und Rollenvorschriften erträgt sie schwer, ebenso das Dasein als Hausfrau und Mutter. Ihr Mann schwelt weltentrückt in religiös-geistigen Sphären. Er trägt wenig dazu bei, sie in diesem Leben zu verankern. Zuerst unbewußt, schließlich mit überraschender Entschlossenheit und Härte entfernt sich Sonia (Renée Zellweger gibt ihr ein halb undurchdringliches, halb verletzliches Trotzgesicht) aus dem fest umgrenzten Milieu: Boaz Yakins Film ist eine Emanzipationsgeschichte. Doch sie gestaltet sich keineswegs als Triumphzug, als, wie oft im amerikanischen Film, pathetischer Marsch in die Freiheit.
Der Weg aus der Enge ist schwierig, er vollzieht sich in tastenden Vor- und einigen Rückwärtsbewegungen. Er führt aus der freudlosen ehelichen Umklammerung zunächst in die Arme des dubiosen Schwagers und schließlich ins Bett eines Künstlers, der unbedarfter dargestellt wird, als es die Glaubwürdigkeit erlaubt. Er ist die einzige Kitschfigur auf der Szene. Zur Flucht aus der Hausfrauen-Tristesse gehört auch ein neuer Job - in einem Juwelierladen: von keimfreier Nüchternheit zum Glanz von Gold und Geld. Das Drehbuch verzichtet darauf, das eine zu verdammen und das andere zu glorifizieren; überhaupt werden die Kategorien Gut und Böse mit umgekehrtem Vorzeichen besichtigt: Der böse Schwager bewirkt Gutes, während der gute Gatte die Frau an den Rand des Nervenzusammenbruchs treibt. Was für Sonia zählt, die rebellisch einer von Moralregeln zugestellten Welt entfloh, ist die Schönheit, die sich der Moral entzieht: "Wenn etwas schön ist, kann es gut sein. Es kann genausogut aber auch furchtbar sein."
Sonias Aufgabe ist es, Schmuckstücke auf ihren Wert zu schätzen und anzukaufen, ihr Beruf ist kein dramaturgischer Zufall. Von Anfang an stellt der Film die Frage nach dem Wert von Dingen und sogar von Menschen: So ist, darauf verweist der Titel, eine Frau, die sich für ihre Familie aufopfert, in der chassidischen Gemeinschaft den höchsten Preis wert, "teurer als Rubine". Vor allem aber wird der emotionale Tribut für bestimmte Handlungen abgewogen. Wieviel ist Sonia bereit, für eine lieblose Liebschaft zu bezahlen, wieviel für ihre Freiheit? Was gewinnt sie, was verliert sie? Die unbequeme, dafür aber nicht weniger wahre Binsenweisheit, daß nichts umsonst ist, wird gern bei Abschieds- und Aufbruchsgeschichten wie dieser unterschlagen.
Selbst Thelma und Louise hatten einen triumphalen (wenn auch tödlichen) Abgang. Ein toller Sturz in den Canyon ist nicht nur ein cineastischer Knalleffekt; der den Heldinnen drohende Alltag nach der Unabhängigkeitserklärung verschwindet dabei gleich mit. Eine Qualität des Films von Boaz Yakin ist, daß er die Konsequenzen und Folgen des weiblichen Selbstbefreiungs-Feldzuges ganz unpathetisch mitbedenkt, oder wenigstens antippt. Dazu gehört, daß er nicht nur am Rande auch die von Sonia Zurückgelassenen beachtet, den hilflosen Ehemann, das Kind und überhaupt das Milieu, dem sie entstammt. Erst die ausführliche Beschreibung des Lebenshintergrunds läßt die Schwierigkeit erkennen; ihn hinter sich zu lassen schafft sozusagen erst die richtige Fallhöhe. MARION LÖHNDORF
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