"e" vorkommt. Allerdings ist "La Disparition" deutlich umfangreicher ausgefallen als Sparschuhs angeblicher Reiseroman, der doch eher den Eindruck eines Gedichtzyklus erweckt, auch wenn durch das Leitmotiv einer Autofahrt eine narrative Klammer geschaffen wird. Doch schon die Notwendigkeit, die Protagonisten wechseln zu lassen, weil sich natürlich auch die Namen den jeweiligen Buchstabenvorgaben anpassen müssen, zerstört den angedeuteten Erzählfluß.
Doch das ist kein Verlust, denn der Reiz des Projekts ergibt sich allein aus seinem rigiden Konzept. Dabei kann man es Sparschuh nachsehen, daß er bisweilen trickst - etwa beim Buchstaben J, wo kräftig berlinert wird, um Begriffe wie "Jeschenke", "jrößter Jeheimtip" oder "jaloppierte" einbeziehen zu können. Aber da die Erzählung schon im B-Kapitel die Peripherie und im C-Teil die City Berlins erreichte, hat diese Lösung einiges für sich. Ärgerlicher ist die gelegentliche Verwendung fremdsprachlicher Wendungen wie "et cetera", "last not least" oder "peu à peu", die zwar im Deutschen wie ein einziger Begriff verwendet, aber denn doch nicht so geschrieben werden, weshalb im Schriftbild die strenge Geschlossenheit des Konzepts verlorengeht. Und wie Sparschuh bei G der Satz "Geradegehen geht gegenwärtig gerade so" durchrutschen konnte, ist unbegreiflich.
Entschädigt wird man durch wunderbare Ideen, etwa die arabische Grußformel "Salem suleikam", den stummen X-Abschnitt, das einsame "Yes!" beim Y, das eine frivole Zweisamkeit andeutet, oder die grandiose Pointe am Ende des C-Kapitels, wo mit Begriffen wie Champagner, Cherry, Cognac, Cointreau oder Cincano ein großes Besäufnis geschildert wird und dann auf einer Extraseite nur ein einziges Wort steht: Charité. Auf solche Weise ermöglicht Sparschuh einen Assoziationsspielraum, der die zwangsläufigen Lücken in den geschilderten Begebenheiten leicht ausfüllen läßt.
Das Buch hätte wohl dennoch keine Neuauflage erlebt, wenn die Büchergilde Gutenberg nicht auf den Gedanken gekommen wäre, den Text von Kay Voigtmann illustrieren zu lassen. Der in Gera lebende sechsunddreißigjährige Maler ist am Beginn einer großen Karriere, hat jüngst erst die Bilder zu Burkhard Spinnens Erinnerungsbuch "Lego-Steine" gezeichnet, und seine detailverliebten aquarellierten Collagen zu "Waldwärts" stehen in bester Tradition sowohl der Buchkunst der zwanziger Jahre (denen viele Motive ihre Stimmung verdanken) als auch moderner Illustration, wie sie Michael Matthias Prechtl oder der britische Zeichner David Hughes entwickelt haben. Insektengleich sind die Menschen gezeichnet, mit dürren Extremitäten und seltsam verwachsenen Gesichtern, und die durchweg bronzebraune Farbgebung trägt zusätzlich dazu bei, daß die Figuren wie aus Chitin geschnitten erscheinen.
Doch was Voigtmanns Illustrationen besonders gelungen macht, ist nicht einmal seine ersichtliche Freude am Spiel, die ihn etwa auf einem Nummernschild die Initialen und das Geburtsdatum Sparschuhs unterbringen läßt, sondern die weitgehende Unabhängigkeit seiner Zeichnungen vom Text. Auch Voigtmann läßt sich auf die assoziative Freiheit ein, die Sparschuhs Text gestattet, und bebildert deshalb bisweilen allegorisch und dann auch wieder dem Wortlaut der Vorlage entsprechend. Konstanze Berner als bewährte Buchgestalterin hat dazu ein Seitenlayout entwickelt, das Text und Bild gleichwertig behandelt und dadurch das Wechselgespräch zwischen beiden erst ermöglicht. Es ist leichter, Sparschuhs Text zu lesen, wenn man Voigtmanns Bilder hat. Das schönste Ziel eines illustrierten Buches ist somit erreicht. Zugeklappt, zufrieden zurückgelehnt, zwinkernde Zustimmung zum zauberhaften Zieleinlauf.
ANDREAS PLATTHAUS
Jens Sparschuh: "Waldwärts". Ein Reiseroman von A bis Z erlogen. Mit Illustrationen von Kay Voigtmann. Edition Büchergilde, Frankfurt am Main 2004. 132 S., Abb., geb., 18,- [Euro].
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