entstammt, der in den fünfziger Jahren mit seiner Liebesgeschichte "Dshamila" international bekannt wurde und dessen Romane und Erzählungen aus den siebziger und achtziger Jahren zu literarischen Wegbereitern der Perestrojka wurden. Aus dem mythologischen Reichtum seiner Heimat - der kirgisischen Nomadenwelt - schöpfend, hatte Aitmatow einst die Zerstörung der Natur und die Verwerfung der Tradition durch die technokratische sowjetische Moderne angeprangert, freilich ohne das System je in Frage zu stellen. Unter Gorbatschow avancierte der 1928 geborene Schriftsteller zum Politikberater und galt eine Zeitlang gar als Anwärter für den Literaturnobelpreis. Seit Anfang der neunziger Jahre ist Aitmatow als Botschafter bei der Europäischen Union akkreditiert, erst für die Sowjetunion und heute für Kirgistan. Die seitdem erschienenen Bücher haben Leser und Kritiker eher enttäuscht, der nun auf Deutsch vorliegende neueste Roman bildet darin leider keine Ausnahme. Wehmütig erinnert man sich an die poetische Kraft des "Weißen Dampfers", einer vor fast vier Jahrzehnten entstandenen Novelle Aitmatows, während man sich durch die Kolportage des neuen Romans quält.
Der Protagonist Arsen arbeitet als freier Journalist in Kirgistans Hauptstadt Bischket. Für seine Angebetete, eine Operndiva, möchte er ein Libretto zu einer Art nomadischer Götterdämmerung schreiben. Auf einer Konzertreise nach Heidelberg schwärmt er ihr von seiner Idee zur "Ewigen Braut" - frei nach einem kirgisischen Volksmythos - vor: "Wo bist du, wo bist du, ich eile zu dir", tönt es durch den nächtlichen Garten der Schlossruine am Neckar. Seit der Kapitalismus die postsowjetische Republik fest im Griff hat, steht es dort jedoch schlecht um die schöne Kunst. Zurück in der Heimat, trällert die Diva Schlager statt Opernarien und verlässt den aufrechten Mann des Wortes für einen neureichen Pop-Manager. Da kommt ein Angebot zur Ablenkung von Eifersucht und Mordgelüsten gerade recht.
Ein Onkel und ehemaliger Kolchosvorsitzender, der sich auf das exotische Jagdgeschäft mit seltenen Tieren, darunter Schneeleoparden, spezialisiert hat, heuert den unglücklichen Neffen an. Der des Englischen mächtige Journalist soll auf einer Jagd für saudiarabische Prinzen "simultan und konsekutiv" - wie immer man sich das im Hochgebirge vorstellen mag - übersetzen. Doch verarmte Viehzüchter, die als Treiber fungieren, wollen dem Onkel einen Strich durch die Dollarrechnung machen und die Ölprinzen, die schließlich ihrer Meinung nach am "Globalismus" Mitschuld tragen, kidnappen, um ein ordentliches Lösegeld zu erpressen. Danach will man sich nach Afghanistan absetzen. Mitgefangen, mitgehangen! Dem Helden droht ein unredliches Dollarleben oder der ehrliche Tod. Die Tragödie nimmt ihren Lauf: Arsen verhindert die Entführung in Robin-Wood-Manier und stirbt zusammen mit seinem Alter Ego, dem Schneeleoparden.
Über den Alltag in dem mittelasiatischen Land, über Nomaden, die von der Viehhaltung offensichtlich nicht mehr existieren können, über die Pressezensur und die Zerstörung der Natur hätte man gern mehr erfahren. Bei Aitmatow ist das Zeitgeschehen als Hintergrund in Schwarzweiß für ein Melodram drapiert, das überquillt von Wortkitsch und stümperhaften Dialogen. Der Mond prangt "in völliger Einsamkeit" unter den Sternen, ein Fluss "vereint sich voller Ekstase mit den Ufern", Liebende reißen sich die Kleider vom Leib, "um völlig nackt in sich zu versinken", ein "Potential an Ewigkeit" wird "in den Wind geschlagen", der Held, der sich im Todeskampf in eine Berghöhle rettet, begrüßt den dort bereits sterbenden Leoparden so: "Auch du bist hier?" Dazu singt die Ewige Braut: "Wo bist du, wo bist du, mein Jäger!" Leopard und Leser fehlen da die Worte.
SABINE BERKING
Tschingis Aitmatow: "Der Schneeleopard". Aus dem Russischen übersetzt von Friedrich Hitzer. Unionsverlag Zürich, Zürich 2007. 310 S., geb., 19,90 [Euro].
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