475 7576). Wenn das Fort Worth Symphony Orchestra anhebt mit "Alma Llanera" - eine Rassel scheppert, der Baß klingt auf, die Holzbläser erheben sich schnatternd; wenn alles swingt und im nächsten Augenblick schon wieder innehält, um einen Taktwechsel einzulassen; wenn sich der tenore di grazia endlich selbst einmischt, nein, davorstellt, mitten ins Klangbild hinein sich verlagert mit seinem überintensiven Organ; dann kreuzen sich tatsächlich viele musikalische Fäden: Belcanto und lateinamerikanisches Volkslied, Spiel und Zitat. Der Arrangeur Ángel "Cuco" Peña hat ganze Arbeit geleistet, denn das Orchester klingt wie eine kunstvoll abgeschmirgelte Kommode, deren Fabrikneuheit zwar zu erkennen ist, die man aber geschickt mit Verfallsspuren überzogen hat. Etwas leicht Überzogenes behalten die meisten Canciones lateinamerikanischer Herkunft auf diesem Album "Sentimiento latino" bei, nur dreimal läßt Flórez sich ein auf kunstvolle Gitarrenbegleitung, die er selbst arrangiert hat. Er ist mit dem Volksliedgut Südamerikas aufgewachsen, mit Valses criollos, Marineras, Boleros, Rancheras, Tangos: "Diese Lieder lagen immer in der Luft." So nimmt es nicht wunder, daß diese Platte bei aller Gemachtheit doch echt wirkt, die Übergänge vom Humorigen zum Tiefernsten, vom Kunsthandwerklichen zum Kunstvollen fließend bleiben. Im Vergleich zu dem hellen, kräuselwellenschlagenden Tenor von Flórez klingt die Stimme Plácido Domingos nach dunklem Gold, wie mit einer zusätzlichen, verborgenen Resonanzhöhle ausgestattet. Süß schmelzen viele Geigen: Das Budapest Philharmonic Orchestra polstert den opernhaft großherzigen Zugriff Domingos auf einige Kernstücke des italienischen Schlagerrepertoires mit üppiger Klangwatte aus. Für das Album "Italia, ti amo" (DG 477 5565), worin Liebliches wie Stanislao Gastaldons "Musica proibita" (1881) auf Pathetisches trifft wie die Rom- und Liebeshymne "Nun me sceta'" von Ernesto Tagliaferri, ja, sogar etwas von Plácido Domingo jr. anläßlich des Hochzeitstags der Eltern Komponiertes vorkommt, hat man den gebürtigen Spanier kurzerhand zum "mediterranen" Sänger erklärt, der sich für die "korrekte Aussprache des neapolitanischen Dialekts einem intensiven Sprachtraining unterzog". Gute Laune auch hier, helle Frühsommermusik.
CHRISTIANE TEWINKEL
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