»Tatarinowa«, 1931 verfasst, konnte zu Lebzeiten Anna Radlowas nicht veröffentlicht werden. Die Erzählung behandelt die russische Geschichte, brandmarkt aber den »Zarismus« nicht, sie spricht von Sektierern, Glaubenshysterikern, Selbstverstümmlern, ohne jedoch antireligiös zu sein. Es entsteht ein geschichtstreues Bild, in das auch weithin unbekannte Details eingewoben sind. Anna Radlowa arbeitete dafür in Archiven; sie benutzte Briefe und Erinnerungen aus jener Zeit. Wir verfolgen die Geschichte einer Kastratensekte, der »geistigen Skopzen«, die sich in den höchsten Gesellschaftskreisen der Hauptstadt Petersburg etablierte. Wir sehen lebendige, leidende, sündigende Menschen und ihre Versuche, dem Leid mit Glauben zu begegnen. Wir erleben hautnah, wie die Eiferer und Zweifler Jekaterina Tatarinowa um Hilfe im schwierigen Geschäft des Lebens ersuchen und wie diese ihre letzten Kräfte für diese Hilfe aufwendet. Die Heldin des Buches ist eine große, großartige Frau, und die Geschichte ihrer Berufung und ihres Dienstes an Gott und den Menschen ist nicht zuletzt aus psychologischer Sicht lehrreich. Die atmosphärisch dichte Novelle spielt im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Die Geschichte ist rührend. Und abstoßend. Und verwirrend. Und noch vieles mehr.