von der Notwendigkeit transatlantischer Partnerschaft. Das hindert ihn nicht daran, dort mit der amerikanischen Politik ins Gericht zu gehen, wo er diese für ungerecht hält. Weil es ihm auf das Wesentliche ankommt, neigt er zu Überspitzungen, die seine Thesen angreifbar machen.
Todenhöfer ist ein Freund Amerikas. Er tritt dem Freund entgegen, wo er - nach seiner Auffassung - irrt. Wenn es um Menschen und Menschlichkeit geht, kennt der Autor erst recht keine Rücksichten. Rücksichtslos ist er deshalb nicht. Sein jüngstes Buch ist ein einziger Aufschrei. Er stellt strategische Erwägungen an, er geht auf die Argumente der Machtpolitik ein, er verweist auf Interessen, und er spricht, und das besonders eindringlich, über menschliche Schicksale. Hier sind seine Ausführungen besonders eindrucksvoll und anrührend. Und in der Tat, das Schicksal der Menschen muß Maßstab sein für jedes politische Handeln. "Die Würde des Menschen ist unantastbar" ist die alles überragende Bestimmung unseres Grundgesetzes. Des Menschen heißt jedes Menschen. Das verbietet die Abwägung nach Nationalität oder Glauben.
Todenhöfer zeigt die Gefahren auf für die Stabilität im nahöstlichen Raum, die sich aus einem Krieg gegen den Irak ergeben können. Aber wo findet man sonst schon bei der Abwägung des Pro und Kontra einen Satz wie diesen: "Gegen einen Präventivkrieg gegen den Irak spricht auch die zu erwartende hohe Zahl ziviler Opfer." Und dazu die Frage: "Wie viele schuldlose Männer, Frauen und Kinder darf man töten, um einen Diktator aus dem Amt zu jagen?"
Das Buch läßt uns mitreisen in das Afghanistan der Taliban, es berichtet uns über das Schicksal eines jungen, vom sowjetischen Bombenkrieg gezeichneten Afghanen, es läßt uns teilnehmen an der Sorge des Vaters Jürgen Todenhöfer, dessen Tochter sich zum Zeitpunkt des Verbrechens vom 11. September 2001 in Manhattan aufhielt. Seine Tochter konnte er nach dem Attentat nicht dort erreichen, wo er sie vermuten durfte. Wir erleben den Vater, der auf dem Display seines Handys die SMS liest: "Valerie aufgetaucht: alles ok!", dem die Tränen über das Gesicht laufen, der in diesem Augenblick ganz nah bei den vielen Amerikanern ist, die um ihre Angehörigen bangen. "Und ich dachte an die vielen Amerikaner, die genau wie meine Frau und ich jetzt verzweifelt ihre Angehörigen suchten." Nichts kann Jürgen Todenhöfer deutlicher beschreiben. Den Mann, der im Augenblick des Glücks - weil seine Tochter überlebt hat - an die vielen Amerikaner denkt, die diese Gewißheit noch nicht haben. Er erinnert an die Opfer früherer Anschläge. Mit ihm begegnen wir der 27 Jahre alten Muntha, die in Bagdad mit ihren vier Kindern zwischen ein und neun Jahren und ihrem Mann lebt.Wir lesen den Brief von Duaa, die das Schicksal ihrer Familie schildert.
Todenhöfer stellt die Frage nach der Zukunft der Welt, nach dem Verhältnis der Industriestaaten zu den Staaten der Dritten Welt. Seine Antwort lautet: "Wir werden unsere Freiheit, unseren Wohlstand und unseren Frieden nur bewahren können, wenn wir in Gerechtigkeit genauso viel investieren wie in Waffen." Wer wollte dem widersprechen?
Hier nimmt nicht jemand das Wort, der aus einer pazifistischen Grundhaltung heraus jedwede Gewaltanwendung ablehnt. Todenhöfer ist ein überzeugter Anhänger der Nato. Er trat und er tritt mit großer Festigkeit für die Erhaltung der Verteidigungsfähigkeit ein. Er weiß, daß jede andere Haltung das Jahr 1989 nicht zum Jahr der Freiheit für ganz Europa hätte werden lassen. Er würde sich dagegen wehren, Pazifist genannt zu werden. Aber sieht er sich nicht als Bellizisten? Er wendet sich gegen den Versuch, den Raum zwischen Bellizisten und Pazifisten einzuengen, den die westlichen Demokratien in den letzten 60 Jahren für eine ethisch begründete Politik der Verantwortung genutzt haben.
Was ihn umtreibt, ist die Forderung nach einer gerechten Weltordnung, die allein den Frieden der Welt sichern kann, nach einer Weltordnung also, in der die Völker und die Weltregionen gleichberechtigt und ebenbürtig miteinander leben, die bestimmt wird von der Herrschaft des Rechts, aber nicht vom Recht des Stärkeren. Zu Recht mahnt er, die machtlosen Länder der Dritten Welt nicht zu erniedrigen und zu demütigen. Er erinnert an John F. Kennedys Satz: "Die Menschheit muß dem Krieg ein Ende setzen, sonst setzt der Krieg der Menschheit ein Ende."
Wer wollte dem Autor widersprechen, wenn er ein Gesamtkonzept für die Lösung des Irak-Problems verlangt? Noch besser wäre es, er würde es für die gesamte nahöstliche Region verlangen, eine KSZNO also, dem erfolgreichen Modell der KSZE für Europa nachgebildet. Für die aktuelle Lage geschrieben sind seine Hinweise über die Bedeutung der Waffeninspekteure. Er läßt die deutsche Chefinspekteurin für Bio-Waffen, Gabriele Graatz-Wadsack, zu Wort kommen: "Wir haben mehr Massenvernichtungswaffen zerstört als die Alliierten im Golf-Krieg."Eine Fortsetzung der Arbeit der Waffeninspekteure bedeutet keine Atempause für Saddam Hussein, sondern fortschreitenden Zwang zur Abrüstung.
Es ist ein bemerkenswertes Buch, in dem menschliche Schicksale im Mittelpunkt stehen, ein Buch, in dem an die Bedeutung unserer Grundwerte - auch für unser Handeln gegenüber anderen Völkern - erinnert wird. Hier liegt ja der große Erfolg europäischer Politik, daß mit der Schlußakte von Helsinki unsere Grundwerte in die West-Ost-Politik eingeführt wurden und dabei eine Wirkung entfalteten, die zum Ende der sozialistischen Systeme führte. Ist es nicht so, daß die Anerkennung der Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit der kleinen und großen Völker Europa nach dem Zweiten Weltkrieg einen neue Chance eröffnete? Man mag dieses Europa als das alte Europa bezeichnen, es ist in jedem Fall das Europa eines neuen Denkens, ein Europa, das Orientierung geben wird für eine neue und gerechte Weltordnung der Multipolarität.
Jürgen Todenhöfer hat ein Buch vorgelegt, das aufrütteln soll und das Anstoß erregen wird mit seinen Thesen. Bei solchen Thesen, mit denen er recht hat, und bei solchen, mit denen er - bewußt? - zuspitzt, vor allem, wenn er sich mit der amerikanischen Politik befaßt. Es ist wohl so, daß es Situationen gibt, in denen der Freund gegenüber dem Freund kritischer und härter auftritt. Was bleibt, ist das Bekenntnis eines Mannes, der nicht schweigen will, wo ein offenes Wort geboten ist, der nicht hinnehmen will, was er für falsch hält, der seine Leser zwingt, Farbe zu bekennen. Todenhöfers Buch ist nicht nur lesenswert, sondern sollte ernst genommen werden - auch von denen, die ihm entschieden widersprechen werden.
HANS-DIETRICH GENSCHER
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