herausgenommen hat. Auch ulkige, auch banale Elemente beleben seine Geschichte über einen Sänger, der beruflich vor allem ernste, dramatische, geistliche oder amouröse Musik singt aus Renaissance und Barock. Aumüller, dessen Perotin-Film "Dein Kuss von göttlicher Natur" noch in bester Erinnerung ist, sieht Scholl im Spannungsfeld zwischen dem Pathos Händels, Buxtehudes, Dowlands und dem Alltag eines Junggesellen und Fahrradfahrers in Basel. Das war auch bei dem kleinen Andreas schon so, der zusammen mit anderen Schülern in seinem Heimatort Kiedrich im Rheingau jeden Sonntag in der Messe gregorianisch sang. Alte Musik bedeutet ihm keine schwere Kost. Der Vater, ein selbstbewusster Bürger, fuhr eines Tages mit ihm nach Basel zur Schola Cantorum zum Vorsingen, sicherheitshalber hatte er ein paar Flaschen Spätlese im Kofferraum. Die waren aber gar nicht nötig, der Teenager sang ohne Vorab-Prüfung vor, und: "Den müssen wir haben", hieß es.
Dass Andreas Scholl ein unkomplizierter Gesprächspartner ist, macht das Filmvorhaben nicht automatisch zu einem Erfolg. Scholl ist keine Diva, eher im Gegenteil: ein Roger Federer der Alten Musik. Es läuft alles so selbstverständlich und unaufregend ab, dass dem Filmemacher manchmal der Stoff für Akzente auszugehen droht. Da wäre zum Beispiel das einzige ansatzweise "Verrückte" Scholls: Er komponiert, erstellt und programmiert selbst Popmusik. In seiner Junggesellenwohnung beherbergt er ein hochprofessionell ausgerüstetes Aufnahmestudio. Hier entspannt der gefragte Solist, hier geht er seinem Spieltrieb nach, hier gelingen der Kamera sinnliche Blicke auf Mikros im metallenen Retrolook, auf bunt leuchtende Schalterlandschaften am Mischpult. Zu Scholls Popmusik selbst nimmt der Film jedoch keine Stellung, bleibt seltsam distanziert. Der Grund dafür mag darin liegen, dass sich Aumüller nach einigen Pflichtdialogen mit seinem Protagonisten für dessen Kunsthandwerk nicht wirklich erwärmen kann. Damit steht er gewiss nicht allein, doch wäre hier die Kreativität des Teams gefragt gewesen, dem moderaten Cocktail etwas Pfeffer hinzuzufügen. Auch eine Dokumentation braucht die Kraft der Fiktion.
Stärkste Wirkung zieht der klanglich hervorragende Film aus Scholls ureigenstem Gebiet, der Alten Musik. Die Interpretation von Dietrich Buxtehudes Klage über den Tod seines Vaters, die Scholl zusammen mit einem Consort um den Lautenisten Karl-Ernst Schröder in der Dresdner Annenkirche aufführt, rührt an, gerade auch, weil die Filmregie es wagt, beim ganzen Stück dabeizubleiben. Das strophisch angelegte Werk wird von Abschnitt zu Abschnitt intensiver, für Scholl ist es auch stimmtechnisch nicht ganz einfach. So gehen hier sängerische Anstrengung und thematisch-emotionaler Anspruch Hand in Hand und rufen im Konzert (wie im Film) jene atemlose Stille hervor, die nur seltenen Augenblicken vorbehalten ist. Auch die Händel-Arie "Mi palpita il cor" kommt in Gänze zur Aufführung: Musik in Häppchen gibt es bei Aumüller nicht.
Dafür hat er bedauerlicherweise ein Interview nicht mit in den Film hineingenommen, das als Bonustrack immerhin erhalten ist: ein Gespräch über Musik und Glaubensfragen. Es findet etwas beengt in dem trashigen Backstage-Ambiente einer Sakristei statt und hat als Hintergrund ein goldenes Kruzifix, einen pinkfarbenen Blumenstrauß und direkt neben Scholls Kopf die bekannt rot-grüne Farbigkeit einer Kaffeefiltermarke. Was Scholl hier, angestoßen von Aumüllers Fragen, über seine eigene Religiosität formuliert, über seine kompromisslose Offenheit und Vertrautheit mit der geistlichen Botschaft einer geistlich konzipierten Musik, gibt der Produktion einen persönlichen Standpunkt, der über das bloße Wie-ein-Star-so-lebt hinausgeht.
Da wird hinter dem ordentlichen Jungen plötzlich ein Interpret sichtbar, der heutigen Zuhörern etwas mitteilen kann mittels der Musik. Nach diesem Exkurs zeigen Scholl und Aumüller dann wunderbar leicht die liebenswerte Seite des Lebens in dem englischen Lied "The water is wide". Scholl singt es mit hinterm Rücken verschränkten Händen. Die Kamera betrachtet ihn diskret von der Seite und zieht sich dann aus dem Geschehen zurück.
ANJA-ROSA THÖMING
Andreas Scholl, Countertenor. Porträt von Uli Aumüller und Hanne Kaisik. DVD Arthaus Musik 101445
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