
Man trifft sich und diskutiert, streitet über das Deutschland nach Hitler, eifersüchtelt...
Das alles wird in diesem Buch etwas langatmig und wenig lebendig erzählt. Dabei wird auch klar, dass Thomas Mann ein strenger, selbstbezogener, anspruchsvoller und eitler Mensch war, der es seinen Mitmenschen nicht leicht machte. Das schmälert keineswegs seine Verdienste, aber macht ihn nicht sympathisch.
Das Buch sollte noch einmal auf Fehler hin durchgesehen werden, denn z.B. auf Seite 121 steht ",,, der Bluthund ist Tod", es müsste aber "der Bluthund ist tot" heißen.

Bewertung vom 18.02.2025
Der große Riss
Henríquez, Cristina

Der große Riss


ausgezeichnet

Die Menschen hinter dem Kanal

Der Bau des Panama-Kanals war eine technische Meisterleistung und erspart den Schiffen bis heute den langen Weg rund um Südamerika. Unter welch miserablen Umständen er von Menschen gebaut wurde, das ist längst in Vergessenheit geraten.
Dieses Buch widmet sich aber gerade den Menschen, die in keiner Sonntagsrede aufgetaucht sind und bei der Einweihung am Rande standen.
Viele hatten Hoffnung durch ihre Arbeit am Kanal Geld zu verdienen und ein besseres Leben führen zu können. Manchen gelang das, aber viele Mitarbeiter starben an der schweren Arbeit oder trugen bleibende Schäden davon.
Im Mittelpunkt des Buches stehen Ada, die Geld für die Operation ihrer Schwester auftreiben muss, und Omar, der nicht wie sein Vater Fischer werden will und sich deshalb im Graben verdingt.
Der Graben, der tiefe Riss, geht nicht nur durch das Land Panama, sondern auch durch die Gesellschaft. Da sind die wohlhabenden Amerikaner, die das Sagen bei dem Projekt haben und die Regierung des Landes quasi gekauft haben. Da werden ganze Kleinstädte rücksichtslos umgesiedelt und Menschen wie Sklaven behandelt. Im Gegensatz dazu muss die Landbevölkerung ums Überleben kämpfen und nicht immer geht das gut aus. Besonders schwer haben es die Frauen in dieser patriarchalischen Gesellschaft.
Cristina Henriquez hat allen diesen Menschen in ihrem Buch ein Denkmal gesetzt und das ist gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Situation ihr großer Verdienst.
Das Buch lässt sich gut und flüssig lesen und ist manchmal sehr bewegend. Mir hat es sehr gut gefallen.

Bewertung vom 03.02.2025
Sing mir vom Tod
Pochoda, Ivy

Sing mir vom Tod


weniger gut

Brutal und verwirrend

Ich war sehr gespannt auf diesen hochgelobten Thriller aus den USA und auch die Leseprobe fand ich nicht schlecht, sie hat mich neugierig gemacht.
Es geht um die beiden jungen Frauen Florida und Dios, die beide wegen Gewalttaten im Gefängnis sitzen und wegen der Coronaepidemie vorzeitig auf Bewährung entlassen werden. Im Gefängnis war besonders Dios sehr gewalttätig, hat mindestens eine andere Frau umgebracht und kam ohne Strafe davon, weil die die Mithäftlinge unter Druck setzte. Florida dagegen scheint wenig Schuld auf sich geladen zu haben, doch nach und nach merkt man, dass sie nicht so brav ist wie sie tut. Die Frauen ziehen nach Los Angeles und kommen nicht voneinander los. Als neue Morde geschehen, wird Detective Lobos auf sie angesetzt, die ebenfalls Gewalt erfahren hat.
Das Buch ist kein Thriller im üblichen Sinne, sondern viel mehr die hasserfüllte Geschichte der beiden Frauen. Pochoda erzählt sie aus unterschiedlichen Perspektiven, aber immer in einer harten, brutalen und oft schmutzigen Sprache. Auch bei der Beschreibung der Taten ist sie nicht zimperlich, Schlägereien und andere Gewalt wird ziemlich drastisch dargestellt. Das alles war mit zu viel an Brutalität und mir kamen bei diesen Gewaltorgien die Menschen zu kurz.
Das war eindeutig kein Buch für mich, ich war eher angewidert als begeistert.

Bewertung vom 28.01.2025
In einem Zug
Glattauer, Daniel

In einem Zug


sehr gut

Zugfahrt

Eduard Brünhofer hat einmal sehr erfolgreich Liebesromane geschrieben, doch seit Jahren hat er eine Schreibflaute. Nun muss er zu seinem Verlag nach München fahren, steigt in Wien in den Zug und begegnet dort der Psychotherapeutin Catrin Meyr. Eigentlich will er nur seine Ruhe, doch dann entwickelt sich ein Gespräch zwischen den beiden, bei dem er immer mehr Privates preisgibt.
Brünhofer ist ein interessanter Typ, sehr eitel und von sich überzeugt, aber im Grunde doch unsicher, er giert nach Bestätigung. Die bekommt er aber von Catrin nicht, sie stellt seinen Lebensentwurf massiv in Frage und verwirrt ihn damit.
Das Buch ist gut geschrieben, wie man es von Glattauer nicht anders kennt, aber im Mittelteil hat es Längen, die das Lesen mühsam und zäh werden lassen. Der Schluss dagegen ist sehr überraschend und wirklich gut.
Die intime Situation der beiden im Zugabteil, das sie geschickt gegen Eindringlinge verteidigen, führt zu einer ungewollten Nähe, die die Grenzen des Sagbaren bröckeln lassen und fast aufheben. So kommen sich zwei Fremde näher, als es Brünhofer je für vorstellbar hielt.
ich finde das Buch auf jeden Fall empfehlenswert, das Durchhalten bis zum Schluss lohnt sich.

Bewertung vom 27.01.2025
Wackelkontakt
Haas, Wolf

Wackelkontakt


ausgezeichnet

Wechselstrom
Von diesem Buch hatte ich schon viel gehört und gelesen, konnte mir aber nicht vorstellen, wie Wolf Haas die Geschichte aufgebaut hatte. Nun weiß ich es endlich!
Der Trauerredner Franz Escher liest ein Buch über den Elektriker Elio Russo, der eigentlich ein Mafioso ist, der im Zeugenschutz ist. Und eine im Zeugenschutz befindlicher Mafioso liest ein Buch über einen Trauerredner... Klingt interessant!
Wie beim Wechselstrom springen die beiden Geschichten hin und her und sind dabei so voller Energie, dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann. Hört sich anstrengend an, ist es aber nicht, sondern ein viel zu kurzes Lesevergnügen. Und das ist der literarischen Qualität von Wolf Haas zu verdanken, der das Buch immer auf einem hohen Niveau hält. Dabei ist das Buch so lustig und so traurig wie das Leben, mal locker, mal philosophisch. Seine Spielerei mit Worten besonders zu Beginn, als Elio Deutsch lernt, ist einfach herrlich.
Das Buch hat mir viel Spaß gemacht, obwohl es auch einen ernsten Hintergrund hat. Unbedingt lesenswert!

Bewertung vom 10.01.2025
Die blaue Stunde
Hawkins, Paula

Die blaue Stunde


ausgezeichnet

Großartig

Nach ihrem Tod hat die berühmte Künstlerin Vanessa Chapman alle Werke ihrem ehemaligen Liebhaber hinterlassen, der sie auf seinem großen Anwesen öffentlich ausstellt. James Becker arbeitet dort als Kurator und als eines Tages bei einem der Werke Chapmans ein menschlicher Knochen entdeckt wird, muss er nachforschen, was dahintersteckt und ob es sich um einen Knochen von Chapmans Ehemann handelt, der plötzlich verschwand.
Dafür reist er nach Eris Island, eine einsame Insel, auf der Chapman ihre letzten Lebensjahre verbrachte. Dort trifft er auf die Ärztin Grace, die Chapman bis zu ihrem Tod gepflegt hat und sich als die Bewahrerin ihres Erbes sieht. Konflikte sind vorprogrammiert...
Das Buch beginnt recht idyllisch, doch schnell brechen Konfliktlinien auf, zwischen James und seinem Freund Sebastian, zwischen James und Sebastians Mutter, zwischen Vanessa und Grace. Fast unmerklich wird die Szenerie immer unheimlicher und man lässt sich in den Strudel von Ereignissen ziehen. Welche Rolle spielte Grace wirklich in Vanessas Leben? Hat sie etwas anders gesehen als Vanessa?
Dabei liest sich das Buch leicht und es wird sehr spannend bis zum bitteren Ende.
Einfach großartig!