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Nordsee
Lässig & locker auf Sylt. Getestet: 20 Inseln, 60 Restaurants, 90 Hotels
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Auszug aus der Reportage "Wochen der Liebe auf dieser milden Wildnis" von Fritz J. Raddatz:Ja, ja, gewiß, gewiß - wir alle kennen uns aus als kundige "Stern"-Leser, wir alle sind glänzend vorgebildet durch die zahllosen Glitzerchen und Fünkchen der illustrierten Milchstraße, die uns aufklären - Sylt: das sind durchtanzte Nächte; Kampen: das ist dort, wo der Champagner den Reitern aufs Pferd serviert wird vor den parkenden Ferrari, Lamborghini und Maserati. Tatsächlich gibt es nach wie vor eine klischee-süchtige Klientel, Kreissparkassendirektoren mit zu grünen Jacken, zu blonden Zwei...
Auszug aus der Reportage "Wochen der Liebe auf dieser milden Wildnis" von Fritz J. Raddatz:
Ja, ja, gewiß, gewiß - wir alle kennen uns aus als kundige "Stern"-Leser, wir alle sind glänzend vorgebildet durch die zahllosen Glitzerchen und Fünkchen der illustrierten Milchstraße, die uns aufklären - Sylt: das sind durchtanzte Nächte; Kampen: das ist dort, wo der Champagner den Reitern aufs Pferd serviert wird vor den parkenden Ferrari, Lamborghini und Maserati. Tatsächlich gibt es nach wie vor eine klischee-süchtige Klientel, Kreissparkassendirektoren mit zu grünen Jacken, zu blonden Zweitfrauen und zu roten (Leih-)Wagen, die sich die Hälse verrenken schon vormittags beim Sekt nach "Prominenz". Als seien die sagenumwobenen Gunter Sachs und Peter Boehnisch nicht inzwischen weißhaarige ältere Herren, recht stämmig geworden. Das ist, mag sein, auch Sylt.
Mein Sylt liegt Lichtjahre entfernt; will sagen: beginnt ziemlich genau fünf Gehminuten von Kampens "Whisky-Straße" entfernt. Als sei da ein Zaun gezogen mit dem Schild "Zutritt verboten" - so jäh einsam ist bereits der Weg hin zum und entlang am Kampener Watt.
Am Leuchtturm vorbei und an den bärhaft-zottelig aussehenden schwarzen Galloway-Rindern, umfängt den Spaziergänger eine geradezu bestürzende Stille. Anders als am meist brandungswütenden Meer herrscht hier zur "l'heure bleue" - je nach Jahreszeit verschieden: Mai bis Juni erst spät, so um 19 Uhr herum, im September schon am Nachmittag - eine Art vielstimmiges Schweigen, dessen Wispern sich zusammensetzt aus dem Schirpen des Schilfs, dem schleifenden Flügelschlag der Möwen, dem Gunksen des auf dem Sand spielenden Wassers. Schwer zu definieren, worin das Betörende, die Melancholie dieser meist menschenleeren Landschaft besteht, deren Horizont sich im Frühsommer unendlich dehnt - der Himmel gleicht dem Perlmutt einer Riesenmuschel, graugrün mit zarten Fäden von Rosa und Violett durchzogen.
Wer gut zu Fuß ist, kann am Watt entlang bis Keitum wandern, dem wohl schönsten Dorf auf Sylt (im 18. Jahrhundert der Hauptort der Insel, die nur per Postsegler beziehungsweise im Winter mit dem Eisboot zu erreichen war), in dem sich einst die Kapitäne zur Ruhe setzten; die weiß getünchten Reetdach-Häuser liegen wie Perlen in Kissen aus Flieder und Goldregen gebettet (und im Herbst im Farbschaum der Dahlien).
"Gebettet" sind in Keitum auch viele der alten Familien - oder der alten Sylt-Liebhaber wie Peter Suhrkamp und Ferdinand Avenarius - nämlich auf dem wunderschönen Keitumer Friedhof, der das rührende Kirchlein (mit romanischem Turm!) "trägt". Dort herrscht eine Sylter Institution - der Pastor Traugott Giesen, dessen unfrömmelnd-kräftige Predigten so beliebt sind wie der ganze Kerl, ob er nun Bordeaux trinkt beim heftigen privaten Disput über den lieben Gott oder am sommerlichen Dorffest namens Ringreiten teilnimmt, bei dem festlich geschmückte Greise, prächtig uniformierte Feuerwehrleute oder auch schon mal der Händler der inselbesten Fischpasteten auf ihren herausgeputzten Pferden einen Speer in einen winzigen Eisenring zielen müssen.
Ausdauer wird belohnt - den Abend kann man in der kerzengeschmückten Kirche bei Orgel- oder Trompetenkonzert verbringen (es muß gar nicht immer Güttler sein, der "Hausorganist" Matthias Eisenberg ist hervorragend). Oder man kehrt ein bei "Fisch-Fiete", wo einen die neuen Pächter Simmi Segner und Ray Reck zu Küchenchef Heinz Bohrmanns "Steinbutt la Felix" (in Kräutern, Gemüsen und Champagner im Tontopf gebacken) den richtigen Wein empfehlen; was keineswegs heißt, den teuersten. Wie ohnehin im (zugegeben: teuren) Sylt Geld nicht der alleinige Maßstab ist; womit nicht der Platitüde "Die Natur ist umsonst" die Hand gereicht sein soll.
Doch wer sich dem Cartier-Vuitton-Jil-Sander-Sog entziehen kann, findet eine variantenreiche Gastronomie zwischen "Strünker's" Bratkartoffeln mit Sülze bei Bier und Korn über die köstlichen Lammbratwürstchen im "Pesel" vom berühmten "Restaurant Jörg Müller" bis zu dem ganz einmaligen "Sansibar" in den Dünen zwischen Hörnum und Rantum, das nicht nur die herrlichsten badischen Weine und eine frisch im Ofen gegarte Meeräsche im Angebot hält, sondern auch einen "privaten Sonnenuntergang". Wer je in diesem Blockhaus, einem Zwitter zwischen Vogelnest und Skihütte, auf der gegen den Wind verglasten Terrasse hoch in den Dünen über dem Meer diese wahnsinnig gewordene Riesenorange ins Meer rollen sah - fast möchte ich sagen: ins Meer hineinschmelzen hörte -, der wird Sylt nie mehr vergessen können.
Rätsel lassen sich lösen. Geheimnisse nicht. Deshalb ist es so schwierig, den Magnetismus dieser Insel zu beschreiben, von der Thomas Mann schon erzählte und die Siegfried Jacobsohn - er redigierte in den zwanziger Jahren sommers hier die "Weltbühne" - in verzauberten Briefen an Kurt Tucholsky nahezu besang.
übrigens an einen Kurt Tucholsky, den er immer und immer wieder - allerdings vergebens - auf die geliebte Nordseeinsel zu locken suchte, wo ihn im Spätsommer 1921 dann nicht der Weggefährte, sondern Thomas Mann besuchte: "Der alte Waterkantler hatte die Insel nicht gekannt und ist so erschlagen, daß er sofort entweder ein Friesenhaus oder Terrain kaufen will. Tatsächlich hat ja Westeuropa zwischen Hammerfest und Gibraltar nicht ihresgleichen."
Die Briefe sind durchzogen von einem Jubelton, den man dem nüchternen "Weltbühne"-Redakteur niemals zugetraut hätte; er schwärmt von "Sonne und Seligkeit" oder seufzt geradezu "Mensch, ist das hier schön! Habe mit Glückstränen im Auge die heimatliche Erde geküßt." Und selbst die kurze Schiffsfahrt versetzt ihn in Euphorie: "... für die überfahrt übers Wattenmeer geb' ich das ganze Engadin hin und bin meines Handelns froh. Ich bin so berauscht, daß ich keine drei Minuten fest auf dem Stuhl sitzen kann ..."
Die Anthologie literarischer und künstlerischer Zeugnisse, die den eigenartigen Zauber der Insel einfingen, wäre umfangreich: von Theodor Storms erst postum aufgefundener "Sylter Novelle" über jenes charakteristische "Badestrand"-Bild Emil Noldes - der auf die Frage nach den für ihn typischen Tönen Braunrot, Hellrot und dunkles Violett antwortete: "Mein Vater hatte nie soviel Geld, um mir Farben zu kaufen. Aber malen mußte ich. So nahm ich Karottensaft und Rote-Beete-Saft oder rote Johannisbeeren oder Heidelbeeren. So fing ich an" - bis zu dem so eindringlichen Bild, das Thomas Mann von seinem Hans Castorp im "Zauberberg" zeichnet:
"Auf Sylt hatte er, in weißen Hosen, sicher, elegant und ehrerbietig am Rande der mächtigen Brandung gestanden wie vor einem Löwenkäfig, hinter dessen Gittern die Bestie ihren Rachen mit den fürchterlichen Reißzähnen schlundtief ergähnen läßt." Tatsächlich war Thomas Mann - er verbrachte drei Sommer auf Sylt - tief aufgerührt von der ihn erregenden Stimmung des Meeres, einer "erfrischenden Melancholie" und dem "Raubtiermäßigen der Wellen". ...
Ja, ja, gewiß, gewiß - wir alle kennen uns aus als kundige "Stern"-Leser, wir alle sind glänzend vorgebildet durch die zahllosen Glitzerchen und Fünkchen der illustrierten Milchstraße, die uns aufklären - Sylt: das sind durchtanzte Nächte; Kampen: das ist dort, wo der Champagner den Reitern aufs Pferd serviert wird vor den parkenden Ferrari, Lamborghini und Maserati. Tatsächlich gibt es nach wie vor eine klischee-süchtige Klientel, Kreissparkassendirektoren mit zu grünen Jacken, zu blonden Zweitfrauen und zu roten (Leih-)Wagen, die sich die Hälse verrenken schon vormittags beim Sekt nach "Prominenz". Als seien die sagenumwobenen Gunter Sachs und Peter Boehnisch nicht inzwischen weißhaarige ältere Herren, recht stämmig geworden. Das ist, mag sein, auch Sylt.
Mein Sylt liegt Lichtjahre entfernt; will sagen: beginnt ziemlich genau fünf Gehminuten von Kampens "Whisky-Straße" entfernt. Als sei da ein Zaun gezogen mit dem Schild "Zutritt verboten" - so jäh einsam ist bereits der Weg hin zum und entlang am Kampener Watt.
Am Leuchtturm vorbei und an den bärhaft-zottelig aussehenden schwarzen Galloway-Rindern, umfängt den Spaziergänger eine geradezu bestürzende Stille. Anders als am meist brandungswütenden Meer herrscht hier zur "l'heure bleue" - je nach Jahreszeit verschieden: Mai bis Juni erst spät, so um 19 Uhr herum, im September schon am Nachmittag - eine Art vielstimmiges Schweigen, dessen Wispern sich zusammensetzt aus dem Schirpen des Schilfs, dem schleifenden Flügelschlag der Möwen, dem Gunksen des auf dem Sand spielenden Wassers. Schwer zu definieren, worin das Betörende, die Melancholie dieser meist menschenleeren Landschaft besteht, deren Horizont sich im Frühsommer unendlich dehnt - der Himmel gleicht dem Perlmutt einer Riesenmuschel, graugrün mit zarten Fäden von Rosa und Violett durchzogen.
Wer gut zu Fuß ist, kann am Watt entlang bis Keitum wandern, dem wohl schönsten Dorf auf Sylt (im 18. Jahrhundert der Hauptort der Insel, die nur per Postsegler beziehungsweise im Winter mit dem Eisboot zu erreichen war), in dem sich einst die Kapitäne zur Ruhe setzten; die weiß getünchten Reetdach-Häuser liegen wie Perlen in Kissen aus Flieder und Goldregen gebettet (und im Herbst im Farbschaum der Dahlien).
"Gebettet" sind in Keitum auch viele der alten Familien - oder der alten Sylt-Liebhaber wie Peter Suhrkamp und Ferdinand Avenarius - nämlich auf dem wunderschönen Keitumer Friedhof, der das rührende Kirchlein (mit romanischem Turm!) "trägt". Dort herrscht eine Sylter Institution - der Pastor Traugott Giesen, dessen unfrömmelnd-kräftige Predigten so beliebt sind wie der ganze Kerl, ob er nun Bordeaux trinkt beim heftigen privaten Disput über den lieben Gott oder am sommerlichen Dorffest namens Ringreiten teilnimmt, bei dem festlich geschmückte Greise, prächtig uniformierte Feuerwehrleute oder auch schon mal der Händler der inselbesten Fischpasteten auf ihren herausgeputzten Pferden einen Speer in einen winzigen Eisenring zielen müssen.
Ausdauer wird belohnt - den Abend kann man in der kerzengeschmückten Kirche bei Orgel- oder Trompetenkonzert verbringen (es muß gar nicht immer Güttler sein, der "Hausorganist" Matthias Eisenberg ist hervorragend). Oder man kehrt ein bei "Fisch-Fiete", wo einen die neuen Pächter Simmi Segner und Ray Reck zu Küchenchef Heinz Bohrmanns "Steinbutt la Felix" (in Kräutern, Gemüsen und Champagner im Tontopf gebacken) den richtigen Wein empfehlen; was keineswegs heißt, den teuersten. Wie ohnehin im (zugegeben: teuren) Sylt Geld nicht der alleinige Maßstab ist; womit nicht der Platitüde "Die Natur ist umsonst" die Hand gereicht sein soll.
Doch wer sich dem Cartier-Vuitton-Jil-Sander-Sog entziehen kann, findet eine variantenreiche Gastronomie zwischen "Strünker's" Bratkartoffeln mit Sülze bei Bier und Korn über die köstlichen Lammbratwürstchen im "Pesel" vom berühmten "Restaurant Jörg Müller" bis zu dem ganz einmaligen "Sansibar" in den Dünen zwischen Hörnum und Rantum, das nicht nur die herrlichsten badischen Weine und eine frisch im Ofen gegarte Meeräsche im Angebot hält, sondern auch einen "privaten Sonnenuntergang". Wer je in diesem Blockhaus, einem Zwitter zwischen Vogelnest und Skihütte, auf der gegen den Wind verglasten Terrasse hoch in den Dünen über dem Meer diese wahnsinnig gewordene Riesenorange ins Meer rollen sah - fast möchte ich sagen: ins Meer hineinschmelzen hörte -, der wird Sylt nie mehr vergessen können.
Rätsel lassen sich lösen. Geheimnisse nicht. Deshalb ist es so schwierig, den Magnetismus dieser Insel zu beschreiben, von der Thomas Mann schon erzählte und die Siegfried Jacobsohn - er redigierte in den zwanziger Jahren sommers hier die "Weltbühne" - in verzauberten Briefen an Kurt Tucholsky nahezu besang.
übrigens an einen Kurt Tucholsky, den er immer und immer wieder - allerdings vergebens - auf die geliebte Nordseeinsel zu locken suchte, wo ihn im Spätsommer 1921 dann nicht der Weggefährte, sondern Thomas Mann besuchte: "Der alte Waterkantler hatte die Insel nicht gekannt und ist so erschlagen, daß er sofort entweder ein Friesenhaus oder Terrain kaufen will. Tatsächlich hat ja Westeuropa zwischen Hammerfest und Gibraltar nicht ihresgleichen."
Die Briefe sind durchzogen von einem Jubelton, den man dem nüchternen "Weltbühne"-Redakteur niemals zugetraut hätte; er schwärmt von "Sonne und Seligkeit" oder seufzt geradezu "Mensch, ist das hier schön! Habe mit Glückstränen im Auge die heimatliche Erde geküßt." Und selbst die kurze Schiffsfahrt versetzt ihn in Euphorie: "... für die überfahrt übers Wattenmeer geb' ich das ganze Engadin hin und bin meines Handelns froh. Ich bin so berauscht, daß ich keine drei Minuten fest auf dem Stuhl sitzen kann ..."
Die Anthologie literarischer und künstlerischer Zeugnisse, die den eigenartigen Zauber der Insel einfingen, wäre umfangreich: von Theodor Storms erst postum aufgefundener "Sylter Novelle" über jenes charakteristische "Badestrand"-Bild Emil Noldes - der auf die Frage nach den für ihn typischen Tönen Braunrot, Hellrot und dunkles Violett antwortete: "Mein Vater hatte nie soviel Geld, um mir Farben zu kaufen. Aber malen mußte ich. So nahm ich Karottensaft und Rote-Beete-Saft oder rote Johannisbeeren oder Heidelbeeren. So fing ich an" - bis zu dem so eindringlichen Bild, das Thomas Mann von seinem Hans Castorp im "Zauberberg" zeichnet:
"Auf Sylt hatte er, in weißen Hosen, sicher, elegant und ehrerbietig am Rande der mächtigen Brandung gestanden wie vor einem Löwenkäfig, hinter dessen Gittern die Bestie ihren Rachen mit den fürchterlichen Reißzähnen schlundtief ergähnen läßt." Tatsächlich war Thomas Mann - er verbrachte drei Sommer auf Sylt - tief aufgerührt von der ihn erregenden Stimmung des Meeres, einer "erfrischenden Melancholie" und dem "Raubtiermäßigen der Wellen". ...