Bettina Wilpert
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Leipzig. Sommer. Universität, Fußball-WM und Volksküche. Gute Freunde. Eine Geburtstagsfeier. Anna sagt, sie wurde vergewaltigt. Jonas sagt, es war einvernehmlicher Geschlechtsverkehr. Aussage steht gegen Aussage. Nach zwei Monatennah an der Verzweiflung zeigt Anna Jonas schließlich an, doch im Freundeskreis hängt bald das Wort "Falschbeschuldigung" in der Luft. Jonas' und Annas Glaubwürdigkeit und ihre Freundschaften werden aufs Spiel gesetzt.Der Roman »nichts, was uns passiert« thematisiert, welchen Einfluss eine Vergewaltigung auf Opfer, Täter und das Umfeld hat und wie eine Gesell...
Leipzig. Sommer. Universität, Fußball-WM und Volksküche. Gute Freunde. Eine Geburtstagsfeier. Anna sagt, sie wurde vergewaltigt. Jonas sagt, es war einvernehmlicher Geschlechtsverkehr. Aussage steht gegen Aussage. Nach zwei Monatennah an der Verzweiflung zeigt Anna Jonas schließlich an, doch im Freundeskreis hängt bald das Wort "Falschbeschuldigung" in der Luft. Jonas' und Annas Glaubwürdigkeit und ihre Freundschaften werden aufs Spiel gesetzt.Der Roman »nichts, was uns passiert« thematisiert, welchen Einfluss eine Vergewaltigung auf Opfer, Täter und das Umfeld hat und wie eine Gesellschaft mit sexueller Gewalt umgeht.
Produktbeschreibung
- Verlag: Verbrecher Verlag
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 167
- Erscheinungstermin: 28. Februar 2018
- Deutsch
- Abmessung: 202mm x 144mm x 20mm
- Gewicht: 300g
- ISBN-13: 9783957323071
- ISBN-10: 395732307X
- Artikelnr.: 50282056
Herstellerkennzeichnung
Verbrecher Verlag
Gneisenaustraße 2a
10961 Berlin
#MeToo im Elfenbeinturm
Hat er sie vergewaltigt? Oder nicht? Bettina Wilperts Debütroman "nichts, was uns passiert" hält die Dinge in der Schwebe
Etwas Furchtbares ist geschehen: Jonas hat Anna vergewaltigt. Beziehungsweise: Anna beschuldigt Jonas, das getan zu haben. Dabei waren sie davor doch Freunde, schliefen sogar miteinander, "Friends with Benefits" eben, wie man die Konstellation auf Englisch nennt.
Die Geschichte des Debütromans von Bettina Wilpert beginnt harmlos: Es ist Sommer in Leipzig, die Fußball-WM des Jahres 2014 läuft, überall Public Viewings und fröhliche Menschen. Anna und Jonas sind Studenten, man lernt sich über einen gemeinsamen Freund kennen. Man raucht und diskutiert. Man trinkt
Hat er sie vergewaltigt? Oder nicht? Bettina Wilperts Debütroman "nichts, was uns passiert" hält die Dinge in der Schwebe
Etwas Furchtbares ist geschehen: Jonas hat Anna vergewaltigt. Beziehungsweise: Anna beschuldigt Jonas, das getan zu haben. Dabei waren sie davor doch Freunde, schliefen sogar miteinander, "Friends with Benefits" eben, wie man die Konstellation auf Englisch nennt.
Die Geschichte des Debütromans von Bettina Wilpert beginnt harmlos: Es ist Sommer in Leipzig, die Fußball-WM des Jahres 2014 läuft, überall Public Viewings und fröhliche Menschen. Anna und Jonas sind Studenten, man lernt sich über einen gemeinsamen Freund kennen. Man raucht und diskutiert. Man trinkt
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und diskutiert noch mehr. Vor der Bibliothek. Auf Brücken, auf Partys. Studentengespräche, zwischen Flirt und intellektuellem Kreuzverhör, leicht und gefährlich zugleich. So werden anhand von Literaturvorlieben gleich Charakterschwächen ausgemacht: Jonas liebt Sorokin, den Anna "pornografisch, vulgär und eklig" findet.
Eigentlich sind die beiden einander suspekt, sie wissen noch nicht einmal so recht, ob sie einander überhaupt anziehend finden:
"Ja, sie dachte, dass er gut aussah, doch sie fand ihn nicht attraktiv. Sie mochte den Bart - und die Brille. Er war einer dieser Möchtegern-Intellektuellen; und auch wenn sie diesen Style mochte, stieß er sie gleichzeitig ab, dieses Vor-Sich-Hintragen: Ich habe studiert, ich bin sehr schlau. Sie war nicht hässlich. Aber keine, bei der er dachte: Wow."
Trotz dieser Unentschlossenheit landet man im Bett. Er ist nicht gut, der betrunkene Sex, aber auch nicht schlimm. Bei der nächsten Party ist Anna wieder blau, dieses Mal aber passiert das Unverzeihliche, das eigentlich Unmögliche: Die beiden haben Sex, Anna fühlt sich danach vergewaltigt. Was ist daran unmöglich? Na ja, Anna und Jonas haben immerhin studiert. Jonas ist kein Chauvi. Er hat die richtigen Bücher gelesen, seine Mutter ist Feministin. Vergewaltigung - das ist nichts, was einer wie Anna und einem wie Jonas passiert, meinen Anna, Jonas und deren Umfeld.
Und ja, in "nichts, was uns passiert" scheint die Vergewaltigung tatsächlich auch Jonas zu passieren. Der mögliche Täter ist auch ein mögliches Opfer, denn so klar Anna fühlt, dass Jonas gegen ihren Willen mit ihr schlief, so sicher ist sich Jonas, dass der Sex einvernehmlich war. Beiden Perspektiven wird in dem Buch gleiches Gewicht gegeben. Das ist durchaus interessant, weil der Leser pingponghaft Sympathie mit Anna und Jonas empfindet und dadurch eine gewisse Ambivalenz ertragen lernen muss.
Der Roman erreicht das durch eine eigenwillige Erzählform. Viele Sätze beginnen zum Beispiel mit "Dass", wie schon der allererste: "Dass es im Mai war und er sich mit Joni vorstellte, obwohl sie ihn nie so nennen würde und auch niemand sonst ihn so nannte."
Dem Leser wird bald klar, was hier elliptisch ausgelassen wird: "Anna beziehungsweise Jonas erzählt oder berichtet, dass . . ." Empfänger dieser Berichte ist ein unbekannter Ich-Erzähler, einer, der alles erfährt und theoretisch ein gerechtes Urteil fällen kann. Vielleicht ist dieser Erzähler aus dem Off ein engagierter Freund der beiden. Oder ein Privatdetektiv. Oder vielleicht ist er sogar der Leser selbst.
Das Buch entscheidet sich nämlich nicht für eine der beiden Versionen. Es fällt kein Urteil. Geht es hier also um die berühmte Unmöglichkeit von objektiver Realität, um die gleichberechtigte Existenz verschiedener subjektiver Realitäten wie in Kurosawas Film "Rashomon"?
Nein - oder jedenfalls nicht nur. Es geht Wilpert mindestens genauso um die sozialen Konsequenzen einer solchen Anklage. Die Details der Nacht, in der Anna sich von Jonas missbraucht fühlt, werden jedenfalls schon im ersten Drittel des Romans abgehandelt. Ausführlicher geht es um die Freunde, die sich abwenden oder distanzieren, demütigende Polizeiverhöre, Campus-Tratsch. Um eine Stigmatisierung von Opfer und Täter, die über diese geteilte Erfahrung beinahe wieder zueinanderfinden.
Es geht außerdem um die Tatsache, dass sich die Opfer von Sexualverbrechen danach selten so logisch nachvollziehbar und vernünftig verhalten, wie das später für ein klares juristisches Urteil wünschenswert erscheinen mag. Anna zum Beispiel hat nach der besagten Nacht noch SMS-Kontakt zu Jonas, schlägt ihm vor, sich zu treffen, erstattet erst Monate danach Anzeige. Dieses offenbar so seltsame Verhalten irritiert und schwächt Annas Glaubwürdigkeit.
Im Februar 2018 also erscheint ein Roman, in dem es um die peinliche Grauzone geht zwischen "einvernehmlichem Sex" und Vergewaltigung, darum, wie die Gesellschaft sich um Opfer und Täter arrangiert. Das Buch passt genau in die #MeToo-Debatte, bei der den Anklägerinnen ja anfänglich auch vorgehalten wurde, ihr langes Schweigen lasse die Wahrhaftigkeit ihrer Aussagen zweifelhaft erscheinen. Punktlandung für Bettina Wilpert und ihren Verlag.
Anna fühlt sich vergewaltigt. Ihr Kampf um Gerechtigkeit scheitert an ihrem uneindeutigen Verhalten zum Tatzeitpunkt - sie habe sich nicht genug gewehrt, sie sei Jonas nicht ausgeliefert gewesen, schließlich hätte sie dessen Zimmer ja jederzeit verlassen können. Im Wortlaut der Juristen klingt das so: "Das Ausüben des Geschlechtsverkehrs gegen den Willen des anderen ist grob anstößig und geschmacklos, aber ohne den Einsatz eines qualifizierten Nötigungsmittels nicht strafbar." Nach juristischen Maßstäben ist kein Verbrechen vorgefallen. Vielleicht sind das ja aber nicht die einzig relevanten Maßstäbe, wenn es um Recht und Unrecht geht?
Und so sucht Anna - wie viele Frauen in letzter Zeit - Genugtuung vor einem anderen Gericht: der sozialen Öffentlichkeit. Anna hofft, dass sich ihr Umfeld, die Freunde, die Uni auf ihre Seite schlagen. Zu dieser eindeutigen Solidarisierung mit Annas Anliegen kommt es aber nicht. So bleibt nur noch der Leser übrig, um dessen Wohlwollen sowohl Anna als auch Jonas zu ringen scheinen.
Eignet sich der Umstand einer Vergewaltigung wirklich für ein moralphilosophisches Gedankenexperiment, bei dem der Leser wie auf einem Vexierbild mal Annas, mal Jonas' Unschuld zu erkennen glaubt? Die anhaltende Neutralität der Autorin macht einen bisweilen wütend. Es mag zwar sein, dass Wilpert selbst sehr wohl der Auffassung ist, dass es sich um eine Vergewaltigung handele und Jonas eine Strafe verdiene. Aber sie lässt den Leser allein mit der Frage, wie denn nun was in dieser Geschichte zu bewerten sei.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Autorin sich am Ende hinter der sorgfältig arrangierten Faktenlage versteckt und sich mit dem eigenen Urteil deswegen zurückhält, weil sie sich nicht traut, dieses Urteil auszusprechen. Und so liest sich der Text bisweilen wie eine Apologie all jener Männer, die sich letztlich auf Ahnungslosigkeit oder eine untergehende Kultur von Macht und Unterwerfung berufen.
Wohlwollend ausgelegt lässt sich in dieser hartnäckigen Zurückhaltung natürlich auch der Versuch sehen, die Leser zum eigenständigen Denken zu zwingen. Das ist vielleicht ein bisschen schulmeisterlich, zugleich aber ist die Aufforderung, sich in Anbetracht unterschiedlicher Versionen Gedanken machen zu müssen und dabei zu reflektieren, wie schwierig es ist, sich eine Meinung zu bilden, im Zeitalter "alternativer Fakten" kein schlechtes Projekt.
SHOU AZIZ
Bettina Wilpert: "nichts, was uns passiert". Verbrecher-Verlag, 170 Seiten, 19 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eigentlich sind die beiden einander suspekt, sie wissen noch nicht einmal so recht, ob sie einander überhaupt anziehend finden:
"Ja, sie dachte, dass er gut aussah, doch sie fand ihn nicht attraktiv. Sie mochte den Bart - und die Brille. Er war einer dieser Möchtegern-Intellektuellen; und auch wenn sie diesen Style mochte, stieß er sie gleichzeitig ab, dieses Vor-Sich-Hintragen: Ich habe studiert, ich bin sehr schlau. Sie war nicht hässlich. Aber keine, bei der er dachte: Wow."
Trotz dieser Unentschlossenheit landet man im Bett. Er ist nicht gut, der betrunkene Sex, aber auch nicht schlimm. Bei der nächsten Party ist Anna wieder blau, dieses Mal aber passiert das Unverzeihliche, das eigentlich Unmögliche: Die beiden haben Sex, Anna fühlt sich danach vergewaltigt. Was ist daran unmöglich? Na ja, Anna und Jonas haben immerhin studiert. Jonas ist kein Chauvi. Er hat die richtigen Bücher gelesen, seine Mutter ist Feministin. Vergewaltigung - das ist nichts, was einer wie Anna und einem wie Jonas passiert, meinen Anna, Jonas und deren Umfeld.
Und ja, in "nichts, was uns passiert" scheint die Vergewaltigung tatsächlich auch Jonas zu passieren. Der mögliche Täter ist auch ein mögliches Opfer, denn so klar Anna fühlt, dass Jonas gegen ihren Willen mit ihr schlief, so sicher ist sich Jonas, dass der Sex einvernehmlich war. Beiden Perspektiven wird in dem Buch gleiches Gewicht gegeben. Das ist durchaus interessant, weil der Leser pingponghaft Sympathie mit Anna und Jonas empfindet und dadurch eine gewisse Ambivalenz ertragen lernen muss.
Der Roman erreicht das durch eine eigenwillige Erzählform. Viele Sätze beginnen zum Beispiel mit "Dass", wie schon der allererste: "Dass es im Mai war und er sich mit Joni vorstellte, obwohl sie ihn nie so nennen würde und auch niemand sonst ihn so nannte."
Dem Leser wird bald klar, was hier elliptisch ausgelassen wird: "Anna beziehungsweise Jonas erzählt oder berichtet, dass . . ." Empfänger dieser Berichte ist ein unbekannter Ich-Erzähler, einer, der alles erfährt und theoretisch ein gerechtes Urteil fällen kann. Vielleicht ist dieser Erzähler aus dem Off ein engagierter Freund der beiden. Oder ein Privatdetektiv. Oder vielleicht ist er sogar der Leser selbst.
Das Buch entscheidet sich nämlich nicht für eine der beiden Versionen. Es fällt kein Urteil. Geht es hier also um die berühmte Unmöglichkeit von objektiver Realität, um die gleichberechtigte Existenz verschiedener subjektiver Realitäten wie in Kurosawas Film "Rashomon"?
Nein - oder jedenfalls nicht nur. Es geht Wilpert mindestens genauso um die sozialen Konsequenzen einer solchen Anklage. Die Details der Nacht, in der Anna sich von Jonas missbraucht fühlt, werden jedenfalls schon im ersten Drittel des Romans abgehandelt. Ausführlicher geht es um die Freunde, die sich abwenden oder distanzieren, demütigende Polizeiverhöre, Campus-Tratsch. Um eine Stigmatisierung von Opfer und Täter, die über diese geteilte Erfahrung beinahe wieder zueinanderfinden.
Es geht außerdem um die Tatsache, dass sich die Opfer von Sexualverbrechen danach selten so logisch nachvollziehbar und vernünftig verhalten, wie das später für ein klares juristisches Urteil wünschenswert erscheinen mag. Anna zum Beispiel hat nach der besagten Nacht noch SMS-Kontakt zu Jonas, schlägt ihm vor, sich zu treffen, erstattet erst Monate danach Anzeige. Dieses offenbar so seltsame Verhalten irritiert und schwächt Annas Glaubwürdigkeit.
Im Februar 2018 also erscheint ein Roman, in dem es um die peinliche Grauzone geht zwischen "einvernehmlichem Sex" und Vergewaltigung, darum, wie die Gesellschaft sich um Opfer und Täter arrangiert. Das Buch passt genau in die #MeToo-Debatte, bei der den Anklägerinnen ja anfänglich auch vorgehalten wurde, ihr langes Schweigen lasse die Wahrhaftigkeit ihrer Aussagen zweifelhaft erscheinen. Punktlandung für Bettina Wilpert und ihren Verlag.
Anna fühlt sich vergewaltigt. Ihr Kampf um Gerechtigkeit scheitert an ihrem uneindeutigen Verhalten zum Tatzeitpunkt - sie habe sich nicht genug gewehrt, sie sei Jonas nicht ausgeliefert gewesen, schließlich hätte sie dessen Zimmer ja jederzeit verlassen können. Im Wortlaut der Juristen klingt das so: "Das Ausüben des Geschlechtsverkehrs gegen den Willen des anderen ist grob anstößig und geschmacklos, aber ohne den Einsatz eines qualifizierten Nötigungsmittels nicht strafbar." Nach juristischen Maßstäben ist kein Verbrechen vorgefallen. Vielleicht sind das ja aber nicht die einzig relevanten Maßstäbe, wenn es um Recht und Unrecht geht?
Und so sucht Anna - wie viele Frauen in letzter Zeit - Genugtuung vor einem anderen Gericht: der sozialen Öffentlichkeit. Anna hofft, dass sich ihr Umfeld, die Freunde, die Uni auf ihre Seite schlagen. Zu dieser eindeutigen Solidarisierung mit Annas Anliegen kommt es aber nicht. So bleibt nur noch der Leser übrig, um dessen Wohlwollen sowohl Anna als auch Jonas zu ringen scheinen.
Eignet sich der Umstand einer Vergewaltigung wirklich für ein moralphilosophisches Gedankenexperiment, bei dem der Leser wie auf einem Vexierbild mal Annas, mal Jonas' Unschuld zu erkennen glaubt? Die anhaltende Neutralität der Autorin macht einen bisweilen wütend. Es mag zwar sein, dass Wilpert selbst sehr wohl der Auffassung ist, dass es sich um eine Vergewaltigung handele und Jonas eine Strafe verdiene. Aber sie lässt den Leser allein mit der Frage, wie denn nun was in dieser Geschichte zu bewerten sei.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Autorin sich am Ende hinter der sorgfältig arrangierten Faktenlage versteckt und sich mit dem eigenen Urteil deswegen zurückhält, weil sie sich nicht traut, dieses Urteil auszusprechen. Und so liest sich der Text bisweilen wie eine Apologie all jener Männer, die sich letztlich auf Ahnungslosigkeit oder eine untergehende Kultur von Macht und Unterwerfung berufen.
Wohlwollend ausgelegt lässt sich in dieser hartnäckigen Zurückhaltung natürlich auch der Versuch sehen, die Leser zum eigenständigen Denken zu zwingen. Das ist vielleicht ein bisschen schulmeisterlich, zugleich aber ist die Aufforderung, sich in Anbetracht unterschiedlicher Versionen Gedanken machen zu müssen und dabei zu reflektieren, wie schwierig es ist, sich eine Meinung zu bilden, im Zeitalter "alternativer Fakten" kein schlechtes Projekt.
SHOU AZIZ
Bettina Wilpert: "nichts, was uns passiert". Verbrecher-Verlag, 170 Seiten, 19 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension
Shou Aziz fühlt sich von Bettina Wilperts Debüt "nichts, was uns passiert" als Richterin darüber eingesetzt, ob der Protagonist ihres Romans tatsächlich die Protagonistin vergewaltigt hat. Der Roman lasse die Frage unbeantwortet - Anna bleibt bei ihrer Beschuldigung, Jonas streitet sie ab. Die Rezensentin glaubt allerdings nicht, dass es der Autorin dabei um die berühmte Suspendierung der objektiven Realität geht. Eher stelle Wilperts die sozialen Konsequenzen einer solchen Anklage in einem Umfeld aus, in dem Vergewaltigungen als fast undenkbar gelten - denn Jonas und Anna sind Studenten. Die scheinbar erhabenen Bildungskinder werden dann nach Aziz dennoch von ihrem ebenso lupenreinen Umfeld solange stigmatisiert, dass diese leidvolle Erfahrung sie einander fast wieder annähert. Obwohl die Rezensentin bemerkt, dass ein solches Buch genau in die aktuelle #MeToo-Debatte passt, hat es sie bisweilen geärgert, dass die Autorin ihrer Figur Anna nicht mit einer klaren Verurteilung von Jonas beispringt. Vergewaltigung scheint ihr nicht ganz das richtige Thema für ein moralphilosophisches Gedankenexperiment zu sein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Anna und Jonas. Bekannte sind sie, kein Paar, aber sie haben eine gemeinsame Vergangenheit. Bezüglich Sex - es gab da mal eine Nacht. Nicht sehr lange her.
Doch nun hat Hannes, ein gemeinsamer Freund, Geburtstag und es wird gefeiert. Und Anna trinkt. Viel zu viel. Das macht sie öfter …
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Anna und Jonas. Bekannte sind sie, kein Paar, aber sie haben eine gemeinsame Vergangenheit. Bezüglich Sex - es gab da mal eine Nacht. Nicht sehr lange her.
Doch nun hat Hannes, ein gemeinsamer Freund, Geburtstag und es wird gefeiert. Und Anna trinkt. Viel zu viel. Das macht sie öfter mal. Hannes und Jonas einigen sich darauf, sie zu Jonas zu bringen und dort ausschlafen zu lassen. Jonas legt sich neben sie, zieht sie aus und dann...
Am nächsten Morgen: Anna fühlt sich vergewaltigt. Ein absolut beschissenes Gefühl. Sie verschwindet aus Jonas' Wohnung und zieht sich zurück. Kleidet ihre Empfindung nicht in Worte, weder gegenüber Jonas noch sonst wem. Stellt auch keine Anzeige.
Aber dann doch, Wochen später, nach einem Gespräch mit ihrer Schwester. Und das spricht sich schnell rum im Freundes- und Bekanntenkreis. Gedanken und Überlegungen Dritter werden laut.
Jonas selbst ist sich keiner Schuld bewusst. Ein Vergewaltiger - er doch nicht! Ein Roman aus mehreren Perspektiven, einer der nicht wertet. Der den "Fall" nicht wertet.
Wobei ich persönlich das Gefühl des Ausgeliefert-Seins von Claire sehr gut nachvollziehen kann. Andere fühlen sich vielleicht eher Jonas näher - alles ist möglich, nichts verwerflich.
Doch, werden Sie sagen, die Vergewaltigung! Ja, keine Frage! Aber war es tatsächlich eine? Oder war es einfach etwas Belangloses? Nichts, was uns bzw. unserem Umfeld passiert?
Ein stilles Buch, aber eines, das quasi danach schreit, diskutiert zu werden. In Leserunden, aber vielleicht auch im Schulunterricht. Oder an der Uni? Kein bequemes Buch, aber eines, dass den Leser so schnell nicht wieder loslässt. Beziehungsweise in sein ruhiges Leben entlässt. Nein, es hallt nach. Lange. Auch wenn es nichts ist, was uns passiert.
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Juli 2014: Hannes feiert bei Jonas im Garten seinen Geburtstag. Es herrscht gute Stimmung, wie so häufig wird viel zu viel getrunken. So viel, dass Anna nicht mehr richtig gehen kann und von Hannes und dem ebenfalls sehr betrunkenen Jonas in dessen Bett getragen wird, um dort ihren Rausch …
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Juli 2014: Hannes feiert bei Jonas im Garten seinen Geburtstag. Es herrscht gute Stimmung, wie so häufig wird viel zu viel getrunken. So viel, dass Anna nicht mehr richtig gehen kann und von Hannes und dem ebenfalls sehr betrunkenen Jonas in dessen Bett getragen wird, um dort ihren Rausch auszuschlafen. Als sie aufwacht, registriert sie, immer noch betrunken, dass Jonas ihr die Hose auszieht und trotz ihres Protestes in sie eindringt. Anna schläft danach wieder ein, verschwindet am Morgen lautlos aus der Wohnung und erstattet zwei Monate später gegen Jonas Anzeige wegen Vergewaltigung.
Liest man Annas Geschichte aus ihrer Sicht, scheint die Sache klar zu sein. Doch so einfach macht es sich die Autorin nicht. Sie schiebt eine dritte, unbenannte Person zwischen die Lesenden und die jeweils erzählende Figur, die wie bei einer Reportage die Beteiligten befragt. Nicht nur Anna und Jonas, der eine völlig andere Erinnerung an diese Nacht hat, sondern auch Freunde und Freundinnen, Bekannte, Verwandte usw. Dadurch entwickelt sich aus dem scheinbar klaren Tatvorwurf der Vergewaltigung ein differenziertes Bild, das beim Lesen immer wieder aufs Neue die unterschiedlichsten Gefühle und Überlegungen entstehen lässt. Hier eine eindeutige Schuldzuweisung zu formulieren, gestaltet sich mit zunehmender Seitenzahl zusehends schwieriger.
Auch das Gesetz, das wohl mehr einem Schwarz-Weiß-Denken geschuldet ist (Vergewaltigung = Einsatz von Gewalt und einvernehmlicher Geschlechtsverkehr), kommt bei einem solchen Sachverhalt an seine Grenzen. Die große Grauzone, zu der auch der hier erzählte Vorfall gehört, bleibt davon ausgespart.
Eine einfache Lösung gibt es nicht, denn egal wie Gesetze formuliert werden, es steht Aussage gegen Aussage. Und das Grundproblem, dass Alkohol Schranken fallen lässt, von denen man vorher nicht einmal wusste, dass sie existieren, wäre damit immer noch nicht gelöst.
Ein sachliches, gut zu lesendes Buch, das sehr zum Nachdenken anregt.
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Broschiertes Buch
Anna lernt Jonas im Mai kennen. Jonas sagt, es war im Juni. Beide finden sich sympathisch, diskutieren gerne miteinander und landen auch mal zusammen im Bett. Auf der Geburtstagsfeier von Hannes, einem gemeinsamen Freund, trinken beide zu viel Alkohol und verbringen die Nacht in Jonas Zimmer. Zwei …
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Anna lernt Jonas im Mai kennen. Jonas sagt, es war im Juni. Beide finden sich sympathisch, diskutieren gerne miteinander und landen auch mal zusammen im Bett. Auf der Geburtstagsfeier von Hannes, einem gemeinsamen Freund, trinken beide zu viel Alkohol und verbringen die Nacht in Jonas Zimmer. Zwei Monate später zeigt Anna Jonas bei der Polizei wegen Vergewaltigung an. Jonas sagt, es war einverständlich. Es steht Aussage gegen Aussage.
Aus der Sicht des Interviewers, bei dem es unklar ist, ob es ein/e Reporter*in, Polizist*in oder Sozialarbeiter*in ist, wird die Geschichte erzählt. Diese*r hat Anna und Jonas befragt, deren Freunde, Eltern und andere Beteiligte und Unbeteiligte. Hieraus ergibt sich, was passiert sein soll, nicht aber, was passiert ist. Es bleibt uns überlassen, sich eine eigene Meinung beim lesen zu bilden.
„Wenn es ein Opfer gab, musste es auch einen Täter geben. War Jonas ein Täter? Oder war alles nur ein Missverständnis? Vielleicht hatte sie etwas falsch verstanden. Waren ihre Erinnerungen real? Was war während ihres Filmrisses passiert?“ (Seite 66)
Es ist erschreckend, wie wenig einem Opfer geglaubt wird. Es ist aber auch erschreckend, wie schnell jemand als Täter abgestempelt wird. Wer sagt die Wahrheit, wer lügt? Muss man als Freund*in Stellung beziehen? Sich auf eine Seite stellen? Woran machen wir fest, was wahr ist? Viele Fragen werden gestellt, nicht alle können beantwortet werden. Beim lesen musste ich oft mit dem Kopf schütteln, teilweise war ich entsetzt, welche Auswirkungen der Vorwurf, unabhängig davon, ob wahr oder unwahr, auf die Beteiligten hat. Welche Hürden ein mögliches Opfer nehmen muss, welchen Unannehmlichkeiten ein möglicher Täter ausgesetzt wird.
Ein wahnsinnig wichtiges Buch, das zum nachdenken anregt, zum diskutieren einlädt. Ein Buch, das nachklingt. Von mir gibt es 5 Sterne.
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Broschiertes Buch
INHALT: Anna und Jonas lernen sich in Leipzig über einen gemeinsamen Freund kennen. Zunächst begegnen sie sich eher zufällig und beginnen, über ihre politischen Ansichten und alles, was sich so in der Welt abspielt. Eines Abends treffen sie sich, beginnen zu trinken und landen im …
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INHALT: Anna und Jonas lernen sich in Leipzig über einen gemeinsamen Freund kennen. Zunächst begegnen sie sich eher zufällig und beginnen, über ihre politischen Ansichten und alles, was sich so in der Welt abspielt. Eines Abends treffen sie sich, beginnen zu trinken und landen im Bett.
Das gleiche spielt sich nochmal ähnlich ab, beim dritten Mal sind Anna und Jonas sehr betrunken und Anna behauptet, sie wollte keine Sex mit ihm haben und hat "Nein" gesagt. Jonas hingegen behauptet, der Sex war einvernehmlich und er habe Anna sogar gefragt, ob es ihr gefällt, was sie bejahte.
Zu Beginn frisst Anna alles in sich hinein, doch dann vertraut sie sich ihrer Schwester Daria an, welche Anna dazu bringt, Jonas anzuzeigen. Zunächst will Anna das nicht, doch als sie Jonas zufällig wieder begegnet, stürmt sie sofort zur nächsten Polizeiwache.
Nun steht Aussagen gegen Aussage und immer mehr Menschen sympathisieren mit der einen oder anderen Partei.
MEINE MEINUNG: Die Thematik fand ich ja wirklich spannend. Generell finde ich Sexualverbrechen interessant, bin aber durch Fernsehsendungen etc. eher mit den klassischen in Kontakt gekommen (also mit Menschen, die geplant vergewaltigt werden oder bei denen die Vergewaltigung ganz klar ist). Diese Art der Vergewaltigung fand ich tatsächlich generell etwas schwer zugänglich, denn beide waren davon überzeugt, dass sie richtig gehandelt haben. Da Anna zum Zeitpunkt des Aktes so unfassbar betrunken war, dass sie lauter Blackouts hatte, wäre ich mir an ihrer Stelle tatsächlich auch nicht so sicher gewesen, ob ich wirklich "Nein" gesagt habe, eine Anzeige hätte ich dementsprechend auch nicht erstattet. Ohne die 100%ige Sicherheit wäre das mit meinem Gewissen einfach nicht zu vereinbaren.
Anna fand ich leider während des gesamten Buches absolut unsympathisch und besserwisserisch, man hatte immer wieder das Gefühl, dass sie anderen ihre meist sehr feministische Meinung aufzwängen will und von Feminismus bin ich einfach allgemein kein Fan, weil mir solche Ansichten viel zu übertrieben sind. Jonas fand ich da tatsächlich deutlich sympathischer, wobei ich auch mit seinem Charakter wenig anfangen konnte. Er wurde von Anna als arrogant betitelt, tatsächlich wirkte auf mich aber das ganze Buch ziemlich arrogant, fast so, als ob die Autorin damit zeigen möchte, wie welt- und wortgewandt sie doch ist. Der Großteil des Buches bestand aber einfach nur aus leeren Worten, viel Inhalt zu vermitteln gab es nicht. Auch der unheimlich seltsame Schreibstil sollte wohl super modern und hipp wirken, war aber einfach nur nervig und langweilig zu lesen. Auch dass jeder Abschnitt (und manche waren nur 2-3 Sätze lang, sie wechselten also manchmal wirklich schnell) schon wieder aus der Sicht einer anderen Person geschrieben war und man jedes Mal herausfinden musste, um wen es denn jetzt schon wieder geht, fand ich nervig. Weshalb die Kapitel nicht in Zahlen, sondern in Buchstaben unterteilt sind, ist mir auch schleierhaft. Warum kompliziert, wenn's auch einfach geht?
SPOILER: Das Ende war zudem absolut langweilig und nichtssagend, da fand ich sogar die knapp 160 Seiten schon zu viel.
FAZIT: Für mich deutlich zu pseudoliterarisch mit zu wenig Inhalt.
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