Nicht lieferbar

Versandkostenfrei!
Nicht lieferbar
Mit zarten 46 Jahren kann's das doch noch nicht gewesen sein! Gerade war Eve Fletcher noch alleinerziehende Mutter. Jetzt probiert ihr Sohn Brendan am College aus, was es heißt, ein Mann zu sein, und auch, was es nicht heißt. Aber sind Mütter nicht auch nur Frauen? Also umsortieren, neu aufstellen, was wagen - aber wie? Während Eve und Brendan jeder für sich mal mehr, mal weniger glorreiche Abenteuer bestehen, steuern sie unbeirrbar auf eine schicksalhafte Novembernacht zu, die ihr ehemals so geordnetes Vorstadtleben aus den Angeln zu heben droht.
Perrotta, TomTom Perrotta wurde 1961 in Garwood, New Jersey geboren. Seine Romane (u.a. Little Children mit Kate Winslet in der Hauptrolle) werden regelmäßig fürs Kino verfilmt. Perrotta lebt in der Nähe von Boston.
Maass, Johann ChristophJohann Christoph Maass, geboren 1973, war Schlagzeuger bevor er Literaturwissenschaften studierte. Er arbeitet als freier Übersetzer in Berlin. Zu den von ihm übertragenen Autoren gehören u.a.: Jonathan Lethem, Barney Norris, Howard Jacobson, Chad Harbach und Ron Jonson.
Maass, Johann ChristophJohann Christoph Maass, geboren 1973, war Schlagzeuger bevor er Literaturwissenschaften studierte. Er arbeitet als freier Übersetzer in Berlin. Zu den von ihm übertragenen Autoren gehören u.a.: Jonathan Lethem, Barney Norris, Howard Jacobson, Chad Harbach und Ron Jonson.
Produktdetails
- Verlag: DTV
- Seitenzahl: 416
- Erscheinungstermin: 18. März 2019
- Deutsch
- Abmessung: 232mm x 158mm x 32mm
- Gewicht: 664g
- ISBN-13: 9783423281751
- ISBN-10: 3423281758
- Artikelnr.: 54564531
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Die Höllen des Mittelstands
Der Romanautor Tom Perrotta macht aus schweren Stoffen unterhaltsame Bücher - beim Fernsehen ist das gerade sehr gefragt
Tom Perrotta hat derzeit mächtig Stress. Er steckt mitten in der Umwandlung seines aktuellen, kürzlich auch bei uns erschienenen Romans "Mrs Fletcher" in Fernsehserienbilder.
"Ich mag die Arbeit des Showrunners", schreibt der Schriftsteller per Mail. "Doch als ich zusagte, den Job zu übernehmen, hatte ich keine Ahnung, auf was ich mich da einließ." Der New Yorker Bezahlsender HBO hat die Produktion bei ihm in Auftrag gegeben. Denn seit seiner Mitarbeit an Damon Lindelofs erfolgreicher Umsetzung seines Romans "The Leftovers", 2014, genießt der Mann mit den
Der Romanautor Tom Perrotta macht aus schweren Stoffen unterhaltsame Bücher - beim Fernsehen ist das gerade sehr gefragt
Tom Perrotta hat derzeit mächtig Stress. Er steckt mitten in der Umwandlung seines aktuellen, kürzlich auch bei uns erschienenen Romans "Mrs Fletcher" in Fernsehserienbilder.
"Ich mag die Arbeit des Showrunners", schreibt der Schriftsteller per Mail. "Doch als ich zusagte, den Job zu übernehmen, hatte ich keine Ahnung, auf was ich mich da einließ." Der New Yorker Bezahlsender HBO hat die Produktion bei ihm in Auftrag gegeben. Denn seit seiner Mitarbeit an Damon Lindelofs erfolgreicher Umsetzung seines Romans "The Leftovers", 2014, genießt der Mann mit den
Mehr anzeigen
raspelkurzen silbergrauen Haaren und der schwarzen Designerbrille bei den Entscheidern von Time Warner, unter deren Dach "Home Box Office" produziert, einen exzellenten Ruf als Vorlagenlieferant für massenkompatibles Serienfernsehen.
"The Leftovers" brach mit seinem kühnen dystopischen Setting, demzufolge am 14. Oktober 2014 gleichzeitig zwei Prozent der Weltbevölkerung vom Erdboden verschwinden und damit den großen ratlosen Rest in eine kollektive Depression stürzen, seinerzeit erfolgreich in die Phalanx der Emmy-Seriensieger "Breaking Bad" und "Mad Men" ein, deren Great-American-Novel-hafte Langerzählungen das bis dato geltende Serienfernsehenverständnis pulverisiert hatten. Zudem verpasste "The Leftovers" dem Genre mit seinem glaubwürdigen Mix aus Untergangsgemälde und fragwürdigen, spekulativ-philosophisch hinterfragten Herrschaftsformen eine irritierend neue und darum faszinierende Note.
"Von Anfang an habe ich meine Romane fürs Fernsehen oder fürs Kino adaptiert", schreibt Perrotta. "Und wenn Alexander Payne meinen Roman ,Election' damals nicht verfilmt hätte, wäre er als Buch wahrscheinlich nie erschienen." Payne inszenierte Perrottas Roman über das überehrgeizige kleine Biest Tracy Flick, das kurz davor ist, über Leichen zu gehen, um das Amt der Schulsprecherin ihrer Schule in Omaha zu erringen, 1999 mit der jungen Reese Witherspoon in der Hauptrolle als rasante Campus-Komödie - und ebnete seinem Verfasser damit den Weg ins Fernsehgeschäft. Auf dem Weg dahin hatte Perrotta sich zuvor als Student des berühmten Iowa Writers Workshop - der amerikanischen Talentschmiede für angehende Schriftsteller - unter Anleitung seinerzeit noch lebender Legenden wie Raymond Carver und John Cheever den letzten Schliff geholt. "Ich war in Iowa, okay, habe mich im Vergleich zu den angesagten Autoren meiner Generation aber trotzdem immer als Außenseiter gefühlt, weil ich sie für große Stilisten hielt, während ich doch bloß an meinen Geschichten über Leute herumschrieb, die gern anders leben würden, als sie es tun", erinnert er sich. "Bis ich irgendwann begriff, dass ich in den falschen Kategorien dachte. Und auf einmal sah ich, dass Leute wie Jonathan Franzen oder David Foster Wallace eigentlich gar nicht so anders sind als ich in dem, was sie schreiben." Doch während Foster Wallace seine enigmatischen Formzertrümmerungsromane schrieb und zum Mythos wurde und Franzen mit seinen familien- und zivilisationskritischen Epen zu Amerikas Vorzeigeromancier avancierte, blieb Perrotta der Typ, der fürs Fernsehen schreibt. Also vor allem für Geld.
Tom Perrotta, 1961 in Garwood, New Jersey, geboren, hatte bereits Storys in renommierten Magazinen publiziert, ehe er die größere Romanform wählte. Darin gelang es ihm immer wieder überaus gekonnt, an sich schwerverdauliche Stoffe unterhaltsam aufzubereiten. Und genau betrachtet halten seine Bücher sehr wohl mit den Arbeiten seiner weitaus berühmteren Kollegen Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides mit. Regelmäßig stehen darin moderne Emma-Bovary-Gestalten im Zentrum, die sich irgendwann das zu nehmen und zu gestatten trauen, wovon sie jahrelang heimlich phantasiert haben. Einen Liebhaber. Eine neue sexuelle Ausrichtung. Oder gleich ein komplett anderes Leben. Es sind Frauen, die bereit sind, den Preis, den die Gesellschaft von ihnen dafür verlangt, zu bezahlen.
Dabei beackert Perrotta in seinen Büchern ähnliche Themenfelder wie Franzen oder Eugenides in ihren Romanen. Auch bei ihm sind es regelmäßig die familiären Mittelstandshöllen, die er von innen heraus beleuchtet: dysfunktionale Gebilde, deren innere Widersprüche diese - bis zur finalen Implosion - latent unterhöhlen. Dass er das Ganze aber regelmäßig mit Witz und Ironie bricht und legiert, macht ihn Fans sogenannter Hochliteratur suspekt. Dabei ist das, was dieser Autor in seinen Büchern praktiziert, Menschenstudium in Reinkultur, indem er uns zu mal staunenden, mal belustigten Beobachtern von Wesen macht, deren Träume sich lange und viel zu oft als unrealistisch und damit als mit offenen Augen erlebte Albträume erweisen. Oder als Farce. Bis sie endlich aufbegehren.
2004 nahm Perrotta in seinem Buch "Little Children" mit der Feministin Sarah - in Todd Fields schöner Verfilmung des Stoffs von 2006 mit Kate Winslet besetzt - eine Frau ins Visier, die an der Perfektion ihres eigenen Lebensentwurfs zugrunde zu gehen droht - und in der Affäre mit dem ziellosen Jurastudenten Todd eine Zeitlang Zuflucht vor der Leere des Erziehungsalltags und ihrer verlogenen Familienidylle findet. Nun - 14 Jahre später - ist es in seinem aktuellen Roman die Figur der sexuell frustrierten Eve Fletcher, mit deren exemplarischer Beschreibung er ganzen Armeen ähnlich denkender und fühlender amerikanischer Frauen ein Gesicht gibt. "Okay, ich bin ein Romanschreiber, der hin und wieder seine Bücher fürs Fernsehen oder fürs Kino adaptiert", beschreibt Tom Perrotta sich selbst in einem Satz. Und da ist wieder dieses einschränkende "Okay". So, als hafte seinen Büchern dadurch etwas Anrüchiges an. Doch wenn es wie im Fall von "The Leftovers" gelingt, beides schlüssig miteinander zu verschmelzen, dann ist das eine ziemlich gute Erfahrung, weil am Ende etwas Neues steht: Figuren aus Wörtern, die zu echten Menschen geworden sind. Und das in Zeiten, da sich ganze Armeen von Romanschreibern durch die neue Vorherrschaft des episch gewordenen Erzählfernsehens um ihre Vormachtstellung gebracht sehen.
In der im Herbst auf HBO anlaufenden "Mrs Fletcher"-Show, wie er das nennt, wird Kathryn Hahn, bekannt aus Sam Mendes 2008er Verfilmung des Richard Yates Romans "Revolutionary Road" oder der Komödie "Wir sind die Millers" (2013), der Figur der Eve menschliche Züge verleihen. Und man darf gespannt sein, wie Perrotta seine Romanfigur vor der Kamera agieren lässt. Denn ist man seiner umtriebigen Glückssucherin als Leser erst mal verfallen, so dürfte es schwer werden, das Ganze vorurteilslos zu abstrahieren.
Tatsächlich nämlich stellt man sich bei der Geschäftsführerin eines Seniorencenters, die infolge einer gescheiterten Ehe nach einer neuen weiblichen und, ja, sexuellen Identität sucht, nachdem sie ihren Sohn Brendan schweren Herzens aufs College verabschiedet hat, eine jener immer leicht melancholischen, vom zu häufigen Alleine-auf-der-Couch-vorm-Fernseher-Sitzen-und-Schokolade-Essen um die Hüften leicht füllig gewordene Frauenfiguren vor, wie sie insbesondere die Geschöpfe der letzten Romane der großartigen Meg Wolitzer verkörpern: Im mächtigen Tinder-Verdrängungswettbewerb abgeschlagene, sogenannte Best oder Golden Ager, die auf die 50 zusteuern - und nicht begreifen können, warum sie nicht mehr dazugehören sollen. So auch Eve, die eine Zeitlang hofft, ihr Glück bei Tinder zu finden. Bis sie eines Tages - anfangs zögerlich und von mächtigen Schamgefühlen begleitet, dann aber wildentschlossen - die Vorzüge der Internetpornographie für sich entdeckt. Fortan vergeht kaum mehr ein Abend, an dem sie nicht die Seiten von MILF-Porn besucht - und freimütig bekennt: "Ein paar Vorteile hatte die Sache definitiv. Sie hatte viel mehr Orgasmen als zuvor." So entrollt uns Perrottas Roman eine Art doppelter Coming-of-Age-Geschichte: auf der einen Seite Eves Persönlichkeitswandlung und sexuelle Befreiung - weg von der in konservativen Denkmustern gefangenen Frau, hin zu neuen Vorstellungsmodellen und damit verbundenen, bislang ungenutzten sexuellen Möglichkeiten. Auf der anderen Brendans College-Alltag, den der junge Mann - von Perrotta in bisweilen schreiend komischen Episoden illustriert - als nicht enden wollendes Desaster erlebt.
"Die Idee zu dem Buch kam mir, als unsere Kinder auszogen, um zu studieren", erzählt Perrotta in einer Mail. "Und welche Herausforderung damit ganz generell für Eltern einhergeht, sich neu erfinden zu müssen. Denn seien wir doch ehrlich: In vielen Ehen ist nach langen Jahren der Elternschaft manches eingeschlafen oder auf der Strecke geblieben, und damit meine ich den Sex." Und so kann Eve sich plötzlich - von den alten Denkfesseln befreit - so manches vorstellen: sogar eine Affäre mit ihrer Mitarbeiterin Amanda. Und dass sie Julian, dem ehemaligen Mitschüler ihres Sohnes, den sie in einem Abendschreibseminar zum Thema "Gender und Gesellschaft" kennenlernt, irgendwann Nacktfotos von sich schickt, gehört ab sofort ebenso zu ihrem neuen Selbstverständnis. "Denn plötzlich fühlte sich alles richtig und wahr an, genau so, wie sie es sich wünschte. Das bin ich, dachte sie."
Seit John Updikes Rabbit-Romanen wurden Amerikas Mittelschichtsprobleme nicht mehr derart schonungslos und zugleich humorvoll seziert. Die Lügen und Heimlichkeiten und die unterdrückten Sehnsüchte. So wird Tom Perrotta weiterschreiben über Amerikas Mittelstandstragödien - und die Serienmacher damit beglücken. "Die große Serienerzählung ist die wahrscheinlich kraftvollste Erzählform, die wir momentan haben", schreibt er. "Dickens würde vermutlich als Showrunner arbeiten, wenn er noch leben würde." Da ist er sich sicher. Und setzt als Zeichen seiner Überzeugung zum Schluss ein riesiges "Gereckter Daumen"-Emoji unten drunter.
PETER HENNING.
Tom Perrotta: "Mrs Fletcher". Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Johann Christoph Maass. dtv, 416 Seiten, 22 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"The Leftovers" brach mit seinem kühnen dystopischen Setting, demzufolge am 14. Oktober 2014 gleichzeitig zwei Prozent der Weltbevölkerung vom Erdboden verschwinden und damit den großen ratlosen Rest in eine kollektive Depression stürzen, seinerzeit erfolgreich in die Phalanx der Emmy-Seriensieger "Breaking Bad" und "Mad Men" ein, deren Great-American-Novel-hafte Langerzählungen das bis dato geltende Serienfernsehenverständnis pulverisiert hatten. Zudem verpasste "The Leftovers" dem Genre mit seinem glaubwürdigen Mix aus Untergangsgemälde und fragwürdigen, spekulativ-philosophisch hinterfragten Herrschaftsformen eine irritierend neue und darum faszinierende Note.
"Von Anfang an habe ich meine Romane fürs Fernsehen oder fürs Kino adaptiert", schreibt Perrotta. "Und wenn Alexander Payne meinen Roman ,Election' damals nicht verfilmt hätte, wäre er als Buch wahrscheinlich nie erschienen." Payne inszenierte Perrottas Roman über das überehrgeizige kleine Biest Tracy Flick, das kurz davor ist, über Leichen zu gehen, um das Amt der Schulsprecherin ihrer Schule in Omaha zu erringen, 1999 mit der jungen Reese Witherspoon in der Hauptrolle als rasante Campus-Komödie - und ebnete seinem Verfasser damit den Weg ins Fernsehgeschäft. Auf dem Weg dahin hatte Perrotta sich zuvor als Student des berühmten Iowa Writers Workshop - der amerikanischen Talentschmiede für angehende Schriftsteller - unter Anleitung seinerzeit noch lebender Legenden wie Raymond Carver und John Cheever den letzten Schliff geholt. "Ich war in Iowa, okay, habe mich im Vergleich zu den angesagten Autoren meiner Generation aber trotzdem immer als Außenseiter gefühlt, weil ich sie für große Stilisten hielt, während ich doch bloß an meinen Geschichten über Leute herumschrieb, die gern anders leben würden, als sie es tun", erinnert er sich. "Bis ich irgendwann begriff, dass ich in den falschen Kategorien dachte. Und auf einmal sah ich, dass Leute wie Jonathan Franzen oder David Foster Wallace eigentlich gar nicht so anders sind als ich in dem, was sie schreiben." Doch während Foster Wallace seine enigmatischen Formzertrümmerungsromane schrieb und zum Mythos wurde und Franzen mit seinen familien- und zivilisationskritischen Epen zu Amerikas Vorzeigeromancier avancierte, blieb Perrotta der Typ, der fürs Fernsehen schreibt. Also vor allem für Geld.
Tom Perrotta, 1961 in Garwood, New Jersey, geboren, hatte bereits Storys in renommierten Magazinen publiziert, ehe er die größere Romanform wählte. Darin gelang es ihm immer wieder überaus gekonnt, an sich schwerverdauliche Stoffe unterhaltsam aufzubereiten. Und genau betrachtet halten seine Bücher sehr wohl mit den Arbeiten seiner weitaus berühmteren Kollegen Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides mit. Regelmäßig stehen darin moderne Emma-Bovary-Gestalten im Zentrum, die sich irgendwann das zu nehmen und zu gestatten trauen, wovon sie jahrelang heimlich phantasiert haben. Einen Liebhaber. Eine neue sexuelle Ausrichtung. Oder gleich ein komplett anderes Leben. Es sind Frauen, die bereit sind, den Preis, den die Gesellschaft von ihnen dafür verlangt, zu bezahlen.
Dabei beackert Perrotta in seinen Büchern ähnliche Themenfelder wie Franzen oder Eugenides in ihren Romanen. Auch bei ihm sind es regelmäßig die familiären Mittelstandshöllen, die er von innen heraus beleuchtet: dysfunktionale Gebilde, deren innere Widersprüche diese - bis zur finalen Implosion - latent unterhöhlen. Dass er das Ganze aber regelmäßig mit Witz und Ironie bricht und legiert, macht ihn Fans sogenannter Hochliteratur suspekt. Dabei ist das, was dieser Autor in seinen Büchern praktiziert, Menschenstudium in Reinkultur, indem er uns zu mal staunenden, mal belustigten Beobachtern von Wesen macht, deren Träume sich lange und viel zu oft als unrealistisch und damit als mit offenen Augen erlebte Albträume erweisen. Oder als Farce. Bis sie endlich aufbegehren.
2004 nahm Perrotta in seinem Buch "Little Children" mit der Feministin Sarah - in Todd Fields schöner Verfilmung des Stoffs von 2006 mit Kate Winslet besetzt - eine Frau ins Visier, die an der Perfektion ihres eigenen Lebensentwurfs zugrunde zu gehen droht - und in der Affäre mit dem ziellosen Jurastudenten Todd eine Zeitlang Zuflucht vor der Leere des Erziehungsalltags und ihrer verlogenen Familienidylle findet. Nun - 14 Jahre später - ist es in seinem aktuellen Roman die Figur der sexuell frustrierten Eve Fletcher, mit deren exemplarischer Beschreibung er ganzen Armeen ähnlich denkender und fühlender amerikanischer Frauen ein Gesicht gibt. "Okay, ich bin ein Romanschreiber, der hin und wieder seine Bücher fürs Fernsehen oder fürs Kino adaptiert", beschreibt Tom Perrotta sich selbst in einem Satz. Und da ist wieder dieses einschränkende "Okay". So, als hafte seinen Büchern dadurch etwas Anrüchiges an. Doch wenn es wie im Fall von "The Leftovers" gelingt, beides schlüssig miteinander zu verschmelzen, dann ist das eine ziemlich gute Erfahrung, weil am Ende etwas Neues steht: Figuren aus Wörtern, die zu echten Menschen geworden sind. Und das in Zeiten, da sich ganze Armeen von Romanschreibern durch die neue Vorherrschaft des episch gewordenen Erzählfernsehens um ihre Vormachtstellung gebracht sehen.
In der im Herbst auf HBO anlaufenden "Mrs Fletcher"-Show, wie er das nennt, wird Kathryn Hahn, bekannt aus Sam Mendes 2008er Verfilmung des Richard Yates Romans "Revolutionary Road" oder der Komödie "Wir sind die Millers" (2013), der Figur der Eve menschliche Züge verleihen. Und man darf gespannt sein, wie Perrotta seine Romanfigur vor der Kamera agieren lässt. Denn ist man seiner umtriebigen Glückssucherin als Leser erst mal verfallen, so dürfte es schwer werden, das Ganze vorurteilslos zu abstrahieren.
Tatsächlich nämlich stellt man sich bei der Geschäftsführerin eines Seniorencenters, die infolge einer gescheiterten Ehe nach einer neuen weiblichen und, ja, sexuellen Identität sucht, nachdem sie ihren Sohn Brendan schweren Herzens aufs College verabschiedet hat, eine jener immer leicht melancholischen, vom zu häufigen Alleine-auf-der-Couch-vorm-Fernseher-Sitzen-und-Schokolade-Essen um die Hüften leicht füllig gewordene Frauenfiguren vor, wie sie insbesondere die Geschöpfe der letzten Romane der großartigen Meg Wolitzer verkörpern: Im mächtigen Tinder-Verdrängungswettbewerb abgeschlagene, sogenannte Best oder Golden Ager, die auf die 50 zusteuern - und nicht begreifen können, warum sie nicht mehr dazugehören sollen. So auch Eve, die eine Zeitlang hofft, ihr Glück bei Tinder zu finden. Bis sie eines Tages - anfangs zögerlich und von mächtigen Schamgefühlen begleitet, dann aber wildentschlossen - die Vorzüge der Internetpornographie für sich entdeckt. Fortan vergeht kaum mehr ein Abend, an dem sie nicht die Seiten von MILF-Porn besucht - und freimütig bekennt: "Ein paar Vorteile hatte die Sache definitiv. Sie hatte viel mehr Orgasmen als zuvor." So entrollt uns Perrottas Roman eine Art doppelter Coming-of-Age-Geschichte: auf der einen Seite Eves Persönlichkeitswandlung und sexuelle Befreiung - weg von der in konservativen Denkmustern gefangenen Frau, hin zu neuen Vorstellungsmodellen und damit verbundenen, bislang ungenutzten sexuellen Möglichkeiten. Auf der anderen Brendans College-Alltag, den der junge Mann - von Perrotta in bisweilen schreiend komischen Episoden illustriert - als nicht enden wollendes Desaster erlebt.
"Die Idee zu dem Buch kam mir, als unsere Kinder auszogen, um zu studieren", erzählt Perrotta in einer Mail. "Und welche Herausforderung damit ganz generell für Eltern einhergeht, sich neu erfinden zu müssen. Denn seien wir doch ehrlich: In vielen Ehen ist nach langen Jahren der Elternschaft manches eingeschlafen oder auf der Strecke geblieben, und damit meine ich den Sex." Und so kann Eve sich plötzlich - von den alten Denkfesseln befreit - so manches vorstellen: sogar eine Affäre mit ihrer Mitarbeiterin Amanda. Und dass sie Julian, dem ehemaligen Mitschüler ihres Sohnes, den sie in einem Abendschreibseminar zum Thema "Gender und Gesellschaft" kennenlernt, irgendwann Nacktfotos von sich schickt, gehört ab sofort ebenso zu ihrem neuen Selbstverständnis. "Denn plötzlich fühlte sich alles richtig und wahr an, genau so, wie sie es sich wünschte. Das bin ich, dachte sie."
Seit John Updikes Rabbit-Romanen wurden Amerikas Mittelschichtsprobleme nicht mehr derart schonungslos und zugleich humorvoll seziert. Die Lügen und Heimlichkeiten und die unterdrückten Sehnsüchte. So wird Tom Perrotta weiterschreiben über Amerikas Mittelstandstragödien - und die Serienmacher damit beglücken. "Die große Serienerzählung ist die wahrscheinlich kraftvollste Erzählform, die wir momentan haben", schreibt er. "Dickens würde vermutlich als Showrunner arbeiten, wenn er noch leben würde." Da ist er sich sicher. Und setzt als Zeichen seiner Überzeugung zum Schluss ein riesiges "Gereckter Daumen"-Emoji unten drunter.
PETER HENNING.
Tom Perrotta: "Mrs Fletcher". Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Johann Christoph Maass. dtv, 416 Seiten, 22 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schließen
Es ist ein fröhliches, amüsantes, nie anzügliches, an wenigen Stellen sogar ein bisschen melancholisches Buch darüber, was sein könnte, wenn man es nur richtig wollte. Christine Westermann WDR 20190627
Tom Perrotta hat mit diesem Buch eine witzige Geschichte über das Leben geschrieben und über die alltäglichen Probleme, mit denen sich eine Frau in ihren besten Jahren rumschlagen muss und ein Junge in seinen wildesten Jahren ebenfalls. Abwechselnd geschrieben aus der Sicht von Eve …
Mehr
Tom Perrotta hat mit diesem Buch eine witzige Geschichte über das Leben geschrieben und über die alltäglichen Probleme, mit denen sich eine Frau in ihren besten Jahren rumschlagen muss und ein Junge in seinen wildesten Jahren ebenfalls. Abwechselnd geschrieben aus der Sicht von Eve und ihrem Sohn Brendan.
Die amüsante Art, in der der Autor beschreibt, wie Eve Fletcher ihre Mutterrolle für einige Zeit hinten anstellt und endlich wieder Frau sein kann, Pornoseiten für sich entdeckt und auch das ein oder andere Abenteuer erlebt, hat mich oft schmunzeln lassen.
Nicht nur die Themen Sexualität und Elternschaft wird angesprochen, Tom Perrotta findet auch einen guten Weg Transgender mit einzubeziehen und es trotzdem nicht zu überhöhen im Thema.
Auch Datingapps werden thematisiert und es wird klar gemacht, dass diese Apps bloß für eine schnelle Nummer gut sind.
Seine Sprache ist humoristisch und klar. Keine sprachlichen Schnörkel, aber dafür jede Menge Schmunzler, die die Leserin / den Leser begleiten.
Die Kapitel, die sich um Eve drehen, sind etwas interessanter. Brendans Kapitel haben teilweise ein paar Längen. Doch das stört beim Lesen wenig. Man freut sich einfach darauf, was bei Eve als nächstes geschieht.
Die Hauptfigur "Mrs Fletcher" ist so lebendig gezeichnet vom Autor, dass man ihr ihr Verhalten komplett abkauft. Brendan wirkt dagegen eher blass und langweilig, ein amerikanischer Teenager, wie es sie zu Duzenden gibt.
Ein wirklich lustiges Buch, was Spaß gemacht hat beim Lesen und mich bestens unterhalten hat. Die kleinen Längen konnte ich gut überlesen und mich hat "Mrs Fletcher" jederzeit bei der Stange gehalten.
Ich vergebe 4 von 5 Sternen und bin gespannt, was man vom Autor sonst noch so zu lesen bekommt.
Weniger
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 1 von 1 finden diese Rezension hilfreich
Mann schon länger weg, Sohn nun auch bald - das kann es doch nicht gewesen sein, meint die 46jährige Eve Fletcher. Und versucht, sich selbst als Frau neu zu definieren.
Das Problem ist nur, dass der Autor Tom Perrotta das für sie übernimmt und seine Darstellung einer Frau in …
Mehr
Mann schon länger weg, Sohn nun auch bald - das kann es doch nicht gewesen sein, meint die 46jährige Eve Fletcher. Und versucht, sich selbst als Frau neu zu definieren.
Das Problem ist nur, dass der Autor Tom Perrotta das für sie übernimmt und seine Darstellung einer Frau in mittleren Jahren, die es noch einmal wissen will, strotzt nur so von Vorurteilen und wimmelt von Klischees.
Ich fand den immer und immer wieder strapazierten Begriff MILF in einem Roman, der eigentlich die Frau in den Mittelpunkt stellt, absolut deplaziert und erniedrigend.
Nein, Tom Perotta meint es absolut nicht gut mit den Frauen - vielleicht meint er, dass er das tut, aber seine Sicht und Interpretation ist irgendwo in den 1950ern stehengeblieben. Wenn überhaupt. Nein, diese Lektüre war leider alles andere als ein Vergnügen für mich. Selbiges fängt erst jetzt, danach wieder für mich an - nachdem ich das Buch mit großer Freude in die Ecke gepfeffert habe, wo es auch bleiben soll!
Weniger
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Von Schriftsteller und Drehbuchautor Tom Perrotta stammen u.a. die Romane „The Election“ und „Little Children“. In „Mrs Fletcher“ geht es um das Thema „Neuanfang“.
Brendan zieht aus und geht aufs College. Seine Mutter Eve beschließt einen …
Mehr
Von Schriftsteller und Drehbuchautor Tom Perrotta stammen u.a. die Romane „The Election“ und „Little Children“. In „Mrs Fletcher“ geht es um das Thema „Neuanfang“.
Brendan zieht aus und geht aufs College. Seine Mutter Eve beschließt einen Neuanfang. Ein Collegekurs soll sie aus der Einsamkeit reißen. Auf der Suche nach Freundschaft und Liebe macht sie ungewöhnliche Bekanntschaften.
Im Fokus steht anfangs die Mutter-Sohn-Beziehung. Brendan hat sich längst abgenabelt. Eve fällt der Abschied schwer. Sie kann noch nicht loslassen. Zu Beginn plätschert die Geschichte etwas dahin. Worauf laufen die zwei Perspektiven „Brendan“ und „Eve“ hinaus? Bei den wesentlichen Charakteren geht es darum, sich neu zu erfinden. Jeder hat sein Päckchen zu tragen, und alle sind auf unterschiedliche Weise auf der Suche nach der Liebe. Eves Veränderung geht relativ schnell vonstatten. Sie überwindet ungeahnte Grenzen. Es dauert etwas bis die Geschichte in Fahrt kommt und interessante Facetten zeigt. Der coole Brendan entdeckt derweil seine sanften Seiten. Anhand von Nebenfiguren werden Themen wie Mobbing und Demenz angerissen. Es gibt verschiedene Arten von Außenseitern. Die meisten Männer in der Geschichte kommen nicht gut weg. Veränderung liegt überall in der Luft. Mehr Perspektiven tauchen auf. Es geht um Vorurteile, um den Mut zu sich selbst und seinen Wünschen zu stehen. Bald liegt der Fokus auf unglückselige Sexabenteuer. Spekulationen werden in Gang gesetzt, wie sich welche Begegnung weiter entwickelt. Im letzten Buchdrittel fällt die Geschichte wieder auf Alltägliches und Banales zurück. Ein Zeitsprung und eine Entscheidung überraschen. Worin liegt die Botschaft des Romans? Sich Schritte zu trauen, Grenzen zu überwinden und Vorurteile abzulegen? So zerrissen wie zeitweise die Hauptfiguren Eve und Brendan ist auch der Leser.
Das Cover zeigt erst auf den zweiten Blick etwas Kreativität. Eine verschwommene, verheißungsvolle Duschszene hätte besser gepasst. „Mrs Fletcher“ fehlt es über lange Strecken an Atmosphäre und Intensität. Das Thema „Neuanfang“ hätte interessanter, raffinierter und spannender umgesetzt werden können. So enttäuscht der Roman.
Weniger
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Eve Fletcher ist 46 Jahre alt, geschieden und ihr einziger Sohn Brendan verabschiedet sich gerade in Richtung College. Allein geblieben versucht Eve ihrem Leben eine neue Richtung zu geben und geht neben ihrem Beruf selbst wieder zum College, das Seminar Gender & Gesellschaft regt sie auch zum …
Mehr
Eve Fletcher ist 46 Jahre alt, geschieden und ihr einziger Sohn Brendan verabschiedet sich gerade in Richtung College. Allein geblieben versucht Eve ihrem Leben eine neue Richtung zu geben und geht neben ihrem Beruf selbst wieder zum College, das Seminar Gender & Gesellschaft regt sie auch zum Nachdenken über ihre eigenen Sexualität an. Brendan dagegen genießt das College-Leben, scheinbar ohne auch nur einmal eine seiner grauen Zellen zu bemühen......
"Mrs Fletcher" vom Tom Perotta hätte einiges an Potential zu bieten gehabt, wenn die Geschichte sich nicht in Klischees verlieren würde. Den Anfang fand ich noch vielversprechend, nachdem mir schon der Klappentext Lust auf das Buch gemacht hatte. Doch bald verliert sich der Faden in diversen oberflächlichen Sexfantasien. Wirklich schade, denn der Schreibstil des Autors hätte die Geschichte besonders machen können, wenn der Inhalt besser dazu gepasst hätte.
Eve ist als eine MILF beschrieben, einen Begriff, den ich zwar durchaus kannte, aber noch nie so zentral in einem Buch thematisiert gesehen habe - das scheint das Bedeutsamste an der Protagonistin zu sein, sie ist 46 Jahre alt, alleinstehend, einsam, sexuell frustriert? Egal, das Alles geht vorbei - weil sie eine gute Figur und feste Brüste hat - ach ja eine neue Frisur tut noch ihr Übriges. Die versprochene rasende Komik konnte ich in der Geschichte leider nicht finden und ich glaube nicht, dass die Beschreibung diverser erotischer Fantasien und Erlebnisse schon ausreicht, um das Buch als provokant einzustufen.
Irritiert hat mich außerdem, dass die Kapitel aus Eves Sicht in der dritten Person formuliert waren, obwohl ich sie laut Titel und Klappentext als Hautfigur angesehen habe. Brendans Abschnitte dagegen sind in der Ich-Form geschrieben, dabei ist seine Figur dennoch stereotyp und oberflächlich geblieben - und er schien mir so unglaublich blöd, sorry....schon klar, dass die jungen Leute lieber feiern als lernen, aber ein paar wenige Gehirnzellen mehr hätte ich auch einem jugendlichen Protagonisten gewünscht.
Fazit: Hätte das Buch auch nur die Hälfte von dem gehalten, was der Klappentext versprach, wäre es eine vergnügliche Lektüre gewesen. Leider löst sich der Handlungsfaden in klischeehaften Fantasien und Abenteuern auf. Wenn das die Art ist, wie sich Männer das weibliche Sexualleben vorstellen, dann gute Nacht!
Weniger
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Dieser als herrlich provokant und rasend komisch angepriesener Roman kann leider nicht überzeugen.
Die Schreibweise ist gut, aber die Charaktere sind wenig überzeugend.
Sie entsprechen zu sehr den gängigen Klischees. Der Sohn zieht aus,
um auf das College zu gehen und seine …
Mehr
Dieser als herrlich provokant und rasend komisch angepriesener Roman kann leider nicht überzeugen.
Die Schreibweise ist gut, aber die Charaktere sind wenig überzeugend.
Sie entsprechen zu sehr den gängigen Klischees. Der Sohn zieht aus,
um auf das College zu gehen und seine Alleinerziehende Mutter versucht sich neu zu definieren.
Wenn sie nicht ihrem Sohn nachtrauert, ist sie auf der Suche nach einer neuen weiblichen und
sexuellen Identität. Im Internet entdeckt sie dann eines Tages, erst zögerlich und dann von
Schamgefühlen begleitet, die Vorzüge der Internet-Pornografie. Sie beginnt ihre Mitmenschen aus
einer neuen Perspektive wahrzunehmen. Z.b. Margot, eine schwarze Transsexuelle oder ihre Mitarbeiterin
Amanda, mit der sie sich plötzlich eine Affäre vorstellen kann. Dann ist da auch noch ein ehemaliger Mitschüler
ihres Sohnes, dem sie nicht abgeneigt ist. Zu guter Letzt steht sie im Brautkleid vor dem Altar.
Die angekündigte Provokation und die rasende Komik konnte ich nirgends entdecken.
So bleibt es eine Geschichte ohne Tiefgang und mit Charakteren die einem fremd bleiben. Schade!
Weniger
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 0 von 0 finden diese Rezension hilfreich
Andere Kunden interessierten sich für