Drogensucht sind vor allem ihre Erfahrungen als Prostituierte das Thema. Zwischen beidem besteht ein Zusammenhang, der indes vielschichtiger ist, als man zunächst vermuten würde.
Das Buch ist vom Rowohlt Verlag mit der schillernden Gattungsbezeichnung "Intime Bekenntnisse" versehen worden, das Original "In My Skin" trägt schlicht den Zusatz "A Memoir". "Dies sind meine ganz persönlichen Erinnerungen", teilt die 1972 in Melbourne geborene Autorin mit. Sie lässt aber einen gewissen Fiktionalisierungsgrad erkennen, wenn sie erklärt, sie habe "mehrere Charaktere miteinander verschmolzen und einige Ereignisse gestrafft". Doch ist dieses Buch ohnehin bewusst egozentrisch angelegt, fast alle Personen außer Kate Holden sind im Grunde austauschbar. Ihren Weg zum Heroin stellt die Autorin weder als zwangsläufig noch als rein zufällig dar. Nach ihrer Jugend fühlt sie sich zu einem "wilderen" Leben hingezogen. Andererseits wäre es vielleicht bei den Joints und Drinks geblieben, hätte sie sich nicht in einen jungen Mann verliebt, der mit dem Fixen beginnt.
Es liegt wohl an der Straffung der Ereignisse, dass an wichtigen Punkten ein Deus ex machina in Erscheinung tritt. Einmal ist es "David, ein alter Freund aus Uni-Zeiten", von dem vorher noch nie die Rede war. Er lässt Kate bei sich wohnen und ansonsten in Ruhe. Praktischerweise ist er Anwalt. Straßenprostitution ist in Australien illegal, auch wenn sie nur sporadisch verfolgt wird. Kate trifft es. Der Richter will ein Exempel statuieren und verurteilt sie zu einer Bewährungsstrafe. Jetzt ist sie auf dem Straßenstrich, auf den sie weiterhin geht, vom Gefängnis bedroht. Doch prompt wird sie "von einem jungen Schnösel angesprochen", der für ein lizenziertes Bordell "noch Damen für die Nachtschicht" sucht. Sie wechselt in die Bordellprostitution, und das hat nicht nur zur Folge, dass sie nun legal anschaffen kann. Zunehmend betrachtet sie diese Arbeit nicht mehr nur als Mittel zum Zweck der Drogenbeschaffung: "Nein, sie war etwas, das mich veränderte, mich stärkte, mich schulte." Sie entwickelt geradezu Ehrgeiz und den Wunsch, sich von dem verdienten Geld mal etwas anderes zu leisten als nur Heroin. Für Kate Holden wird die Prostitution zur wesentlichen Hilfe, sich zumindest psychisch aus der Sucht zu lösen.
Obwohl die Ereignisse, über die sie berichtet, erst wenige Jahre zurückliegen, schreibt die Autorin aus einer distanzierten Haltung, mit einem fast kühlen Blick auf das eigene Leben. Dadurch gelingt es, dass das Buch weder in Gefühlskitsch noch ins Reißerische abgleitet. Die emotionalsten Momente sind diejenigen, welche die Eltern betreffen, doch auch hier wird übermäßige Sentimentalität vermieden. Die Beziehung zu den Eltern reißt nie ganz ab. Und die entscheidenden, irgendwann nicht mehr brachialen, sondern behutsamen Impulse für die Schritte weg von der Droge gehen von der Mutter aus.
Der Preis, den Holdens Erzählhaltung fordert, liegt darin, dass Sucht, Rausch und nachtseitiges Leben zwar beschrieben, aber nicht unmittelbar sinnfällig werden. Sie kommen weit weniger als etwa in A. L. Kennedys (keineswegs autobiographischem) Roman "Paradies", der aus der Perspektive einer Alkoholsüchtigen erzählt ist, zum Ausdruck. Doch ist dieser Vergleich ungerecht, nicht nur, weil er einen der höchsten Maßstäbe anlegt, den die gegenwärtige Weltliteratur bereithält, sondern auch, weil man die stilistischen und formalen Grundentscheidungen der Autorin respektieren muss. Sie hätte allerdings berücksichtigen sollen, dass gerade der vergleichsweise konventionelle, chronologische Aufbau des Buches das Vermeiden von Längen umso notwendiger macht.
"Unter meiner Haut" gehört gewiss zum Seriöseren, was all jene, die in der Literatur immerzu "Authentizität" suchen, zurzeit an solcherart autobiographischen Schilderungen finden können. Das Buch hebt sich von vielen vergleichbaren Veröffentlichungen durch die auch in der Übersetzung spürbare sprachliche Sorgfalt ab. Ein "lyrisches Buch", wie im Klappentext behauptet, ist es nicht. Aber das muss es ja auch nicht sein.
HARDY REICH
Kate Holden: "Unter meiner Haut". Intime Bekenntnisse. Aus dem Englischen übersetzt von Sabine und Max Hedinger. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006. 351 S., geb., 19,90 [Euro].
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