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Martina Borger
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Lieber Luca (eBook, ePUB)
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Diese Briefe sind für eine rote Keksdose bestimmt und nicht für ihren Adressaten. Denn sonst würde Simone niemals zu Papier bringen, was sie ihnen anvertraut. Die Geschichte einer großen Liebe, einer ebensolchen Kränkung und der Versuch, dem Leben eine neue Wendung zu geben.…mehr
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Lieber Luca
Broschiertes Buch
Diese Briefe sind für eine rote Keksdose bestimmt und nicht für ihren Adressaten. Denn sonst würde Simone niemals zu Papier bringen, was sie ihnen anvertraut. Die Geschichte einer großen Liebe, einer ebensolchen Kränkung und der Versuch, dem Leben eine neue Wendung zu geben.…mehr
10,00 €
© Ali Gülec
Martina Borger
Martina Borger, 1956 geboren, arbeitete als Journalistin, Dramaturgin und Filmkritikerin, bevor sie sich aufs Drehbuchschreiben verlegte. Sie hat bei mehreren Serien als Storylinerin und Chefautorin gearbeitet. Gemeinsam mit Maria Elisabeth Straub veröffentlichte sie zwischen 2001 und 2009 Romane unter dem Label 'Borger & Straub'. Ohne Co-Autorin erschien 2007 ihr Roman 'Lieber Luca'. Martina Borger lebt in München.Kundenbewertungen
Wir holen alles nach
Von Freundschaft und Vertrauen
Das Buch von Martina Borger „Wir holen alles nach“ aus dem Diogenes Verlag erzählt die Geschichte der alleinerziehenden berufstätigen Mutter Sina, die zwar seit kurzer Zeit mit einem neuen Partner zusammenlebt, aber dennoch eine Person sucht, die sich zeitweise um ihren Sohn kümmert. So lernen sich Ellen, Ende sechzig, und der neunjährige Elvis kennen. Sie sind sich sofort sympathisch und da Ellen außer Zeit und Geduld auch noch einen Hund hat, entsteht bald eine tolle Freundschaft zwischen den Beiden. Ellen gibt Nachhilfe in Mathe und Deutsch, gemeinsam machen sie große Spaziergänge mit dem Hund und haben einfach Freude daran, Zeit miteinander zu verbringen. Ellen weiß Elvis mit dem Thema Umweltschutz zu begeistern, und überhaupt ist er interessiert an vielen Dingen. Es macht mir unglaublich viel Spaß, die Beiden zu begleiten und der wunderbar einfühlsame Schreibstil lässt mich nur so durch die Seiten fliegen und die herzerwärmende Geschichte genießen. Doch schon bald spürt Ellen, dass irgendetwas mit Elvis nicht stimmt. Welches Geheimnis umgibt ihn?
Ich habe große Hochachtung vor der Autorin, der es gelingt, meine Gedanken in völlig falsche Richtungen zu lenken, die mir aber gleichzeitig vor Augen führt, dass man sich besser nicht so leicht beeinflussen lassen und vorschnell urteilen sollte. Bis zum Schluss hat mich die Geschichte begeistert, die viele aktuelle Probleme thematisiert, ohne dass es langweilig wird.
Martina Borger – ein Name, den ich mir merken werde!
Wir holen alles nach
Feinfühlige Geschichte mit aktuellen Themen
Sina ist alleinerziehende Mutter des achtjährigen Elvis, hat einen stressigen Job in einer Werbeagentur und ist seit einem Jahr mit ihrem neuen Freund Torsten zusammen, einem trockenen Alkoholiker. Ihr Leben ist turbulent. Sie liebt ihren Sohn sehr, aber leider hat sie nicht genug Zeit für ihn. Zum Glück gibt es Ellen. Sie ist Rentnerin, hat einen Hund als Begleiter und muss genau aufs Geld schauen, weshalb sie in aller Herrgottsfrühe Zeitungen austrägt und am Nachmittag Nachhilfestunden gibt. Als Sina ihr anbietet, Elvis während der Ferien tagsüber zu betreuen und sie natürlich entsprechend zu vergüten, willigt sie ein. Elvis liebt Ellens Hund und schließt auch die alte Dame in sein Herz. Nach einem Wochenendausflug mit Torsten und anschließend einigen Jungs aus der Klasse, kommt er verändert und still zurück. Ellen entdeckt blaue Flecken an seinem Körper und berichtet es Sina, die versucht, der Sache auf den Grund zu gehen, aber Elvis möchte nicht darüber sprechen.
Martina Borger hat in diesem kurzweiligen Buch eine Menge Themen sehr geschickt und glaubhaft untergebracht, unter anderem Altersarmut, Sucht, Mobbing, Vorturteile, Trauer und gesellschaftlichen Druck. Sie führt den Leser über die beiden Erzählstränge von Sina und Ellen in die Handlung ein, gibt Rückblicke in die Vergangenheit der beiden Frauen, um deren Verhalten und Werdegang zu beleuchten und gibt im aktuellen Geschehen beide Sichtweisen wieder, um dem Leser ein umfassendes Gesamtbild zu ermöglichen.
Die Charaktere sind nie eindimensional, weil die Autorin es versteht, negative Züge unterzubringen und die Verdächtigungen um die blauen Flecken in verschiedene Richtungen zu lenken.
Es erstaunt mich, was Martina Borger in 300 Seiten alles unterbringt und wie fantastisch feinfühlig und berührend es ihr gelungen ist. Großes Lob und noch größere Leseempfehlung.
Wir holen alles nach
Zwei Frauen, zwei Generationen - zwei verschiedene Lebensläufe, doch der Zufall will es, dass sich ihre Leben kreuzen und sich durch die jeweils andere verändert.
Die 68jährige verwitwete Ellen ist bereits in Rente, aber diese reicht für den Lebensunterhalt nicht aus, so trägt sie in den frühen Morgenstunden Zeitungen aus und gibt nachmittags Nachhilfeunterricht.
Sina, Anfang 30, geschieden, lebt mit ihrem 8 jährigen Sohn Elvis und ihrem neuen Freund Torsten zusammen. Sie hat einen Vollzeitjob und zu wenig Zeit für Elvis. Als dieser Nachhilfeunterricht benötigt, wird sie auf Ellen aufmerksam, die in ihrer Nachbarschaft wohnt. Ellen hat vor allem eines: viel Zeit und einen Hund, Elvis ist begeistert und geht sehr gerne zu Ellen. Doch dann entdeckt Ellen das Geheimnis von Elvis und steckt selber in einer Zwickmühle. Was ist nun richtig, was ist falsch? Wie soll sie reagieren?
Von Anfang an hat mich diese Geschichte in den Bann gezogen, Autorin Martina Borger hat einen ungemein fesselenden Erzählstil, man fühlt mit, man meint die Protagonisten an seiner Seite zu haben. Die Gedankengänge der Frauen, ihre Erlebnisse, ihre Vergangenheit, ihre gegenwärtige Situation, warum sie so und nicht anders handeln, man kann es nachvollziehen, es wirkt alles sehr authentisch und lebensecht, lebensnah.
Abwechselnd lässt uns die Autorin in die Rolle von Ellen und Sina schlüpfen, nach und nach wird dem Leser mehr offenbart, mehr Nähe zu den Handelnden, mehr an Gefühlen und mehr an Hintergründen. Diese Geschichte hat Martina Borger sehr geschickt und vor allem überaus fesselnd angelegt, so dass mich der Roman sehr berühren konnte.
Die von Anfang an unterschwellige Bedrohung kann man zwischen den Zeilen spüren, so mag man die Lektüre kaum weglegen. Es ist kein dramatisches Buch, es ist ein ruhiger Erzählfluss, aber man fragt sich oft, was hätte man selbst gemacht, wie hätte man selbst reagiert.
Die wechselnden Blickwinkel ergeben eine ungeheure Dichte, man sieht Elvis von zwei Seiten, man erlebt die unterschiedlichen Lebenslagen und Situationen der Frauen, die so unterschiedlich sind, dennoch, Probleme haben beide. Elvis als Bindeglied zwischen beiden schwebt in Gefahr - dieses Gefühl beim Lesen hat mich oft genug bewogen, schnell mal ans Ende zu linsen, was ich natürlich nicht gemacht habe!
Die Lektüre regt definitv zum Nachdenken und zur Reflexion ein, daher gibt es eine klare Leseempfehlung von mir. Es war mal wieder ein ganz besonders Buch aus dem Diogenes Verlag.
Katzenzungen
Diese Geschichte beginnt leicht und unterhaltsam, steigert sich dann im Verlauf zu einer fesselnden, hintergründigen und auch melancholischen Erzählung. Freundschaft, Vertrauen, Loyalität - das alles wird in Frage gestellt. Ein wunderschönes, anspruchsvolles Buch!
Wir holen alles nach
Zwei Frauen, die verschiedener kaum sein könnten. Ellen ist bereits im Ruhestand, mit Zeitungen austragen und Nachhilfeschülern kommt sie gerade so über die Runden. Sie genießt das ruhige Leben, Trubel hatte sie genug und nun ist es Zeit, das Leben so zu gestalten, wie sie es möchte. Sina steckt mit Mitte 30 zwischen den bekannten Polen Karriere in einer Werbeagentur und ihrem Sohn Elvis, dem sie nicht gerecht werden kann, weil ihr Job und auch die neue Beziehung regelrechte Zeitfresser sind. Als Elvis bei Ellen die Nachhilfe beginnt, ist dies der Anfang einer ungewöhnlichen Freundschaft. Der zurückhaltende Junge blüht bei der agilen Seniorin auf, lernt einen anderen Blick auf die Welt und ist vor allem von Ellens Hund restlos angetan.
Martina Borgers Roman ist eine ruhige Geschichte über die unscheinbaren, völlig normalen Menschen, die nicht im Mittelpunkt stehen (wollen), aber durchaus aufmerksam die Welt um sich herum beobachten. Die unaufgeregte Erzählweise öffnet den Raum für die vielen Zweifel, die die Figuren in ihrem Alltag begleiten, nicht zwingend die ganz großen Tragödien und Ereignisse, sondern die Kleinigkeiten, die an ihnen nagen und sie belasten. Man kann ihre Gedanken leicht nachvollziehen, spiegeln sie doch das wieder, was viele aus ihrem eigenen Leben kennen. Und trotz all dieser fast banalen Gewöhnlichkeit, haben sie etwas Besonderes in sich, dass sie interessant macht und weshalb man ihre Geschichte verfolgt. Es ist genau dieser kleine Funke, der einem in der Realität manchmal durchgeht und weshalb man nicht merkt, welch interessante Menschen einem begegnen.
Sina erlebt den klassischen Zwiespalt der arbeitenden Mutter, die immer das Gefühl hat, nicht genügend Zeit und Geduld für ihren Sohn zu haben und unter dem permanent schlechten Gewissen leidet. „Wir holen alles nach“ bleibt ihr unermüdlich wiederholtes Mantra, irgendwann, wenn mal Zeit ist. Sie ist zwar froh darüber, wie gut es Elvis bei Ellen geht, wie er offenbar der unscheinbaren Zeitungsausträgerin aufmerksam zuhört und die Tage mit ihr genießt, aber der Ärger, dass die fremde Frau ihrem Sohn gibt, was sie ihm geben sollte, nagt auch an ihr. Verschärft wird die Situation plötzlich, als Vorwürfe von Misshandlung aufkommen und sie beginnt, an ihrem neuen Partner zu zweifeln.
Ellen wiederum kann sich nicht wirklich von den Erwartungen ihres Familien- und Freundeskreises lösen, die ihr immer wieder vorhalten, dass sie zu viel alleine ist. Gerne würde sie ihre Söhne häufiger sehen, die angespannte finanzielle Lage jedoch verhindert dies immer wieder. Der junge Elvis scheint jedoch genau zu ihrem Rhythmus zu passen und von der ersten Minute an harmonieren sie miteinander. Muss sie sich nicht um ihn kümmern, kommen aber auch unweigerlich Erinnerungen in ihr hoch, ein Großteil ihres Lebens liegt nun schon hinter ihr und manche Dinge hätten womöglich auch einen ganz anderen Ausgang nehmen können.
Der Roman besticht durch seine Ruhe und den gelassen-bedachtsame Erzählton. Miete, Job, Familie - genau dieselben Sorgen, die jeden plagen, beschäftigen auch die Figuren. Dazwischen können Menschen, vor allem Kinder, schon einmal aufgerieben werden, aber manchmal wartet an unerwarteter Stelle genau der eine Mensch, der die richtigen Worte findet und allein schon durch seine Präsenz ganz viel auffängt. Ein Roman wie gemacht für das Frühjahr 2020, gibt er so viel bekanntes Leben zurück, das uns mit social distancing und Rückzug ins HomeOffice genommen wurde.
Wir holen alles nach
Dieses Buch lebt vom ruhigen Erzählstil der Autorin. Stück für Stück entwickeln sich die Charaktere, es offenbart sich dem Leser die Welt des kleinen Elvis. Er ist ein schüchternes Kind, hat kaum Freunde. Seine Welt hat Risse. Sein Vater ist weg und interessiert sich kaum für sein Kind, seine Mutter Sina strampelt sich ab und versucht irgendwie, den anspruchsvollen Job und Kind und Lebensgefährten unter einen Hut zu bringen. Wenn sie Zeit hat kümmert sie sich aber sehr um Elvis. Sie teilt das Los vieler Alleinerziehender. Sina guckt geflissentlich darüber hinweg, dass Elvis Probleme hat, über die er nicht zu reden vermag. Sie versucht ihr Gewissen damit zu beruhigen, ihm einen Hund zu schenken.
Wir lernen Thorsten, den Lebensgefährten, kennen. Auch er hatte eine Familie, doch seine Frau ist mit den Kindern weit weg gezogen und versucht, den Kontakt der Kinder zu ihrem Ex zu unterbinden.
Und wir lernen Ellen kennen, eine rüstige Rentnerin, die Elvis Nachhilfestunden gibt und sich auch sonst viel um ihn kümmert. Ellen ist eine Frau nach meinem Geschmack. Ich mag ihre Art zu leben, Lösungen zu finden in schwierigen Situationen und die Art, wie sie mit den Menschen umgeht. Es ist ein Glück, dass Elvis zu ihr geht, sie wird ein wichtiger Mensch in seinem Leben.
Das Buch greift die Problematik vieler Alleinerziehender auf, den Spagat zwischen Job und Kind/ern zu schaffen. Leider ist das nicht so einfach. Auch hier sehen wir, dass irgendwas auf der Strecke bleibt. Gott sei Dank hat die Autorin einen guten Ausgang geschaffen.
Die Autorin macht es uns nicht einfach. Sie legt falsche Fährten und wir fallen leider darauf rein, indem wir voreilig Schlüsse ziehen. Das zeigt uns wieder mal, dass wir doppelt überlegen müssen, bevor wir irgendwelche Vorverurteilungen anstellen. Manchmal ist es eben anders, als wir denken.
Und dass es umso wichtiger ist, miteinander zu reden, wenn es Probleme gibt. Dann kann man auch umsetzbare Lösungen finden. Es gibt immer einen Weg.
Auch greift sie Autorin weitere akutelle Themen auf. Auch das ist hier gut eingewoben.
Alles in allem hat die Autorin hier eine wunderbar stimmige, realistische Geschichte geschrieben. Toller leiser Erzählstil, tiefgründig. Unbedingt lesenswert!
Wir holen alles nach
Zwischen Hamsterrad und “letzten Malen”
Selten hat ein Titel besser zu seinem Roman gepasst, finde ich. "Wir holen alles nach" - eine oftmals leere Versprechung. Kann man im Leben überhaupt Dinge "nachholen"? Schwierig.
Die beiden Protagonistinnen des Romans, aus deren Sichtweise abwechselnd erzählt wird, stehen jeweils an anderen Stationen bzw. Wendepunkten ihres Lebens.
Sina ist die, die ihren achtjährigen Sohn Elvis ständig mit einem "Wir holen alles nach" vertröstet. Sie ist Mitte 30, in der Rushhour des Lebens sozusagen, und versucht Vollzeitjob (in einer Werbeagentur), Kind (sie ist alleinerziehend, der Vater lebt in einer anderen Stadt, zum Glück ist er gut situiert und zahlt seinen Beitrag) und neue Beziehung (mit Torsten, einem trockenen Alkoholiker) unter einen Hut zu bringen. Ein schwieriger Chef, die horrenden Lebenshaltungskosten in München und die vermeintlich perfekten Mütter der anderen Kinder machen ihr zusätzlich zu schaffen. Dazu kommt noch der Druck, dass Elvis es wenn möglich aufs Gymnasium schaffen sollte - doch der tut sich schwer in der Schule. Hier kommt Ellen ins Spiel.
Ellen hat das, was Sina gerade durchmacht, längst hinter sich gelassen. Die beiden Söhne sind erwachsen und schon lange aus dem Haus. Ihr Mann Jock ist mit Mitte 40 verstorben - das ist mittlerweile 25 Jahre her. Sie hatte neben ihrem Hausfrauendasein noch einen Teilzeitjob in einer Buchhandlung, inzwischen ist sie seit kurzem in Rente. Mit Ende 60 wird ihr bewusst, wie viel sie bereits zum “letzten Mal” getan hat und wie viel sie nie mehr tun wird. Eine Stelle, an der ich innerlich schlucken musste.
Ellen muss ihre kärgliche Rente mit einem Job als Zeitungsausträgerin und Nachhilfestunden aufbessern, damit sie sich ihre Wohnung in München und Reisen zu ihrer Freundin und zu ihren Söhnen, leisten kann. Sina wird auf Ellen aufmerksam und ihr Sohn Elvis wird deren Nachhilfeschüler. Daraus entwickelt sich eine generationenübergreifende Freundschaft, bei der auch Ellens Hund eine große Rolle spielt. Doch dann verändert sich Elvis plötzlich über Nacht…
Im Roman werden gesellschaftlich brisante und relevante Themen angesprochen, die sehr realitätsnah in den Lebensgeschichten der beiden Hauptfiguren gespiegelt werden. Zum einen die anspruchsvolle Situation von Alleinerziehenden, die zwischen dem Druck von außen und innen zermürbt werden. Man selbst muss Karriere machen und Geld verdienen, das Kind muss untergebracht werden, sollte beliebt sein und natürlich aufs Gymnasium, so dass ihm alle Chancen offen stehen. Dass zwischen Büro, Schule, Nachhilfe und Hort nur wenig Familienzeit bleibt, ist traurig, aber leider für viele Menschen die harte Realität. Daneben natürlich die Sache mit der Altersarmut, die bei Ellen in einer abgemilderten Form zum tragen kommt. Sie nagt nicht am Hungertuch, aber sie muss für einen gewissen aber doch eher bescheidenen Lebensstandard nochmal ran - wo andere längst mit der Arbeitswelt abgeschlossen haben.
Obwohl es es sich um eine eigentlich ganz alltägliche Geschichte handelt, die sich so in vielen deutschen Städten - vor allem aber tatsächlich in München - abspielen könnte, hat mich dieser Roman unheimlich berührt. Die zarte, menschliche Beziehung zwischen Elvis und Ellen, der stille Kampf Sinas um ein halbwegs normales, gutes Leben. Die Reflexionen Ellens über ihr Leben und über ihre Vergangenheit. Das hat alles eine ganz besondere Tiefe.
Martina Borger erzählt eine intensive, schnörkellose Alltagsgeschichte, die auf eine ganz besondere Weise berührt und unter die Haut geht. Absolut lesenswert!
Wir holen alles nach
Bewertung von Readaholic am 11.04.2020
Geheimnisse
Die alleinerziehende Sina lebt mit ihrem achtjährigen Sohn Elvis (ja, der Junge heißt wirklich so) in München. Ihr Job in einer Werbeagentur frisst den Großteil ihrer Zeit auf, selbst am Wochenende wird manchmal von ihr erwartet zu arbeiten. Entsprechend wenig Zeit bleibt da für Elvis, einen schüchternen und für sein Alter kleinen Jungen. Da Sina sich bereits Sorgen macht, Elvis könnte keine Gymnasialempfehlung erhalten, sucht sie eine Nachhilfelehrerin für ihn und findet die pensionierte Ellen, ein Glücksgriff, wie sich herausstellt.
Ellen lebt mit ihrem Hund in einer Wohnung, die sie sich mit ihrer kleinen Rente eigentlich gar nicht leisten kann. Von Anfang an versteht sie sich gut mit Elvis, der ebenfalls gern Zeit mit ihr und vor allem dem Hund verbringt. Als Elvis’ Vater wieder einmal einen geplanten Urlaub mit ihm platzen lässt, betreut Ellen den Jungen auch für eine Woche in den Ferien. Eines Tages entdeckt Ellen blaue Flecke an dem Jungen, der sich dazu nur ausweichend äußert. Er behauptet, sich beim Sport verletzt zu haben. Ellen befürchtet, es könnte sich um häusliche Gewalt handeln. Vielleicht ist Sina doch nicht die fürsorgliche Mutter, für die Ellen sie hielt? Oder könnte Sinas neuer Partner Torsten, der vor ein paar Monaten bei ihnen eingezogen ist, etwas damit zu tun haben? Auch einem aufmerksamen Lehrer entgehen die blauen Flecken nicht und eines Tages bekommt Sina einen Anruf vom Jugendamt...
„Wir holen alles nach“ spricht eine Vielzahl aktueller Themen an: die schwierigen Lebensumstände Alleinerziehender, ambitionierte und miteinander konkurrierende Eltern, Altersarmut, Mobbing, Gewalt, sogar Umweltthemen werden gestreift, wobei mir das ein bisschen zu viel des Guten war. Auf die Auswirkungen des Methanausstoßes von Kühen hätte ich in diesem Roman gut verzichten können. Dies aber nur am Rande, alles in allem fand ich „Wir holen alles nach“ wirklich gut und flüssig geschrieben. Vor allem Ellen und Elvis sind mit als Personen ans Herz gewachsen und ich war traurig, als das Buch zu Ende war. Einziger Kritikpunkt an diesem liebevoll gestalteten Diogenes-Band ist, dass sich mir die Bedeutung der hübschen Titelillustration nicht erschlossen hat: ein junges Mädchen im rosa Bikini, das ins Wasser springt. Ich habe keine Ahnung, was diese Szene mit dem Buch zu tun haben soll.
Wir holen alles nach
Die Sorgen einer Mutter: Mitten aus dem Leben
„Sie kann nicht an seiner Seite sein, sich nicht vor ihn stellen, ihn nicht beschützen vor den Grausamkeiten eines Kinderlebens.“ Ein Satz, den wohl jede Mutter kennt und gewiss auch schon durchlebt hat. Mütter wollen ihre Kinder vor dem realen Leben schützen, in dem das Kinder nicht in Watte gepackt ist, wie im mütterlichen Schoss. Beschützen vor den Bedrohlichkeiten des Alltags. Und das will auch Sina.
Sina ist die Mutter von Elvis, einem herzigen, sensiblen Achtjährigen, der vielleicht etwas kleiner und schwächer ist als seine Altersgenossen. Viele Jahre hat sich Sina als Alleinerziehende um den Sohn gekümmert, doch seit Kurzem hat sie ihren Partner zur Unterstützung. Als Patchworkfamilie sind sie nun endlich zusammen gezogen. Dennoch wird Sina weiterhin von finanziellen Sorgen und dem uns allen bekannten Zeitproblem geplagt. Nämlich, dass sie neben Haushalt und Arbeit kaum Zeit fürs Kind hat. Zum Glück bekommt sie Hilfe von Ellen, einer engagierten älteren Dame, die auch noch einen Hund hat. Und Elvis liebt Hunde. Ein Perfect Match also. Doch schon bald geschieht dem Jungen etwas Schreckliches. Etwas das Eltern fürchten. Und Sina kann ihr Kind nicht schützen. Droht die Patchworkfamilie daran kaputt zu gehen?
Martina Borger, die Autorin von „Wir holen alles nach“ arbeitet als Journalistin und Dramaturgin. Und das spürt man als Leser. Von Anfang bis zum Ende der Geschichte schafft es Borger eine dramatische Spannung aufzubauen und das, obwohl der Roman einzig den Lebensalltag zweier Familien porträtiert. Doch genau darin liegt seine Stärke. Die vermeintlich alltäglichen Banalitäten eines Lebens regen zum Nachdenken an. Der Schreibstil ist nüchtern, unaufgeregt, leise. Die Figuren sind greifbar und dennoch entwickelt man als Leser eine gewissen Distanz. Einzig mit Elvis fiebert man mit, möchte, dass es ihm gut geht.
Ein wirklich spannender Roman, mitten aus dem Leben – aus dem alltäglichen Kampf einer überforderten Mutter – gegriffen, der viele soziale Aspekte aufgreift und zum Nachdenken anregt.
Wir holen alles nach
Bewertung von Lin am 15.06.2020
Die alleinerziehende Sina, Mitte dreißig, schlägt sich durchs Leben. Sie versucht, ihrem 8-jährigen Sohn Elvis eine "gute" Mutter zu sein, auch den leiblichen Vater einzubeziehen, als Vollzeitbeschäftigte ihrem Arbeitgeber gerecht zu werden und zudem eine neue Partnerschaft aufzubauen. Besondere Umstände führen dazu, dass sie die pensionierte Ellen kennenlernt und deren Nachhilfeunterricht und Ferienbetreuung von Elvis in Anspruch nimmt. Ein schlimmes Ereignis, das dem Jungen widerfährt, führt zu reichlich Konfliktstoff.
Martina Borger beschreibt insbesondere im ersten Teil des Romans - wenn auch nicht vordergründig - glaubhaft die Charaktere ihrer Hauptfiguren Ellen, Sina und Elvis. Wir erfahren sowohl einiges aus deren Vergangenheit als auch zur aktuellen Lebenssituation. Die drei verbindet eine Geschichte, in deren Mittelpunkt die Misshandlung von Elvis steht und die daraus resultierenden Folgen.
Die Autorin lässt den Blickwinkel von drei Generationen zu, die alle das ein oder andere Problem zu bewältigen haben. Da ist der feinfühlige 8-jährige Elvis, der den Kontakt zu seinen leiblichen Vater vermisst. Täglich sieht er, wie sich seine Mutter abstrampelt, keine Zeit für ihn hat und dennoch bringt er für sie viel Verständnis und Liebe auf. Aber genau deshalb kann er sich auch nicht mit seinen Sorgen und Nöten an sie wenden, und so bleibt das schlimme Erlebnis lange sein Geheimnis. Wie Elvis seine Probleme in der Schule bewältigt wird kaum beschrieben (leider!).
Sina hat in ihrem Leben so einige Schicksalsschläge hinter sich, eine Scheidung, eine neue, belastete Partnerschaft, der nicht verarbeitete Verlust ihrer Mutter und die Sorge um ihren Jungen, dass sie zu wenig Zeit für ihn hat, und er den Übergang zum Gymnasium nicht schaffen könnte. Dann kommt auch noch der Verlust ihres Arbeitsplatzes, Geldsorgen und endet mit dem Neuanfang an einem anderen Ort.
Da ist Ellen, mit der ich mich aufgrund meines Alters sehr verbunden fühle. Sie hat die besten Jahre hinter sich gelassen, eine turbulente Jugend, eine schöne, wenn auch kurze Familienzeit mit Partner und zwei Söhnen. Sie hatte schon in der Mitte ihres Lebens den Verlust ihres Partners hinnehmen müssen, und die Söhne sind ausgezogen, leben nicht in unmittelbarer Nähe und der Kontakt zu ihnen ist freundlich distanziert. Ellen ist seit einigen Jahren Rentnerin und muss Geld dazuverdienen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Sie konzentriert sich auf wenige, aber langjährig gute Freunde, hält Kontakt zu ihrem ehemaligen Arbeitgeber, und durch den Nachhilfeunterricht mit Elvis hat sie einen lieben und anhänglichen "Enkelsohn" gefunden. Obwohl Ellen ihr Leben scheinbar gut meistert, reflektiert die Endsechzigerin über ihr Leben, wie viel sie bereits zum "letzten Mal" getan hat, was sie nicht mehr tun wird und erwartet nichts Besonderes mehr. Das ist zwar nachvollziehbar, macht aber traurig.
Borger ist mit "Wir holen alles nach" ein zeitgenössischer und sozialkritischer Generationenroman gelungen. Die Alltagsgeschichten, in denen zahlreiche Themen ansgesprochen werden, berühren und gehen unter die Haut. Zudem ist das Buch unterhaltsam, spannend und für jedermann zu empfehlen.
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